Gade „Nachklänge von Ossian“ a-moll op. 1 spohr Quartett-Konzert a-moll op. 131 Mendelssohn 3. Sinfonie „Die Schottische“ a-moll op. 56 Frankfurter Orchester Gesellschaft Hába-Quartett Stefan Schmitt, Dirigent Samstag, 29. November 2014, 18:00 Uhr Dr. Hoch‘s Konservatorium, Clara Schumann Saal, Frankfurt Lions Club Frankfurt Hessischer Löwe: Catering in der Pause zugunsten gemeinnütziger Projekte in Frankfurt Kontakt: Herausgeber: Redaktion und Text: Gestaltung und Satz: Druck: 2 Stefan Schmitt Telefon: 06196 950906 www.frankfurter-orchester-gesellschaft.de Frankfurter Orchester Gesellschaft Paul Landsiedel Ursula Peter Druckerei Adelmann, Frankfurt Niels Wilhelm Gade „Efterklang af Ossian“ a-moll op. 1 (1817 – 1890) „Nachklänge von Ossian“ (UA 1841) Quartett-Konzert a-moll op. 131 (1845) Louis Spohr (1784 – 1859) Allegro moderato Adagio Rondo: Allegretto Hába-Quartett: Sha Katsouris, Violine Hovhannes Mokatsian, Violine Peter Zelienka, Viola Arnold Ilg, Violoncello PAUSE Felix Mendelssohn Bartholdy (1809 – 1847) 3. Sinfonie „Die Schottische“ a-moll op. 56 (UA 1842) Andante con moto – Allegro un poco agitato Vivace non troppo Adagio Allegro vivacissimo – Allegro maestoso assai 3 RAFF Ouvertüre, Konzert, Sinfonie – in dieser klassischen Reihenfolge hören Sie heute Abend drei Kompositionen, die durch auffällige Gemeinsamkeiten – fast zur gleichen Zeit und in der gleichen Tonart a-moll geschrieben – merkwürdig zusammenrücken. Und doch gibt es wenig Ähnlichkeiten, jedes Stück zeichnet sich durch eine individuelle Handschrift aus. Die Konzertouvertüre „Efterklang af Ossian“ von Niels Gade bringt, wie Robert Schumann begeistert in der Neuen Zeitschrift für Musik schreibt, „zum ersten Mal einen entschieden ausgeprägten nordischen Charakter” zum Ausdruck, und zwar „in einer ganz originellen Melodienweise, ... wie sie bisher in den höheren Gattungen der Instrumentalmusik in so volkstümlicher Art noch nicht dagewesen.” Mit dem Quartett-Konzert, also einem Konzert für Streichquartett und Orchester, erfand Louis Spohr, der immer schon mit neuen Ensemble- und Klangkombinationen überraschte, „eine Kompositionsgattung, die noch nicht existierte.“ Ist die „Schottische“ ein musikalisches Genrebild mit HighlandNebeln, Whiskydunst und Dudelsack-Folklore? Felix Mendelssohn hat sie schlicht als „Symphonie für das ganze Orchester“ bezeichnet. 4 gade Niels Wilhelm Gade (1817 – 1890) „Aus seinem äußeren Leben ist nur wenig zu berichten. Zu Copenhagen im J. 1817 geboren, Sohn eines dortigen Instrumentenmachers, mag er seine ersten Jahre mehr unter Instrumenten, als unter Menschen hingeträumt haben. Seinen ersten Unterricht in der Musik erhielt er von einem jener gewöhnlichen Lehrer, die überall nur auf den mechanischen Fleiß, nicht auf das Talent sehen, und es soll der Mentor mit den Fortschritten seines Zöglings nicht sonderlich zufrieden gewesen sein. Guitarre, Violine und Clavier lernte er von jedem etwas, ohne sich außerordentlich hervorzuthun … Später kam er in die königliche Kapelle zu Copenhagen als Violinist, und hier hatte er Gelegenheit, den Instrumenten alle die Geheimnisse abzulauschen, von denen er sie uns manchmal in seinen Instrumentalstücken erzählen läßt. Diese practische Schule, manchen versagt, von Vielen unverstanden benutzt, erzog ihn wohl hauptsächlich zu jener Meisterschaft in der Instrumentation, die ihm unbestritten zugestanden werden muß … So erhielt er denn, wie viele andere Talente unter seinen Landsleuten, ein wahrhaft königliches Stipendium zu einer Reise in’s Ausland, und er machte sich für’s erste nach Leipzig auf, das ihn zuerst in das größere musikalische Publicum eingeführt hatte.” So weit Robert Schumann, der – ähnlich wie bei Brahms – sehr früh das außerordentliche Talent des jungen Dänen erkannt hatte und ihn zusammen mit Felix Mendelssohn Bartholdy als Lehrer in das 1843 neu eröffnete Leipziger Konservatorium aufnahm. 