Milena VirijeviĆ Schriftliche Masterarbeit Musik für Geige im 20. Jahrhundert Violinkonzert in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Begutachter: Ao. Univ. Prof. Mag Dr. Harald Haslmayr Kunstuniversität Graz November 2015 Inhaltverzeichnis: 1. Vorwort……………………………………………………………………………………..4 2. Einleitung………………………………………………………………………….…….....5 3. Stile und kompositorische Techniken im 20. Jahrhundert………………………….6 3. 1. Stile………………………………………………………………………….8 3. 2. Expressionismus…………………………………………………………..8 3. 3. Neoklassizismus………………………………………………………….10 3. 4. Impressionismus………………………………………………………..10 3. 5. Nationale Schulen……………………………………………….............11 3. 6. Jazz………………………………………………………………………..12 3. 7. Kompositionstechniken………………………………………………….13 4. Das Konzert………………………………………………………………………………16 4. 1. Barockkonzert…………………………………………………………….16 4. 2. Klassisches Konzert……………………………………………………..18 4. 3. Das Konzert in der Romantik…………………………………………...20 4. 4. Das Konzert in der Moderne………………………………………....…23 4. 5. Violinkonzert in der Moderne…………………………………………...23 4. 6. Überblick über die wichtigen Konzertkomponisten…………………...25 5. Wichtige Violinkonzerte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert……………….…27 5. 1. Jean Sibelius: Violinkonzert in d-Moll, op. 47………………….……...27 5. 2. Alexander Glasunow: Violinkonzert in a-Moll,op. 82………….……..34 2 5. 3. Karol Szymanowski: Violinkonzert Nr. 1, op. 35………….……..……41 5. 4. Igor Strawinsky: Violinkonzert in D-Dur…………………….………….46 5. 5. Alban Berg: Violinkonzert, Dem Andenken eines Engels……………52 5. 6. Benjamin Britten: Violinkonzert in d-Moll, op. 15………………...…...56 5. 7. Die Violinkonzerte Béla Bartóks…………………………….………….58 5. 8. Arnold Schönberg: Violinkonzertop. 36………………………………..62 5. 9. Aram Chatschaturjan: Violinkonzert in d-Moll, op. 46………………..64 5. 10. Erich Wolfgang Korngold in d-Moll, op. 35…………………………..68 5. 11. Dmitri Schostakowitsch: Violinkonzert Nr. 1 in a-Moll, op. 77…..…74 6. Fazit……………………………………………………………………………………….81 7. Literaturverzeichnis……………………………………………………………………...82 3 1. Vorwort Das Hauptthema dieser Arbeit ist das Violinkonzert in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es wird versucht, das Schaffen der Komponisten in diesem Bereich zu umfassen. Ich werde mich vor allem auf jene Werke und Komponisten konzentrieren, die besonders wichtig sind. Das Kapitel „Stile und kompositorische Techniken im 20. Jahrhundert“ dient als Grundlage, um die weiteren Erläuterungen, die sich direkt auf die jeweiligen Konzerte konzentrieren, klarer verständlich zu machen. In diesem Kapitel werden die grundlegenden Begriffe der Musik des 20. Jahrhunderts angeführt und erklärt. Auf diese Weise werden Unterbrechungen im weiteren Text wegen Erklärungen vermeiden. Im Kapitel „Das Konzert“ wird die Entwicklung des Konzerts ausgehend von der Erscheinung des Instrumentalen Konzertes beschrieben. Diese beiden Kapitel dienen als Grundlage für das Verständnis der Violinkonzerte des 20. Jahrhunderts. Ich habe mich für dieses Thema entschieden, weil bislang keine Publikation über dieses Thema erschienen ist. Natürlich, es gibt das Buch „Book Of The Violin“ und verschiedene Autoren, die Einsicht in allen relevanten Aspekte der Violine geben: Technik, Literatur, Komponisten, die Werke für Violine geschrieben haben, bis hin zu den Veränderungen, die das Instrument Violine im Lauf der Zeit erfahren hat. Dieses Buch war für mich eine große Hilfe während des Schreibens, weil es allumfassend ist. Aber, weil es so allumfassend ist, sind die Kommentare über die Werke sehr kurz und ohne Beispiele. Für eine ausführliche Beschreibung muss man sich auf einen engen Bereich konzentrieren. Ich habe den Wunsch gehabt, das Schaffen der Komponisten im Bereich des Violinkonzerts in einer bestimmten Periode zu umfassen. Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts ist interessant, weil es sich dabei um eine Periode handelt, in der das Schaffen der Komponisten besonders reichhaltig und verschiedenartig ist. 4 2. Einleitung Während dem 17. und 18. Jahrhundert nahm die Violine einen besonders wichtigen Platz ein, nämlich als jenes Instrument, wofür Komponisten bevorzugt schrieben. Der Höhepunkt dieser für dieses Instrument goldenen Zeit sind die Solosonaten und partiten von Johann Sebastian Bach. Während des 19. Jahrhunderts richtete sich die Aufmerksamkeit der Komponisten auf das Klavier, das als ein relativ neues Instrument für das Komponieren sehr interessant war. Während des 20. Jahrhunderts wurde die Violine zum Zentrum musikalischer Entwicklung. Sie ist sowohl als Teil des Streichquartetts und des Orchesters interessant als auch als solistisches Instrument. Viele Komponisten schrieben verschiedene Werke unter dem Einfluss unterschiedlicher Stile. Am Anfang des Jahrhunderts herrschte die Romantik vor. Die Werke wurden auf Basis der Tonalität komponiert, die Formen waren traditionell und die Ausdruckskraft ähnelte der des späten 19. Jahrhunderts. Jedoch schon vor dem Ersten Weltkrieg erschienen jene Komponisten, die eine andere Richtung einschlugen. Die Violine war für sie eine Quelle unendlicher Möglichkeiten in Hinsicht auf die verschiedenen Arten der Klangerzeugung und bestimmte Effekte und Klangfarben. Zusätzlich war sie auch ein Instrument, das Vierteltöne spielen konnte. In vielen Werken des 20. Jahrhunderts stellte die Tonalität nicht mehr die Grundlage des kompositorischen Prozesses dar. Die Komponisten entwarfen im Rahmen der Atonalität oder verwendeten Pentatonik und Zwölftontechnik. Jedoch behielten sie die klassischen kompositorischen Formen für ihre Werke bei, nämlich die Sonate und das Konzert für Violine und Orchester. Komponisten schrieben für berühmte Virtuosen und es war eine Tradition, dass es zwischen dem Komponisten und dem Geiger zu einer engen Zusammenarbeit kam, im Zuge derer sie ihre Ideen austauschten. Aufgrund dieser Kooperation konnte der Komponist, der in sehr vielen Fällen auch Pianist war, die technischen und dynamischen Möglichkeiten der Violine besser verstehen. 5 In diesem Kapitel werden die kompositorischen Techniken, die von den Komponisten des 20. Jahrhunderts benutzt wurden, beschrieben. Zusätzlich werden die Stile, die in diesem Zeitraum erscheinen, in Kürze vorgestellt. Der Impressionismus, der schon am Ende des 19. Jahrhunderts erscheint, wird ebenso inkludiert. Fundamentale Termini der Musik der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts werden erklärt, um im weiteren Verlauf der Arbeit auf große Exkurse verzichten zu können. 6 3. Stile und kompositorische Techniken im 20. Jahrhundert Es ist allen Künsten üblich, dass in einer Epoche mehrere verschiedene Stile parallel entstehen und existieren. Dies ist dadurch bedingt, weil die verschiedenen Generationen gleichzeitig neben einan der leben und ihre Kreativität auf ihre eigene Weise ausdrücken. Die alte Generation vertritt und setzt die Tradition fort, während junge Menschen nach neuen Wegen der Entwicklung und Kreativität suchen. Das 20. Jahrhundert übertraf in seiner Vielfalt alle früheren Zeiten. Im künstlerischen Schaffen dieses Jahrhunderts erscheint eine Reihe von verschiedenen Wegen und Verfahren, die sich bezüglich ihrer Prinzipien, Bestrebungen, Ressourcen und Leistungen mehr denn je unterscheiden. Aufgrund der Entwicklung neuer Methoden und Techniken der Zusammensetzung ist es notwendig, das Konzept des Stils neu zu definieren und es von den kompositionstechnischen Verfahren zu trennen. In der vorangegangenen historischen Entwicklung stellt die Kompositionstechnik einen Bestandteil desallgemeineren Rahmenseines bestimmten Stiles dar. Bei den Elementen dieser Technik handelt es sich um: homophone und polyphone Satzweisen, Phrasenbildung und Melodik, Motiventwicklung, Orchestrierungsänderungen etc. Der Wandel ihrer Wichtigkeit, die Konzentration auf bestimmte Mittel im Rahmen der allgemeinen Entwicklungslinien, die Bereicherung und Entwicklung der musikalischen Sprachesteht in engster Abhängigkeit von den geistigen, ideologischen und ästhetischen Ansprüchen und Standards eines bestimmten Stils. Diese Parameter wurden durch den breiten Rahmen des geistigen Klimas sowie die sozio-historischen Umstände der jeweiligen Zeit und Umwelt bedingt. Ein bestimmter Stil hatte eine entsprechende Kompositionstechnik als integralen und auf seine Art typischen Bestandteil, mit allen Faktoren und Aspekten dieser Technik. Eine der wichtigsten Dimensionen der Kompositionstechnik, und damit der bestimmten Epoche, ist die harmonische Sprache. Die einzelnen Epochen können unter anderem aufgrund ihrer spezifischen Harmonik unterscheiden werden. Das Musikschaffen im 20. Jahrhundert führte so weit, dass der Stil von der Kompositionstechnik weitgehend getrennt wurde. So können nun Werkegleicher Art 7 mit hilfe verschiedener Techniken realisiert werden und gleiche Techniken in Werken verschiedener Stilrichtungen angewandt werden. Man kann zwei einander entgegengesetzte Haupttendenzen bezüglich den künstlerischen Aktivitäten unterscheiden: Dies sind die Avantgarde, die immer auf die Entdeckung neuer Möglichkeiten, Mittel und Wege zur Kreativität fokussiert ist, und die retrograde Tendenz, die sich bemüht, die bewährten Werte der Vergangenheit zu erhalten und zu erweitern oder sie in der Form von verschiedenen Neo-Artenwieder aufzubauen, mit dem Zusatz von modernen Elementender musikalischen Sprache. Die Avantgarde in Musik und Kunst des 20. Jahrhunderts ist eine permanente, immer präsente und gelegentlich dominante Bewegung, die manchmal bis zur vollkommenen Verweigerung aller traditioneller Werte und die Ablehnung aller Errungenschaften der Vergangenheit führt. Ihre Vertreter suchten ausschließlich neue, noch nie verwendete Lösungen in der Musik im Speziellen und der Kunst im Allgemeinen. Der starke und konstante Drang, neue Möglichkeiten zu finden, führt zu einer Vielzahl an unterschiedlichen Ausprägungen – sowohl durch neuartige Verfahren erzielt als auch unter dem Einfluss der Rückwendung zur Tradition. 3. 1. Stile Das Konzept des Stils des 20. Jahrhunderts umfasst Ästhetik sowie die den Komponisten eigenen Charakteristika, welche die kreativen Grundsätze und Ziele des jeweiligen Komponisten widerspiegeln. Im Gegensatz dazu ist die Technik der handwerkliche Aspekt des künstlerischen Ausdrucks, die Art und Weise, in der das Werk strukturiert ist, sowie dazu benötigte Verfahren und Werkzeuge. Die grundlegendenStiledes20. Jahrhunderts sind Spätromantik, Expressionismus, Neoklassizismus, Impressionismus, die verschiedenen nationalen Schulen und Jazz. 3. 2. Expressionismus Das Hauptmerkmal des Expressionismus ist die Expression als primäres und höchstes Ziel, Mittel und Sinn für musikalischen Ausdruck. Die Werke des 8 Expressionismus drücken turbulente Emotionen, schwierige psychische Verfassungen, die unbewussten, irrationalen und dunklen Triebeder menschlichen Natur aus, Furcht und Angst, die sich zu Hysterie und Angst entwickeln. Dieser Stilentwickelte sich aufgrund der wachsenden Unzufriedenheit und des immer größer werdenden Chaos, indem sich die europäische Gesellschaft am Rande des Ersten Weltkrieges befunden hatte. Dieser Stil wird durch eine stark dissonante Harmonik geprägt. Der Schwerpunkt des Expressionismus liegt im musikalischen Ausdruck, die Form hingegen rückt in den Hintergrund. Dieser Ausdruck wird durch die Verwendung von Extremen betont, vor allem der Ausdruck von starken negativen Gefühlen, der sogenannte „expressionistische Schrei“. Er drückt die schrecklichen Gefühle von Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Terror aus. Der Hauptfaktor dieser Musik ist die Harmonik: Die Ausdruckskraft wird mit extrem dissonanten Klängen unterstrichen; die Spannungen, die sich durch die Dissonanzen ergeben, finden sofort einen unmittelbaren Widerhall in den Köpfen der Zuhörer. Sie verursachen sie beabsichtigte emotionale Spannung. In die gleiche Richtung wirkt diatonale „Dissonanz“, d. h.die Instabilität der tonalen Basis oder ihre Abwesenheit, nämlich Atonalität. Sie evoziert aufgrund der Abwesenheit eines tonalen Bezugspunktes geistige Unruhe, Streit und Spannung. Der Dissonanzgrad der Harmonien wird abhängig von der Art des Ausdrucks festgelegt. In einem typischen expressionistischen Werkherrschen Dissonanzen und eine große tonale Instabilität oder Atonalität vor. Die spezifische expressionistische Harmonik zieht auch eine bestimmte Gestaltung der Melodik mit sich: Sie weist permanent meist große Sprünge und dissonante Intervalle sowie Sprechgesang (klanglich ungenaue Ausrufe) auf. Der Rhythmus kann folgendermaßen charakterisiert werden: unregelmäßig, intermittierend, nervös oder aber mit Interpretationsfreiheiten für den Ausführenden. Die Dynamikist durch extreme Lautstärken in beide Richtungen sowie durch häufige, plötzliche und starke Kontraste(fff–ppp) gekennzeichnet. 9 3. 3. Neoklassizismus stellt eine Rückkehr zur reinen Musik dar und gilt als Gegensatz zur Romantik und ihrer Zweige Expressionismus und Impressionismus. Die Werke des Expressionismus und Impressionismus enthalten Emotionen und außermusikalische Bezüge. Im Neoklassizismus hingegen erlangt die Melodik wieder an Bedeutung, den Kompositionen liegen feste und klare Formen, ein organisierter Rhythmus und eine klarere und einfachere Harmonik zugrunde. Der Schwerpunkt liegt auf der Einfachheit. Die Werke sind im Wesentlichen tonal. Bei einigen Komponisten und in einigen Werken könnte der Neoklassizismus als Antiromantik aufgefasst werden, weil er keine Sensibilität zulässt und expressive Musik verweigert wird. Igor Strawinsky schrieb beispielsweise: „Ich finde die Musik, im Wesentlichen, außerstande irgendetwas auszudrücken: ein Gefühl, eine Haltung, einen psychischen Zustand, ein Naturphänomen, u. s. w[...] Der Ausdruckwar niemals immanentes Merkmal der Musik.“1Allerdings stimmen viele Komponisten diesem Verständnis von Musik nicht zu. Vielmehr sind sie der Meinung, dass Neoklassizismus nicht ausdruckslos ist. Strawinsky komponierte das erste neoklassische Violinkonzert, von welchem man nicht behaupten könnte, dass es ausdruckslos wäre. Darüber hinaus– abhängig von der Herrschaft der verschiedenen Elemente des musikalischen Ausdrucks –verzweigt sich der Neoklassizismus in eine Reihe von Substilen, sodass man über Neobarock, Neoromantik, sogar Neoexpressionismus und Neoimpressionismus sprechen kann. 3. 4. Impressionismus Der Impressionismus gilt als eine Erweiterung, als eigenständige Nebenlinie der Romantik, aber gleichzeitig auch als ihr Gegensatz. Das grundlegende Merkmal dieser zwei Stile ist der programmatische Gehalt. Impressionistische Musik weist immer außermusikalische Bezüge auf, denn ihr grundlegender Sinn ist „Tonmalerei“. 1 . Despić, Dejan: harmonija sa harmonskom analizom, Zavod za udzbenike, Beograd, 2007, S. 434. 10 Impressionistische Komponisten ließen sich vom gleichnamigen Stil in der Malerei inspirieren. Bemerkenswert ist auch das Interesse für ungewöhnliche Themen und ferne exotische Länder. Im Unterschied zur Romantik, in der das programmatische Element narrativ ist (der Komponist erzählt quasi eine Geschichte), ist es im Impressionismus statisch, indem der Komponist einen Anblick, eine Atmosphäre oder einen Eindruck beschreibt. Der Romantiker ist der aktive Teilnehmer in seinem Werk und er bringt seine leidenschaftlichen Gefühle ein. Der Impressionist hingegen beobachtet die äußerliche Welt und versucht, seine Eindrücke musikalisch zu verarbeiten. Seine persönliche emotionale Reaktion drückt er nur gelegentlich aus, meist wird sie unterdrückt. Im Zentrum eines romantischen Werkssteht der Mensch, seine Emotionen und sein Schicksal. Im impressionistischen Werk wird der Blickwinkel auf die Umgebung des Menschen gerichtet. Der Fokus der impressionistischen Komponisten liegt auf Orchestrierung und Harmonie, um klangfarbenreiche Werke zu schaffen, während die Melodie zur Nebensächlichkeit zurückgedrängt ist. Harmonik übernimmt hier – im Gegensatz zur konstruktiven Rolle in der Klassik und zur expressiven Rolle in der Romantik – eine koloristische Rolle. 