Thomas Edward Lawrence »Die sieben Säulen der Weisheit« (1926) Thomas Edward Lawrence (1888-1935), bekannt als Lawrence von Arabien, war britischer Offizier, Archäologe, Geheimagent und Schriftsteller. Bekannt wurde Lawrence vor allem durch seine Beteiligung an dem von den Briten forcierten Aufstand der Araber gegen das Osmanische Reich während des Ersten Weltkrieges. Nach dem Beginn des Ersten Weltkrieges und dem Kriegseintritt des Osmanischen Reiches gehörte Lawrence seit Dezember 1914 dem britischen Nachrichtendienst in Kairo an. Im Juni des Jahres 1916 zettelte Scherif Hussein, der Emir von Mekka, mit seinen Söhnen einen Aufstand auf der arabischen Halbinsel gegen den osmanischen Sultan an. Scherif Hussein wurde von den Briten mit Geld und Militärberatern unterstützt. Aufgrund seiner Orts- und Sprachkenntnisse wurde Leutnant Lawrence als Verbindungsmann ausgewählt und an den Ort des Geschehens gesandt. Rasch avancierte er zu einer der Schlüsselfiguren des arabischen Unabhängigkeitskampfes, nicht zuletzt durch einen engen, von gegenseitigem Respekt getragenen Kontakt zu Faisal I., einem der Söhne des Emirs. […] 5 10 15 Der Beduine vermochte nicht Gott in sich zu suchen; er war zu gewiss, dass er in Gott war. Er konnte nicht fassen, dass Gott irgendetwas war oder nicht war. Nur Er allein war groß; dennoch war etwas Heimisches, etwas Alltägliches um diesen Gott der Natur Arabiens. Er war in ihrer Nahrung, ihren Kämpfen, ihren Begierden, war der allerhäufigste ihrer Gedanken, ihr vertrauter Helfer und Gefährte, in gewisser Weise unvorstellbar für jene, denen Gott so kunstvoll verschleiert ist aus Verzweiflung über ihre fleischliche Unwürdigkeit oder durch die Äußerlichkeiten der formalen Verehrung. Die Araber sahen keine Widersinnigkeit darin, Gott mit ihren Schwächen und Gelüsten niedrigster Art in Verbindung zu bringen. Er war das Gebräuchlichste ihrer Wörter; und wir haben in der Tat viel an Beredsamkeit eingebüßt, dass wir Ihn mit dem kürzesten und unschönsten unserer Einsilber benannten. 20 Der Glaube der Wüste scheint unausdenkbar in Worten und ist auch nicht in Gedanken zu fassen. Man unterlag leicht seinem Einfluss; und wer lange genug in der Wüste lebte, um ihrer endlosen Weite und Leere nicht mehr bewusst zu wer25 den, der wurde unweigerlich auf Gott zurückgeErmutigendes Selbstbekenntnis des Autors – worfen als einzige Zuflucht und Rhythmus des ‚Mach doch Weltgeschichte‘ Seins. Der Beduine mochte nominell ein Sunnit 1, 2 ein Wahhabi oder sonst irgendetwas in der semitischen Sphäre sein; aber das hatte für ihn kein Gewicht. Jeder einzelne Nomade hatte seine offenbarte Religion, nicht erfahren oder 30 überliefert oder kund getan, aber instinktiv in sich selbst; und so betonen alle semitischen Glaubenslehren, die zu uns kamen, die Leere der Welt und die Fülle Gottes; und ihre äußere Gestalt erfolgte auch entsprechend den Anlagen und Lebensumständen des Gläubigen. Die Sunniten (bis zum 19. Jahrhundert auch: Sonniten) bilden die größte Glaubensrichtung im Islam. Sie werden als ahl as-sunna (‚Volk der Tradition‘) bezeichnet. Die Bezeichnung Sunniten stammt von dem Wort Sunna (‚die Tradition des Propheten des Islam, Mohammed‘). Sunnitische Muslime werden auch als ahl as-sunna wal-dschamā‘a (‚Volk der Tradition und der Einheit der Muslime‘) bezeichnet, was darauf hinweisen soll, dass die Sunniten vereinigt sind. Sie stellen einen Zweig des Islams dar, der aus dem von Abu Bakr gegründeten Kalifat entstammt. Die Unterschiede zur zweitgrößten Glaubensrichtung, deren Anhänger als Schiiten bezeichnet werden, waren anfänglich nicht theologischer Natur, sondern entsprangen der Frage, wer die Gemeinschaft der Muslime leiten soll. Bei den Sunniten bildete sich das Kalifat heraus, bei den Schiiten das Imamat. 