hans herkommer - Baukultur Rheinland

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MODERNE
ARCHITEKTUR
EXEMPLARISCH
HANS
HERKOMMER
(1887-1956)
KATALOG
ZUR
AUSSTELLUNG
IN DER ARCHITEKTURGALERIE
KAISERSLAUTERN
Herausgegeben von:
Matthias Schirren
Unter Mitarbeit von:
Sara Brück
und
Ulrike Weber
Modellfotografien von:
Bernhard Friese
Vorwort
Ausstellung und Katalog resümieren die Beschäftigung mit dem Stuttgarter Achitekten Hans
Herkommer (1887-1957) im Rahmen eines Stegreifs und eines Geschichts- und Theorieseminars am Studiengang Architektur der Technischen Universität Kaiserslautern im Wintersemester 2009/2010. Anlass, sich mit Herkommer zu beschäftigen, war die sogenannte Villa Glaeser
am Ostrand Kaiserslauterns. Ziel des Seminares war, die spezifische Modernität der Bauten Herkommers begreifbar zu machen, ihr auf die Spur zu kommen. Wir fokussieren in der
Ausstellung auf neun in den 1920er Jahren entstandene Bauten und einen unausgeführten
Wettbewerbsentwurf. Insgesamt umfasst Herkommers architektonisches Werk, das zwischen
1909 und 1956 entstand, weit über hundert Projekte, unter denen zahlreiche Kirchenbauten
hervorstechen.
Einige der Studierenden haben neben den im Stegreif gefertigten Modellen auch Katalogtexte verfasst. Die drei Aspekte, unter denen wir die Bauten Herkommers in den Blick nahmen
waren Material, Konstruktion und städtebauliche Einbindung. Sie alle übergreift die Frage
nach der Modernität seiner Bauten. Sie ist nur exemplarisch, also in der Betrachtung des
jeweiligen Einzelfalls zu beantworten. Darauf bezieht sich der Titel der Ausstellung. Auf der internationalen Hans-Herkommer-Tagung am 28. und 29. Oktober 2010 im Architekturgebäude
der TU werden wir dieser Frage vertieft und unterstützt durch auswärtige Referenten nachgehen. Wer sich für die weitere Entwicklung unseres Herkommer-Projektes interessiert, kann
sich unter dem Link unseres Lehrgebiets www.gta-kl.de informieren.
Den Studierenden, die sich für das Projekt begeistern ließen und zusätzlich zu ihren Referaten aufwändige Modelle bauten, gilt mein erster Dank, meinem Kollegen Johannes Modersohn, der das Projekt zu seinem eigenen machte und zusammen mit seinen wissenschaftlichen Mitarbeitern Denis Andernach und Nicolas Bahnemann den Modellbau betreute, ein
mindestens ebenso erstrangiger.
Erwähnt werden müssen die Mitarbeiter der Modellbauwerkstatt, für die hier stellvertretend
Andreas Stengele genannt sei. Die Modelle unvergleichlich in Szene setzen die Bilder des
Pforzheimer Fotografen Bernhard Friese, der in sie mehr Aufwand steckte, als wir honorieren
können.
Eine Hauptlast von Ausstellung und Katalog schulterten die Mitarbeiter meines eigenen
Lehrgebiets, allen voran Sara Brück und Ulrike Weber, die auch die Übungen zu dem Theorieseminar betreuten. Florian Budke und Eva-Maria Ciesla brachten ihre Fähigkeiten in das
Layout von Katalog und Ausstellung ein. Immer verlässlich und zuvorkommend war die Mitarbeit von Kurt Mautschke und Ingrid Romani, von den studentischen Hilfskräften seien insbesondere Silvia Köllner und Willem Balk namentlich erwähnt.
Ohne unterstützungsfreudige Geldgeber wäre ein Projekt wie dieses nicht zu realisieren.
Der Hauptbeitrag kam vom Ministerium für Finanzen des Landes Rheinland-Pfalz, Dialog
Baukultur, Herr Dr. Sommer. Erwähnt sei auch der Landesschwerpunkt Region und Stadt der
TU Kaiserslautern, dem ich die Ehre habe anzugehören und für den hier stellvertretend die
Sprecher Frau Kollegin Troeger-Weiss und Herr Kollege Steinebach genannt werden. Wenn
ich an dieser Stelle auch den Studiengang Architektur selbst erwähne, so deshalb, weil es keine Selbstverständlichkeit ist, dass man an einer universitären Einrichtung die Möglichkeit hat,
eine Architekturgalerie zu bespielen. Peter Spitzley, dem stellvertretenden Geschäftsführer
unseres Fachbereichs, gebührt der Dank dafür.
