Tariq Ramadan: Radikale Reform Die Botschaft des Islam für die moderne Gesellschaft 430 Seiten, gebunden Diederichs Verlag, München 2009, 24,95 Euro Der bekannte Schweizer Islamwissenschaftler ägyptischer Herkunft (und derzeit in Oxford lehrend) bemüht sich hier engagiert um eine reformiert-aufgeklärte Gestalt des Islam. Nach seiner Überzeugung brauchen die Muslime „dringend einen zeitgemäßen fiqh (Recht und Jurisprudenz), „der zu unterscheiden weiß zwischen dem Unveränderlichen und dem Veränderlichen an den Korantexten“ (7). Drei Thesen bilden den roten Faden des umfangreichen Reformkonzeptes: 1. Die Muslime müssen die Bedingungen und Modalitäten des Reformprozesses überdenken, um die rechte Art der „Anpassung“ zu bestimmen. 2. Dazu sei es nötig, Inhalte und Ordnung der Grundlagen desislamischen Rechtes und der Jurisprudenz neu zu überdenken. 3. Der „Schwerpunkt der Autorität im islamischen Bezugssystem muss sich verschieben, indem die jeweiligen Kompetenzen und Rollen der Wissenschaftler aus den unterschiedlichen Gebieten klarer sortiert und geordnet werden“ (10f). Es ist vor allem eine Kritik an bisherigen Methoden und formalistischen Antworten islamischer Gelehrter auf die Herausforderungen der Moderne. Ramadan will eine konstruktive Kritik nach allen Seiten (13). Nach breiten Darlegungen und Analysen über Grundlagen und Neuordnung der Quellen von Recht und Jurisprudenz beschreibt er ebenso in wortreicher Rhetorik zahlreiche „Fallstudien“ zu den Themen Koranexegese, Religion und Politik, Scharia, Ökonomie, Frauen, Familie, Organspende, Abtreibung, Sterbehilfe, Aids, Erbrecht, Schlachtung u.a.m. Sei ehrgeiziges Programm einer intellektuellen Revolution des Islam ist für nichtmuslimische westlich-aufgeklärte Ohren mit ihrem Wertehorizont erstaunlich kompatibel. Diese Leser werden weithin leichten Herzens zustimmen können. Daher dürfte es (für diese Leserschaft) spannender sein, die innerislamische Diskussion zu verfolgen. Denn so eingängig sich das Modernisierungsprogramm auch präsentiert, es besteht zugleich aus vielerlei pauschalen Forderungen und Urteilen. Das erschwert die genauere Einsicht in die praktischen Motive und Ziele Ramadans, dessen Weg zu einem „Euro-Islam“ gerade unter europäischen Islam-Kennern nicht unumstritten ist. Sofern man ihn also beim visionären Wort nehmen darf, verdient sein Reformansatz Respekt und Unterstützung. Reiner Jungnitsch