2 Als Wahhabiten – in älteren Berichten auch Wechabiten – werden die Anhänger der Wahhabiya (arabisch al-wahhābiyya), einer konservativen und dogmatischen Richtung des sunnitischen Islams bezeichnet. Die Bewegung gründet auf den Lehren Muhammad ibn Abd alWahhabs (1709-1792). Die Anhänger Ibn Abd al-Wahhabs nehmen für sich in Anspruch, die islamische Lehre authentisch zu vertreten. Der Wahhabismus lehnt den Sufismus (asketische Randgruppe unter den Sunniten) und die islamische Theologie (Ilm al-Kalam) ab. Er wendet sich auch strikt gegen viele Formen des islamischen Volksglaubens, etwa die Verehrung von Heiligen, Wallfahrten zu Gräbern oder die jährliche Feier des Geburtstags des Propheten. 1 T.E. Lawrence · »Die sieben Säulen der Weisheit« Der Wüstenbewohner konnte mit seinem Glauben nicht nach außen wirken. Er ist nie weder Evangelist noch Proselytenmacher 3 gewesen. Er gelangte zu dieser intensiven Konzentrie35 rung seines Ichs in Gott dadurch, indem er die Augen verschloss vor der Welt und vor den vielfältigen in ihm schlummernden Möglichkeiten, die nur durch Berührung mit Reichtum und Lockungen zur Auslösung kommen konnten. Er erlangte einen sicheren Glauben, einen starken Glauben, aber auf wie eng begrenztem Bezirk! Seine Erlebnisarmut beraubte ihn des Mitleids und ließ seine menschliche Güte entarten zu dem Bilde der Wüstenei, in der er sich 40 verbarg. […] Der Wüstenaraber kannte keine Freude, nur die des freiwilligen Entsagens. Er fand Wollust in der Selbstverleugnung, dem Verzicht, der Entäußerung. Er machte die Entblößung seiner Seele zu einer ebenso sinnlichen Angelegenheit wie die Entblößung des Körpers. Dadurch mag er vielleicht, ohne Gefahr zu laufen, seine Seele gerettet haben, dies aber in einer kalten 45 Selbstsucht. Seine Wüste wurde zu einem Eiskeller, in dem für alle Zeiten eine bestimmte Vision von der Alleinheit Gottes unversehrt, aber auch unerprobt aufbewahrt wurde. Dorthin konnten sich die Suchenden aus der Außenwelt für eine Weile zurückziehen und von diesem Losgelöstsein aus sich über die Wesensart der Generation klar werden, die sie bekehren wollten. 50 Der Glaube der Wüste war für die Städter unmöglich. Er war zu fremdartig, zu einfach und wiederum zu wenig fassbar für eine reibungslose Übertragung und den praktischen Gebrauch. Die Idee, der Glaubenskern aller semitischen Religionen, war darin enthalten, aber sie musste verdünnt werden, um für alle fassbar zu werden. Das Pfeifen der Geißel klang zu schrill für manche Ohren; der Geist der Wüste entwich durch unser gröberes Gewebe. Die 55 Propheten kehrten mit ihrem Blick auf Gott aus der Wüste zurück, und durch ihr getrübtes Medium (wie durch ein dunkles Glas) ließen sie etwas sehen von der Majestät und Herrlichkeit, deren volle Schau uns blind, stumm, taub und zu dem gemacht hatte, was der Beduine geworden war, ein Abseitiger, ein Mensch für sich. […] Die Araber konnten von einer Idee wie von einem Strick mitgerissen werden; die fraglose 60 Hingabefähigkeit ihrer Gemüter machte sie zu willfährigen Sklaven. Keiner von ihnen würde sich der Bindung entzogen haben, bis der Erfolg da war und mit ihm Verantwortung, Pflichten, Bürden. Dann war die Idee dahin und das Werk endete – in Trümmern. Ohne einen Glauben konnte man sie bis ans Ende der Welt (nur nicht in den Himmel) führen, wenn man ihnen die Reichtümer dieser Erde und ihre Freuden zeigte. Wenn sie aber auf dem Wege, 65 geleitet in dieser Weise, dem Propheten einer Idee begegneten, der keinen Ort hatte, wo er sein Haupt betten konnte, und leben musste wie die Blumen auf dem Felde oder die Vögel unter dem Himmel, dann waren sie bereit, um seiner Offenbarung willen alle Reichtümer im Stich zu lassen. Sie waren unverbesserliche Kinder der Idee, haltlos und farbenblind, deren Körper und Seele für immer in unvereinbarem Gegensatz standen. […] 70 Der erste große Vorstoß in das Gebiet um das Mittelmeer bewies der Welt die Wucht des Arabers, der in der Entflammung für einen kurzen Zeitraum