Sandra Altmeyer Köln International School of Design Diplom Hauptthema 2008 Audiovisuelle Medien 1 Sandra Altmeyer [11055612] Diplom Hauptthema: Audiovisuelle Medien Prof. Björn Bartholdy (1. Prüfer) Richard Jungkunz (2. Prüfer) Köln International School of Design 2008 2 3 INHALTSVERZEICHNIS 1. Einleitung 7 1.1 Musik erleben und verstehen 1.2 Amusie 8 1.2.1 Amusie als Mangel an Kunstsinn 1.2.2 Amusie als neurologische Störung 1.2.3 Fazit 11 2. Aufbau und Ziel der Arbeit 12 3. Musiktheoretischer Hintergrund 15 3.1 Parameter in der Musik 3.1.1 Musikalische Parameter 3.1.2 Parameter des Einzeltons 16 3.1.3 Serielle Musik 17 4. Visualisierung auditiver Wahrnehmung 19 4.1 Notation 4.1.1 Alternative Notationssysteme 21 4.1.1.1 Tabulaturen 4.1.1.2 Notationscodes 4.1.1.3 Grafische Notation 22 4.1.1.4 Farbnotation 23 4.1.2 Fazit 4.2 Die Gestalt von Klang und Frequenz 27 28 4.2.1 Chladnische Klangfiguren 4.2.2 Kymatik 29 4.2.3 Fazit 4.3 Mathematik 30 4.3.1 Sphärenmusik 4.3.2 Tastatur-Layouts 4.3.3 Fazit 31 4 5 32 4.4 Malerei 4.4.1 Wassily Kandinsky 6.1 Interaktionsmöglichkeiten „PLAY IT“ 4.4.2 Paul Klee 6.2 Automatisiertes Tool 4.4.3 Fazit 33 4.5 Der abstrakte Film 34 4.5.1 Walter Ruttmann 6.3 Erweiterung des „Amusie-Test“ 62 63 Dank 65 4.5.2 Vikking Eggeling 35 4.5.3 Oskar Fischinger 36 Literaturverzeichnis 66 4.5.4 Fazit 37 Quellenverzeichnis 67 Abbildungsverzeichnis 69 4.6.1 Das Musikvideo Versicherung 73 4.6.2 VJing 4.6 Elektronische und digitale Bilder heute 4.6.3 Visuelle Klangwelten in Videospielen 38 4.6.4 Fazit 40 5. Konzept: Contramusie 5.1 Der Code / Musik verstehen 41 42 5.1.1 Farbcodierung 5.1.2 Formcodierung 45 5.1.3 Kombination von Form- und Farbcodierung 48 5.2 Mood Samples / Musik erleben 49 5.3 Räumliche und zeitliche Anordnung 53 5.3.1 Das Raster 5.3.2 Tonhöhen 54 5.3.3 Tondauer 55 5.3.4 Lautstärke 5.3.5 Pausen 5.4 Die Webplattform (www.contramusie.de) 56 5.4.1 Begriffserklärung „Contramusie“ 5.4.2 Rubriken 6. Perspektiven 5.4.2.1 About 5.4.2.2 Watch it 5.4.2.3 Play it 5.4.2.4 Share it 58 60 6 7 1. Einleitung „Die Schwingungen in der Luft, die Rillen in der Schallplatte oder die Nullen und Einsen auf einer CD sind ebenso wenig schon Musik, wie die im Schrank liegenden Noten. Musik ist zeitliche Gestalt und bedarf des Erlebens und des aktiven Hervorbringens solcher Gestalt. Selbst eine so einfache Melodie wie Hänschen klein entsteht erst dadurch, dass Töne gehört und als Musik erlebt werden.“1 1.1 Musik erleben und verstehen Nahezu jeder Mensch hört Musik. Jedoch stellt das Musikhören eine sehr individuelle Erfahrung dar, die nur schwer zu beschreiben ist. Abhängig von jeweiligen psychologischen Gesichtspunkten, wie Vorerfahrung, Interesse, (musikalische) Erziehung, Kultur oder Persönlichkeit, reagiert und erlebt jeder Hörer Musik anders. Manfred Spitzer beschreibt in seinem Buch „Musik im Kopf“ drei Dimensionen des Erlebens von Musik. Erste Dimension ist hierbei die Intensität des „bewussten“ Erlebens von Musik, also wie stark diese den Hörer berührt. Die zweite Dimension ist die des Empfindens von Musik als angenehm oder unangenehm, und die dritte beschreibt den aktiven oder passiven Umgang mit Musik.2 Das gestalthafte Erkennen von Melodien besteht aus zwei Komponenten: Die Gesamtgestalt (Kontur) der Melodie und die Tonverhältnisse (Intervalle) im Einzelnen. Hören wir eine bekannte Melodie in einer anderen Tonart, so können wir einen falschen Ton sofort erkennen, weil wir diesen Ton in dieser genauen Höhe (Frequenz) noch nie innerhalb des Liedes gehört haben. Wir erkennen die Tonverhältnisse und wissen sofort, wenn ein (Ton-)Verhältnis nicht stimmt.3 Das strukturelle Verständnis von Musik bleibt jedoch überwiegend solchen Menschen vorbehalten, die ein Instrument spielen: die Notation von Musik in Takten und Notenwerten bleibt für die meisten NichtMusiker ein Buch mit sieben Siegeln. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass Musiker, die viel Zeit mit dem Hören und Produzieren von Musik verbringen, Musik tiefer verarbeiten und schneller verstehen können.4 1 Spitzer, Manfred: Musik im Kopf. Hören, Musizieren, Verstehen und Erleben im neuronalen Netzwerk. Vorwort. S. V 2 Vgl. Ebd., S.141 3 Vgl. Ebd., S. 160 4 Vgl. Ebd., S. 188 8 9 1.2 Amusie 1.2.1 Amusie als Mangel an Kunstsinn Der Begriff Amusie wird in verschiedener Verwendung gebraucht und stammt aus dem Altgriechischen (amousia). In erster Linie beschreibt „Amusie“ den Mangel an Kunstsinn oder Schönheitsgefühl - die Unfähigkeit, Musisches (Künstlerisches) zu verstehen. Entweder aufgrund extremer Unbegabtheit oder auch generellen Desinteresses für Musik. 5 1.2.2 Amusie als neurologische Störung Anders als bei 1.2.1, wo die Amusie als Musikunverständnis dargestellt wird, wird in der Neurologie mit der Begrifflichkeit „Amusie“ eine viel weiter gehende pathologische Störung beschrieben: und zwar die diagnostizierte Schädigung der sekundären und tertiären Hörbahnen des Gehirns. Sie ist die extremste Form musikalischen Unverständnisses, unter der rund 5% der Bevölkerung, also allein in Deutschland rund vier Millionen Menschen, leiden. Trotz intakter Sinnesorgane fällt es den Betroffenen schwer, Assoziationen zu musikalischer Wahrnehmung aufzubauen, Musik affektiv zu bewerten und zu erleben: 1. Dissonante Akkorde in einem klassischen Stück werden nicht erkannt, ebenso wenig werden falsche Töne in einer einfachen Melodie entdeckt. 2. Von zwei Melodien kann nicht entschieden werden, ob sie gleich oder verschieden sind (z.B. in Tonhöhe, Melodie, Rhythmus,…) 3. Zwei verschieden hohe Töne können nicht voneinander unterschieden werden (daher wird die Störung auch oft Tontaubheit genannt) Oft besteht auch eine Beeinträchtigung in der Fähigkeit, sich an häufig gehörte Melodien zu erinnern oder diese wieder zu erkennen.6 5 6 Vgl. Brockhaus’ Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911, S. 61. Vgl. Brain – A journal of neurology. J. M. Foxton, J. L. Dean, R. Gee, I. Peretz, and T. D. Griffiths: Characterization of deficits in pitch perception underlying ‘tone deafness. Brain 01.04.2004. <http://brain.oxfordjournals.org/cgi/reprint/127/4/801> (Stand: 14.06.2008) Viele Betroffene reagieren nicht auf angenehme Musik oder empfinden sie sogar als störend: „Sobald die Ouvertüre erklingt, schaltet mein Gehirn ab und weigert sich stur, wieder angeschaltet zu werden. Ich höre nichts und tagträume stattdessen. Anscheinend kann mein Gehirn die Musik nicht verarbeiten; es dekodiert die Töne als Lärm. Das erregt immer wieder Mitleid: “Du weißt gar nicht, was Du verpasst!”7 "Music which can send shivers of pleasure down the spines of many listeners will leave amusic listeners completely cold. One amusic had described listening to a piano concerto by Rachmaninov as 'banging' and 'noise'."8 Einige amusische Menschen können Musik nicht einfach vermeiden, etwa weil das Singen Teil ihres Berufes ist: so ging es dem amusischen Pfarrer Jim Cross – bis er in Rente ging musste er sonntags im Gottesdienst singen. Er selbst sagt über seine Singfähigkeit: "I am told that sometimes I get the right note, and sometimes I do not, but I cannot tell." Amusische Defizite treten bei ca. 70% der Schlaganfallpatienten auf. Amusie kann aber auch angeboren sein. Die betroffenen unmusikalischen Menschen erkennen Sprache einschließlich Sprachmelodien, Umgebungsgeräusche und menschliche Stimmen genau so gut wie andere Menschen. Es gibt also kein wirkliches Hördefizit im Sinne von „schlecht hören“. Daher wird die Amusie auch als Audio-Entsprechung zur Farbenblindheit beim Sehen beschrieben.9 "It’s been compared to colourblindess. Just as people with colourblindness might see reds, pinks and oranges as the same, amusic people have a very coarse representation of the notes of the musical scale."10 7 Vgl. Zeit Online. Ulrike Herrmann: Ich höre da nichts. 19.3.2006. <http://www.zeit.de/online/2006/12/meinlebenmitmusik_10?page=1> (Stand: 15.06.2008) 8 Vgl. CNN. Science & Space. Scientists tune in to tone deafness. 18.04.2006 <http://www.cnn.com/2006/TECH/science/04/18/tonedeafness.study/index.html> (Stand: 15.06.2008) 9 Vgl. Brain – A journal of neurology. J. Ayotte, I. Peretz, and K. Hyde: Congenital amusia: A group study of adults afflicted with a music-specific disorder. Brain 01.01.2002. <http://brain.oxfordjournals.org/cgi/reprint/125/2/238> (Stand: 14.06.2008) 10 Vgl. BBC – Radio 4. Dr. Lauren Stewart, Psychologe am Goldsmith’s College, London. 13.12.2006. <http://www.bbc.co.uk/radio4/science/frontiers_20061213.shtml> (Stand: 16.06.2008) 10 11 An der „University of Montreal” wurde ein Test erarbeitet, durch den Amusie diagnostiziert werden kann. Darin werden immer wieder zwei Tonfolgen nacheinander vorgespielt, die sich entweder gleichen oder unterscheiden. Verändert sich beispielsweise eine Tonhöhe, wird es amusisch Betroffenen kaum auffallen, selbst wenn der Ton offensichtlich nicht mit der Tonfolge harmoniert.11 Bekanntester Fall von Amusie in der Musikgeschichte ist der französische Komponist Maurice Ravel (1875-1937). Ravel litt nach einem Autounfall an Aphasie (Sprachverlust) und Alexie (Notenlesestörung) und konnte keine Kompositionen mehr anfertigen, bzw. zu Papier bringen, obwohl er im Kopf weiterkomponierte12. Ebenso der Begründer der Psychoanalyse Sigmund Freud, der Musik stets nur „als Lärm“ empfinden konnte. Arnold Schönberg, Bruno Walter und Gustav Mahler zählten zwar zu seinen Patienten, doch Sigmund Freud hasste ihre Berufung: die Musik. Eine Oper zu hören oder eine Klaviersonate war ihm ein Greuel. Seine Söhne schienen diese Anlage geerbt zu haben: Als Soldaten im Ersten Weltkrieg konnten sie nicht unterscheiden, ob ein Trompeten-Signal zum Angriff oder zum Rückzug blies.13 Ein weiterer bekannter Fall ist Che Guevara. Beim Tanzen war er auf die Anweisungen seines Adjutanten angewiesen, der ihm signalisierte, ob er sich schnell oder langsam im Takt wiegen solle14. 