Rio, Kyoto – und was passiert in Pforzheim? Der junge Wissenschaftler arbeitete schon seit Jahren an der Messung und Erfassung atmosphärischen Kohlendioxids. Er hatte an seinem Institut, dem Scripps Institution of Oceanography in Kalifornien, für ein kontinuierliches Messprogramm gekämpft, hatte die dafür notwendige Apparatur zusammengestellt, für Geld geworben – und ist seinem Chef offenbar ziemlich auf die Nerven gegangen. Der stimmte schließlich einer Dauermessung auf dem Mauna-Loa in Hawaii zu, versagte seinem jungen Mitarbeiter, dem Chemiker Charles David Keeling, vorerst aber eine Reisegenehmigung. So starteten seine Kollegen am 27. März 1958 ohne ihn in Richtung Trauminsel im Pazifik. Erst im Herbst 1958 durfte Keeling zu ihnen stoßen, ohne zu ahnen, dass er mit seinen Messungen den wichtigsten Datensatz der Umweltforschung im 20 Jahrhundert liefern würde. Die nach ihm benannte Keeling-Kurve hat in der Wissenschaftsgeschichte der globalen Erwärmung einen unvergleichbaren Stellenwert, da sie als Beleg für die menschlich verursachte globale Erwärmung gilt. Vor Keeling gingen die Forscher davon aus, dass die CO2-Konzentrationen von Ort zu Ort stark variierten, eine „Hintergrundkonzentration“ nicht existierte und alle vom Menschen durch Verbrennung emittierten Gasmengen von den Weltmeeren absorbiert würden. Keeling konnte das Gegenteil nachweisen: es gibt sehr wohl eine „Hintergrundkonzentration“ an CO2 in der Atmosphäre und diese nimmt fatalerweise kontinuierlich zu. So lag sie zu Beginn seiner Messungen im Jahr 1958 noch bei 310 ppm, heute bereits beträgt sie über 390 ppm – ein untrüglicher Beleg, dass sich dieses klimarelevante Gas in den oberen Luftschichten anreichert. Dumm auch, dass diese Zunahme offenbar nicht aufzuhalten ist: die Keeling-Kurve weist ganz klar nach oben – ein Abschwächen oder gar eine Umkehr dieser Entwicklung ist derzeit nicht erkennbar. Auf der Grundlage der Keeling-Kurve erfolgte in den folgenden Jahren eine intensive wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Problematik des Klimawandels. Sie führte letztendlich dazu, dass im Jahr 1972 eine globale Umweltkonferenz in Stockholm ausgerichtet wurde. Dort wurden verschiedene Untersuchungsprogramme ins Leben gerufen, wie z.B. das globale Umweltüberwachungssystem GEMS. Die in Folge erfassten Daten verdeutlichten den Zusammenhang zwischen der Zunahme atmosphärischer Treibhausgase und der globalen Temperaturerhöhung. Es folgten die Weltklimakonferenzen in Genf 1979 und in Toronto 1988. Der erste Bericht des neu gegründeten Weltklimarats (IPCC – Intergovernmental Panel of Climate) im Jahr 1990 sprach zum ersten Mal vom anthropogenen, also von Menschen verursachten Treibhauseffekt, der in erster Linie auf die steigende CO2-Konzentration in der Atmosphäre zurückzuführen ist. Ursache dafür ist in erster Linie das Verbrennen fossiler Energieträger, wie Öl, Gas oder Kohle. Einen ersten Höhepunkt in der internationalen Zusammenarbeit in Sachen Klimaschutz erreichte man 1992 auf der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro, wo sich 10.000 Delegierte aus 178 Staaten trafen, um über das Schicksal der Erde zu diskutieren. Beschlossen wurde die Rahmenkonvention zum Klimawandel, ein zwar vage formuliertes und unverbindliches Schriftstück, das aber zumindest die zukünftigen internationalen Bemühungen in Sachen Klimaschutz regelte. So kommen seither die Vertragsstaaten alljährlich zu einer Vertragsstaatenkonferenz zusammen (sog. COPs - Conferences of the Parties). Der größte Schritt wurde 1997 in Japan mit dem sog. „Kyoto-Protokoll“ getan, in dem sich die Industriestaaten verpflichteten, die Emissionen der Treibhausgase zwischen 2008 und 2012 um durchschnittlich 5,2% unter den Wert von 1990 zu senken. Leider sind die USA dem Protokoll nie beigetreten, und Kanada hat am 13. Dezember 2011 „rechtzeitig“ seinen Ausstieg aus dem Abkommen bekannt gegeben. Hintergrund dieser Entscheidung ist die Steigerung der kanadischen Treibhausgasemission in den letzten Jahren, die hohe Strafzahlungen nach sich ziehen würde. Darüber hinaus lehnt Japan eine weitere Verlängerung des Kyotoprotokolls ab. Folglich bleibt die Zukunft des