eine ganz ungewöhnliche Kraft entfalten kann. Sobald aber die Spannung nachließ, offenbarte sich der Mangel an Ausdauer und Gründlichkeit im Charakter der Semiten. Die Provinzen, die sie erobert hatten, ließen sie rein aus Abneigung vor systematischer Arbeit verkommen und waren bei der Verwaltung 75 ihres schlechtgefügten und wenig zusammenhängenden Reiches auf die Hilfe ihrer neuen Untertanen oder tatkräftiger Fremder angewiesen. So konnten schon im frühen Mittelalter die Türken in den arabischen Staaten festen Fuß fassen, zuerst als Diener, dann als Gehilfen und schließlich als übermächtig gewordene Parasiten, die das Leben des alten Reichskörpers 3 Der Ausdruck Proselytismus (griech. προσέρχομαι [prosérchomai] - ‚hinzukommen‘) ist in der Religion bzw. Mission eine negative Bezeichnung für das Abwerben von Gläubigen aus anderen Konfessionen, Kirchen und Glaubensgemeinschaften, die zum Eintritt in die eigene Konfession oder kirchliche Gemeinschaft bewegt werden sollen. Die Proselytenmacherei stellt eine Einflussnahme einer Organisation oder Person auf den Einzelnen dar. 2 T.E. Lawrence · »Die sieben Säulen der Weisheit« erstickten. Zuletzt kam eine Phase des Einreißens, als ein Hulagu 4 oder Timur 5 ihren Blut80 durst stillten und alles niederbrannten und zerstörten, was durch einen Anspruch auf Überlegenheit ihren Zorn reizte. Die arabische Zivilisation war abstrakter Art, mehr moralisch und intellektuell als physisch, und ihr Mangel an Gemeinsinn machte ihre ausgezeichneten individuellen Eigenschaften wertlos. Aber in ihrer Epoche waren sie vom Glück begünstigt: Europa war der Barbarei ver85 fallen, die Erinnerung an griechische und lateinische Bildung schwand aus dem Gedächtnis der Menschen. Aus diesem Gegensatz heraus erschien das Nachahmungstalent der Araber schöpferisch und ihr Staat blühend. Sie erwarben auch wirkliches Verdienst dadurch, dass sie die klassische Vergangenheit für die Zukunft des abendländischen Mittelalters bewahrten. 90 95 100 105 110 Mit dem Auftreten der Türken wurde diese Blütezeit zu einem entschwundenen Traum. Nacheinander gerieten alle Semiten Asiens unter ihr Joch und starben darunter langsam dahin. Ihrer Besitztümer wurden sie beraubt; ihr Geist schrumpfte ein unter dem erstarrenden Hauch eines Militärregiments. Türkische Herrschaft bedeutete Polizeigewalt; die politischen Theorien der Türken waren so roh wie ihre Praxis. Um ihren Widerstand zu brechen, brachten sie den Arabern bei, dass die Interessen einer Sekte höher ständen als die des Vaterlandes und dass die Nebensächlichkeiten der Provinz wichtiger seien als die Nation. Sie säten Uneinigkeit unter sie und brachten sie dahin, einander zu misstrauen. Sogar die arabische Sprache wurde aus Gerichten und Ämtern, aus Verwaltung und höheren Schulen verbannt. Araber konnten nur dem Staate dienen, wenn sie ihre rassische Eigenart aufopferten. Diese Maßnahmen wurden allerdings nicht ruhig hingenommen. Die Beharrlichkeit der Semiten zeigte sich in den zahlreichen Aufständen in Syrien, Mesopotamien und Ägypten gegen die groben Formen der türkischen Durchdringung; und ebenso erhob sich Widerstand gegen ihre hinterhältigen Versuche der Aufsaugung. Die Araber dachten nicht daran, ihre reiche und schmiegsame Sprache gegen das rohe Türkisch einzutauschen; stattdessen durchsetzen sie das Türkische mit arabischen Worten und hielten sich an die Schätze ihrer eigenen Literatur. Zwar verloren sie den Sinn für ihr Land, für ihre völkischen, politischen und historischen Erinnerungen. Aber umso fester hingen sie an ihrer Sprache und machten sie fast zu einem Vaterland für sich. Die oberste Pflicht des Moslems besteht darin, den Koran zu studieren, das heilige Buch des Islam, nebenbei auch das größte arabische Literaturdenkmal. Das Wissen darum, dass diese Religion die seinige und nur er allein imstande war, sie vollkommen zu verstehen