Das Lebensende von Musliminnen und Muslimen

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Das Lebensende von Musliminnen
und Muslimen
Dorothee Müller , Scheherezade Böhringer, H anna H iltner, M artin Gross & A ndrea K ronenthaler
Die Palliativmedizin ist auch in Deutschland immer mehr ein geläufiger Begriff. „Heilung“ stand lange Zeit im Vordergrund der Medizin.
Aber was ist, wenn eine Heilung nicht mehr möglich ist? Palliativmedizin ist im angelsächsischen Raum, nach einer Definition der Weltgesundheitsorganisation, hauptsächlich unter Palliativ Care bekannt
und versteht sich nach Klaschik „als ein Ansatz zur Verbesserung der
Lebensqualität von Patienten und ihren Familien, die mit den Problemen konfrontiert sind, die mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung
einhergehen“ (Siegmann-Würth 2011).
Meist wird in der letzten Lebensphase
Hilfe benötigt. Hier setzt Palliativ Care
an und hat das Ziel, die Lebensqualität von (unheilbar) kranken und alten
Menschen zu verbessern. Das Wissen
über verschiedene Kulturen oder auch
religiöse Erwartungen der Patientinnen
und Patienten in der Sterbebegleitung,
ist von Vorteil.
Die Begriffe Sterben und Tod sind
ebenfalls zentral. Die Konfrontation
mit dem Sterben und dem Tod wird je
nach Lebenssituation und Lebensphase
unterschiedlich erlebt. Alte oder schwer
Kranke fühlen sich dem Tod meist näher
als ein Kind. Gedanken über Sterben und
Tod lösen in Menschen oft Fragen und
Sorgen aus. Gerade die letzte Lebensphase kann verstärkt Ängste auslösen.
Verlust der Selbstständigkeit, Schmerzen oder Hilfslosigkeit beschreiben die
Situation dieser Menschen.
Bedeutung des Islams in der
Palliativmedizin
Abbildung: CarEMi
Zwei zentrale Begriffe in der Palliativ
Care sind Gesundheit und Krankheit.
Wann eine Person als krank oder gesund angesehen wird, ist kulturell und
religiös geprägt und somit unterschiedlich. Im Islam hat der Mensch die Verantwortung für seinen Körper, da er ihm
für eine bestimmte Zeit zur Nutzung von
Gott gegeben worden ist. Dementsprechend sind Musliminnen und Muslimen
verpflichtet, den Körper so gut wie möglich zu pflegen und bei Krankheitsfällen
nach einer Heilung zu suchen, um die
Verantwortung gegenüber Gott zu bewahren (Ilkılıç 2002). Krank sein ist keine Strafe Gottes, sondern eine Prüfung
im Islam, die mit viel Geduld überwunden werden sollte (Ilkiliç 2005). Nach
dem Islam werden Krankheiten durch
Gottes Zustimmung hervorgerufen.
Gott ist der primäre Grund für die Heilung, zum Beispiel durch eine ärztliche
Behandlung. Wenn bei Krankheiten
keine medizinischen Maßnahmen helfen, werden traditionelle Heiler (Hocas)
in Betracht gezogen (Ilkiliç 2005). Auch
das Altern, Krankheit und dementsprechend das Sterben gehören zum Leben
eines Menschen dazu.
Weitere zentrale Begriffe der Palliativ
Care sind Schmerzen und Leiden. Wer
Schmerzen hat, leidet auch in der Regel.
Um diesen Menschen helfen zu können,
wird versucht, ihnen das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit zu geben.
Eine medikamentöse Behandlung lindert Schmerzen. Das Wissen, eine Person
bei sich zu haben, die jederzeit für einen
da ist, gibt Sicherheit und Geborgenheit
(Siegmann-Würth 2011).
In Deutschland liegt 2016 die Anzahl
von Musliminnen und Muslimen schätzungsweise bei etwa 4 Millionen Menschen (BAMF 2016). Über die Hälfte von
ihnen gehört der sunnitischen Glaubensrichtung an. Weitere häufige Glaubensgruppen sind die Aleviten und die
Schiiten. Daher spielt der Islam auch in
der Palliativmedizin mittlerweile eine
größere Rolle, sei es bezüglich Nahrung,
Pflege oder der Bestattungsweise.