Kyoto-Protokolls ungewiss, obwohl sich die Staatenvertreter auf der UN-Klimakonferenz in Durban 2011 geeinigt haben, das Kyoto-Protokoll zunächst mit einer zweiten Verpflichtungsperiode zu verlängern. Vom Weltklimarat wurde das Ziel ausgegeben, den durch den Menschen verursachten Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf 2°C zu begrenzen. Dies ist mit der Befürchtung verbunden, dass bei einer stärkeren Temperaturzunahme sog. tipping points („Umkipp-Punkte“) erreicht werden, die weitere, nicht mehr beherrschbare Klimaänderungen nach sich ziehen. Beispiel: Durch das Auftauen der Permafrostböden in den weltweiten Tundraböden wird das dort gespeicherte Methan freigesetzt, was zu einer massiven Verschärfung des Klimawandels führt. Ausgehend von dieser 2-Grad-Grenze müssen die CO2-Emissionen in den Industriestaaten bis 2050 gegenüber dem Niveau von 1990 um rund 90 Prozent absinken. Es ist dringend geboten, jetzt schon darüber nachzudenken, wie man dieses Ziel erreichen kann. Konkret: Welche Maßnahmen müssen heute eingeleitet werden, um ein Überschreiten der 2-Grad-Grenze zu verhindern, da dies aller Voraussicht nach mit unkalkulierbaren Risiken für das Leben auf unserer Erde verbunden wäre. Der Anteil Baden-Württembergs an den weltweiten Treibhausgasemissionen liegt bei ca. 0,3 %. Damit verantwortet unsere Region - wie andere Industrieregionen auch - einen weltweit gesehen überdurchschnittlichen Beitrag zum Klimawandel und trägt somit auch ein gehöriges Maß an Verantwortung in Sachen Energiewirtschaft. Es ist höchste Zeit, entschlossen zu handeln, um die Folgen des Klimawandels noch halbwegs beherrschbar halten zu können. Dieses Handeln ist auf allen Ebenen notwendig – gerade auch im kommunalen Bereich. Aus diesem Grund hat die Stadt Pforzheim als achtgrößte Stadt Baden-Württembergs und Oberzentrum des Nordschwarzwalds mit knapp 120.000 Einwohnern ein Klimaschutzkonzept erarbeiten lassen, um ihre Aktivitäten im Klimaschutz wirksam zusammenzufassen, zu optimieren und zu ergänzen. Dieser aktive Wille zum Klimaschutz wird unterstrichen durch den Beschluss des Gemeinderats, dem Covenant of Mayors (Konvent der Bürgermeister) beizutreten. Zusammen mit Heidelberg und Freiburg gehört Pforzheim zu den drei ersten baden-württembergischen Städten, die sich verpflichtet haben, die verbindlichen Reduktionsziele der EU (20 % weniger CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2020) noch zu unterbieten. Da Pforzheim schon in der Vergangenheit umfangreiche Aktivitäten in Sachen Klimaschutz entwickelt hat, war von 1990 – 2010 bereits ein Rückgang der CO2-Emissionen um 20 % zu verzeichnen, v.a. durch die Verdrängung von Kohle durch Biomasse und Ersatzbrennstoffe im Heizkraftwerk. Darüber hinaus wurden zahlreiche Einzelprojekte unternommen, die gleichfalls zu diesem positiven Ergebnis beitrugen, wie z.B. die konsequente energetische Sanierung städtischer Gebäude, der Bau von Wasserkraftanlagen, die Installation von Solaranlagen auf stadteigenen Gebäuden, etc. Die Ausarbeitung des neuen Pforzheimer Klimaschutzkonzepts erfolgte durch die Klimaschutz- und Energieagentur BW (KEA): In Abstimmung mit Pforzheimer Akteuren wurde ein Maßnahmenpaket mit Vorschlägen geschnürt, wie in Pforzheim in Zukunft weiter Energie eingespart, effizienter eingesetzt und CO2-Emissionen vermindert werden können. Rein rechnerisch wäre durch kurz- bis mittelfristige Umsetzung des gesamten Maßnahmenpakets eine Reduktion der Treibhausgase um 80% bis 2030 gegenüber 1990 möglich. Laut Gutachter ist die Senkung der Gesamtemission bis 2030 um ca. 60 % gegenüber 1990 wahrscheinlicher. Diese Zielmarke ist sehr ambitioniert und erfordert ein großes Engagement auf allen Handlungsebenen im öffentlichen und privaten Bereich. COP Stockholm Genf Toronto Rio de Janeiro Kyoto Durban Abb.: Keeling-Kurve zum CO2-Gehalt in der Atmosphäre. Auf der Zeitleiste sind die jeweiligen Umwelt- und Klimagipfel der vergangenen Jahrzehnte eingetragen, um deren Wirkung auf den globalen Treibhauseffekt zu veranschaulichen Text: Hilligardt Foto: Bauer (Vorderseite) Grafik: SIO (2012) Klimaschutzkonzept: KEA (2012) Das Klimaschutzkonzept für die Stadt Pforzheim