Geisteswissenschaft Timo Nitz Die Seele der Tragödie - Über den 'mythos' in Aristoteles' Poetik Studienarbeit Die Seele der Tragödie. Über den mythos in Aristoteles’ Poetik. von Timo Nitz Timo Nitz Seite 2 Inhaltsverzeichnis INHALTSVERZEICHNIS .......................................................................................2 VORHANG AUF! ...................................................................................................3 °¸,³¶. ÜBER EINEN BEGRIFF UND DESSEN VERWENDUNG.............................5 DIE BESCHAFFENHEIT DES MYTHOS IN SEINEN UNTERSCHIEDLICHEN BEDEUTUNGSZUSAMMENHÄNGEN .....................................................................9 ÜBER DIE GRÖßE DES MYTHOS. ODER: DAS GESETZ DES SCHÖNEN ...........................................9 DER UNTEILBARE MYTHOS – DIE TEILE DES GANZEN ........................................................... 10 DER CHARAKTER DES WUNDERBAREN & DES LEIDS. DIE 3 TRAGISCHEN MOMENTE DES MYTHOS. .... 12 DIE KOMPOSITION DES TRAGISCHEN MYTHOS. .................................................................. 16 [1454A 14]. ODER: EIN SCHLUSSWORT ...........................................................19 LITERATURVERZEICHNIS .................................................................................20 Seite 3 Vorhang auf! Langsam füllen sich die Ränge in Epidaurus. Nur noch wenige Minuten bis zum offiziellen Beginn der Trilogie „Orestie“ von Aischylos. Die Menschen, die an diesem Abend in das Theater bei Athen strömen, werden Zeugen einer einmaligen Inszenierung. Diese Aufführung sei „sicherlich die monumentalste, bildmächtigste, ästhetisch und pathetisch opulenteste – die mit dem entschiedensten Zug zum Großen und Ganzen“ mit Bildern, „die nicht nur illustrieren und demonstrieren, sondern erzählen“ – „am Ende eine regelrechte Show“, „so gewaltig und großformatig“ und dazu „die dramatische, (...), sehr filmische Musik – das hat im Freilichttheater eine bombastische Wirkung“. 1 So sieht es zumindest die Süddeutsche Zeitung. Liegen auch fast 2500 Jahre zwischen der eigentlichen Uraufführung der „Orestie“ und der Neu-Interpretation des Schauspielhauses Frankfurt im Sommer des Jahres 2007 in Epidaurus, wäre sich die Süddeutsche Zeitung mit ihrer Berichterstattung über dieses Ereignisses eines Kritikers sicherlich gewiss: dem antiken Philosophen Aristoteles. Zumindest hätte ihn dieser Artikel nicht überzeugen können, dass es sich bei der Aufführung um eine gelungene Tragödie handelt. Denn diese käme nach Aristoteles auch ohne die in der Süddeutschen Zeitung gepriesene „bombastische Wirkung“ der Inszenierung aus. Und vielleicht hätten wir in der Süddeutschen Zeitung wenige Tage später einen Leserbrief vernehmen können, in dem Aristoteles Stellung bezieht: „Die Inszenierung vermag zwar die Zuschauer zu ergreifen; sie ist jedoch das Kunstloseste und hat am wenigsten etwas mit der Dichtkunst zu tun. Denn die Wirkung der Tragödie kommt auch ohne Aufführung und Schauspieler zustande.“ 2 So schrieb er es zumindest in seinem Werk „Über die Poetik“. In der POETIK des Aristoteles, die wohl nach 335 v. Chr. entstand, können wir erfahren, was er unter Dichtkunst versteht und wann eine Tragödie als eine gelungene Tragödie bezeichnet werden kann. Für Aristoteles ist die Tragödie Nachahmung: eine spezifische Nachahmung von Handlungen und Lebenswirklichkeit. Hierbei darf selbstverständlich nicht daran gedacht werden, dass Aristoteles an eine zwingend original getreue Nachahmung des natürlich Gegebenen denkt. Vielmehr muss berücksichtigt werden, dass der Begriff der Nachahmung lediglich der Versuch einer Übersetzung des griechischen „ËËÆ1ÈГ (mimesis) darstellt und wie VON RAUMER bemerkt im deutschen nur unzureichend mit „Nachahmung“ wiedergegeben wird „und der Sinn nicht selten besser getroffen wird, wenn man sagt: Gestaltung, Bildung, Werk, oder vielleicht am Besten, Darstellung.“ 3 In diesem Sinne zeigt sich also die Tragödie für Aristoteles als schöpferische Nachahmung oder eben als Darstellung. Und „daher sind die Geschehnisse und 1 Dössel, Christine. Blutlache der Zivilisation. In: Süddeutsche Zeitung Nr. 193 vom 23. August 2007. Seite 13 [1450b 16] 3 Von Raumer. (1831). S.118. Als weiterer Beleg kann der Tatbestand dienen, dass Aristoteles im Kapitel 14 davon spricht, dass es die Aufgabe des Dichters sei, sich an dem Gegebenen angemessen zu orientieren, aber eben auch zu erfinden („¿ß“ !) 2