Johannes Michael Rainer. Römisches Staatsrecht: Republik und Kaiserzeit. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2006. 333 S. (gebunden), ISBN 978-3-534-11544-0. Reviewed by Andreas Klingenberg Published on H-Soz-u-Kult (November, 2006) J. M. Rainer: Römisches Staatsrecht Bei einem Titel, der sich des “römischen Staatsrechtes” annimmt, denkt man sicher zuerst an Theodor Mommsen und seine monumentale Ausarbeitung des Sujets. Mommsen, Theodor, Römisches Staatsrecht, Leipzig 1887-1888. Das Buch von Johannes Michael Rainer, Professor für Römisches Recht und Modernes Privatrecht an der Universität Salzburg, verfolgt eine andere Zielsetzung. Es präsentiert sich als Einführung, konzipiert für einen breiten Leserkreis, wobei Jurist/innen und Altertumswissenschaftler/innen gleichermaßen herausgestellt werden (S. 21). Grundsätzlich zerfällt das Werk in zwei Teile: Republik und Kaiserzeit. Der bereits 1997 veröffentlichte erste Abschnitt ist hier in unveränderter Form wiedergegeben, ein zweiter Band über die Prinzipatszeit war jedoch von Beginn an geplant. Rainer, Johannes Michael, Einführung in das römische Staatsrecht. Die Anfänge und die Republik, Darmstadt 1997, S. 1. Nicht nur im Titel, auch in der Konzeption stand Mommsen Pate, so ermögliche der “juristisch-institutionelle Aspekt” die “Einheit beider Teile” (S. 9). bende Herausforderung für die Forschung, Hildesheim 2005, S. 9-60. Immerhin beschließt ein Kapitel zur “Regierungspraxis” den Republik-Teil (§ 24, S. 140-147). Zwar wirft Rainer die Frage nach der Realität einer ,Verfassung’ bzw. eines ,Staatsrechtes’ und der Anwendbarkeit dieser Begrifflichkeit auf den römischen Staat auf (S. 13-18), stellt gleichwohl aber fest: “Mommsens Beweis bedarf in seiner Großartigkeit keiner weiteren Unterstützung” (S. 15). Unter ,Verfassung’ versteht Rainer die “Gesamtheit […] allgemein verbindlicher Regeln”, die er für die Republik seit dem als leges Liciniae Sextiae (367 v. Chr.) bekannten Ausgleich zur Beilegung der Ständekämpfe als gegeben erachtet (S. 13f.), wobei “die Einrichtungen des römischen Staates nicht a priori erdacht wurden” (S. 140). Deren Entwicklung sei aber mit der lex Hortensia des Jahres 287 v. Chr. abgeschlossen gewesen (S. 13, 129, 140). Diese Verfassung habe erst mit dem neuen Staat des Augustus ein Ende gefunden (S. 16, 153). Dem vorangegangene Eingriffe, allen voran durch Sulla, seien hingegen lediglich “politische Episoden” gewesen, “die nie an die Substanz der Verfassung gingen” (S. 16). Es Historisches Hintergrundwissen wird den Le- bleibt freilich zu beachten, dass nicht alles gesetzmäßig ser/innen dabei abverlangt (S. 9), Rainer liefert jedoch festgeschrieben, sondern vieles auf Konventionen, Traauch einen Abriss der Geschichte des republikanischen dition und Präzedenzfällen beruhte. Es stellt sich mithin Rom (§ 4, S. 42-51). Gegenüber der staatsrechtlichen Sys- die Frage, ob eine Bezeichnung wie “die Verfassung von tematisierung treten die sozial-historischen Hintergrün367” (z.B. auf S. 14) gerechtfertigt ist, zumal angesichts de freilich zurück. Zu dieser Problematik kritisch: Hölder Unsicherheit der näheren Umstände der so genannkeskamp, Karl-Joachim, Rekonstruktionen einer Repu- ten Licinisch-sextischen Gesetze. Später verwendet Raiblik, München 2004, 19-29. Vgl. auch: Nippel, Wilfried, ner allerdings häufiger den Begriff “Ausgleich von 367” Das Staatsrecht in der Diskussion – von 1871 bis heute, (etwa S. 70); vgl. auch S. 131: “Verfassungsausgleich von in: ders.; Seidensticker, Bernd (Hgg.), Theodor Momm- 367”. Im zweiten Teil räumt Rainer ein, die Verfassung der sens langer Schatten. Das römische Staatsrecht als bleiRepublik sei gewachsen (S. 214). Das erinnert an Christi1 H-Net Reviews an Meier, der – in Absetzung von einer gestifteten – von einer “gewachsenen Verfassung” sprach Meier, Christian, Res publica amissa, Frankfurt am Main 1997, bes. S. 56f. , zu Recht auch über das Jahr 287 v. Chr. hinaus. phie, München 2004, S. 210-224. Caesar strebte dann nach der Alleinherrschaft, in welcher