3. 5. Nationale Schulen Komponisten entwickeln ein wachsendes Interesse an der Folklore. Die Musikethnologie als wissenschaftliche Methode, um das Studium und das Verständnisfremder Musikkulturen zu vertiefen, konnte etabliert werden. Die Rückgriffe auf Volkstraditionen in der Romantik wareneine bedeutende Inspirationsquelle für Künstler. Doch während sich in den Werkender Romantiker die Übernahme folkloristischer Elemente in der Regel auf die Melodik begrenzt, dringen die Komponisten der nationalen Schulen des 20. Jahrhunderts tiefer in die Materie ein. Zu beobachten ist die Übernahme rhythmischer Besonderheiten, aber auch die Verwendung bestimmter dissonanter Intervalle, die hier den Eindruck des volkstümlichen Musizierens erhöhen oder eine koloristische Funktion haben. Parallele perfekte Konsonanten (Quinten und Oktaven) werden ebenso verwendet 11 wie parallele Terzen und Sexten, die in langsamen Sätzen die Ausdruckskraft erhöhen, insbesondere bei Kollisionen mit dem dissonanten harmonischen Hintergrund. Ostinate Wiederholungen sind ein häufig aufscheinendes Element der Volksmusik und in verschiedenen Arten vorhanden. Jene Musik des 20. Jahrhunderts, die sich an diese Traditionen anlehnt, verwendet sie vor allem in der Begleitung, aber auch zum Bau von Melodien. Ostinati werden besonders häufig in den Volktänzen verwendet, in denen mehrfache Wiederholungen nicht zur Monotonie führen, sondern zu einem dynamischen musikalischen Fluss beitragen. Musik, die unter dem Einfluss der Folklorekomponiert wurde, ist meist tonal(im weiteren Sinne) oder bitonal und enthält häufig modale Elemente, die das charakteristischste Zeichen für Folkloreeinflüsse sind. Ebenso werden charakteristische orientalische Motive verwendet, die ihren Ursprung in der Folklore des Balkansund Spaniens haben. Dieser Zweig der zeitgenössischen Musikproduktion erwies sich – insbesondere in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – am fruchtbarsten zu sein. 3. 6. Jazz Der Einfluss des Jazz, der Musik der schwarzen Amerikaner, – v. a. seine Rhythmik und Melodik –, ist vor allem in den 1920er und 1930er Jahren sehr bedeutend für die Musik von Maurice Ravel, Igor Strawinsky und anderen Komponisten. George Gershwin baute auf den Grundlagen des Jazzidioms Formen der „ernsten“ Musik. Die Grundlage der Jazzmusik ist tonal, sie ist allerdings von modalen Elementen, insbesondere mixolydisch und dorisch, durchzogen. Die Harmonik stützt sich hauptsächlich auf impressionistische Mittel: Das Grundmaterial stellen terzgeschichtete Mehrklänge dar, Vierklänge sind ständig präsent, während Dreiklänge nur selten benutzt werden. Dissonanzen werden frei hinzugefügt, charakteristisch ist die Tonika mit der hinzugefügten Sext. Quartakkorde werden auch verwendet, dabei handelt es sich meist um Drei-und Vierklänge und Kombinationen mit terzgeschichteten Akkorde. 12 3. 7. Kompositionstechniken In Bezug auf die mannigfaltigen Möglichkeiten an Kompositionstechniken, kann man sagen, dass die musikalische Kreativität des 20. Jahrhunderts komplexer und vielfältiger als in jeder vorangegangenen Epoche ist. Bei den Kompositionstechniken, welche sich im20. Jahrhundert ausgeprägt haben, handelt es sich um Dodekaphonie, Serialismus, Pointillismus, Minimalismus und Aleatorik. Bei der Dodekaphonie (Zwölftontechnik) handelt es sich um eine Kompositionsmethode, bei der als Grundlageeine Reihe allerzwölf Töne der chromatischen Tonleiter verwendet wird. Die Gestaltung der Reihe darf keine klanglichen Verbindungen zu einer Tonleiter erlauben; jeder Ton darf nur einmal verwendet werden bis die Reihe wieder wiederholt wird; aufeinanderfolgende Terzintervalle sind verboten, weil sie den Eindruck der Existenz eines tonalen Zentrums erwecken; kleine und große Intervalle sollten abwechselnd verwendet werden. Die auf diese Weise gestaltete Reihe kann vom Komponisten in ihrer Umkehrung, dem Krebs und der Krebsumkehrung verwendet werden. Zu diesem Klangmaterial werden in weiterer Folge an dem musikalische Parameter hinzugefügt, nämlich Rhythmus, Dynamik u. s. w. Danach ist es bereit für den Einsatz in horizontaler Form (in Form von Melodielinien) oder vertikal in Form von Akkorden. Jede der vier Varianteneiner Reihe kann auf zwölf verschiedene Tonhöhen transponiert werden. Das heißt, dass dem Komponisten 48 Reihenzur Verfügung stehen, die in rhythmischer, metrischer und dynamischer Hinsicht verschiedenverarbeitet werden kann. Die Entstehung der Zwölftonmusik ist das Ergebnisder Bestrebungen ihres Schöpfers Arnold Schönberg, und später seiner Anhänger, in die atonale und athematische Musikbestimmte Kompositionsregeln einzuführen, um die Entstehung einer großen Anzahl von Kompositionen mit zweifelhaftem Wert zu verhindern. Anton Webern, der Student Schönbergs, ging bezüglich der Organisationsmöglichkeiten der musikalischen Parameter sogar noch weiter: Er bestimmte den Rhythmus, die Dynamik und die Instrumente, die bestimmte Teile der Serie durchführen werden, im Voraus. Diese Vorgehensweise mündet im „integralen Serialismus“, der von Olivier Messiaen, Pierre Boulez und Karlheinz 13 Stockhausen angewandt wurde. Hier wurden nun alle musikalischen Parameter vor dem eigentlichen Komponieren organisiert. Die Etablierung des integralen Serialismus in der europäischen Musik zog zwei Reaktionen nach sich: Zum einen wurde Musik aleatorisch komponiert, zum anderen fand eine Beschäftigung mit elektronischer Musik statt. Die musikalischen Parameter in den Werken desintegralen Serialismus wurden bis zum Äußersten bestimmt. Dies ging so weit, dass nur mehr Maschinen in der Lage waren, die erforderliche Genauigkeit bei der Aufführung dieser Musik zu erreichen. Unter elektronischer Musik versteht man jene Art von Musik, die mithilfe von elektronischen Geräten realisiert wird. Aleatorische Musik, auf der anderen Seite, ist ein Prozess, der dem Ausführenden ein gewisses Maß an Freiheitbei der Interpretation lässt. Aleatorische Elemente lassen sich im gesamten Verlauf der Geschichteder Musikbeobachten, z. B. der Generalbass, dessen Realisierung von den Fähigkeiten des Organisten oder Cembalisten abhängig war, die Solokadenz in Konzerten vor Beethoven, die melodischen und rhythmischen Variationen im Jazz oder die Ornamentik u. s. w. gelten als aleatorische Mittel. Allerdings ist für die Aleatorik des 20. Jahrhunderts bezeichnend, dass der Komponist dem Künstler bewusst Freiheiten lässt, aber zugleich auch die Grenzen setzt. Der Pointillismus zeichnet sich dadurch aus, dass Kompositionen aus Tonpunkten auf gebaut sind. Die einzelnen Noten sind im vertikalen Raum, aber in erster Linie in der Horizontale (in der Zeit) verstreut. Diese Methode unterscheidet sich sehr stark von der gleichnamigen Stilrichtung in der Malerei. Während bei einem pointillistischen Bild die Farbpunkte sehr eng angeordnet sind, sodass das Ganze in den Augen der Betrachter zu einer Einheit verschwimmt, sind die Schallpunkte einer pointillistischen Komposition weit voneinander entfernt, sowohl in der Vertikalen (Intervalle) als auch der Horizontalen (Zeit). Daher ist es unmöglich, eine Synthese des Wahrgenommenen zu erreichen. Das Erklingen der einzelnen Töne ist in der Regel durch Pausen getrennt, zusätzlich werden sie von verschiedenen Instrumenten (Register, Klangfarben) gespielt. Die Töne erklingen vereinzelt; es 14 kommt selten vor, dass mehr als zwei Töne zugleich erklingen, weswegen der Eindruck von Harmonik nicht möglich ist. Minimalismus ist ein Verfahren, im Zuge dessen das ganze musikalische Material auf ein Minimum reduziert wird. Es ist eine Reaktion auf die Komplexität anderer Kompositionstechniken, insbesondere einige Formen der seriellen Musik. Minimalismus ist eine Erscheinungsform der neuen Einfachheit, die in diesem Fall auf der ständigen Repetition eines bestimmten Klangmusters beruht. Vorhanden sind nur mehr kaum bemerkbare harmonische Veränderungen, die einen statischen Eindruck dieser Werke bedingen. In der Musik des 20. Jahrhunderts sind die kompositorischen Mittel in hohem Maße vom Stil und den ästhetischen Eigenschaften des resultierenden Werkes getrennt. Harmonik als ein musikalisches Ausdrucksmittel kann nur teilweise stilistisch spezifisch sein. Dies bedeutet, dass dieselben harmonischen Merkmale im gesamten Spektrum der verschiedenen Stile der zeitgenössischen Musik aufscheinen. Der Unterschied liegt nur in der Weise und den Umständen ihrer Anwendung. 15 4. Das Konzert Ursprünglich ist das Konzert eine vokal-instrumentale Komposition. In seiner Diskussiones Konzerts im Syntagma Musicum (Schriften zur Musik) aus dem Jahr 1619 unterscheidet der deutsche Komponist und Theoretiker Michael Praetorius zwei Arten des Vokal-Instrumentalkonzerts. Der erste Typ ist eine Zusammensetzung, in der mehrere Gruppen einander entgegengesetzt werden, während die zweite Art durch die Existenz von Soli und Basso continuo gekennzeichnet ist. Er stellt ferner fest, dass der Text entweder religiösen Charakter hat oder ernste weltliche Themen aufgreift und dass das Konzert in Kirchen und Klöstern aufgeführt wird. Heute kann man dank der überlieferten Bilder solcher Konzerte davon ausgehen, dass VokalInstrumentalkonzerte vorwiegend in Kapellen, vor allem der Schlosskapelle, stattfanden. 4. 1. Barockkonzert Als reine Instrumentalkomposition entwickelte sich das Konzert im17. Jahrhundert, nämlich als Concerto grosso. Es wurde für einen oder mehrere Solisten (Concertino)und Streichorchester(Concerto grosso), die einander entgegengesetzt sind, geschrieben. Concert igrossi konnten drei oder, öfter, mehr Sätze aufweisen. Die Hauptvertreter dieser Konzertform in Italien sind Arcangelo Corelli (1653–1713), Giuseppe Torelli (1658–1709) und Antonio Vivaldi. Die 12 Concerti grossiop. 6 von Arcangelo Corelli, die im Jahr 1714 veröffentlicht wurden, enthalten Concertinos, in denen die erste Geige dominiert. Sein Einfluss ist weniger auf der formalen, als hauptsächlich auf der stilistischen Ebene zu suchen; eine ganze Generation italienischer Komponisten übernahm seine Art des Schreibens für die Violine. Torelli reduzierte in seinen Konzerten op. 8 das Concertino auf zwei Violinen, manchmal nur auf eine. Vivaldi komponierte in den Jahren 1710 bis 1740mehr als 400 Konzerte. Er etablierte die dreisätzige Form für Solokonzerte mit der Satzfolge schnell-langsam16 schnell, die ebenso in der Klassik und der Romantik verwendet wurde. Im ersten Satz wechseln die Solo- und Tuttiabschnitte ab. Der zweite Satz weist eine freie Form auf, während der dritte Satz, der nach demselben Prinzip wie der erste aufgebaut ist, eine große dreiteilige Form hat oder ein Rondo ist. In diesen frühen Konzerten spielen die Solisten beiden Tuttistellen in der Regel mit dem Orchesterzusammen. Der Solopart unterscheidet sich von den Tuttistellen durch seine Virtuosität. Die Solisten sind im ständigen Dialog mit dem Orchester. Vivaldi stellte unterschiedlichste Instrumentenkombinationen für die Sologruppe zusammen, z. B. zwei Oboen, zwei Hörner, Fagott oder Violine. In Deutschland sind die wichtigste Komponisten Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel. Bach schrieb zwischen1720 und 1735über 24 Konzerte. Er führte Änderungen am italienischen Modell durch: die Themen sind im melodischen Sinn schärfer konturiert; an einigen Stellen wendete er Kontrapunkt an. Folgendes Zitatzeugt von seiner Kreativität: „Besides the transcriptions and the magnificent six Brandenburg Concertos, with all their own varieties of scoring, he left concerti in which the solo requirements are one violin; two violins; flute, violin, and harpsichord; violin and oboe; one harpsichord; two harpsichords; three harpsichords; and four harpsichords. The majority of the harpsichord concerti are further transcriptions and reworkings, some not yet tracked to their sources. For example, two of seven solo harpsichord concerti come from Bach’s own solo violin concerti, and the concerto for four harpsichords comes from Vivaldi’s Opus 3, No. 10, for four violins.“2 2 „Neben den Transkriptionen und den herrlichen sechs Brandenburgischen Konzerten, mit ihrer eigenen Besetzungsvielfalt, hinterließ er Konzerte für eine Solovioline; zwei Violinen; Flöte, Violine und Cembalo; Violine und Oboe; ein Cembalo; zwei Cembali; drei Cembali und vier Cembali. Der Großteil der Cembalokonzerte sind Transkriptionen und Bearbeitungen, von denen einige noch nicht bis zu ihren Quellen zurückverfolgt sind. Zum Beispiel können zwei von sieben Cembalokonzerte auf Bachs Soloviolinkonzerte zurückgeführt werden, und das Konzert für vier Cembali auf Vivaldis op. 3, Nr. 10 für vier Violinen.“ http://www.britannica.com/art/concerto-music/Major-contributions-27509 17 Dies zeigt auch seine Bemühungen, das Cembalo als konzertierendes Instrument zu etablieren. Händel schrieb zwischen 1715 und 1750 rund 35 Konzerte, einschließlich drei Sammlungen von Orgelkonzerten mit Oboe und Streichern, eine Sammlung für Streicher und Bläser (Opus 3), eine Sammlung für zwei Violinen und Cello (Opus 6), die Corellis Modell zum Vorbild hatte, und andere Konzerte. Sein Stil ist wegen des ständigen Einflusses des französischen Tanzes und wegen seiner offeneren, weniger komplizierten Textur spezifisch. Die Atmosphäre seiner Musik im Allgemeinen ist leicht undluftig, vergleichbar mit kammermusikalischen Werken. Das Concerto grosso dominierte den Zeitraum bis 1750. Der Zeitraum ab der Mitte des 18. Jahrhunderts wurde vom Solokonzert eingenommen. Es gibt Unterschiede zwischen der früheren Solostimme, die ein minimales Concertino war, und der späteren Solostimme, die ein autarker Widersacher des Orchesters war. Es gibt auch bezüglich der Instrumentierung einen Unterschied zwischen den beiden Arten: In der Zeit, in der das Concerto grosso durch das Solokonzert ersetzt wurde, wurde der Basso continuo weggelassen. 4. 2. Klassisches Konzert Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts wurde die Aufführung von Konzerten in den Konzertsaalverlegt, manchmal wurde es auch im Theater aufgeführt. So spielte beispielsweise der italienische Komponist und Violinist Francesco Maria Veracini seine Konzerte in den Pausenzwischen den Akteneiner Oper. Der Unterschied zwischen der Solostimme und dem Orchester wird immer größer. Die Solisten spielen die Tuttiteile nicht mehr mit dem Orchester mit, sondern streng definierte Soli. Die Basis des Orchesters besteht aus Streichern, zu denen Bläser hinzugefügt werden. Sie stellen nicht die Opposition dar, um einen klangfarblichen Kontrast zu erreichen, sondern sie bereichernden Gesamtklang. Zugleich wird die Solostimme immer individueller und virtuoser, als Folge der sich weiterentwickelnden 18 Ausbildung an Spieltechniken. Vor allem die Werke für Violine weisen eine große Virtuosität auf, stammen diese Werke doch von Komponisten, die auch großen Virtuosen waren: Jean-Marie Leclair, Pietro Locatelli, Francesco Maria Veracini und Giuseppe Tartini. Ab dem Jahr 1780, auf dem Höhepunktder klassischen Zeit, rückt das Klavier in den Fokus jener Komponisten, die sich mit dem Solokonzertbeschäftigen. „Now, with the greater independence of the solo part and the greater selfsufficiency of a keyboard part, both the drama and the variety of the tuttisolo opposition could be increased considerably. As for the variety, either orchestra or soloist might perform alone, either might carry the theme while the other accompanied, or the two might share in the theme by doubling, by antiphony (alternating with each other in playing phrases of the theme), or by more rapid interchange and alternation.