Abgeklärtes Alterswerk - neue Cerha-Oper «Onkel Präsident» Von Georg Etscheit, dpa Eigentlich wollte Friedrich Cerha, der große alte Mann der österreichischen Neutönerszene, keine Oper mehr schreiben. Zur Freude seines Publikums hat er sich nicht daran gehalten. München (dpa) - Friedrich Cerha, der große alte Mann der österreichischen Musikavantgarde, ist auch im Alter von 87 Jahren hoch produktiv. Erst 2009 schrieb er für den Perkussionisten Martin Grubinger ein Schlagzeugkonzert, weitere Kompositionen folgten. Und obwohl Cerha, der mit seiner Vervollständigung der Oper «Lulu» von Alban Berg weltberühmt wurde, keine Opern mehr schreiben wollte, hat er jetzt doch noch einmal ein Musiktheaterwerk herausgebracht. Die musikalische Farce «Onkel Präsident» erlebte am Samstagabend am Münchner Gärtnerplatztheater ihre umjubelte Uraufführung. Wer Billy Wilders Filmkomödie «Eins, zwei, drei» kennt, kennt auch Cerhas neue Oper, zumindest in ihren Grundzügen. Denn Cerha und sein Librettist Peter Wolf haben Wilders turbulente Ost-West-Komödie im geteilten Berlin - Adaption eines Theaterstücks des Ungarn Ferenc Molnár - in die Gegenwart geholt. Hauptperson ist ein rastalockiger Fahrradkurier mit links-alternativer Gesinnung, der zum Musterschwiegersohn eines Großkapitalisten gemacht wird, Adoption durch einen verarmten Adeligen inklusive. Denn die steinreichen Eltern der schönen Melody, die bei «Onkel Präsident» weilt, um deutsch zu lernen, sollen nicht wissen, dass sich ihre Göre in den Fahrradboten Josef Powolny verliebt hat. Sonst stünde ein schönes Geschäft des «Onkels» mit dem US-Großmagnaten Moneymaker, Melodys Vater, auf dem Spiel. Also werden alle Hebel in Bewegung gesetzt, um den abgerissenen Alternativling standesgemäß aufzupeppen. Eingebettet ist dies alles in eine Rahmenhandlung, die die Entstehung der Oper selbst thematisiert und - zur hörbaren Freude des Gärtnerplatz-Publikums - den Musikbetrieb durch den Kakao zieht. Von Wilders politischem Anspruch bleibt bei Cerha/Wolf allerdings nicht viel mehr übrig als etwas matte Kapitalismuskritik. Trotzdem funktioniert das Stück. Was nicht nur an Cerhas süffigem, niemals anbiedernden Soundtrack liegt, sondern auch am hohen Niveau, auf dem musiziert und gesungen wird. Das Gärtnerplatz-Orchester unter Chefdirigent Marco Comin spielt auf wie ein Spezialensemble für neue Musik. Unter den Darstellern sticht der Bass Renatus Mészár in der Titelrolle raumgreifend hervor. Manchmal bezieht er den Mann am Dirigentenpult in etwas bemüht-witzig wirkenden Streitgesprächen ins Bühnengeschehen ein. Den Kunstgriff begründet Cerha mit einem Rückgriff auf die Theatertradition der «romantischen Ironie». Gärtnerplatz-Intendant Josef E. Köpplinger inszenierte die Uraufführung selbst - witzig und stilsicher, wenn auch nicht ganz so temporeich und sekundengenau choreographiert wie sein Einstand im «Weißen Rössl». Dazu schuf Johannes Leiacker eine blendend weiße DesignerKonzernzentrale, die sich zu Anfang und Ende in ein Wäldchen verwandelte, in der der Komponist und sein Hauptdarsteller über Leben und Kunst philosophieren. Cerha zählte nie zu den komponierenden Mathematikern der Hardcore-Neutönerszene. Seine lautmalerische Musik ist auch für ungeübte Hörer fassbar, ohne je ins Seichte abzudriften. Die Partitur von «Onkel Präsident» würzt er zudem mit allerlei Zitaten, etwas aus dem «Falstaff», Verdis abgeklärtem Alterswerk. «Schreiben Sie keine Oper mehr», gibt der «Onkel» ganz am Schluss dem Komponisten mit auf den Weg. «Der ,Falstaff’ ist ja doch nicht zu übertreffen.» Demut spiegelt sich auch in Cerhas zerknittertem Gesicht, als er im Münchner Prinzregententheater sichtlich gerührt die Huldigungen des Publikums entgegennimmt.