Universität Zürich Institut für Politikwissenschaft Forschungsseminar Wahlsysteme und Parteiensysteme in vergleichender Perspektive Wintersemester 2005/06 Prof. Hanspeter Kriesi, Simon Bornschier und Charlotte Reinisch Forschungsarbeit zum Thema Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien im internationalen Vergleich Abgabetermin: 10. Juni 2006 Gruppe 17 Fahrettin Calislar Irchelstr. 14 8180 Bülach [email protected] 92-706-852 Allgemeine Geschichte Politikwissenschaft Militärgeschichte Dominik Mösching Kilchweg 9 3665 Wattenwil [email protected] 03-206-935 Politikwissenschaft Soziologie Publizistik Jakub Orsag Luegete 16 8053 Zürich [email protected] 01-731-314 Politikwissenschaft Volkswirtschaft Völkerrecht Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien Calislar/Mösching/Orsag (Gruppe 17) Inhaltsverzeichnis 1. EMPIRISCHES PUZZLE UND FRAGESTELLUNG............................................... 2 2. LÖSUNGSANSÄTZE IN DER LITERATUR........................................................... 4 2.1 Wertewandel-Ansatz 4 2.2 Rational-Choice Institutionalismus: Institutionelle Faktoren 5 3. HYPOTHESEN....................................................................................................... 8 3.1. Hypothese 1: Sympathie 8 3.2. Hypothesen 2 bis 6: Wahlsystem 8 3.2.1. Intervenierende Variable Wahlkreisgrösse............................................................................................... 8 3.2.2. Intervenierende Variable Hürde ............................................................................................................... 9 3.2.3. Intervenierende Variable Knappheit....................................................................................................... 10 3.2.4. Intervenierende Variable Wahlliste ........................................................................................................ 10 3.2.5. Intervenierende Variable Konkurrenz .................................................................................................... 11 3.3. Hypothese 7: Politische Informiertheit 12 4. DATENQUELLE, FALLAUSWAHL UND OPERATIONALISIERUNG ................ 13 4.1. Datenquelle 13 4.2. Fallauswahl 13 5. OPERATIONALISIERUNG .................................................................................. 14 5.1. Die abhängige Variable 14 5.2. Die unabhängigen und intervenierenden Variablen 15 5.2.1. Sympathie: Operationalisierung Hypothese 1 ........................................................................................ 15 5.2.2. Wahlkreisgrösse: Operationalisierung Hypothese 2............................................................................... 16 5.2.3. Hürde: Operationalisierung Hypothese 3 ............................................................................................... 17 5.2.4. Knappheit: Operationalisierung Hypothese 4......................................................................................... 18 5.2.5. Wahlliste: Operationalisierung Hypothese 5 .......................................................................................... 18 5.2.6. Konkurrenz: Operationalisierung Hypothese 6 ...................................................................................... 19 5.2.7. Politische Informiertheit: Operationalisierung Hypothese 7 .................................................................. 21 6. MODELL UND METHODE................................................................................... 22 7. ERGEBNISSE UND INTERPRETATION ............................................................. 24 7.1. Prüfung des Gesamtmodells 24 7.2. Interpretation der Regressionskoeffizienten 26 8. SCHLUSSWORT ................................................................................................. 31 8.1. Fazit 31 8.2. Aufgetauchte Probleme 31 8.3. Weiterführende Forschung 33 9. LITERATURLISTE ............................................................................................... 34 ANHANG.................................................................................................................. 36 1 Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien Calislar/Mösching/Orsag (Gruppe 17) 1. Empirisches Puzzle und Fragestellung Vor etwa 25 Jahren kam Bewegung in die weitgehend stabile Parteienlandschaft Westeuropas: Grüne Parteien betraten die politische Bühne. Häufig aus lokalen Protestgruppierungen hervorgegangen, bauten sie zügig Parteistrukturen auf und etablierten sich durch ihre Wahlerfolge in Parteiensystemen vieler Länder. Jedoch variieren die Wahlanteile grüner Parteien zwischen den einzelnen Staaten erheblich (European Greens 2002; 2004). Dabei fällt auch auf, dass zwischen dem Wählerpotenzial der Grünen und dem tatsächlichen Wähleranteil ein massiver, im Vergleich mit den anderen Parteien deutlich grösserer Unterschied besteht (Mair 2001: 105). Worauf sind diese Unterschiede zurückzuführen? Das Wählerpotenzial ist die aggregierte Anzahl der einzelnen Parteisympathisanten. Viele Personen, die an sich Sympathie für die Grünen hegen würden, müssen andere Parteien gewählt haben. Bezogen auf den Wähler fragen wir deshalb: Unter welchen Bedingungen wählt ein Sympathisant die grüne Partei? Wir untersuchen diese Frage auf der Mikroebene, um die individuelle Wahlentscheidung zu erfassen. Das Hauptinteresse unserer Arbeit gilt also der Diskrepanz zwischen der Anzahl der Sympathisanten einer Partei und der tatsächlichen Wähleranzahl. Ausgehend von den Annahmen des Rational-Choice-Institutionalismus vermuten wir hinter diesem Phänomen die strategischen Überlegungen der Wähler (Kapitel 2). Es wäre zwar möglich, das strategische Wählen anhand anderer kleiner Parteien zu untersuchen, wir haben uns aber aus folgenden Gründen für die Grünen entschieden: • Die Grünen sind verglichen mit den drei „Grossen“ in der europäischen Parteienlandschaft, den Liberalen, den Sozialdemokraten und den Konservativen, fast überall eine typische „Kleinpartei“. • Von den Gruppierungen auf dem rechten und linken Rand unterscheiden sie sich durch Gemeinsamkeiten in der politischen Konzeption und durch die geographische Verbreitung. Sie sind in Europa in fast allen Ländern präsent. Und sie haben eine relativ enge Spannweite im Wähleranteil (in vielen Ländern von ca. 4 bis 10 Prozent), was den Wertewandel-Ansatz als Erklärungsmöglichkeit schwächt (Kapitel 2). • Umgekehrt weisen die Erfolge der Grünen international doch eine genügend grosse Varianz auf, die es uns erlaubt, die Analyse durchzuführen. So erweisen sich die Grünen aus unserer Sicht als geeignet, um den Effekten des Wahlsystems nachzugehen. Schwieriger gestaltet sich die Definition der „grünen Partei“ in jedem Land. Während diese in einzelnen Staaten - wie der Schweiz – relativ klar einzuteilen 2 Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien Calislar/Mösching/Orsag (Gruppe 17) sind, gestaltet sich dies in anderen Ländern - wie in Süd- oder Osteuropa - schwierig, weil sie dort oft ein unklares politisches Profil haben, lose Bündnisse aus oppositionellen Kräften sind oder die Namen ändern. Hinzu kommen noch ausgefallenere Konstellationen wie Belgien, wo die Grünen einen flämischen und einen wallonischen Ableger haben, oder Staaten, wo – wie in Frankreich oder Dänemark – mehrere „grüne“ Parteien zur Wahl stehen. Eine Möglichkeit wäre, sich auf die Klassifizierung in der einschlägigen Literatur abzustellen. Dies ist schwierig, da Standardwerke wie Müller-Rommel (1993) bereits älteren Datums sind und der Konsolidierungsprozess noch heute nicht als abgeschlossen bezeichnet werden kann. Es gibt die Möglichkeit, sich nach der Klassifizierung des CSES-Datensatzes zu richten. Wir gehen aber von den Selbstbezeichnungen aus. Im Zweifelsfall richten wir uns nach der Mitgliedschaft beim Dachverband der Europäischen Grünen (European Greens 2002; 2004). Dabei schliessen wir auch die SF (Sozialistische Volkspartei in Dänemark) ein, die bei den Eurogreens einen Beobachterstatus innehaben. Erhoben wurden die Grünen im von uns verwendeten CSES-Datensatz (Shively 2001-2005) in: Australien, Belgien, Tschechien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Deutschland, Island, Irland, Mexiko, Neuseeland, Portugal, Spanien, Schweden, Schweiz, Taiwan, Israel, Kanada, Niederlande, Portugal, Grossbritannien und Bulgarien. Nach der Operationalisierung werden wir allerdings auf einzelne Parteien verzichten müssen (Kapitel 3). Ein demokratischer Staat hat das Interesse zu wissen, wie sich bestimmte Änderungen im Wahlsystem auswirken. Diese Mechanismen können auch zur Beeinflussung des Wahlergebnisses eingesetzt werden. Die gezielte Schaffung von für eine bestimmte Gruppe vorteilhaften Rahmenbedingungen nennt man „electoral engineering“. Die Mechanismen sind wegen der geringen Varianz innerhalb eines politischen Systems schwierig zu beobachten. So kann ein möglichst breiter komparativer Ansatz Antworten zur Beeinflussbarkeit des Wahlergebnisses liefern. Für die Parteien ist es wichtig, diese Mechanismen zu kennen und diese Kenntnis für ihre Taktik anzuwenden. Dies gilt insbesondere im Fall kleinerer Parteien als Massnahme zur Abwehr oder Adaption von möglichen Wahlsystemänderungen durch die Mehrheitsparteien. So stellen sich die Wahlkampfleiter immer wieder die Frage: Sollen sie ihre Kräfte auf einzelne Wahlbezirke bündeln, weil sie sich aufgrund der zu erwartenden Effekte des Wahlsystems einen Erfolg erhoffen können, oder sollen sie versuchen, auf breiter Front auf das Wertesystem der Wähler einzuwirken? Schliesslich steht das Menschenbild im Vordergrund. Wählt der Wähler nach seiner Präferenz („voting by heart“) oder ist er der Nutzenmaximierer, als den ihn die Theoretiker des Homo Oeconomicus-Ansatzes sehen? Diesen Fragen kann eine Untersuchung der Wirkung von Wahlsystemeffekten nachgehen. 3 Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien Calislar/Mösching/Orsag (Gruppe 17) 2. Lösungsansätze in der Literatur Ausgehend von den Überlegungen von Pippa Norris (2004: 3ff) kann man von zwei Möglichkeiten ausgehen, wie diese Unterschiede zwischen der grundsätzlichen Sympathie und dem erfolgten Wahlakt erklärt werden können: ein Paradigma bevorzugt eine kulturelle Begründung (geprägt von Ingleharts Wertewandel-Ansatz), ein zweiter Denkansatz ist der Rational Choice Institutionalismus, welcher von rationalen Entscheidungen bei der Wahl ausgeht und die Rahmenbedingungen anschaut, in denen diese fallen. 