“3 Die dreisätzige Form mit der Satzabfolge schnell-langsam-schnell wurde in der Klassik noch mehr standardisiert. Sie wird ohne Ausnahme in den Konzerten der drei größten Meisterdieser Epoche, Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven, verwendet. Der Eröffnungssatz weist in der Regel die Sonatenform auf. Für das Finale werden am häufigsten –abgesehen von einem gelegentlichen Menuett in Haydns Konzerten –die Formen Rondo und Sonatenrondo4verwendet. Dem zweiten Satz liegt in der Regeleine Liedform (ABA) zugrunde, aber bei Beethovenkann man verschiedene Formen beobachten, z. B. freie Variationen im Violinkonzert oder dialogähnliche Fantasien im 3 http://www.britannica.com/art/concerto-music/The-Classical-concerto-c-1750-1830, „Jetzt, mit dergrößeren Unabhängigkeitder Solostimmeund der größeren Selbständigkeit der Tasteninstrumente, konnte sowohldas Drama als auch die Vielfaltder Tutti-Solo-Opposition erheblich gesteigert werden. Um Vielfalt zu erlangen, kann entweder das Orchesteroderder Solistallein spielen, beide können das Thema spielen, während der jeweils andere Part begleitet, oder beidekönnendas Themadurch eine Verdoppelung oder Antiphonie (Teile des Themas abwechselnd mit einander spielen) teilen oder durch schnelleren Austausch.“ 4 Diese Form vereint den wiederkehrenden Refrain des Rondos mit dem Entwicklungsprinzip der Sonatenform. 19 KlavierkonzertNr.4in G-Dur op. 58. Die Sonatenformder Klassik war – im Gegensatz zu den heute oft anzutreffenden Darstellungen – kein Konzept, das von Komponisten streng eingehalten wurde und dem sie blindgefolgt sind. Besser ist es, überEigenschaften zu sprechen, die einer großen Anzahl an Werken gemeinsam sind. Der häufigste Fall ist wie folgt: Das Orchester präsentiert die Exposition in der Grundtonart, danach folgt der Einsatz des Solisten. Er entwickelt das Thema und moduliert in eine naheliegende Tonalität. Die Sonatenform in einem Solokonzert wurde dank der individualisierten Behandlung des Soloinstrumentes und der virtuosen Passagen oft freier gehandhabt als in einer Symphonieoder einem Streichquartett. Der Solopart erreicht seinen Höhepunkt in der Solokadenz, in der der Solist mit dem motivischen Material des Konzerts improvisiert und seine Virtuosität zeigt. Sie erscheint in der Regelkurz vor dem Ende des ersten Satzes, sie kann jedoch auch in anderen Sätzen auftreten. Die Instrumentalkadenz existiert bereits in den späten Barockkonzerten und stammt aus den Opernarien der Zeit, in denen die Sänger eine Vielzahl von Koloraturen ausführten, um ihre Fähigkeiten zu zeigen. Diese Praxis der improvisatorischen Kadenz endete mit Beethoven. Er war der erste Komponist, der die Kadenzen zu seinen Konzerten notierte. Er schuf auf diese Weise ein sinnvolles, geplantes, musikalisch abgerundetes Ganzes, das den Höhepunkt des ganzen Werkes darstellt. Viele Virtuosen komponierten eigene Kadenzen, weil sie der Auffassung waren, dass die Kadenzen der Komponisten nicht virtuos genug waren. Dies führte in vielen Fällen jedoch dazu, dass diese Kadenzen zu lang oder harmonisch sowie motivisch unzureichend mit dem jeweiligen Konzert verbunden waren. 4. 3. Das Konzert in der Romantik Die Romantik war vom ständigen Streben nach Verbindung des musikalischen Inhalts innerhalb der Sätze und zwischen den Sätzen geprägt. Die meisten Komponisten, deren Werke heutzutage noch aufgeführt werden, versuchten, die traditionellen Prinzipien der Strukturierung des musikalischen Werks zu fördern. Die Veränderungen, die in dieser Epoche zu tragen kamen, werden in der Enzyklopädie Britannica sehr deutlich erklärt: 20 „First, there is the elimination, in the opening movement, of the long initial tutti section […].Second, there is the interlocking of the movements, achieved by leading not only from one movement to the next without appreciable pause in time or sound but also without either a definitive cadence (stopping point made clear by the harmonies) or full break in the continuity of harmonies or tonality […]. A third Romantic innovation is the effort to bind the cycle more positively through the use of related themes and motives in the successive movements. Such themes and motives can be only melodic nuclei […] or they may be more extended melodic thoughts […].Fourth, there are certain other, more incidental, yet effective means of unifying the cycle. These include the sense of culminating joy or triumph in those many concerti that change from a minor home key to its tonic major (for example, from A minor to A major) for the finale […] a fifth category, there is the extra musical unification of the cycle by means of a program— that is, a story or image […].Sixth and last, there are numerous efforts to contract or consolidate the concerto cycle still more drastically, by fusion of movements.“5 Sprache. Die Textur ist voller, Komponisten verwenden zunehmend extreme Lagen der Instrumente (z. B. Piccolo und Tuba); die Harmonik ist dissonanter und freier sowie durch chromatische Akkorde angereichert: „chords whose notes do not all belong to the key of the composition and that frequently seem to have a more expressive character.“6Außerdem gibteskurze, vorübergehendeModulationen, deren Funktionen allerdings eher koloristischer als strukturell bedeutender Natur sind. Die Melodie wirdfreier gebaut. 5 „Erstens kommt es im Eröffnungssatz zur Beseitigung der langen Tuttistelle zu Beginn [...]. Zweitens kommt es zu einem Ineinandergreifen der Sätze, das nicht nur durch die Abwesenheit einer deutlichen Pause entsteht, sondern auch durch das Fehlen einer definitiven Kadenz (durch die Harmonik verdeutlichter Haltepunkt) und eines deutlichen tonalen Bruchs [...]. Eine dritte romantische Neuerung ist die Anstrengung, das gesamte Konzert mithilfe von motivisch und thematisch verwandten Elementen zyklisch zu gestalten. Solche Themen und Motive können nur melodische Kerne sein[...] oder längere melodische Gedanken [...]. Viertens gibt es bestimmte andere, eher zufällige, aber effektive Mittel zur Vereinheitlichung des Zyklus. Dazu gehört die Kulmination in Richtung Freude und Triumph im Finale vieler Konzerte, die durch den Wechsel von einer Molltonart in die gleichnamige Durtonart bedingt ist(zum Beispiel von c-Moll nach C-Dur) [...] eine fünfte Kategorie ist die Vereinigung des Zyklus mithilfe eines außermusikalischen Programms, das heißt, mit einer Geschichte oder einem Bild [...]. Sechstens gibt es zahlreiche Bemühungen, die Form des Konzerts noch drastischer zyklisch zusammenzuziehen, nämlich durch die Fusion von mehreren Sätzen.“ http://www.britannica.com/art/concerto-music/Romantic-innovations, 14. 8. 2015 6 http://www.britannica.com/art/concerto-music/Romantic-innovations, 15. 8. 2015 21 Die musikalische Romantik wird Wesentliche Veränderungen zeigen sich in Bezug auf die musikalische wesentlich von Volksmusik beeinflusstals Folge des Erwachens desnationalen Bewusstseins. Später, als Folge dieses Einflusses, werden die nationalen Stile entwickelt, die auch in etwas anderer Form im 20.Jahrhundert bestehen. Volksmusikbeeinflusst sowohl die Melodik und Harmonik sowie den Rhythmus (unregelmäßige Rhythmen). Ein typisches Beispiel ist Symphonie espagnole für Violine und Orchester (1875) des französischen Komponisten Édouard Lalo. Dieses fünfsätzige Werk mit seinen scharfen Rhythmen und lyrischen Melodien drückt das Temperament und die Leidenschaft der spanischen Musikauthentisch aus. Die wichtigsten Komponisten des romantischen Konzerts (sowie aller großen Instrumentalwerke) sind meist Deutsche oder wurden in Deutschland ausgebildet. In diesem Abschnittwerden die wichtigsten Komponisten von Violinkonzerten in dieser Zeit und ihre Werkegenannt. Felix Mendelssohn-Bartholdy schrieb das Violinkonzert in e-Mollim Jahr 1844, das als eines der beliebtesten Werke der Violinliteratur gilt. Diese Gruppe der beliebtesten Violinkonzerte umfasst die Werke von Ludwig van Beethoven (1806, in D-Dur), Johannes Brahms (1878, in D-Dur), Pjotr Iljitsch Tschaikowski (1878, in DDur) sowie vom finnischen Komponisten Jean Sibelius (1904, in d-Moll). Diese Konzertesind heutzutageein wesentlicher Bestandteil des Repertoires jedes großen Geigers und sie erfreuen sich großer Beliebtheit beimPublikum. Aufgrund ihrertechnischen und expressiven Komplexität stellen diese Werke einen Teil desregulären Repertoires von Violinstudenten dar und aus den gleichen Gründen sindsiePflichtteil des ProgrammsbeiOrchesterprobespielen.Weitere bedeutende Werke stammen von Giovanni Battista Viotti, Niccolo Paganini (6 Violinkonzerte!), Robert Schumann (1853, in d-Moll), Ludwig Spohr, Camille Saint-Saëns und AntonínDvořák. Zu den wichtigsten Werken der Spätromantik gehören Konzerte von Henri Vieuxtemps (5 Konzerte), zwei Konzerte von Henryk Wieniawski (1853 in fisMoll und 1856–62 in d-Moll), Max Bruch, Karl Goldmark, Alexander Glasunow (1904, in a-Moll), Sir Edward Elgar (1910, in b-Moll). 22 4. 4. Das Konzert in der Moderne Das moderne Konzert lässt den gigantischen Orchesterapparat hinter sich. Die technischen Anforderungen für die Soloinstrumente sind nicht mehr so hoch wie in der Zeit der Romantik und die Solisten nicht mehr so scharf dem Orchester gegenübergestellt. Dies führt dazu, dass der Solist wieder verstärkt ein Teil des Orchesters wird. Auch in Konzerten mit extrem virtuosen Solostimmen ermöglicht es die moderne Musiksprache, den Solisten und das Orchester als Einheit zu sehen, und nicht als Gegensatz, wie dies in romantischen Konzerten gehand habt wurde. Ein gutes Beispiel für diese Praxis ist Sergej Prokofjews Konzert für Klavier Nr. 3 in C-Dur op. 26 (1921). Die Komponisten verlassen die romantische Tradition, außermusikalische Inhalte durch Instrumentalmusik auszudrücken. Die Musik soll keine Gefühle ausdrücken odereinenbeschreibendenCharakter aufweisen. Es gibt noch ein wichtiges Charakteristikumbezüglich der kompositorischen Praxis: Die Aufmerksamkeit der Komponisten richtet sich wieder auf andere Instrumente, das Klavier ist nicht mehr das Hauptinstrument des instrumentalen Konzertes. 4. 5. Violinkonzert in der Moderne Am Anfang des 20. Jahrhunderts gab es keine großen Veränderungen im Bereich des Violinkonzerts. Die meisten Werke sind bezüglich ihres Stils ähnlich wie die des 19. Jahrhunderts komponiert. Die bedeutenden Komponisten sind Jean Sibelius, Alexander Glasunow, Carl Nielsen, Max Reger, Arnold Schönberg und Alban Berg. Ihre Werke sind sehr expressiv, und diese Expressivität ist das fundamentale Charakteristikum der Romantik. Die Harmonik ist reich, die Phrasen sind lang und die Melodien ausdrucksvoll. Das zweite wichtige Merkmal ist die ausgeprägte Virtuosität der Solostimme. Als gutes Beispiel dafür dient das Violinkonzert in D-Dur von Jean Sibelius. Es war mit technischen Schwierigkeiten derart gesättigt, dass sich der Komponist zwei Jahre nach der Uraufführung aus praktischen und ästhetischen Gründen dazu entschied, es zu revidieren. Das Konzert von Arnold Schönberg gehört zu den schwierigsten Werken des Repertoires. Das dritte romantische 23 Merkmal ist die Differenz zwischen dem Orchester und dem Solisten. Der Solist spielt bei den Tuttistellen nicht mit dem Orchester mit, vielmehr sind sie einander gegenüber gestellt. Als eine Reaktion gegen den reichen Klang der deutschen Romantik tritt nach dem Ersten Weltkrieg der Neoklassizismus in Erscheinung. Dies hat sich für die Violinliteratur als sehr fruchtvoll herausgestellt, besonders für das Violinkonzert. Die bedeutenden Komponisten sind Igor Strawinsky, Sergej Prokofjew, Kurt Weill und Darius Milhaud. Das Konzert von Samuel Barber (1941) ist neoromantisch. Die Angehörigen der französischen Gruppierung „Les Six“ tendierten stärker zu den kleinen musikalischen Formen, Darius Milhaud war der einzige Vertreter, der zur Gattung Violinkonzert mit zwei Beiträgen aus dem Jahr 1920 beitrug. In Deutschland wurden die barocken Formen und Kompositionstechniken vorsichtig imitiert. Paul Hindemith schrieb seine 7 Kammermusikennach dem Modell derBrandenburgischen Konzerte von Bach, wobeidie 4.Kammermusik (1925) ein Violinkonzert ist.In diesen Werken versuchte Hindemith, den Geist des Concerto grosso wiederzubeleben. Im Jahr 1939 schrieb er sein zweites Violinkonzert nach dem Modell des symphonischen Konzertes des 19. Jahrhunderts. Kurt Weill komponierteein Konzert für Violine und Holzbläserorchester im Jahr 1924. Das wichtigste amerikanische Konzert dieser Zeit ist das neoromantische Violinkonzert von Samuel Barber, welches im Jahr 1941 geschrieben wurde. Die bedeutenden Komponisten in England sind Edward Elgar, Benjamin Britten und William Walton. Die beiden letztgenannten Komponisten schrieben je ein Violinkonzert in den Jahren 1938–39. Erwähnenswert sind auch die Werke von Ralph Vaughan Williams (Konzert für Violine und Streicher nach dem Modell der Konzerte von J. S. Bach und eine Rhapsodie für Violine und Kammerorchester The Lark Ascending) und Arnold Bax (ein Konzert im Stil Mendelssohn-Bartholdys). Im Konzert desspanischen KomponistenRoberto Gerhardsind verschiedene Elemente zubeobachten, nämlich tonale, atonale und serielle.Dieses Werkwurde am Wendepunkt vom nationalen Stil zum Serialismus geschrieben. 24 Bei den wichtigsten Komponisten von Violinkonzerten in der Sowjetunion handelt es sich um Dmitri Schostakowitsch, Aram Chatschaturjan und Dmitri Kabalewski, die ihre Konzerte alle für David Oistrach schrieben. Hier sind auch die drei Konzerte von Alfred Schnittke zu erwähnen, in denen man sowohl diatonische als auch atonale Elemente findet. 4. 6. Überblick über die wichtigen Konzertkomponisten AusÖsterreich Schönberg stammenAlban komponierte auch Bergsund eines für Arnold Klavier. Schönbergs Alle drei Violinkonzerte, Konzerte sind dodekaphonisch komponiert. Wichtige französische Komponisten bezüglich des Solokonzerts sind: Claude Debussy, der die Fantasie für Klavier und die Rhapsodie für Saxophon komponierte; Maurice Ravel, der zwei Klavierkonzerte (von denen eines für die linke Hand allein ist) und ein Violinkonzert schrieb, und Darius Milhaud, der Konzertefür verschiedene Instrumente schuf, darunter ein Konzert für Mundharmonika und für verschiedene Instrumentalkombinationen, darunter Schlagzeug. Aus Englandstammt ein Doppelkonzert für Violine und Violoncello von Frederick Delius und es gibt verschiedene Werke von Sir Arnold Bax, Sir Arthur Bliss und Ralph Vaughan Williams. Von amerikanischen Komponisten wurden folgende Konzerte geschrieben: George Gershwins erfolgreiche Konzerte, darunter Rhapsody in Blue(1924) für Klavier und Jazzorchester, und Aaron Coplands Klavierkonzert (1926), in dem ebenso Jazzelemente aufgegriffen werden. Sergej Prokofjew schrieb fünf Konzerte für Klavier, ein Konzert für Violoncello und zwei Konzerte für Violine (D-Dur, 1915–1923,und g-Moll, 1935). Igor Strawinsky komponierte zwei Konzerte für Horn, eines für Violine (in D-Dur, 1931), eines für Oboe und ein Doppelkonzert für Klarinette und Fagott. Der spanische Komponist Manuel de Falla schrieb ein neobarockes Konzert für Cembalo (1924). Béla Bartók schriebvier Konzerte für Klavier undzwei für Violine. 25 Die soeben erfolgte Darstellung ermöglichte es, einen Überblick über die geschichtliche Entwicklung des Solokonzerts zu bekommen. In den folgenden Kapiteln werden die wichtigen Violinkonzerte des 20. Jahrhunderts thematisiert. 26 5. Wichtige Violinkonzerte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert 5. 