Doch was wird eigentlich unter Tod
und Sterben verstanden und gibt es
diesbezüglich Unterschiede zwischen
den Kulturen und Religionen? Es gibt
verschiedene medizinische Definitionen, wann ein Mensch als verstorben
angesehen wird. Einer Definition zufolge wird allein der Hirntod als „Tod“
1
Die kursiv gesetzten Textpassagen sind Auszüge aus den
Interviews, die im Rahmen des erläuterten Forschungsprojekts geführt wurden. Die Abkürzungen ATM und JTM
stehen für ältere türkische bzw. jüngere türkische Migrantinnen und Migranten.
Pflegezeitschrift 2016, Jg. 69, Heft 11
1a
definiert. Auch nach dem christlichen
Verständnis wird dies als Tod angesehen. Im Islam ist ein Mensch dann
verstorbenen, wenn die Seele den Körper verlässt. Damit verbunden ist der
Atem- und Herzstillstand (Rink 2002).
So wird in diesem Artikel der Tod als
Atem- und Herzstillstand bei Menschen
verstanden.
Dieser Text bezieht sich unter anderem auch auf geführte Interviews, über
die Pflegevorstellung von Migrantinnen
und Migranten im Alter in Deutschland
der BMBF-Studie CarEMi unter der Leitung von Dr. Andrea Kronenthaler. Die
Studie hatte zum Ziel, eine bessere und
kultursensiblere Pflege und einen erleichternden Zugang zum Gesundheitssystem für türkische und türkischstämmige Menschen im Alter aufzuzeigen.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler interviewten für die Studie
verschiedene Personengruppen in den
Städten und Landkreisen Tübingen und
Reutlingen: türkische und türkischstämmige Migrantinnen und Migranten der
ersten Einwanderergeneration, Personen der zweiten und dritten Generation,
Hausärztinnen und -ärzte und Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Pflegeinstitutionen, türkischen Vereinen und
Krankenkassen. Weitere Information
finden Sie unter www.caremi.de.
Besondere Erwartungen der
Musliminnen und Muslime
Die türkischen und türkischstämmigen
Personen der ersten Gastarbeiter- und
Kindergeneration wurden unter anderem zu ihren Gedanken und Vorstellungen bezüglich des Sterbens befragt. Auch
mit Pflegeexpertinnen und -experten
und Hausärztinnen und -ärzten wurde
diesbezüglich gesprochen. Die Ergebnisse lassen erkennen, dass Verbesserungsbedarf bei der Begleitung in der letzten
Lebens- bzw. Sterbephase besteht.
Dass Gedanken zu Sterben und Tod
vom islamischen Glauben beeinflusst
sind, spiegelt sich in den Aussagen türkischer bzw. türkischstämmiger älterer
Interviewpartner wieder:
„Lesen ist schön (Anm.: den Koran lesen), Lesen ist schön. Wenn es sowas geben würde, wäre es gut. Der sterbenden
Person sollen sie Zamzam Wasser (Anm.:
Wasser aus Mekka, dem heilende Wirkung nachgesagt wird) in den Mund geben, dann sollen sie einen Hodscha holen,
der Hodscha soll lesen.“ (ATM4;121-124)
1b
Der Tod wird von Muslimen als Übergang zu dem jenseitigen Leben angesehen (Neuberger et al. 2009). Nach dem
Islam ist der Tod nicht das Ende des
menschlichen Daseins, sondern eher der
Beginn nach einem trügerischen Leben:
„Jede Seele wird (einmal) den Tod erleiden.
Und erst am Tag der Auferstehung werdet ihr (für eure Taten) euren vollen Lohn
bekommen. Wer dann vom Höllenfeuer
ferngehalten wird und ins Paradies eingehen darf, hat (das große Glück) gewonnen.
