Ethik in der Planung Martin Lendi Ethik und Planung sind Begriffe, die der Klärung bedürfen. Nicht präzise Definitionen sind gesucht. Das Augenmerk hat sich auf den inhaltlichen Kontext zu richten, in dem sie zum Tragen kommen. Planung – Auseinandersetzung mit der Zukunft Gegenstand der Planung als Auseinandersetzung mit der Zukunft ist das Erhalten der Lebensvoraussetzungen und das Gestalten des Lebens als Individuum und in der Gemeinschaft. Es geht also bei der „Planung“ nicht in abstracto um die Zukunft als solche, sondern es geht – gegenstandsbezogen – um das konkrete Leben in Raum und Zeit, um das Leben in seiner Vielgestaltigkeit über die Zeiten hinweg. Noch umfassender anformuliert: Es geht um den Schutz der Lebensvoraussetzungen und um die Entfaltung des Lebens unter den Bedingungen politischer, wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Chancen und Grenzen, mitten im Fluss von Vorgängen. Vor allem aber geht es um das Leben, dem wir mit Respekt – Ehrfurcht vor dem Leben (Albert Schweitzer) – zu begegnen haben, wohl einfach deshalb, weil es letztlich dem Verfügbaren entzogen ist, weil es – theologisch gesprochen – ein Geschenk ist. Diese allgemeine Beschreibung bleibt farblos, wenn wir nicht bereit sind, die Menschen so zu nehmen wie sie sind, wenn wir nicht akzeptieren, dass die Welt als Gegebenheit und als Geschehen sich nicht so präsentiert, wie wir sie uns vorstellen oder wie wir sie gerne sähen. Es geht um die Wirklichkeit, um die Realitäten der Politik, der Wirtschaft und der Gesellschaft wie auch der Umwelt. Eingeschlossen sind das tatsächliche Verhalten der Menschen und deren Wertvorstellungen sowie Interessen. Zudem: Nicht statisch zeigt sich die „Welt“, im Fluss ist sie, gleichsam in die Zukunft hinein bewegt sie sich, unablässig, nicht nach uns bekannten, berechenbaren Gesetzen, sondern als ein Prozess voll offener Fragen nach dem Natürlichen, dem Menschlichen, nach Ursachen und Wirkungen, nach Überraschendem und Erahnbarem, nach dem Humanen mit den Fähigkeiten zum Gewissenhaften – belastet mit Unvermögen. Ungewisses kommt auf uns zu. Planung ist nach dem Gesagten mehr als Raumplanung, sie ist mehr als Umweltschutz und Umweltplanung, sie ist mehr als Koordination von Handlungsbeiträgen samt deren Steuerung und Lenkung über längere Zeit. Sie traktandiert die Kernfrage nach der Verantwortung für die 1 Zukunft – und damit des Lebensraumes, der Umwelt, der Finanzen, der Katastrophenabwehr, der Versorgungssicherheit, der Unternehmen, usw. Sicherlich, dass Wort „Planung“ schreckt ab. Es geht aber nicht um Wort und Begrifflichkeit, sondern darum, dass die Zukunft akzeptiert wird, dass die offene Türe samt der Schwelle der Ungewissheiten durch‐ und überschritten wird, dass das, was vorausschauend mit Umsicht und in Vorsorge getan werden kann, vorgekehrt wird, nicht als Vorwegnahme der Zukunft, nicht als Finalisierung dessen, was erwünscht scheint, sondern geleitet von der Bereitschaft, laufend Neubeurteilungen vorzunehmen, falsche Annahmen zu verwerfen und Vorsorgliches, soweit sinnvoll und zweckmässig, neu vorzukehren. Auf den Punkt gebracht: „Was die Zukunft bringt, wissen wir nicht, dass wir aber handeln müssen, das wissen wir“ – so ein dictum, das Friedrich Dürrenmatt zugeschrieben wird. Ethik – Tun‐Müssen Und weil dem so ist, stellt sich zentral die Frage nach dem, was wir tun sollen. Es ist dies eine der grossen kantschen Grundfragen: Was können wir wissen, was müssen wir tun, was dürfen wir hoffen, was