Lateinamerika Verein e.V. Wirtschaftsvereinigung für Lateinamerika Länderbericht Chile Die Wirtschaft in Chile kann sich dem Trend der Region Südamerika nicht widersetzen und entwickelt sich im Moment nur schwach. Mit den Kommunalwahlen steht im Oktober ein erstes Zwischenfazit für die Regierung Bachelet an, gleichzeitig sind sie ein erster Ausblick auf die Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr. Politische Reformen und die Diversifizierung der Wirtschaft sind und bleiben die Themen in diesem sowie im kommenden Jahr. Der politische Betrieb in Chile geht den im Oktober anstehenden Kommunalwahlen entgegen. Diese sind eine erste Probe für die im kommenden Jahr anstehenden Präsidentschaftswahlen, bei denen der Nachfolger von Michelle Bachelet ermittelt wird. Bachelet, deren Unterstützung im Laufe ihrer Amtszeit kontinuierlich abgenommen hat, kann, gemäß chilenischem Wahlrecht, nicht direkt wiedergewählt werden. Ab diesem Jahr gilt zudem in Chile ein neues Wahlrecht, dessen Ziel es ist, kleineren Parteien mehr Chancen auf eine Regierungsbeteiligung einzuräumen und die Macht der großen politischen Bündnisse etwas einzuschränken. Dementsprechend tritt bei dieser Wahl eine beispiellos hohe Zahl von Parteien an. Die politische Diskussion im Land wurde in den letzten Wochen vor allem auch von den Protesten gegen das noch aus der PinochetZeit stammende Rentensystem bestimmt. Das privatwirtschaftlich organisierte Vorsorgeprogramm verpflichtet die Bürger zum Abschluss einer Versicherung zu zum Teil ungünstigen Konditionen. Es geriet in die Kritik, nachdem die weit überdurchschnittlichen Rentenzahlungen an die Frau des Parlamentspräsidenten Osvaldo Raúl Andrade Lara bekannt wurden. 12. August 2016 Dieses Thema wird aller Voraussicht nach auch den Präsidentschaftswahlkampf prägen. In Vorbereitung seiner erneuten Kandidatur, hat sich der vormalige Präsident Sebastián Piñera bereits mit einem Reformvorschlag dazu positioniert. Nach wie vor kontrovers ist auch die Reform des Steuersystems, die von Bachelet beschlossen wurde. Im Zentrum der Gesetzesänderung stehen eine stärkere Besteuerung von Unternehmenserträgen und sinkende Einkommenssteuersätze. Bedeutsam ist der Wegfall des „Fondo de Utilidades Triburarias“ (FUT), welcher es Unternehmen bislang ermöglichte, ihre Erträge unversteuert als Eigenkapital zu verwenden. Die Folge waren weitreichende Spielräume zur Steueroptimierung vor allem für große Konzerne. Ziel der Reform ist es in erster Linie, durch die erwarteten höheren Einnahmen die Kosten für die reformierte Bildungspolitik zu decken, die in Chile wieder kostenlose Angebote an universitärer Bildung etablieren möchte. Aber auch hinsichtlich dieser Bildungspolitik, die für die amtierende Regierung von zentraler Bedeutung war, ist noch kein Ende der Diskussion in Sicht. Begleitet von zahlreichen -1- und zum Teil recht gewaltsamen Studentenprotesten ist dieses Thema nun schon seit Jahren ein Kristallisationspunkt der gesamten Politik und in den Augen vieler Chilenen auch mit den jetzt beschlossenen Reformen noch nicht endgültig abgeschlossen. Zu groß erscheinen immer noch die Hürden für sozial schwache Bewerber, ein Hochschulstudium aufzunehmen. Das Projekt der Steuerreform und in gleichem Maße auch die Regierung, selbst haben in den letzten Jahren entschieden an Zustimmung verloren. Waren zur Zeit der Verabschiedung Mitte 2014 noch 38% der Bevölkerung einverstanden, sank diese Zahl bis zur letzten Umfrage am 5. August auf 20%. Die Zustimmungswerte zur Regierung liegen mittlerweile unter 20%. Trotz dieser schlechten Umfragewerte ist Bachelet mit ihrer Mehrheit in beiden Kammern der Legislative handlungsfähig. Die entscheidende Frage ist, wie sich die Regierungskoalition der Nueva Mayoria angesichts der Umfragen für die kommenden Wahlen positioniert. Denn sie hat es nicht geschafft, einen konsensfähigen Kurs einzuschlagen und die stark polarisierten Interessen in der chilenischen Wählerschaft zusammenzuführen. Die Präsidentschaftswahl im nächsten Jahr ist aktuell absolut offen. Das Feld der möglichen Kandidaten ist sehr breit und erst mit der Wahl am 30. Oktober wird sich das Land langsam auf die Präsidentschaftswahlen einstellen. Die nächsten Etappen sind dann die Vorwahlen der einzelnen Parteien am 2. Juli 2017 für die am 19. November anstehenden Wahlen zu