2.1 Wertewandel-Ansatz Der Wertewandel-Ansatz erklärt die Varianz des elektoralen Erfolgs grüner Parteien durch den unterschiedlichen sozioökonomischen Entwicklungsstand in den verschiedenen Staaten (Müller-Rommel 1993: 162). Zur Begründung geht Inglehart in Anlehnung an Maslow (1954) davon aus, dass die Wertstrukturen von Individuen, analog zu den menschlichen Bedürfnissen, hierarchisch gegliedert sind. Zunächst streben Menschen nach physischer Sicherheit und Triebbefriedigung, nach Nahrung und Schutz. Sind die Basisbedürfnisse einmal befriedigt, treten postmaterialistische Ziele wie Lebensqualität, Selbstverwirklichung oder Mitbestimmung in der Politik in Erscheinung. Inglehart entwickelt zwei Hypothesen (Inglehart 1989: 92). Die Mangelhypothese postuliert, dass die Prioritäten eines Menschen sein sozioökonomisches Umfeld reflektieren. In Zeiten ökonomischer Unsicherheit dominieren materialistische Werte. In prosperierenden Phasen geraten noch nicht befriedigte Bedürfnisse ins Blickfeld. Weil nun aber die Wertordnungen einer Person in ihrer Jugendzeit geprägt werden und fortan stabil sind (Sozialisationshypothese), reflektieren die Präferenzen und Werte eines Menschen die sozioökonomischen Bedingungen zum Zeitpunkt seiner Sozialisation. Eine Person neigt zu postmaterialistischen Werten, wenn sie in ökonomisch gesicherten Verhältnissen aufgewachsen ist. Entsprechend zieht sie bei der Wahl Parteien vor, die ihre Bedürfnisse nach Lebensqualität befriedigen. Diesem Anforderungsprofil besonders zu entsprechen scheinen die grünen Parteien. (Inglehart 1997: 243). Zu den hauptsächlichsten Wählern der Grünen „zählen mehrheitlich die nachkriegssozialisierten Generationen der Mittelschicht mit formal höherem Bildungsniveau“ (Nohlen 2001: 188) und mit gesichertem Arbeitseinkommen. 4 Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien Calislar/Mösching/Orsag (Gruppe 17) Makro Sozioökonomisches Entwicklungsniveau Elektoraler Erfolg grüner Parteien Mikro Postmaterialistische Einstellung Wahl der Grünen Abbildung 1: Wahl der Grünen gemäss dem Wertewandel-Ansatz Zusammengefasst erklärt das kulturelle Paradigma die Unterschiede im elektoralen Erfolg grüner Parteien durch die Anzahl Menschen, die potenziell von „grünen“ Anliegen angesprochen werden könnten. Auch Kitschelt (1988: 232) erwartet einen Zusammenhang zwischen einem höheren Grad an Sicherheit und Postmaterialismus-Werten, so dass „Leftlibertarian parties are likley to emerge in economically advanced (...) welfare states.“ 2.2 Rational-Choice Institutionalismus: Institutionelle Faktoren Ausgehend von Ingleharts Wertewandel-Ansatz müsste man vermuten, dass in zwei Ländern mit ähnlichem Entwicklungsstand auch ähnliche Wähleranteile für die Grünen zu beobachten sind (Müller-Rommel 1993: 164f). Kitschelt (1988: 231) weitet diese Annahme allgemein auf linksliberale Gruppierungen in der Tradition der „neuen sozialen Bewegungen“ aus. Doch mindestens für die Grünen wurde diese Annahme nicht für alle Fälle bestätigt, wenn man beispielsweise die Niederlande anschaut, wo die Grünen trotz hoher Postmaterialismus-Werte erst sehr spät aufkamen und lange marginal waren (Hug 2001: 91). Im ebenfalls reichen Wohlfahrtsstaat Norwegen spielen sie sogar heute noch eine marginale Rolle. Der Wahlentscheid kann demzufolge kaum direkt von der grundsätzlichen Einstellung, der Präferenz, des Wählers abgeleitet werden. Offenbar beeinflussen andere intervenierende Faktoren die Entscheidung. Es ist zu vermuten, dass der Wertewandel-Ansatz eher die Entstehung der Wählerpräferenzen erklärt, nicht aber den eigentlichen Wahlentscheid. Auf diese Nachteile bei der Erklärungskraft des kulturellen Ansatzes versucht der Rational Choice Institutionalismus eine Antwort zu geben. Aus dessen Sicht sind für die unterschiedlich grossen Wähleranteile der Grünen – auch in Staaten mit ähnlichem sozioökonomischem Entwicklungsstand – vor allem institutionelle Rahmenbedingungen und deren Antizipation durch den Wähler verantwortlich. Dabei wird der Wahlentscheid unter Umständen durch den Einfluss externer Effekte entscheidend abgelenkt. Dann wählt ein Sympathisant der Grünen eine andere Partei. 5 Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien Calislar/Mösching/Orsag (Gruppe 17) Dass unterschiedliche Wahlsysteme zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen bei der Vertretung der Parteien in den Parlamenten führen können, erklärt Duverger (1972) in seiner zum Klassiker gewordenen Analyse mit zwei Effekten: Der mechanische Effekt bezieht sich allein auf die Umwandlung von Stimmen in Sitze gemäss den formal festgelegten Regeln und spielt daher erst nach der Wahl. Nach Taagepera und Shugart ist dieser Effekt „mechanical in the sense that no human manipulation or strategy is involved“ (Blais/Carty 1991: 80). Hier spielt der Wähler keine aktive Rolle. Für die uns interessierende Fragestellung entscheidend ist nicht der mechanische, sondern der psychologische Effekt von Wahlsystemen, der eben vor dem Wahlakt selbst anzusiedeln ist: Politische Akteure, Wähler und Parteivertreter, antizipieren die mechanischen Effekte des Wahlsystems und handeln entsprechend. Ihr Ziel ist es, mit ihrer Stimme einen möglichst grossen Gewinn bei niedrigen Kosten zu erzielen. Und hierfür müssen sie in voller Kenntnis der gesetzlichen Bedingungen (Voraussetzung der vollständigen Informiertheit) sein. Einerseits agieren hier die politischen Eliten, die – je nach der Einschätzung der Erfolgschancen, die wiederum von den institutionellen Bedingungen abhängen – beispielsweise neue Parteien gründen, Wahlallianzen eingehen oder in einzelnen Wahlkreisen gar nicht antreten. Andererseits schätzt auch der Wähler als rationaler Nutzenmaximierer die Chancen der Parteien zur Erringung von Macht in Form von Parlamentssitzen ein. Kommt er zum Schluss, dass die Partei seiner ersten Präferenz kaum Aussicht auf Erfolg hat, wird er sich für das „kleinere Übel“ mit besseren Wahlchancen entscheiden, um seine Stimme nicht „wegzuwerfen“ (das „Wasted-Vote“-Argument). Zwischen den Wählerpräferenzen und dem Wahlentscheid intervenieren also strategische Überlegungen, die von den vorherrschenden institutionellen Bedingungen abhängen. Die Wirkung ist umso stärker, je negativer die Einschätzung der Chancen der präferierten Partei ist. Gerade in die Wahlentscheidung für kleine Parteien wie die Grünen fliessen strategische Überlegungen ein. Auch wenn man grundsätzlich mit den Grünen sympathisiert, besteht dennoch die Möglichkeit, dass man seine Stimme trotzdem für eine andere – grössere – Partei mit reellen Wahlchancen abgeben wird. Ob und wie solche Abwägungen gemacht werden, hängt von formellen institutionellen Regeln und den Anreizen, die diese setzen, ab. Das Wahlsystem mit seinen verschiedenen Elementen wirkt also prägend auf die Umsetzung der persönlichen Einstellung eines Einzelnen in die Wahlhandlung ein, so dass aggregiert der Wahlerfolg der grünen Parteien entsteht. Wir konzentrieren uns somit nun auf die psychologischen Effekte des Wahlsystems auf der Mikroebene. 6 Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien Makro Wahlsystem Psychologische Effekte Mikro Calislar/Mösching/Orsag (Gruppe 17) Elektoraler Erfolg grüner Parteien Mechanische Effekte Sympathie für die Grünen Wahl der Grünen Abbildung 2: Interagierende Effekte des Wahlsystems auf den Wahlakt. 7 Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien Calislar/Mösching/Orsag (Gruppe 17) 3. Hypothesen Aufgrund obiger Überlegungen über die einzelnen Elemente des Wahlsystems und deren Bedeutung für den individuellen Wahlakt werfen wir folgende Hypothesen auf: 3.1. Hypothese 1: Sympathie Je höher die Sympathie für die grüne Partei, desto eher wählt eine Person die grüne Partei. Um die Entwicklung eines Wahlentscheids nachzuvollziehen, gehen wir von einer Bedingung aus. Grundvoraussetzung für die Wahl einer Partei ist, dass der Wähler überhaupt eine Nähe zu dieser Partei fühlt. Wir gehen davon aus, dass diese Nähe im Sinne einer Präferenz wirkt und von „gar nicht“ bis zu „voller Übereinstimmung“ mit dem politischen Profil dieser Partei führen kann. Wenn er sich keine strategischen Überlegungen bei der Wahl machen würde, würde der rationale Wähler direkt die Partei seiner Präferenz wählen, die Sympathie ist also die unabhängige Variable. Diese Überlegung gründet sich auf die unverfälschte Wahlhandlung des rationalen Wählers nach dem Konzept von Downs (1957), wobei hier unter Rationalität die Umsetzung der jeweils höchsten Präferenz verstanden wird. Ob diese Präferenz wert- oder (im Sinne Downs) zweckrational begründet wird, spielt so gesehen keine Rolle – sie wird als exogen gegeben angenommen (Zum Konzept der Rationalität allgemein: Braun 1999). Jeder nun hineinwirkende, also intervenierende, Effekt und dessen Antizipierung, verfälscht diese präferenzorientierte Wahl. Diesen zweiten Prozess bezeichnet man als strategische Wahl. 3.2. Hypothesen 2 bis 6: Wahlsystem 3.2.1. Intervenierende Variable Wahlkreisgrösse Hypothese 2: Je grösser der Wahlkreis ist, desto eher wird ein Sympathisant einer grünen Partei diese auch tatsächlich wählen. Auf die Sympathie wirken laut unserem Modell intervenierend länderspezifische Wahlsystemeffekte ein. Der ersten Hypothese des Wahlsystems liegt die Wahlkreisgrösse als Argument zugrunde. Da die Wahlkreisgrösse eine Funktion des Wahlsystems ist und sich eine Varianz vor allem in PR-Systemen ergibt, fassen wir beide Gedanken zusammen. André Blais und Louis Massicotte (2002: 57) verweisen auf die Studie von Gunther (1989), welcher die Wahlkreisgrösse als wichtigen Einflussfaktor für das strategische Wählen erfasst. Dies hängt mit der von Duverger in seinem Beitrag Political Parties aus dem Jahre 1954 vorgegebenen 8 Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien Calislar/Mösching/Orsag (Gruppe 17) „m+1“-Regel1 zusammen, welche von soviel Kandidaten wie zu vergebenden Sitzen (plus einen „Verlierer“) ausgeht. Der Wähler kennt in diesem Konzept die Zahl der zu vergebenden Sitze. Kleine Parteien oder ihre Kandidaten werden deshalb in grösseren Wahlkreisen mit proportionalen Systemen weniger benachteiligt. Sie können sich in majorz-nahen Systemen mit kleinen Wahlkreisen schwieriger gegen grössere Parteien durchsetzen. Duverger hat auf die mechanischen und die psychologischen Effekte der Wahlsysteme auf die Parteiensysteme verwiesen (Bawn 1999: 487). “The mechanical effect implies that small parties do worse under plurality than under proportional representation (PR), even if voters behave the same way in each system. The psychological effect posits that, in fact, they are likely to behave differently. A voter who would vote for a small party under PR may choose not to do so under plurality system, because a vote for a candidate who has no chance of winning a plurality is ‘wasted’.