ist der Mensch? Nicht isoliert darf also die ethische Frage des Tun‐Müssens (Sollen) angegangen werden, ein grosser Bogen umschliesst sie, der zurückstrahlt, was uns vor vorschnellen Antworten und Vor‐Urteilen bewahren möge. Dessen ungeachtet: Die ethische Frage steht an – akzentuiert mit Blick auf die Zukunft und in Kenntnis von Bedrohungen, Belastungen, aber auch von Chancen und Erwartungen, zusätzlich gefordert durch das Geschehen im Raum, resp. in unsern Dörfern, Städten, Agglomerationen, offenen Landschaften, Berggebieten, Küstenregionen usw., ausserdem durch die Belastungen der Umwelt bis hin zu den unabdingbaren Lebensvoraussetzungen, weit ausholend auf alles, was in den gegebenen Räumen konfliktträchtig aufeinander prallt. Adressaten sind wir Menschen, das sind wir als Bürgerinnen und Bürger, das sind sie als homines politici, gar als institutionell Beauftragte, als direkt oder indirekt Berührte, aber vorweg und vor allem als Gewissensträger, verstanden als Beunruhigte, die erahnen, dass es Fragen gibt, denen wir uns nicht entziehen können und dürfen, auch wenn Menschen dazu neigen, Augen zu verschliessen. Das was im innersten Kern niemandem gleichgültig sein kann, das ist das eigene Leben, das Leben der Andern, das Leben der nächsten Generationen, das sind auch die Voraussetzungen für das Leben und die Entfaltungsmöglichkeiten des Da‐ und So‐ Seins, mithin das Leben in Raum und Zeit, das gestaltete, das politisch, wirtschaftlich, sozial und ökologisch mitgetragene und das sich fantasievoll einbringende. 2 Als Tun‐Müssen belastet Ethik. Sie lastet auf den einzelnen Menschen, auf der Gesellschaft und ganz allgemein auf der Menschheit. Es ist eben nicht einfach, sich ethischen Herausforderungen zu stellen, gerade dann, wenn sie das Gewissen tangieren. Auf der andern Seite verbindet sich mit moralischen Herausforderungen ausholende Dimensionen, Horizonterweiterungen, also Befreiungen des Tuns, damit auch Befreiungen vom Sich‐Entziehen. Nicht um Aktivismus geht es, sondern um bedachtes, besonnenes, durch Distanz und Zuwendung gewonnene Gewissenhaftigkeit, die ihrerseits nach Orientierungen und Massstäben ruft. Das Zweckmässige, das Vernünftige, die Fachkompetenz Wer sich innerhalb der Planung – als öffentliche Aufgabe und als Wissenschaft – auf den Weg der Suche nach dem, was zu tun ist, begibt, der stösst vorerst und vor allem auf Aspekte der sachlichen Zweckmässigkeit und Gebote der rationalen Handelns, auf Rückverweisungen, auf die Sachkompetenz. Für die Raumplanung, die Umweltplanung und andere Planungen trifft dies in besonderem Masse zu. Sie fragen nach dem zukunftsorientiert Zweckmässigen – bei der Raumplanung für den gegebenen Raum, bei den Sachplanungen für den spezifischen Gegenstände wie Umwelt, Finanzen, Verkehr, Energie usw. Die Raumplanung, um bei diesem Kernbeispiel zu verweilen, versucht, der Sachlichkeit zu folgen, hinsichtlich der anzustrebenden Strukturen von Landschaft, Siedlung und Transport/Versorgung samt Gestaltungsvariationen, Konflikte lösend, Probleme meisternd. Zu vermeiden sind Sachfremdes und Willkürliches. Vernunft lässt sie walten. Das Zweckmässige und das Vernünftige ergeben sich aus dem Verbund von Forschung, Lehre, Erfahrung. Praxisorientierte (lehr‐ oder verwaltungsseitige) „Richtlinien“, die das planerisch zu Disponierende vordenken, können hilfreich sein. Sie verraten angewandte Fachkompetenz. Auf diese kann nicht verzichtet werden. Nicht anders verhält es sich bei den