2012.06.24 – Online Musik Magezin – Recensie Piramo e Tisbe Musikfestspiele Potsdam Sanssouci 09.06.2012 - 24.06.2012 Piramo e Tisbe Intermezzo tragico in zwei Akten Libretto von Marco Coltellini Musik von Johann Adolph Hasse In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln (im Schlosstheater) Aufführungsdauer: ca. 2 h 40' (eine Pause) Premiere im Schlosstheater, Gartensalon und Heckentheater, Neuen Palais von Sanssouci am 18. Juni 2012 (rezensierte Aufführung: Derniere am 23.06.2012) Tragisches Intermezzo in Naturkulisse Von Thomas Molke / Fotos von Stefan Gloede Johann Adolf Hasse zählt nicht nur zu den herausragendsten Vertretern der Opera seria des 18. Jahrhunderts, der mit seinen festen musikalischen Strukturen und Formen europaweit diese Gattung geprägt hat, sondern gilt auch als Lieblingskomponist Friedrichs II. So verwundert es nicht, dass für die diesjährigen Festspiele, die unter dem Motto "Rührt euch! Friedrich der Große, die Musik und Europa" an den 300. Geburtstag Friedrichs II. erinnern, als Opernpremiere ein Spätwerk Hasses ausgewählt worden ist, das drei Jahre nach seiner Uraufführung im Schlosstheater auf dem Spielplan stand. Hasse selbst bezeichnete sein Intermezzo tragico Piramo e Tisbe als eines seiner besten Werke, die er jemals geschrieben und womit er sich selbst übertroffen habe, und beschloss, mit diesem Stück seine fast 50-jährige Theaterkarriere zu beenden. Der besondere Reiz der Inszenierung bei den Musikfestspielen liegt nun darin, dass unterschiedliche Spielorte einbezogen werden und die Geschichte in der Naturkulisse des wiedereröffneten Heckentheaters am Neuen Palais ihr tragisches Ende findet. Tisbes Vater (Carlo Vincenzo Allemano) missbilligt die Liebe seiner Tochter (Bénédicte Tauran) zu Piramo (im Hintergrund: David Hansen). Das Libretto basiert auf der Erzählung in Ovids Metamorphosen, die William Shakespeare einerseits zu seinem berühmten Liebespaar Romeo und Juliet inspirierte, andererseits auch als Schauspielaufführung der Handwerker in seinem Sommernachtstraum parodiert wird. Piramo und Tisbe wachsen als Nachbarskinder zweier assyrischer Familien auf, die mittlerweile verfeindet sind. Der Hass der Eltern kann ihre Liebe zueinander nicht verhindern. Heimlich nutzen sie einen Riss im Mauerwerk, um des Nachts Liebesbeteuerungen auszutauschen. In der Oper gräbt Piramo sogar einen geheimen Zugang zu Tisbes Zimmer. Doch Tisbes Vater beschließt aus machtpolitischen Interessen, seine Tochter einem anderen Mann zu vermählen. Also planen Piramo und Tisbe die Flucht und verabreden sich am Grabmal des babylonischen Königs Ninos im Wald. Tisbe trifft dort zuerst ein, wird allerdings von einem Löwen verjagt. Auf der Flucht verliert sie ihren Schleier, den der Löwe zerfetzt. Piramo glaubt nun beim Anblick des blutigen Schleiers, dass Tisbe getötet worden sei, und nimmt sich das Leben. Tisbe findet ihren sterbenden Geliebten und ersticht sich ebenfalls. Anders als bei Ovid gibt es in der Oper nun keine Metamorphose. Stattdessen erscheint Tisbes Vater, findet seine tote Tochter in Piramos Armen, erkennt seine Schuld am Tod der geliebten Tochter und erdolcht sich ebenfalls. Kristi Hughes lädt ein zum Divertissement in der Pause im Gartensalon am Neuen Palais. Um neben dem Schlosstheater für den ersten und dem Heckentheater für den zweiten Akt auch den Gartensalon am Neuen Palais als dritte friderizianische Musenstätte in die Inszenierung einzubeziehen, hat der Regisseur Igor Folwill die Artistokraten eingebaut, eine hochkarätig besetzte Compagnie, die sich der Tradition der Nouveau Cirque-Bewegung verpflichtet, Akrobatik auf dem Boden und in der Luft mit Live-Musik und Gesang verknüpft und dabei stets in hautnahem Kontakt zum Zuschauer steht. So wartet Kristi Hughes im Teufelskostüm auf hohen Stelzen nach dem ersten Akt vor dem Schlosstheater, um die Zuschauer zum Gartensalon zu begleiten, wo ein "Divertissement" mit Auszügen aus Joseph Haydns Partita in F-Dur und Georg Philipp Telemanns Tafelmusik mit einem abwechslungsreichen Programm aus Seiltanz (Silke Adolph), Hula-Hoop (Sabine Rieck), Flickflack und Bodenakrobatik (Eduard Anselm und Lukas Vernaldi), Jonglieren (Lennart Helm) und clownesken Einlagen (Henrik Lüderwaldt) präsentiert wird. Nach dieser kurzweiligen Pausenunterhaltung führt Hughes die Zuschauer weiter zum Heckentheater, um in der Naturkulisse den zweiten Akt zu erleben. Tisbe (Bénédicte Tauran) wartet am Grab des König Ninos auf Piramo. Die Eule (Silke Adolph) verkündet nichts Gutes. Dabei dienen die Artistokraten allerdings nicht nur als Pausenfüller, sondern werden auch in die Inszenierung einbezogen. So bewegt sich Silke