und auszuüben, gab jedem Araber einen erhöhten Standort, von dem aus er gelassen auf die kläglichen Kulturleistungen der Türken herabblicken konnte. Dann kam die türkische Revolution, der Fall Abdul Hamids 6 und der Sieg der Jungtürken. Sofort lichtete sich der Horizont für die Araber. Die jungtürkische Bewegung war eine Auflehnung gegen den hierarchischen Aufbau des Islams und gegen die panislamischen Theo115 rien des alten Sultans, der den Anspruch erhoben hatte, als geistlicher Leiter aller Moslemin zugleich ihr alleiniger und absoluter weltlicher Herrscher zu sein. Unter dem Antrieb konstitutioneller Theorien vom souveränen Staat erhoben sich die jungen Politiker und warfen den Sultan ins Gefängnis. Zu einer Zeit also, da Westeuropa gerade anfing, die Nationalität um der Internationale willen aufzugeben und an Kriege dachte, die nichts mehr mit Rassenprob120 lemen zu tun hatten, fing Westasien an, die Katholizität 7 gegen eine nationalistische Politik einzutauschen und von Kriegen zu träumen, die nicht mehr für Glauben und Dogma, sondern für die nationale Selbstständigkeit geführt wurden. Diese Bestrebungen hatten zuerst und am stärksten im Nahen Osten eingesetzt, in den kleinen Balkanstaaten, und hatten sie durch Hülegü (Hülägü) (auch Hulagu; ca. 1217-1265) war ein mongolischer Khan und ein Enkel von Dschingis Khan. Die Feldzüge Hülegüs sind durch die selbst für seine Zeit ungewöhnlich grausame Kriegführung in die Geschichte eingegangen. Die Eroberung Bagdads am 10. Februar 1258 bedeutete das Ende des um 750 begründeten und einst so mächtigen sunnitischen Abbasiden-Kalifats. Bei der Plünderung und Zerstörung der Stadt wurden mindestens 250.000 Einwohner erschlagen und die Bibliothek des »Hauses der Weisheit« in den Tigris geworfen. 5 Timur (eigentlich Temür) ibn Taraghai Barlas (von mitteltürkisch temür [‚Eisen‘]; in der abendländischen Geschichtsschreibung besser bekannt als Tamerlan bzw. Timur Lenk, von persisch Timur-i Lang [‚Timur der Lahme‘]; 1336-1405), zentralasiatischer Eroberer islamischen Glaubens am Ende des 14. Jahrhunderts und Gründer der Timuriden-Dynastie in Persien und Transoxanien. Er vollendete die Islamisierung der in Zentralasien eingewanderten Mongolen, die er an Grausamkeit noch weit übertraf. 6 Abdülhamid II. (1842-1918), von 1876 bis zu seinem Sturz durch einen jungtürkischen Offiziersputsch am 27. April 1909 Sultan des Osmanischen Reiches. 7 Katholizität (von griech. καθολικός [katholikós] - ‚das Ganze betreffend‘, ‚allgemein‘), die: steht in der Kirchenlehre für den Universalitätsanspruch der römisch-katholischen Kirche. Lawrence verwendet den Begriff im Sinne einer weltlich-politischen Universalität. 4 3 T.E. Lawrence · »Die sieben Säulen der Weisheit« ein fast beispielloses Märtyrertum zu ihrem Ziel geführt: die Loslösung von der Türkei. Später hatte es nationalistische Bewegungen in Ägypten, Indien, Persien und schließlich in Konstan125 tinopel gegeben, wo sie von den neuen amerikanischen Erziehungsideen noch unterstützt und verschärft worden waren, Ideen, die, auf den alten Orient losgelassen, als gefährlicher Explosivstoff wirkten. Die amerikanischen Schulen, die nach den Grundsätzen freier Forschung unterrichteten, traten für die Unabhängigkeit der Wissenschaft und unbeschränkte Meinungsäußerung ein. Ohne es zu wollen, lehrten sie die Revolution, denn es war für den 130 Einzelnen in der Türkei unmöglich, zugleich ein moderner Mensch und ein treuer Untertan zu sein, wenn er einem der unterworfenen Völker angehörte – den Griechen, den Arabern, Kurden, Armeniern oder Albanern –, über welche die Türken so lange zu herrschen vermocht hatten. Im Vertrauen auf ihren ersten Erfolg ließen sich die Jungtürken von der Logik der von ihnen 135 vertretenen Prinzipien weitertreiben und predigten als Protest gegen die panislamischen Bestrebungen die allgemeine Verbrüderung der Osmanen. Die