1. Jean Sibelius: Violinkonzert d-Moll op. 47 Das Violinkonzert von Jean Sibelius (1865–1957)gehört zu den beliebtesten Werken der gesamten Literatur für Violine und ist eines der schönsten. Wenn man das Konzert heute hört, mit seinen wunderschönen langen Melodien (z. B. dauert das Adagio-Thema des zweiten Satzes 20 Takte), dem farbvollen Klang und den virtuosen Momenten,erscheint es,dass das Konzert eine Erweiterung der romantischen Tradition ist. Das ist zwar richtig, aber in der Zeit, in der es komponiert und uraufgeführt wurde, war es für einen Teil des Publikums modern, merkwürdig und schwierig zu verstehen. Das Konzert wurde im Jahr 1903 komponiert. Jean Sibelius studierte Violine und hatte das Ziel, ein großer Virtuose zu werden. Dieser Wunsch war wahrscheinlich der Grund, dass er sich dafür entschied, ein Violinkonzert zu schreiben. Er machte sich seine Sensibilitätund seine Kenntnisse des Violinspiels zunutze, um ein Werk zu schreiben, das ein Teil des Standardrepertoires für Violine werden sollte.Sibelius schrieb das Konzert für einen deutschen Violinisten, den damaligen Konzertmeister des Philharmonischen Orchesters Helsinki, Willy Burmester (Carl Adolph Wilhelm Burmester), der die erste Aufführung spielen sollte. Dieser Plan konnte allerdings wegen den vielen Tourneen Burmesters nicht realisiert werden.Das Konzert wurde schließlich vom Violinlehrer Viktor Nováček als Solisten und dem Philharmonischen Orchester Helsinki unter der Leitung von Sibelius am 8. Februar 1904 im Musikinstitut Helsinki uraufgeführt. Die Kritiken waren größtenteils gut, obwohl nicht vergleichbar mit dem triumphalen Erfolg seiner Symphonien. Zu dieser Zeit galt Sibelius bereits als renommierter Komponist, seine Werkewaren beim Publikum beliebt und erfreuten sich großer Popularität. Seine Symphonien bekamen nur die besten Kritiken. Vielleicht lag darin der Grund, dass das Violinkonzert nur wenig Zustimmung bei manchen Rezensenten fand. Erkki Salmenhaara thematisierte die Kritik in seinem Buch Jean Sibelius, Violin Concerto. Karl Flodin zum Beispiel, der für Helsingfors-Posten schrieb, kündigte seine negative Meinung an. Nach der ersten Aufführung schrieb er: 27 „We are afraid - - that the new violin concerto will not form a link in the chain of really notable modern creations of this genre, much less build an epoch. Permit me to say that the concerto is boring, a thing which one so far could not say of a composition by Jean Sibelius, however strange it may appeared in the beginning.“ Flodin erwartete ein nationalistisches Solokonzert und kritisiertedie traditionelleForm sowie die technischen Schwierigkeitendes Konzerts: „Above all, one had expected a Finnish, Sibelian Violin Concerto, something quite new in form, in the handling of the technical aspect, in the whole concept of the genre. This was realized only in part and in a way other than one had imagined […] as well, he navigated in full sail into the virtuosity’s mainstream, taking with him all that his predecessors en route had carried as ballast. And the result was a technical overload, which not only brought about quite overwhelming difficulties for the soloist but also drew down the whole composition to average level.“7 Diese Kritik, welche auch auf die technischen Schwierigkeiten abzielt,enthälteinen kleinen Kern der Wahrheit. Tatsächlich ist die Originalversion viel schwieriger zu spielen als die revidierte Version, die man heutzutage oft hört, obwohl auch sie als ein schwieriges Konzert gilt. Sibelius schuf ein Violinkonzert mit vielen technischen Schwierigkeiten, welches nur von Virtuosen ihres Instruments gespielt werdenkann: Es beinhaltet virtuose Läufe, Terzen, Sexten, Oktaven und galt als fast unspielbar. Sibelius war nicht zufrieden mit dem Konzert. Einerseits stand er unter dem Einfluss der negativen Kritik, andererseits verstand er, dass es wirklich zu schwierig zu spielen war, und entschied sich, es zu revidieren. Der Komponist versuchte,eine neue Version zu schreiben. Er strich viele virtuose Passagen und vereinfachte die Form. Vergleicht man die zwei Versionen, dann bemerkt man, dass die revidierte Version etwas kürzer als die Originalversion ist: Der erste Satz umfasst in der Originalversion 542 Takte, in derneuenVersion hingegen nur 499 Takte; der dritte 7 Karl Flodin, zit. nach: Erkki, Salmenhaara: Jean Sibelius, Violin Concerto, S. 19 „Vor allem erwartete man sich ein finnisches, Sibelius’sches Violinkonzert, etwas ganz Neues bezüglich der Form, der Handhabung der technischen Aspekte, des Gesamtkonzepts des Genres. Dies wurde nur teilweise und auf einem anderen Weg realisiert, als man sich vorgestellt hatte […] außerdem navigierte er mit vollen Segeln in den Mainstream der Virtuosität und nahm alles mit, was seine Vorgänger auf demselben Weg als Ballastmitgeführt hatten. Und das Ergebnis war eine technische Überlast, die nicht nur ziemlich überwältigende Schwierigkeiten für den Solistenmit sich brachte, sondern auch die gesamte Kompositionauf ein durchschnittliches Niveau sinken ließ.“ 28 Satz ist nach der Revision 58 Takte kürzer (Original: 326, neue Version: 268 Takte). Der zweite Satz blieb fast unverändert: Er ist 69 Takte lang, weist weniger Ornamente auf und die ein taktige Kadenz fünf Takte vor dem Ende des Satzes wurde gestrichen.Die revidierte Version wurde am 19. Oktober 1905 mit Karel Halir als Solisten und der Berliner Hofkapelle unter der Leitung von Richard Strauss in Berlin uraufgeführt. Der zweite Satz gewann sofort nach der ersten Aufführung die Herzen des Publikums. In der schwedischen Zeitung Hufvudstadsbladet schenkte Alarik Uggla diesem Satz seine Aufmerksamkeit: „This new, strongly inspired, and ingeniously designed composition, which in both its brilliant outer movements brings such overwhelming challenges for the performer, owns in the middle movement, Adagio di molto, a musical pearl of incomparable beauty, a match for which it is not easy to find in the violin literature.“8 1. Satz: Allegro moderato Das Thema der Solovioline mit den ersten und zweiten Geigen im Hintergrund eröffnet das Konzert. Es gibt keine echte Orchestereinleitung, vielmehr bereiten die ersten und zweiten Geigen die Atmosphäremit lediglich drei Takten vor dem Einsatzder Solovioline vor. Das folgende Notenbeispiel zeigt diese ungewöhnliche Einleitung und den Anfang des Themas der Solovioline: 8 Salmenhaara, Erkki: Jean Sibelius, Violin Concerto, S. 17/18, „Diese neue, starkinspirierte undgenial konzipierte Komposition, die in ihren beiden brillanten Ecksätzen solche überwältigen den Herausforderungen für die Ausführenden birgt, besitzt im Mittelsatz, Adagio di molto, eine musikalische Perle von unvergleichlicher Schönheit; eine Kombination, die in der Violinliteratur nicht leicht zu finden ist.“ 29 Notenbeispiel Nr. 1: Beginn des ersten Satzes Schon zu Beginn des Werkes zeigen sich viele Charakteristika von Sibelius’Stil: lange, gehaltene Töne an den Anfängen und Schlüssen der Phrasen, diesogenannte Sibelius-Triole, dorische Melismen (d-f-a-c b-a) und die übermäßige Quart als lydisches Element. Die fallende Quint ist auch von großer Bedeutung, da sie im gesamten Werk erscheint. Die virtuosen Elemente wachsen schrittweise an: gebrochene Akkorde, Sexten, Dreiklänge, und die Kulmination wirdim Lauf Veloce sul Gerreichtund hält bis nach der Quasi-Kadenz (Largamente) an. Im folgenden Notenbeispiel wird die Quasi-Kadenz,die bis zur Angabe TempoI dauert, gezeigt: 30 Notenbeispiel Nr. 2:die Quasi-Kadenz Die Kadenz schließt mit parallelen Oktaven ab. Das zweite Thema wird vom Orchester gespielt, dann übernimmt die Soloviolinedie Melodie. Dieses Mal ist das Thema mit Sexten und Oktaven angereichert. Der Rhythmus ist interessant und stellt ein wichtiges Stilcharakteristikum Sibelius’ dar: Während die Violine Triolen (6/4) spielt, erklingt ein 4/4-Rhythmus imOrchester. Der nächste Einsatz des Orchesters, der 55 (!) Takte umfasst, bringt neues melodisches Material, welches in der Reprise, sowie das erste und zweite Thema, wiederholt wird.Dieses Mal scheinenintensive virtuose Läufe und Doppelgriffe in der Solovioline auf. Danach folgt die Kadenz. Der Komponist verwendet motivisches Material, mit dem der Zuhörer schon vertraut ist. Die Kadenz ist sehr virtuos, mit vielen Doppelgriffen, schnellen Läufen und gebrochenen Akkorden. In der Reprise erklingt das erste Thema in der Geige im tiefen Register, es wird auf der G-Saite gespielt. Die Coda erscheint als Allegro molto vivace und läuft wie ein wütender Sturm zu Ende. 31 2. Satz: Adagio di molto Der zweite Satz fängt mit dem außerordentlich chromatischen Motiv in parallelen Terzen in den Holzbläsern an. Esentwickelt sich aus der perfekten, ruhigen Atmosphäre. Das wunderbare Adagio-Thema, welchesinsgesamt 20 Takte dauert und auf der G-Saite gespielt wird, wirdvon der Solovioline gespielt. Folgendes Notenbeispiel zeigt dieses Thema. Notenbeispiel Nr. 3: Thema des zweiten Satzes, Solovioline Diese Melodie enthält die fallende verminderte Quint und mutet deswegen lydisch an. Nach dem Adagio-Thema entwickelt das Orchester das Anfangsmotiv in Kontrast zum Thema, aber es gibt dennoch eine Verbindung zwischen den beiden musikalischen Materialen, nämlich das Synkopenmotiv, welches zum ersten Mal im 6. Takt in der Begleitung auftritt, nur jetzt diminuiert. Nach dem Einsatzdes Orchesters spielt die Violine den originellen Synkopenrhythmus in Kombination mit großen Triolen, und das Orchester setzt mit den diminuierten Synkopen fort.Schrittweise kommtes durch die Hauptmelodie im Orchester und die triolische Begleitung in der Soloviolinezur Kulmination des Satzes. Der intensivstePunkt wird nach den Trillern der Solovioline erreicht. Die Reprise desAdagio-Themaserklingtim Orchester. Langsam kehrtdie Ruhe desAnfangs wieder ein und der Satz endet mit dem Ton d(große Terz) in zwei hohenOktaven. 32 3. Allegro DasFinale ist sehr virtuos und aufregend. Im Solopart sind parallele Terzen, Oktaven, Doppelgriffe, gebrochene Akkorde, schnelle Läufe und, kurz vor dem Schluss, Dezimen enthalten. Bei den wesentlichen rhythmischen Figurendieses Satz es handelt es sich um Triolen und punktierte Rhythmen sowie um Quintolen. Es ist bemerkenswert, dass sie im ganzen Konzert erscheinen. Der punktierte Rhythmus verleihtdiesem Satz einen scharfen und brillanten Charakter, während die Quintolen oder Triolen als weiche Figuren immer einen Kontrast darstellen. Der Dialog zwischen dem Orchester und dem Solisten ist während des ganzen Satzes vernehmbar. Dieser rhythmische Kontrast zusammen mit dem soeben genannten Dialog hält den Schwung bis zum Ende aufrecht. Die erste Orchesterepisodebringt neues musikalisches Material mit eineminteressanten Rhythmus: Der Komponist kombiniert 6/8- und 3/4-Taktsowie Hemiolen, dies alles ist im 3/4-Taktnotiert. Nach der Orchesterepisode übernimmt die Violine die Melodie in einer rhythmisch komplizierteren Variante, die mit Doppelgriffen und gebrochenen Akkorden angereichert ist.Das Haupt-Thema kommt noch einmal nach dem Übergang, nachder Episode in d-Moll mit den Flageolettsin der Solovioline.Dies markiert den Beginn des Endes: Das Rondo-Thema erscheint nicht mehr, nur derpunktierte Rhythmus als Erinnerung. Das Violinkonzert von Jean Sibelius gehört zu den wichtigsten Werken der Konzertliteratur für Violine. Esist das einzige Konzert aus dem 20.Jahrhundert, das beiallen Orchesterprobespielenvorgetragen werden kann; es steht somit neben den Violinkonzerten von P. I. Tschajkowskij und J. Brahms. Es ist üblich, dass Violinstudenten sich mit diesem Konzert auseinandersetzen und es einstudieren, und jeder bedeutendeViolinist hat dieses Werk in seinem Repertoire. 33 5. 2. Alexander Glasunow: Violinkonzert in a-Moll op. 82 Glasunow schrieb sein Violinkonzert für den berühmten Geiger Leopold Auer. Das Werk wurde am 15. Februar 1905 in Sankt Petersburg im Rahmen eines Konzerts der Russischen Musikgesellschaft uraufgeführt, mit dem Komponisten als Dirigent und Leopold Auer als Solist. Das Konzert weist lediglich einen einzigen Satz auf, die einzelnen großen, in sich geschlossenenTeile folgen ohne Unterbrechung. Jedoch kann das Werk,abhängig vom Charakter und dem Tempo, auf unterschiedliche Weise in drei oder vier Teile geteilt werden.Nachfolgend werden die großen Abschnitte, die in der Partitur mit verschiedenen Tempobezeichnungen markiert sind, aufgelistet. Sie werden hier als separate Sätze betrachtet, um die Analyse des Werks einfacher zu machen: I. Moderato II. Andante sostenuto– Moderato III. Allegro Das Konzert ist, obwohl es unterteilt werden könnte, ein ungebrochenes Ganzes. Die Form ist ungewöhnlichund erweckt den Anschein, als ob der langsame Satz (Andante sostenuto) in der Mitte des ersten Satzes eingebaut ist. In einer Kritik wird diese interessante Struktur einfach beschrieben: „The concerto includes a slow movement, marked Andante sostenuto, framed by the first movement Moderato.“9 Das Moderato beginnt mit dem wunderbaren Dolce-espressivo-Thema in der Solovioline,das nach einer kurzen Vorbereitung in den Klarinetten und Fagotten erklingt. Es ist ein typischerspätromantischer Satz, der durchendlose Phrasen und einen reichen Orchesterklang geprägt ist. Schon zu Beginn scheintjene punktierte Figur auf, die im gesamten Werk immer wieder verwendet wird. Imnächsten Notenbeispielwird das Eröffnungsthema gezeigt. 9 http://www.naxos.com/mainsite/blurbs_reviews.asp?item_code=8.550758&catNum=550758&filetype= About%20this%20Recording&language=English 34 Das Thema dauert bis zum Gis im neunten Takt. Danach folgt die Entwicklung des Themas: Notenbeispiel Nr. 4: Das Thema und die Entwicklung, Solovioline Das erste,„russische“ Thema und das lyrische zweite Tranquillo-Thema kontrastieren zueinander. Das Thema desAndante sostenutobeginnt mit jener punktierten Figur in der Solovioline, die das erste Mal bereits am Anfang des Konzerts erscheint.Dieser Satz ist ab dem ersten Ton sehr expressiv, hier kann der Solist all seine Leidenschaften ausdrücken. Das Thema wird zuerst auf der G-Saite gespielt, um eine dunklere Klangfarbe zu erhalten.FolgendesBeispiel zeigt den Anfang des Satzes bis zum zweitenEinsatzdes Themas. 35 Notenbeispiel Nr. 5: Andante sostenuto, Solovioline Das Andante sostenuto endet mit zwei Pizzicato-Akkorden in der Solovioline. Die Reprise des Moderatos ist mit virtuosen Passagen in der Solovioline angereichert, zu finden sind auch Doppelgriffe (Sexten und Oktaven) und Dreiklänge. Vor dem Ende des Satzes kommt die Reprise des zweiten Themas; dieses Mal im tiefen Register, nämlich auf der G-Saite. Mit einer Passage leitet die Solovioline die Kadenz ein. Die Kadenz ist ziemlich lang, wenn man sich die Länge desgesamten Werkes vor Augen hält. In der Kadenz finden sich viele Doppelgriffe und sie ist sehr anspruchsvoll zu spielen. Jedoch ist sie nicht virtuos, denn es scheinen keine schnellen Läufe auf – ausgenommen das Animato vor dem Ende, das direkt zum Finale führt. Sie ist sehr expressiv und ausdrucksvoll. Für mich ist sie der schönste Teil des Werks. In der Kadenz wird zunächst das Tranquillo-Thema des ersten Satzes aufgegriffen. DessenMelodie erscheint sogleich in variierter Weise,sie ist mit Vorschlägen und gebrochenen Akkordenangereichert. Am Ende jeder Phrase ist ein kurzer Lauf hinzugefügt, durch seine kurzen Sechzehntelnoteneinen Kontrast zum Thema darstellt.Gleich nach dem zweiten Lauffolgt – auch variiert – das Thema des Satzanfangsund wird mit Pizzicato-Akkorden abgeschlossen. Nach dem Pizzicato folgt dasin seiner Melodik und Rhythmik unveränderte Thema, allerdings in einer anderen Tonart.Danach wird es zweistimmig variiert. Nahezu die ganze Kadenz ist 36 im polyphonen Prinzip gestaltet. Die Notenwerte der unteren Stimme werden immer kürzer, je weiter die Kadenz voranschreitet.Der Übergang (das Animato) zum letzten Satz klingtschließlich so, als ob der Solist Triller spielen würde, obwohl alle Noten genau notiert sind.Mit dem letzten,wilden Lauf leitet die Solovioline direkt ins Finale über. In den Notenbeispielen wird die gesamte Kadenz und der Anfang des Animato gezeigt. 