Das diesseitige Leben ist nichts als eine
Nutznießung, durch die man sich (allzu
leicht) betören lässt“ (Koran, 3/185).
Jede gläubige Muslimin und jeder
gläubige Muslim hat die Absicht, sich
auf das Jenseits vorzubereiten, Gott
zufrieden zu stellen. Dazu gehört unter
anderem Beten, Fasten und Spenden
(Mohr 2013). Damit während der Sterbebegleitung sowie nach dem Tod von
Musliminnen und Muslimen alles nach
den islamischen Regeln verläuft, gibt es
einiges zu beachten. Diese Regeln sollen
hier nun näher erläutert werden.
„Im Zustand der Gesundheit zu sterben, ohne auf jemanden angewiesen
zu sein. Das ist das, was alle wollen.“
(JTM95;188)
Bei Musliminnen und Muslimen der
Kindergeneration besteht der Wunsch,
den religiösen Aufgaben bis zum Schluss
nachgehen zu können und selbstständig zu sein. Auch wird zum Ausdruck
gebracht, dass sie Angst haben, pflegebedürftig zu werden.
„Allah, daran hab ich noch nie gedacht
(lachend) […]. Also dass ich bis zum Ende
noch bei Verstand bin und dass ich solange ich es kann, mein Gebet machen kann,
also dass ich als Mensch, der komplett bei
Sinnen ist, die Augen für immer schließen kann.“ (JTM 96; 83)
Über das Sterben wurde von dieser
Generation weniger gesagt. Dies hängt
vermutlich damit zusammen, dass dieses Thema aufgrund des Alters für sie
selbst noch nicht relevant ist. Wenn
über den Tod gesprochen wurde, war
dies meist in Zusammenhang mit den
Eltern.
Die Regeln der Sterbebegleitung im Islam
Bekannt sind die fünf Säulen des Islams.
Dazu gehört
1.das Glaubensbekenntnis,
2.die fünf Gebete am Tag,
3.das regelmäßige Spenden,
4.das Fasten im Monat Ramadan und
5.die Pilgerfahrt nach Mekka (Berlin
2016).
Die Reinheit spielt im Islam eine große
Rolle. Neben der häuslichen Sauberkeit
ist auch eine körperliche Reinheit von
Bedeutung. Daher ist es wichtig, dass
Musliminnen und Muslime die Möglichkeit haben, sich unter frischem fließendem Wasser zu waschen. Vor jedem
Gebet, vor und nach dem Essen oder
nach dem Toilettengang wird eine Reinigung unter fließendem Wasser benötigt. „Sauberkeit ist eine Erfordernis des
Glaubens“ (Al-Asch`arî 2005). Auch einer
im Sterbebett liegenden Person sollte
Sauberkeit ermöglicht werden. Migranten der ersten Gastarbeitergeneration
sagten, der Tod gehöre zum Leben dazu
und der einzige Wunsch sei friedlich und
würdevoll ohne Schmerzen und Qual zu
sterben. „Natürlich ist das Ende der Tod,
die schwarze Erde […] Gott soll niemanden leiden lassen.“ (ATM19; 77, 129)
Ein großer Wunsch ist laut der Interviewten nicht allein die Gesundheit, sondern auch das würdevolle Sterben ohne
Leiden. Die Vorstellung vom Tod eines
Angehörigen wird teilweise schmerzhafter empfunden als der eigene Tod.
Sollten im Alter unerträgliche Schmerzen auftreten und die älteren Personen
sich nicht mehr um sich selbst kümmern
können, wird der Tod bevorzugt.