Form, wird aber kontrovers diskutiert: Rainer sieht Caesars Machtstellung wie Martin Jehne Jehne, Martin, Der Staat des Dictators Caesar, Köln 1987, S. 14-38. , den er freilich nicht zitiert, vorInsgesamt konzentriert Rainer seine Darstellung auf nehmlich mit der Stellung als dictator perpetuus staatsdie ,klassische Republik’, dazu kommen einige Ausführechtlich verankert (S. 179ff.), dies sei allerdings nur eine rungen zur Frühzeit mit Betonung auf den gentilen “Zwischenlösung” gewesen (S. 183). Strukturen (§ 1-3, S. 27-42) und der Entwicklung der “Hauptmagistratur” (§ 7, S. 64-70). Dabei ist allerdings Die der Ermordung Caesars folgende Zeit politikeine wirkliche Sicherheit zu gewinnen, wenngleich scher und militärischer Auseinandersetzungen mündete manche Ausführungen diesen Anschein erwecken. So im Prinzipat (S. 185ff.). Die Frage nach dessen Anfang sei geht er z.B. von der Historizität des Servius Tullius und “ziemlich komplex […] zu beantworten” (S. 151), nach eider ihm zugeschriebenen Regelungen aus (S. 40, 42, 112). ner Entwicklungsphase in den Jahren 28-19 v. Chr. (S. Lediglich die Zeit davor werde zur “Legende” (S. 25). Im 209) sei die “strukturelle Systematik” ausgeprägt geweZentrum stehen die “Eckpfeiler” (S. 129) des republika- sen (S. 153). Entscheidende Veränderungen habe es nicht nischen Staates, die Rainer wie Mommsen in Magistra- gegeben, auf die Bürgerrechtsverleihung an alle Freien tur, Volksversammlung und Senat erkennt. In diesem Sin- durch Caracalla im Jahr 212 geht Rainer nur kurz ein (§ ne werden die einzelnen Staatsämter vom Consul bis zu 16, S. 282f.). Das Ende dieser Ordnung setzt Rainer bei den untersten Magistraten näher dargestellt (§ 8-16, S. 70- Diocletian an, unter dem sich “ein völlig anderer römi102). Als einzige Priesterschaft sind die Pontifices aufge- scher Staat präsentierte” (S. 155), der deshalb nicht benommen, da sie neben sakralen auch staatliche und juris- handelt wird. Inwiefern die “Abgrenzung zwischen Printische Aufgaben wahrnahmen (§ 17, S. 102ff.). Dem stellt zipat und Dominat […] eine radikale und endgültige” war der Autor die Volksversammlungen in ihren verschiede- (S. 155), eine These, bei der erkennbar die Autorität Theonen Ausprägungen mit ihren gesetzgebenden Kompeten- dor Mommsens nachwirkt Mommsen (wie Anm. 1), Bd. zen (§ 18-22, S. 105-130) und den Senat samt seinen Funk- 2, S. 760-763, vgl. auch S. 748f. Vgl. dens., Abriß des rötionen (§ 23, S. 130-139) gegenüber. mischen Staatsrechts, Darmstadt 1974, S. 278-280. , wird von Rainer erst im Ausblick am Ende mit nur wenigen Die “Krise der Republik” (S. 162) nimmt Rainer in- Worten erläutert: Der neue Staat “war geprägt von strendes erst im zweiten, neu verfassten Teil stärker ins Vi- ger Trennung von Armee und Zivilverwaltung” und habe sier. Er betont dabei zu Recht, dass zum Verständnis des “auf einer intensiven Bürokratisierung und auf der instiPrinzipats und seiner Entstehung eine Kenntnis der Ge- tutionellen Machtfülle des Kaisers” beruht (S. 302). Daschichte unabdingbar ist. Hatte der Autor im ersten Teil her “spricht man zu Recht vom Dominat”. Der Begriff ernoch besonders den Gegensatz zwischen Senatoren und weist sich aber als wenig geeignet und wird in der heuRittern hervorgehoben (S. 146f.; vgl. S. 204, 291), treten tigen (althistorischen) Forschung nicht mehr gebraucht. nun strukturelle Probleme stärker hervor, denen wesent- Dazu Bleicken, Jochen, Prinzipat und Dominat. Gedanliche Bedeutung zukommen dürfte. Vgl. Bleicken, Jochen, ken zur Periodisierung der römischen Kaiserzeit, in: ders. Gedanken zum Untergang der römischen Republik, in: (wie Anm. 7), S. 817-842; vgl. Demandt, Alexander, Die ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2, Stuttgart 1998, S. 683Spätantike, München 1989, S. 211-231. 