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Die Architektenkammer Rheinlandpfalz hat uns mit einem Druckkostenzuschuss unterstützt.
Im Impressum sind die weiteren Geldgeber aufgeführt.
Wir nennen ihre Namen hier nicht noch einmal, sondern nutzen den Raum, um zu betonen,
dass von allen, die da stehen, unser Projekt im Rahmen ihrer jeweiligen Möglichkeiten auf
die zuvorkommendste Weise gefördert wurde. Bei einigen von ihnen hat Dr. Elke Sohn, Saarbrücken, dazu beigetragen, ihr Interesse zu wecken. Dafür sei auch ihr an dieser Stelle sehr
herzlich gedankt.
Der letzte Dank dieses Vorworts geht an Archive und Ämter, ohne deren Hilfe historische
Aufarbeitung der Grundlagen entbehrten: das Südwestdeutsche Archiv für Architektur und Ingenieurbau (SAAI) des Karlsruher Instituts für Technologie, namentlich Dr. Gerhard Kabierske
und Dr. Ulrich Schumann haben uns in das vorbildlich aufgearbeitete Archiv Hans Herkommers eingeführt und unsere Fragen zu Herkommer geduldig und inspirierend beantwortet.
Das Referat für Stadtentwicklung, untere Denkmalschutzbehörde, der Stadt Kaiserslautern,
Frau Sabine Aumann und namentlich Herr Martin Klemenz, haben unsere Recherchen zur
Villa Glaeser im Bauarchiv vor Ort aufs freundlichste unterstützt.
Kaiserslautern im Oktober 2010
Matthias Schirren
VORWORT
ESSAYS
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Abb. 1: Hans Herkommer: Villa Glaeser in Kaiserslautern, Ansicht von Westen (1928)
Abb. 2: Hans Herkommer: Villa Glaeser in Kaiserslautern, Ansicht von Nordwesten (1928)
EINFÜHRUNG
Daseinsform und Wirkungsform.
Das Exemplarische der „Villa Glaeser“ in Kaiserslautern.
Matthias Schirren
An der Grenze seines östlichen Weichbildes, dort wo die alte, in ihrem ersten Ausbau auf Napoleon zurückgehende Überlandstraße nach Mainz den Abzweig nach Enkenbach-Alsenborn
entlässt, besitzt die Stadt Kaiserslautern ein einzigartiges bauliches Ensemble. Eingebettet
in die Eselsfürth, einen bachlaufdurchzogenen, etwas sumpfigen Talgrund, wie er für den
hier sich von Süden heranschiebenden Pfälzerwald typisch ist, erhebt sich die hellverputzte
Kubatur eines dreigegliederten Bauwerks, das sich der kunstsinnige Emaille-Fabrikant Max
Glaeser 1927/1928 von dem Stuttgarter Architekten Hans Herkommer (1887-1956) errichten
ließ. Bis in die fünfziger Jahre ist der Bau von der Familie Glaeser selbst bewohnt worden.
Seit die letzten Mieter des immer noch in Familienbesitz befindlichen Gebäudes vor einigen
Jahren ausgezogen sind und Kupferdiebe zu Zeiten der Buntmetallhausse an den internationalen Märkten die grün schimmernde Dachdeckung stahlen, ist das unter Denkmalschutz
stehende Gebäude allerdings dem zunehmenden Verfall preisgegeben und bedarf schon deshalb erhöhter Aufmerksamkeit. Das war der erste Anlass, sich mit dem Gebäude und seinem
Architekten zu befassen.
Der zweite ergab sich aus der näheren Kenntnis des Bauwerks, gehört es doch zu den wenigen weitgehend original erhaltenen Gebäuden der sogenannten Klassischen Moderne der
1920er Jahre in der Pfalz. Selbst sein Außenputz stammt noch aus der Erbauungszeit.