Adolph im zweiten Teil im Heckentheater hinter einer großen Eule aus Pappe über die Bühne und scheint, das drohende Unheil bereits anzukündigen. Auch der Löwe, der Tisbe vom Treffpunkt vertreibt, wird eindrucksvoll von zwei Artistokraten zur aufwühlenden Musik Hasses dargestellt. Wenn die Compagnie am Ende mit traurigen Augen hinter den Leichen steht, gewinnen die bis dahin komischen Figuren eine große Tragik. Allerdings sind nicht alle Auftritte der Gruppe motiviert. Im ersten Akt im Schlosstheater wird beispielsweise nicht klar, wieso einzelne Artisten als Beobachter auf der Bühne stehen und das Geschehen beobachten. Auch das Jonglieren mit Kegeln im zweiten Akt, während Tisbe am Grab des Ninos auf ihren Piramo wartet, wirkt eher unmotiviert. Nicht nachvollziehbar ist auch, warum sie die Naturkulisse im zweiten Akt mit einem großen Wolkenprospekt verhängen, der den Hintergrund aus dem Schlosstheater wieder aufnimmt und den Auftritt des Löwen vorbereitet. Will Folwill an dieser Stelle bewusst mit der Naturkulisse brechen und die Inszenierung auf eine surreale Ebene ziehen? Tisbes Vater (Carlo Vincenzo Allemano) beklagt den Tod seiner Tochter (Bénédicte Tauran) (daneben der tote Piramo (Vince Yi), im Hintergrund: die Artistokraten (von links) Henrik Lüderwaldt, Kristi Hughes, Silke Adolph und Lukas Vernaldi). Dafür spräche, dass die Bühne im ersten Akt im Hintergrund die Garderoben der Künstler zeigt, an denen auch ihre Kostüme hängen, und die Sänger, wenn sie nicht in der Szene sind, sich bisweilen in diese Garderoben zurückziehen, um sich für den folgenden Auftritt vorzubereiten. Folwill schafft hier also eine Art Probensituation, in der die handelnden Personen bewusst in eine Rolle schlüpfen. Daher zeigt das Bühnenbild von Manfred Kaderk im ersten Akt auch kein Zimmer, sondern besteht aus drei schräg übereinander geschichteten Felsplatten, die im Heckentheater analog aufgebaut sind und sich als Grabmal des Ninos deuten lassen. Im Schlosstheater kann man sie aber auch als eingerissene Wand zwischen den beiden Häusern interpretieren, durch die Piramo den Weg zu seiner Tisbe findet. Im Heckentheater greift Kaderk die Fassadenkonstruktion im Inneren des Schlosstheaters wieder auf, so dass fast der Eindruck entsteht, dass man immer noch am gleichen Ort ist, im ersten Akt in der Probe, im zweiten Akt im richtigen Spiel. Gesungen und musiziert wird auf sehr hohem Niveau, wobei das flämische Barockorchester B'Rock unter der Leitung von Andrea Marchiol die Solisten zumindest im Schlosstheater bisweilen ein bisschen übertönt, was aber wohl eher der Akustik angelastet werden kann. Mit intensivem Spiel lotet Marchiol die vielschichtige Partitur aus und zeigt, dass Hasse sich am Ende seiner Karriere mit zwei nahezu komplett durchkomponierten Akten in einer bunten Mischung von Arien, Duetten, Secco- und Accompagnato-Rezitativen den Reformbewegungen geöffnet und mit den bisherigen Gattungskonventionen gebrochen hat. Carlo Vincenzo Allemano begeistert mit schon beinahe baritonal angelegtem, kräftigem Tenor als Tisbes Vater und verleiht mit seinem dunklen Timbre der Figur stimmlich die Härte, die die Tochter zur Flucht und letztendlich zum Selbstmord treibt. Grandios gelingt ihm seine Schlussarie "Nella nera ombra di Morte", in der er die Schuld am Tod der Tochter erkennt und den Selbstmord als einzigen Ausweg erkennt. Doch Folwill lässt es offen, ob Tisbes Vater sich am Ende wirklich erdolcht. So verlöscht das Licht, während Allemano noch zum Todesstoß ausholt. Bénédicte Tauran findet mit ihrem lieblichen Sopran für die Partie der Tisbe sehr weiche und innige Töne. Großartig gelingt ihr der lange Monolog zu Beginn des zweiten Aktes, während sie auf Piramo wartet. Mit eindringlichem Spiel und beweglicher Stimme changiert sie zwischen ängstlicher Dramatik und bedingungslosem Vertrauen auf den Geliebten. Vince Yi stattet den Piramo mit einem leuchtenden, hellen Sopran mit ungeheurer Durchschlagskraft aus. Im Zusammenspiel mit Tauran verschmelzen die Stimmen der beiden zu einer wunderschönen Einheit. So gibt es am Ende lang anhaltenden und verdienten Applaus für alle Beteiligten. Einzig vereinzelte Fluggeräusche und leise, fremde Musikgeräusche aus der Ferne konnten den Gesamteindruck in der Naturkulisse des Heckentheaters ein wenig trüben. FAZIT Igor Folwill hat mit seiner Inszenierung eine stimmige Verbindung zwischen den drei friderizianischen Musenstätten im und am Neuen Palais gefunden. Musikalisch bleibt zu hoffen, dass auch weitere Bühnen auf dieses Juwel Hasses aufmerksam werden. http://www.omm.de/veranstaltungen/festspiele2012/P-2012-piramo-e-tisbe.html OMM; Thomas Molke, 24.06.2012