1.2.3 Fazit Es bestehen keine einheitlichen Ansichten und Erkenntnisse darüber, was ein Mensch genau „nicht können darf“, um als amusisch zu gelten. Die Symptome einer Amusie sind vielseitig und nicht deutlich eingrenzbar. Wo wäre beispielsweise die Grenze zu ziehen in der Unterscheidung, ob ein Mensch amusisch oder einfach nur unmusikalisch ist? Wie kann man erkennen, ob er Musik „richtig“ versteht. Und es stellt sich auch immer die Frage, ob er es einfach nur nicht gelernt hat oder ihm eventuell die nötige Konzentration fehlt, um sich eine Melodie einzuprägen. Es könnte also ein Weg sein, andere Formen der Musikwiedergabe und damit des Musikverständnisses zu finden, um amusischen Menschen (in den verschiedenen Ausprägungen) einen Zugang zur Musik zu ermöglichen. "Just as deaf people learn to enjoy music through its vibrations, people with amusia may be able to choose their listening material according to their residual abilities."16 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass bei der Ton- oder Melodientaubheit also die Auffassung musikalischer Gestalten gestört ist. Harmonien und Melodien werden mangelhaft verarbeitet. Weniger schwere Fälle können sich aber auch auf eine mehr oder weniger große Sensibilität gegenüber Tonhöhenunterschieden beziehen. Da den meisten Patienten die Störung als unerheblich erscheint (und ihnen so auch kaum auffällt) ist es schwierig, die pathologischen Formen von Amusie zu untersuchen oder zu beobachten.15 Zudem gibt es zum Thema Amusie zwar zahlreiche Case-Studies, jedoch bisher keine genaueren Forschungsergebnisse oder Therapien. 11 Vgl. Newcastle Test. <http://www.delosis.com/listening/measure1.html> (Stand:14.06.2008) 12 Vgl. Frederiks, J.A.M.: Handbook of clinical neurology, Bd. 45, Amsterdam 1985 13 Vgl. WDR 3. Freud und die Musik, Analyse einer schwierigen Feindschaft. 04.05.2006. <http://www.lernzeit.de/sendung.phtml?detail=703679> (Stand: 15.06.2008) 14 Vgl. Boschart, Jürgen und Tentrup, Isabelle: Der Klang der Sinne. Geo 2003,11, 55 ff. 15 Vgl. Goethe-Universität Frankfurt/Main, Fachbereich 09/Musikpädagogik. Abschlussarbeit zur Erlangung der Magistra Artium von Vera Göhring: Amusie im Alltag. 15.12.2005. S.9 16 Vgl. BBC – Radio 4. Dr. Lauren Stewart: Listening displeasure. 30.01.2006 <http://news.bbc.co.uk/2/hi/uk_news/magazine/4655352.stm> (Stand: 15.06.2008) 12 13 2. Aufbau und Ziel der Arbeit Aufgrund der noch ungenauen Forschungsarbeiten und der erschwerten Eingrenzbarkeit im Bereich der Amusie als neurologische Störung, unterscheidet diese Arbeit nicht zwischen der Amusie als neurologische Störung und der abgeschwächten Amusie als „Musikunverständnis“. Ziel ist es eine Plattform zu schaffen, durch die auf unterhaltsame Weise musikalische Wahrnehmungen, wie Rhythmus und Melodie und Tonalität, sichtbar und damit über einen anderen Kanal (das Sehen) verständlich und nachvollziehbar werden. Es geht dabei nicht um Synästhesie, sondern um Musikverständnis. Die Musik wird in einen grafischen Code übertragen, sodass ein Grundverständnis von musikalischen Strukturen ermöglicht wird. Kern dieses Mediums ist es, ein Musikstück zu kommunizieren, indem es in ein visuelles Werk transformiert wird. Hierfür wird die Notation der Leitmelodien von Musikstücken analysiert und in einen visuellen, einfach verständlichen Code übersetzt. Für den Code werden klar definierte Zuordnungen von Farben und Formen zu Einzeltönen und Formkomplexen bei Klängen zugrunde gelegt. Um einen Einstieg ins Thema zu geben, werden im dritten Teil der Arbeit zunächst musiktheoretische Begrifflichkeiten geklärt, mit denen sich die folgende Arbeit befassen wird (3. Musiktheoretischer Hintergrund). Daraufhin erfolgt ein Einblick in zahlreiche Visualisierungsansätze von der Antike bis heute (4. Visualisierung auditiver Wahrnehmung). Diese sind in verschiedene Bereiche eingeteilt und werden jeweils im Hinblick auf die praktische Umsetzung des Projekts bewertet. Darauf aufbauend erfolgt das Konzept (5. Konzept: Contramusie). Idee und Ziel werden hier konkret definiert und alle inhaltlichen und konzeptionellen Herangehensweisen, bis hin zur praktischen Umsetzung schrittweise dargestellt. Abschließend wird ein Ausblick gegeben, in welche Richtung sich das Projekt in Zukunft weiterentwickeln kann (6. Perspektiven). 14 15 3. Musiktheoretischer Hintergrund 3.1 Parameter in der Musik 3.1.1 Musikalische Parameter Der Begriff Parameter ist ein aus der Mathematik entlehnter Begriff und wurde 1948 von Joseph Schillinger auf die Musik angewendet, um Klänge aufgrund ihrer Klangkomponenten zu beschreiben. Im Zusammenhang mit Neuer Musik sind musikalische Parameter die gebräuchliche Bezeichnung für die einzelnen Dimensionen des musikalischen Wahrnehmungsbereichs.17 1. KLANGFARBE In der Natur gibt es nicht „den reinen Klang“. Er ist immer schon in seiner Struktur verändert, wenn wir ihn hören. Diese Struktur des Klangs, sein Kleid, seine Klangfarbe, hängt ab von der Größe des Gegenstandes, der den Klang erzeugt, von seiner Materialbeschaffenheit, von der Art und Weise, wie er erzeugt wurde und von seiner Verbreitung im Raum. 2. RHYTHMUS Ein Klang ist immer zeitgebunden. Daher beeinflusst eine zeitlich bedingte Veränderung auch seine Aussagekraft. Zu diesem Bereich zählen eine schnelle oder langsame Wiederholung des Klangs, die Regelmäßigkeit (Metrum) oder Unregelmäßigkeit dieser Wiederholung, seine Dauer (lang oder kurz) und die Zusammensetzung bestimmter Klanggruppen (rhythmische Motive). 3. MELODIE Durch die frequenzbedingte Veränderung der Tonhöhe eines Klangs eröffnen sich viele Möglichkeiten des musikalischen Ausdrucks. Der Weg führt von der Unterscheidung zwischen aufwärts und abwärts über die Art dieser Bewegung (z.B. als Glissando, in Schritten, Sprüngen oder Wiederholungen) bis hin zu den heute gebräuchlichen Notennamen unseres Tonsystems. 17 Vgl. Meyers Lexikonverlag. Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG: Parameter. 27 Februar 2007 <http://lexikon.meyers.de/index.php?title=Parameter&oldid=148904> (Stand: 16.06.2008) 16 17 4. DYNAMIK Ein wesentlicher Bestandteil der Ausdrucksfähigkeit der Musik ist die Veränderung der Lautstärke eines Klanges. Dies kann auf verschiedene Art und Weise geschehen: durch die Besetzung des Orchesters, durch die Spielweise des Musikers oder durch die Verbreitung im Raum. Die Veränderung kann stufenweise oder fließend geschehen. 5. HARMONIE Das gleichzeitige Erklingen verschiedener Klänge führt zu einem neuen Hörerlebnis: Es erklingt ein Akkord. Dieser kann harmonisch oder disharmonisch sein. Die Parameter dafür, was als harmonisch oder disharmonisch angesehen wird, sind teilweise angeboren, jedoch gibt es auch unterschiedliche Wahrnehmungen in Abhängigkeit vom Kulturkreis. 6. FORM Durch das Zusammensetzen und Organisieren von Klängen zu Klangfolgen, welche entweder wiederholt werden oder mit anderen Klangfolgen kontrastieren, entsteht die Struktur eines Musikstücks. Diese Struktur kann eine freie Form von ungleich langen Stücken mit eigenem Charakter sein (dynamische Struktur) oder eine feste Form mit genau bestimmbaren Teilen (z.B. Strophe, Bridge, Refrain etc.).18 3.1.2 Parameter des Einzeltons Die vier Parameter des einzelnen Tons (und ihre entsprechenden physikalischen Größen) sind: 3.1.3 Serielle Musik Die serielle Musik ist eine um 1950 entwickelte Kompositionstechnik innerhalb der Neuen Musik, bei der möglichst alle Strukturelemente (Parameter) eines Werkes durch die vorweg festgelegte Ordnung von Zahlen- oder Proportionsreihen bestimmt sein sollen. Die Behandlung der Klangfarbe war von Anbeginn problematisch. Bezeichnenderweise waren die ersten seriellen Kompositionen für Klavier geschrieben, sie klammerten das Problem zunächst aus. Eine extreme Form der seriellen Musik ist die „punktuelle Musik“, bei der sich der Tonsatz aus den einmal gewählten Reihen gewissermaßen automatisch ergibt. In der freier konzipierten „statistischen Musik” sind nur die Parameter von zum Teil umfangreichen Gruppen (Gruppendauer, Tonumfang, Tonmenge, Dichte) festgelegt, sodass die Parameter der Einzeltöne beliebig gestaltbar werden. Angeregt wurde die serielle Musik durch das Klavierstück „Mode de valeurs et d’intensités“ (1949) von Olivier Messiaen, das jeder Tonhöhe eine bestimmte Dauer, Stärke und Anschlagsart zuordnet. Der Versuch den Parameter Klangfarbe systematisch zu gestalten, führt zur Klangsynthese und damit weiter zur Elektronischen Musik.19 Im Folgenden wurden zunehmend mehr Ebenen der Komposition „parametrisiert”. Karlheinz Stockhausen führt in seiner 5-kanaligen Tonbandkomposition „Gesang der Jünglinge“ (1955-1956) den Parameter „Raum” ein und strukturierte so Klangbewegungen im Raum. Iannis Xenakis organisiert in seinem Orchesterwerk „Metastasis” (1953-1954) Dichtegrade des musikalischen Geschehens. Schließlich wurde der Begriff Parameter auf jede Dimension der Musik angewendet, die dem kompositorischen Zugriff zugänglich war und sich in Skalen anordnen oder quantifizieren ließ.20 1. Die Tonhöhe (Frequenz) 2. Die Tondauer (Zeitintervall) 3. Die Lautstärke (Amplitude) 4. Die Klangfarbe (akustisches Spektrum) Die Klangfarbe lässt sich nur im übertragenen Sinne als Parameter bezeichnen, denn sie besteht nicht aus einer abgrenzbaren Variablen. Sie ist eine Zusammensetzung verschiedener Parameter zu einem Klanggebilde. Hin und wieder werden weitere Eigenschaften des Einzeltons „Parameter“ genannt (z. B. Artikulation, Akzente, Verzierungen); sie sind jedoch ebenfalls lediglich als Kombination der vier genannten Parameter erklärbar. Abb. 1: Ausschnitt aus Iannis Xenakis’ Metastasis 18 Vgl. Carre Rotondes. Espace Culturel. Die sechs musikalischen Parameter. <http://ftp.technolink.lu/CentreVerdi/Pages/_musik/muparame.html> (Stand:17.06.2008) 19 Vgl. Meyers Lexikonverlag. Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG: Serielle Musik. 27 Februar 2007. <http://lexikon.meyers.de/index.php?title=Serielle_Musik&oldid=138308> (Stand: 17.06.2008) 20 Vgl. Essl, Karlheinz: Aspekte des Seriellen bei Stockhausen <http://www.essl.at/bibliogr/stockhausen.html> (Stand: 17.06.2008) 18 19 4. Visualisierung auditiver Wahrnehmung „Musik stellt die abstrakteste Kunstform dar. Ihr materieller Wert besteht einzig aus der impulsiven Kompression von Luft. Im Unterschied zu Malerei, zu Dichtkunst, zu Literatur oder zu den darstellenden Künsten hat die Musik von sich aus keine visuelle Repräsentation.“21 Schon in der Antike wurde versucht, Bild und Ton zu vereinen – vielfältige Konzepte, die sich durch unterschiedliche Analogien und Assoziationen auszeichnen, sich auf unterschiedlich musikalische Parameter beziehen und sich dabei verschiedener visueller Umsetzungen bedienen. 4.1 Notation Die bekannteste Form der Visualisierung von Musik ist die klassische Notation. Die ersten historisch belegten Notationssysteme bildeten Musik mit Hilfe von Buchstaben, Zahlen, Wörtern und Gebärden grafisch ab. Das grafische Festhalten von musikalischen Parametern diente zum einen dazu, bereits bekannte Musikstücke schriftlich zu dokumentieren und damit gehörte Musik anders als durch Erinnerung festzuhalten. Zum anderen bestand erstmals die Möglichkeit, neue Melodien und andere musikalische Einfälle ausschließlich schriftlich auszudrücken, ohne sie selber ausführen zu müssen.22 In der klassischen Notenschrift wird die Tonhöhe durch die fortlaufende Anordnung der Noten auf oder zwischen fünf waagrechten Linien wiedergegeben. Die Tonlänge der Einzeltöne wird durch verschiedene Notenzeichen ausgedrückt. Die zeitlichen Notenwerte sind Ganze, Halbe, Viertel, Achtel, Sechzehntel etc. außerhalb dieser steten Zweiteilung stehen punktierte Noten (anderthalbfacher Wert), Triolen und Quintolen. Jedem Notenwert entspricht ein Pausenzeichen gleicher Dauer. Tonlagen werden am Anfang mit Notenschlüsseln gekennzeichnet (Violin- oder G-Schlüssel). Zur Aufzeichnung der chromatischen Halbtöne cis/des, dis/es, fis/ges, gis/as, ais/b werden Versetzungszeichen beigefügt. Versetzungszeichen am Anfang des Liniensystems (Vorzeichen) bezeichnen die Tonart. 21 Vgl. Imagomat: Die Farbe des Klangs ist der Klang der Farbe. Zur Visualisierung von Musik. <http://www.imagomat.de/writings/klang.htm> (Stand: 15.06.2008) 22 Vgl. Pictures of Music: History Timeline. <http://www.blockmuseum.northwestern.edu/picturesofmusic/index2.html> (Stand: 18.06.2008) 20 21 4.1.1 Alternative Notationssysteme 4.1.1.1 Tabulaturen Tabulaturen sind so genannte Griffbilder, die überwiegend für Zupfund Tasteninstrumente verwendet wurden. Gitarrentabulaturen sind bis heute in Gebrauch: Ein Liniensystem mit sechs Linien, die die sechs Saiten der Gitarre abbilden. Die Zahlen auf den Linien geben an, welche Bünde abgegriffen werden sollen.24 Abb. 3: Beginn des Liedes „Alle Vöglein sind schon da“ 4.1.1.2 Notationscodes Die rhythmische Gruppierung und die Akzentlage werden durch Taktvorzeichen und Taktstriche angegeben. Tempo, Tonstärke, Verzierungen und Artikulation werden durch schriftliche Zusätze oder besondere Zeichen beschrieben.23 Um musikalische Parameter elektronisch „notieren“ und speichern zu können wurden verschiedene Notationscodes entwickelt. Zu unterscheiden sind Codes für die Wiedergabe von Musik wie MIDI, Codes für die Eingabe oder Speicherung von Musik für den elektronischen Notensatz und solche für die musikwissenschaftliche Analyse von Musik. Eine weitere Form der Notation, also des Festhaltens von musikalischen Werten, ist die technische Reproduktion von Musik auf Tonspuren: Sei es in der Spieluhr, der Drehorgel, der Vinylschallplatte oder der CD: musikalischer Klang wird als Notation fixiert, um einer technischen Apparatur das Abspielen von Musik zu ermöglichen.25 23 Vgl. Dobretzberger, Fritz und Paul, Johannes: Farbmusik. Leitfaden für eine kombinierte Farben- und Musiklehre. 1993. S. 30 24 Vgl. Sigal, Everard. Musiktheorie. <http://www.mu-sig.de/Theorie/Notation/Notation03.htm> (Stand:18.06.2008) 25 Vgl. Imagomat: Die Farbe des Klangs ist der Klang der Farbe. Zur Visualisierung von Musik. <http://www.imagomat.de/writings/klang.htm> (Stand: 15.06.2008) 22 23 4.1.1.3 Grafische Notation 4.1.1.4 Farbnotation Im frühen 20. Jahrhundert wollten sich viele Komponisten vom traditionellen Notenbild lösen. Sie empfanden es als ungeeignet und zu konkret für ihre Musik und begannen, mit grafischer Notation zu experimentieren, um der eigenen Inspiration und der Kreativität des ausführenden Musikers mehr Platz zu geben. Komponisten wie John Cage, George Crumb, Karlheinz Stockhausen, Iannis Xenakis oder Morton Feldman und Earle Brown hinterfragten die Grenzen musikalischer Notation und visueller Kunst. Nichtstandardisierte Notation bot Freiraum für neue Interpretation und Kommunikation zwischen Komponist und Darsteller. Aus verschiedensten alten Kulturen sind Farbe-Ton-Analogien und -Theorien überliefert, die sich entweder an physikalisch-naturwissenschaftlichen Grundsätzen orientierten oder auf den Bereich der Empfindsamkeit und physiologische und psychologische Prozesse verlagerten.27 Im Folgenden wird nur auf physikalisch-naturwissenschaftliche Ansätze eingegangen. Synästhetische Ansätze werden ausgeklammert. Arnold Schönberg (1874-1951) kreierte eine neue Methode des Komponierens, basierend auf einer Reihe (oder Serie) von 12 Tönen. Er war einer der einflussreichsten Musiklehrer des 20. Jahrhunderts.26 Aristoteles Mithilfe einfacher Zahlenverhältnisse ordnete schon Aristoteles jeder Farbe Tonintervalle zu und schuf damit die Grundlage für die antike Farbe-Ton-Beziehung. Leonardo Da Vinci – Lichtprojektionen Leonardo da Vinci (1452-1519) griff im 15. Jahrhundert die Lehren des Aristoteles auf und war einer der Ersten, der farbige Lichter projizierte. In seiner Schrift „Traktat von der Malerei” setzte sich Leonardo da Vinci mit den philosophischen Grundlagen der Malerei auseinander: „Die Malerei ist der Musik deswegen überlegen, weil sie nicht sterben muss, sobald sie ins Leben gerufen ist. [...] Im Gegenteil: sie verharrt im Dasein, und was in der Tat nur einzige Fläche ist, weist sich Dir als lebendig.“28 Abb. 4: Stockhausen: Electronic Study No. 2. Isaac Newton – „Opticks“ Anfang des 18. Jahrhundert bewies Isaac Newton (1643-1727) durch seine Prismenversuche und die Veröffentlichung seiner „Opticks or a treatise of the reflections, refractions, inflections and colours of light“ (1704) die Zusammensetzung weißen Lichts aus sieben Spektralfarben und die rechnerische Übereinstimmung mit den sieben Intervallen einer Tonleiter. Damit schien eine Farbe-Ton-Beziehung physikalisch und somit naturwissenschaftlich begründet zu sein. Abb. 5: Roman Haubenstock-Ramati Abb. 7: Newtons Opticks Abb. 6: Sylvano Bussotti: Piano Piece for David Tudor 4 26 Vgl. Pictures of Music. History Timeline <http://www.blockmuseum.northwestern.edu/picturesofmusic/index2.html> (Stand: 13.06.2008) 27 Vgl. Scheel, Susanne: Musikvisualisierung – das Zusammenspiel von Farbe und Ton. PDF. 2006. S. 282 28 Unger, Werner: Versuch einer Ästhetik des Hifi-Hörens.1990PDF. S.1. <http://www.archiphon.de/Discologica/VERSUCH%20EINERAESTHETIK%20DES%20HIFI.pdf> (Stand: 14.06.2008) 24 25 Louis-Bertrand Castel – Le Clavecin Oculaire Louis-Bertrand Castel (1688-1757) gelang es mit der Entwicklung des „Clavecin Oculaire“ (Augenklavier), Kunst im Sinne einer Farbenmusik zu transferieren: Ein Farbklavier, das zu jedem Tastendruck analog ein Farbenspiel bot.29 Arnold Schönberg – Die glückliche Hand 1913 fügte auch Arnold Schönberg (1874-1951) Farbfolgen in seine Komposition „Die glückliche Hand“ ein. Arno Peters – Peters-Notation Der Bremer Wissenschaftler Arno Peters (1916-2002) entwickelte die so genannte Peters-Notation (1985). Den Schwingungsverhältnissen der Farben wurden Töne mit ähnlicher Frequenzrelation zugeordnet. Bastian Perrot – Das Glasperlenspiel Als Idee existierte das Glasperlenspiel bereits bei den alten Chinesen, in der Antike und bei den Mauren. Eine Vorform des Spiels entstand gleichzeitig in Deutschland und England als Gedächtnis- und Kombinationsübung für Musiker, die in den neuen musiktheoretischen Seminaren arbeiteten und studierten. Das eigentliche Glasperlenspiel wurde laut Hermann Hesses nobelpreisgekürtem Werk „Glasperlenspiel“ nach dem Vorbild naiver Kugelzählapparate für Kinder von Bastian Perrot aus Calw an der Musikhochschule von Köln entwickelt. Edward Maryon – Musikpädagogische Nutzung Im selben Zeitraum kamen auch Versuche auf, den Farbe-Ton-Zusammenhang gehör- und musikpädagogisch zu nutzen. Der Amerikaner Edward Maryon hielt es 1924 für möglich, das absolute Gehör (akustisches, eindeutiges Erkennen einer Tonhöhe) mittels einer Farbtonskala zu lehren. Baron Anatol Vietinghoff-Scheel – Chromatophon Im Jahr 1929 entwickelte der Pianist Baron Vietinghoff-Scheel gemeinsam mit dem Grazer Klavierbauer Josef Kanzler das so genannte „Chromatophon” - den Vorgänger von multimedialen Musikshows. Abb. 9: Klassischer Rechenschieber Bastian Perrot konstruierte eine Art Rechentafel: einen Rahmen mit einigen Dutzend Drähten, auf welchen er Glasperlen von verschiedener Größe, Form und Farbe aneinanderreihen konnte. Die Drähte entsprachen den Notenlinien, die Perlen den Notenwerten. So baute er aus Glasperlen musikalische Zitate oder erfundene Themata; veränderte, transponierte, entwickelte sie, wandelte sie ab und stellte ihnen andere gegenüber. Was das Technische betrifft, war dies eine Spielerei, gefiel aber seinen Schülern, wurde nachgeahmt und zu einem neuen Modetrend. Abb. 8: Das Chromatophon Dies geschah in Anlehnung an Castel, der die Farben abhängig von den Einzeltönen sah. Es handelte sich dabei um einen umgebauten Konzertflügel, wobei jeder Taste eine Farbglühbirne zugeordnet war. Je nach Stimmung des gespielten Musikstückes wurde die Bühne in blinkende Lichter oder in gedeckte Farbtöne gehüllt.30 29 Vgl. Scheel, Susanne. A.a.O S.281-282 30 Vgl. Kleine Zeitung: Multimediales Erbe. 30.05.2007 <http://www.meinekleine.at/multimedia/stories/213307/> (Stand: 18.06.2008) Während der weiteren Entwicklung bereicherte nahezu jede Wissenschaft das Glasperlenspiel um spezielle Formeln und Kombinationsregeln, sodass eine von allen Künsten und Wissenschaften gespeiste Weltsprache entstand.31 „Im Glasperlenspiel vereinigen sich die Schönheit der Kunst und die Exaktheit vieler wissenschaftlicher Disziplinen. Es handelt sich weder um eine Philosophie noch eine Religion. Im Charakter ähnelt das Glasperlenspiel am ehesten der Kunst.“32 31 Vgl. Hesse, Hermann: Das Glasperlenspiel. 2001. Zusammenfassung 32 Wunderlich, Dieter: Hermann Hesse: Das Glasperlenspiel. Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften. 2002. <http://www.dieterwunderlich.de/Hesse_glasperlenspiel.htm> (Stand: 14.06.2008) 26 27 Fritz Dobretzberger und Johannes Paul – Farbmusik Basierend auf dem „Oktavgesetz“33 markierte Dobretzberger die Tasten eines Klaviers und die Griffbretter von Saiteninstrumenten mit zwölf Farben und skizzierte Konzepte für farbmusikalische Lightshows und Videoanimationen. Daraufhin wurden die Töne der Tonleiter diesen zwölf Farben zugeteilt und als rechteckige Farbflächen auf einer Linie dargestellt. Die Tondauer wurde durch die Längen der Flächen und die Oktavlagen durch Symbole in den Farbflächen angezeigt. Fritz Dobretzberger erstellte darüber später ein genaues Koordinatensystem. Die Notenlänge wurde darin analog der Tondauer dargestellt und diametral dazu die Notenlage entsprechend der Tonhöhe. Durch den Austausch der beiden Koordinaten entstand die senkrechte Keyboard-Notierung, in der die Farbnoten von unten nach oben gelesen werden, wobei - wie auf der Klaviatur - die Noten für die tiefen Töne links und die hohen Noten rechts stehen. „Bogennoten“ sollten die erhöhten und die erniedrigten Halbtöne verdeutlichen. „Grauschattierungen“ kennzeichnen, mit welcher Hand die Noten auf der Klaviatur gespielt werden.34 „Sie fragen mich nach dem Gewinn, den das bringt. Ich muss sagen: Aus abstrakten, schwarzen Notenköpfen werden farbige Bilder, die man in Klänge umsetzen kann. Das ist ein sinnlicher Vorgang, und das ist wunderbar. Nicht mehr so abstrakt. Ich habe gerade den Tristan inszeniert, und im Tristan kommt ein aufregender Satz vor, nämlich “Hör ich das Licht”. Man kann Licht nicht hören. Aber er hört das Licht, und so kann man es fast umdrehen und sagen: “Seh’ ich den Klang”. Nach diesem Notationsbild sieht man den Klang, indem man sich in die Farbe versetzt und weiß, aha das ist notiert auf dies, das ist der Klang. Das finde ich für die Musik etwas sehr Schönes. Es ist ein Notationsgemälde und aus diesem Gemälde ziehe ich mir die Kraft der Musik heraus. Das finde ich ganz schön.” 36 4.1.2 Fazit Die verschiedenen Notationsformen dienen weniger einer künstlerischen visuellen Umsetzung von Musik, sondern einer Fixierung des Gehörten zum Zweck der menschlichen oder technischen Reproduktion. Es ist der Versuch, Musik auf verschiedene Art und Weise greifbar und allgemein verständlich zu machen. Im Vergleich zur klassischen Notation lässt sich die grafische Notation in ihren verschiedenen Formen oft zu mehrdeutig und assoziativ interpretieren. Die Farbnotation bietet durch die Kombination aus Sehen und Vergleichen von Farbe und Klang einen erweiterten, anderen Wahrnehmungsvorgang. Gegenüber dem Entschlüsseln von Zeichen, Symbolen oder Namen anderer Notationssysteme, ist eine genau nachvollziehbare Farbcodierung, wie sie Fritz Dobretzberger und Johannes Paul in ihrer Farbmusik verwenden, viel einfacher zu begreifen und erlernen. Abb. 10: Farb- und Tonhöhen „Dadurch, dass die Farbnoten verglichen mit der üblichen Notenschrift ein sehr viel geringeres Maß an Abstraktion aufweisen, können selbst meine beiden Vorschulkinder Musikstücke erlernen, die sie unmöglich in konventioneller Schrift lesen könnten.“35 33 Vgl. Dobretzberger, Fritz und Paul, Johannes: Farbmusik. S. 9 34 1993 erschien im Berliner Verlag Simon und Leutner ihr Buch Farbmusik - Leitfaden für eine kombinierte Farben- und Musiklehre. 35 Kreutz, Thomas. Klavierlehrer. <http://www.planetware.de/colormusic/Referenz.html> (Stand: 19.06.2008) 36 Everding, August, Prof.. Staatsintendant und Präsident der Bayrischen Theaterakademie. 03.03.97 <http://www.planetware.de/colormusic/Referenz.html> (Stand: 19.06.2008) 28 29 4.2 Die Gestalt von Klang und Frequenz 4.2.1 Chladnische Klangfiguren Versetzt man eine dünne, mit feinem Sand bestreute Metallplatte in Schwingung, wird der Sand durch die starke Vibration an den Flächen der Schwingungsbäuche weggeschleudert und sammelt sich entlang der Knotenlinien. Auf diese Weise entsteht eine Veranschaulichung von Klang und Frequenz - die nach Ernst Florens Friedrich Chladni benannten „Chladnischen Klangfiguren”, die er 1787 in seiner Schrift „Entdeckungen über die Theorie des Klanges“ veröffentlichte. 4.2.2 Kymatik In den 60er und 70er Jahren gelang es dem Schweizer Wissenschaftler Dr. Hans Jenny, Friedrich Chladnis Ansatz unter der Verwendung verschiedenster Materialien (auch flüssige Medien) entscheidend zu erweitern. Die Vielzahl an Klangformen hielt Jenny anhand von Fotografien und Videos fest und fasste diese unter dem Namen „Kymatik” (griechisch „to kyma” = die Welle) zusammen. Den Untersuchungen liegt die Erkenntnis zu Grunde, dass in der Natur periodische, rhythmische Vorgänge und Strukturen tragende Elemente darstellen: „Ob wir die Atmung, den Herzschlag, die Impulse im Nervensystem oder den jahreszeitlichen Wechsel betrachten – das Geschehen läuft nicht kontinuierlich, sondern fortwährend schwingend, pulsierend ab. Dasselbe gilt für die Formgebung, wo im Größten wie im Kleinsten serielle, periodische Elemente in den unterschiedlichen Geweben zu finden sind.“ 39 Jennys Arbeit inspirierte in den späten 60er Jahren und in den folgenden Jahrzehnten eine Reihe zeitgenössischer Künstler, sowie New Ageund Technoanhänger.40 Abb. 11: Chladni patterns by John Tyndall, 1869 Sofern der gleiche Ton gespielt wird, ergibt sich immer die gleiche Figuration. Chladni war überzeugt, etwas Außergewöhnliches entdeckt zu haben: die bildliche Darstellung des Klanges, eine direkte Verbindung zwischen den Sinnen, die für ästhetische Wahrnehmung stehen – Sehen und Hören. Angesichts der entstandenen Muster soll er in seiner Überraschung ausgerufen haben: „Der Klang malt!“37 Chladnis Experimente sind in die grundlegenden Lehrbücher der Physik eingegangen und finden auch im Instrumentenbau eine praktische Anwendung. So können beispielsweise einzelne Holzplatten einer Violine auf diese Weise auf ihre Schwingungseigenschaften hin untersucht werden, um einen optimalen Klangkörper zu erzielen.38 37 38 Toop, David: Ocean of Sound. New York, Serpent’s Tail. 1995. S. 258 Lauterwasser, Alexander: Wasser-Klang-Bilder. Schwingende Körper. Abb. 12: Kymatik Abb. 13: Technovisual 4.2.3 Fazit Die Klangfiguren weisen eine direkte Entsprechung zum gespielten Ton auf. Was auch immer für ein Ton gespielt wird: es ergibt sich immer die gleiche Figuration. Dieses Prinzip kann bei der konzeptionellen Visualisierung im Rahmen dieses Projektes Anwendung finden. Durch Einspielung gleichartiger akustischer Impulse können visuelle Muster immer wieder reproduziert werden und, wie bei einer festgelegten Farbcodierung, leichter nachvollzogen werden. 39 Vgl. Tanou, Cora: Klangstrukturen <http://www.coratanou.de/klangstruk/klangnet2.htm> (Stand: 20.06.2008) 40 Vgl. a.a.O. 30 31 4.3 Mathematik 4.3.1 Sphärenmusik In der Antike galt Musik als mathematische Disziplin. Bereits vor rund 2.500 Jahren erkannte Pythagoras die Bedeutung einfacher Zahlenverhältnisse für den Wohlklang musikalischer Intervalle und lieferte damit wichtige Grundlagen für die Musiktheorie von der Antike bis heute. Der Philosoph und Mathematiker Gottfried Wilhelm Leibniz schrieb im 17. Jahrhundert: „Die Musik ist eine verborgene arithmetische Übung der Seele, die nicht weiß, dass sie mit Zahlen umgeht.” Diese Töne hatten darüber hinaus ein sichtbares Äquivalent auf der Skala des damals bekannten Farbspektrums. Ordnete man die Töne hintereinander an, entstanden aus diesen Farben wiederum abstrakte Muster.41 Johannes Kepler veröffentlichte 1619 in seinem Werk „Harmonices Mundi” eine Beschreibung der Sphärenmusik nach exakten Gesetzen, sowie ihre musikalische Notierung. Er ordnete jedem Planeten eine relative Umlaufgeschwindigkeit zu, und entsprechend jedem Planeten einen eigenen Ton. Planeten bewegen sich auf Ellipsenbahnen und befinden sich somit mal im Perihel (in Sonnennähe) und mal im Aphel (in Sonnenferne). Kepler berechnete nach den Verhältnissen der Perihel- und Aphelgeschwindigkeiten zu jedem Planeten die zugehörigen Intervalle.42 4.3.2 Tastatur-Layouts Mitte der 60er Jahre experimentierte Erv Wilson mit mathematischer Musik. Er versuchte eine visuelle Darstellung der mathematischen Übersetzung von musikalischen Parametern zu finden und entwickelte unterschiedliche Diagramme, die die Tonhöhenkombination repräsentieren.43 41 Vgl. Woolman, Matt: Sonic Graphics Seeing Sound. 