“ (Bawn 1999: 487) 3.2.2. Intervenierende Variable Hürde Hypothese 3: Je tiefer die Hürde für den Einzug ins Parlament, desto eher wird ein Sympathisant einer grünen Partei diese auch tatsächlich wählen. Einen entscheidenden Einfluss in die Überlegungen des Wählers vor seinem Wahlakt hat die Kenntnis einer Hürde, die eine Partei überwinden muss, um ins Parlament zu kommen. Dies kann einerseits eine gesetzlich vorgeschrieben Hürde sein: Einzelne PR-Systeme kennen eine formelle, vom Gesetz vorgegebene Wahlhürde, die erreicht werden muss, damit eine Partei oder ihr Vertreter in das jeweilige legislative Organ gewählt werden kann. Die zweite einwirkende Hürde ist das natürliche Quorum. Das ist jener Wähleranteil, den eine Partei erreichen muss, um einen Parlamentssitz für diesen Wahlkreis sicher zu erreichen (Pukelsheim/Schuhmacher 2004: 505). Im Gegensatz zur gesetzlichen Hürde hat das natürliche Quorum mit der Grösse des Wahlkreises zu tun. Beide Formen von Wahlhürden stärken die grossen Parteien. Blais und Massicotte (2002: 57) erwarten, dass die Existenz einer Wahlhürde in PR-Systemen zum strategischen Wählen führt, weil der Wähler sich überlegen muss, ob die Partei seiner Präferenz diese Hürde überhaupt erreichen kann. Die formelle Hürde hat keinen direkten Zusammenhang mir der Wahlkreisgrösse oder mit dem natürlichen Quorum, das wir weiter unten behandeln. 1 m ist die Anzahl zu vergebender Sitze in einem Wahlkreis 9 Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien Calislar/Mösching/Orsag (Gruppe 17) 3.2.3. Intervenierende Variable Knappheit Hypothese 3: Je knapper der erwartete Ausgang der Wahl ist, desto eher wird ein Sympathisant einer grünen Partei diese auch wählen. Die Closeness ist laut Blais und Massicotte (2001: 57) ein weiterer möglicher Faktor, der strategisches Wählen fördern kann. Es gibt dabei zwei sich auf den ersten Blick widersprechende und vom Wahlsystem abhängende Argumente. Wenn der zu erwartende Wahlausgang in einer Majorzwahl für die Grünen aussichtslos ist und eine Stimme mehr oder weniger für die Grünen keinen Unterschied macht, ist man eher bereit, sie der grösseren Partei zu geben, weil die „grüne“ Stimme kein Gewicht mehr hat, also „verloren“ wäre, diejenige für die zweitbeste Alternative jedoch durchaus eine Wirkung haben kann. Diese Form der closeness gilt jedoch in erster Linie für Majorzwahlen in kleinen Wahlkreisen, wo wirklich m+1 Parteien, wie in einem Einerwahlkreis zwei grosse und eine kleine (die nicht bei „m+1“ mit gezählt wird), existieren, und der Wähler sich anhand des Zweikampfes der grossen Parteien entscheiden muss, welche Partei er unterstützt. Oder: Er fragt sich, ob er nach Präferenz oder strategisch wählen sollte. Auch in Proporzsystemen stellt sich der rationale Wähler die Frage nach dem Nutzen seiner Stimmabgabe. In Proporzwahlen, oder mehreren zu vergebenden Sitzen pro MehrheitsWahlkreis, was de facto dasselbe ist, die in westeuropäischen Ländern die Regel sind, verhält es sich auf den ersten Blick anders. Hier wirkt das erwähnte natürliche Quorum. Je knapper die Distanz der Grünen zur Erlangung des begehrten Sitzes ist, desto eher wählt der Wähler sie, weil so seine Stimme Gewicht bekommt. Die Knappheit der Wahl entspricht der Differenz zwischen dem natürlichen Quorum (1/m+1) und dem erwarteten Stimmenanteil der Grünen in jenem Wahlkreis. Der Wähler entscheidet sich anhand dieser Differenz. Je grösser die Distanz ist (beispielsweise in Einerwahlkreisen mit einem natürlichen Quorum von 50%), desto eher wird er strategisch wählen. Dies bedeutet, dass das Prinzip der Closeness - wie auch dasjenige des natürlichen Quorums - unabhängig davon gilt, ob das System majoritär oder proportional ist, beide sind von der Sitzzahl abhängig - und die Closeness zusätzlich von der antizipierten Stärke der Grünen. 3.2.4. Intervenierende Variable Wahlliste Hypothese 5: Je mehr der Wähler die Zusammensetzung der Wahlliste verändern kann, desto eher wird ein Sympathisant einer grünen Partei diese auch wählen. Ausgehend von den Überlegungen von Bingham Powell über die Proportionalität (2000: 125f), und aufgrund der empirischen Beobachtung in der Schweiz, ist zu erwarten, dass offene Listen die Wahl von Vertretern der Grünen erleichtern. In der Schweiz beispielsweise 10 Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien Calislar/Mösching/Orsag (Gruppe 17) sind Grüne oft die „Panaschierkönige“, so dass anzunehmen ist, dass offene Wahlzettel auch in anderen Ländern die Wahl der Grünen fördern. Mit offenen Listen kann ein Wähler also seine „grüne“ Präferenz mindestens einfliessen lassen oder sogar gleich die Liste der Grünen nehmen und Vertreter anderer Parteien einpanaschieren. Er würde umgekehrt im Fall von geschlossenen Listen diejenige der grösseren Partei (wie der Sozialdemokraten) vorziehen, um seine „knappe“ Stimme nicht zu vergeuden. Dann wäre es strategisches Wählen. 3.2.5. Intervenierende Variable Konkurrenz Hypothese 6: Je kleiner die politische Konkurrenz ist, desto eher wird ein Sympathisant einer grünen Partei diese auch wählen. Der Wähler kann nur aus dem Angebot der an der Wahl antretenden Parteien auswählen. Wenn die Zahl der Parteien mit ähnlicher Ausrichtung oder ähnlichen Ideen gross ist, bietet jede gezielter ein spezifisches Angebot auf die Bedürfnisse der Wählerschaft an, das ist die Bonding-Strategie. Auch die Grünen profitieren von diesem Effekt des USP (unique selling proposition, einzigartiges Verkaufsargument), was diese einerseits attraktiver macht, da sie ein genauer definiertes Feld abdeckt (Müller-Rommel 1993: 137). Wenn andererseits (weniger) Parteien mit Bridging-Strategien, also einem Themen übergreifenden („catch all“) Programm zum Angebot stehen, können sie auch Inhalte der Grünen wie den Umweltschutz vertreten, was diesen Stimmen kostet. Hinzu kommt das Konzept der Parteibindung, wie sie von Hermann Schmitt (2000: 20) aufgrund des CSES-Datensatzes untersucht wurde. Er fand heraus, dass im ersten Modul eine nennenswerte Zahl von Wählern nicht nur eine sondern gleich mehrere Parteien präferieren, „wenn eine bestimmte ideologische Richtung durch mehrere politische Parteien repräsentiert ist“. Dies hänge damit zusammen, „dass die Bürger sich nicht mit Parteien identifizieren, sondern mit sozialen Gruppen und, im Bereich der Politik, mit ideologischen Richtungen.“ Diese politisch „flexibleren“ Wähler haben die „Qual der Wahl“. Doch Schmitt konnte nicht erklären, unter welchen Bedingungen multiple Parteibindungen entstehen und wo nicht. Klar war nur, dass das Alter des Parteisystems die Bindung an eine Partei fördert und dass nur ein schwacher Zusammenhang mit der Wahlentscheidung besteht. Aus diesen Überlegungen heraus kann man schliessen, dass neben der Zahl durch die Fragmentierung des Parteiensystems auch das Verhältnis der Parteien zueinander für die Grünwahl eine Rolle spielen kann. Je mehr Parteien Inhalte der Grünen vertreten, desto enger wird es in einem bestimmten Sektor des Parteiensystems. Oder umgekehrt: je weniger Konkurrenz die Grünen haben, desto eher werden sie gewählt. 11 Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien Calislar/Mösching/Orsag (Gruppe 17) 3.3. Hypothese 7: Politische Informiertheit Hypothese 7: Je geringer die politische Informiertheit ist, desto eher wird ein Sympathisant einer grünen Partei diese auch wählen. Wir möchten mit dieser Hypothese die Glaubwürdigkeit und Transparenz unseres Modells testen. Das Konzept des strategischen Wählers setzt nämlich - wie schon das Konzept des ökonomischen und rationalen Wählers von Downs (1957) - vollständige Information über das politische System und seine Auswirkungen voraus. Wer nicht weiss, wie das Wahlsystem wirkt, kann gar nicht (bewusst) strategisch wählen. Wenn also die politische Informiertheit tief ist, schwächt dies die Aussagekraft des Modells zum strategischen Wähler. Höhere politische Informiertheit sollte in dieser Argumentation demzufolge eher zum strategischen Wählen statt zur Wahl aus emotionaler Parteiloyalität führen (Kitschelt 1988: 233). Dies widerspricht zwar der Beobachtung, dass die Grünen in vielen Ländern die Partei der Intellektuellen sind. Wir wollen aber unser Konzept des strategischen Wählens aufgrund des rationalen Menschenbildes „zu Ende denken“. Die Bedingung ist nicht an sich notwendig, doch falls bei niedrigen Informiertheitswerten viel strategisch gewählt wird, was eben eigentlich hohe Informiertheit voraussetzen würde, würde dies das Konzept des strategischen Wählens relativieren. 12 Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien Calislar/Mösching/Orsag (Gruppe 17) 4. Datenquelle, Fallauswahl und Operationalisierung 4.1. Datenquelle Wir verwenden für den Test unserer Hypothesen den Datensatz „Comparative Study of Electoral Systems“ CSES. Wir nehmen die aktuellsten Wahlen des Moduls 2 mit den im April 2006 erfolgten Ergänzungen. Die zweite Welle der Befragung weist gegenüber dem ersten Datensatz eine grössere Vielfalt an Ländern und mehrere neue Fragen auf. Wir machen eine Sekundärdatenanalyse aufgrund eines fremden Datensatzes. Da der CSESDatensatz explizit für eine Analyse zu Wahlsystemen erstellt wurde und unsere Arbeit sich auch in diesem Bereich bewegt, können wir davon ausgehen, dass die Daten zumindest im Kern reliabel sind. Beim Datensatz handelt es sich um eine post-election study, die Umfragen wurden also eine gewisse Zeit nach dem eigentlichen Wahlakt durchgeführt, was die Gefahr einer Verzerrung birgt. Das CSES selber gibt nur den Zeitpunkt der Auswertung des Fragebogens an, nicht den Befragungszeitpunkt. 