Pflegezeitschrift 2016, Jg. 69, Heft 11
Für Muslime ist es also Pflicht, fünf Mal
am Tag zu beten. Ebenso im Alter oder
bei Krankheit sollte das Gebet praktiziert werden. Insbesondere wenn man
sich in der letzten Lebensphase befindet, sollte das Gebet nicht vernachlässigt werden. Viele möchten auch gerade
dann das Gebet verrichten, da es ihnen
Halt gibt. Obwohl kranke Musliminnen
und Muslime vom Fasten freigestellt
werden, in dem sie stattdessen Almosen
geben können, werden Kranke jedoch
nicht vom Gebet freigestellt. Egal wie
krank man ist, das Gebet muss verrichtet werden. Wenn dies nicht im Stehen
möglich ist, kann im Sitzen betet werden. Wenn die kranke Person auch dazu
nicht in der Lage ist, kann das Gebet im
Liegen praktiziert werden. Wer dafür zu
schwach ist, hat die Möglichkeit mit den
Gedanken zu beten. So wird deutlich
wieso muslimischen Patienten geholfen werden sollte, die Gebetswaschung
und das Gebet durchzuführen (Alkassar
1999).
Begleitung durch einen
Imam
Des Öfteren wurde von der ersten Gastarbeitergeneration und von der Kindergeneration der Wunsch zum Ausdruck
gebracht, während des Sterbeprozesses
nicht alleine zu sein. Besonders wurde der Wunsch nach Anwesenheit der
Familienangehörigen geäußert. Es bestand auch häufig der Wunsch, dass ein
Imam anwesend sein sollte. Nach dem
Islam sollte das letzte Wort das Glaubensbekenntnis (Schahada) sein. Wenn
die Person jedoch nicht mehr in der Lage
ist, das Glaubensbekenntnis selbst zu sagen, sollte es für sie gesprochen werden
(Berlin 2016).
Aus islamischer Perspektive ist das
Glaubensbekenntnis zwar der Schlüssel
zum Paradies, aber „…jeder Schlüssel hat
Zähne. Und ein Schlüssel ohne passende Zähne wird das Schloss nicht öffnen“
(Taymiah 2015). Damit der Schlüssel
die richtigen „Zähne“ hat, ist es wichtig,
nach dem Islam zu leben und nicht nur
im Angesicht des Todes die Schahada zu
sprechen. Die Schahada wird auch dem
neugeborenen Kind ins Ohr geflüstert.
Sie soll also das Erste und Letzte im irdischen Dasein sein, was gehört wird.
Während bei der ersten Gastarbeitergeneration der Wunsch bestand, sich in
der Sterbephase in der Türkei zu befinden, war es der Kindergeneration bspw.
Wichtig, in einem der Situation angemessen eingerichteten Zimmer zu sein,
unabhängig vom Ort.
So wie es Pflicht ist für Musliminnen
und Muslime, Kranke zu besuchen, so
gilt dies auch für Sterbende. Von Bedeutung ist es, den Sterbenden Suren aus
dem Koran zu rezitieren. Besonders soll
die Sure 26 (Yasin), da sie als „Herz des
Korans“ angesehen wird, für die im Sterbebett liegende Person rezitiert werden.
Die Rezitation muss nicht unbedingt
von einem Imam sein. Auch Familienangehörige, Freunde oder auch Besucher
können, wenn sie Arabisch beherrschen,
aus dem Koran rezitieren. Auch sollte
neben der im Sterben liegenden Person
nur Gutes gesprochen werden. Zum Beispiel sollte über die guten Taten berichtet werden. Diese islamische Tradition
wird als eine Möglichkeit angesehen, die
Angst vor dem Tod zu mildern.
Bei Muslimen der ersten Gastarbeitergeneration wurde als Wunsch geäußert,
dass eine im Sterben liegende Person
von einem Imam begleitet werden sol-
le, da dieser sich besser mit der Religion
auskenne. Dies ist auch hinsichtlich des
Bestattungsverfahrens von zentraler
Bedeutung, da eine türkischsprachige,
muslimische Person oder ein Imam im
Moment des Sterbens evtl. mehr behilflich sein und besser seelischen Beistand
leisten kann.
„Also, meine Erwartung ist, dass dieses
Altersheim eröffnet wird. Unsere Imame
sollten in den Krankenhäusern zumindest bei Leuten, die eine schwere Operation hatten, Besuche abstatten. Also.
Dann beim Sterben sollte die Hilfemöglichkeit auch durch die Imame geschehen.“ (ATM14;267)
Ebenso wünschten Vertreter der Kindergeneration eine Sterbebegleitung.