704. Sie zeigten sich etwa an den Gracchen, die an den herkömmlichen Normen rüttelten (S. 162f.). Es wird zuDieser Aspekt führt zugleich ins Zentrum der Probledem deutlich, dass die republikanische Verfassung so fest matik eines kaiserzeitlichen Staatsrechts: es ist die Fraund durchgeplant gar nicht war: Die Reformen Sullas (S. ge, wie der Kaiser darin einzuordnen ist. Bei Rainer ist 165ff.), die den aus den Fugen geratenen Staat wieder er den von Augustus gefundenen Formen unterworfen, in Ordnung bringen sollten, fixierten rechtlich, was vor- seine Macht nur durch die ihm übertragenen Kompemals vielfach nicht fest geregelt war. Grundlegend Han- tenzen definiert (§ 6-9, S. 192-231); mit anderen Wortos, Theodora, Res publica constituta. Die Verfassung des ten: es habe sich um einen “Rechtsstaat” (S. 219, 234, Dictators Sulla, Stuttgart 1988. Es folgte der Aufstieg des 294f.) gehandelt. Demgemäß versteht Rainer den PrinPompeius, dem man zwar ein starkes Geltungsbedürfnis ceps als “Staatsoberhaupt” (S. 155), mehr noch als “Amt” unterstellen kann, nicht jedoch die Absicht, “Roms ers- (S. 295). Damit bewegt er sich wiederum im Fahrwasser ter endgültiger Alleinherrscher zu werden” (S. 169). Vgl. Mommsens Mommsen (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 749f.; ders. Christ, Karl, Pompeius. Der Feldherr Roms. Eine Biogra- (wie Anm. 11), S. 148f. , dessen Konzept einer Dyarchie 2 H-Net Reviews Für eine neue Beurteilung von Mommsens Konzeption vgl. aber: Winterling, Aloys, Dyarchie in der römischen Kaiserzeit. Vorschlag zur Wiederaufnahme der Diskussion, in: Nippel/Seidensticker (wie Anm. 3), S. 177-198. von Kaiser und Senat er folgt (S. 213, 295). Dem Senat räumt er somit eine starke Position ein (§ 10, S. 231-240), während die Volksversammlung (§ 11, S. 240-246) gegenüber den Zeiten der Republik in “Bedeutungslosigkeit” (S. 240) versinkt. Entsprechend habe die Herrschaft auf einer “Investitur” in Gestalt der Verleihung des imperium proconsulare (S. 217) durch den Senat beruht. Die Machtstellung des Augustus und der Kaiser insgesamt ist freilich in staatsrechtlichen Kategorien allein nicht zu erfassen. Roller, Matthew B., Constructing Autocracy. Aristocrats and Emperors in Julio-Claudian Rome, Princeton 2001, besonders akzentuiert S. 286f. Vgl. Bleicken, Jochen, Verfassungs- und Sozialgeschichte des römischen Kaiserreiches, Bd. 1, Paderborn 1995, S. 48-60 u. 94-112; Dahlheim, Werner, Geschichte der römischen Kaiserzeit, München 2003, S. 19-26, 178-187. Diese Schwierigkeit zeigt sich deutlich an der Nachfolgeregelung (§ 8, S. 214220), an den Eingriffen des Kaisers in Rechtsprechung (S. 224-231) und Wahlen (S. 241-246). Wenngleich die Rol- le des Senats wohl eher im Rahmen einer Beteiligung an der Macht zu werten ist, Dagegen spricht sich der Autor auf S. 213 mit Anm. 209 gegen Bleicken aus. Eindeutig ist aber Plin. epist. 3,20,12. kommt ihm doch eine wichtige Rolle in der Regierung des Weltreiches zu. Neben den republikanischen Ämtern (§ 12, S. 246-251) ist hier insbesondere die Provinzverwaltung zu nennen (§ 14, S. 263-268). Davon setzt Rainer die kaiserliche Administration mit ihren verschiedenen Funktionen ab (§ 13, S. 251262) und geht ferner noch auf die Organisation der Städte ein (§ 15, S. 268-282). In den abschließenden Kapiteln zu “Wertung und Würdigung des Prinzipats” (§ 17, S. 284295), dem “Prinzipat als Element der Stabilisierung“ (§ 18, S. 295-301) und dem Ausblick (S. 302ff.) weitet sich der Blick auch auf die historische Perspektive. In der Forschung diskutierte Fragen sind oft berücksichtigt, zumeist in den zahlreichen Fußnoten. Dem gesetzten Ziel einer Einführung dienen die Vorstellung der relevanten Quellen (S. 23ff., 157ff.) sowie die Angabe weiterführender Literatur zu Beginn der einzelnen Abschnitte. Allerdings überrascht es nicht, dass die “Wertung und Würdigung des Prinzipats” in einer Laudatio des für das Buch prägenden Mannes kumuliert: Theodor Mommsen. If there is additional discussion of this review, you may access it through the network, at: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/ Citation: Andreas Klingenberg. Review of Rainer, Johannes Michael, Römisches Staatsrecht: Republik und Kaiserzeit. H-Soz-u-Kult, H-Net Reviews. November, 2006. 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