4.2. Fallauswahl Für unsere Untersuchung nehmen wir als Fall einen Wähler aus jenen Ländern, die im zweiten Modul des CSES-Datensatzes vorhanden sind, und in denen grüne Parteien bei der Befragung erhoben wurden. In der Regel müssen die Parteien gemäss Codebook für den separaten Einbezug in den Datensatz einen gewissen Wähleranteil (3%) erreicht haben. Genauere Angaben wurden deshalb nur für die jeweils 6 bis 9 stärksten Parteien jedes Landes erhoben. Wir gehen davon aus, dass nach den nötigen Ausschlüssen in erster Linie noch „westliche“ Staaten übrig bleiben werden, da die Grünen erfahrungsgemäss gerade in diesen Staaten besonders stark sind, doch es ist uns auch ein Anliegen, auch Staaten aus anderen Kontinenten zu integrieren. Wir gehen ja davon aus, dass die Varianz nicht auf grundsätzliche kulturelle Unterschiede, sondern auf institutionelle politische Faktoren und individuelle Eigenschaften eines Wählers zurückzuführen sind. Im Fall von Dänemark beschränken wir uns bei der Berechnung wegen der schwachen Datenbasis auf die Sozialistische Volkspartei SF, in Belgien auf die frankophonen Grünen, die „Ecolo“. Im Fall Frankreichs sind unter den grünen Gruppierungen nur „Les Verts“ erhoben, weshalb es hier auch keinen Konflikt gibt. 13 Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien Calislar/Mösching/Orsag (Gruppe 17) 5. Operationalisierung 5.1. Die abhängige Variable Die abhängige Variable Y in unseren Modellen ist die Angabe des Wählers und Befragten, die grüne Partei des jeweiligen Landes gewählt zu haben. Wir verwenden sie als dichotome Dummy-Variable (grün gewählt/nicht grün gewählt). Der CSES-Datensatz erhob die Wahlhandlung mit der Variable b_3006 „Current election: vote choice lower house“. Wir transformieren die Wahlhandlungen in jedem Land in eine neue Dummy-Variable (Y gruen), indem wir je nach Land jene Fälle auf 1 setzen, die als Antwort die Frage nach der gewählten Partei die Grünen dieses Landes angaben. In der Regel ist mit der Variable b3006_1 die Wahl ins Unterhaus gemeint. Wir entschieden uns fürs Unterhaus, weil dieses das eigentliche „Repräsentantenhaus“ jedes Volkes ist. Laut dem Appendix zum CSES-Datensatz müssen wir zwei besondere Fälle berücksichtigen: Deutschland, das die Abgabe zweier Stimmen (Bezirkskandidat und Landesliste) kennt und Neuseeland, das neben der Parteiliste noch die Wahl von Wahlmännern für die Präsidentenwahl ausübt, haben eigentlich ein zweites Segment. Im CSES sind sie dennoch als 3006_1, also als Wert des ersten Segments codiert. Die zweite Ausnahme ist Frankreich, das die Präsidentenwahl 2002 erhoben hat. Da jedoch alle Parteien mit eigenen Kandidaten daran beteiligt waren, kann man sie auch als eine Art Parteienwahl verstehen. Die fehlenden Werte (missings) sind – solange nicht anders spezifiziert - nicht zufällig und hängen weitgehend systematisch mit der Angabe zusammen, nicht gewählt zu haben. Wir verstehen sie gemäss unserer Theorie im Sinne der strategischen Wahl als Land A Australien 8.0% Belgien 5.1% Schweiz 4.5% Deutschland 11.2% Dänemark 6.1% Finnland 6.6% Frankreich 5.5% Irland 3.6% Island 8.1% Mexiko 1.8% Niederlande 9.2% Neuseeland 6.7% B 8.2% 7.8% 6.2% 11.9% 9.1% 8.4% 7.2% 4.3% 8.4% 2.6% 9.5% 8.0% Tabelle 1: Anteil Befragte, die angaben, bewussten Entscheid, „nicht grün wählen zu wollen“ und grün gewählt zu haben, in % (A: Basis beziehen sie deshalb in unser Modell ein. Dieser Schritt sind Wählende und Abstinente; B nur erhöht die Fallzahl und – wie wir annehmen – auch die Wählende ohne Abstinente) Güte des Modells. Problematisch ist die fehlende Kontrolle der Angabe des Wahlaktes. Wir können nie sicher sein, ob der Wähler tatsächlich die Partei wählte, die er auch angegeben hat. Wir müssen es voraussetzen, doch aufgrund der abweichenden Werte für die Grünen gegenüber den offiziellen nationalen Ergebnissen ist Skepsis berechtigt. Es könnte sein, dass der Wähler die 14 Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien Calislar/Mösching/Orsag (Gruppe 17) Ergebnisse verzerrt, indem er aus Gründen des strategischen Wählens zwar nicht grün wählt, in der Umfrage jedoch die Grünen als die Partei seiner Präferenz angibt. Insofern könnte es sein, dass in der Realität häufiger strategisch gewählt wird, als dies im Datensatz reflektiert ist. 5.2. Die unabhängigen und intervenierenden Variablen 5.2.1. Sympathie: Operationalisierung Hypothese 1 Wir nehmen als unabhängige Variable X für die Sympathie gegenüber einer Partei die im Datensatz CSES-Modul 2 erhobene Variable „Like/Dislike“ (b3037 a bis i). Es handelt sich dabei um die Bewertung von bis zu neun Parteien in jedem Land durch den Befragten. Diese Sympathie ist, wie wir in unserer Hypothese formuliert haben, der Ausgangswert unseres Modells. Die Skala reicht von 0 („absolute Abneigung“) bis 10 („volle Präferenz“) und ist ordinal, wobei wir sie als metrisch behandeln. Wir verstehen hier die Wahrwahrscheinlichkeit auf individueller Ebene, während der Begriff in der Regel als aggregierter Wert nach Land verstanden wird (ein Quotient aus Potenzial und Wählerstärke der Partei). Um die Variable wirklich anwendbar zu machen, müssen wir die Variable von Land zu Land für die Grünen standardisieren, so dass eine neue Variable entsteht. In Ländern, in denen die Grünen nicht unter die sechs bis neun grössten Parteien der letzten Wahl kamen, wurden in dieser Variable gar nicht erhoben. Wir müssen daher jene Fälle herausfiltern, die in diesen Ländern sind, weil wir keine brauchbaren Angaben zu den Grünen haben. Das gibt leider einen massiven Verlust an Fällen, doch wir suchen ja nach der Ablenkung der Präferenz durch die strategische Wahl, deshalb ist diese Variable unumgänglich. Unsere Wahlwahrscheinlichkeits-Variable („Sympathie“) hat ein grundlegendes Problem: 10 heisst zwar höchste Präferenz, aber nicht eine Wahrscheinlichkeit von 1. Das hängt damit zusammen, dass die Werteskala gemäss CSES bestenfalls eine Präferenzordnung abbilden kann, aber nicht die ausschliessende Präferenz. Wir sind uns bewusst, dass es sich dabei um eine ordinale und somit nicht berechenbare Variable handelt und dass ein direkter Vergleich mit anderen Parteien nicht möglich ist. So kann es passieren, dass ein Wähler mehreren Parteien mit den gleichen Sympathiewert angegeben hat. Doch dieser Problembereich sprengt den Rahmen unserer Fragestellung. Zudem heisst eine 9 für Grüne und Sozialdemokraten, dass der Befragte beide Parteien präferiert - und nicht keine. Unsere Annahmen gehen davon aus, dass volle Sympathie eher einen Wahlakt bedeuten müsste und die Ablenkung von dieser Norm eben auf das Phänomen des strategischen 15 Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien Calislar/Mösching/Orsag (Gruppe 17) Wählens zurückzuführen ist. Eine Analyse dieses Vergleichs mit den Sympathiewerten im Anteil in % CSES und dem Wahlakt führt diese Abweichung gut vor Augen (Abbildung 3). 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 Nicht grün gewählt Grün gewählt 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Sympathie für die Grünen Abbildung 3: Anteil Grünwähler in Sympathieklassen Der Vergleich zeigt, dass zwar mit zunehmender Sympathie auch die Wahlwahrscheinlichkeit für die Grünen steigt. Es ist jedoch auch offensichtlich, dass über die Hälfte selbst derjenigen, die den Grünen die höchsten Sympathiewerte geben, diese nicht wählen, dass also trotz hoher Präferenz eine andere Partei gewählt wird. Dieser Widerspruch hängt unserer Meinung nach nun eben mit dem strategischen Wählen zusammen, wenn die Wähler die bevorzugte Partei trotz tieferem oder gleichem Wert für wettbewerbsfähiger halten. Dieser Annahme gehen wir nach. Nachdem die Fallzahl also bereits auf diejenigen Länder eingeschränkt wurde, in denen die Grünen überhaupt erhoben sind, reduziert sich das Sample nun weiter auf diejenigen Staaten, in denen die Sympathie für die Grünen erfragt wurde.2 5.2.2. Wahlkreisgrösse: Operationalisierung Hypothese 2 Wir nehmen als Operationalisierung der intervenierenden Variable Z1 die Anzahl Sitze in einem Wahlkreis, um die sich die Kandidierenden streiten. Im CSES ist diese Variable b4001 als numerischer Wert der Anzahl Sitze angegeben. Die Spannweite reicht von 1 im Fall eines 2 Es verbleiben: Australien („Australian Greens“), Belgien („Ecolo“), Dänemark („Socialist Peoples Party SF“), Finnland („Green League“), Frankreich („Les Verts“), Deutschland („Bündnisgrüne“), Island („Left-green Movement“), Irland („Greens“), Mexiko („Partido Verde“), Neuseeland („Green Party“), Niederlande („GroenLinks“) und Schweiz („Grüne/Les Verts“). 16 Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien Calislar/Mösching/Orsag (Gruppe 17) Einerwahlkreises (Single Member District, SMD) wie in Australien, Mexiko und Neuseeland bis zum vollen Proporz mit dem ganzen Land als Wahlkreis wie in den Niederlanden (150 Sitze). Viele Staaten haben unterschiedlich grosse Wahlkreise. Richtige Ausnahmen bilden Deutschland, Frankreich, Belgien und Dänemark. In Deutschland wurde zwar nur der Wahlkreis der Erststimme erhoben, doch weil wir die Zweitstimme berücksichtigen wollen, wählen wir als Proxy einen Mittelwert der Bezirksgrösse als die Division aus der Gesamtzahl der Parlamentssitze durch die Zahl der Bundesländer. Da Frankreich anhand der Präsidentschaftswahlen erhoben wurde, müssen wir einen Proxy benützen. Die Verteilung der Stimmen auf mehr als ein Dutzend Kandidierenden lässt vermuten, dass der Wähler „by heart“ gewählt hat. Zudem schliesst die Wählerstruktur eine Wahl im ersten Wahlgang aus, obschon sie die Verfassung zulassen würde. Der Wähler geht sowieso von einem zweiten Wahlgang aus und kann es sich also leisten, seine erste Stimme der Partei und dem Kandidierenden seiner Präferenz geben. Deshalb können wir die Wahlkreisgrösse nicht als 1 setzen. Bei den meisten bisher stattgefundenen Wahlen trat im zweiten Wahlgang ein linker gegen einen rechten Kandidaten an (Ausnahme 2003, als Lionel Jospin den Platz zwei dem Kandidaten des Front National, Jean-Marie Le Pen, abtreten musste). Doch auch die Vorgabe eines Zweierwahlkreises ist zu wenig, wenn man die breite Verteilung anschaut. Wir müssen eine Projektion für die Restriktionen finden, die auf den Wähler wirken. In Frankreich scheint er im ersten Wahlgang keine zu spüren. Deshalb wählen wir als Proxy für den Wahlkreis denselben Wert wie in Deutschland, wo eine ähnliche Ausgangslage dahinter steht: zwei Stimmen, eines für die Partei und eines für einen einzelnen Kandidaten - einfach gleichzeitig statt nacheinander wie in Frankreich. Für Belgien und Dänemark nehmen wir als Proxy die Variable für die durchschnittliche Grösse der Wahlbezirke (b5034_1). 