1839 hatte der Musikforeningen (Musikverein) in Kopenhagen einen Wettbewerb ausgeschrieben, bei dem eine Konzertouvertüre einzureichen war. Unter den zehn bis Ende 1840 präsentierten Arbeiten gewann Gade mit seinem Opus 1 „Efterklang af Ossian“ sozusagen aus dem Stand den 1. Preis. 5 gade In der Jury – hochkarätig besetzt – saßen auch Spohr und Mendelssohn, die der „nordische Ton“ und damit nicht nur die im Titel gezeigte thematische Idee beeindruckte. Als ein Jahr später in Kopenhagen die Uraufführung stattfand, war das Publikum begeistert. „Übermäßige Sekunden, lydische Quarten, Bordunquinten, dorische Sexten, mixolydische Septimen sowie Pentatonik, Ostinatotechniken und axiale Haltetöne“, dieses neuartige musikalische Vokabular in einer sehr freien Verarbeitung einer spätmittelalterlichen dänischen Volksweise wurde – auch ohne musikwissenschaftliche Analyse – sofort verstanden, und in kurzer Zeit war das Stück in ganz Europa bekannt. Gade gelingt mit diesem Opus 1 eine grandiose Konstruktion, klangfarbenreich, effektvoll instrumentiert, und er setzt selbstbewusst ein Zitat von Ludwig Uhland als Motto über sein Stück: „Formel hält uns nicht gebunden, unsere Kunst heißt Poesie.“ Diese Poesie, wenn auch noch kein literarisches Programm wie später in den Sinfonischen Dichtungen, hat ihre Quelle in der keltischen Mythologie, im Epos über den altgälischen Barden Ossian – das zwar schon 1826 als Fälschung entlarvt wurde, aber noch lange Zeit eine fast psychedelische Faszination ausstrahlen konnte. Gade verbringt in Leipzig von seiner Ankunft 1843 an fünf glückliche Jahre: Mendelssohn leitet die Uraufführung seiner 1. Sinfonie, die genauso wie die „Ossian“-Ouvertüre beim Publikum sensationellen Erfolg hat. Gade wird Dirigent des Leipziger Gewandhausorchesters, komponiert und erregt mit seinen ersten drei Sinfonien die einhellige Bewunderung der Musikwelt – nun zählt er zur Spitze der musikalischen Avantgarde in Europa. Beim Ausbruch des deutsch-dänischen Krieges (1848) muss er von seinem Leipziger Posten zurücktreten. Er kehrt nach Dänemark zurück, wird Direktor des Kopenhagener Musikvereins, später Mitbegründer und Direktor des heutigen Kongelige Danske Musikkonservatoriums. 6 spohr Obwohl Gade später nicht mehr an seine ersten kompositorischen Erfolge anknüpfen konnte – man wirft ihm vor, seinen „nordischen Ton“ zu verleugnen und „mendelssohnisiert“ zu sein –, beschreibt ihn Robert Schumann noch 1853 in seinem Aufsatz „Neue Bahnen“ als einen Wegbereiter und Vorboten einer musikalischen Entwicklung, die schließlich in das sinfonische Schaffen von Johannes Brahms mündete. Gade starb 1890, ein „musikalischer Organisator“, hoch geachtet und geschätzt. Die meisten seiner Kompositionen, darunter sieben Opern, acht Sinfonien, ein Violinkonzert, zahlreiche Chorwerke, Ballette, Ouvertüren sowie Kammermusik und Klavierwerke, sind heutzutage weitgehend vergessen. Louis Spohr (1784 – 1859) „Gewiß wäre das gänzliche Verschwinden Spohr´scher Musik aus den Concerten als ein Verlust und ein Unrecht zu beklagen ... Spohr ist nicht nur ein tüchtiger Meister, sondern eine wahrhaft liebenswürdige und eigenthümliche Individualität, freilich auch eine einseitige, sich gern wiederholende, weßhalb denn auch am besten genießt, wer sie mäßig genießt. Kaum zwei Decennien ist´s her, daß man vor einem allzu eifrigen Spohr-Cultus warnen mußte, und jetzt bedarf es schon einiger Anstrengung, um Werke des Meisters vor dem Schicksale gänzlichen Verschallens zu retten.