Bewusstlose Verbraucher und Elefanten im Dunkeln Mythen und Missverständnisse der Werbewirkungsforschung Dirk Engel Wien, 10. Mai 2017 AGTT Screenforce-Day 2017 http://werbewirkungs-report.de 1 http://werbewirkungs-report.de 2 Mythos 1 http://werbewirkungs-report.de 3 Zitate: Alles scheint unbewusst zu sein „Heute weiß man, dass zwischen 75% und 90% aller Entscheidungen unbewusst getroffen werden und Emotionen dabei eine große Rolle spielen.“ Carolin Riedl (2016): Werbewirkungsforschung: Neue Ansätze durch Neuromarketing „70 bis 80 Prozent aller Entscheidungen werden unbewusst getroffen, manche Wissenschaftler sprechen sogar von bis zu 95 Prozent.“ Peter A. Worel (2011): Türöffner zum Erfolg: wie Sie bei Gesprächspartnern und Kunden überzeugend auftreten „Nach den Erkenntnissen der Hirnforschung werden über 95% aller „Entscheidungen“ unbewusst getroffen – nicht rational.“ Dr. Ralf Mayer de Groot (2014): Unbewusste Kaufentscheidungen zuverlässig vorhersagen und beeinflussen, absatzwirtschaft 11 http://werbewirkungs-report.de 4 Die Quelle: Gerald Zaltman The 95-5 Split „At least 95 percent of all cognition occurs below awareness in the shadows of the mind, while, at most, only 5 percent occurs in higherorder consciousness. Quelle: Zaltman: How Customers Thing, 2003, S. 50 http://werbewirkungs-report.de 5 Das Modell: The Mind of the Market Konsumenten Marketers Bewusste Prozesse Unbewusste Prozesse Quelle: Zaltman: How Customers Thing, 2003, S. 31 http://werbewirkungs-report.de 6 Frage an das Publikum: Was ist mit Ihrem Unbewussten? Konsumenten Marketers Bewusste Prozesse Unbewusste Prozesse Quelle: Zaltman: How Customers Thing, 2003, S. 31 http://werbewirkungs-report.de 7 Vorsicht vor der Gleichsetzung von... unbewusst = = = = emotional irrational unterschwellig unwillentlich http://werbewirkungs-report.de 8 Die schwache Variante des „95-5-Split“: „Wir haben herausgefunden, dass im menschlichen Gehirn neuronale Prozesse und bewusst erlebte geistig-psychische Zustände aufs Engste miteinander zusammenhängen und unbewusste Prozesse bewussten in bestimmter Weise vorausgehen.“ 11 Neurowissenschaftler in dem „Manifest über Gegenwart und Zukunft der Hirnforschung“ http://www.spektrum.de/thema/das-manifest/852357 http://werbewirkungs-report.de 9 Vielfalt an impliziten und expliziten Prozesse Eher implizit • • • • Emotionale Reaktionen Intuitive Entscheidungen Sensorische Wahrnehmung Habituiertes Verhalten (Autopilot) • Priming „vorbewusst“ • Stimmungen • Routiniertes Kaufverhalten • Impulsives Kaufverhalten http://werbewirkungs-report.de Eher explizit • Kommunikation mit anderen • Rationale Entscheidungen • Nachdenken • Fokussierte Aufmerksamkeit • Geplante Handlungen • Erinnerung an früheres Verhalten • Markenwissen • Einstellungen 10 Warum man das Bewusste nicht vernachlässigen sollte... • • • • Zusammenspiel zwischen bewussten und unbewussten Prozessen ist komplex Entscheider orientieren sich an „rationaler“ Norm Wichtige Heuristik: Ein guter Grund genügt! Bewusste Rechtfertigung des Kaufs vor sich selbst – und anderen Werbung muss Argumente liefern, die verstanden und gelernt werden http://werbewirkungs-report.de 11 Mythos 2 http://werbewirkungs-report.de 12 Der Homo Oeconomicus • Der Mensch entscheidet rational, auf Basis von vollständigen Informationen und festen Präferenzen. • Er trifft die Wahl, die seinen Nutzen maximiert. http://werbewirkungs-report.de 13 Der Homo Oeconomicus hat viele Väter • Der Begriff wird oft mit Adam Smith in Beziehung gebracht. Adam