THEMA Überlebensstrategien der Siebenschläfer „Winter, wir schlafen dich durch und wir strotzen von blühendem Fette . ..“ – Dieser Vers von MARTIAL (um 100 n. Chr.) über die Siebenschläfer traf auch fast 2000 Jahre nach seiner Niederschrift wieder einmal zu. Das Jahr 2001 war in Österreich ein sehr gutes Jahr für die Siebenschläfer. Was erwartet sie wohl in diesem Jahr? Dr. Claudia Bieber Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien B © hören, und einige Hausbesitzer freuen sich schon, die Plagegeister erfolgreich verscheucht zu haben. Meist werden sie bereits im nächsten Jahr eines Besseren belehrt. Da Siebenschläfer sehr ortstreu sind und bis zu neun Jahre alt werden Im Geäst fühlt er sich wohl: Siebenschläfer Foto Richard F. Flasch esonders in den guten Jahren gibt es so viele Siebenschläfer, daß sie sogar vor den menschlichen Siedlungen nicht haltmachen. Die im Volksmund auch „Bilche“ genannten Nager dringen dann in Dachstühle und Wohnräume ein und bauen dort ihre Nester. Die Hausbesitzer hören dem nächtlichen Treiben besorgt und hilflos zu, da sich die Tiere meist absolut unzugängliche Stellen als Nistplätze aussuchen. Spätestens wenn die Anfang August geborenen Jungtiere im Alter von ca. 4–5 Wochen zu ersten Erkundungsgängen ihr Nest verlassen, ist an Schlaf nicht mehr zu denken. Wilde Verfolgungsjagden machen den Dachstuhl zur Achterbahn. Als Trost kann man den übernächtigten Hausbesitzern nur mitteilen, daß spätestens ab Anfang November wieder Ruhe einkehrt. Die Siebenschläfer verschwinden dann für 7–8 Monate in den Winterschlaf. Wenn kein sicherer Dachboden in der Nähe ist, verbringen die Tiere ihren Winterschlaf tief unter der Erde, wo sie vor Frost und Feinden ebenfalls gut geschützt sind. Es gibt aber auch immer wieder schlechte Jahre für Siebenschläfer. In diesen schlechten Jahren ist schon ab Sommer kaum noch ein Bilch zu sehen oder zu Österreichs auflagenstärkste Jagdzeitschrift WEIDWERK 1/2002 können, sollte man sich auf ein langes Miteinander einstellen. Starke Schwankungen Was ist der Grund für diese guten und schlechten Siebenschläferjahre? Langzeitstudien konnten uns zeigen, in welchem Ausmaß jährliche Schwankungen der Siedlungsdichten vorkommen und was die Ursachen dafür sind. So wurden zum Beispiel in Baden-Württemberg über 16 Jahre (1979–1994) Nistkastenkontrollen durchgeführt, bei denen neben der Belegung durch Vögel auch der Besatz durch Siebenschläfer festgehalten wurde. Als typische Bewohner von Baumhöhlen nutzen Bilche auch künstliche Nistkästen. Die Auswertung der bis zu 180.000 jährlich kontrollierten Nistkästen zeigte ein Auf und Ab in der Siedlungsdynamik, wobei das Minimum bei 2.447 und das Maximum bei 15.437 von Siebenschläfern bewohnten Nistkästen lag. Um die Ursachen für diese starken Schwankungen der Siebenschläfervorkommen zu erklären, hat man die Belegungszahlen mit dem Samenertrag von Buchen und Eichen, den Hauptnahrungspflanzen der Schläfer, verglichen. Es zeigt sich, daß in Jahren mit einer sogenannten Vollmast (fast alle Bäume eines Bestandes bringen reichlich Samen) von Buche und auch Eiche besonders viele Siebenschläfer gefunden wurden. Blieb die Samenproduktion hingegen gering, war auch die Anzahl der belegten Nistkästen gering. Der Samenertrag von Buche und Eiche wechselt von Jahr zu Jahr und ist nur bedingt vorhersehbar. Sicher ist aber, daß nach einer Vollmast eine Fehlmast (fast keiner der Bäume fruchtet) folgt, da die Bäume nicht in der Lage sind, in zwei aufeinanderfolgenden Jahren Samen zu produzieren. Neben