“ Diese treffende Situationsbeschreibung – Louis Spohr ist heute tatsächlich weitgehend aus den Konzertprogrammen und CD-Produktionen verschwunden – stammt aus einer Rezension, die Eduard Hanslick, einer der einflussreichsten Musikkritiker seiner Zeit, vor 150 Jahren verfasst hat. Also auf der einen Seite: 7 spohr „Wir haben Spohr immer für den größten und originellsten Komponisten gehalten, der seit Beethoven aufgetreten ist. Weniger wild und exzentrisch als Weber, solider und einfallsreicher als Mendelssohn, ist er in allen Stilen der Musik bedeutend“, und auf der anderen Seite: „Mangel an Energie und Spontaneität ... monoton und etwas ermüdend in der Wirkung“ – wer war Louis Spohr? Spohr zeigte schon früh musikalisches Talent und wurde als 12-Jähriger nach Braunschweig zum Schul- und Musikunterricht geschickt, auf dem Lehrplan standen Violinunterricht und kurze Zeit Komposition, dazu gehörten auch Harmonielehre und Kontrapunkt. Bereits mit 15 Jahren verpflichtete ihn Herzog Carl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig als zweiten Geiger und „Hofmusicus“ in die Hofcapelle und versprach ihm weitere Ausbildung bei einem großen Meister. Die Wahl fiel auf den Geiger Franz Eck, der im Begriff war, eine Studien- und Konzertreise nach Russland anzutreten. Spohr begleitete ihn und kehrte erst im Juli 1803 nach Braunschweig zurück. Hier entstanden seine ersten eigenständigen Instrumentalkompositionen. Im Dezember 1804 debütierte er mit zwei spektakulären Konzerten im Leipziger Gewandhaus, und 1805 erhielt er die Konzertmeisterstelle in Gotha. 1813 folgte er einem Ruf als Kapellmeister des Theaters an der Wien. Dort traf er mehrfach mit Beethoven zusammen, in seiner Autobiographie sind diese denkwürdigen Begegnungen ausführlich festgehalten. Nach zwei Jahren beendete er das Engagement und ging auf Reisen in die Schweiz, nach Italien und Holland und traf zum ersten Mal mit Niccolò Paganini zusammen. Im Winter 1817 übernahm er die Kapellmeisterstelle am Theater in Frankfurt am Main und die Leitung des Orchesters der Frankfurter Museumsgesellschaft. Hier brachte er 1818 seine Oper „Faust“, die erste romantische Oper in dieser Zeit, und 1819 „Zemire und Azor“ zur Aufführung, die beide mit enthusiastischem Beifall aufgenommen wurden. 8 spohr Im folgenden Jahr wurde er – durch Carl Maria von Weber angeregt – zum Hofkapellmeister nach Kassel berufen, trat im Januar 1822 sein neues Amt an und machte in den folgenden 35 Jahren diese Stadt durch seine ungeheure Aktivität zum zeitweiligen Zentrum der deutschen Musikkultur: Er war als Violinist, Komponist, Dirigent und Pädagoge eine der einfluss- reichsten Musikerpersönlichkeiten des 19. Jahrhunderts in Europa. Spohr gehört mit John Field, Bernhard Romberg, George Onslow, Ferdinand Ries und Niccolò Paganini, der ihn respektvoll den „vorzüglichsten Sänger” auf seinem Instrument nannte, zur Virtuosengeneration seiner Zeit. Zwischen 1810 und 1840 schreibt er mit erstaunlicher Vielseitigkeit Opern, Oratorien, Sinfonien, Konzerte und Kammermusiken und ist damit einer der richtungweisenden Komponisten, die, von ihrem ästhetischen Ideal Mozart ausgehend, zu einem neuen Stil gelangten: eine Synthese von später Wiener Klassik und Romantik. Mit seiner kühnen, weit in die Zukunft weisenden Harmonik wird er zu einem wichtigen Initiator romantischer Musikentwicklung. „The Musical World“, ein Journal, das jede Woche aus London aktuelle musikalische Ereignisse kommentierte, schreibt 1854: „Man war kurz davor, Mozart und Beethoven abzusetzen und Spohr an ihrer Stelle herrschen zu lassen. Kein Komponist wurde mehr vergöttert.