Umwelt‐, Verkehrs‐, Energieplanungen usw., also bei den die Raumplanung begleitenden Sachplanungen. Auch bei ihnen steht das Zweckmässige, verbunden mit planerischer Vernunft und Fachkompetenz, im Vordergrund. Das Beispiel der Verkehrsplanung illustriert die Sachnähe nachvollziehbar. Sie fragt nach Infrastrukturen, Verkehrsträgern, nach Nachfrage und Angebote von Verkehrsleistungen, nach betriebsseitigen Leistungskapazitäten, nach den Chancen am Verkehrsmarkt, nach dem Modal‐Split, nach der Substitution des materiellen durch den immateriellen Verkeh,r ferner nach den Ein‐ und Zuordnung in und zu den Siedlungen, zu den Landschaften sowie nach den Auswirkungen auf Umwelt und auf die Qualitäten der Siedlungen, nicht zuletzt nach den verfügbaren finanziellen Mitteln usw. 3 Normen Nicht beantwortet ist mit den Akzenten auf dem Zweckmäsigen, dem Vernünftigen und auf der Fachkompetenz die Frage nach dem, was zu tun geboten ist. Wer so fragt, der stösst bald einmal auf Normen, auf Sätze des Sollens, des Müssens. Es handelt sich dabei um Präjudizien, Empfehlungen, Fachnormen, vor allem aber um Normen des Rechts, konkret um Rechtsnormen, um Rechtssätze. Dass es darüber hinaus moralische Normen gibt oder geben könnte, das ist vertraut, doch geht es zunächst um die greifbaren Sollens‐Sätze, mit denen sich Planer in der Alttagsarbeit auseinandersetzen. Sie unterscheiden sich nach Art und Verbindlichkeit. Präjudizien, frühere Anwendungsfälle mit Leitcharakter, sind äusserlich unverbindlich wie Empfehlungen, doch wohnt ihnen Ausrichtung inne, mit der es sich zu befassen lohnt, gar aufdrängt – denn sie können die Grenze zur Notwendigkeit des Befolgens aufstossen. Fachnormen enthalten technische Aussagen zu Erprobtem und Bewährten – hinter ihnen steht ausgewiesene Fachkompetenz. Häufig sind sie quasi‐verbindlich in dem Sinne, dass derjenige, der Abstand nehmen will, begründungspflichtig wird. Er muss gleichsam nachweisen, dass ihn die Sorgfalt anhält. Gewichtiger sind die Rechtssätze. Es handelt sich um verbindliche Sollens‐Sätze. In Frage stehen Verhaltens‐, Ziel‐, Organisations‐ und Verfahrensnormen. Die Rechtswissenschaft spricht von materiellen, finalen und formellen Rechtssätzen. Als verbindliche Normen sind sie in der Regel durchsetzungsfähig, sanktionsbewehrt, oft justiziabel. Der für die öffentliche Aufgabe tätige Planer hat, daran führt kein Weg vorbei, die Rechtsätze zu beachten, zu befolgen. Das rechtsstaatliche Legalitätsprinzip gebietet dies. Verbindliche Rechtswirkungen können sich auch aus Plänen herleiten, sodann aus Verträgen des privaten und öffentlichen Rechts. Der Vertragsweg ist, entgegen dem, was aus Abhandlungen über kooperative Planungen bisweilen anklingt, kein Ausweg aus dem Recht. Normen, dies nicht nur nebenbei, bieten Informationen, oft gewichtige. Als Sollenssätze informieren sie aber nicht nur, sie halten zu einem entsprechenden Tun an, als Rechtssätze sogar zu einem rechtsverbindlichen. Die verbreitete Neigung, das Recht seitens der Planung nur noch als Informationsquelle zu nutzen, verkennt den Verbindlichkeitscharakter. Ein Elementarfehler. Rechtsethik Zur Eigenart des Rechts zählt, dass es durch seine Sollenssätze ethische Aussagen aufnimmt. Allein schon das mitverfolgte Gerechtigkeitspostulat impliziert ethische Bezüge. So ist Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln. Angerufen ist auch die Verpflichtung, mit 4 Nachdruck jedem das Seine zuzuerkennen. Vorgaben aus dem Kern der Gerechtigkeit. Die Rechtssätze