Nach ihren Aussagen sollte eine seelische Unterstützung und Sterbebegleitung von einem Imam und den Familienangehörigen erfolgen. Obwohl es den
Wunsch nach muslimischer Sterbebegleitung gibt, findet dies laut Aussage
der interviewten Personen selten statt.
Nach der Interviewaussage von Pflegeexperten gibt es Pflegeeinrichtungen,
die hierfür mit Ehrenamtlichen zusammenarbeiten. Mit ihnen werde bezüglich der Sterbebegleitung besprochen,
was in den einzelnen Religionen wichtig ist. Eine interviewte Person äußerte
die Idee, dass für die Ausbildung von
Ehrenamtlichen mit einem Geistlichen
zusammengearbeitet werden könnte,
der erklärt, auf was bei der Sterbebegleitung geachtet werden muss. Es sei sehr
wichtig für den Vertrauensaufbau, dass
die Menschen merken, dass man sich
mit den islamischen Regeln im Pflegeund Sterbeprozess beschäftigt. Aus einer
anderen Einrichtung wird ein Bespiel einer muslimischen Person im Sterbeprozess berichtet, bei dem die Einrichtung
Unterstützung und Anleitung durch die
muslimische Gemeinde erhielt.
Ablauf der muslimischen
Sterbebegleitung
Gemäß den Erfahrungen interviewter
Pflegekräfte übernimmt die Familie oder
die Pflegeeinrichtung in Absprache mit
der muslimischen Gemeinde die religiöse Waschung nach dem Tod. Aufgabe
der Einrichtungen sei es, einen Ablauf zu
ermöglichen, der den Vorstellungen der
verstorbenen Personen entspricht.
In ihren letzten Atemzügen, sollten
die im Sterben Liegenden auf die rechte
Seite gedreht werden. Das Gesicht sollte
Richtung Mekka zeigen. Sobald der Tod
eingetreten ist, sollte als erstes der Körper bedeckt werden.
Nach dem Tod wird zunächst die
Waschung des Körpers durchgeführt.
Wichtig ist dabei, dass die Waschung bei
Frauen von Frauen und bei Männern von
Männern ausgeführt wird und dass es
sich bei diesen Personen um Musliminnen und Muslimen handelt. Wenn möglich, kann die Waschung durch nächste
Familienangehörige durchgeführt und
von einer in diesem Bereich erfahrenen
Person begleitet werden.
Nach der körperlichen Waschung wird
die Gebetswaschung durchgeführt. Das
Kinn der toten Person wird hochgebunden. Sie wird nur in ein weißes Tuch
gewickelt. Vor der Beerdigung wird ein
Totengebet des Imams in einer Moschee
mit allen Musliminnen und Muslimen,
die dazukommen möchten, gesprochen.
Das Totengebet wird im Gegensatz zu
den täglichen Pflichtgebeten im Stehen
ohne Verneigungen praktiziert.
Die Beerdigung
Für Muslime beider Generationen sind
auch die Wünsche, was nach dem Eintritt
des Todes beachtet werden soll, im Mittelpunkt. Für Musliminnen und Muslime
ist es wichtig, dass die Beerdigung, wenn
möglich, innerhalb von 24 Stunden stattfindet. Dieser Wunsch hat die Grundlage
in den islamischen Vorschriften, damit
die Seele so schnell wie möglich zur Ruhe
kommen kann (Ilkilic 2005).
Im Gegensatz zum christlichen Verständnis, gemäß dem Tote drei Tage aufgebahrt werden sollen, ist im Islam eine
Beerdigung spätestens am nächsten Tag
erforderlich. Es gibt also unterschiedliche Konzepte der Seelenwanderung. Im
christlichen Verständnis findet diese
nicht unmittelbar mit Herz- und Atemstillstand wie im Islam statt (Wenzel).
Die meisten der muslimischen Interviewten haben deshalb eine Beerdigungsversicherung mit der DITIB (Türkisch Islamische Union der Anstalt für
Religion e.V.). So soll gewährleistet werden, dass die Beerdigung nach islamischen Vorschriften in der Türkei unter
Berücksichtigung der Zeit stattfindet.