2000. S.86 42 Vgl. Ars Electronica: Spektral Musik. Peter Weibel. <http://www.aec.at/en/archiv_files/19871/E1987_116.pdf> (Stand: 16.06.2008) 43 Vgl. Woolman, Matt: Sonic Graphics Seeing Sound. 2000. S.36 Abb. 14: Erv Willsons Tastatur-Layouts 4.3.3 Fazit Mathematische Visualisierung von Musik ist sehr komplex und für Nichtmathematiker schwierig nachvollziehbar – im Zweifel noch schwieriger als die klassische Darstellung von Musik in Noten. Somit sind diese Ansätze für dieses Projekt eher ungeeignet. 32 33 4.4 Malerei Einige seiner Arbeiten ähneln musikalischen Partituren, wie beispielsweise das Werk „Alter Klang“ (1925) - ein Mosaik aus Rechtecken, das er mit einem harmonischen Farbspektrum füllte, in dem die Farben Tonleitern entsprechen.46 4.4.1 Wassily Kandinsky Abb. 15: Kandinsky, „Composition VII“ Wassiliy Kandinsky (1866-1944) russischer Maler, Grafiker und Kunsttheoretiker, gilt als Wegbereiter der abstrakten Kunst. Aufgrund seiner synästhetischen44 Fähigkeiten setzte er sich mit musikalischen Prinzipien auseinander und suchte nach einer Möglichkeit, diese auf die Bildende Kunst zu übertragen. Sein Ziel war es, Rhythmus und mathematisch abstrakte Komposition in die Malerei zu integrieren. Dadurch sollte eine auf einfachen Elementen beruhende Formensprache geschaffen werden. „Durch die Integration von musikalischen Grundsätzen konnte erstmalig das Element der Zeit auf die ansonsten starre und unbewegliche Malerei übertragen werden. Zeitliche Begriffe wie Rhythmus, Dynamik, Geschwindigkeit, Gleichzeitigkeit wurden auf die Leinwand transferiert und sollten bildnerisch dargestellt werden.“45 Abb. 16: Paul Klee, „Alter Klang“ 4.4.3 Fazit „Farbliche, kaum merkliche Tonstufenhöhen lassen sich mit dem Glissando in der Musik vergleichen, Farbakkorde können aus zwei, drei, vier oder mehr Farben gebildet werden. Der Maler kann den Klangcharakter, z.B. der reinen Farben, verändern. Das Bild kommt zum Klingen. Punkte, Striche, Flecken können rhythmisch gesetzt werden. Sie können als Zwischentöne Vordergrund und Hintergrund verbinden.“47 Der Schweizer Maler und Grafiker Paul Klee (1879-1940) befasste sich intensiv mit der Bildnerischen Form- und Farblehre. In seiner künstlerischen Theorie und Lehre, aber auch in seinen Werken finden sich zahlreiche Referenzen an die Musik. Kompositorische, rhythmische und melodische Aspekte seiner Gemälde und Zeichnungen folgen musikalischen Prinzipien. Tonwertmodulation, Komposition, Harmonie und Disharmonie - viele feststehende Begriffe finden sowohl in Musik, als auch in der Malerei Verwendung. Farbtöne werden ähnlich den Musiktönen durch Frequenz, Amplitude oder Klangfarbe festgelegt. Auffällig ist, dass die Bildsprache vorrangig von emotionalen und synästhetischen Assoziationen lebt: Musik als emotionales visuelles Erlebnis. Dieser emotionalsynästhetische Ansatz ist im Rahmen dieses Projektes lediglich im Zusammenspiel mit der strukturellen Darstellung der Musik relevant – als zusätzliche visuelle Darstellungsebene zur strukturellen Darstellungsebene. 44 Def. Synästhesie: griech. „syn“=zusammen; „ aisthesis“= Empfindung. Beschreibt das gleich- zeitige Erleben verschiedener Sinneseindrücke bei Reizung von nur einem Sinnesorgan. Häufig ste Erscheinung ist hierbei die optische Synästhesie, bei der durch akustische Eindrücke optische Erscheinungen mit erregt werden – das so genannte „Farbenhören“ („coloured hearing“). 45 Scheel, Susanne: Musikvisualisierung – das Zusammenspiel von Farbe und Ton. PDF. 2006. S. 282 46 Vgl. Paul Klee: Malerei und Musik. 2005 47 Vgl. Thiel, Rit: Musik und Malerei. <http://www.rita-thiel.de/inhalt/musik--malerei.htm> (Stand: 16.06.2008) 4.4.2 Paul Klee 34 35 4.5 Der abstrakte Film 4.5.2 Vikking Eggeling Die Erfindung des Films und die Aufnahmefähigkeit des Tons fanden in den frühen 1920ern bei einer neuen Generation von Künstlern großes Interesse. Pioniere wie Walter Ruttmann (1822-1914) und Vikking Eggeling (1880-1925) kamen aus klassischen Disziplinen der bildenden Kunst. Geleitet von der Idee, musikalische Prinzipien zu integrieren und sich damit vom Gegenständlichen, von der abbildenden Funktion und von der Erzählung zu lösen, setzen sie den Beginn der Medienkunst. Der Film bot die Möglichkeit, statische Bilder in Bewegung zu versetzen. Vikking Eggeling arbeitete vorwiegend mit Rollenbildern (mit Bleistift gezeichnete Variationen eines Themas auf langen Papierrollen). Diese Rollen waren bis zu 15 Meter lang. Der Betrachter ging an ihnen entlang und konnte so die Veränderungen der geometrischen Muster beobachten. Eggeling verfolgte die Theorie, dass es für den Betrachter leichter und einprägsamer wäre, wenn er die Veränderungen der Formen nicht in der Bewegung durch den Raum erfahren kann, sondern ganz bequem im entspannten Sitzen. Für seinen Stummfilm „DiagonalSymphonie“ (1923) benutzte er selbst entworfene Bilder als Vorlagen, die er mit schwarzem Papier abdeckte und langsam freilegte. Vikking Eggeling gilt als der Urvater des heutigen Musikvideos. „Eine Kunst für das Auge, die sich von der Malerei dadurch unterscheidet, dass sie sich zeitlich abspielt (wie Musik). Es wird sich deshalb ein ganz neuer, bisher nur latent vorhandener Typus von Künstler herausstellen, der etwa in der Mitte von Malerei und Musik steht. Für diese neue Kunst (...) kann auf alle Fälle mit einem erheblich breiteren Publikum gerechnet werden, als es die Malerei hat...“48 4.5.1 Walter Ruttmann Für seinen Film „Opus 1“ (1921) malte Walter Ruttmann auf Glasplatten und machte Einzelaufnahmen von wechselnden Bildern und grafischen Elementen. Die Musik komponierte Max Butting, wodurch „Opus 1“ zum Vorläufer der Filmmusik wurde. Ruttmann animierte seine Formen und Objekte synchron zur Musik, verband den Toncharakter der Instrumente, den Rhythmus und auch die Dynamik mit dem Bild.49 Abb. 18: Vikking Eggeling „Symphonie Diagonale” Der abstrakte Film blieb trotz der Vorbildfunktion der Musik weitgehend stumm. Allerdings sprachen sich die Künstler mit Ausnahme von Eggeling nicht grundsätzlich gegen eine musikalische Begleitung aus. Abb. 17: Walter Ruttmann, Fotosequenzen aus „Opus IV”, 1924 48 Daniels, Dieter: Sound & Vision in Avantgarde & Mainstream. <http://www.medienkunstnetz.de/themen/bild-ton-relationen/sound_vision/8/#ftn15> (Stand: 16.06.2008) 49 Vgl. A.a.O. S.63 f. 36 37 4.5.3 Oskar Fischinger 4.5.4 Fazit Nur Oskar Fischinger stellte vorrangig die Musik als Ausgangspunkt all seiner Arbeit: Er gestaltete seine Filme nach musikalischer Vorgabe und versuchte mit vorwiegend geometrischen, abstrakten Formen Musik zu interpretieren. Indem Fischinger 1932 für „Tönende Ornamente” die Lichttonspur von Hand malte, versuchte er zu beweisen, dass zwischen visuellen und akustischen Formen ästhetische Korrespondenz besteht. Diese synästhetische Theorie setzt eine eindeutige Beziehung zwischen Im abstrakten Film wurde vielfach mit einfachen, geometrischen Formen gearbeitet. DIese Ansätze sind für das Projekt, im Hinblick auf Komplexitätsreduzierung interessant (Codierung). 4.6 Elektronische und digitale Bilder heute Durch die Entwicklung elektronischer Technologien verlagerte sich das audiovisuelle Interesse vom Bewegungs- und Bildmedium „Film“ zum Bewegungsmedium „elektronisches Bild“ (Video, Digital). Musikvisualisierungen im 20. Jahrhundert integrieren Technik in künstlerische Prozesse und sind geprägt von digitalen Technologien und Echtzeitprozessen. 4.6.1 Das Musikvideo Abb. 19: Oskar Fischinger bei der Arbeit Hören und Sehen voraus. Video = ich sehe. Die übersetzte Bedeutung lautet also: Ich sehe Musik. Viele Aspekte der Avantgardekunst der 20er Jahre werden auch heute noch von experimentellen Filmemachern angewendet. Noch heute wird wie Oskar Fischinger es mit seiner „Komposition in Blau“ zum Vorbild gemacht hat, auf den Takt genau geschnitten, werden veränderte Tonhöhen in an- und abfallenden Formen dargestellt, sowie Töne in bestimmte Farben transformiert. 4.6.2 VJing Abb. 20: Stills aus Fischingers „Radio-Dynamics” Das VJing kann ästhetisch und technisch in der Tradition der vorgestellten audiovisuellen Kunstformen gesehen werden. Als neue Form der Musikvisualisierung im Umfeld der Clubkultur beeinflussen VJs durch ihre Arbeit zusehends auch die Bildästhetik in künstlerischen Bereichen. Als audiovisuelles Phänomen verbindet VJing (elektronische) Musik und bewegte Bilder performativ und ist durch die Verwendung von digitaler Technologie bestimmt. Ähnlich der Arbeit eines DJs „mixt“ der VJ in spontan-assoziativer und rhythmisch-interpretierender Reaktion auf die Musik Bewegtbilder, so genannte Visuals, live und in Echtzeit mittels moderner Technik und projiziert diese auf Leinwände oder Monitore. Die rhythmische Struktur der bewegten Bilder ist durch den Musik-Mix des DJs vorgegeben. 