Avantgarde und Tradition
Das Bild der Klassischen Moderne hat sich allerdings in den letzten Jahrzehnten grundlegend
gewandelt. Keineswegs sind es nur noch die Heroen des Bauhauses sowie die in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung von 1927 vertretenen Architekten und Positionen, die es prägen. Mit
der differenzierteren Aufarbeitung der Geschichte der Moderne im 20. Jahrhundert, die sich
in Deutschland publikumswirksam vor allem an die beiden Architekturmuseen in Frankfurt und
München knüpft, respektive einschlägige Berliner Institutionen, sind auch „konservativere“
Architekten in das Blickfeld der Geschichtsschreibung getreten. Die von dem Münchner Theodor Fischer während seiner Stuttgarter Professur (1901-1909) begründete Schule, nimmt hier
eine besondere Rolle ein. Obwohl berühmt gewordene spätere Avantgardisten der 1920er
Jahre zu den Schülern von Fischer gehörten, wie beispielsweise Ernst May, Bruno Taut und
Hugo Häring, wurde das Bild der sogenannten „Stuttgarter Schule“, die sich auf Theodor
Fischer zurückführte, vor allem von Architekten wie Paul Schmitthenner und Paul Bonatz geprägt, auch von Martin Elsässer. Schmitthenner und Elsässer und demnächst auch Paul Bonatz wurden und werden umfangreiche Werkschauen ausgerichtet, die die Modernität ihres
Bauens und Denkens trotz ihrer Ablehnung einiger Radikalpositionen der Avantgardisten der
1920er Jahren nicht in Frage stellen. Auch die lange Zeit im Vordergrund stehende persönliche Kompromittierung einiger dieser Architekten durch ihre mehr oder weniger offene, entweder nur angestrebte oder, wie im Falle Schmitthenner, offen propagierte Zusammenarbeit
mit den Nationalsozialisten vor und während des Dritten Reiches hat daran nichts geändert.
Sie wird als Gegenargument durch den Hinweis auf die Kompromittierung von Avantgardisten
á la Ludwig Mies van der Rohe entkräftet, der vor seiner Emigration in den dreißiger Jahren
durchaus bereit war, sich den Nationalsozialisten als Architekt zur Verfügung zu stellen.
Hans Herkommer war ein Schüler eben jener oben erwähnten Stuttgarter Schule. Zu seinen
wichtigen Lehrern gehörten der derzeit mit seinem Stuttgarter Bahnhof (vgl. Abb. 4) über die
Fachöffentlichkeit hinaus bekannt gewordene Paul Bonatz und der vor allem als evangeli10
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scher Kirchenbauer reüssierte Martin Elsässer. Mit der Frankfurter Großmarkthalle (vgl. Abb.
3) ist auch Elsässer übrigens Architekt eines Bauwerks, das durch seine Umnutzung – es wird
bekanntlich zu einer Art Vorhalle des Hochhauses für die Europäische Zentralbank – in die
Schlagzeilen der letzten Monate geriet. Die Entkernung und Befreiung von maßstäblichen,
seine Großform in die städtebauliche Umgebung einbindenden Anbauten warf ganz ähnliche
Fragen auf, wie sie beim geplanten (und inzwischen teilrealisierten) Abriss der Flügelbauten
des Stuttgarter Hauptbahnhofs diskutiert wurden und werden.
Hans Herkommers Bauten, insbesondere auch die katholischen Kirchenbauten, die sein
gesamtes Oeuvre vom Beginn seiner Bautätigkeit in den 1910er Jahren bis hin zu den 1950er
Jahren durchziehen, changieren auf eine geradezu programmatisch anmutende Weise zwischen Moderne und Tradition. Für die Beschäftigung im Rahmen eines Studienprojektes mit
Architekten in der Ausbildung bieten sie sich besonders an, denn Themen wie die Bedeutung
der Konvention, die typologische Zuordnung eines Bauwerks, die Frage des Umgangs mit
Typologien überhaupt, lassen sich an ihnen besonders gut diskutieren. Ihr Architekt leugnete
die Tradition nicht einfach (kein guter Architekt tut oder tat das je wirklich) vielmehr strebte er
ein vermittelndes Verhältnis zu ihr an.
Auch das Haus Glaeser, entstanden auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen um das
Neue Bauen der 1920er Jahre, kann in diesem Sinne als changierend bezeichnet werden.
