Interview mit Daviz Simango Unsere Geschichte ist eine Lüge Der Vorsitzende der Oppositionspartei MDM – Demokratische Bewegung von Mosambik – schlägt grundlegende Änderungen im Wahlsystem seines Landes vor. Er vertritt die direkte Wahl der Abgeordneten und eine Entpolitisierung der nationalen Wahl-Kommission CNE. Von Johannes Beck, übersetzt von Ursula Rinke und Rainer Tump A ufgrund der Erfahrungen der Opposition bei den mosambikanischen Wahlen von 2009 tritt Daviz Simango für eine Veränderung des politischen Systems ein. Mit seiner neuen Partei MDM verfolgt er das Ziel eine dritte politische Macht zu schaffen und die Vorherrschaft der beiden traditionellen Parteien zu brechen, der herrschenden FRELIMO und der oppositionellen RENAMO. Jetzt, da Veränderung des mosambikanischen Wahlgesetzes diskutiert werden, fordert Daviz Simango statt wie bisher die Parlamentarier nicht mehr indirekt, sondern direkt zu wählen: „Der Abgeordnete soll Kontakt mit dem Wähler haben und dieser Kontakt muss direkt sein.“ Mehr Transparenz Daviz Simango ist nicht nur Vorsitzender der MDM, sondern auch Bürgermeister der Stadt Beira, die einzige Stadt Mosambiks, die nicht von der FRELIMO regiert wird. Seine Kommunalverwaltung ist im Ausland auf großes Interesse gestoßen. Simango wurde bereits zu vielen internationalen Konferenzen eingeladen, wie z.B. am 16. und 17. November 2010 in Frankfurt zu einem Treffen, das von der Konrad Adenauer Stiftung und der deutschen Entwicklungsbank KfW veranstaltet wurde. In einem während der Tagung mit der Deutschen Welle geführten Interview appellierte der Vorsitzende der MDM, dass die CNE – die National Wahlkommission – entpolitisiert werden müsse: „Wir sollten eine Kommission aus außerpolitischen Mitgliedern haben.“ Nach dem Modell von Simango, sollten die Parteien nur Mitglieder in dem Gremium sein, das die Mitglieder der Wahlkommission auswählt, die ihrerseits jedoch nicht Mitglieder der Parteien sein dürften. Simango fordert außerdem, dass alle Sitzungen der CNE öffentlich sein sollen, um Fälle von Annullierung von Stimmen zu vermeiden, wozu es im Jahr 2009 kam, als die CNE 16 Prozent der Stimmen in der Provinz Tete ohne Rechtfertigung nicht bei der Zählung berücksichtigt hatte. „Diese Handlungen haben nichts Geheimes, sie müssen öffentlich sein!“, sagt Simango. In den letzten Wahlen hatte die CNE die MDM in den meisten Provinzen von den Listen für die Parlamentswahl aufgrund angeblicher Formfehler bei der Registrierung der Kandidatenlisten ausgeschlossen. Örtliche und internationale Wahlbeobachter hatten damals bestritten, dass dies rechtmäßig sei und den Ausschluss der MDM kritisiert. Gründung der MDM Daviz Simango wurde 1964 in Tansania geboren und durchlief die Ausbildung zum Bauingenieur an der Universität Eduardo Mondlane in Maputo. Im Jahre 2003 trat er als Kandidat der Renamo bei den Kommunalwahlen in Beira an, der zweitgrößten Stadt des Landes, die im Zentrum von Mosambik liegt. Er wurde zum Bürgermeister gewählt. Weil die Renamo ihm aber die Kandidatur für eine zweite Amtszeit verweigert hatte, bewarb er sich als unabhängiger Kandidat um die Wiederwahl und erhielt 2008 ein weiteres Mandat. Ein Jahr später gründete er seine eigene Partei, die MDM – die Demokratische Bewegung von Mosambik. In den Präsidentschaftswahlen von 2009 trat Daviz Simango gegen Amtsinhaber Armando Guebuza an und erreichte mit 8,6 Prozent die dritte Stelle. Lesen Sie Auszüge aus dem Interview, das Johannes Beck am 18.11.2010 für die Deutsche Welle führte. Interview mit Daviz Simango Ausschnitte aus Teil 1 Johannes Beck (JB): Die MDM hat bei den letzten allgemeinen Wahlen in Mosambik unter der Auslegung des Wahlgesetzes durch die nationale Wahlkommission CNE gelitten. Jetzt, wo über Änderungen am Wahlgesetz debattiert wird: Was sind die wichtigsten Forderungen aus Sicht der MDM? Daviz Simango (DS): Zuerst muss ich sagen, dass wir nicht unter der Auslegung des Wahlgesetzes gelitten haben, sondern unter der gewollten Fehlinterpretation des Gesetzes. Die beiden politischen Kräfte, die in der Nationalen Wahlkommission vertreten waren, haben alles dafür getan, um uns von den Wahlen auszuschließen. Ihr Versuch, eine gleichberechtigte Beteiligung der MDM bei den Wahlen zu verhindern, basierte auf der Besorgnis, dass die MDM ihre Po- Foto: Gerald Henzinger Mosambik-Rundbrief Nr. 82 • Mai 2011 7 Aktuelles sition gefährden könnte. Sie hatten ja gesehen, dass die MDM erfolgreich war. Sie müssen sich vorstellen, dass es in Mosambik lange Zeit nur zwei Parteien gab. In dem Moment, wo eine dritte Partei auftrat, mit der Kraft, die Macht der beiden anderen