den Voll- und Fehlmasten gibt es auch noch sogenannte Spreng- und Halbmasten, wobei der Anteil der samentragenden Bäume bei etwa 25% bzw. bei 50% liegt. Wo bleibt die Jugend? Im Rahmen einer Langzeitstudie in Hessen gelang es mir, eine Siebenschläferpopulation sowohl in einem Vollmastjahr der Buche (1992, über 90% der Buchen WEIDWERK 1/2002 Foto Manfred Danegger THEMA Halten sich Marder in der näheren Umgebung des Hauses auf, besteht kaum Gefahr eines Bilchlärms – doch auch Marder können sehr laut sein . . . fruchteten) als auch in einem Ausfalljahr (1993, unter 20% der Buchen fruchteten) genau zu dokumentieren. Dazu wurden die Tiere gefangen, individuell markiert und sowohl Alter als auch Geschlecht und Gewicht festgehalten, bevor sie wieder freigelassen wurden. Als interessantes Ergebnis zeigte sich, daß im Ausfalljahr 1993 kein einziger junger Siebenschläfer geboren wurde. Parallel zu dem Ausfall der Hauptnahrungsquelle kam es also zu einem Ausbleiben der Fortpflanzung im Untersuchungsgebiet. Funktionsunfähige Hoden Es stellte sich heraus, daß speziell die Männchen einen Einfluß auf die Ausfälle der Fortpflanzung haben. Normalerweise schrumpfen die Hoden – aus Gründen des Energiesparens – während des Winterschlafs sehr stark. Die verbleibenden kleinen Hoden sind nicht funktionsfähig und liegen zurückgezogen in der Bauchhöhle. Sie wachsen erst im nächsten Frühjahr, nach dem Erwachen aus dem Winterschlaf, wieder auf normale Größe. In meiner Studie konnte im gesamten Ausfalljahr 1993 kein Männchen mit voll entwickelten, also funktionsfähigen Hoden gefangen werden. Diese völlig neuen Ergebnisse zeigen, daß die männlichen Siebenschläfer in manchen Jahren anscheinend zu keiner erfolgreichen Paarung befähigt sind. Wie kommt es dazu? Warum sind die Siebenschläfer so abhängig von dem Vorkommen von Bucheckern und Eicheln? Der nächste Winter kommt bestimmt Der Siebenschläfer ist ein Winterschläfer, dies bedeutet, daß er sich für die Dauer von bis zu 8 Monaten in einen lethargieähnlichen Zustand begibt. Die Körpertemperatur fällt auf etwa 5° C ab, die Atmung wird stark verlangsamt und kann sogar minutenlang ganz aussetzen. Der Herzschlag verlangsamt sich von über 300 Schlägen pro Minute im Wachzustand auf etwa 5 Schläge pro Minute im tiefen Winterschlaf. Während der gesamten Dauer des Winterschlafs nehmen die Tiere keine Nahrung zu sich. Allerdings brauchen sie auch in diesem Zustand des extremen Energiesparens Fettreserven, um letztendlich nicht doch noch zu verhungern. Durch fetthaltige Samen, wie z. B. Bucheckern und Eicheln, haben Siebenschläfer im Sommer und Herbst 11 THEMA die Möglichkeit, ihre Fettspeicher ausreichend aufzufüllen. Da die Jungtiere erst im August geboren werden, haben sie, um von einem Geburtsgewicht von etwa 4 g auf ein Winterschlafgewicht von mindestens 80–100 g zu kommen, nur etwa 12 Wochen Zeit. Das bedeutet, daß sie ihr Geburtsgewicht in 12 Wochen mindestens verzwanzigfachen müssen. Daß für diese enorme Gewichtszunahme sehr gutes Futter in ausreichender, ja unbegrenzter Menge zur Verfügung stehen muß, ist völlig klar. Besonders in Vollmastjahren ist dies gewährleistet. Fehlt diese Nahrungsquelle, gibt es also ein Fehlmastjahr von Eiche und Buche, so können die Jungtiere niemals das erforderliche Gewicht zunehmen. Dies würde das sichere Todesurteil für alle in diesem Jahr geborenen Siebenschläfer bedeuten. Eine solche Form der Verschwendung kann und wird in der Natur niemals akzeptiert werden. Spare, dann hast du in der Not Wozu in die Nachzucht