“ Als Dirigent trug Spohr wesentlich zur Entwicklung moderner Orchesterkultur bei. So erregte bereits 1810 seine neue Dirigiertechnik „mit einer Papierrolle, ohne alles Geräusch“ Aufsehen, und bei einem denkwürdigen Konzert in London 1820 benutzte er als einer der ersten Dirigenten überhaupt einen hölzernen Taktstock – zunächst zum Missfallen der Musiker: „Der Stock unterstreicht ja noch einmal die Rolle eines Dompteurs. Welcher Musiker hat schon gern einen Dompteur vor sich? Aber Spohr war ein sehr kollegialer Orchesterleiter.“ 9 spohr Spohr hat wesentlich zur Institutionalisierung der Musikausbildung und zur Professionalisierung des Berufsstands des Orchestermusikers sowie des gesamten Orchesterbetriebs beigetragen. Mit pädagogischem Geschick und Sensibilität – aus allen Teilen Europas strömten ihm Schüler zu – hat er eine Vielzahl von bedeutenden Violinisten ausgebildet und mit seiner 1831 erschienenen „Violin-Schule“ ein Grundlagenwerk geschaffen, das bis heute im Unterricht benutzt wird. Im Jahr 1845, also in einer Zeit, in der Spohr seinen schöpferischen Zenit bereits überschritten hatte, schreibt er das Quartett-Konzert op. 131, eine Kuriosität im gängigen Konzertbetrieb. Ähnlich wie bei Beethovens Tripelkonzert stellt sich auch hier die Frage: Ist dies wirklich ein klassisches Konzert für vier gleichberechtigte Solisten oder eine mit Hilfe des Orchesters sinfonisch vergrößerte Kammermusik? Der Kopfsatz, Allegro moderato, beginnt mit dreimaligem Anschlagen des Grundtones, ehe das Violoncello des Solo-Quartetts das elegische Hauptthema einführt. Im weiteren Verlauf wird dieses Thema vor allem durch die Solisten gestaltet, ohne Dominanz der 1. Violine, denn die hohen spieltechnischen Anforderungen sind gleichwertig verteilt. Das Orchester beschränkt sich meist auf begleitende Funktion, selten kommt es zu einem wirklichen Dialog zwischen beiden Gruppen. Der Satz schließt mit einer an Schubert erinnernden Modulation in Dur. Im Adagio werden drei Klanggruppen miteinander verzahnt: Streichquartett – Holzbläser – Orchesterstreicher. Die meditative Grundstimmung wird durch eine reizvolle, kontrastierende Mehrchörigkeit belebt, eine Technik, die Spohr schon in den früher geschriebenen Doppelstreichquartetten und a-capella-Vokalwerken verwendet hat. Das nur 63 Takte lange Adagio geht ohne Pause in den dritten Satz, Rondo Allegretto, über. Der tänzerisch temperamentvolle Schlusssatz verrät im Seitenthema einen 10 Mendelssohn Bartholdy Hauch nostalgischer Wehmut und rückt damit das Werk atmosphärisch in die Nähe des späten Schubert. Am Ende des Konzerts überrascht Spohr mit einer originellen Schlusspointe. Freuen Sie sich auf ein Stück, in dem ein großer Reichtum an Melodien in klassischer Formgebung und romantischer Tonsprache gekonnt verarbeitet ist. Felix Mendelssohn Bartholdy (1809 – 1847) „Nach Beethoven´s Tode fand sich Keiner, der seine Hinter- lassenschaft hätte antreten und seine Rolle fortsetzen können (denn das größte