Klassifizierend ist ihm ohnehin schwer beizukommen. Das beginnt schon bei seiner Benennung. Ist es eine „Villa“, wie der Bau vom Volksmund, wohl lediglich in Anspielung auf den
wohlhabenden Bauherrn getauft wurde, der seine Fabrik gleich auf der gegenüberliegenden
Straßenseite hatte. Oder ist es ein „Landhaus“, wie es Hermann Graf nannte, der damalige
Direktor des Pfälzischen Gewerbemuseums und entscheidende Publizist für die Durchsetzung der Moderne in der Pfalz. Er veröffentlichte den Bau noch im Jahr seiner Fertigstellung
in einem der ersten Hefte der von ihm initiierten Zeitschrift Hand und Maschine, die er besser
Die Neue Pfalz genannt hätte, war sie doch für die pfälzischen Verhältnisse in etwa das, was
für die Metropole Frankfurt am Main ein Blatt wie das von Josef Gantner redigierte Neue
Frankfurt war, und für die damalige Reichshauptstadt Adolf Behnes Neues Berlin.
In jedem Fall ist das, was wir heute von dem ursprünglich geplanten Gesamtensemble des
Landhauses wahrnehmen (wir bleiben bei dem durch die zeitgenössische Verwendung hinreichend legitimierten Begriff) ein Fragment. Nicht nur weil die Auflösung der Kunstsammlung
des Herrn Kommerzienrat nach dem Zweiten Weltkrieg den Bau seines wichtigsten Inhaltes
beraubt hat, sondern vor allem auch, weil die von Glaeser prospektiv gefeierten Außenanlagen vermutlich nie realisiert wurden.
Daseinsform und Wirkungsform
Wie steht es mit der formalen Bewältigung der architektonischen Aufgabe? Auf den ersten
Blick sichtbar trägt der Bau in der freien Ausponderierung seiner ineinander verschränkten
Kuben, den zwar leicht geneigten, aber vom Betrachter als flach wahrgenommenen Dächern,
vor allem aber in den liegenden, mitunter sogar um die Ecke gezogenen horizontal geteilten Fenstern Züge jener Klassischen Moderne der 1920er Jahre, die man gemeinhin mit
dem Bauhaus verbindet. Vergleicht man den Kaiserslauterer Bau allerdings mit den Dessauer
Meisterhäusern (errichtet 1925/1926) des Bauhausdirektors Walter Gropius, so werden die
Unterschiede offenbar. Wo Gropius’ als Stahlkonstruktion errichtete Bauten leicht und wie
versetzbar wirken – eine Entsprechung zu seiner seit 1922 verfolgten Idee eines „Baukastens
im Großen“ (vgl. Abb. 5), in dem sich die Kuben eines Hauskörpers durchdringen sollten
wie in neoplastizistischen Kunstwerken – begegnet der als eine Mischkonstruktion aus Beton
und traditionellem Mauerwerk errichtete Bau Herkommers dem Betrachter vergleichsweise
schwer und lastend. Das gilt vor allem für die Hauptfassade des Bauwerks (schon daß es eine
EINFÜHRUNG
solche gibt, ist bemerkenswert), die sich blickparallel zur Mainzer Straße strikt nach Westen
ausrichtet (vgl. Abb. 1). Sie ist betont durch eine Gruppe von fünf Rundbogenöffnungen, die
als Türen einen Balkon im ersten Stock des Gebäudes erschließen und sich ebenso wie die
symmetrisch dreigliedrige Wandöffnung darunter effektvoll von den ansonsten feierlich geschlossenen Wandflächen des Gebäudemitteltraktes abheben.
Suchte man nach einer entsprechenden Fassadenaufteilung in der zeitgenössischen Architektur, man fände sie nicht bei den Avantgardisten im Sinne von Bauhaus und Weißenhofsiedlung. Vielmehr findet man sie im Lager der Weissenhofgegner, etwa im Werk von Paul
Schmitthenner, der der „Um 1800“- Bewegung der Jahrhundertwende treu geblieben war, und
der, wie der etwas jüngere Paul Bonatz ebenfalls, den Monumentalstil der Moderne vor dem
Ersten Weltkrieg auch während der Weimarer Republik weiterpflegte. Die Gartenfassade von
Bonatz’ eigenem Wohnhaus, das er 1922 am Bismarckturm in Stuttgart errichtet hatte (vgl.