38 39 4.6.3 Visuelle Klangwelten in Videospielen „Space Channel“, „Rez“, „Amplitude“, „Lumines“, „Elektroplankton“, „Guitar Hero“ – auch die Videospielebranche versucht Musik visualisierbar und spielerisch für das Gameplay zu nutzen. Die so genannten „Music-Games“, die Videospieleentwickler in Kooperation mit Musikund Medienkünstler auf den Markt bringen, können beinahe als Kunst gelten. In „Rez“ wirken sich Schüsse nicht nur auf die vorbeiziehenden Objekte und angreifenden Gegner, sondern auch mit jedem Treffer direkt auf den Sound und die Optik aus. Abb. 22: „Lumines” In „Gunpey” stehen dem Spieler verschiedene Musikgenres zur Verfügung. Im Genre „HipHop“ kann der Stylus (Stift für das Touchscreen) zum Scratchen auf dem Touchscreen verwendet werden. Unter den Extras befindet sich eine Sound-Box. Ein kleines, virtuelles Musikstudio, in dem man mit einem „Patternizer“ eigene Tonfolgen kreieren oder Beat-Geschwindigkeit modifizieren kann. Abb. 21: „Rez” In einem Interview beschreibt Tetsuya Mizuguchi sein Spiel „Lumines” als „ein neues Erlebnis“. Das Grundkonzept habe er von Wassily Kandinsky, dessen Konzept die Verschmelzung mehrerer Sinneseindrücke war. Jedes Geräusch hat eine dazugehörige Farbe, das Lumen und die Form. Diese Art des Konzepts wollte Mizuguchi auf das neue Medium übertragen. Im Vergleich zu „Rez” ähnelt das Gameplay selbst dem Klassiker „Tetris”. Zweifarbige Steine werden so zusammengesetzt, dass sie quadratische oder rechteckige Blockformationen bilden und sich dann auflösen. Doch Mizuguchi verfolgte den Ansatz, dass jede Aktion mit den Steinen (Umdrehen, Zusammensetzen) den Soundtrack mit zusätzlichen Tönen oder zusätzlichem Gesang aufwertet - je nach Reaktionsgeschwindigkeit und Gelingen.50 50 Vgl. MIGS Keynote: Mizuguchi On Creativity Led by Inspiration. November 8, 2006. <http://www.gamasutra.com/php-bin/news_index.php?story=11620> (Stand: 12.07.2008) Abb. 23: „Gunpey DS” Der Touchscreen und das Mikrofon des Nintendo DS lassen sich für viele unterschiedliche Spielkonzepte anwenden. „Elektroplankton“ kann als audio-visuelles DS-Kunstwerk angesehen werden. Das Musikspiel von Toshio Iwai hat kein erklärtes Spielziel, und es geht auch nicht um Highscores oder Endgegner, sondern ausschließlich darum, mit dem Stylus immer neue Bilder und Melodien zu erzeugen. Elektroplankton ist eine Art Unterwasser-Labor, das in zehn Welten aufgeteilt ist. In jeder Welt lebt eine andere Plankton-Art und bietet ein anderes Klangexperiment. Der Spieler wird innerhalb der 10 Level 40 41 5. Konzept: Contramusie spielerisch mit Klängen und Rhythmen konfrontiert, die er über das Touch-Pad steuert und über das Steuerkreuz in Tempo und Klanghöhe verändern kann. Idee 1. Musik verstehen und nachvollziehen 2. Musik erleben Die Idee ist es, Musik nicht in ihren einzelnen Stimmungen oder nach synästhetischen Analogien zu visualisieren, sondern sie in ein vereinfachtes Gesamtbild zu transformieren, um so musikalische Strukturen einfacher nachvollziehbar zu machen. Reduziert man die Musik auf die Melodie, besteht sie nur aus 12 Tönen. Trotzdem ergeben sich daraus immer neue Stücke, neue Kompositionen… Vor allem in der Popmusik werden immer gleiche musikalische Strukturen verwendet. Trotzdem klingt jedes Musikstück anders. Diese Ähnlichkeiten lassen sich für einen ungeübten Menschen kaum durch das Zuhören allein ausmachen. Das Gespielte soll deshalb durch einen feststehenden Code „eingefangen“ werden. Die Melodie eines Musikstücks wird analysiert und durch den Code in Farben und Formen übersetzt. Dadurch entsteht für jede Melodie ein visueller „Fingerabdruck“, der wiederum für andere nachvollziehbar gemacht wird. Abb. 24: „Elektroplankton” 4.6.4 Fazit Die meisten Musikvideos haben die Funktion, ein Werbespot für ein Musikstück zu sein – nicht unbedingt eine definierte Übersetzung jedes Tons oder musikalischer Struktur. Beim Vjing wird die rhythmische Struktur der bewegten Bilder durch den Musik-Mix des DJs vorgegeben. Dadurch dient das Bild mehr zur Unterhaltung und Unterstützung des Gehörten. Gerade Music-Games sind keine typischen Videospiele. Sie zeichnen sich nicht nur wegen der vergleichsweise kleinen Zielgruppe, sondern auch wegen ihrer künstlerischen und experimentellen Andersartigkeit aus. Ein Spiel wie „Elektroplankton“ lebt stark vom audiovisuellen Moment, da sich die eigenen Musikkompositionen nicht abspeichern lassen. Zudem können keine genauen Melodien, sondern nur diffuse Klangräume gestaltet werden. Das inspirierende an diesen verschiedenen Videospielansätzen ist der spielerische Umgang mit der visuellen Darstellung von Musik. So bekommt der funktionale Sinn des Projekts zusätzlich eine spaßorientierte Komponente. Zusätzlich soll aber auch der emotionale Wert einbezogen werden, eine Art bewegtes Erlebnis gestaltet werden, das in einer zweiten Ebene (zusätzlich zur strukturell-erklärenden Darstellungsebene des Codes) eine emotional-spielerische Komponente einbringt. Ziel Es sollen durch dieses Projekt folgende Dinge verdeutlicht werden: Komplexe Informationen sind oft durch eine vereinfachte grafische Interpretation leichter erfassbar. Das Projekt soll buchstäblich vor Augen halten, dass ein veränderter Betrachtungswinkel der Dinge, in diesem Fall der Musik, oft völlig neue Ergebnisse und zuweilen auch Erlebnisse bringen kann. 42 43 5.1 Der Code / Musik verstehen Ein Code ist eine Vorschrift, wie Nachrichten oder Befehle zur Übertragung oder Weiterverarbeitung für ein Zielsystem umgewandelt werden. Beispielsweise stellt der Morsecode eine Beziehung zwischen Buchstaben und einer Abfolge kurzer und langer Tonsignale her. Eine codierte Nachricht kann aus Daten, Ziffern, Zeichen, Buchstaben oder anderen Informationsträgern (z.B. Symbolen oder Glyphen) bestehen. Er dient der aufwandsarmen (energie- und zeiteffizenten) Aufzeichnung und Übertragung von Information. Effizienz wird durch Reduzierung der Komplexität erreicht, wodurch auch die Kapazität des Codes abnimmt. Dazu werden anstelle der Information in ihrer vorliegenden Form einfachere Elemente und Kombinationen von diesen verwendet. Diese Kombinationen verweisen auf die ursprüngliche Information. Je häufiger etwas verwendet wird, desto geringer sollte der Aufwand für die Verarbeitung eines Elements sein.51 2. Töne und Oktaven Oktavtöne sind klanglich eng verwandt und erhalten gleiche Namen. z.B. cis ­cis1 ­cis2 ­cis3 Ein Oktavton hat die doppelte Frequenz des Grundtones; z.B.: cis = 136 Hertz , cis1 = 272 Hertz. 3. Farbton - Tonfarbe Der eine Rand des Farblichtspektrums hat circa die doppelte Frequenz des anderen. Bei Oktavierung (= Frequenzverdoppelung) bis ins Licht­spektrum hat ein Ton eine bestimmte Farbe. Die einfache Formel lautet: f x 2n f = Frequenz, x 2 = Verdoppelung n = Anzahl der Verdoppelungen, z.B.: a = 432 Hz x 240 = 475 Hz = gelborange. 5.1.1 Farbcodierung Jeder Mensch empfindet einen Ton oder Klang anders, stellt sich andere Bilder oder Farben vor. Ein dunkler Ton erscheint vielleicht eher dunkler, ein heller fast weiß etc. Aufgrund dieser individuell verschiedenen, sehr subjektiven Wahrnehmung, soll die Farbe des Codes nicht eingesetzt werden um beim Betrachter eine bestimmte Farbwirkung zu wecken oder synästhetische Erlebnisse zu stimulieren. Vielmehr richtet sich die Farbcodierung nach physikalisch-naturwissenschaftlichen Grundsätzen, die lediglich der Unterscheidbarkeit der abgebildeten Musik dienen. Inspiration: „Farbmusik” nach Dobretzberger (siehe auch 4.1.1.4 Farbnotation) 1. Farb­- und Tonspektrum Farben und Töne sind Schwingungen: Tonspektrum = ca. 20 bis 20.000 Hertz Farbspektrum = ca. 380 bis 760 Bill. Hz Frequenz = Häufigkeit der Schwingungen pro Zeiteinheit (Sekunde), 1 Hz (Hertz) = 1 x pro Sekunde. 51 Wikipedia: Code. <http://de.wikipedia.org/wiki/Code> (Stand: 12.07.2008) Abb. 24: Eigene Darstellung 44 45 4. Das Farb­Ton­-Quadrat In der so genannten „Chromatik“ (griechisch: chroma = Farbe) wird eine Oktave in zwölf gleich große Halbtonschritte abgestuft. Das Farbton-Quadrat versinnbildlicht die Chromatik und veranschaulicht alle zwölf chromatischen Tonleitern in einem Farbsystem. Der dreizehnte Farbton in jeder waagrechten und senkrechten Reihe bildet den Oktavton mit dem gleichen Namen und der gleichen Farbe des Grundtones.52 5.1.2 Formcodierung „Die Zuordnung bestimmter Farben zu entsprechenden Formen bedeutet einen Parallelismus. Wo Farben und Formen in ihrem Ausdruck übereinstimmen, summiert sich ihre Wirkung.“53 Um also den Tonunterschied durch eine geeignete Formsprache zu unterstützen gab es mehrere Überlegungen und Variantenbildungen. Es stellte sich dar: je undefinierter eine Formsprache gewählt wurde, desto stärker stand die Farbe im Vordergrund. Sobald jedoch eindeutig definierte Formen eingesetzt wurden, verstärkte sich der Unterscheidungsgrad. Inspiration 1: Chladnische Klangfiguren Chladnis Klangfiguren weisen eine direkte Entsprechung zum gespielten Ton auf. Sofern der gleiche Ton gespielt wird, ergibt sich immer die gleiche Figuration (siehe 4.2.1 Chladnische Klangfiguren). Das Prinzip der Chladnischen Klangfiguren soll auch bei ContrAmusie Verwendung finden: durch Einspielung gleichartiger Tonfolgen können visuelle Muster immer wieder durch die gleiche Form- und Farbsprache reproduziert (und wieder erkannt!) werden. Inspiration 2: FarbE-­Form­-Entsprechung nach Johannes Itten Der schweizerische Maler und Grafiker Johannes Itten entwickelte am Bauhaus mit dem “Vorkurs” eine Material- und Gestaltungslehre, die grundlegend für methodische Unterrichtung in Kunst und Design wurde. Seine Lehre suchte die Erklärung von Eigenschaften der Farbe in gegenständlichen und abstrakten Formzusammenhängen. Rot: Rechtecke, alle horizontalen und vertikalen Formen, alle statischen, schweren Formen. Rot ist die Farbe der Materie (ruhende Materie). Abb. 25: Eigene Darstellung 52 Vgl. Dobretzberger, Fritz und Paul, Johannes: Farbmusik. Leitfaden für eine kombinierte Farben- und Musiklehre. 