37 Notenbeispiel Nr. 6: Die Kadenz 38 Der Anfang des Animato: Die ersten zwei Takte klingen so, als ob Triller gespielt werden. Notenbeispiel Nr. 7: Der Anfang des Animato Die Trompeten eröffnen das Finale. Sie spielendas Thema mit dem gut erkennbaren, punktierten Rhythmus. Dies klingt aufgrund der Besetzung und des Rhythmusmilitärisch. Die Solovioline antwortet mit derselben Melodie. Danach erklingen wieder die Trompeten, schließlich übernimmt die Solovioline noch einmal die Melodie und variiert sie. Die Solovioline spielt fast allein, mit sehr wenig Begleitung. Während des gesamten Satzes führen die Solovioline und das Orchester oder einige solistische Instrumente einen Dialog. Der Unterschied zwischen solistischer Stimme und Begleitstimme ist sehr deutlich zu vernehmen.Ab der Ziffer 36 beginnt ein Abschnitt, der einen anderen Charakter aufweist. Er ist lyrisch und elegant und ist in der Partitur mit „grazioso“ bezeichnet. Das nächste Notenbeispiel zeigt den Anfang des Satzes mit der Trompeteneröffnung und dem erstenEinsatz der Solovioline: 39 Notenbeispiel Nr. 8: Der Anfang des 3. Satzes Bei Glasunows Konzert handelt es sich um ein romantisches Werk, dessen Vorbilder – die Konzerte der späten Romantik – sogleich erkennbar sind.Die einzigartige formale Gestaltung als ein einziger Satz ist eine Folge der Bemühungenromantischer Komponisten,alle Sätze des Werkes zyklisch miteinander zu verbinden. Dieses Werk gehört nicht zu den großen Violinkonzerten, und es zählt auch nichtzur Auswahl, die bei Probespielen verlangt wird. Dennoch gehört es zu den schönsten Violinkonzerten und es wird sehr oft gespielt – sowohl von Studenten als auch von berühmten Violinisten. 40 5. 3. Karol Szymanowski: Violinkonzert Nr. 1, op. 35 Bei diesem Werk handelt es sich um das erste moderne Violinkonzert. Keith Anderson beschreibt es folgendermaßen: „Das Neuartige dieses einsätzigen Konzerts[…] liegt in der Ausarbeitung des melodischen Materials und der Klarheit seiner Struktur. In einer ekstatisch wirkenden Melodielinie mit oft chromatischen Passagen und Arabesquen erhebt sich die Solovioline über einem flirrenden Klangteppich, in dem kleine, ständig wechselnde Instrumentengruppen das musikalische Material immer wieder neu einfärben.“10 Szymanowski verließ mit diesem Werk die Tradition des 19. Jahrhunderts sowie das Dur-Moll-System und schuf einen neuen Klang, eine neue koloristische Sprache und eine neue Expressivität.Er folgte dabei keinen früheren Beispielen anderer Komponisten. Vielmehr ist dieses Werk völlig originell. Eshat einen neuen Charakter und ihm liegt eine neuartige formale und emotionelle Idee zugrunde. Der Komponist legte die traditionelle Struktur ab und schrieb das Konzert in einem Satz. Keith Anderson erwähnt Szymanowskis Auffassung über sein neues Werk in seinem Text: „In einem Brief an seinen Freund Stefan Spiess schrieb Szymanowski über das neue kleine Werk, daß es auf der einen Seite zu traditionellen Formen zurückkehrt, während es auf der anderen Seite in neue Klangregionen vorstößt. Das Neuartige dieses einsätzigen Konzerts, in dem die sinfonische Viersätzigkeit noch rudimentär erkennbar ist, liegt in der Ausarbeitung des melodischen Materials und der Klarheit seiner Struktur.“11 Bezüglich der Harmonik findet man in diesem Konzert ein sehr breites Spektrum verschiedener Verfahrens weisen vor, so scheinen sowohl traditionell gestaltete Passagen als auch neue Harmonik und Melodik auf. Zum ersten Mal verwendet der Komponist einen Effekt, der in mehreren seiner späteren Werke auftaucht. Er verändert plötzlich die harmonische Fortschreitung vom modernen Klang zur Harmonie der Romantik, zur reinen Tonalität, und auf diese Weise erreicht er eine bestimmte expressive Wirkung. Obwohl romantische Lyrik in diesem Werk gefunden 10 Keith, Anderson: http://www.naxos.com/mainsite/blurbs_reviews.asp?item_code=8.557981&catNum=557981&filetype= About%20this%20Recording&language=German 11 Keith, Anderson: http://www.naxos.com/mainsite/blurbs_reviews.asp?item_code=8.557981&catNum=557981&filetype= About%20this%20Recording&language=German 41 werden kann, geht die Stärke der Expressivität weiter als alle Modelle des 19.Jahrhunderts. The work could be described in terms of a special, personally felt expressionism, rather than romanticism.“12Der besondere Charakter wird durch die Verwendung von zweiemotionalen Elementen geschaffen: Märchenfantasie und Romantik. Ersteres wird in den ornamentalen Figuren und dem farbvollen Klang reflektiert, das Zweite in den intensiven melodischen und harmonischen Momenten. Die melodischen Linien basieren auf „orientalischen“ Intervallen. Manchmal aber auch auf rein tonalen, diatonischen Motiven, obwohl die harmonische Begleitung in manchen Fällen dem tonalen Verständnis der Phrase widerspricht. Das Konzert wurde im Jahr 1916 geschrieben und im gleichen Jahr in Warschau uraufgeführt. Der Solist war Józef Oziminski mit dem Warschauer Philharmonischen Orchester unter der Leitung von Emil Mlynarski.Szymanowski widmete das Konzert seinem Freund Pavel Kochanski, der es im Jahr 1917 in St. Petersburg aufführte. Die Orchesterbesetzung ist außergewöhnlich, denn sie umfasst ein Klavier, das die Rolle eines Orchesterinstrumentes einnimmt. Abhängig von den unterschiedlichen Charakteren und Stimmungen kann das Konzert in folgender Weise gegliedert werden: 1. Vivace assai 2. Vivace scherzando 3. Kadenz Es ist auf der anderen Seite jedoch klar, dass das Konzert ein ununterbrochenes Ganzes ist. Alle Teile sind so stark miteinander verbunden, dass die einzige Unterteilung, die man machen kann, vor der Kadenz ist. Dies jedoch nur, weil die Violine plötzlich allein spielt. Die Unterteilung wurde somit lediglich zu Analyse zwecken vorgenommen. Das Konzert beginnt mit einemkleinen, lebendigen Dialog zwischen der Trompete und dem Klavier. Sie spielen wechselweise ein melodisches Motiv. Danach treten Klarinette und Flöte hinzu, zusammen mitStreichern. Die Solovioline setzt mit 12 http://www.karolszymanowski.pl/watch-listen/works/violin-concerto-no-1-op-35/ 42 einerlangsamen, zarten Melodie in einem kontrastierenden Charakterein. Ein Akkord der Blechbläser und des Schlagzeugs unterbricht das Soloplötzlich. Klavier, Streicher und Bläser treten dazu, die Hauptrolle spielt das Englischhorn in einem wieder lebendigen Charakter. Nach den Läufen in den Bläsern, Streichern und im Klavierfolgen Glissandi in den Streichern. Danach setzt die Solovioline fort, als ob es keine Unterbrechung gegeben hätte. Im weiteren musikalischen Verlauf scheinen viele solche plötzlichen Charakter- und Tempoänderungen auf. Über die außergewöhnliche Struktur dieses Konzerts wird folgendes geschrieben: „It is really a concerto-poem – one which does not abandon the concerto and virtuoso features, but which rejects the classical structure and takes on the character of a one-movement (although internally highly differentiated) poem. However, it is a poem not at all in the sense of a symphonic poem with a literary program, but only in the sense of having individually designed form which contains highly poetical content.“13 Stimmung und Ausdruck des Werkes werden folgen der maßen erklärt: „Szymanowski, by sketching in his instrumental composition a complex musical ‚story‘, whose material is provided by changing feelings and moods[…]. In Szymanowski’s work there is no drama or tragedy – rather, we meet here sharp, almost painfully sensual tensions and passionate, ecstatic raptures, emerging from colorful and unusual, not to say magical, sound images.“14 In diesem Teil kommt die wunderbare, einfache Melodie, mit der das Konzert später endet und die vor dem Ende des zweiten Teils erscheint. Das bedeutet, dassin dieser in allen Aspekten modernen Komposition eine thematische 13 „Es ist wirklich eine Konzert-Dichtung – eine, die konzertante und virtuose Merkmale nicht verabsäumt, aber die klassische Struktur verlässt und den Charakter einer einsätzigen Tondichtung (allerdings mit sehr großen inneren Unterschieden) annimmt. Jedoch ist es nicht eine Tondichtung im Sinn einer symphonischen Dichtung mit einem literarischen Programm, sondern im Sinn einer individuell erdachten Form mit einem sehr poetischen Gehalt.“http://www.karolszymanowski.pl/watchlisten/works/violin-concerto-no-1-op-35/ 14 „Szymanowski, durch Skizzierung einer komplexen musikalischen ‚Geschichte‘ inseiner instrumentalen Komposition, deren Materialdurch Veränderung von Gefühlen und Stimmungen zur Verfügung gestellt wird [...]. In Szymanowskis Werk gibt es kein Drama oderkeine Tragödie–vielmehr treffen wir hier auf scharfe, fast schmerzhaftsinnliche Spannungen und leidenschaftliche, ekstatische Verzückung, die aus den farbvollenund ungewöhnlichen,sogarmagischen Klangvorstellungen entwachsen.“http://www.karolszymanowski.pl/watch-listen/works/violin-concerto-no-1-op-35/ 43 Gebundenheitzwischen dem großen Ganzen vorzufinden ist. Das ganze Konzert ist auf ein paar Motiven aufgebaut. In diesem Werk gibt es keine übliche Unterteilung in verschiedene Tempi (schnelllangsam-schnell).Die großen Formteile werden, wie vorhin beschrieben, mit folgenden Bezeichnungen gekennzeichnet: Vivace assai(schnell), Vivace scherzando(schnell) und die Kadenz, die eine echte Solokadenz ist, nach der das Orchester wieder einsetzt. Das bedeutet, es gibt keinen Teil, der die Rolle eines langsamen Satzes spielen könnte. Vielmehr geht die Musik in der gleichen Weise weiter. Der mit Vivace scherzando bezeichnete Teilbeginnt virtuos, danach folgt das kontrastierende langsame Thema. In beiden Themen spielt die Solovioline die Hauptrolle. Diese zwei unterschiedlichen Teile wiederholen sich. Danach führt das Klavier eine neue, leidenschaftliche und stürmische Episode ein, in der das ganze Orchester zum ersten Mal in diesem Teil zusammen mit dem Solisten spielt. Nach dem Höhepunkt beruhigt sich die Atmosphäre wieder. Hier erscheint die Melodie aus dem ersten Teil, mit der das Konzert endet. Jedoch endet dieser Teil nicht in der ruhigen Stimmung, vielmehr folgt die stürmische Kadenz. Die Kadenzbesteht aus drei kontrastierenden Teilen. Der erste Teil ist eine Solokadenz, wodurch demSolistendie Gelegenheit gegeben wird, all seine expressiven Qualitäten zu zeigen. Die Kadenz ist sehr kompliziert und aufregend, in bestimmten Momenten sogar wild und stürmisch. Die Dynamik ist, passend zum Charakter, meistens sehr laut. Der zweite Teil kontrastiert zum ersten mit seinen tonalen Melodien und der warmen Expressivität, er ist sehr verschieden im Vergleich zur Zügellosigkeit des ersten Teils der Kadenz. An dieser Stelle ist der vorhin thematisierte Effekt des Kontrasts atonal – tonal erkennbar. Das Orchester (inklusive Klavier) spielt mit dem Solisten. Alles klingt wie ein Rückgriff auf das 19. Jahrhundert. Der dritte Teil ist in leiser Dynamik gehalten. Die Holzbläser verbreiten eine ruhige Atmosphäre, danach folgenkurze und witzige Passagen von ihnen und dem Klavier. Der Solist setzt ein und spielt eine wundervolle zarte Melodie im hohen Register. Das Konzert endet außergewöhnlich, nämlich sehr leise und ruhig. Nach den Flageoletts in der Solovioline spielen die tiefen Streicher Pizzicato. Nach einem kurzen Lauf des 44 Klaviers setzt die Solovioline mit einem Triller in hoher Lage ein, der vom Klavier mit mehreren kurzen Passagen in leiser Dynamik begleitet wird. Danach folgt eine kurze Passage nach oben und Pizzicato in den tiefen Streichern. Die Musik verschwindet. Ich habe dieses Werk viele Male mit großer Aufmerksamkeit gehört, und mit jedem Mal finde ich es interessanter und aufregender. Es gehört wirklich zu den schönsten Werken für Violine. 45 5. 4. Igor Strawinsky: Violinkonzert in D-Dur Das Violinkonzert von Igor Strawinskystellt den Prototypen des neuklassischen Violinkonzerts dar.DieArbeit an der Orchesterpartiturwurde am25. September 1931abgeschlossen und das Konzert wurde im selben Jahr am 23. Oktober in Berlin vom Radioorchester Berlin unter der Leitung des Komponisten und mit Samuel Dushkin als Solist uraufgeführt. Strawinsky schrieb sein Konzert für Violine und Orchester in Zusammenarbeit mit dem Geiger Samuel Dushkin. Dushkin war ihm eine große Hilfe, weilStrawinsky die technischen Möglichkeitendes Instrumentes nicht gut vertraut waren. Die Zusammenarbeit betraf die Komposition der Violinstimme, wohingegen die klanglichen Ideenbezüglich des Orchesters, der Solovioline sowie des gemeinsamen Klangs Strawinskys eigene waren. Das Konzert hat vier Sätze: Toccata, Aria I, Aria II und Capriccio. Jeder Satz beginnt mit demselben Akkord: d1-e2-a3 im Fortissimo. Dieser Akkord wird später als „Passport for the Concerto“ bekannt. Die Solovioline eröffnet das Konzert mit dem soeben erwähnten Akkord und drei folgenden Akkorden, von den Celli und Bässen unterstützt. Die Toccata klingt zunächst marschartig, aber zusätzliche, rhythmisch deplatzierte Akkorde untergraben diesen Charakter, den die Trompeten, mit Hörner und Fagotten unterstützt, etablieren wollen. Strawinsky, und das ist typischfür ihn, unterbricht die Phrasen plötzlich und unerwartet, und die verschiedenen Charaktere folgen nacheinander ohne Übergang. Das Metrum ändert sich sehr oft, während die Länge der Viertelnote unverändert bleibt. Das bedeutet,dass sich die Akzente unerwartet verschieben und der Hörer ein Gefühl von Unsicherheit bekommt. Schon im dritten Takt scheint eine Veränderung vom 3/4-Takt zum 2/4-Takt auf, zugleich ändern sich auch Farbe und Charakter. Während die ersten Akkorde etwas unvollständig klingen, klingt das Thema in der Trompete und danach in der Oboe weich und elegant. Im folgenden Notenbeispiel wird der Anfang des Konzerts gezeigt: 46 Notenbeispiel Nr. 9: Anfang des Konzerts Der zweite und dritte Satz – Aria I und II – stehen im Kontrast zueinander sowie zur Toccata und zum Capriccio. Die Aria I fängt mit dem „Passport“-Akkord und den drei folgenden Akkorden, dieses Mal im Pizzicato, an.Der Charakter ändert sich oft, aber die kleinen Übergänge machen die Veränderungen weicher als im ersten Satz. Die Orchestrierung ist durchscheinend und die grundlegende Dynamik istpiano; diesträgt zur Leichtigkeit des Satzes bei. Es gibt nur eine Stelle, an derfortissimo und fortezu spielen ist. Diese Anweisung gilt nur für den Solisten, das Orchester (auch die solistischen Instrumente) spielt nie lauter als mf. Diese Stelle ist zudem sehr kurz (ab Ziffer 68 bis Ziffer 71). 47 DerBeginn der Aria II klingt kraftvoller als die Anfänge deranderen Sätze. Dieser Satz, der langsame Satz des Konzerts,beginnt abermals mit dem berühmten Akkord, allerdings sind ihm ein B in der Posaune und ein Cis2 in der Klarinette hinzugefügt. DieSolovioline wirdvon Flöte und Trompete mithilfe derselben Figur unterstützt, die Flöte und die Solovioline spielen fast unisono, die Trompete eine Oktave tiefer. Das Capriccio ist lebendig und witzig. Der Eröffnungsakkord erklingt nur sehr kurz, die Soloviolinesetzt danach gleich mit brillanten D-Dur-Passagen fort. Auch in diesem Satz sind die verschiedenen Abschnitte gut erkennbar. Vor dem Ende des Konzerts gibt es eine besondere Stelle, nämlich ab Ziffer 117 bis Ziffer 119. Der Solist und der Konzertmeister spielen einen wunderschönen Dialog mit weniger Begleitung (nur die Streicher pizzicato in piano-Dynamik, ohne erste Geigen). 48 Notenbeispiel Nr. 10: Z. 117.-119. 49 Die Orchesterbesetzung ist eigentlich nicht klein – obwohl die Anzahl derStreicherverringertist –, aber das Werk klingt, als ob es für ein Kammerorchester komponiert wäre.Es gibt sehr wenige Tuttistellen, die zusätzlichmeist nur auskurzen Akkorden bestehen. Der Solist findet sich oft in der Rolle des Kammermusikers und manchmal übernimmt er die Begleitung. In diesem Werk arbeitet Strawinsky viel mit den Klangfarben und der Orchestrierung:„Stravinsky’s flair for making fresh presentations of the familiar is now here so evident in this concerto as in matters of color and texture.“15 Es gibt eine interessante Tatsache über Igor Strawinskys Violinkonzert. Es bildet die musikalische Grundlage für ein Ballett des berühmten Choreografen George Balanchine. Unter dem Namen „Balustrade“ wurde es von dem Original Ballet Russe von Colonel de Basil am 22. Jänner 1941 uraufgeführt. Im Jahr 1972 schufBalanchine eine neue Choreografie mit dem Titel „Strawinsky Violin Concerto“, die vom New York City Ballet im Zuge des Strawinsky-Festivals uraufgeführt wurde. 15 Michael Steinberg, http://www.sfsymphony.org/Watch-Listen-Learn/Read-ProgramNotes/Program-Notes/STRAVINSKY-Concerto-in-D-major-for-Violin-and-Orch.aspx, 2. 10. 2015 50 51 5. 