Abb. 7), spielt – bei stärkerer Durchfensterung des Erdgeschosses – mit einem ähnlichen
Effekt wie die West- und Gartenfassade des Landhauses Glaeser (vgl. Abb. 8). Er bannt den
Betrachter auf eine Frontalansicht und vermeidet alle dynamischen Formelemente, die ihn
auffordern könnten, um das Gebäude herum zu gehen.
Bei der Villa Glaeser ist die Westfassade zweifellos ganz in diesem Sinne auf eine Fernsicht
hin berechnet. Sie entspricht einer Forderung für die augengerechte Formausbildung eines
Gegenstandes, sei er nun eine Plastik oder ein Haus, wie sie der unter den Fischerschülern
und auch von Fischer selbst immer wieder berufene Münchener Bildhauer Adolf von Hildebrand bereits 1890 in seiner Schrift Das Problem der Form in den bildenden Künsten aufgestellt hatte. Zu den oben erwähnten nicht realisierten Außenanlagen der Villa Glaeser gehörte
ein langgezogenes rechteckiges Wasserbecken (vgl. Abb. 9). Es ist nicht nur auf den westlich
gelegenen, älteren Wohnsitz des Bauherrn orientiert, sondern seine Funktion besteht auch
darin, die Westfassade des Landhauses für alle diejenigen im Sinne der Hildebrandschen
Fernsicht zu monumentalisieren, die sich dem Bau auf der leicht ausschwingenden Mainzer
Landstraße von Kaiserslautern her näherten.
Die so zu gestaltende Fernsicht eines Gegenstandes nannte Hildebrand dessen „Daseinsform“, während er dessen dynamisierte Nahsicht als „Wirkungsform“ apostrophierte. Ihr
begegnet man, wenn man sich dem Gebäude auf der birkenbestandenen Zufahrt von der
Nordseite her nähert. Die Zufahrt ist leicht gebogen und dreht damit das Gebäude für den
Herankommenden leicht aus der Achse, sodass nun die dynamische Staffelung des Baukörpers deutlich wird (vgl. die Ansicht auf Abb. 2): von dem zurückversetzten eher vertikal
betonten Servicetrakt mit Dienstboteneingang und schlitzartiger Treppenhausbelichtung über
den lagernden Mitteltrakt mit den aus dieser Perspektive nur in der Verkürzung sichtbaren,
vertikal betonten Rundbogenmotiv bis hin zu dem niedrigeren, weit vorspringenden und damit
gewissermaßen in den Garten auslaufenden Anbau auf der Südseite der Terrasse, der das
Arbeitszimmer des Hausherrn enthielt. Seine horizontal geteilten Vertikalschiebefenster - es
sind solche, wie sie der amerikanische Architekt Frank Lloyd Wright für den besseren Ausblick
aus seinen Präriehäusern um die Jahrhundertwende erfunden hatte und wie sie spätestens
seit der großen Wasmuthpublikation seiner Bauten im Jahr 1911 den deutschen Architekten
bekannt waren - korrespondieren mit der dynamisierenden Wirkung der um die Ecke gezogenen Fenster am Servicetrakt.
Herkommer hat den Baukörper mit den auf den ersten Blick widersprüchlichen Formelementen von liegenden Fenstern einerseits und vertikal betonten andererseits geradezu modelliert
und schon dieses sehr individuelle und doch aus einer architekturtheoretischen Diskussion
der Zeit heraus entwickelte Verfahren macht die „Villa“ Glaeser zu einem einzigartigen Gebilde.
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Weg und Platz, Licht und Raum
Präsentiert sich so das Äußere des Bauwerks als vom Ausgleich polar aufeinander bezogener
Gestaltungsmöglichkeiten geprägt, so ist das Innere nicht weniger komplex organisiert. Man
könnte es mit dem berühmten Aufsatztitel des Wiener Architekten Josef Frank von 1931 als
„Haus als Weg und Platz“ bezeichnen. Frank hatte dabei die englischen Landhäuser und
den von Adolf Loos aus ihren Prinzipien entwickelten Raumplan vor Augen, der das Stockwerksdenken in der Architektur überwinden sollte. Deren Hauptmerkmale, eine zentrale Halle,
gegeneinander verspringende Raumhöhen und frei sich entwickelnde Treppen, hat das Landhaus Glaeser zwar nur ansatzweise zu bieten, eine in der Intention des Architekten liegende
Rhythmik von gerichtetem Raum (Weg) und tendenziell ungerichtetem, zum Verweilen einladendem (Platz), ist aber auch in seiner Anordnung der Raumabfolge spürbar.