1993. S. 39 53 Haase, Günter: Form und Farbe = Welche Form hat eine Farbe. <http://www.g-haase.de/my_bauhaus.html> (Stand:19.06.2008) 46 47 Gelb: Dreieck, alle diagonalen Formen, Gelb ist kämpferisch und aggressiv, hat einen schwerelosen Charakter (Denken). Blau: Kreis, runde Formen, Entspanntheit und stetige Bewegung (ewig bewegter Geist). Orange: Trapez Grün: sphärisches Dreieck Violett: Ellipse Die Sekundärfarben ergeben sich aus den Mischfarben bzw. -formen: Orange ist die Mischung aus Gelb und Rot, es ergibt sich ein Trapez. Die Mischung Gelb und Blau ergibt Grün, die Mischung der Form ein sphärisches Dreieck, und die Mischung aus Quadrat und Kreis ergibt ein Oval, die Entsprechung der Farbmischung ist Violett. Auch Alfred Arndt, Schüler des Bauhauses, ordnet die Grundfarben den Formen zu. Er erklärte seine Entscheidung für das gelbe Dreieck unter Hinweis auf dessen Ähnlichkeit mit einer Flamme, die für das rote Quadrat mit dessen kompakter, zugleich aber auch aggressiv abschirmenden Art und die für den blauen Kreis mit dessen starker Geschlossenheit und Nach­innen­-Gekehrtheit.54 ERGEBNIS: FORMCODIERUNG „Contramusie” Logische Abfolgerung der Zwischenformen: 54 Vgl. Gage, John: Kulturgeschichte der Farbe. Von der Antike bis zur Gegenwart. Bauhaus: Farbe-Form-Zuordnung 1993 48 49 5.1.3 Kombination von Form- und Farbcodierung Im Vergleich nach der klassischen Tonleiter: C H A G F E D C H A G F E D C H Erniedrigte und erhöhte HALBTÖNE werden nur in ihrer Kontur dargestellt, damit sich die Formunterscheidung aller Elemente verstärkt. Fis - Rot G - Orangerot Gis / As - Orange A - Gelborange Ais / B - Gelb H - Gelbgrün C - Grün Cis / Des - Blaugrün D - Blau Dis / Es - Blauviolett E - Violett F - Rotviolett 5.2 Mood Samples / Musik erleben Mood Samples sind kurze Animationsequenzen, die direkt mit dem visuellen Code verknüpft sind. Dabei stellen sie keine erneute Interpretation des eigentlichen Codes dar, sondern erfüllen hauptsächlich eine spielerische, experimentelle Funktion (Spaßfaktor). Grundidee ist, dass die Visualisierungen der Entscheidung des Users zugrunde liegen und sich ihm dadurch weitere Interaktionsmöglichkeiten mit dem Abgebildeten bieten. Der User kann seine eigens erstellte Musikkomposition als kreatives Kunstwerk erleben, ausdrucken, per Email versenden oder in der Galerie veröffentlichen. Es stehen 4 Grundemotionen mit jeweils 12 Mood Samples zur Auswahl: 1. Freude / Joy 2. Wut / Rage 3. Gelassenheit / Calm 4. Schwermut / Gloom 50 51 Die enthaltenen Animationssequenzen greifen in ihrer Bewegung bestimmte Eigenschaften auf, die man mit der jeweiligen Emotion verbindet. Hierzu gab es eine kleine Umfrage, welche Formen und Bewegungen mit Freude, Wut, Gelassenheit oder Schwermut verbunden werden: Freude - Joy leicht, hüpfend, springend, In alle Richtungen, durcheinander, beweglich, verdreht, experimentierfreudig, aktiv, schwerelos, unbeschwert, ungezwungen, sorglos, flexibel, aufblühend, aufsteigend, beschwingt, lebhaft, munter, begeistert, erheitert, fröhlich, glücklich, im Hochgefühl, jubelnd, lustig, vergnüglich, euphorisch, vor Freuden taumelnd, heiter, hin und her gerissen, himmelhoch jauchzend, enthusiastisch, schwärmerisch, in Freude ausbrechend, bezaubernd, quietschvergnügt, quicklebendig, erheitert, freudestrahlend, auf Wolke sieben, schattenlos, gespannt wie ein Flitzebogen, quecksilbrig, rosig Wut - Rage schwarz ärgern, Tamtam, zickzack, spitz, Gerangel, zitternd vor Aufregung, rot vor Zorn, rasend, zornig, hart, der Rappel packt einen, wie ein Vulkan vor dem Ausbruch, geladen wie ein Maschinengewehr, angekotzt, ranzig, angespannt, unausgeglichen, aufwallend, aufbrausend wie ein Sturm, aufgebracht, voller Erregung, in Raserei verfallend, glühend vor Zorn, um Haltung ringend, explosiv, platzend, aufschäumend, spannungsgeladen, auffahrend, hitzköpfig, aufgewühlt, wutentbrannt, brummig, ungezügelt, flammend, feurig, glühend, Energisch, Feuernd, Explosiv, Erbeben, Draufgängerisch, Impulsiv, aggressiv, Hervorbersten Schwermut - Gloom Langsam, träge, alles zieht einen nach unten, Trübsal blasend, depressiv, niedergeschlagen, wie ein TrauerkloSS, schwarzsehend, schwarzmalend, verstimmt, verdüstert, hypochondrisch, antriebslos, verharrend, tiefbetrübt, zu Tode betrübt, erschöpft, trist, defätistisch, trübe, erbarmungswürdig, gebrochen, belastet, geknickt, sorgenschwer, trübsinnig, niedergeschmettert, niedergeschlagen, trostlos, elegisch, entmutigt, bemitleidenswert, erbärmlich, gedrückt, niedergedrückt, öde, down, kreuzunglücklich, zentnerschwer, geschlagen, schachmatt Gelassenheit - Calm Ruhig, Stabil, friedlich, Still, geräuschlos, gemächlich, besinnlich, langsam, ohne Eile, geradlinig, ausgeglichen, stoische Ruhe ausstrahlend, voller Gemütsruhe, gefasst, bedächtig, abgeklärt, bedachtsam, beschaulich, besonnen, Ruhe ausstrahlend, im Gleichgewicht, gleichmütig, kaltblütig, kalt wie Stahl, wie die Ruhe vor dem Sturm, Turm in der Schlacht, eiskalt kalt wie Eis, müSSig, ruhig, voller Selbstbeherrschung, still wie ein Ozean, total überlegen, in sich ruhend, ohne Ängstlichkeit, unbekümmert, harmlos, unbesorgt, gezügelt, ohne Scheu, treuherzig, sorglos, voll Vertrauen, vertrauensvoll, einfach, unbeschwert, unbefleckt, ohne Fremdheit, bedenkenlos, unerschütterlich, frostig, emotionslos 52 53 Jeweils ein Mood Sample erscheint synchron zur eingegebenen Farbtonform aus Screen: Mood Sample Bsp.: 5.3 Räumliche und zeitliche Anordnung Ein Parameter der Musik, der die musikalische Bewegung strukturiert, ist der „Rhythmus“ (siehe 3.1.1 Musikalische Parameter). Um den Rhythmus in der visuellen Komposition festzuhalten, müssen gewisse Regelmäßigkeiten (Metrum) oder Unregelmäßigkeiten, Wiederholungen oder Reihungen in einer Melodie sichtbar gemacht werden. Hierfür ist es notwendig, eine geeignete Visualisierungsform zu finden. Der Begriff Rhythmus kommt aus dem Griechischen. Er bedeutet in etwa „Fließen“ und bezeichnet den Ablauf einer Gliederung, bzw. einer gegliederten Bewegung. Damit sich die Regelmäßigkeiten dieser „gegliederten Bewegung“ auch visuell nachvollziehen lassen, muss eine Skalierung geschaffen werden. 5.3.1 Das Raster Diese Skalierung wird durch die Schaffung eines Rasters gegeben werden: 54 55 Zusätzlich zur Fixierung des Rhythmus’ in diesem Raster wird der Rhythmus während des Abspielens des Musikstückes durch die Art und Geschwindigkeit der Einblendung des Farb- / Formcodes sichtbar. 5.3.3 Tondauer Auch die Parameter der Einzeltöne können innerhalb des Rasters durch ein visuelles Pendant eine zeitliche Anordnung beschreiben: 4/4 = 200 % Die Tonlängen werden durch Skalierung der Grundform veranschaulicht (am Beispiel der Farb-Form „c”): 2/4 = 150 % 5.3.2 Tonhöhen 1/4 = 100 % In der Farbmusik nach Dobtretzberger werden die verschiedenen Tonhöhen zusätzlich durch die Höhenlagen der Note im Diagramm verdeutlicht. 1/8 = 70 % Zur Komplexitäts-Reduzierung werden die 12 Farbformen des ContrAmusie-Codes auf eine Oktave reduziert. Zudem soll eine lineare Darstellung der Elemente von links nach rechts, also eine im Voraus festgesetzte Leserichtung, eine zu starke Anlehnung an die klassische Notation vermeiden. 1/32 = 30 % 1/16 = 50 % 5.3.4 Lautstärke Die Lautstärke wird durch Opazität der Farbformen dargestellt (am Beispiel der Farb-Form „c”): ff / sehr laut f / laut fm / mittellaut p / leise pm / mittelleise pp / pianissimo 5.3.5 Pausen Ganze Pause = 2 Leerstellen im Raster Halbe Pause = 1 Leerstelle im Raster 56 57 5.4 Die Webplattform (www.contramusie.de) 5.4.1 Begriffserklärung „ContrAmusie“ ContrAmusie ist ein Kunstbegriff und setzt sich aus den Begriffen „Contra“ und „Amusie“. 1. Contra - [lateinisch], gegen... wider...entgegensetzen 2. Amusie - (vgl. 1.2) Die Zusammensetzung der beiden Begriffe legt das Ziel des Projektes und der Webplattform nahe: Dem Musikunverständnis entgegenwirken! 5.4.2 Rubriken Das Interface soll die vorangegangene Arbeit übersichtlich, logisch und funktionell wiedergeben. Es erfolgt ein Überblick über die verschiedenen Rubriken der Website „Contramusie“. 5.4.2.1 About „About“ gibt einige Informationen zur Person der Verfasserin und beschreibt mit Verweis auf den Download dieser Dokumentation kurz den Sinn des Projektes. 58 59 5.4.2.2 Watch it „Watch it“ ist als Präsentationsfläche der konzeptionellen Arbeit gedacht. Kurze Filme sollen Einblick in die Funktion und Idee des visuellen Codes geben. Anhand einer Beispielmelodie wird der Code veranschaulicht und die musikalischen Strukturen, die durch ihn erkennbar werden, hervorgehoben. In einer weiterentwickelten Version der Webplattform können eingespielte MIDI-Files sofort in den visuellen Code übersetzt werden. Die vorliegende Betaversion der Plattform besitzt diese Funktionalität nicht. Details hierzu sind unter 6.1 zu finden. 5.4.2.3 Play it Zugriffs- und Interaktionsfläche bietet die Kategorie „Play it“. Hier erfährt der User durch ein Tutorial den intuitiven Umgang mit dem Interface. Auf jede Interaktion (Verwendung der Tastatur oder Mausklick auf entsprechende Buttons) erfolgt ein direktes visuelles (Code- und Mood Sample-Animation) und auditives (erklingender Ton) Feedback. 