Nach Angaben der interviewten Hausärztinnen und -ärzte im CarEMi-Projekt,
gibt es auch in Deutschland Bestattungsinstitute, die eine Überführung
gemäß den Richtlinien des Islams ermöglichen.
Pflegezeitschrift 2016, Jg. 69, Heft 11
1c
Verstorbene werden mit dem Gesicht
in Richtung Mekka auf der rechten Seite liegend beerdigt. Bevorzugt werden
muslimische Friedhöfe, da hier die Gräber nie aufgelöst werden müssen. Die
Beerdigung in einem weißen Tuch, wie
es der Islam verlangt, ist so zum Großteil
in Deutschland jedoch nicht erlaubt, daher wird ein einfacher Sarg verwendet.
Im Islam sollte nach dem Tod nur drei
Tage getrauert werden. Die Trauer sollte nicht übertrieben laut und emotional
ausgelebt werden, da es sonst als Unzufriedenheit mit dem Willen Gottes angesehen wird (Neuberger et al. 2009).
Da jeder Mensch das Recht hat, seine
Religion bis zum letzten Atemzug auszuleben, egal welchem Glauben er angehört, sollte allen dabei Unterstützung
und Hilfe angeboten werden (BMFSFJ
2010). Das deutsche Gesundheitssystem ist hier bisher noch unzureichend
vorbereitet. <<
Literatur
Al-Asch`arî, Abû M. (2005) Deutschsprachige
Hadithe des Propheten Muhammad. www.
kaaba-online.de, Zugriff am 03. August 2016
Alkassar, A. (1999) Erleichterung für den
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03. August 2016
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Ilkılıç, I. (2002) Der muslimische Patient:
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Mohr, I.-C. (2013) Zum Sterben mit Kranken
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Neuberger, J., Hitz, K., & Hinrichs, S. (2009)
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Rink, S. (2002) Tod, Gericht und Paradies im
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Siegmann-Würth, L. (2011) Ethik in der
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Taymiah, S. (2015) Die Bedingungen für die
Gültigkeit der Shahada. www.botschaft-derpropheten.de/1599/, Zugriff am 27.07.2016
Wenzel, A. Muslimische Bestattung. www.
bestattungen.de/ratgeber/bestattungsarten/
muslimische-bestattung.html#rechtlicheprobleme, Zugriff am 09.08.2016
Zusammenfassung
In Anbetracht steigender Zahlen von in Deutschland lebenden Musliminnen
und Muslimen wird auch die Sterbebegleitung dieser Menschen immer mehr
an Bedeutung gewinnen. Wissen über kulturelle und religiöse Besonderheiten
im Sterbeprozess von muslimischen Menschen kann für eine gute Sterbebegleitung ausschlaggebend sein. Der Artikel basiert unter anderem auf dem BMBFForschungsprojekt „CarEMi“ (Care for Elderly Migrants).
Schlüsselwörter: 1d
kultursensible Sterbebegleitung, Muslim, Pflege
Pflegezeitschrift 2016, Jg. 69, Heft 11
Autorenkontakt:
Dorothee Müller, Gesundheits- und
Krankenpflegerin, B.A. PublicHealth,
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am
Institut für Soziologie, Universität Tübingen im BMBF-Projekt CarEMi
Scheherezade Böhringer, Studentin der
Sprache und Geschichte des Nahen
Osten und Ethnologie an der Universität
Tübingen
Hanna Hiltner, Wissenschaftliche
Mitarbeiterin am Institut für Soziologie,
Universität Tübingen im BMBF-Projekt
CarEMi
Prof. Martin Groß, Direktor des Instituts
für Soziologie, Universität Tübingen
Dr. Andrea Kronenthaler, Promotion
in Philosophie zur interkulturellen
Handlung, Leitende Wissenschaftliche
Mitarbeiterin am Institut für Soziologie,
Universität Tübingen und Projektleiterin des BMBF-Projekt CarEMi;
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