Und in der Lenkung des Blicks: Mehrfach kommt Hermann Graf in seiner oben erwähnten
Besprechung auf die Ausblicke zu sprechen, nach denen der Bau konzipiert sei. Eines der
beiden langgezogenen Vertikalschiebefenster auf der Ostseite des Bauwerks, die über eine
Wiese hinweg auf einen größeren Teich auf der Rückseite des Hauses gerichtet sind (vgl.
die Außenansicht auf Abb. 14), belichtet einen mit einer aufwändigen künstlichen Lichtdecke
überfangenen Flur. Die Lichtdecke (vgl. Abb. 5 auf S. 120) hat, wie Julia Hinsch in ihrem
Katalogartikel richtig schreibt, ihre Entsprechung in den gleichzeitigen und späteren Kirchenbauten Herkommers. Ist sie dort auch konstruktiv bedingt (vgl. hierzu den Beitrag von Ulrike
Weber zur Baukonstruktion), so betont sie hier ausschließlich die Richtung des Raumes, charakterisiert ihn als „Weg“.
Betritt man den Flur vom Garderobenvorraum her, wird man gleichsam vorbeigeführt an dem
klein dimensionierten Wohnzimmer zur Rechten, um zu dem wichtigsten Raum des Gebäudes zu gelangen. Im Grundriss ist er altertümlich als „Salon“ ausgewiesen (vgl. Abb. 10 sowie
Abbildung 8 auf S. 123). Hier präsentierte der Hausherr die „Highlights“ seiner Sammlung,
Bilder von Max Liebermann und Edward Munch bis hin solchen von Karl Hofer und Ernst
Ludwig Kirchner. Wollte man für den Raum mit seiner deutlich erhöhten, fast sakralen Decke
eine Entsprechung in traditionellen Raumtypologien benennen, so könnte man in der Tat auf
die zentrale Halle des englischen Landhauses verweisen. Die plastisch aufwändig gestaltete
und mit – bis heute erhaltenen - Beleuchtungskörpern ausgestatte Decke des Raumes ist
dreigeteilt, sodass er trotz seiner nahezu quadratischen Grundform eine Richtung hat. Sie
schwenkt gegenüber dem Flur um neunzig Grad und ist so auf die Westwand des Raumes
gerichtet, hinter der sich das Herrenzimmer des Hauses befindet.
Daß der Raum dennoch nicht als reiner Durchgangsraum empfunden wird, vielmehr eben
auch als ruhender „Platz“, hat Herkommer unter anderem durch den in die linke Ecke verlagerten, parallel zur Wand liegenden Aufgang in das Herrenzimmer erreicht, den man diagonal
erblickt, wenn man den Raum vom Flur her – ebenfalls außerhalb der Mittelachsen des Raumes – betritt. Strukturell entspricht diese Art der tangentialen Erschließung dem, was Theodor
Fischer im Städtebau einen Turbinenplatz nannte, in Anspielung auf den tangentialen Eintritt
des flüssigen Elementes in Wasserturbinen. Diese Erschließung ermöglicht größere zusammenhängende Wandflächen als die achsiale, sei es nun auf einem städtischen Platz oder wie
hier: in einem Raum. Sie wirkt bergend und beruhigend auf die Raumstimmung, auch wenn
es sich um einen Durchgangsraum handelt.
In das Obergeschoss führt eine bequem dimensionierte, einläufige Treppe, die vom unteren
Flur zwar durch eine Tür abgetrennt ist und bis zum Podest, auf dem sie um neunzig Grad
abknickt, von einer Tonne überwölbt ist. Dennoch empfindet man nicht, in einem Stiegenhaus
gefangen zu sein. Über dem Podest wird sie von einem Kreuzgratgewölbe überfangen, das
sich dramatisch zur oberen Diele hin weitet. Man gelangt hier zu den eigentlichen Privaträumen: das Zimmer des Hausherrn und der Dame des Hauses auf der Ostseite, und ein
EINFÜHRUNG
Gästezimmer auf der Südseite. Alle Räume gehen von dem zentralen Raum hinter den fünf
Rundbogenöffnungen der Westfassade ab, der quer gelagerte Gang zu den Schlafräumen
der Hausherrschaft verbunden durch drei weitere, fast kulissenhaft wirkende Rundbögen in
den Achsen der mittleren Bögen der Westfassade (vgl. Abb. 11 und 12).