damalige Talent, Franz Schubert, folgte ihm bald). Aber sein Beispiel wirkte mächtig erregend, namentlich auf die jungen Componisten, deren Idol er wurde ... Der damalige berühmteste Componist, Spohr, war in seiner abgeschlossenen Eigenthümlichkeit von allen diesen Erscheinungen unberührt geblieben; aber Mendelssohn Bartholdy bemächtigte sich der Bewegung und Richtung der Gemüther, und stellte sich mit seinem scharfsinnigen Talente an die Spitze der neuern Bestrebungen“ (aus: Neue Zeitschrift für Musik 1842). Felix Mendelssohn Bartholdy hat mit der Uraufführung der „Schottischen“ am 3. März 1842 den Höhepunkt seines sinfonischen Schaffens erreicht und – erstaunlich genug – als letzter der großen Komponisten des 19. Jahrhunderts erst 2009 zu seinem 200sten Geburtstag das erste vollständige Werkverzeichnis bekommen: Aus mehr als 2500 handschriftlichen Quellen sind etwa 750 Kompositionen zusammengetragen. 11 Mendelssohn Bartholdy Felix, der nach erstem Klavierunterricht bei der Mutter gemeinsam mit seiner drei Jahre älteren Schwester Fanny durch Carl Friedrich Zelter in den Bach´schen Kontrapunkt eingeführt wird und an ersten Kompositionen lernt, überrascht – gerade 17 Jahre alt – mit einem Geniestreich, der Ouvertüre zum „Sommernachtstraum“. Martin Geck schreibt in seiner Biographie Felix Mendelssohn Bartholdy (2009): „Man kann nur fassungslos bestaunen, mit welcher Souveränität der Jüngling innerhalb weniger Jahre Instrumentalkompositionen produziert, die man als Bildungsmusik im besten Sinne des Wortes bezeichnen kann.“ Vorangegangen waren nämlich seine bereits zwischen 1821 und 1823 entstandenen zwölf Streichersinfonien, die zwar deutlich von Haydn und Mozart beeinflusst sind, aber doch schon einen unverwechselbaren, eigenen Ton haben. Wenn die Chronologie dieser Sinfonien noch leicht überschaubar ist, so ergeben sich bei der Einordnung der folgenden doch echte Probleme. Die „Schottische“ wird zwar als Dritte gezählt, ist jedoch tatsächlich, denn die Partitur wurde erst im Januar 1842 abgeschlossen, die letzte Sinfonie. Die „Italienische“ – bereits 1833 fertiggestellt – rangiert auf Platz 4, und die von ihm selbst als unglücklich empfundene „ReformationsSinfonie“ (seine eigentlich dritte von 1829/30) wurde, erst postum veröffentlicht, als fünfte gezählt. Die zweite, eigentlich eine Sinfonie-Kantate mit dem Titel „Lobgesang“, entstand 1840, und die 1. Sinfonie von 1824 zählt für Mendelssohn überhaupt nicht, weil ihm „das Stück wirklich kindisch vorkommt“. Aus heutiger Sicht ist also die „Schottische“ die 17. Sinfonie. Seine erste Bildungsreise startete Mendelssohn im April 1829 nach London, von wo aus es Ende Juli nach Schottland weiterging. Wir können heute sehr genau die Route nachvollziehen, denn Mendelssohn dokumentierte alles, was er erlebte, detailliert in Aufzeichnungen und Briefen. Mehr als 6000 hat er in seinem Leben geschrieben, dazu eine Vielzahl an Zeichnungen und Aquarellen in geradezu fotorealistischer Qualität verfertigt. 12 Mendelssohn Bartholdy In Edinburgh notierte Mendelssohn erste Inspirationen zur „Schottischen“ Sinfonie: „In der tiefen Dämmerung gingen wir heut‘ nach dem Palaste (Holyrood), wo Königin Maria gelebt und geliebt hat; es ist da ein kleines Zimmer zu sehen, mit einer Wendeltreppe an der Thür; da stiegen sie hinauf und fanden den Rizzio (vermeintlicher Liebhaber Marias) im kleinen Zimmer, zogen ihn heraus, und drei Stuben davon ist eine finstere Ecke, wo sie ihn ermordet haben. Der Kapelle daneben fehlt das Dach, Gras und Epheu wachsen viel darin, und am zerbrochenen Altar wurde Maria zur Königin von Schottland gekrönt. Es ist da alles zerbrochen, morsch und der heitere Himmel scheint hinein. Ich glaube, ich habe da heut‘ den Anfang meiner Schottischen Symphonie gefunden.