konkretisieren sie in reichhaltigen Ausformungen. Vom Willkür‐ bis zum Diskriminierungsverbot. Betont sichtbar, direkt greifbar, wird die Rechtsethik in jenen Sollens‐ Sätzen, die unmittelbar auf ethische Werte gerichtet sind: Treu und Glauben, pacta sunt servanda (Verträge sind zu halten), Verbot des Rechtsmissbrauches, Schutz der Persönlichkeit, Schutz von Leib und Leben, Wahrung der menschlichen Würde, auch der Würde der Kreatur insgesamt, usw. Auf Verfassungsstufe treten sie markant hervor. So mit der Akzentuierung der Grundrechte, der Freiheitsrechte: Menschenwürde, Recht auf Leben und persönliche Freiheit, Schutz der Privatsphäre, Recht auf Ehe und Familie, Glaubens‐ und Gewissensfreiheit, Medien‐ und Informationsfreiheit, Kunstfreiheit, Versammlungsfreiheit, Garantie des Eigentums (Bestand vermögenswerter Recht, des Instituts) und Wirtschaftsfreiheit usw. Dazu kommen politische Recht und das Hervorheben von Sozialzielen sowie von Justizgrundsätzen. Überraschend: Das für die Raum‐, Umwelt, die Verkehrsplanung usw. massgebende Recht enthält, ungeachtet der Dominanz des fachlich Zweckmässigen, ein erhebliches Ethikpotenzial – vor allem im Umfeld der Raumplanung, etwas weniger ausgeprägt beim Umweltschutz. Allein schon der Imput aus dem Vorrang des Verfassungsrechts bestätigt diese These: Eigentumsgarantie, Wirtschaft‐, Niederlassungsfreiheit schlagen durch, prägen die Raumplanung, die staatliche Planung insgesamt. Zweifellos sind die Schranken, die sich aus der Funktion der Planung ergeben, mitzunehmen, doch bleibt es dabei, dass im verfassten Rechtsstaat die Gesetzgeber und die Anwender des Planungsrechts die massgebenden rechtsethischen Grundbezüge des Grundgesetzes zu beachten haben. Unbestritten: Konflikte gehen mit einher, besonders deutlich, wo es um Planung und Rechtsgleichheit geht, aber auch dort, wo die Sozialpflichtigkeit des Eigentums betont wird. Auf Gesetzesstufe sind die legaliter vorgegebenen Ziele und die Planungsgrundsätze mit besonderer Intensität der Ethik nahe – es geht implizite um Wertungen und also um vorausgesetzte Werte, nicht simplifiziert als direkte Aussagen, sondern als Rechtssätze erlassen im Wissen, dass sie untereinander und gegeneinander abgewogen werden müssen. Die Rechtsethik unterscheidet sich von der allgemeinen, gleichsam der philosophisch oder theologisch unterlegten Ethik durch die direkte Adressatenansprache – Planende und Planungsberührte, Planungsbetroffene, Rechtsschutz Suchende, mitwirkende Bürgerinnen und Bürger – und den Einbezug in die Verbindlichkeit des Rechts. Sie kann vor diesem Hintergrund nicht höchste Anforderungen stellen, sie hat die Verständnisfähigkeit der Angesprochenen (der Rechtsadressaten insbesondere) sowie die Durchsetzbarkeit im Auge behalten. Von der Rechtsethik als einer Durchschnittsethik sollte trotzdem nicht vorschnell gesprochen werden, 5 da sie auf hohe Werte, wie Freiheit, Schutz des Lebens, Selbstverantwortung usw. mit Nachdruck zugeht. Die Planer, die sich ans Recht halten, den Sinn für den rechtsethischen Inhalt schärfen, sind der Ethik jedenfalls nahe, vor allem dort, wo sie die keimenden Konflikte zwischen Ethik und Fachkompetenz, zwischen Ethik und planerischer Rationalität erkennen, auszustehen vermögen und zu glätten wissen. Pforten für die Ethik jenseits der Rechtsethik Die Rechtsethik, so scheint es, stehle gleichsam dem Verhältnis von Ethik und Planung die Schau. Dem ist aber nicht so, weil das Planungsrecht nicht stricti iuris ist. Die Planung