2 Screens visualisieren Musik auf unterschiedliche Weise: 1. Screen 1 bedient sich dem visuellen Code, um die gespielte Musik festzuhalten und auch für andere Leute nachvollziehbar zu machen. 2. Screen 2 bildet simultan zum visuellen Code die Mood Samples ab, die dem strukturellen Informationsgehalt von Screen 1 eine weitere, emotionale Komponente hinzufügen. Komponieren / TASTENBELEGUNG: Bei Drücken der Zahlentasten A, S, D, F, G, H, J, K erhält man eine Oktave, bestehend aus einer Tonfolge von 8 Noten: C, D, E, F, G, A, H, C‘. Bei Drücken der Zahlentasten W, E, T, Z, U erhält man die Halbtöne: CIS/DES, DIS/ES, FIS/GES, GIS/AS, AIS/B 60 61 5.4.2.4 Share it In „Share it“ werden die bisher gestalteten und erlebten Musikkompositionen als „Stills“ veröffentlicht. Die Galerie bietet die Möglichkeit, Arbeiten anderer zu betrachten oder auszudrucken, sei es aus ästhetischen Gründen oder aus dem Spaß heraus, den visuellen Code eines Fremden nachzuspielen, um ihn zu „hören“. 62 63 6. Perspektiven 6.1 Interaktionsmöglichkeiten von „Play it“ 6.3 Erweiterung: Der „Amusie-Test“ Eine weitere freie Interaktionmöglichkeit könnte durch eine zusätzliche Rubrik „My-Sample“ geboten werden. Eine Art Sequenzer-Galerie (ähnlich einer VJ-Software) stellt dem User eine große Auswahl an verschiedenen Effekten und Animationen zur Verfügung. Dadurch kann jedem der 12 Töne eine individuelle Animation zugewiesen und später in der gewünschten Abfolge wiedergegeben werden. Im Internet gibt es einige Umfragen und Tests, durch die in Erfahrung gebracht werden kann, ob man unter Amusie leidet. Auf der Seite www.delosis.com/listening/measure1.html “durchhört” man 30 kurze Melodiesequenzen, worin immer zwei Tonfolgen nacheinander vorgespielt werden, die sich entweder gleichen oder unterscheiden (siehe auch 1.2.2 Amusie als neurologische Störung). Nachdem man den Test durchgeführt hat, bekommt man jedoch lediglich gesagt, wie viele richtige oder falsche Antworten man gegeben hat. Man weiß aber nicht, warum man in einzelnen Sequenzen versagt hat: Um den User nicht zu einer bestimmten Ästhetik zu zwingen, könnte auch ein „Sample-Generator“ erstellt werden. Hier könnte die Kreativität des Einzelnen mit einfließen, visuelle Elemente eigenständig erstellt und gespeichert werden. 6.2 Automatisiertes Tool Einspielung über Midi: „Übersetzung meines Lieblingssongs“: Die Plattform erkennt ein hochgeladenes MIDI-File automatisch und setzt die tonalen Daten direkt in den visuellen Code und das entsprechende Mood Sample um. "It can be frustrating if somebody is failing over and over again without getting to know for which reason. A visual interpretation could give them an answer in another sense." Wie befragte amusische Personen verdeutlichen, ist es für sie nicht unerheblich, auf falsche Töne hingewiesen zu werden oder ihnen auf anderer Ebene eine Art Feedback zu geben, wo genau der Fehler lag. "I am told that sometimes I get the right note, and sometimes I do not, but I cannot tell." Durch eine Farbformcodierung, könnten Testpersonen eine direkte visuelle Vergleichsmöglichkeit bekommen – und die verfehlten Sequenzen demnach noch einmal audiovisuell erleben. Nicht als Therapieform, sondern als Feedbackschleife. Nicht nur Krach hören und diesen als störend empfinden, sondern das Erlebnis haben: in Musik visuell etwas Schönes „hören”. Abb. 26: Beispiel MusiKalscope: A Graphical Musical Instrument. Block diagram of the “RhyMe” sub-system. 64 65 Dank Mein Dank gilt der Agentur Granpasso Kommunikation für die technologische Unterstützung und für das große Interesse an meinem Konzept, insbesondere Dennis Menke, der die Veröffentlichung der Website ermöglicht hat, sowie meinen Eltern und allen Freunden, die mir immer Kraft gegeben und mich in der langen Zeit ertragen haben. Hervorzuheben ist die Unterstützung dieses Projekts durch Hyung-Be Choe und Tobias Kreter, die mir mit Rat und Tat zur Seite standen. Schließlich danke ich auch Herrn Prof. Björn Bartholdy und Herrn Richard Jungkunz, für ihr Verständnis und den Aufschub meiner Prüfung. 66 67 Literaturverzeichnis Boschart, Jürgen und Tentrup, Isabelle: Der Klang der Sinne. Geo 2003. Brockhaus’ Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911. Ditzig-Engelhardt, Ursula: Durch Bilder Musik verstehen. Theorie und Praxis der Musikvermittlung. Band 4. 2004 Dobretzberger, Fritz und Paul, Johannes: Farbmusik. Leitfaden für eine kombinierte Farben- und Musiklehre. 1993. Quellenverzeichnis Archiphon. <http://www.archiphon.de/> Ars Electronica: Spektral Musik. Peter Weibel. <http://www.aec.at> BBC – Radio 4. <http://www.bbc.co.uk/ Brain – A journal of neurology. <http://brain.oxfordjournals.org> Düchting, Hajo: Paul Klee. Malerei und Musik. 1997 Fiedler, Jeannine und Feierabend, Peter: Bauhaus. 2006/2007 Frederiks, J.A.M.: Handbook of clinical neurology, Bd. 45, Amsterdam 1985 Goethe-Universität Frankfurt/Main, Fachbereich 09/Musikpädagogik. Abschlussarbeit zur Erlangung der Magistra Artium von Vera Göhring: Amusie im Alltag. 15.12.2005. Hesse, Hermann: Das Glasperlenspiel. 2001. Carre Rotondes. <http://ftp.technolink.lu/> CNN. Science & Space. <http://www.cnn.com/> Delosis: Newcastle Amusie Test. <http://www.delosis.com/> Essl, Karlheinz. <http://www.essl.at/> Sacks, Oliver: Der einarmige Pianist. Über Musik und Gehirn. 2008 Scheel, Susanne: Musikvisualisierung – das Zusammenspiel von Farbe und Ton. PDF. 2006. Spitzer, Manfred: Musik im Kopf. Hören, Musizieren, Verstehen und Erleben im neuronalen Netzwerk. 2005. Toop, David: Ocean of Sound. New York, Serpent’s Tail. 1995 Woolman, Matt: Sonic Graphics Seeing Sound. 2000 Lauterwasser, Alexander: Wasser, Klang, Bilder: Die schöpferische Musik des Weltalls 2002 Gamasutra. <http://www.gamasutra.com> Haase, Günter. <http://www.g-haase.de> Imagomat. <http://www.imagomat.de/> Kleine Zeitung. <http://www.meinekleine.at/> Medienkunstnetz. <http://www.medienkunstnetz.de> 68 69 Abbildungsverzeichnis Meyers Lexikonverlag. <http://lexikon.meyers.de/> Pictures of Music. <http://www.blockmuseum.northwestern.edu/> Planetware. <http://www.planetware.de> Sigal, Everard. Musiktheorie. <http://www.mu-sig.de/> Tanou, Cora: Klangstrukturen <http://www.coratanou.de> Thiel, Rit: Musik und Malerei. <http://www.rita-thiel.de> WDR 3. <http://www.lernzeit.de/> Wikipedia: Code. <http://de.wikipedia.org> Wunderlich, Dieter. <http://www.dieterwunderlich.de/> Zeit Online. <http://www.zeit.de/> Abb. 1: Ausschnitt aus Iannis Xenakis’ Metastasis <http://www.mediateletipos.net/wp-content/images/2007/09/metastaseis1. gif> (Stand: 12.07.2008) Abb. 2: Notenschrift Dobretzberger, Fritz und Paul, Johannes: Farbmusik. S. 30-31 Abb. 3: Beginn des Liedes „Alle Vöglein sind schon da“ <http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/25/Guitar_Tabulature. png> (Stand: 12.07.2008) Abb. 4: Abb. 3: Stockhausen: Electronic Study No. 2. <http://cache.eb.com/eb/image?id=2911&rendTypeId=4> (Stand: 12.07.2008) Abb. 5: Roman Haubenstock-Ramati <http://homepage1.nifty.com/iberia/score_gallery_ramati.htm> (Stand: 12.07.2008) Abb. 6: Sylvano Bussotti: Piano Piece for David Tudor 4 <http://transcriptions.english.ucsb.edu/archive/courses/liu/materials/D&G/ bussoti-rhizome.gif> (Stand: 12.07.2008) Abb. 7: Newtons Opticks <http://www.library.usyd.edu.au/libraries/rare/modernity/images/newton1-1. jpg> (Stand: 12.07.2008) Abb. 8: Das Chromatophon <http://communityneu.klz.apa.net/static/sites/multimedia/media/chromatophon.small.jpg> (Stand: 12.07.2008) Abb. 9: Klassischer Rechenschieber <http://www.sanjaya.esmartstudent.com/abacus.htm> (Stand: 10.07.2008) 70 71 Abb. 10: Farb- und Tonhöhen Dobretzberger, Fritz und Paul, Johannes: Farbmusik. S. 23 Abb. 11: Chladni patterns by John Tyndall, 1869 <http://www.physics.ucla.edu/demoweb/demomanual/acoustics/effects_of_ sound/chladniarray.jpg> (Stand: 10.07.2008) Abb. 12: Kymatik <http://www.world-mysteries.com/sci_cymatics.htm> (Stand: 10.07.2008) Abb. 13: Technovisual <http://www.coratanou.de/klangstruk/klangnet2> (Stand: 10.07.2008) Abb. 14: Erv Willsons Tastatur-¬Layouts Woolman, Matt: Sonic Graphics Seeing Sound. 2000. S. 36 (Stand: 10.07.2008) Abb. 15: Kandinsky, “Composition VII“ <http://flickr.com/photos/opossumd/372025114/sizes/o/> (Stand: 10.07.2008) Abb. 16: Paul Klee, „Alter Klang“ <http://www.flvenice.org/renaissance-creating.html> (Stand: 10.07.2008) Abb. 17: Walter Ruttmann, Fotosequenzen aus „Opus IV”, 1924 Abb. 18: Vikking Eggeling „Symphonie Diagonale” <http://cinetext.philo.at/magazine/schaefer/images/3diagonal-symphonie.jpg> (Stand: 10.07.2008) Abb. 19: Oskar Fischinger bei der Arbeit <http://balduin.wordpress.com/2006/11/09/frau-im-mond-oskar-fischinger/> (Stand: 12.07.2008) Abb. 20: Stills aus Fischingers „Radio¬Dynamics” Verschiedene Internetquellen (Stand: 12.07.2008) Abb. 21: Rez <http://www.got-next.com/media_xb2/rez_hd/rez_hd2.jpg> (Stand: 12.07.2008) Abb. 22: „Lumines” <http://news.filefront.com/wp-content/uploads/2007/12/lumines.jpg> (Stand: 12.07.2008) Abb. 23: Gunpey <http://images.atari.com.au/games/high/Gunpey(DS)header21334.jpg> (Stand: 12.07.2008) Abb. 24: Elektroplankton <http://www.myninjaplease.com/robotninja/wp-content/uploads/2008/02/ electroplankton0519_f.jpg> (Stand: 12.07.2008) 72 73 Versicherung Hiermit versichere ich, dass ich die Arbeit selbstständig angefertigt habe und keine anderen als die angegebenen und bei Zitaten kenntlich gemachten Quellen und Hilfsmittel benutzt habe. Köln, den 16. Juli 2008 Sandra Altmeyer