“ Eine Überfahrt zur Insel Staffa mit der schon damals als Touristenattraktion berühmten Fingalshöhle gehörte auch ins Programm und wurde spontan in Noten festgehalten: der Anfang der „Hebriden“-Ouvertüre. Im nächsten Jahr standen die kulturellen Zentren Österreichs und Italiens auf dem Reise-Programm. In Rom beendete Mendelssohn die Partitur der „Hebriden“-Ouvertüre, stellte aber zugunsten der „Italienischen“ Sinfonie die Arbeit an der „Schottischen“ zurück. Nach längeren Aufenthalten in der Schweiz, in Frankreich und in London trat er dann im Oktober 1833 seine erste feste Anstellung als Musikdirektor in Düsseldorf an. In zwei Jahren harter Arbeit mit dem Städtischen Instrumentalverein, einem Ensemble aus Berufsmusikern und Dilettanten, entwickelt er die Idee des Sinfoniekonzerts: ein Abonnementkonzert mit gehobenem Anspruch. 1835 kommen interessante Angebote aus Leipzig: eine Professur an der Universität, Mitarbeit an der „Allgemeinen Musikalischen Zeitung“ oder die Leitung des Gewandhaus-Orchesters. Diese Entscheidung ist leicht, und nach dem gelungenen Einstandskonzert – „es flogen ihm hundert Herzen zu im ersten Augenblick“ – 13 Mendelssohn Bartholdy notiert er glücklich: „Das Orchester ist sehr gut, tüchtig musikalisch, und ich denke, in einem halben Jahre soll es noch besser werden; denn mit welcher Liebe und Aufmerksamkeit diese Leute meine Bemerkungen aufnehmen und augenblicklich befolgen, das war mir ordentlich rührend.“ Der junge Komponist wurde rasch zum Mittelpunkt des Leipziger Musiklebens. Alle waren fasziniert von seiner Suggestivkraft, seiner Präsenz, seiner weltmännischen Eleganz. 1836, er war noch kein Jahr in der Stadt, erhielt er die Ehrendoktorwürde der Alma Mater Lipsiensis. Mendelssohn fühlte sich in Leipzig wohl. „Daß ich eine große Vorliebe für Leipzig mehr als je empfinde, kommt daher, weil da wirkliche Musik gemacht wird, Musik, die klingt.“ Er hatte im Gewandhaus die Arbeitsteilung zwischen Musikdirektor und Konzertmeister aufgehoben; bisher hatte nämlich der Kapellmeister nur Vokalwerke dirigiert, und Instrumentalwerke wurden vom Konzertmeister von seinem Pult aus geleitet. Nun stand vor dem Orchester ein interpretierender Künstler, übrigens auch mit Taktstock. Er förderte Zeitgenossen wie Liszt und Berlioz, hob Schumanns Sinfonien aus der Taufe, dirigierte Werke von Louis Spohr und Heinrich Marschner, des Dänen Niels Wilhelm Gade und des Engländers William Sterndale Bennett. Gleichzeitig veranstaltete er „Historische Konzerte“ mit Werken von Händel, Gluck und Haydn, von Mozart und Salieri – und Johann Sebastian Bach. Am 9. November 1835 erklang zum ersten Mal nach langer Zeit ein Werk Bachs im Konzertsaal: Die 16-jährige Clara Wieck spielte gemeinsam mit Mendelssohn und Louis Rakemann im Gewandhaus das Konzert für drei Klaviere und Orchester d-moll. Der Höhepunkt aber war die Aufführung der Matthäus-Passion, die am 4. April 1841 erstmals nach Bachs Tod wieder in der Leipziger Thomaskirche erklang. 