hat, unbesehen des Legalitätsprinzips nur in Teilbereichen eine relativ intensive rechtliche Regelung erfahren, vorweg in der Raumplanung (als Planungsrecht), allerdings weitgehend konzentriert auf Organisations‐ (inkl. instrumentelle Seite), Verfahrens‐ und Zielaussagen. Verhaltensnormen bleiben dünn gesät. In andern Bereichen (Verkehrs‐, Energieplanung usw.) fällt die Regulierung noch schmäler aus, vor allem dort, wo die Planung eher am Rand agiert. Dies hat seine Gründe. Als Schritt ins Ungewisse erträgt die Planung letztlich – über formelle und finale Rechtssätze hinaus – keine durchdringenden Verhaltensvorschriften. Sie erfordert im Gegenteil Planungsermessen, freies Ermessen, weil die Durchnormierung nur zu halten wäre, wenn die Zukunft bekannt wäre, was sie aber nicht ist, nicht sein kann. Das Planungsermessen ist deshalb die folgerichtige, adäquate Antwort auf die Zukunftsoffenheit und die Zukunftsungewissheiten. Es wird zur grossen Pforte für die Ethik, und umgekehrt von der Planung zur Ethik, gleichsam hin zu einer Ethik jenseits der gesetzlichen Bindungen und der damit verbundenen rechtsimmanenten „Rechtsethik“. Die zweite grosse Öffnung ist die Gesetzgebung. Sie ist Mitgestalterin der Rechtsethik. Planung als Vorwärtsschritt in die Zukunft kommt ohne kritisches Befassen mit dem geltenden Recht nicht aus. Sie muss nötigenfalls auf Rechtsänderungen drängen, in den weiten Bereichen des nominalen und des zugehörigen funktionalen Rechts. Dies gilt vorweg für die Raumplanung als Wissenschaft, dies gilt aber auch für die Raumplanung als öffentliche Aufgabe, in einem begrenzten Masse zwar, aber nicht desto trotz. Übertragbar ist diese Feststellung auch auf die Sachplanungen. Denn: Die Planung versagt, wenn sie Barrieren des Rechts ortet, ohne diese zu öffnen. Zu beachten, das Recht ist änderbar. Keinesfalls zur Unzeit und aus unsachlichen Gründen, also in Verantwortung und stets mit Blick auf die Wirkungen. Die Gesetzgebung, als gestaltende Politik, ist der Ethik zugänglich. 6 Die dritte offene Tür bilden die Zielfindungen und die Konfliktregelungen sowie die Abstimmungsvorgänge, z. Bsp. zwischen Plänen. Rechtsmethodisch müsste auch hier von Planungsermessen gesprochen werden, doch empfinden forschende und handelnde Planer diese spezifischen planerischen Anliegen als besondere, die deshalb auch hier gesondert hervorgehoben werden. Um Ziele zu formulieren, um Konflikte zu meistern, um Pläne unter sich abstimmen zu können, sind Orientierungen nötig, braucht es Massstäbe – sicherlich nicht einseitig ethische, aber doch im Bedenken von Ethik und Sachkompetenz gewachsen, d.h. die Vorgaben müssen sachlich stimmen und ethisch zu verantworten sein. Wie das Recht der Planung rechtsethische Minima abfordert, so erfordern Zielformulierungen und Zielansprachen, das Ausstehen und Lösen von Konflikten sowie das Plan‐Abstimmen ergänzend zum Sachlichen ethische Stimmigkeit, das Einbeziehen des Gebotenen. Ethik – unablässiges Fragen, Besonnenheit, Gewissenhaftigkeit Die Lehre von der Planung würde sich übernehmen, wenn sie selbst eine hauseigene Ethik entwickeln würde. Dazu fehlt ihr die Kompetenz. Sie gewinnt hingegen schon viel, wenn sie die rechtlich fundierten Aussagen aufnimmt und diese gedanklich für das Planungsermessen, für die Gesetzgebung und für die Zielfindung usw. sinngemäss belebt. Der Planung erstes Anliegen muss sein – mitten im Ungewissen und bedräng von kaum zu ergründenden Problemstellungen – sich Übersicht zu