5. Alban Berg: Violinkonzert, Dem Andenken eines Engels Alban Berg widmete sein Violinkonzertderachtzehnjährigen Manon Gropius, Alma Mahlers und Walter Gropius’ Tochter, dienur kurz zuvor an Kinderlähmung gestorben war. Berg und Alma Mahler waren gut befreundet und Berg schätzte auch ihre Tochter.Die Betroffenheit nach ihrem Tod nahm er zum Anlass, seinem Violinkonzert den NamenDem Andenken eines Engelszu geben, um an dieses tragische Ereignis zu erinnern. Das Werk weist zwei Sätze auf, wobei jeder Satz in zwei Teile unterteilt ist. Das Konzert ist in einer gewissen Hinsicht ein programmatisches Werk.Die vier Teile sind wie ein biographisches Portrait konzipiert: Der erste Teil stellt die Geburt des Mädchens dar, danach folgt die fröhliche Jugend, im dritten Teil bezieht er sich auf die schreckliche Krankheit und am Ende auf den Tod. Der erste Satz weist im Andante die klassische Sonatenform auf, gefolgt von einem Allegretto-Teil, der tänzerisch geprägt ist. In diesem Abschnitt verwendet der Komponist ein Volkslied, das in der Partitur als Kärntner Volksweise bezeichnet wird, mit dem Titel Ein Vogel auf’m Zwetschgenbaum. In seinem Buch„ Alban Berg, Violinkonzert“(1936)schrieb Rudolf Stephan, dass diese Melodie die Jugend des unglücklichen Mädchens (Manon Gropius) symbolisiert. Jedoch zeigt eine andere Quelle die Möglichkeit einer symbolischen Verbindung dieser Melodie zu Bergs ehemaliger Geliebter und der Tochter, die er mit ihr hatte.16 Der zweite Satz beginnt mit dem Allegro-Teil, der weitgehend auf einer einzigen wiederkehren den rhythmischen Zellebasiert. Dieser Abschnittkann als kadenzartig beschrieben werden und weist sehr schwierige Passagen in der Solostimme auf. Es handelt sich um einen vierstimmigen Kanon. Die Orchestrierungdes Höhepunktes weist einen brutalen Charakter auf(was in der Partitur wörtlich als „Höhepunkt des Allegro“ markiert ist). Der vierte und letzteAbschnitt, Adagio, ist in einer viel ruhigerenStimmung gehalten.Das Finale endet mit einem Zitat ausJohann Sebastian Bachs Choral Es ist genugaus der Kantate Nr. 60:O, Ewigkeit, du Donnerwort. 16 http://www.capriccio-kulturforum.de/orchestermusik/5549-berg-alban-violinkonzert-dem-andenkeneines-engels/ 52 Die Reihe, die als Grundlage dieser Komposition dient, endet mit vier Tönen, die aus der Eröffnung des soeben genanntenChorals übernommen wurden (h2, cis3, es3, f3) Der Requiemcharakter entsteht durch die Widmung Dem Andenken eines Engels und durch das Zitat des Chorals. Die ersten beiden Abschnitte des Konzerts symbolisieren das Leben, die beiden letzten Tod und Verklärung. Bergs Violinkonzert ist eine dodekaphonische Komposition. Es basiert auf einer Reihe aller zwölf Töne der chromatischen Tonleiter. Bergs Methode unterscheidet sich jedoch sehr stark von jener seiner Kollegen Arnold Schönberg und Anton Webern. Während Webern und Schönberg sich bemühten, tonale Implikationen zu vermeiden, hatte Berg eine komplett gegensätzliche Vorstellung von der Zwölftonmethode, denner versuchte, die tonalen Implikationen in der Zwölftonmusik zu finden. Anhand der von ihm verwendeten Reihe lässt sich dieses Bemühen erkennen, so weist jede Reihengestalt beispielsweise je zwei Moll- und Durdreiklänge auf, einen verminderten und einen übermäßigen Dreiklang sowie drei Ganztonschritte. Alle Töne sind in mehrfacher Weiseaufeinander bezogen. Das folgende Notenbeispiel zeigt diese Reihe: Notenbeispiel Nr. 11: Die Zwölftonreihe des Konzerts In der Partitur scheinen viele Bezeichnungen auf, die von Berg vorgegeben wurden. Neben den üblichen Bezeichnungen für Agogik und Dynamik, Tempo und Charakter findet man Hinweise darauf, dass ein bestimmtes Instrument in dem Moment ein Solo oder Begleitung spielt. Folgende Abkürzungen zeigen an, welche Funktion ein bestimmtes Instrument gerade innehat: H bedeutet Hauptstimme, N bedeutet Nebenstimme, II bedeutet, dass die bezeichnete Stimme den gleichen Rhythmus 53 (akkordtonbildend) wie eine Haupt- oder Nebenstimme aufweist, RH bedeutet Hauptrhythmus, CH im letzten Satz bedeutet Choralmelodie. Bläser spielen in der Instrumentierung dieser Partitur eine wichtige Rolle. Die Orchestrierung ist klar und jede Stimme ist in jedem Moment hörbar. Die Solovioline und die Bläser ergeben – so wie die Solovioline und die Streicher im tiefen Register – einen interessanten Kontrast. Das Violinkonzertist Bergs letztes vollendetes Werk. Das Werk wurde für den berühmten amerikanischen Geiger Louis Krasner geschrieben. Krasner, der die früheren Werke Bergs (die Oper Wozzeck und die Lyrische Suite fürStreichquartett) sehr schätzte, wollte, dass Berg für ihn ein Konzert schrieb und war bereit, für das Werk und das alleinige Aufführungsrecht für einige Jahre $ 1500 zahlen. Dies war ausschlaggebend dafür, dass Berg mit der Komposition des Violinkonzerts begann und sich auf die Suche nach neuen Wegen der Behandlung der Violine als virtuosem Soloinstrument machte. Bergs Violinkonzert wurde am 19. April 1936 auf dem 14. Musikfest der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik in Barcelona im Palau de la Música Catalana uraufgeführt, mit Louis Krasner als Solist und unter der Leitung von Hermann Scherchen. Die Aufführung des Werkeswarein unbestrittener Erfolg.Willi Reich schrieb1936 in der Schweizerischen Musikzeitung: „Die Uraufführung des letzten vollendeten Werkes Bergs, das Dem Andenken eines Engels gewidmeten Violinkonzerts (vom amerikanischen Geiger Louis Krasner vorzüglich gespielt), bedeutete eine wahre Sensation.“17Krasner konnte das Konzert bald darauf in den musikalischen Zentren außerhalb Deutschlands bekannt machen: London(unter der Leitung von Anton Webern), Wien (Otto Klemperer), Paris (Charles Münch) und in Amerika.Der Grund, warumdas Werk von Kritikern und Publikum sehr gut aufgenommen wurde, ist seine große romantische Ausdruckskraft. Es ist durch eine meisterhafte Kombination von tonalen und zwölftönigen Komponenten bei der Gestaltung der Melodie geprägt, und weist den vollen Klang eines großen Sinfonieorchesters in Verbindung mit einer sehr ausdrucksvollen Solostimme auf. 17 Stephan, Rudolf: Alban Berg Violinkonzert (1936), Wilhelm Fink Verlag, München 1988, S. 46 54 Alban Berg schaffte es aufgrund seiner Kreativität, Romantik und Expressionismus zu kombinieren, um eine Musik zu komponieren, die trotz ihrer Atonalität romantisch klingt. 55 5. 6. Benjamin Britten: Violinkonzert in d-Moll, op. 15 DasViolinkonzert von Benjamin Britten gehört zwar zu den bedeutendsten englischen Konzerten, allerdings wurde es in jener Zeit komponiert, als Britten im Asyl in Amerika war. Das Werk wurde in den Jahren 1938 und 1939 komponiert und am 29. März 1940 in New York mit Antonio Brosa und den New Yorker Philharmonikern unter der Leitung von John Barbirolli uraufgeführt. Britten selbst sprach über seine Werke sehr selten. Er vertrat die Auffassung, dass ein Komponist seine Werke nicht kommentieren soll; so sagte er einmal: „A composer’sjob is to create, not to comment; and this is not a theory, but a conviction & an inclination. I hate talking about my own music, or my own musical inclination, & avoid it whenever I can.“18 Aus diesem Grund kann man nicht mit Sicherheit sagen, ob die Annahme mancher Biografen Brittens stimmt, dass sein Violinkonzert als ein Requiem für die Opfer des spanischen Bürgerkriegs komponiert wurde. Diese Möglichkeit besteht, doch es gibt keine Dokumente des Komponisten, die dies bestätigen könnten. Man kann erkennen, dass Britten viele spanische Themen und Motive verwendete. Britten widmete das Konzert seinem ehemaligen Lehrer Henry Boys. Das Konzert hat drei Sätze, jedoch mit einer für das klassische und romantische Konzert sehr ungewöhnlichenAbfolge der Tempi: 1. Moderato con moto, Agitato, Tempo primo 2. Vivace,Animando, Largamente, Kadenzund 3. Andante lento(Passacaglia). Dieses Modell (drei Sätze: langsam – schnell – langsam) wurde zum ersten Mal von Sergei Prokofjew in dessen erstem Violinkonzert in D-Dur verwendet. Bei dem besagten Konzert handelt es sich um ein sehr originelles Werk. Es ist das erste Violinkonzert des 20. Jahrhunderts, in dem mit der traditionellen Satzfolge gebrochen wurde. Dem entsprechend ist es auch das erste Konzert des 20. Jahrhunderts, das 18 http://www.academia.edu/3999425/Benjamin_Britten_s_Violin_Concerto_A_Musicologic al_Narrative 56 langsam und weich endet. Eine weitere Neuerung stellt das Tubasolo dar. Britten wurde durch all diese Elemente inspiriert. Das Konzertbeginnt mit Paukenschlägen, das Fagott und die anderen Instrumente übernehmen diesen Rhythmus danach. Dieser Rhythmus bleibt als Ostinato das ganze Werk hindurch bestehen. Die Solovioline setzt leise über dem Orchestermit einer zarten Melodie ein. Danach folgt das etwas militärische Agitato, dem die zarte Melodie der Solovioline des Anfangs folgt. Am Ende des Satzes verbreitet sich zunehmend die totale Ruhe, er endet mit doppelten Flageoletts. Der zweite Satz ist sehr rhythmisch und wild im Charakter, weswegen er an den zweiten Satz aus dem ersten Violinkonzert von Prokofjew erinnert. Das Largamente stellt eine Unterbrechung dar, mit einer leidenschaftlichen, etwas orientalisch klingenden Melodie in der Solovioline. Die Kadenz stellt die Kulmination des Satzes dar: Motive aus dem ersten und zweiten Satz scheinen auf, zudem ist sie sehr virtuos und expressiv sowie mit vielen technischen Schwierigkeiten versehen. Die Kadenz leitet zum letzten Satz über. Die Passacaglia ist eine Variationen folge (in der Tradition der barocken Chaconne von J. S. Bach und Henry Purcell) auf einer tonal instabilen Bassstimme. Das erste Mal wird sie vom Fagott gespielt, während die Solovioline wieder das lyrische Thema des ersten Satzes spielt. Die Variationen weisen verschiedene Charaktere auf: lied-, tanz-, capriccio- und marschähnlichen Charakter. Am Ende erklingt im Orchester ein Akkord, der als Andeutung eines D-Dur-Akkordes verstanden werden kann, während der Solist mit einem Triller zwischen den Tönen F und Ges unentschieden bleibt. Das Konzert ist musikalisch und auch technisch durchwegs sehr anspruchsvoll. Es scheinen viele Doppelgriffe und Flageoletts auf, besonders die Doppelflageoletts stellen eine spieltechnische Herausforderung dar, was auch von der berühmten niederländischen Violinistin Janine Jansen in einem Interview19 betont wurde. 19 http://www.violinist.com/blog/laurie/20103/11103/ 57 5. 7. Die Violinkonzerte Béla Bartóks Der ungarische KomponistBéla Bartók (1881–1945) zählt zu den bedeutendsten Vertreter der nationalen Schulen des 20. Jahrhunderts. Er zeigte großes Interesse fürdie ungarischeFolkloresowie für dieVolkstraditionen derumliegenden Völker: Serben, Rumänen, Bulgaren.Erbefasste sich mitmusikethnologischerArbeit undsammelteTausende vonVolksliedern und Tänzenaus dieser Region. Aufseine eigene Art gelang esBartók, die künstlerischen Traditionendes Westensmit der ursprünglichen Folklore zu binden. Abgesehen von seinen früheren Werken, verwendet er keine Zitate von Volksliedern. Vielmehr greift er spezifische Elemente des Folklorematerials auf und integriert diese in seine expressionistische Kompositionsweise. In seinen Werken finden sich verschiedene folkloristische Elemente: modale Skalen und Pentatonik, modale, polymodale und polytonale Harmonien, asymmetrische Taktarten, die den Volkstänzen entstammen, komplexe rhythmische Muster, starke Akzente sowie häufige und plötzliche Veränderungen des Metrums. Bartóks BeiträgezurMusik für Violine sind von größter Bedeutung. Neben den beidenSonaten für Violine undKlavier, einerSolosonate, zweiViolinkonzertenund 44Duos20 müssenseine sechs Streichquartette erwähnt werden, dieeinenwichtigen Platzin der Musikdes 20. Jahrhunderts einnehmen. Im Folgenden werden die beidenViolinkonzerte thematisiert. Jahrelang galt das2.Violinkonzertals einziges Violinkonzert Bartóks. Es wurde für den ungarischen Virtuosen Zoltán Székely komponiert. Bartók plante, eine große Serie von Variationen zu schreiben, aber Székely wünschte sich ein traditionelles Konzert in drei Sätzen. Schließlich fand der Komponist folgende Lösung: Zwar weist das Konzert drei Sätze auf (Allegro non troppo, Andante tranquillo, Allegro molto), der zweite Satz ist jedoch eine Reihe von Variationen. Auch der dritte Satz ist eine Variation, weilhier Material des ersten Satzes aufgegriffen und variiert wird. Zwar 20 In Zusammenarbeit mit dem Geigenlehrer Erich Doflein schrieb Bartók die 44 Duos für zwei Violinen für Bildungszwecke (zur Überwindung der technischen Probleme durch Musizieren), die auch in der Öffentlichkeit aufgeführt werden können. 58 handelt es sich bei Bartóks Konzert nicht um ein zwölftöniges Werk, dennoch enthält es zwölftönige Themen. Notenbeispiel Nr. 12:Das zwölftönige Thema des ersten Satzes. Der erste Satz, Allegro non troppo ist rhapsodisch, die Themen sind breit angelegt und die Tempi wechseln sehr oft, sodass dieser Satz einen improvisatorischen Charakteraufweist. Jedoch sind sowohl die gesamte Partitur als auch die Solostimme sehr exakt notiert, woran manBartóks Bemühen um Eindeutigkeit erkennen kann.Dies wird durch dasfolgende Zitat, das sich auch auf die Solokadenz bezieht,illustriert: „Er legte viel Wert auf Genauigkeit und trug immer ein Metronom bei sich, um damit die Tempi zu kontrollieren, auch wenn er selbst spielte. In den Noten des zweiten Violinkonzerts stehen nicht nur viele, sondern auch sehr genaue Anweisungen bezüglich Tempi, Dynamik und Ausdruck.“21 Der zweite Satz, Andante tranquillo,ist ein Thema mit Variationen. Das Thema ist schlicht und weist eine dunkle Klangfarbe auf;von Streichern imtiefen Register, Harfe und Paukenwird es begleitet.Im Verlauf vonsechsVariationen entwickelt sich das Thema,es wächst und wirdaggressiver. Schlussendlich kehrt es dann wieder zum ursprünglichen Charakter zurück. Im Allegro molto werden die im ersten Teil vorgestellten Ideen verwendet. Ursprünglich plante Bartók, die letzten 26 Takte nur vom Orchesterspielen zu lassen. Hier äußerte Zoltán Székely noch einmal seine Missbilligung und der Komponist war 21 http://www.br.de/radio/br-klassik/sendungen/das-starke-stueck/starke-stuecke-bartok-violinkonzertnr-x100.html 59 dazu gezwungen, eine neue Version, in der der Solist mit dem ganzen Orchester bis zum Ende spielt, zu schreiben. In Jahren 1937–1938 geschrieben gehört dieses Werk zu den späten Werken Bartóks und weist seinen gut erkennbaren Stil auf. Schon amAnfangistdie kompositorische Tendenzzur Verwendung einerspezifischenMelodik erkennbar. Die Violinstimme ist sehr anspruchsvoll. In Zusammenarbeit mit Erich Doflein lernte Bartók viel über die technischen und expressiven Möglichkeiten der Violine. Dieses Wissen setzte er insbesondere bei der Komposition dieses Werkes ein. Das Violinkonzert Nr. 2 wurde am 23. März 1939 mit Zoltán Székely als Solist und demAmsterdam Concertgebouw Orchester unter der Leitung von Willem Mengelberg uraufgeführt. Bartókserstes Violinkonzert Bartóks erstes Violinkonzert blieb dem Publikum für viele Jahre unbekannt. Er komponierte es in den Jahren 1907–1908 – 30 Jahre vor dem zweiten Konzert –für seine damalige Geliebte, die junge Violinistin Stefi Geyer. Im ersten Satzstellte Bartók die idealisierte Stefi Geyer dar, göttlich und demütig; im zweitenporträtierteer ihre fröhliche undwitzigeSeite. Seine ursprüngliche Ideefür einendritten Satz wurdenie erforscht, möglicherweise war es seine Absicht, die „indifferente, kalte und leise Stefi Geyer“22zu porträtieren. Dieses Werk ist ein typisches Beispiel für ein Solokonzert mit einer ungewöhnlichen Form. Es besteht aus zwei Sätzen, wobei der schnelle Satz (Allegro giocoso)nach dem langsamen (Andante sostenuto) folgt. Der erste Satz strahlt Zärtlichkeit aus und die Phrasensindklar und harmonisch, während die Dynamik leiser bleibt. Der zweite Satz steht ganz im Gegensatz zum ersten. Er ist sehr virtuos und hat einen spielerischen Charakter mit vielen Doppelgriffen und schnellen Passagen in der Solostimme. Bereits in diesem frühen Werk zeigt sichdie Faszination, welche die Volkstraditionen auf den Komponisten ausübten. Bemerkenswert sind zwei scheinbar 22 http://web.archive.org/web/20040620030336/http://www.cso.org/main.taf?p=5,5,1,42 60 entgegengesetzte, aber sehr schön kombinierte Tendenzen. Auf der einen Seite ist der Wunsch des Komponisten sichtbar, romantische Gefühle auszudrücken, und auf der anderen Seite bemüht er sich, diese Gefühle mithilfe der modernen musikalischen Sprache zu artikulieren. Er sucht neue Wege durch die Verwendung von folkloristischen Elementen, nämlich spezifische Intervalle, Melodik, Harmonik und Rhythmik. 