5.2.3. Hürde: Operationalisierung Hypothese 3 Wir nehmen als intervenierende Variable Z2 die Hürde, jenen Wähleranteil, den eine Partei für den Einzug ins Parlament erreichen muss. Die Hürde kann gesetzlich vorgegeben oder durch die Grösse des Wahlkreises bedingt sein. Wir gehen davon aus, dass auf den Wähler die jeweils höhere Hürde wirkt. Für die gesetzlich vorgeschriebene Stimmenzahl wurde im CSES die Variable b5042_1 erhoben. Das natürliche Quorum bildet sich aus dem Verhältnis der gesamten zur umkämpften Sitzzahl plus eins. Die Formel mit den CSES-Variablen lautet 100/(b4001+1), 17 Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien Calislar/Mösching/Orsag (Gruppe 17) wobei der Divisor entweder die vorgegebene Sitzzahl oder eben eine der in 5.2.2. (Wahlkreisgrösse) erwähnten Ausnahmen ist. 5.2.4. Knappheit: Operationalisierung Hypothese 4 Wir möchten mit Z3 das Konzept der Closeness im Sinn einer Einzugschance ins Parlament messen mit der Differenz aus dem Wert des bereits oben erwähnten natürlichen Quorums und des letzten erhobenen Stimmenanteils für die Grünen auf Bezirksebene. Es handelt sich um eine Konstruktion aus zwei metrischen Werten, die durch eine Subtraktion erhoben werden. Entscheidend ist der Abstand, den der Wähler annimmt, der den Grünen zur Erlangung eines Sitzgewinnes fehlt. Je grösser dieser Abstand ist, desto weniger wird grün gewählt, weil es sich nicht lohnt. Wir schliessen dabei die Möglichkeit eines möglichen zweiten Sitzgewinnes aus, da das Prinzip des natürlichen Quorums immer vom ersten Sitz, respektive dem Einzug ins Parlament, ausgeht. Die Konstruktion ist eine Annäherung an die Antizipierung der Knappheit der Erreichung des Parlamentssitzes. Die neue Variable müssen wir so umbilden: [100/(b4001+1)] - b4004. Diese Berechnung verursacht auch negative Werte, denn je höher der Wähleranteil über dem natürlichen Quorum liegt, desto sicherer haben die Grünen diesen Sitz. Die höchste Closeness wäre gegeben, wenn der (erwartete) Wähleranteil dem natürlichen Quorum entspricht und eine einzige Stimme - nämlich diejenige des Wählers gewissermassen den Ausschlag geben würde. Wir verwenden für den Wähleranteil der Grünen die Werte der aktuellen Wahl als Proxy für Wählerumfragen, die zwar im Vorfeld der jeweiligen Wahl sicherlich gemacht, aber nicht in den Datensatz aufgenommen wurden. Zudem müssen wir die Werte wegen des möglichen Negativbereichs auf einen positiven Wertebereich standardisieren, um eine Annäherung zum Abstand zu 0 zu erhalten. 5.2.5. Wahlliste: Operationalisierung Hypothese 5 Für die Variable Z4 nehmen wir die Struktur der Wahlzettel, die Möglichkeit des Wählers, auf die eingereichten Listen vor dem Wahlakt Einfluss zu nehmen. Hier richten wir uns nach der Kategorisierung, die CSES aufgrund von Expertenangaben benützt. Offenheit bedeutet grösstmöglichen Einfluss (wie Panaschieren und Kumulieren), Geschlossenheit bedeutet, dass die Liste vorgeschrieben und unveränderlich ist. Damit hat der Wähler nicht die Möglichkeit, direkt auf die Wählbarkeit einzelner Kandidierenden Einfluss zu nehmen. Die Variable „Ballot structure“, b5044, ist ordinal mit 5 Ausprägungen. Wir machen daraus eine DummyVariable (0-2 = unveränderbare Listen = 0; 3-4 = veränderbare Listen = 1). 18 Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien Calislar/Mösching/Orsag (Gruppe 17) 5.2.6. Konkurrenz: Operationalisierung Hypothese 6 Wir argumentieren, dass es das Wahlsystem ist, das den Wähler von der eigentlichen Präferenzwahl ablenkt. Eng verbunden mit dem Wahlsystem ist das Parteiensystem. Die Fragmentierung der Parteienlandschaft - und somit die Konkurrenz auf dem Markt der Wählerstimmen - können wir nicht mit einer absoluten Zahl messen, sondern mit einer Konstruktion, die nicht aus dem CSES-Datensatz stammt. Wir verwenden dafür den Manifesto-Datensatz von Budge et al. (2001), eine Inhaltsanalyse von Parteiprogrammen. Darin wird für mehrere Perioden die Relevanz von bestimmten Themen für die jeweilige Partei erhoben. Wir nehmen die aktuellsten untersuchten Werte der wichtigsten Parteien der von uns untersuchten Länder. Sie müssen auch im CSES-Datensatz genannt werdem, also von einer gewissen Relevanz sein. Wir berechnen aufgrund von rund 30 der 65 erhobenen Kategorien und Dimensionen die relative Position der Grünen zu den jeweils nächsten Parteien. Zusätzlich zu den in 3.2.5. gemachten theoretischen Überlegungen, teilen wir die erwähnten Items in zwei Batterien auf, um mehr Aussagekraft zu erhalten. Die Auswahl erfolgt aufgrund der Wertewandel-Theorie (Inglehart 1989: 92) entlang zweier Achsen. Jene, die auf der Achse „Klassenkampf“ liegen, wirken aufgrund eines sozioökonomischen Cleavages; Der „Kulturkampf“-Cleavage reflektiert den Unterschied zwischen „konservativ“ und „liberal“ (Hermann/Leuthold: 2005).3 Die Einteilung machen wir aufgrund der Elemente in den Konzepten der New Politics (neue soziale Bewegungen). Die Trennung verläuft zwischen postmaterialistischen Politikzielen, wie Selbstverwirklichung und Mitbestimmung, und materialistischen Politikzielen („alte“ Politik), wie Wirtschaftswachstum und Sicherheit (Nohlen 2002: 572). Der Hintergrund ist die Überlegung, dass gerade im Bereich des KulturCleavages die Grünen eigenständige Profile entwickelt haben, aber in Ländern, wo der sozioökonomische, also materialistische, Cleavage betont wird, mit anderen Parteien konkurrieren. Wir berechnen die Korrelation der beiden Itemsätze für jedes Land und jede Partei.4 Das ergibt eine Reihe von Übereinstimmungsgraden zwischen den Grünen und der 3 „Kulturkampf“-Items: Einstellung zum Militär, Friedenspolitik, Freiheits- und Menschenrechte, Demokratie, Wachstumspolitik, Umweltschutz, Freizeit, Traditioneller Lebensstil, Traditionelle Moral, Recht und Ordnung, Multikulturalismus. „Klassenkampf“-Items: Freies Unternehmertum, Anreize, Regulierung des Kapitalismus, Planwirtschaft, Korporatismus, Internationalismus, Protektionismus, Wirtschaftliche Ziele, Keynesianische Nachfrageförderung, kontrollierte Wirtschaft, Verstaatlichungen, Wirtschaftliche Orthodoxie, Marxistische Analyse, soziale Gerechtigkeit, soziale Sicherheit. 4 Die jeweiligen Codes im Manifesto-Datensatz für die Grünen sind: Dänemark („SF“, 13230), Finnland (14110), Belgien (21111), Niederlande (22110), Frankreich (31110, 31111), Deutschland (41112), Schweiz (43110), Irland (53110). 19 Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien Calislar/Mösching/Orsag (Gruppe 17) Konkurrenzpartei. Je höher dieser Wert nach Pearson ist, desto grössere Konkurrenz haben die Grünen auf ihrem politischen Gebiet. Um die Nähe einer konkurrierenden Partei zu betonen, quadrieren wir alle Korrelationen. Wir summieren alle Korrelationswerte mit allen Parteien für jedes Land und für jede Achse auf und teilen sie jedem Wähler zu. Dies ergibt unsere Variable Z5 für die Konkurrenz auf der sozioökonomischen und Z6. für die kulturellen Achse. Im Zusammenhang mit unseren Korrelationswerten haben wir mehrere Auffälligkeiten und Einschränkungen entdeckt. Einzelne Korrelationen sind negativ. Während der Wert „1“ totale Übereinstimmung und 0 keine Übereinstimmung bedeutet, sind negative Werte so zu deuten, dass Parteien gegensätzliche Profile haben, also die entgegengesetzten Themen betonen, in erster Linie rechts-populistische oder konservative Parteien. Dies würde unseren Beobachtungen entsprechen (dänische Liberale und Konservative, französischer Front National).5 Obschon wir bei einer Quadrierung aus mathematischen Gründen das Vorzeichen eigentlich verlieren, könnten wir das Vorzeichen behalten, da dies unserer theoretischen Überlegungen entspricht. Dennoch ziehen wir es vor, negative Werte als 0 zu setzen, also konzeptionell ein gegenläufiges als ein nicht übereinstimmendes Profil zu deuten im Bewusstsein, dass es nicht dasselbe ist. Da sich durch die Quadrierung jedoch die tiefen Werte – egal ob positiv oder negativ –gegen 0 bewegen, ist der Unterschied minim, so dass wir auch aus diesem Grund nichts verlieren, wenn wir negative Werte auf 0 setzen. Wie aus der Abbildung 4 ersichtlich wird, sind die Konkurrenzwerte auf der sozioökonomischen Achse durchgehend höher als auf der kulturellen Achse. Dies zeigt, dass die Grünen tatsächlich Themen besetzen, die für andere Parteien weniger relevant sind – und dass diese Themen nun eben der kulturellen Achse der „New Politics“ zuzuordnen sind. Zudem lassen sich deutliche Unterschiede zwischen den Staaten ausmachen. Darüber hinaus ist eine Interpretation der Konkurrenzwerte jedoch schwierig – es gibt keine sinnvoll interpretierbare Skala für diese Werte. Damit diese vor allem auch untereinander besser vergleichbar werden, standardisieren wir die Konkurrenzwerte in ihre Z-Werte, womit wir immer die Differenz zum Mittelwert aller Konkurrenzwerte der jeweiligen Achse, relativiert an der durchschnittlichen Abweichung, ausdrücken. Andererseits haben wir festgestellt, dass die beiden Achsen stark korrelieren, dass also die Grünen in jenen Ländern, wo sie einer starken Konkurrenz auf der einen Achse ausgesetzt sind, auch auf der anderen starke Konkurrenzwerte haben. Die z-Transformation verkleinert diese Korrelation. 5 Eine interessante Ausnahme ist der Vlaams Belang in Belgien (siehe Anhang). 20 Konkurrenz auf der kulturellen Achse Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien Calislar/Mösching/Orsag (Gruppe 17) 2.5 Finnland 2 Belgien Deutschland 1.5 Dänemark Irland 1 Schweiz Niederlanden 0.5 Frankreich 0 0 0.5 1 1.5 2 2.5 3 3.5 4 Konkurrenz auf der sozioökonomischen Achse Abbildung 4: Aufsummierte Korrelationswerte der grünen Wahlprogramme mit Programmen anderer Parteien 5.2.7. Politische Informiertheit: Operationalisierung Hypothese 7 Für die Variable Z7 für die politische Informiertheit müssen wir die im CSES erhobene Variable „Political Information Item“ b3047_1 bis b3047_3 benützen. In jedem Land wurden die Leute nach Antworten auf drei spezifische politische Fragen gebeten. Dahinter stand die Idee, dass man bei keiner richtigen Antwort wenig und bei drei richtigen Antworten viel Wissen über die Politik jenes Landes haben würde. Die Variable verstehen wir als auf der zweiten Ebene nach den verschiedenen Wahlkreisvariablen intervenierend. Es ist allerdings einzuschränken, dass bei nur drei Fragen die Validität für die Operationalisierung der politischen Information niedrig ist, weil umfangreichere und noch viel spezifischere Umfragebatterien eine bessere Annäherung geben würden. Zudem unterscheiden sich die Fragen inhaltlich, so dass fraglich ist, ob der Schwierigkeitsgrad der Fragen überall gleich war. Deshalb verwenden wir wie bei der Konkurrenz die Z-Werte, was eine Standardisierung der Fragen auf die gleiche Skala ermöglicht. Ein Blick auf die fehlenden Werte dieser Variable zeigt, dass mit 4550 rund ein Fünftel aller Fälle fehlen und ausgeschlossen werden müssen. Die Ausfälle sind systematisch und betreffen Deutschland (schriftliche Umfrage), Dänemark und Island, wo diese Fragen jeweils nicht gestellt wurden. 21 Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien Calislar/Mösching/Orsag (Gruppe 17) 6. Modell und Methode Die Frage, mit welcher Wahrscheinlichkeit jemand grüne Parteien wählt oder nicht, kann nicht mit der linearen Regression untersucht werden, etwa, weil die abhängige Variable dichotom ausgeprägt ist (für weitere Gründe: Backhaus 2003: 422). Die Koeffizienten der logistischen Regression, die stattdessen zum Einsatz kommt, lassen sich allerdings nicht so intuitiv interpretieren wie diejenigen der OLS-Schätzung. Die unabhängige Variable nimmt nämlich nur indirekt (über die Wahrscheinlichkeitsrechnung) und in nicht-linearer Form Einfluss auf die Eintretenswahrscheinlichkeit der abhängigen Variable. Die Wahrscheinlichkeit für 1 (Grünwahl) wird dabei wie folgt definiert: P(y=1) = 1/(1+e -logit) Als “logit” wird die unten stehende Regressionsgleichung bezeichnet. Sie ist identisch mit der linearen Regressionsfunktion. Der Unterschied bei der logistischen Regression bezieht sich auf die Weiterverwendung in obiger Formel. Die ersten Tests zeigen, dass die Variable der politischen Informiertheit gänzlich insignifikant ist. Das hängt vermutlich mit der (trotz z-Transformation) fehlenden Validität zusammen, wie wir bereits unter 5.2.7. erläutert haben. Zudem hat sie, wie bereits bei der Operationalisierung erwähnt, zu viele fehlende Werte, was das Modell schwächt. Entscheidend ist jedoch, dass der Gesamtfit des Modells mit der doppelten Interaktion (also mit der politischen Information) nicht besser ausfällt (Siehe Tabelle 5 im Anhang). Deshalb haben wir uns mit Jaccard (2001: 16) entschieden, sie aus unseren Modellen herauszunehmen, da diese keine zusätzliche Erklärungskraft mit sich bringt. Für den Test unserer Modelle machen wir nach Ausschluss der politischen Informiertheit vier logistische Regressionen. Ins erste Modell nehmen wir neben dem Sympathie-Wert X1 die interagierenden Wahlsystem-Variablen Z1 bis Z4 auf. Das zweite Modell beinhaltet zusätzlich zu den Variablen der Sympathie und des Wahlsystems die Konkurrenz auf der sozioökonomischen Achse Z5 und das dritte Modell die Variable für die Konkurrenz auf der kulturellen Achse Z6. Wir müssen das Modell aufteilen, weil die Konkurrenz nicht für alle Länder erhoben wurde und ansonsten jene – insbesondere aussereuropäischen – Länder nicht einfliessen würden. Das vierte Modell beinhaltet beide Konkurrenz-Variablen, um zu prüfen, ob diese auch gemeinsam einen Erklärungswert haben, d.h. nicht dasselbe messen. Mit dieser Unterteilung wollen wir die eigentlichen Wahlsystem-Variablen von einem zusätzlichen Einfluss der Parteisystem-Variablen unterscheiden. 22 Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien Calislar/Mösching/Orsag (Gruppe 17) 1. Modell (ohne Parteiendaten)6 logit = β0 + β1 x1+ β2z1 + β3z2 + β4z3 + β5z4 + δ1x1z1 + δ2x1z2 + δ3x1z3 + δ4x1z4 +u 2. Modell (mit Konkurrenz auf sozioökonomischer Achse) logit = β0 + β1 x1+ β2z1 + β3z2 + β4z3 + β5z4 + β6z5 + δ1x1z1 + δ2x1z2 + δ3x1z3 + δ4x1z4 + δ5x1z5+u 3. Modell (mit Konkurrenz auf kultureller Achse) logit = β0 + β1 x1+ β2z1 + β3z2 + β4z3 + β5z4 + β6z6 + δ1x1z1 + δ2x1z2 + δ3x1z3 + δ4x1z4 + δ5x1z6+u 4. Modell (mit beiden Konkurrenzen) logit = β0 + β1 x1+ β2z1 + β3z2 + β4z3 + β5z4 + β6z5 + β7z6 + δ1x1z1 + δ2x1z2 + δ3x1z3 + δ4x1z4 + δ5x1z5 + δ5x1z6+u 6 Legende zum Modell: βi = Regressionskoeffizienten der einzelnen Variablen oder der Konstante; δi = Regressionskoeffizienten der Interaktionen; x = Sympathie; Z1 = Wahlkreisgrösse; Z2 = Wahlhürde; Z3 = Knappheit; Z4= Offenheit; Z5 = Konkurrenz sozioökonomische Achse; Z6 = Konkurrenz kulturelle Achse; u = Fehlerterm. 23 Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien Calislar/Mösching/Orsag (Gruppe 17) 7. Ergebnisse und Interpretation 7.1. Prüfung des Gesamtmodells Für die Beurteilung der Modellgüte stehen bei der logistischen Regression einige Prozeduren zur Auswahl. Die Wahrscheinlichkeit, mit dem gegebenen Modell die empirisch beobachteten Werte zu erhalten, wird durch den Likelihood-Wert ausgedrückt. Das (–2)-fache des logarithmierten Likelihood-Wertes (-2LL) wird auch als Devianz (Abweichung vom Idealwert) bezeichnet und ähnelt inhaltlich durchaus der Fehlerquadratsumme der linearen Regressionsmodelle (Backhaus 2003: 438). Von der Analyse des (–2)-Log-Likelihood-Wertes ist in unserem Fall jedoch abzusehen, weil wir in der Kategorie der Grünwähler nur 6,5% der Fälle haben und dieser bei sehr ungleich besetzten Kategorien die Modellgüte überschätzt. Besser ist der Vergleich des Likelihoods des vollständigen Modells (alle Variablen werden berücksichtigt) mit demjenigen des Null-Modells (d.h. nur mit der Konstante). Das Verhältnis dieser beiden Likelihoods wird durch die Pseudo-R2-Statistiken angezeigt.7 Sie sind insofern mit dem Bestimmtheitsmass R2 der linearen Regression vergleichbar, als dass sie versuchen, den durch das Modell erklärten Anteil der Variation in Y zu quantifizieren. Allerdings wird „Variation“ anders, eben aufgrund der Likelihoods, definiert. Zudem ist als einziges Mass Nagelkerke-R2 eindeutig inhaltlich interpretierbar, da es den Wertebereich auf 0 bis 1 standardisiert. Werte ab 0,2 sind akzeptabel, über 0,4 kann bereits von einem guten Modellfit gesprochen werden (Backhaus 2003: 448). Unsere vier Modelle weisen einen akzeptablen Fit von 0.340 bis 0.353 auf (Tabelle 2). Etwas anders wird bei der Analyse der Klassifikationsergebnisse vorgegangen. Hierbei werden die empirischen Werte mit den durch die Regressionsgleichung erzeugten Wahrscheinlichkeiten verglichen. Dabei sollte die Trefferquote hoch - respektive die Differenz klein sein. Der Hosmer-Lemeshow-Test prüft die Signifikanz anhand der ChiQuadrat-Prüfgrösse. Jedes unserer Modelle ist sehr signifikant auf einem Niveau von 0.001. 7 Die Differenz der Likelihoods könnte ebenfalls angegeben werden (Likelihood-Ratio-Test). Sie ist ChiQuadrat-verteilt, d.h. die unabhängigen Variablen haben dann einen bedeutenden Einfluss, wenn der LR-Wert signifikant ist. Dies ist der Fall, wenn er einen grösseren Wert annimmt als der tabellierte Chi-Quadrat-Wert bei J Freiheitsgraden (J = Zahl der unabhängigen Variablen). Dieser Test ist mit dem F-Test der multiplen linearen Regression vergleichbar (Backhaus 2003: 440). Allerdings wird diese Prozedur in SPSS nur bei der multinominalen logistischen Regression angeboten. 24 Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien Calislar/Mösching/Orsag (Gruppe 17) 25 Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien Calislar/Mösching/Orsag (Gruppe 17) 7.2. Interpretation der Regressionskoeffizienten Die Richtung der Zusammenhänge lässt sich von den Regressionskoeffizienten b und den Effekt-Koeffizienten (Odds Ratio) exp(b) ablesen. Allgemein vergleicht letzterer Wert die Wahrscheinlichkeiten von 1 (Grünwahl) und 0 (Gegenkategorie: Nicht Grünwahl). Ein exp(b) von 1 hiesse, dass beide Ereignisse genau gleich wahrscheinlich sind. Dies entspräche somit einer Wahrscheinlichkeit von p(1)=0,5 (p=exp(b)/exp(b)+1). Positive b sowie exp(b), die grösser als 1 sind, bedeuten also in unserem Fall eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, Grün zu wählen. Die Signifikanz der einzelnen Koeffizienten berechnet sich über die Wald-Statistik, die dem t-Test der linearen Regression entspricht. Die Stärke des Einflusses lässt sich dabei nicht unmittelbar aus dem Regressionskoeffizienten ablesen, weil der Wert von der Skalierung abhängig ist – auch aus dem exp(b) einer Variable alleine ist darüber noch keine Schlüsse zu ziehen. Deshalb schaut man sich in einem ersten Schritt den exp(b) der Konstante an, der der Wahrscheinlichkeit entspricht, Grün zu wählen (im Vergleich mit der Gegenwahrscheinlichkeit), wenn alle Variablen den Wert 0 annehmen. Durch Addition und Subtraktion der jeweiligen Variablenwerte liesse sich so quasi jede Situation simulieren, je nachdem, welche Werte man auf null setzt. Um den Einfluss der einzelnen Variablen zu testen, könnte man also einfach für jede interessierende Situation ein separates Modell schätzen und dann den exp(b) für die Konstante ablesen. Eleganter ist die mathematische Variante: Aufgrund der gegebenen Koeffizienten lässt sich ebenfalls jede Situation simulieren (Jaccard 2001: 42f). Der exp(b) einer unabhängigen Variable gibt an, um welchen Faktor sich der exp(b) der Konstante ändert, wenn wir die Variable um eine Einheit erhöhen – und die anderen Variablen konstant gleich Null bleiben. Somit stellt dieser ein Multiplikator erster Ordnung dar. Die unabhängige Variable der Sympathie ist in allen vier Modellen höchst signifikant und übt wie erwartet einen positiven Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit aus, grün zu wählen. Je sympathischer einem die Grünen sind, desto eher wählt man sie. Wenn man die Konkurrenzvariablen ins Modell einfügt, sinkt exp(b) zwar von 1.73 auf rund 1.3, was aber nicht automatisch bedeutet, dass der Einfluss sinkt, weil sich gleichzeitig der Wert für die Konstante erhöht. Die versuchsweise Erhöhung des Sympathiewertes von 0 auf 10 macht an dieser Stelle noch keinen Sinn, da das Nullmodell mit einer auf den Wert 0 gesetzte Wahlkreisgrösse nicht sinnvoll interpretierbar ist. Der allgemeine Zusammenhang lässt sich aber in Abbildung 5 aufzeigen. 26 Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien Calislar/Mösching/Orsag (Gruppe 17) Zuerst fällt beim Betrachten der 0.8 Grafik auf, dass zwischen Sympathie Wahlwahrscheinlichkeit ein Zusammenhang besteht - allerdings ein Zusammenhang nicht-linearer Art. Dies erstaunt grundsätzlich wenig, da jemand mit einer Sympathie von 5 die Grünen kaum fünf mal eher wählt als eine Person mit einer Sympathie von 1, da davon ausgegangen werden kann, dass die Grünen in diesem Fall nicht die präferierte Partei sind. Allerdings - 0.7 Wahrscheinlichkeit, grün zu wählen und 0.6 0.5 0.4 0.3 0.2 0.1 0.0 0 1 und als zweite Feststellung - lässt 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Sympathie für die Grünen sich auch konstatieren, dass selbst Abbildung 5: Einfluss der Sympathie für die Grünen auf die bei einer hohen Sympathie die Wahrscheinlichkeit, die Grünen zu wählen Wahrscheinlichkeit, „grün“ zu wählen, nur knapp über 0.5 ansteigt. Insofern bleibt die Erklärungskraft des Faktors Sympathie allein erstaunlich moderat. Inwiefern spielen nun die postulierten Interaktionseffekte? Zunächst gilt es wiederum, den exp(b) des Interaktionsterms zu betrachten. Dieser gibt nun an, um welchen Faktor sich der exp(b) einer unabhängigen Variable ändert, die an der Interaktion beteiligt ist, wenn wir die interagierende Variable um eine Einheit erhöhen – und alles andere konstant bleibt. Somit lässt sich dieser als Multiplikator zweiter Ordnung bezeichnen, da er den Multiplikator erster Ordnung verändert. Die Wahlkreisgrösse in Interaktion mit der Sympathie erweist sich als durchgehend signifikant. Der Interaktionseffekt ist wie erwartet positiv: Je grösser der Wahlkreis ist, desto eher wählt ein Sympathisant einer Grünen Partei diese auch tatsächlich. Wenn wir beispielsweise im zweiten Modell8 die Wahlkreisgrösse von 1 auf 34 (Kanton Zürich) erhöhen, verändert sich der Effekt, den die Sympathie auf die Wahrscheinlichkeit, grün zu wählen, ausübt. In einem Einerwahlkreis steigt diese nämlich bei einer Veränderung der Sympathie von 1 auf 10 nur gerade von 0.03 auf 0.37 Prozent, währenddessen dieselbe Änderung im Kanton Zürich die Wahrscheinlichkeit von 0.03 auf 0.78 Prozent erhöht. 8 Die Erklärung für die Auswahl dieses Modells folgt weiter unten. 27 Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien Calislar/Mösching/Orsag (Gruppe 17) Es zeigt sich also, dass Leute in einem kleinen die Grünen kaum wählen, ganz gleich, wie sympathisch sie ihnen sind. Bei einer niedrigen Sympathie für die Grünen bewirkt eine steigende Wahlkreisgrösse keinen Anstieg der Wahrscheinlichkeit, die Grünen zu wählen – sie sind für einen so oder so nicht wählbar. 1 Sitz 2 bis 8 Sitze Mehr als 8 Sitze 0.7 Wahrscheinlichkeit, grün zu wählen Wahlkreis Wahlkreisgrösse 0.8 0.6 0.5 0.4 0.3 0.2 0.1 0.0 Bei einer hohen Sympathie 0 für die Grünen bewirkt eine steigende Wahlkreisgrösse allerdings haften einen Anstieg sprung- 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Sympathie für die Grünen Abbildung 6: Einfluss der Sympathie für die Grünen auf die Wahrscheinlichkeit, die Grünen zu wählen in Interaktion mit der Wahlkreisgrösse der Wahrscheinlichkeit, die Grünen zu wählen. Der Interaktionseffekt spielt erst bei den höheren Sympathieklassen, was auch in Abbildung 6 sehr schön erkennbar ist. Die Einteilung in die drei Klassen erfolgte dabei nicht willkürlich. Man kann davon ausgehen, dass die Erhöhung der Wahlkreisgrösse um einen Sitz einen immer kleineren Effekt hat. Der Schritt von einen auf zwei Sitze kommt einer Verdoppelung gleich, wogegen bereits der Unterschied zwischen fünf und sechs Sitzen weniger ins Gewicht fällt – von der Differenz zwischen dreissig und einunddreissig Sitzen ganz zu schweigen. So kann man annehmen, dass auch für strategische Überlegungen des Wählers die Kategorien Einerwahlkreis – kleiner Wahlkreis – grosser Wahlkreis durchaus bereits genügend differenziert ist. Interessanterweise übt die Wahlkreisgrösse, wenn man sie als unabhängige Variable betrachtet, einen negativen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit aus, grün zu wählen. Als interagierende Variable jedoch – und das ist für unsere Fragestellung relevant – zeigt die Wahlkreisgrösse die erwarteten Effekte. Die beiden mit der Wahlkreisgrösse verwandten Variablen Wahlhürde und Knappheit werfen schon mehr Fragen auf. Die Wahlhürde in Interaktion mit der Sympathie ist insignifikant, wenn man das Modell ohne die Konkurrenzvariablen rechnet. Sobald die 28 Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien Calislar/Mösching/Orsag (Gruppe 17) Konkurrenzvariablen eingeschlossen sind, ist die Wahlhürde stark signifikant und wirkt als Interaktion unerwarteterweise positiv auf den Wahlentscheid. Je höher also die Hürde für den Einzug ins Parlament, desto eher wird ein Sympathisant einer grünen Partei diese auch tatsächlich wählen. Eine mögliche Erklärung für dieses Phänomen ist ein „Jetzt-erstrecht“-Effekt. Der Charakter der Grünen als kleine Partei stärkt die Parteibindung bei den treusten Anhängern. Als unabhängige Variable betrachtet, wirkt sich die Hürde jedoch negativ auf die Wahrscheinlichkeit aus, grün zu wählen. Dies lässt darauf schliessen, dass der Wähler generell sich sehr wohl überlegt, welche Latte die Grünen überspringen müssen, um ins Parlament einziehen zu können, bevor er ihnen seine Stimme gibt. Die Existenz einer Hürde schadet also den Grünen generell, während die mit ihnen Sympathisierenden sie gerade eher wählen. In einem Einerwahlkreis beispielsweise mag die Zahl der Sympathisanten klein sein, diese wenigen Sympathisanten jedoch identifizieren sich voll und ganz mit ihrer Partei und stehen ohne Rücksicht auf die äusseren Einflüsse zu ihr. In allen Modellen insignifikant ist die erwartete Knappheit der Wahl. Selbst als unabhängige Variable ohne Interaktion mit der Sympathie ist die Knappheit als einzige Variable in allen Modellen insignifikant. Dies, obschon die Wahlhürde, die als Konzept der Knappheit zu Grunde liegt, wie erwähnt signifikant ist. Der erwartete Ausgang der Wahl scheint also für einen Sympathisanten der Grünen keinen Einfluss auf seinen Entscheid zu haben, die Grünen zu wählen oder nicht. Das könnte bedeuten, dass man zwar die Erfolgschancen gefühlsmässig sehr wohl berücksichtigt, wie unsere Ergebnisse zur Hürde nahe legen, jedoch gehen die Überlegungen eines Wählers nicht über eine allgemeine Einschätzung der Situation hinaus. Konkret: Der Wähler berechnet nicht. Wie knapp es wirklich ist, scheint für ihn nicht unmittelbar ersichtlich zu sein. Die Offenheit der Wahlliste ist in allen Modellen signifikant und hat einen positiven Einfluss auf den Wahlentscheid. Je mehr der Wähler die Zusammensetzung der Wahlliste verändern kann, desto eher wird ein Sympathisant einer grünen Partei diese auch wählen. Oder umgekehrt: wenn er dieser nicht beeinflussen kann, zieht er eher aus strategischen Überlegungen eine andere Partei vor. Im obigen Beispiel (Sympathie 10, Kanton Zürich), steigt die Wahrscheinlichkeit, die Grünen zu wählen, von 0.78 auf 0.95, sobald der Wähler die Liste verändern kann. Wenn man die Modelle jeweils mit einer der beiden Konkurrenzvariablen anreichert, verbessert sich die Güte des Gesamtmodells kaum. Auch der Einfluss auf die Signifikanz der anderen Koeffizienten ist mit Ausnahme der Wahlhürde zu vernachlässigen. Die sozioökonomische Konkurrenz ist – wenn die kulturelle Konkurrenz nicht im Modell 29 Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien Calislar/Mösching/Orsag (Gruppe 17) integriert wird – signifikant und begünstigt die Wahl der Grünen, die Konkurrenz auf der kulturellen Achse ebenfalls, wenn auch weniger stark und etwas weniger signifikant (Signifikanzniveau 0.05). Doch wenn wir beide Konkurrenzvariablen ins Modell einschliessen, werden beide deutlich insignifikant. Möglicherweise spielt da die hohe Korrelation der beiden Variablen (0.844) eine Rolle. Sie sind sich offenbar zu ähnlich, die Wirkungen überlagern sich und somit erweist sich die Trennung in zwei Achsen als nicht zweckdienlich. Im Allgemeinen fördert die Konkurrenz in Interaktion mit der Sympathie aber die Wahl der Grünen, was unsere Annahmen widerlegt. Es zeigt sich im Gegenteil, dass je grösser die politische Konkurrenz ist, desto eher wird ein Sympathisant einer grünen Partei diese auch wählen (Abbildung 7). Wenn man Konkurrenz als unabhängige Variable verwendet, sieht man hingegen, dass sie den Wähleranteil der Grünen verringert. Offenbar scheint sich bei zunehmender Konkurrenz ein Kern von treuen Grünen-Sympathisanten herauszubilden, die dann „erst recht“ grün wählen. Dies gilt sowohl für die Konkurrenz auf der sozioökonomischen, als auch auf der kulturellen Achse. Bei geringen Differenzen zu anderen Parteien scheint der Wähler mehr Parteibindung zu haben. Auch hier zeigt sich also, dass ungünstige Bedingungen für die Grünen die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die Sympathisanten sie wählen. Konkurrenz auf der sozioökonomischen Achse 0.8 Wahrscheinlichkeit, grün zu wählen 0.7 unterdurchschnittlich überdurchschnittlich 0.6 0.5 0.4 0.3 0.2 0.1 0.0 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Sympathie für die Grünen Abbildung 7: Einfluss der Sympathie für die Grünen auf die Wahrscheinlichkeit, die Grünen zu wählen in Interaktion mit der Konkurrenz auf sozio-ökonomischer Achse 30 Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien Calislar/Mösching/Orsag (Gruppe 17) 8. Schlusswort 8.1. Fazit Wie der Rational Choice Institutionalismus postuliert, kann die Sympathie für die grüne Partei den Entscheid, diese auch zu wählen, nicht vollständig erklären. Es ist tatsächlich so, dass Eigenschaften des Wahlsystems interagierend auf die Verbindung zwischen Einstellung und Wahlakt hineinwirken. Die Art und Weise ist allerdings überraschend und deckt sich zum Teil nicht mit den theoretischen Annahmen. Lediglich die Faktoren Wahlkreisgrösse und Veränderbarkeit der Wahlliste interagieren wie erwartet – Hürde und politische Konkurrenz tun dies entgegen den theoretischen Erwartungen nicht. Ein Sympathisant der Grünen wählt diese also eher in grossen Wahlkreisen, bei veränderbaren Listen, höheren Hürden und grösserer politischer Konkurrenz. Wenn man sich die interagierenden Variablen als unabhängige Variablen vorstellt, wechselt die Einflussrichtung ins Gegenteil. Der generelle Erfolg der Grünen Partei wird begünstigt durch kleine Wahlkreise, niedrige Hürden, nicht veränderbare Wahllisten und niedrige politische Konkurrenz. Wie ist dieses paradoxe Ergebnis zu erklären? In einem für die Grünen widrigen Umfeld identifizieren sich die Sympathisanten erst recht mit der Partei ihrer Präferenz und wählen sie. Das spricht für eine starke emotionale Motivation zur Wahl („voting by heart“) und widerspricht dem Konzept des rationalen, strategischen Wählens. 