verschaffen, Orientierungen und Massstäbe zu gewinnen, nicht einseitig reduziert auf erhöhte Informationsdichte, auf nachgeführte Fachkompetenz, sondern vorweg gerichtet auf Kriterien zur Sachlichkeit, aber stets im Verbund mit dem, was getan werden muss, mit dem Gebotenen, mitgetragen von der Verantwortung für die Wirkungen des Handelns. Orientierung wird erleichtert, wenn in Front von Problemlagen und offenen Fragen Distanz genommen wird, bewusst, in der Absicht, die Sachprobleme, das vorhandene Wissen und das ausstehende Nicht‐Wissen samt dem Ungewissen in ihrer vollen Tragweite zu erkennen, sich darüber zu besinnen, und Entscheidungen aufgrund der Besinnung besonnen zu treffen, in Gewissenhaftigkeit. Dies bedingt, die Verantwortung nicht zu unterlaufen, sie nicht willkürlich zu delegieren, sondern sie wahrzunehmen, sie auf sich selbst zu ziehen. Orientierung wird potenziert erleichtert, wenn sie öffentlich bedacht wird, wenn vertiefend gefragt wird, nach allgemeinen und besonderen Grundorientierungen. Diese werden nicht widerspruchsfrei sein, sie ersparen Entscheidungen nicht (es sind keine Dogmen), sie führen zu einem bewussten Reflektieren und Handeln – in Verantwortung. Versuche zu formulierten Grundorientierungen finden sich in den zit. Abhandlungen des Autors, gemäss beigefügtem Literaturverzeichnis. 7 Gefahren tun sich auf. Der Fluchtweg, Formeln zu verfallen, droht in steigendem Masse. „Lebensqualität“, „Daseinsvorsorge“, „Grundversorgung“, „Siedlungsqualität“, „Effizienz“, „Effektivität“, „Kooperation“, „Partizipation“, „Markt“, „Deregulierung versus gesetzliche Regelungen“ sind Beispiele. Sie suggerieren Normativität, bewegen sich aber nahe dem Nützlichen. Selbst dem so elementaren „Prinzip Verantwortung“ haftet beiläufig, da und dort, die Versuchung an, auf das geistige Schürfen zu verzichten, es bei der Mahnung zur Verantwortung bewenden zu lassen. Dies aber lässt die Ethik nicht zu. Ethik ist eben ohne Ringen um Fragen und Antworten, ohne Besinnen und Differenzieren nicht zu haben. Schwieriger steht es um das „Prinzip der Nachhaltigkeit“. Es wird oft und gern als Leerformel abgestempelt. Dem ist aber nicht so, steckt doch darin ein fundamentaler Aufriss von Spannungsfeldern, die für die Raumplanung bestimmend sind, die zur Orientierung drängen und zum Handlungsauftrag werden: Rechtstaatlich‐politische Stabilität, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, gesellschaftliche Solidarität, ökologisches Gleichgewicht – ausgerichtet in die Zukunft hinein und damit – als ethische Aussage – auf die intergenerationelle Verantwortung. Jedes Element in sich nachhaltig, und zudem insgesamt. Ohne langen Atem, ohne Besonnenheit, ohne begleitenden ethischen Ductus nicht anzugehen. Das Prinzip hat da und dort Verfassungsrang, zum Beispiel in der Schweiz, und kann als Teil der Rechtsethik verstanden werden. Wo dies nicht der Fall ist, da wird das Prinzip aus seinem sachlichen Anspruch heraus zu einem zentralen Orientierungspunkt ethischer Ausrichtung, der die Planung bereichert, in Verantwortung nimmt, anhaltend, langfristig, mit Blick auf die kommenden Generationen. Es ersetzt aber das noch breiter angelegte Ringen um ethische Fragenstellungen nicht. Vorschnelle Antworten zur Frage nach der Ethik‐Substanz sind nicht zu erlangen. Weder als kasuistische Fallsammlung, noch als geschlossenes System von Werten. Dennoch, es gibt Annäherungen, beispielsweise überall dort, wo mitten in sachlichen und zielbetonten Widersprüchen die Ehrfurcht