14 Mendelssohn Bartholdy Obwohl als Komponist, Virtuose, Dirigent, Lehrer, Organisator und Reformer hoch geachtet, beurteilte Mendelssohn seine eigenen Werke immer äußerst kritisch. Er überwachte akribisch alle Details bis zum Druck der Noten, und erst wenn er mit dem Ergebnis einverstanden war, durfte es veröffentlicht werden. „Wie schön ist das Hauptthema des ersten Satzes! Eine Klarinette begleitet in der tieferen Oktave die in sanfter Erregung auf und ab wogende Figur der Violinen. Eine schottische Sage erzählt von einem durchsichtigen, blassen Schatten, der genau so aussieht wie die Person, die er begleitet, und der, wenn er sichtbar wird, den Tod dieser Person bedeutet. Sollte diese Sage Mendelssohn vorgeschwebt haben, als er der Geigenmelodie die tiefe, schattenhafte Klarinette zur Begleitung gab?“ Mit dieser vorsichtig gestellten Frage gibt uns Felix Weingartner, der die „Schottische“ oft dirigierte, einen Schlüssel zum Hören dieses Stücks. Mendelssohn selbst hatte einfach vorgeschlagen: „Für die Hörer kann der Inhalt der einzelnen Sätze auf dem Programm des Concertes angegeben werden wie folgt: Introduction und Allegro agitato. – Scherzo assai vivace. – Adagio cantabile. – Allegro guerriero und Finale maestoso.“ Diese Satzbezeichnungen sind eigentlich nur Tempoangaben, über den „Inhalt der einzelnen Sätze“ verraten sie noch nichts. Da war Beethoven in seiner Pastorale schon wesentlich konkreter: Szene am Bach, Gewitter, Sturm, das sind eindeutige Bildbeschreibungen, obwohl er in seinen Skizzen auch festgehalten hat: „Auch ohne Beschreibung wird man das Ganze, welches mehr Empfindung als Tongemälde, erkennen.“ Die schwermütige, lediglich von Bläsern und tiefen Streichern getragene langsame Einleitung lässt Mendelssohns Erinnerung an Edinburgh lebendig werden. Nach einem vierfachen Ruf der Flöten – Pause – beginnt geheimnisvoll der Hauptsatz, der mit breit angelegten dynamischen Steigerungen zu dramatischen 15 Mendelssohn Bartholdy Szenen führt und mit einer Wiederholung der Anfangstakte endet. Das quicklebendige Thema der Klarinette, später im Tutti groß ausgespielt, leitet uns im zweiten Satz wie zu einem fröhlich ausgelassenen Fest. In hohem Tempo huschen die SechzehntelFiguren vorbei, und das Ganze endet, als sei nichts gewesen, mit drei Pizzicato-Tupfern. Im Adagio, dem dritten Satz, markieren die Bläser scharf akzentuiert einen bedrohlich wirkenden Marschrhythmus, der im weiteren Verlauf in einen großen Melodiebogen, von Celli und Horn vorgetragen, übergeht. Nach Mendelsohns Vorschrift „Die einzelnen Sätze dieser Symphonie müssen gleich aufeinander folgen, und nicht durch die sonst gewöhnlichen längeren Unterbrechungen von einander getrennt werden“ beginnt mit kraftvollem Schwung und wieder in hohem Tempo das Finale, ursprünglich als „Allegro guerriero – kriegerisches Allegro“ bezeichnet. Eine Fülle gegensätzlicher Themen – einmal temperamentvoll, dann wieder lyrisch – lässt den Hörer kaum zu Atem kommen, und am Ende steht die überraschende Coda, ein Schluss in A-Dur, den sich Otto Klemperer, der sich bei Vorbereitungen zu einem Konzert intensiv mit dem Stück beschäftigt hatte, nicht erklären konnte: „Dieser Schluß ist auch absonderlich genug. Mendelssohn verwendet den 6/8-Takt zu einem in keiner Weise schottischen Thema und bringt es so zu einem lauten Schluß. Hat nicht vielleicht der geschickte Gewandhauskapellmeister Mendelssohn hier den großen Komponisten überrumpelt?“ Er schrieb einen neuen Schluss und ließ die Coda einfach weg. Heute Abend spielen wir aber das Original – lassen Sie sich von der Atmosphäre der „Schottischen“ einfangen. 