Präsidentschaft, Senat und Abgeordnetenkammer. Im Inland ist die Stimmung unter den Verbrauchern schlecht, was sich auch im schwachen Konsumverhalten niederschlägt. Umfragen der CADEM zufolge schätzen 90% der Befragten die Wirtschaftsentwicklung als 12. August 2016 neutral oder schlecht ein. Die zukünftige Situation der privaten Haushalte bewerteten 54% als negativ. Einzig positiv nimmt sich die Entwicklung des Arbeitsmarktes aus, die sich relativ stabil zeigt. Die chilenische Wirtschaft zeigt eine schwache Entwicklung und schafft es nicht, sich vom generellen Trend der Region zu lösen. Überdurchschnittlich ist die Entwicklung jedoch im südamerikanischen Vergleich. Während die anderen Volkswirtschaften eine durchschnittliche Rezession von 1,7% erfuhren, wuchs Chile um 2,1%. Für 2016 wird ein nur kleines Wachstum von 1,7% erwartet. Nach wie vor werden die Wachstumswerte von 2011 immer noch deutlich unterschritten, die damals um die 5% lagen. Dabei wirken viele Entwicklungen zusammen. In vielen wichtigen Absatzmärkten, vor allem in der unmittelbaren Nachbarschaft, ist die Nachfrage zurückgegangen. So haben sowohl Argentinien wie auch Brasilien große Probleme mit ihrer Binnennachfrage. Aber auch China, als größter Handelspartner Südamerikas, hatte in den vergangenen Jahren seine Nachfrage stark eingeschränkt. Wenn auch die langfristige Wirtschaftsentwicklung dort von vielen Experten mittlerweile wieder positiv eingeschätzt wird, bereiten die fallenden Importe des Landes Sorgen. Die niedrigen Rohstoffpreise haben einen gemischten Effekt auf die chilenische Wirtschaft. Einerseits leidet das Land unter den geringen Abnahmepreisen für seine Exporte, im Gegensatz zu vielen anderen Staaten Südamerikas profitiert es jedoch von den günstigen Ölpreisen. Mit Blick auf die Außenhandelsbilanz zeigten sich diese Entwicklungen 2015 in einem minimalen Überschuss von 0,3%. Nachdem die ausländischen Direktinvestitionen in 2015 um 8% eingebrochen waren, hat sich die Regierung jetzt zum Ziel gesetzt, diese -2- generell zu fördern. Vor allem aufgrund der unsicheren Situation in Brasilien und Argentinien kann Chile mit einer relativ politischen Stabilität und einer guten Infrastruktur auf Vorteile diesbezüglich hoffen. 2016 betrug dieser zentrale Indikator der wirtschaftlichen Situation nur noch -1% und könnte im kommenden Jahr wieder in den positiven Bereich rutschen. Viele der derzeitigen Probleme weisen auf die prinzipielle Unzulänglichkeit des Wirtschaftssektors hin, der hauptsächlich von der Exportwirtschaft bestimmt wird. Die Regierung versucht eine Diversifizierung anzustoßen und verweist auf bereits bestehende Erfolge in der Forstwirtschaft und im Dienstleistungssektor; es gibt jedoch noch ein großes Änderungspotential. Nicht zuletzt bieten die LithiumVorkommen im Norden des Landes enorme Möglichkeiten, die bisher ungenutzt blieben. te einer durch den Brexit geschwächten Weltwirtschaft sind insofern langfristig relevant. Politisch wie ökonomisch zeigt sich ein gemischtes Bild. Auf der einen Seite ist Chile immer noch eine der stabilsten und erfolgreichsten Volkswirtschaften Lateinamerikas, auf der anderen Seite zeigen auch hier die Entwicklungen, die den gesamten Kontinent belasten, ihre Wirkungen. Die langfristige Perspektive ist trotzdem positiv. Für 2017 prognostiziert die OECD bereits wieder ein Wachstum von 2,5%, eine sich aufhellende Lage der Weltwirtschaft und eine steigende Zuversicht der Verbraucher. Die neue Regierung könnte also 2018 ein Land übernehmen, das sich wieder auf einem stabilen Wachstumskurs befindet, wenn es seine Hausaufgaben macht und die nötigen Reformen durchführt sowie den wirtschaftlichen Diversifizierungskurs einhält. Die in Europa und Nordamerika mit Sorge verfolgte Entwicklung nach dem Brexit, wird als vergleichsweise folgenlos für Südamerika bewertet. Chile fügt sich in diese Analyse nicht komplett ein, da es die weitreichendsten Verbindungen zur europäischen Wirtschaft hat. Doch wird das Land nur in geringem Maße betroffen sein. Die Ambitionen der neuen britischen Regierung, auch außerhalb Europas Handelsabkommen abzuschließen, könnten bald auch die Verbindungen hier wieder normalisieren. Lediglich die sekundären Effek- Ulrike Göldner Regional Manager Chile, Peru, Ecuador, Bolivien [email protected] Recherche und Mitarbeit: Johann Krümmel 12. August 2016 -3-