Smith (1723-1790) • Tatsächlich war es John Kells Ingram, der 1888 erstmals vom “Economic Man” sprach. • Vilfredo Pareto, verwendete Ende des 19. Jahrhunderts die lateinische Schreibweise. John Kells Ingram (1823 – 1907) http://werbewirkungs-report.de Vilfredo Pareto (1848 – 1923) 14 Ist der Homo Oeconomicus ein Egoist? • Der Homo Oeconomicus ist keine Beschreibung des Menschen, sondern ein idealtypisches Modell. • In den Wirtschaftswissenschaften werden Modellierungen mit unterschiedlichen Annahmen eingesetzt. • Der rein egoistisch handelnde Akteur ist nur ein Sonderfall und keine empirische Beschreibung des „Wesen des Menschen“. http://werbewirkungs-report.de 15 Abschied vom Homo Oeconomicus http://werbewirkungs-report.de 16 Der Homo Oeconomicus bringt immer noch neue Insights Gary S. Becker (1930 – 2014) Edward O. Wilson (* 1929) • In vielen Studien zeigt sich die Nutzen-Maximierung – wahrscheinlich gehört das zu unseren evolutionären Ausstattung • Der Nutzen ist nicht immer finanzieller Art und direkt erkennbar – es gibt auch sozialen Nutzen • Analysen auf hoher Aggregations-Ebene zeigen viele Beispiele für Nutzenmaximierung http://werbewirkungs-report.de 17 Der Homo Oeconomicus sorgt für Bestseller http://werbewirkungs-report.de 18 Warum ist das Modell des emotionalen, unbewussten, irrationalen Konsumenten gerade heute wieder so beliebt? • Die Realität scheint sich den idealen Bedingungen des Homo Oeconomicus anzunähern – – – – Mehr Informationen verfügbar Besseres Abwägen Automatisierte Nutzenmaximierung Skepsis gegenüber Marken • Auf der anderen Seite feiert die MarketingTheorie den irrationalen Konsumenten • Wunschdenken? http://werbewirkungs-report.de 19 Kein Entweder-Oder in der Marketing-Theorie • Es gibt Kaufentscheidungen, bei denen kommen wir den Ideal des rationalen Entscheiders sehr nahe. • Und es gibt andere Entscheidungen, bei denen wir überhaupt nicht rational vorgehen. • Beides ist Realität. Wir müssen Modelle finden, die uns helfen, die Bedingungen für beide Entscheidungswege zu erkennen. http://werbewirkungs-report.de 20 Mythos 3 http://werbewirkungs-report.de 21 Zwei Klassiker: AIDA Die Oper: – Giuseppe Verdi (1813 – 1901) – Uraufführung 1871 Das Modell: – Elias St. Elmo Lewis (1872 - 1948) – Entwickelt 1898 http://werbewirkungs-report.de 22 Kommunikationsmodelle von vorvorgestern? „Wer wie die altvorderen Werber immer noch glaubt, Aufmerksamkeit stünde an erster Stelle, wird vor allem laut trommeln und nach dem Gießkannenprinzip alles über alle ausgießen. Heißt: Man macht alle nass, um am Ende zu schauen, wer sich darüber freut.“ Anne M. Schüller: AIDA, Sales Funnel und Buying Cycle: Kommunikationsmodelle von vorvorgestern (2016) „Stufenmodelle sind trivial, ihre Aussagekraft wird noch heute überschätzt. Daran änderten auch Modifikationen wie beispielsweise das so genannte DAGMAR-Modell ... nichts. Wolfgang J. Koschnick: Requiem für AIDA (2005) Quellen: http://www.medialine.de/media/uploads/projekt/medialine/docs/publikationen/jb_2005/jb_2005_kb01_koschnick.pdf ; http://blog.anneschueller.de/aida-sales-funnelund-bying-cicle-kommunikationsmodelle-von-gestern/ http://werbewirkungs-report.de 23 Sind Modelle unnütz, nur weil sie alt oder unvollständig sind? • • • • Modelle beschreiben die Wirklichkeit nicht 1:1 Sie reduzieren Komplexität und weisen auf relevante Aspekte hin Sie haben eine Kommunikations-Funktion Eine Vielfalt an Modellen fördert die Erkenntnis und erweitert den Werkzeugkasten der Praktiker „Nichts ist so praktisch, wie eine gute Theorie!