16 Die interpreten Die Interpreten Das HÁba-Quartett Im Jahre 1946 gründete der Geiger Dušan Pandula in Prag das Hába-Quartett, dessen Schwerpunkt die Zusammenarbeit mit bedeutenden zeitgenössischen Komponisten war (Alois Hába, Bohuslav Martinů, Günther Bialas, Luciano Berio, Luigi Nono, Isang Yun, Jan Kapr u.a.), deren Werke das Ensemble zum Teil uraufgeführt hat. Als im Zuge der kommunistischen Kulturpolitik der 1950er Jahre Alois Hába in Ungnade fiel, musste sich das Quartett unter politischem Druck in Novák-Quartett umbenennen. Dies hinderte das Ensemble jedoch nicht, weiterhin so oft wie möglich Werke von Alois Hába aufzuführen. 1968, nach der Übersiedlung Dušan Pandulas in die Bundesrepublik Deutschland, löste sich das Quartett auf. Sechzehn Jahre später wurde es von Pandula zusammen mit seinem Schüler Peter Zelienka in Frankfurt neu gegründet. Das heutige Hába-Quartett, das seit mehr als einem Jahrzehnt in unveränderter Besetzung spielt, versteht sich als direkter Nachfolger und Träger der langjährigen Hába-Quartett-Tradition und sieht seine besondere Aufgabe darin, die Werke seines Namensgebers dem Publikum mit größter Authentizität zugänglich zu machen. Daneben hat sich das Ensemble ein alle Epochen umfassendes Repertoire erarbeitet, das auch selten gespielte Kompositionen beinhaltet. Die CD-Einspielungen der Werke von Nikolaj Roslawez, Leoš Janáček und Bedřich Smetana fanden bei der Presse eine große Resonanz. Die Vielseitigkeit und interpretatorische Stilsicherheit des Hába-Quartetts wurde durch intensive Konzerttätigkeit im In-und Ausland, durch 17 Die Interpreten Rundfunkaufnahmen und Auftritte bei bedeutenden Festivals, u.a. in Salzburg, Graz, München, Hannover, Berlin, Darmstadt, Den Haag und Prag, immer wieder unter Beweis gestellt. www.haba-quartett.de Stefan Schmitt, Dirigent Stefan Schmitt studierte an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main Schulmusik, Hauptfach Gitarre bei Michael Teuchert und Dirigieren bei Professor Jirí Starek. Frankfurter Orchester Gesellschaft 1963 entstand auf Initiative von Horst Langkamm das Orchester der Volkshochschule Frankfurt. 1989 übernahm Stefan Schmitt die Leitung. Fünf Jahre später war die Suche nach einem geeigneten Probenort der Anlass, als Träger des Orchesters den Verein „Frankfurter Orchester Gesellschaft“ zu gründen. In jeweils zwei Konzertprojekten stellt das Sinfonieorchester jedes Jahr Werke aus Klassik, Romantik und Spätromantik vor, daneben bilden Uraufführungen und die Darbietung wenig bekannter Kompositionen besondere Höhepunkte. 25 Jahre In 25 Jahren hat Stefan Schmitt uns alle immer wieder mit außergewöhnlichen Programmideen zu neuen Leistungen herausgefordert und in Konzerten zu großem Erfolg geführt. Die Frankfurter Orchester Gesellschaft sagt an dieser Stelle ihrem Dirigenten Stefan Schmitt für seine unermüdliche, begeisternde und erfolgreiche Arbeit: DANKE! 18 in eigener sache In eigener Sache Wenn Sie mehr über das Orchester erfahren oder selbst mitspielen möchten – zurzeit sind noch einige Streicherstellen frei –, wenden Sie sich bitte an unseren Dirigenten Stefan Schmitt (Telefon 06196 950906). Weitere Informationen finden Sie auf unserer Homepage: www.frankfurter-orchester-gesellschaft.de Das Sinfonieorchester der Frankfurter Orchester Gesellschaft ist als selbstständiger Verein auf die Unterstützung durch seine Mitglieder und auf Sponsoren angewiesen. Wenn Ihnen das Konzert gefallen hat und Sie unsere Arbeit fördern wollen, freuen wir uns über eine finanzielle Zuwendung, für die wir Ihnen gerne eine Spendenquittung ausstellen (IBAN: DE24 5005 0201 0000 3559 90). 19