61 5. 8. Arnold Schönberg: Violinkonzert op. 36 Schönberg erlangte wegen seiner Ausweitung der traditionellen Harmonik, wie sie sich bei Brahms und Wagner zeigte, bereits früh in seiner Karriere Bekanntheit. Die musikalische Sprache von Max Reger, der die Tonalität bis zur letzten Grenze erweiterte, hatte einen großen Einfluss auf Schönberg. In seinen Kompositionen ging Schönberg einen Schritt weiter und verließ alle tonalen Verbindungen. Er widmete sich der Atonalität, die zu einem der wichtigsten Merkmale des 20. Jahrhunderts wurde. In den 1920er Jahren erfand er ein neues Kompositionssystem, aus dem er die Zwölftontechnik entwickelte. Das Zwölftonsystem sollte das frühere System ersetzen, nicht nur in Schönbergs Kompositionen. Erist als der ältesteVertreter derZweiten Wiener Schule bekannt.23Mehrere Komponisten übernahmen und entwickelten seine Ideen weiter und verwandten die Schönberg’sche kompositorische Organisationsweise und Technik. Im Jahr 1936 schrieb Arnold Schönberg sein Konzert für Violine und Orchester op. 36 in Amerika, nachdem er 1934 vor den Nazis geflohen war. Dabei handelt es sich um eines der ersten größeren Werke aus dieser Zeit. Obwohl das Konzert 1936 komponiert wurde, gibt es Skizzen aus den Jahren 1922 und 1927.Sie zeigen, dass er schon früher den Plan hatte, ein Violinkonzert zu schreiben. Als Grundlage dieses zwölftönigen Werks dient eine für Schönberg charakteristische Reihe, die aus zwei ähnlichen Hexachorden besteht. Die wichtigsten Elemente sind die Halbtonschritte am Anfang jedes Hexachords und der Tritonus, der insgesamt vier Mal erscheint.Das folgende Beispiel zeigtdieGrundreihe. 23 „Als Zweite Wiener Schule wird in der Musikgeschichte der sich um Arnold Schönberg(darum auch Schönberg-Schule genannt) am Beginn des 20. Jahrhunderts in Wien herausbildende Komponistenkreis genannt, der maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung der Neuen Musik ausübte. Neben Schönberg gehörten zum engeren Kreis noch seine beiden Schüler Alban Berg und Anton Webern […] (später kamen deren und weitere Schüler von Schönberg dazu). Nach einer Phase freier Atonalität (ab 1908) entwickelte Schönberg Anfang der 1920er Jahre die so genannte Zwölftontechnik, die seine Schüler übernahmen und eigenständig modifizierten und weiterentwickelten.“ https://de.wikipedia.org/wiki/Wiener_Schule_%28Moderne%29 62 A-B-Es-H-E-Fis-C-Cis-G-As-D-F Beispiel Nr. 13:Die Grundreihe des Konzertes Jeder der drei Sätze beginnt mit der Kombination von Tönen aus der Grundreihe und der Umkehrung, nicht transponiert oder quinttransponiert. Jedes Mal fängt die Solovioline mit der Grundreihe an und spielt alle Töne horizontal. Die Verwendung der Reihe im weiteren Verlauf der Sätze ist nicht systematisch und mehrere Kombinationen erscheinen. Das Konzert ist in einer dicht gefügten, polyphonen Satztechnik komponiert, mit einer virtuosen und brillanten Gestaltung des Soloparts. Schönberg entschied sich für die traditionelle Dreisätzigkeit, obwohl er die innere formale Organisation auf eine besondere Weise behandelte. Es gilt als eines der schwierigsten Werke der gesamten Violinliteratur. Das Konzert wurde am 6. Dezember 1940 vom Philadelphia Orchestra unter der Leitung von Leopold Stokowski und mit Louis Krasner als Solist in Philadelphia uraufgeführt. Die Aufführung wurde vom Publikum missbilligt. Ein Großteil der Zuhörer verließ den Konzertsaal noch vor dem Ende des Konzerts. Das Werk wird, unter anderem, als sehr ungemütlich beschrieben. 63 5. 9. Aram Chatschaturjan: Violinkonzert in d-Moll, op. 46 Das Violinkonzert ist eines von Chatschaturjansschönsten und populärsten Werken. Im Sommer des Jahres 1940 war der Komponist sehr inspiriert und komponierte seine besten Werke. Das Konzert wurde in sehr kurzer Zeit(in nur zweieinhalb Monaten) geschrieben, und Chatschaturjan erinnerte sich, dass er einige Schwierigkeiten hatte, alle Ideen aufzuschreiben: „I was writing it with strong enthusiasm. I was overflowing with musical ideas, surpassing the speed of their writing on the note paper.“24 Das Konzert wurde am 16. September 1940 in Moskau bei den Tagen der SowjetMusik unter der Leitung von A. V. Gauk uraufgeführt.Der Solist war der junge David Oistrach, dem das Werk auch gewidmet ist. Das Werk hinterließ einen starken Eindruck auf ihn und er war sehr glücklich und stolz, dass er die Chance bekam, dieses Werk vor allen anderen zu spielen: „I clearly remember the summer day of 1940, when A.Khachaturian came to our residence in the country [...]. A new outstanding work was obviously born and would have to live a great life at the concert stage. My violin was destined to put the beginning of this life.“25 Die Uraufführung fand im neuen P. I. Tschaikowski-Saal statt und im Publikum waren viele bedeutende Komponisten: Sergej Prokofjew, Dmitri Schostakowitsch und Nikolai Mjaskowski (Chatschaturjans Lehrer am Moskauer Konservatorium). Das Werk wurde sofort sehr gut und mit Begeisterung angenommen. Die originellen, witzigen undschönen Melodien und die nationalen Anklänge trugen dazu bei, dass das Konzert auch für den normalen Hörer leicht verständlich war, was damals sehr wichtig war. Schon nach der Uraufführung konnte man sagen, dass es lange nach dieser Zeit gespielt werden würde. Es erlangte große Popularität vor und während dem Zweiten Weltkrieg. In dieser Zeit konnte man es oft im Radio hören. Wegen 24 http://www.khachaturian.am/eng/works/koncert.htm 25 „Ich erinnere michdeutlich an denSommertag1940, als A. Chatschaturjan zu unserer Residenz am Land kam[...]. Ein neues herausragendes Werk war offensichtlich geboren und würde ein großes Leben auf der Konzertbühne zu leben haben. Meine Geige war dazu bestimmt, den Beginn dieses Lebens zu markieren.“http://www.khachaturian.am/eng/works/koncert.htm 64 seinem optimistischen Charakter und den nationalen Anklängen war es eine Art moralische Unterstützung für die Welt des russischen Volkes, die durch den Krieg zerstört war: „[…]helping endure distresses with its vivid character, vital energy, and strengthening the belief in the future and the victory.“26 In kurzer Zeit erlangtedas Werk Anerkennung auf der ganzen Welt, und es wurdeschnellimmer beliebter. Heute wird es oft gespielt, sowohl im Zuge der Musikausbildung als auch im Konzertsaal. Alle renommierten Violinisten haben dieses Konzert in ihrem regelmäßigen Repertoire. Das Violinkonzert von Aram Chatschaturjan ist auch bezüglich des politischen Aspekts interessant. In der Zeit, in der Chatschaturjan dieses Werk schrieb, war Josef Stalin als Sekretär der Kommunistischen Partei (ab 1922) schon lange Zeit der Führer der UdSSR. Im Jahr 1928 startete er eineKampagne zur Zwangskollektivierung des Landes und ab 1930 begann die Zeit des politischen Terrors. Die Bevölkerung litt unter dem schrecklichen Druck und viele Menschen wanderten nach Europa aus. Unter Stalins Regime wurden, unter anderem, Intellektuelle verfolgt, in die Gulags verbannt und liquidiert. Alle Medien standen unter strenger Kontrolle und viele künstlerische Werke (Musik, Literatur, Malerei) unterlagen der Zensur. Die Kunst musste den Geist des russischen Volkes darstellen und hatte vor allem im Einklang mit den Regeln der Partei zu sein. Künstler mussten ihre Werke für die riesigen Volksmassen schaffen und nicht für die kleine Elite. Musik und Bilder durften nicht modern sein, sondern traditionell und einfach zu verstehen. Der nationale heroische Charakter war erwünscht, und man sollte in einem Musikstück die Liebe für das Vaterland und den Kommunismus erkennen. Deswegen wurden in dieser Zeit viele Hymnen komponiert. Inmitten dieser Situation wurde das Violinkonzert von Chatschaturjan von Stalin sofort als das gute nationale Werk erkannt. Es hatte alles, was für ein Musikstück unbedingt notwendig war: einen optimistischen Charakter, eine romantische Melodik und Elemente russischer Volksmusik. 26 http://www.khachaturian.am/eng/works/koncert.htm 65 In seinem Violinkonzert verwendete Chatschaturjan eine traditionelle romantische Melodik mit Elementen russischer Volksmusik. Die drei Sätze weisen die Charaktere und Tempi auf, die für das traditionelle Solokonzert üblich sind: 1. Allegro con fermezza 2. Andante sostenuto 3. Allegro vivace Das Orchester eröffnet zwar das Konzert, dennoch gibt es keine Orchesterexposition. Gleich nach der kurzen Einleitung erscheint das markante rhythmische Thema in der Solovioline. Im weiteren Verlauf führen Orchester und Solovioline immer einen Dialog, während dem sie die Phrasen zusammen bilden. Das Thema wird in dem Satzvielmals verarbeitet und wiederholt. Der Übergang zum zweiten Thema kommt plötzlich und unerwartet. Nach der Melodie in der Oboe setzt die Solovioline mit dem Thema ein. Das zweite Thema ist viel langsamer und unterscheidet sich deutlich vom ersten Thema. Es ist sehr ausdrucksvoll und leidenschaftlich. Man bemerkt orientalische Merkmale der Melodie, die hier viel offensichtlicher sind als im ersten Thema. Die Solokadenz scheint in der Mitte des Satzes auf und beginnt mit dem leidenschaftlichen zweiten Thema. Das musikalische Material ist mit verschiedenen Läufen angereichert. Die Solovioline spielt die kurzen Läufe und die Klarinette wiederholt sie. Des Weiteren erscheint auch das erste Thema, zuerst nur für einen Augenblick, aber vor dem Ende der Kadenz in seiner vollständigen Form. Während der gesamten Kadenz hat man den Eindruck, als ob zwei Violinen spielen würden. Die betrifft aufgrund der Registerwechsel und den eigenartigen Akzenten insbesondere den Einstieg des ersten Themas. Die Reprise folgt gleich nach der Kadenz. Jetzt spielt die Klarinette das Thema, welches von der Solovioline danach übernommen wird. Mit dem abermaligen Erscheinen des ersten Themas schließt der Satz. Der zweite Satz wird von den tiefen Bläsern und Streichern eröffnet. Nach der kurzen Einleitung setzt die Solovioline mit dem Thema ein. In diesem Satz erkennt man sehr deutlich die orientalischen und russischen melodischen Elemente. Er weist eine ausgesprochen tragische Atmosphäre auf. Das Thema erscheint als Einleitung 66 zuerst im Fagott, danach übernimmt es die Solovioline und behält es nahezu während des gesamten Satzes bei. Die Begleitung ist dezent, während die Klarinette und Oboe kurze Bravuren spielen. Die Orchestereinwürfe beunruhigen und betonen den tragischen Charakter. Der dritte Satz ist schnell und sehr virtuos, mit einem tänzerischen Charakter. Die Orchestereinleitung klingt sehr militärisch, danach setzt die Solovioline mit ihrer optimistischen und fröhlichen Melodie ein. Das Thema der Solovioline wird in einigen Momenten durch das militärische musikalische Material des Satzanfangs unterbrochen. Das zweite Thema kontrastiert wie auch im ersten Satz sehr stark zum vorherigen musikalischen Material, vor allem durch seine Seriosität. Während das erste Thema mit Leichtigkeit und Sorglosigkeit strahlt, weist das zweite Thema einen etwas tragischen Charakter auf. Dieser Unterschied wird unter anderem durch die Registerunterschiede der Solovioline betont. Hier hat der Solist die Möglichkeit, sein musikalisches Potenzial auszudrücken. Wenn das erste Thema wieder erreicht wird, wird es in wildem Lauf zu Ende geführt. Der Aufbau dieses Satzes ist mit dem ganzen Werk vergleichbar: Die schnellen äußeren Sätze umschließen den langsamen mittleren Satz. 67 5. 10. Erich Wolfgang Korngold: Violinkonzert in d-Moll, op. 35 Korngold wurde im Jahr 1897 in Österreich geboren. Er fing sehr früh an, Klavier zu spielen. Mit acht Jahren schrieb er Klavierstücke und mit elf ein Ballett. Im Alter von 20 Jahren schrieb Korngold seine erste Oper und avancierte in den folgenden Jahren zum populärsten Opernkomponisten in Europa. Im Jahr 1934 verließ Korngold wegen den Nazis seine Heimat undging nach Los Angeles, wo er sich der Filmmusik widmete. Seine Musik für Filme war ihm nicht weniger wichtig als seine Opern. Für ihn waren die Filme „opera without singing“27. In diesem Bereich erreichte Korngold große Erfolge. Nach dem Zweiten Weltkrieg entschied er sich, Musik für den Konzertsaal zu komponieren. Bei der ersten dieser Kompositionen handelte es sich um das Violinkonzert op. 35 in D-Dur, das er auf das Zusprechen des Geigers Bronislaw Huberman schrieb. Die Partitur stellte er im Jahr 1945 fertig und das Werk wurde am 15. Februar 1947 mit dem St. Louis Symphony Orchestra, Vladimir Golschmann als Dirigent und Jascha Heifetz als Solist uraufgeführt. Das Werk wurde vom Publikum sofort außerordentlich gut angenommen. Jedoch war es in der Zeit der atonalen Musiksehr außergewöhnlich, dass ein berühmter Komponist eine solch traditionelle tonale Komposition schrieb. In seinem Text schrieb Tom Nolan folgendes über die negative Kritik, die das Werk bekommen hatte: „But influential East Coast critics were not kind to this gorgeous music that seemed so out of step with postwar atonalism. ‚More corn than gold‘, sniffed the New York Sun’s Irving Kolodin.“28 Das Violinkonzert wurde Alma Mahlergewidmet, der Witwe des ehemaligen Professors Korngolds, Gustav Mahler. Das Werk ist sehr virtuos und technisch anspruchsvoll, aber es enthält auch viele lyrische Episoden. Dadurch bedarf es einergroßen Sensibilität des Solisten. Nachdem Jascha Heifetz das Konzert in der Carnegy Hall am 30.März 1947spielte, war Korngold sehr zufrieden. Erschrieb: 27 Tom, Nolan: http://www.wsj.com/articles/SB10001424052748704804204575069461091400560 Tom, Nolan: http://www.wsj.com/articles/SB10001424052748704804204575069461091400560 28 68 „In spite of the demand for virtuosity in the finale, the work with its many melodic and lyric episodes was contemplated for a Caruso than for a Paganini. It is needless to say how delighted I am to have my concerto performed by Caruso and Paganini in one person: Jascha Heifetz.“29 Jascha Heifetz trug viel zur Popularität des Werks bei. Dieses Konzert wurde fixer Bestandteil des Violinrepertoires und wurde schnell zu Korngolds berühmtestem Werk. Heutzutage wird es selten im Konzertsaal gespielt, aber viele bedeutende Violinisten haben dieses Konzert aufgenommen, darunter Itzhak Perlman, Gil Shaham, Anne-Sophie Mutter, Philippe Quint und Hilary Hahn. An dieser Stelle muss der Dirigent André Previn erwähnt werden, weil er dieses Konzert mit drei verschiedenen Solisteneinspielte. In alle Konzertwerke übernimmt Korngold thematisches Material aus seinen Filmpartituren, das Violinkonzert ist das aufregendste Beispiel dieser Praxis. Im ersten Satz verwendet er die Themen aus „Another Dawn“(1937) und „Juarez“ (1939); im wundervollen zweiten Satz verwendet er die Musik aus dem Film „Anthony Adverse“ (1936), für die er den Oscar gewann; und einige Teile des dritten Satzes entstammen der Musik für „The Prince and the Pauper“ (1937). Das Konzert ist somit eine Kombination aus der Filmmusik der1940er Jahre, virtuosen Elementen in der Solostimme und der romantischen Handhabung der Melodik und Harmonik. Der Orchesterapparat ist groß besetzt: mit allen Holzbläsern und einer riesigen Palette an Schlagwerk: Pauken, Große Trommel, Gong, Röhrenglocken, Glockenspiel, Xylophon, Vibraphon, Becken und Celesta, die eine koloristische Funktion haben. Das Violinkonzert weist folgende Sätze auf: 1. Moderato nobile 2. Romance (Andante) 3. Finale (Allegro assai vivace) 29 http://www.wsj.com/articles/SB10001424052748704804204575069461091400560 69 Das Konzert wird von der Solovioline mit einer wundervollen, lyrischen Melodie im hohen Register, die mit einer kleinen Kadenz endet, eröffnet. Nach der kurzen Solokadenz kehrt das Thema wieder, dieses Mal im Orchester, während die Solovioline neues motivisches Material einführt. Dieses neue motivische Materialentwickelt sich zum neuen Thema. Das zweite Thema weist einen kontrastierenden Charakter auf, es ist motorisch und bewegter, mit einer neuen Melodik und Klangfarbe. Das Hauptthema scheint wieder in der Solovioline auf und es entwickelt sich bis zur Solokadenz. Das Hauptthema wird nach der Solokadenz mit vollem und wirklich grandiosem Klang vom Orchester gespielt. Man erwartet, dass dieses Mal das Orchester den Satz zum Schluss bringen wird, aber der Komponist schiebt das Ende auf und bearbeitet das Thema erneut. Schlussendlich beendet die Solovioline die letzten raschen Läufe und schließt mit Unterstützung der hohen Streicher und Holzbläser (kurz vor dem Ende auch Trompete, Celesta, Harfe und Becken) den ersten Satz. Das nächste Notenbeispiel zeigt die letzten acht Takte der Solovioline und der Streicher. 