Visuelle Wahrnehmung Optische Täuschungen 5. Optische Täuschungen Hat der Betrachter den Eindruck, es besteht ein Unterschied zwischen dem was er sieht und dem was er vor sich hat, spricht er von einer optischen Täuschung. So stellen optische Täuschungen die Ansicht in Frage, das retinale Abbild sei eine gute Kopie der Reize und die Wahrnehmung sei eine gute Kopie des retinalen Abbildes. Die Gestaltpsychologie stellte diese Ansicht in Frage. Sie zeigte, daß zwar die Wahrnehmung gut mit dem Reiz übereinstimmt, aber nicht unbedingt mit dem retinalen Abbild. Besonders deutlich sieht man dies an der dreidimensionalen Wahrnehmung, die von der zweidimensionalen Retina vermittelt wird. Einige der bekanntesten optischen Täuschungen sind: (Texte in Rohfassung) Oppel zeigte 1855, daß eine Reihe von Punkten länger wirkt als die Distanz zwischen den Endpunkten (wenn auch nur diese sichtbar sind). Er zeigte außerdem, daß eine von Querstrichen unterbrochene Linie länger wirkt. Hering (1861) erklärte dies damit, daß die Distanz zwischen Punkten aufgrund der Distanz auf der (kugeligen) Netzhautoberfläche beurteilt wird. Der direkte Abstand zwischen den Endpunkten ist geringer als die summe der Abstände der einzelnen Segmente einer zusammengesetzten Strecke. VisuelleWahrnehmung 1102 . Blatt 17 © Frank Barth Visuelle Wahrnehmung Optische Täuschungen Wundt stellte 1858 fest, daß Vertikale in ihrer Länge gegenüber Horizontalen überschätzt werden. Er begründet dies damit, daß vertikale Augenbewegungen schwieriger sind als horizontale und deshalb als länger wahrgenommen werden. Helmholtz zeigt, 1866 daß der längere Eindruck von Vertikalen gegenüber Horizontalen durch Anordnung von vielen Parallelen zu einem Quadrat in sein Gegenteil gekehrt werden kann (wegen des Effekts der Unterbrechung). VisuelleWahrnehmung 1102 . Blatt 18 © Frank Barth Visuelle Wahrnehmung Optische Täuschungen Poggendorff-Figur Linien, die unter einem schmalen Rechteck hindurchgehen, erscheinen leicht versetzt. Begründung durch Augenbewegungen und die Tendenz, spitze Winkel zu überschätzen. Zöllnersche Täuschung Parallele Linien, die von einem Grätenmuster umgeben sind, erscheinen nicht mehr Parallel; Spezialfall von Poggendorffs Figur. VisuelleWahrnehmung 1102 . Blatt 19 © Frank Barth Visuelle Wahrnehmung Optische Täuschungen Hering-Linien Parallele Linien erscheinen auseinandergebogen, wenn in deren Mitte ein Strahlenbündel „entspringt“; Spezialfall der Zöllnerschen Täuschung. Wundt-Linien Parallele Linien erscheinen aufeinander zu gebogen, wenn über und unter ihnen ein Strahlenbündel entspringt; Spezialfall der Zöllnerschen Täuschung. VisuelleWahrnehmung 1102 . Blatt 20 © Frank Barth Visuelle Wahrnehmung Optische Täuschungen Müller-Lyer-Täuschung Hierzu wurde eine Vielzahl an Erklärungen gefunden, von denen Boring zwölf zitiert (beispielsweise unterschiedliche Geschlossenheit, längere Augenbewegungen Betonung oder Nicht-Betonung der Enden, unterschiedliche retinale Dispersion, Phänomen der Perspektive). Zwischen den verschiedenen Erklärungen läßt sich nicht entscheiden. Wenn aber die generellen Gesetzmäßigkeiten der Raumwahrnehmung bekannt sind, dann werden sich die Täuschungen besser verstehen lassen. Ponzo-Täuschung Bei der Ponzo-Täuschung werden zwei objektiv gleich große Elemente als unterschiedlich wahrgenommen. Die auslösende Komponenten sind in diesem Fall die konvergierenden Linien, die den Längenunterschied der beiden Elemente induziert. Neben dem Längenunterschied entsteht auch ein Größenunterschied. Dies läßt sich durch den Eindruck der Räumlichen Tiefe erklären. Beachtet man das Phänomen der Größenkonstanz müßte das obere Element, das durch den räumlichen Eindruck entfernter wahrgenommen wird, wesentlich kleiner als das untere Element sein, um als "gleich groß" wahrgenommen zu werden. Er wirkt aber größer, da die Netzhautbilder gleich groß sind. VisuelleWahrnehmung 1102 . Blatt 21 © Frank Barth Visuelle Wahrnehmung Optische Täuschungen Amodale Figuren Amodale Figuren sind Strukturen, die wir subjektiv wahrnehmen, die aber objektiv nicht existieren. Aussparungen und Unterbrechungen werden als durch Scheinkonturen überlagerte Bereiche der Hintergrundelemente interpretiert, die in „Wirklichkeit“ geschlossene Formen zu sein scheinen. Da die Figur vor den anderen Elementen liegen muss, erscheint ihre Fläche auch heller. VisuelleWahrnehmung 1102 . Blatt 22 © Frank Barth Visuelle Wahrnehmung Optische Täuschungen Unechter Treppenraum Schräge Linien scheinen in den Raum zu streben, auch wenn sie nicht perspektivisch verkürzt sind. Mehrere Linien, die sich überschneiden, erwecken den Eindruck von Raum da sie auf verschiedenen Ebenen zu liegen scheinen. Sind sie unterbrochen oder teilweise verdeckt, werden sie aus der Erinnerung zusammengefügt, wobei die einfachste Form bevorzugt wird. Bestimmte Winkel lassen Formen räumlich erscheinen (außer 90°). Das kleinste Anzeichen dafür, dass es sich bei einer Form um ein dreidimensionales Objekt handelt wird zum Anlass genommen, diese auch dreidimensional zu deuten. Die räumliche Wirkung einer Form kann noch durch Licht und Schatten verstärkt weden. Die Wirkung ist dann am intensivsten, wenn Licht und Schatten durch Hell-Dunkel dargestellt weden. Bei Farben, die gleich hell sind, scheinen warme Farben (Farben mit Gelb) näher zu sein und kalte Farben (Farben die Blau enthalten) weiter entfernt. Bei Mischungen zwischen bunten und nichtbunte Farben (Schwarz, Weiß, Grau) treten bunte Farben stärker hervor. VisuelleWahrnehmung 1102 . Blatt 23 © Frank Barth Aspekte der visuellen Wahrnehmung Umspring-Effekt > Vase/Gesicht > Alte/Junge Frau > Treppe Erklärungsansätze gehen auf die Konstanzphänomene und Gestaltgesetzte zurück. Wie die Motive zunächst erkannt werden, hängt von persönlichen Sehgewohnheiten bzw. vom Erfahrungsschatz ab. VisuelleWahrnehmung 1102 . Blatt 24 © Frank Barth