“ Kurt Lewin, Sozialpsychologe (1890 – 1947) http://werbewirkungs-report.de 24 Zum Beispiel erinnert uns AIDA daran... • ..., dass Aufmerksamkeit (im Sinne einer Orientierungs-Reaktion) eine Grundvoraussetzung für Werbewirkung ist. • ..., dass der Schritt zur nächsten Stufe nicht automatisch erfolgt. • ..., dass Aufmerksamkeit kein Selbstzweck ist. http://werbewirkungs-report.de 25 Missverständnis 1 http://werbewirkungs-report.de 26 KPI = Indikator http://werbewirkungs-report.de 27 Das Elefanten-Problem http://werbewirkungs-report.de 28 Fünf Forscher untersuchen in einem dunklen Raum einen Elefanten http://werbewirkungs-report.de 29 Pluralität der Indikatoren Blickkontakte Hautleitwiderstand Gehirn-Durchblutung Reaktions-Zeiten Store Traffic Markenbekanntheit Leads Image Suchanfragen Sympathie Klickrate Werbeerinnerung Social Media Posts Abverkäufe Net Promoter Score Marktanteile Umsatz http://werbewirkungs-report.de Kaufabsicht Weiterempfehlung Return on Invest 30 Zwei Funktionen von Indikatoren Controlling-Funktion: Erkenntnis-Funktion: • Kennzahlen, um Maßnahmen zu optimieren • Indikatoren für (nicht beobachtbare) Konstrukte • Gehen die Maßnahmen in die richtige Richtung? • Verstehe ich die Wirklichkeit besser? • Kurzfristige Wirkungen Optimierung • Langfristige Mechanismen? http://werbewirkungs-report.de 31 Vorsicht mit KPI‘s • KPI‘s sind nicht „The Real Thing“. • Wer nur den Rosenstrauch pflegt, verliert den Wein aus dem Auge. • Kennzahlen haben verschiedene Funktionen und Bedeutungen, abhängig vom Kontext. http://werbewirkungs-report.de 32 Missverständnis 2 http://werbewirkungs-report.de 33 7 Ebenen der Indikatoren Investition Kontakt Wahrnehmung Psychische Wirkung Verhaltens-Wirkung Ökonomischer Werbe-Erfolg Unternehmens-Erfolg http://werbewirkungs-report.de 34 Was passiert in den Köpfen und in der Kasse? Investition Kontakt Wahrnehmung Psychische Wirkung Verhaltens-Wirkung Ökonomischer Werbe-Erfolg Unternehmens-Erfolg http://werbewirkungs-report.de 35 Sagen Klicks etwas darüber, was in Köpfen und Kassen passiert? Investition Kontakt Wahrnehmung Klicks Klickrate (CTR) Visits Leads Downloads Likes Shares ReTweets ...etc. Psychische Wirkung ? Verhaltens-Wirkung Ökonomischer Werbe-Erfolg (?) Unternehmens-Erfolg http://werbewirkungs-report.de 36 Wer nur die leicht zu messenden Indikatoren beobachtet... ...ist wie der Betrunkene, der seinen Schlüssel im dunklen Hinterhof verloren hat, aber auf der Straße sucht, weil dort das Licht besser ist. http://werbewirkungs-report.de 37 Einige Forschungsaufgaben für die Zukunft • Wie hängen verschiedene Wirkungs-Indikatoren zusammen? – Ökonomische, psychische und (digitale) verhaltens-bezogene Indikatoren – Implizit und explizit erhobene Indikatoren, d.h. bewusste und unbewusste Prozesse • Wie sehen langfristige Wirkungen aus? • Wie lassen sich die unterschiedlichen Methoden validieren und ggf. standardisieren? http://werbewirkungs-report.de 38 Was braucht die Werbewirkungs-Forschung? • Nicht nur messen, auch verstehen. Mehr als nur Controlling. • Nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie. Mehr Modelle. • Daten Wissen = Verantwortung der gesamten Branche. Mehr Austausch und Weiterbildung. http://werbewirkungs-report.de 39 Mein Beitrag dazu... Weitere Tipps und Buchkritiken finden Sie auch auf www.kunden-wissen.de Siehe… • Neue Infos und Beiträge • Wissen http://kunden-wissen.de 40 www.kunden-wissen.de [email protected] +49 +151 15 676 498 http://kunden-wissen.de 41