zu durchbrechen, da wurden sie nervös und begannen mit dieser Sache des Ausschlusses. JB: Aus ihrer Sicht war der Ausschluss also nicht legal? DS: Der war nicht legal. Aus meiner Sicht war es ein geplanter, organisierter Versuch mit dem Ziel, die MDM von den Wahlen auszuschließen. (…) JB: Bei der Diskussion um eine Reform der Nationalen Wahlkommission geht es auch um die Frage wie diese ihre Entscheidungen begründen muss. Bei der letzten Wahl wurden zum Beispiel rund 16 Prozent der Wählerstimmen aus der Provinz Tete annulliert – ohne Angabe von Gründen. Denken Sie, dass die Nationale Wahlkommission die Annullierung von Wählerstimmen in Zukunft begründen sollte? DS: Wenn es mehr Transparenz gäbe und wenn die Entscheidungen der Nationalen Wahlkommission veröffentlicht würden, wäre das schon ein Fortschritt. Aber Öffentlichkeit bedeutet nicht, diese Sachen in der Zeitung zu drucken. Öffentlichkeit bedeutet, dass die politischen Parteien, die Zivilgesellschaft und andere interessierte Personen an den Sitzungen der Kommission teilnehmen können. Das wären dann Beobachter ohne Stimmberechtigung, die aber hören und verstehen könnten, was dort diskutiert wird. hängigkeit Mosambiks. Warum glauben sie, ist das noch kein Thema in Mosambik? Ist es noch zu früh für eine offene Diskussion darüber? ES: Ja, meine Eltern haben tatsächlich an diesem Prozess der Befreiung teilgenommen. Mein Vater war Vizepräsident. Meine Mutter war die erste Frau, die Präsidentin der Frauenorganisation der FRELIMO wurde. Es waren also Menschen, die sich sehr der nationalen Sache verschrieben hatten. Man spricht bis heute aus einem sehr einfachen Grund sehr wenig über diese Sachen: unsere ganze Geschichte ist eine Lüge. Wir haben es geschafft, unsere Kinder mithilfe der Schulbücher über den Tod von Eduardo Mondlane anzulügen. Heute tauchen darüber ganz andere Versionen auf. Wir sind weiterhin Zeugen einer FRELIMO, die nicht den Mut hat, dem Volk die Wahrheit zu sagen. Das ist schlecht für die Kinder; das ist auch schlecht für die Geschichte Mosambiks. Es ist nötig, dass wir den Leuten die Freiheit geben, über das Land zu sprechen, über die Helden. Und die Helden Mosambiks können nicht einfach von einer Partei per Fingerzeig bestimmt werden. Nicht jeder, der im Befreiungskampf zur Waffe gegriffen hat, ist auch ein Nationalheld. Andererseits gibt es Leute, die nicht am bewaffneten Befreiungskampf teilgenommen haben, die aber unter der PIDE [portugiesischer Geheimdienst] gelitten haben und erniedrigt wurden. Es gab Leute, die innerhalb Mosambiks Proteste gegen die portugiesische Regierung organisiert haben. Aber über die wird in Mosambik nie geschrieben. Letztendlich wird die mosambikanische Geschichtsschreibung von drei oder vier Leuten dominiert, die vor allem ihre eigenen Interessen vertreten – und das ist schlecht. JB: Glauben Sie, dass es die Möglichkeit gibt, über diese dunklen Zeiten in der Geschichte Mosambiks offen zu reden? Glauben Sie, dass es tatsächlich ein Forum gibt, um über diese Themen zu diskutieren? ES: Ich denke, in Mosambik sollte so etwas gemacht werden wie in Südafrika: eine Versöhnungs- und Wahrheitskommission. Die Menschen sollten frei sein. Die Menschen sollten sich klar darüber werden, dass diese Sachen geschehen sind, dass sie Teil der Geschichte des Landes sind. Und die Geschichte wird auf unterschiedliche Weise geschrieben. Die Menschen umarmen sich, bitten sich gegenseitig um Verzeihung für die Fehler, die sie begangen haben – und dann können sie endlich eine neue Seite der Geschichtsbücher schreiben. Johannes Beck ist Leiter der portugiesischen Redaktion der Deutschen Welle in Bonn. Die komplette portugiesische Version des Interviews ist abrufbar unter: www.dw-world.de/ dw/article/0,,6246559,00.html JB: Heißt das, ihr Vorschlag ist, dass in Zukunft alle Sitzungen der Wahlkommission als auch die Stimmauszählung öffentlich sein sollten? DS: Ganz genau. Dagegen gibt es keine Alternative. Dabei muss sichergestellt sein, dass es keine Einmischung in die Arbeit der Kommission gibt. Aber die Beobachter könnten dann die Diskussion verfolgen und die Arbeit jedes einzelnen Mitglieds der Kommission bewerten. (…) Ausschnitte aus Teil 2 JB: Lassen sie uns etwas in die Vergangenheit blicken. Ihre Familie hat schwer unter der Frelimo gelitten. Ihr Vater Uria Simango, ehemaliger Vizepräsident der Frelimo, und ihre Mutter wurden umgebracht. Es fällt auf, dass auch heute noch sehr wenig über diesen Teil des Befreiungskampfes gesprochen wird, über die Umerziehungslager vor und nach der UnabKfW / Foto: Thomas Heilmann 8 Mosambik-Rundbrief Nr. 82 • Mai 2011