vor dem Leben bedacht, wo die Freiheit der Menschen hochgehalten, ihre Mündigkeit samt Selbstverantwortung herausgefordert, ihre Bildung gepflegt, ganz allgemein die Würde der Menschen, die Würde der Kreatur, der Schutz des Lebens, die Verantwortung für das Leben und die Lebensvoraussetzungen der kommenden Generationen ernst genommen werden. Allein schon das beunruhigende Fragen, darf man dies oder jenes, muss dies oder jenes getan werden, öffnet sich der Ethik. Das Fragen kann durch gewichtete fachlich/ethische Grundorientierungen, Massstäbe sowie Rückbezüge auf Werte erleichtert werden – Versuche, sie zu formulieren, müssen gewagt werden. Sie dürfen aber nicht Gesetz werden, denn sie müssen immer wieder innerlich und sachlich bedacht werden. Die Ethik stärkt Besonnenheit und Verantwortung der Planung, fördert Qualitäten, vertieft und weitet Problemabsteckungen – ihren Rückhalt hat sie im Respekt vor dem Leben als einem Leben in Freiheit, über die Zeiten hinweg, in die Zukunft hinein. 8 Stichworte: Ehrfurcht vor dem Leben, Ethik, Fachkompetenz, Grundorientierungen, Lebensentfaltung, Massstäbe, Normen, planerische Zweckmässigkeit, planerische Vernunft, Prinzip Nachhaltigkeit, Prinzip Verantwortung, Rechtsethik, Rechtsnormen, Rechtssätze, Schutz der Lebensvoraussetzungen, Verbindlichkeit des Rechts, Werte. Literaturhinweise: Birnbacher Dieter, Verantwortung für künftige Generationen, Stuttgart 1988 Goppel Konrad/Maier Jörg, Nachhaltigkeit und Raumordnung, in: Kahl Wolfgang (Hrsg.), Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, Tübingen 2008, S. 369 ff. Jonas Hans, Das Prinzip Verantwortung, Frankfurt am Main 1979 Lendi Martin/Hübler Karl Hermann (Hrsg.), Ethik in der Raumplanung – Zugänge und Reflexionen, Bd. 221 der Forschungs‐ und Sitzungsberichte der Akademie für Raumforschung und Landesplanung, Hannover 2004 (und die dort zit. Lit.) Lendi Martin, Grundorientierungen für die Raumplanung/Raumordnung – Versuch einer Annäherung, Hinweise auf ethische Anhaltspunkte für das Planen und Entscheiden wie auch das Handeln in der räumlichen Planung – Etappenbericht auf dem Weg einer offenen Diskussion, in: Altrock/Güntner/Huning/Peters, Perspektiven der Planungstheorie, Berlin 2004, S. 21 ff. Ruh Hans, Argument Ethik, Zürich 1991 Schweitzer Albert, Kultur und Ethik (1923), Gesammelte Werke, Bd. 5, Zürich (0.J.) Vogt Markus, Aufgaben, Methoden und Massstäbe der Ethik, in: Lendi Martin/Hübler Karl Hermann, Ethik in der Raumplanung, a.a.O., S. 13 ff. Weber Gerlind, Nachhaltige Entwicklung als ethisch gebotene Herausforderung für die Raumplanung, in: Lendi Martin/Hübler Karl Hermann, Ethik in der Raumplanung, a.a.O., S. 164 ff. Wolf Klaus, Theoretische Aspekte der räumlichen Planung, in: ARL, Methoden und Instrumente räumlicher Planung, Hannover 1998, S. 39 ff. 9 Zum Autor: Martin Lendi, Prof. Dr. iur. Dr.h.c., em. o. Professor für Rechtswissenschaft, ETH Zürich, Küsnacht/Zürich, geb. 1933, Studium der Rechtswissenschaft, Dr. iur., Rechtsanwalt, 1961‐1969 Generalsekretär des Baudepartementes des Kantons St. Gallen, 1969‐1998 o. Professor für Rechtswissenschaft der ETH Zürich, Mitglied der Leitung des Instituts für Orts‐, Regional und Landesplanung der ETH Zürich (1969‐1987), o. Mitglied der dt. Akademie für Raumforschung und Landesplanung, div. Ehrungen, Verfasser zahlreicher Werke zur Rechtsordnung, zum Staats‐ und Verwaltungsrecht, insbesondere zum Raumplanungs‐, Umwelt‐ und Verkehrsrecht, aber auch zur Raumplanung. 16. 9. 08 10