70 Notenbeispiel Nr. 14: Ende des ersten Satzes, Solovioline, Streicher Der zweite Satz ist ein romantischer, langsamer Satz, aber trotzdem bewegend (der Komponist wählte als Tempo Andante).Er ist sehr ausdrucksvoll, meiner Meinung nacheiner der schönsten Sätze für Violine und Orchester. Der Klang ist warm und der Charakter ist etwas melancholisch. Nach der kurzen Orchestervorbereitungvon acht Takten im Dreivierteltakt setzt die Solovioline mit der wundervollen Melodie in piano dolce ein. Das Thema der Violine beginnt zwar im Viervierteltakt, aber gleich der nächste Takt ist wie der im Dreivierteltakt. Diese Veränderungen des Metrums 71 sind typisch für diesen Satz. Das Metrum wechselt zwischen 3/4, 4/4 und 2/4. Im kontrastierenden mittleren Teil (Poco meno (misterioso)) wechselt das Metrum zwischen 6/8, 9/8 und 12/8.In diesem Teil spielt die Solovioline mit Dämpfer und der Klang ist etwas kälter. Auch die Melodik wechselt ihren Charakter; sie ist neu und modern, die Tonart ist nicht klar definiert. Der Charakter und Melodik dieses Teils werden mit den Akkorden der Holzbläser vorbereitet. Im weiteren Verlauf spielt die Solovioline die Melodie, während Soloklarinette, Flöte und Celesta kurze Antworten geben. Der Übergang zur Reprise ist weich und natürlich. Im ganzen Satz scheint das Thema immer in der Solovioline auf, und das Orchester unterstützt sie. Der Komponist verwendet viele verschiedene Instrumentengruppen, um neue Klangfarben zu erreichen. Diese außerordentlichen Farben tragen zu einem etwas moderneren Klang des Werks bei. Das Finale ist im Wesentlichen ein witziger und tänzerischer Satz mit folkloristischem Charakter. Das tänzerische erste Thema und die schnellen Läufe werden mit dem lyrischen zweiten Thema unterbrochen. Diese langsamen Teile entstehen aber sehr logisch und weich aus dem wilden Charakter des Satzes. Das Motiv, auf dem das wundervolle zweite Thema basiert, stammt aus dem Film „The Prince andthePauper“. Der Anfang des Satzes ist schnell und virtuos. Gleich nach dem lauten Akkord des Orchesters spielt die Solovioline das erste Thema staccato, während die Begleitung im Orchester sehr dezent bleibt. Das Orchester, dessen Holzbläser an dieser Stelle dominieren, antwortet dann dem Solisten und die Solovioline spielt Akkorde pizzicato.Interessant sind die unerwarteten Akzente, die dem Thema einen bestimmten folkloristischen Impulsgeben. Während die Solovioline Sechzehntel spielt, erklingen in den Streichern pizzicato Quartolen, was den Eindruck erweckt, dass Violine und Streicher nicht ganz zusammen wären. Im folgenden Beispiel werden sowohl Akzente als auch die Quartolen gezeigt: 72 Notenbeispiel Nr. 15:Der erste Einsatz des Themas. Währenddes ganzen Satzes kommunizieren das Orchester und die Solovioline in dieser Weise. Sie spielen miteinander wie zwei Kinder, mit zwischenzeitlichen Beruhigungen. Das thematische Material wird immer wieder verarbeitet und mit neuen rhythmischen Figuren und Klangfarben aufgefrischt. Um bestimmte Farben zu erreichen, verwendet der Komponist nicht nur die verschiedenen Orchestergruppen, sondern auch besondere Spieltechniken, z. B. Pizzicato, Ricochet und Glissandi, in den Streichern ebenso wie in der Solostimme. Die Solostimme ist außergewöhnlich virtuos und anspruchsvoll, aber alle Bravuren, Doppelgriffe, Läufe und Akkorde stören nicht den musikalischen Verlauf, sondern sind der Schönheit der Musik dienlich. 73 5. 11. Dmitri Schostakowitsch: Violinkonzert Nr. 1 in a-Moll, op. 77 „Indeed, the range of expression here is unusually wide, and this, combined with its wealth of color, makes it one of a handful of truly great violin concertos, right up there with those by Beethoven, Brahms, Sibelius, Mendelssohn, Tchaikovsky, and perhaps one or two others.“30 Mit diesen Worten beschreibt David Hurwitz31 Dmitri Schostakowitschs Violinkonzert in seinem Buch Symphoniesand Concertos. Das Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 in a-Moll op. 77 zählt zu den größten Violinkonzerten, was seinem breiten Farbspektrum und seinem großen Umfang des Ausdrucks zu verdanken ist. Zudem weist es eine sehr besondere kompositorische Form auf. Es handelt sich um eine Suite,die aus einer Kombination barocker und klassischer Formen sowie auch aus Stücken mit romantischem Charakter besteht, nämlich Nocturne, Scherzo, Passacaglia und Burlesque. Dieses Verfahren wurde von Schostakowitsch schon früher verwendet. Zum ersten Mal scheint es in seinem Klavierquintett (1940) auf, dann entwickelte er seine neuen Ideen im Streichquartett Nr. 2 (1944) weiter. Das Violinkonzert Nr. 1 ist das einzige Orchesterwerk,dem ausschließlich diese Formlösung zugrunde liegt. Schostakowitschkomponierte sein erstes Violinkonzert1947–48. In diesen Jahren war noch das sogenannte Schdanow-Dekret32 gültig. Schostakowitsch war vondiesen Denunziationenbetroffen, weswegen das Werk zunächst nicht aufgeführtwerden konnte.Erst nach Joseph Stalins Todkonnte es am 29. Oktober 1955 mit David Oistrach als Solist und denLeningrader Philharmonikern unter der Leitung vonJewgeniMrawinskiuraufgeführt werden. Zu dieser Zeit galt Schostakowitsch schon als der berühmteste russische Komponist und das Violinkonzert wurde sowohl vom Publikum als auch von der Kritik sehr gut 30 Hurwitz, David: Symphoniesand Concertos, S. 114.„In der Tat ist hier der Bereichdes Ausdrucksungewöhnlich breit, und dies,in Kombination mit dem Reichtum anFarben, macht eszueinemderwenigenwirklichgroßenViolinkonzerte, auf gleicher Höhe mitdenenvonBeethoven, Brahms,Sibelius, Mendelssohn, Tschaikowskyundvielleichtein oder zweianderen.“ 31 David Hurwitz schreibt über klassische Musik und ist Kritiker und Schlagwerker. 32 Im Jahr 1946 veröffentlichte der Parteisekretär Andrei Schdanowein Dekret über die strenge staatliche Kontrolleder Künste, und der Kampf gegenwestliche Einflüsse. 74 aufgenommen. So schreibt Hurwitz beispielsweise: „It is without doubt a milestone in twentieth-century music.“33 Das Konzert wird sehr oft gespielt und nimmt einen wichtigen Platz im Repertoire aller großen Violinistenein. Dererste Satz (Nocturne: Moderato)istdurch eine nur undeutlich wahrnehmbare Tonalität geprägt. Die Harmonik ist durchwegs chromatisch und instabil. Im Gegensatz dazu enthält die Melodik motivische Elemente, die leicht erkennbar sind, wenn sie erscheinen. Bereits der erste Einsatz der Celli und Bässe und die Melodie, welche von der Solovioline gespielt wird, sind von diesen motivischen Elementen geprägt. Die Instrumentierung weistein Übergewicht der Holzbläser im tiefen Register, Bassklarinette, Posaune und Kontraposaune auf. Am Ende des Satzes bleiben nur Harfen, Celesta und Tamtam übrig. Diese Instrumenteerklingen nur in diesem Satz und sie tragen zur fantastischen Atmosphäre bei. Der zweite Satz (Scherzo: Allegro) weist eine klassische Sonatenform auf. In diesem Satz verwendet Schostakowitsch zum ersten Mal sein musikalisches Akronym, das aus dem ersten Buchstaben seines Vornamens(D)und den ersten drei Buchstaben seines Nachnamens auf Deutsch besteht (SCH: S = Es, C, H = B). Dieses Motiv verwendete er in vielen Werken, z. B. im Klaviertrio Nr. 2, in der Klaviersonate Nr. 2, in den Symphonien Nr. 10 und 15 oder im Streichquartett Nr. 8. In diesem Satz scheint dieses Motiv zum ersten Mal auf,die Solovioline spielt es sehr lautnachdem grotesken Lauf in allen Holzbläser. Dieser Satz ist auch wegen des Einsatzes von Tamburin und Xylophon, welche das zweite Thema spielen, interessant.Schostakowitsch verwendet das Tamburin nur ein einziges Mal in seinem ganzen Opus, nämlich in diesem Satz. Das zweite Thema weist einen jüdischen Charakter auf. Schostakowitsch interessierte sich sehr für die jüdische Musik und integrierte ihre Elemente in viele spätere 33 Hurwitz, David: Symphonies and Concertos, S. 115. 75 Kompositionen; diese Auseinandersetzung ist beispielsweise im Liedzyklus From Jewish Folk Poetry offensichtlich.34 Über den dritten Satz (Passacaglia: Andante) schrieb Hurwitz Folgendes: „This movement, the heart of the work, achieves a passion and nobility of spirit virtually unequalled in the violin-concerto literature.“35 Die Passacaglia ist eine Folge von neun Variationen des Themas, welches die ungewöhnliche Länge von 17 Takten aufweist. Diese ungeradeTaktanzahl ermöglicht die Flüssigkeit des Werkes. Das gleiche Motiv wird in der Bassstimmewiederholt, es dient als Grundlage der Variationen. Nach den neun Variationen folgt die Coda. In diesem Satz sind Piccoloflöte und Flöte völlig ausgenommen und so schuf der Komponist eine warme Atmosphäre, obwohl die Partitur sehr zurückhaltend instrumentiert ist.Zusammen mit der hauptsächlich diatonischen Harmonik trägtdiese Eigenschaft dazu bei, dass sich der dritte Satz stark vom dunklen ersten Satz des Konzertes unterscheidet. 1. Variation: Das Thema erklingt in den Celli und Bässen. Es wirkt dunkel und etwas tragisch. Die Hörner spielen über den Streichern eine feierliche Melodie. 2. Variation: Tuba und drittes Fagott übernehmen das Thema, während das Englischhorn und die Klarinetten zusammen mit den restlichen Fagotten einen Choralmit einem liturgischen Charakterspielen. Es scheint, als ob eine Orgel spielen würde. 3. Variation: Das Thema erklingt in den Celli und Bässen. Violinen und Violen spielen den Choral. Die Solovioline erscheint zum ersten Mal in dieser Variation.Sie spielt eine zarte und warme Melodie, während das Thema in den Celli und Bässen als Klangteppich hörbar ist. 34 Hurwitz, David: Symphonies and Concertos An Owner’s Manual, Amadeus Press, 2006, S. 117 35 Hurwitz, David: Symphonies and Concertos, An Owner’s Manual, Amadeus Press, 2006, S. 117 76 4. Variation: Das Thema und der Choral erklingen so wie in der dritten Variation, Englischhorn und Fagotte spielen die Melodie, die die Solovioline zuvor vorgestellt hat, während die Soloviolinedie Melodie weiterentwickelt. 5. Variation: Die Hörner spielen das Thema. Die Geigen spielen den Choral und die Holzbläser schließen sich später an. Celli und Bässe spielen die Solomelodie aus der vierten Variation und die Solovioline setzt ihr Spiel mit immer größer werdender Leidenschaft fort. 6. Variation: Hörner, Celli, Bässe und Tuba übernehmen das Thema. Violinen und Violen behalten den Choral bei. 7. Variation: In dieser Variation erklingen lediglich die Streicher. Sie stellt den Höhepunkt des Satzes dar. Die Violinen und Violen spielen den Choral, die Celli und Bässe spielen den melodischen Kontrapunkt und der Solist das Passacaglia-Thema. 8. Variation: Hierbei handelt es sich um eine weichere Rekapitulation der dritten Variation. Tuba und Fagott spielen das Thema, die Klarinetten den Choral und die Solovioline die Melodie ihres ersten Einsatzes, jetzt allerdings in einem tieferen Register. 9. Variation: Die Pauken und die Streicher, die pizzicato spielen,spielendas Thema; die SoloviolinejeneMelodie, die zu Beginn die Hörner gespielt haben. Alle Variationen sind ohne Unterbrechungen aneinandergereiht und die Spannung entwickelt sich dank der Solovioline durch den ganzen Satz bis zurachten Variation. Die letzten zwei Variationen führen schließlich zur totalen Beruhigung,die Solovioline bleibt allein. Nach dem dritten Satz folgt die Kadenz, die man aufgrund ihrer Länge als getrennten Satz betrachten könnte. Sie dauert wie der letzte Satz fünf Minuten;in seinem ersten Cellokonzert, zum Beispiel, bezeichnete Schostakowitsch die Kadenz als einen separaten Satz. Die Kadenz enthält größtenteils das musikalische Material aller vorangehendenSätze, zusammen mit dem DSCH-Motiv und dem jüdischen Tanz aus dem zweiten Satz. Sie fängt sehr ruhig und leise an und wird gegen Endeimmer 77 lebhafter. Schließlich leitet sie zum letzten Satz über. Die folgenden Beispiele zeigen Ausschnitte aus der Kadenz: Notenbeispiel Nr. 16: Die erste Phrase Notenbeispiel Nr. 17: Melodie aus dem jüdischen Tanz 78 Der letzte Abschnitt, der zum letzten Satz führt; „attacca“ steht am Ende der Kadenz: Notenbeispiel Nr. 18: Der letzte Abschnitt Im vierten Satz (Burlesque: Allegro conbrio) wird das Hauptthema der Solovioline aus derNocturneverwendet. Das Thema ist im letzten Satz schneller und weist eine andere Harmonisierung auf. Jedoch sind die rhythmischen und motivischen Elemente alle auf ihrem Platz und erkennbar. Das Thema wird zunächst vom ganzen Orchester gespielt und die Solovioline übernimmt alle Wiederholungen. Zwischen den Einsätzen des Themasstellt die Solovioline zusammen mit dem Orchester neue Ideen vor. In diesem Konzert sind die Elemente des nationalen Stiles sehr offensichtlich erkennbar. Neben dem jüdischen Tanz, derauch in der Partitur als solcher bezeichnet ist, findet man alle wichtigen Merkmale dieses Stiles. Schostakowitsch verwendet Elemente aus der Volkstradition in einer expressionistischen Weise. In den schnellen Sätzen liegt der Akzent auf dem rhythmischen Element: Dies sind 79 rhythmische Motive, die mehrmals wiederholt werden, sowie Akzente und ungewöhnliche Betonungen. Auch im ersten Satzkommt das Thema immer wieder mit seinem gut erkennbaren,punktierten Rhythmus. Aber das Konzert ist auch neoklassisch, dennes enthält klassische und barocke Formen: Nocturne, Scherzo, Passacaglia und Burlesque. Es besteht aus vier Sätzen, deren Tempi so wie in einerbarocken Suitekontrastieren. Die Orchestrierung ist klar. Der Ausdruck und die Expressivität des Werkes sind schließlich unzweifelhaft romantisch. 80 6. Fazit Mit meiner Arbeit beabsichtigte ich einen Beitrag zum besseren Verständnis einer wichtigen und sehr interessanten Epoche in der Entwicklung der Musik zu geben. Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts ist von großer Bedeutung für die Entwicklung der Gattung Violinkonzert. Im Gegensatz zu vorherigen Perioden, wirkten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts viele Komponisten, welche sich dieser Form widmen. Besonders interessant ist die Tatsache, dass jeder dieser Autoren nach seiner eigenen Art komponierte. Durch die Analyse ausgewählter Werke erfahren wir, wie Änderungen in Form, Harmonie, Melodik und Rhythmik zustande gekommen sind, sowie die Umgangsformen mit dem Solisten und Orchester. 81 7. Literaturverzeichnis 1. Stephan, Rudolf: Alban Berg, Violinkonzert (1936), Wilhelm Fink Verlag, München 1988 2. Keller, Hans: The book of the violin, Violin Technique: Its ModernDevelopment and Musical Decline, Phaidon Press Limited, Oxford 1984 3. Clemens, Andrew: The book of the violin, The Violin Concerto, Phaidon Press Limited, Oxford 1984 4. Bernas, Richard: The book of the violin, The Twentieth Century, Phaidon Press Limited, Oxford 1984 5. Gruber, Gerold W: Arnold Schönberg: Interpretation seiner Werke, Laaber – Verlag 2002 6. http://de.wikipedia.org/wiki/B%C3%A9la_Bart%C3%B3k, 7.2.2015 7. Mason, Colin: Musik der Zeit, Eine Schriftenreihe zur zeitgenössischen Musik, Béla Bartók: Bartóks Streichquartette, VerlagBoosey& Hawkes, Bonn GmbH 1953 8. 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