unterworfenen Völker, weit zahlreicher als die Türken selbst, glaubten nur allzu gern, dass man sie zur Mitarbeit am Bau des neuen Ostens aufgerufen habe. Erfüllt von den Lehren Herbert Spencers 8 und Alexander Hamiltons 9, stellten sie eiligst ein Programm sehr weitgreifender Reformen auf und begrüß140 ten die Türken als ihre Gesinnungsgenossen. Erschrocken über die Kräfte, die sie entfesselt hatten, erstickten die Türken das Feuer so schnell, wie sie es geschürt hatten. Die Türkei den Türken – Yeni Turan – wurde ihre Parole. Späterhin richtete sich diese Politik naturgemäß auf die Befreiung ihrer Irredenta 10 – die von Russland unterworfenen Turkvölker in Zentralasien. Aber zuvor mussten sie ihr eigenes Reich von den störenden fremden Volkselementen säu145 bern, die sich der Türkisierung widersetzten. Die Araber, als der stärkste fremde Volksteil in der Türkei, mussten dabei zuerst an die Reihe kommen. So wurden die arabischen Abgeordneten fortgejagt, die arabischen Bünde verboten, die arabischen Notabeln geächtet. Arabische Kundgebungen und die arabische Sprache wurden von Enver-Pascha 11 noch rücksichtsloser unterdrückt als früher von Abdul Hamid. 150 Doch die Araber hatten einen Vorgeschmack der Freiheit bekommen … In: T.E. Lawrence , Die sieben Säulen der Weisheit, München 1988, S. 16ff. »Die sieben Säulen der Weisheit« (englischer Originaltitel: »Seven Pillars of Wisdom«) ist der Titel des 1926 erschienenen autobiografischen Kriegsberichts von Lawrence. In seinem Werk beschreibt er den von ihm organisierten arabischen Aufstand gegen das Osmanische Reich in den Jahren 1917/1918. Im Wadi Rum (od. Ram), östlich von Akaba, in der jordanischen Wüste, befindet sich eine zerklüftete Felsformation, benannt die »Sieben Säulen der Weisheit«, die Lawrence zur Titelgebung seines Werkes inspirierte. Zudem heißt es in den Sprüchen Salomos an einer Stelle (Spr 9,1): »Die Weisheit hat ihr Haus gebaut, ihre sieben Säulen behauen.« Islamisches Glaubensbekenntnis (Schahada) – arabische Kalligrafie: Lā ilāha illā ’llāh(u) Muhammadun rasūlu ’llāh(i) · »Es gibt keinen Gott außer Gott, und Mohammed ist sein Prophet« 8 Herbert Spencer (1820-1903), englischer Philosoph und Soziologe. Als erster wandte er die Evolutionstheorie (hier: das Konzept des »survival of the fittest«) auf die gesellschaftliche Entwicklung an und begründete damit das Paradigma des Evolutionismus, das von manchen als Vorläufer des Sozialdarwinismus angesehen wird. 9 Alexander Hamilton (1757-1804) war einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten; er gilt als Begründer des Amerikanischen Systems der Politischen Ökonomie. Er nutzte diese Bezeichnung erstmals 1791 in einem Dokument (»A Report on the Subject of Manufactures«) an den Kongress. Es geht von einer Gemeinwohlverpflichtung für alle Beteiligten einer Volkswirtschaft aus, wie sie in der amerikanischen Verfassung festgeschrieben ist. In diesem System schafft der Staat Bedingungen, unter denen Produktionsbetriebe sich – zum Wohl der Unternehmen, der Beschäftigten und des Gemeinwesens – weiterentwickeln können. 10 Irredentismus, der: Bezeichnung einer Ideologie, die auf die Zusammenführung möglichst aller Vertreter einer bestimmten Ethnie in einem Staat mit festen Territorialgrenzen hinzielt. Im Besonderen ist damit oft der italienische Irredentismus gemeint. Das beanspruchte Gebiet im Ausland wird (die) »Irredenta« genannt. Das Wort Irredentismus kommt vom italienischen Begriff terre irredente (»unerlöste Gebiete«), womit »Volksteile« gemeint sind, die Anschluss an ihr Mutterland (= »muttersprachliches Land«) suchen, bzw. die Nation, die ihr Gebiet überall dorthin ausdehnen will, wo Volksangehörige von ihr leben. 11 İsmail Enver (bekannt als Enver Paşa [Pascha], (1881-1922), Politiker, Generalleutnant und Kriegsminister des Osmanischen Reichs und einer der führenden Jungtürken. 4