Den Höhenversprung des Salons im Erdgeschoss nutzt Herkommer hier oben zu kleinen
Podesten, die dem Zimmer der Dame und dem Gästezimmer vorgelagert sind. Der Raumeindruck dieser oberen „Halle“ ist vielfältiger und unruhiger als im Erdgeschoss. Fällt die
Nachmittagssonne durch die eng stehenden Rundbögen und brechen sich ihre Schatten an
den Kanten der inneren Bogenwand, stellt sich schnell die Lichtstimmung expressionistischer
Filme der frühen zwanziger Jahre ein, Robert Wienes Cabinet des Dr. Caligari von 1920
beispielsweise oder auch Carl Theodor Dreyers von Hugo Häring architektonisch betreuter
Film Michael aus dem Jahr 1924, um nicht immer nur Fritz Langs Metropolis oder auch seine
Nibelungenverfilmung zu erwähnen, mit ihrem expressiv durch Buchenstämme gebrochenen
Licht im Waldinnenraum (grün ist der erhaltene Linoleumbelag der oberen Halle im Haus
Glaeser).
Ist diese unruhige Raumstimmung ein vom Architekten beabsichtigter Effekt? Oder zahlt er
hier den Tribut für sein traditionalistisches Festhalten am Monumentalbild der Westfassade,
der „Daseinsform“ Adolf von Hildebrands? Wir wissen es nicht. Wir wollen die leichte Ironie
auch nicht verschweigen, die darin liegt, dass ausgerechnet der mittlere der pathetischen fünf
Bögen der Westseite auf die Toilettentür zwischen den Schlafräumen auf der Ostseite ausgerichtet ist. (In dem Schnittmodell von Silvia Köllner kann man das sehr gut erkennen, der
von Julia Hinsch neu gezeichnete Grundriss dokumentiert es ebenso, vgl. S. 116). Daß aber
der Lichteffekten so zugetane Architekt (siehe die Decken im Erdgeschoss der Villa sowie die
effektvollen Lichtführungen in den Kirchen unserer Ausstellung), sich den Gast des Bauherrn
auf dem aus der Raumachse gerückten, erhöhten Podest vor seinem Zimmer sitzend vorstellen konnte (vgl. Abb. 11), wie er das durch die wandernde Sonne hervorgebrachte Spiel von
Licht und Schatten aus dieser exzentrischen Position so betrachtet, wie der berühmte LichtRaum-Modulator betrachtet werden wollte, den der Bauhauskünstlers László Moholy-Nagy –
allerdings, und das sei zugegeben, erst 1930, also zwei Jahre nach Fertigstellung des Hauses
Glaeser - zum Patent anmeldete, das können und wollen wir nicht ganz ausschließen.
Epilog
Das Beispiel des Lichtraummodulators sprengt zwar scheinbar den für eine historisch-kritische Erläuterung statthaften zeitlichen Rahmen. Es führt aber direkt zu einem der Bauten, die
in Zuschnitt und Bauaufgabe dem Kaiserslauterer Unikat der Villa Glaeser ganz unmittelbar
entsprechen, der Villa Schminke in Löbau (Sachsen), errichtet im Jahr 1932. Ihr Architekt,
Hans Scharoun, hat sich für die Lichtstimmungen im Inneren seines ganz der avantgardistischen Moderne der 1920er verpflichteten Bauwerks bekanntlich von Moholy-Nagy anregen
lassen. Was aber für die Kaiserslauterer Verhältnisse noch viel wichtiger ist: Die Stadt Löbau,
wie Kaiserslautern in einer strukturschwachen Region gelegen, hat den einzigartigen Bau,
der in den neunziger Jahren stark heruntergekommen war, nach seiner denkmalgerechten
Instandsetzung in eine Stiftung eingebracht und betreibt ihn jetzt als eine Art Gästehaus.
Die Eselsfürth, an der alten Kaiserstraße nach Mainz gelegen, wäre nicht der schlechteste
Ort für eine Kaiserslauterer Entsprechung. