Wahlen in Haiti

Werbung
SPEZIAL
HAITI
WEGE AUS DEM CHAOS
Wahlen in Haiti
Am 7. Februar 2006, genau 20 Jahre nach dem gewaltsamen Sturz
der Duvalierdiktatur, wählte Haiti einen neuen Präsidenten. Die
Wahlbeteiligung war überraschend hoch. Damit die Wahlen stattfinden konnten, mussten die Vereinten Nationen aktiv werden.
TEXT: HEINER ROSENDAHL
(UN-BEOBACHTER IN HAITI UND CIR-VORSTANDSMITGLIED)
A
m Wahltag strömten Haitianerinnen und Haitianer in so großer Zahl zu den Wahlurnen,
dass alle Erwartungen übertroffen wurden. Sicher war es die stärkste Wahlbeteiligung in der haitianischen Geschichte. Die Schwarzmaler hatten
nicht recht behalten. Es gab keine Einschüchterungen. Es gab keine Gewalt
und erst recht kein Massaker wie 1987.
Vier dutzend Parteien und 35 Präsidentschaftskandidaten warben um die
Gunst der Wähler, darunter ein ehemaliger Rebellenführer, zwei frühere Präsidenten, ein Ex-Major und ein Fabrikbesitzer. Als aussichtsreichster Kandidat
ging René Préval, der schon von 1996
bis 2001 Präsident gewesen war, ins
Rennen.
Der Wahltag ging ruhig zu Ende und
am kommenden Tag war klar, dass
Préval gewonnen hatte. Im ersten Wahlgang erreichte er die notwendigen 50
Prozent der Stimmen.
Diese freien und fairen Wahlen hätten ohne die Beteiligung der Vereinten
14
PRESENTE JUNI 2006
Nationen (UN) nicht stattgefunden. Der
provisorische Wahlrat war nicht bereit
gewesen, die elementaren Vorbereitungen für die Wahlen durchzuführen. In
internen Streitigkeiten verstrickt und
damit beschäftigt, die eigenen Lohnzahlungen ständig in die Höhe zu treiben,
verhinderte er alle Wahlvorbereitungen.
Ursprünglich sollte die UN nur eine
technische Assistenz für die Wahlen
leisten. Irgendwann wurde klar, dass
die UN entweder die Wahlen duchführen oder es keine Wahlen geben würde. Gleichzeitig blieb der provisorische
Wahlrat formal verantwortlich, was bis
zur Verkündung des Ergebnisses den
gesamten Wahlprozess immer wieder
an den Rand des Scheiterns brachte.
Puppe Aristides?
Zu Beginn des Wahlkampfes war Préval
vom bürgerlichen Lager und von den
traditionellen politischen Parteien massiv persönlich angefeindet worden: Er
sei immer nur eine Puppe Aristides ge-
Foto: CIR-Archiv
wesen, sein einziges Ziel im Leben sei,
den Präsidentenstuhl für jemanden anderen frei zu halten. Er habe kein eigenes Programm. Es gab sogar Schreier,
die ihn als schweren Menschenrechtsverbrecher hinzustellen suchten.
Kampf gegen Chaos
Das erste Mandat Prévals war sicher
von vielen Problemen gezeichnet gewesen. Aber diese Zeit gehörte zu den
ruhigsten und sichersten Epochen der
haitianischen Geschichte. Es gab nur
sehr wenige, nicht aufgeklärte politische Morde während seiner Präsidentschaft. Zurückhaltend aber beharrlich
ließ Préval durchblicken, dass er sich
von Aristide distanziert und dass er
alle relevanten Kräfte Haitis beteiligen
will, um für Ruhe, Stabilität und inneren Frieden zu sorgen. Rechtssicherheit
und ein positives Investitionsklima sind
seine vorrangigen Ziele.
Préval wird ein Land regieren, das im
UN-Entwicklungsindex Platz 153 von
177 Staaten belegt. Rund 80 Prozent
der 8,1 Millionen HaitianerInnen leben
unter der Armutsgrenze, die Lebenserwartung liegt bei 53 Jahren. Seit dem
Ende der blutigen Duvalier-Diktatur
1986 kamen und gingen 12 Präsiden-
ten, lediglich Préval vollendete seine
erste Amtszeit. Jean-Bertrand Aristide,
der letzte gewählte Präsident war nach
monatelangen Protesten gegen seine
Regierung Anfang 2004 von den USA
und Frankreich gedrängt worden, ins
Exil zu gehen.
Die Aufgaben für die künftige Regierung gleichen der Herkulesarbeit im
Augiasstall. Die UN und andere internationale Akteure verweisen immer auf
die Polizei- und Justizreform, um die
notwendige Rechtssicherheit herzustellen. Ebenso wichtig ist der Kampf gegen
Korruption auf allen Ebenen. Die Korruption genießt ein großes Verständnis
in der haitianischen Gesellschaft, weil
es für die Bevölkerung einleuchtend ist,
dass ein Richter ja nicht von 600 USDollar im Monat leben könne.
Ohne den Aufbau einer wirksamen
Verwaltungsstruktur in allen Ministerien und Generaldirektionen wie Zoll,
Telefon, Wasserversorgung, Stromversorgung, Straßenbau, Gefängnisverwaltung, Steuerbehörden kann Haiti nicht
wiederaufgebaut und aus dem Chaos
geführt werden.
PRESENTE JUNI 2006
15
Herunterladen