8.2. Aufgetauchte Probleme Wir haben im Laufe unserer Arbeit darüber hinaus noch andere grundsätzliche Einwände zum Konzept des strategischen Wählens entdeckt. Im Folgenden möchten wir einzelne dieser Einschränkungen ansprechen. Erst einmal scheint uns hier die vom Modell des Homo oeconomicus abgeleitete Voraussetzung der vollen Informiertheit eine heikle Annahme zu sein, da zu befürchten ist, dass die allermeisten Bürger kaum bis gar nicht über das Funktionieren des Wahlsystems informiert sind. Wenn überhaupt, dann kennen sie bestimmte Eigenheiten, jedoch nicht genug, um all die dem Wahlentscheid vorangehenden Überlegungen machen zu können. Dies kann sich natürlich von Land zu Land ändern, und vielleicht können Entscheidungen „aus dem hohlen Bauch“ zum selben Ergebnis kommen wie bei einer „überlegten“ Wahl, aber die für Modelle des strategischen Wählens sehr wichtige Frage der Wahlkreisgrösse wird (zumindest in Proporzsystemen) kaum allen Bürgern klar sein. Durch diesen Mangel schon zu Beginn des Konzepts wird unseres Erachtens die Kohärenz des strategischen Wählens 31 Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien Calislar/Mösching/Orsag (Gruppe 17) geschmälert. Eine weitere grundlegende Kritik am Konzept ist, dass eine „Präferenz“ und ein Wahlsystem als gegeben angenommen werden. Bei näherer Betrachtung muss man die „Präferenz“ als eine Summe von Präferenzen verstehen, da jeder Wähler mehrere Bedürfnisse verschiedenen Ausmasses an die Politik als Angebotssuchender formuliert. Dies gilt selbst für Wähler mit angegebener Parteibindung. Das Angebot einer jeden Partei ist nur eine Annäherung an die Präferenz des Wählers. Somit ist jede Wahl grundsätzlich eine „second best“-Wahl und abhängig vom Ausmass der Übereinstimmung. Der moderne Wähler kann – je nach thematischer Gewichtung und sogar Tagesstimmung – eine ganz andere Wahrnehmung von Sympathie, Einflüssen, ja sogar von seiner Präferenz haben. Neben diesen eher grundsätzlichen Kritikpunkten an der Theorie wollen wir einige Punkte an unserer Datenbasis, am CSES-Datensatz, äussern. Es ist uns bewusst, dass eine Länder, ja sogar Kontinenten, übergreifende Untersuchung einen sehr hohen Abstraktionsgrad aufweist und niemals alle Bedingungen erfüllen kann, die man zur Lösung einer solchen Aufgabe braucht. Jedoch haben wir während unserer Arbeit verschiedene Punkte entdeckt, die einer Revision bedürfen. Als erstes haben wir uns lange mit der Sympathie-Variable auseinander gesetzt. Diese (like/dislike) ist zu wenig aussagekräftig, weil der Wähler keine wirkliche Reihenfolge festsetzt. Es sind sogar Mehrfachnennungen möglich und in Zeiten der abnehmenden Parteibindungen durchaus häufig. Zwar ist diese für den Wähler aufgrund seiner eingangs dieses Kapitels erwähnten vielfachen Präferenz sicherlich nicht einfach auszudrücken, und der Datensatz bietet eine Annäherung daran, doch die Angabe einer klaren Präferenzordnung ist die Grundvoraussetzung einer jeden Arbeit über strategisches Wählen. Hinzu kommt erschwerend, dass die Skala (1 bis 10) ungenau ist, weil die meisten Wähler beispielsweise wohl kaum zwischen den Einschätzungen „7“ und „8“ unterscheiden können. Aussagekräftiger wäre eine 1 bis 4-Kategorie gewesen, wenn auch damit in einzelnen Fällen ein Informationsverlust droht. Erst die Angabe einer klaren Präferenz ermöglicht eine saubere Untersuchung des strategischen Wählens. Somit würde eine genauere Selbstdeklaration, wie beispielsweise anhand einer Smartvote-Befragung (50 Fragen), eine deutliche Verbesserung der Datenbasis bedeuten. Dasselbe gilt für die Erhebung des Niveaus der politischen Bildung, die – wie wir auch erwähnt haben – für das Konzept der strategischen Wahl sehr wichtig ist. Auch hier würden umfangreichere Fragebatterien – wie beispielsweise über das Wahlsystem – genauere Aussagen erlauben, inwiefern sich das strategische Wählen auf den Wahlakt auswirkt. 32 Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien Calislar/Mösching/Orsag (Gruppe 17) 8.3. Weiterführende Forschung Wir möchten zum Schluss unserer Arbeit den Wunsch äussern, für die weiterführende Erforschung des Konzepts des strategischen Wählens unbedingt die Grundvoraussetzungen wie die Informiertheit und die Präferenzsituation genauer anzuschauen und diese Überlegungen auch in die entsprechenden Umfragen einzubauen. Nur, wenn das Profil des einzelnen Wählers also genauer skizziert wird, kann man sich ein Bild davon machen, wie er unter bestimmten Einflüssen reagiert. Damit zusammen hängt die Frage einer möglichen Synthese aus den beiden Grundüberlegungen des Rational-Choice-Institutionalismus und Sozialisationstheorien wie Ingleharts Wertewandel-Ansatz. Ausgehend von der Annahme, dass die „Präferenz“ eine wichtige Ausgangsvariable ist, und im Wissen, dass diese (und auch die Informiertheit) sehr stark mit Einstellungen und „Werten“ zu tun hat, erscheint es uns sinnvoll, die beiden Ansätze zu verbinden, da sie keineswegs widersprüchlich sind, sondern – im Gegenteil – sich gegenseitig bedingen. Beide allein können den Wahlakt wohl kaum erklären, wie wir mit unserer Arbeit versucht haben zu zeigen. Als Synthese jedoch müssten sie einen hohen Erklärungswert haben. 33 Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien Calislar/Mösching/Orsag (Gruppe 17) 9. Literaturliste Datensätze BUDGE, Ian et al. (2001): Mapping Policy Preferences. Estimates for Parties, Electors and Governments 1945-1998. Oxford, Oxford University Press. SHIVELY, Phillips W. 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Internet: 35 Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien Calislar/Mösching/Orsag (Gruppe 17) Anhang Konzept Indikator Label Angenommener Zusammenhang Wahl der Grünen an letzte Wahl b3006_gpa AV H1 Sympathie für die Grünen Like/Dislike b3037_gpa X1 positiv H2 Wahlkreis Wahlkreisgrösse b4001 (B & DK b5034_1) Z1 positiv H3 Wahlhürde Wahlhürde b5042_1 Z2 negativ H4 Knappheit der Wahl [100/(b4001+1)] - b4004 Z3 positiv H5 Offenheit der Liste Wahlzettelstruktur b5044 Z4 positiv H6 Politische Konkurrenz siehe S.20 Z5 /Z6 negativ H7 politische Bildung „Political Information“ b3047_1 - b3047_3 Z7 negativ Tabelle 3: Variablenliste im Überblick Korrelationswerte sozök kulturell Quadrierte KW sozök kulturell 13230 13320 13330 13410 13420 13520 13620 DEN DEN DEN DEN DEN DEN DEN SF Socialist Peoples Party SD Social Democrats CD Centre Democrats RV Radicals V Liberals KrF Christian Peoples Party KF Conservatives 0.878 0.594 0.621 -0.309 0.662 0.334 0.443 0.690 0.787 -0.155 0.045 -0.146 0.771 0.353 0.386 0.000 0.438 0.112 0.196 0.476 0.619 0.000 0.002 0.000 14110 14223 14320 14520 14620 14810 14901 FIN FIN FIN FIN FIN FIN FIN VL Greens VL Left Wing Alliance SSDP Social Democrats SKL Christian Union KK National Coalition SK Finnish Centre RKP/SFP Swedish Party 0.671 0.924 0.710 0.834 0.334 0.845 0.192 0.744 0.323 0.489 0.822 0.559 0.450 0.854 0.504 0.696 0.112 0.714 0.037 0.554 0.104 0.239 0.676 0.312 21111 21321 BEL BEL Ecolo Francophone Ecologists SP Flemish Socialists 0.912 0.567 0.832 0.321 36 Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien Calislar/Mösching/Orsag (Gruppe 17) 21322 21421 21914 BEL BEL BEL PS Francophone Socialists PVV Flemish Liberals VB Flemish Block 0.933 0.954 0.997 0.552 0.563 0.999 0.870 0.910 0.994 0.305 0.317 0.998 22110 22320 22330 22420 . NET NET NET NET NET GL Greens PvdA Labour D 66 Libertarians VVD Liberals CDA Christian Democrats 0.878 0.665 0.298 0.776 0.515 0.615 0.149 0.440 0.771 0.442 0.089 0.602 0.265 0.378 0.022 0.194 31110 31220 31320 31624 31625 31720 FRA FRA FRA FRA FRA FRA Greens PCF Communists PS Socialists UDF RPR FN National Front 0.821 0.840 0.709 0.709 -0.207 0.457 0.544 0.294 0.294 0.143 0.674 0.706 0.503 0.503 0.000 0.209 0.296 0.086 0.086 0.020 41113 41221 41320 41420 41521 GER GER GER GER GER Alliance 90-Greens PDS Party for Democratic Socialism SPD Social Democrats FDP Free Democrats CDU/CSU Christian Democrats 0.769 0.842 0.269 0.593 0.398 0.729 0.727 0.169 0.591 0.709 0.072 0.352 0.158 0.531 0.529 0.029 43110 43320 43420 43520 43810 SWI SWI SWI SWI SWI Greens SPS-PSS Social Democrats FDP-PRD Radical Democrats CVP-PDC Christian Democrats SVP-UDC Peoples Party 0.948 0.406 0.492 0.329 0.829 0.241 0.254 0.250 0.899 0.165 0.242 0.108 0.687 0.058 0.065 0.063 53110 53320 53420 53520 53620 IRE IRE IRE IRE IRE Greens LP Labour Party PD Progressive Democratic Party Fine Gael Fianna Fail 0.855 0.463 0.583 0.745 0.585 0.375 0.424 0.571 0.731 0.214 0.340 0.555 0.342 0.141 0.180 0.326 Tabelle 4: Korrelationen der Parteiprogramme 16 14 Vlaams Blok 12 10 8 6 4 2 0 0 5 Ecolo 10 15 Abbildung 8: Korrelation zwischen den Parteiprogrammen des VB und der frankophonen Grünen 37 Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien Calislar/Mösching/Orsag (Gruppe 17) Kommentar zur Abbildung 7: Die Grünen müssten sich eigentlich auf der kulturellen Achse besonders stark von rechten Parteien unterscheiden. Ein Wert fällt jedoch gänzlich aus dem Rahmen: die Korrelation zwischen dem rechtsextremen belgischen Vlaams Block (neu: „Vlaams Belang“, VB) und den belgisch-frankophonen Grünen („Ecolo“). Trotz Aufteilung in einen materialistischen und einen postmaterialistischen Wert (die beiden Achsen in der Abbildung) scheinen sich die Profile der beiden Parteien noch immer ähnlich zu sein. Die Korrelation ist nahezu linear. Erst eine qualitative Analyse der Parteiprogramme gibt Hinweise darauf, wenigstens einen Teil des Phänomens erklären zu können. Beide Parteien betonen eine betont kulturzentrierte Politik, stellen das Kleinräumige gegenüber den nationalstaatlichen Organen in den Mittelpunkt, vertreten eine stark basisdemokratische, respektive populistische, antielitäre Komponente und wollen gezielt das bestehende politische Estabilishment provozieren Insofern ist ein Teil der Nähe bei näherem Hinsehen erklärbar. 38 Sympathie und Wahlentscheid für grüne Parteien Calislar/Mösching/Orsag (Gruppe 17) 39