investieren, wenn sie ohnehin sterben muß? Sinnvoller wäre es, in einem Fehlmastjahr keine Jungtiere zu zeugen. Verzichten die Männchen auf die Paarung, so ziehen sie daraus auch noch andere Vorteile. Jede Paarungssaison ist mit großem Aufwand verbunden und kostet die Tiere viel Ener- Hilfe, Siebenschläfer! Siebenschläfer gehören zu den geschützten Wildtieren Österreichs. Ein Entfernen der Tiere aus dem Hausoder Hüttenbereich muß daher tierfreundlich gestaltet werden. Der Lebendfang von Siebenschläfern macht wenig Sinn, da mit Sicherheit immer neue Tiere aus dem umliegenden Gebiet wieder in das Haus einwandern werden. Außerdem besteht, besonders im August, die Gefahr, ein Muttertier von ihren Jungen zu trennen, was den sicheren Tod der Jungtiere bedeuten würde. Als einzige dauerhafte Lösung bleibt, alle Einschlupfmöglichkeiten zu verschließen. Da der Siebenschläfer sich durch die engsten Löcher quetschen kann, ist das oft eine sehr mühsame Angelegenheit. Unterstützen sollte man diese Maßnahme, indem man alle Äste von Bäumen, die direkt ans Haus führen, kappt. Als typische Baumbewohner vermeiden es Siebenschläfer, auf dem Boden zu laufen. Durch fehlende Klettermöglichkeiten wird das Haus als Nistplatz für sie deutlich unattraktiver. Befindet sich dann noch eine Katze oder ein Marder auf „Bodenpatrouille“, gibt es gute Chancen für einen ruhigen Schlaf der Hausbesitzer. Foto Helmut Heimpel Eichhörnchenkobel, Baumhöhlen und künstliche Nistkästen werden vom Siebenschläfer gern aufgesucht 12 gie. So muß von den Männchen ein Territorium besetzt und verteidigt und um die Gunst der Weibchen gebuhlt werden. Siebenschläfer verlieren in dieser Zeit bis zu 30% des Körpergewichts. Bei Futtermangel (fehlende Mast der Futterbäume) könnten die Männchen ihre Fettpolster für den nächsten Winterschlaf nicht wieder auffüllen. In unserem Fall bedeutet dies, daß nicht nur die Jungtiere, sondern auch die Alttiere den nächsten Winterschlaf nicht überleben würden. Sparen sie aber in Zeiten der Not, verzichten sie also auf die Fortpflanzung in Mastausfalljahren, haben sie gute Chancen, den Winterschlaf zu überleben und im nächsten Jahr viele Nachkommen zu zeugen. Da auch diese Nachkommen dann gute Überlebenschancen haben, kann sich diese Strategie vererben und in der Population durchsetzen. So werden die zur Verfügung stehenden Ressourcen optimal genutzt, und jeder Form von Verschwendung ist ein Riegel vorgeschoben. Sind Siebenschläfer Hellseher? Woher aber wissen die Männchen zur Paarungszeit, also im Frühsommer, wie die Mast im Herbst ausfallen wird? Hier sind wir an den derzeitigen Grenzen der Forschung angelangt. Es könnte aber auch sein, daß Energiegehalt oder Inhaltsstoffe in den Blüten der Buche oder Eiche bzw. in den jungen Früchten, den sogenannten Milchfrüchten, ein wichtiges Signal für den Siebenschläfer darstellen. Reichliches Vorhandensein von Milchfrüchten z. B. könnte also zur „Vorhersage“ der Nahrungsmenge im folgenden Herbst genutzt werden. Um diese interessanten Zusammenhänge weiter aufzuklären, bleibt noch viel Forschungsarbeit zu leisten. Fütterungsversuche und weitere Langzeitstudien sollen dazu beitragen. Eines können wir aber abschließend sagen: Heuer wird wohl ein schlechtes Jahr für den Siebenschläfer werden, da 2001 besonders in den Tieflagen und östlichen Bundesländern Österreichs ein Vollmastjahr der Buche war. Dank seiner schlauen Überlebensstrategie wird er aber auch diese Situation meistern und hoffentlich auch die nächsten Jahrtausende überdauern. WEIDWERK 1/2002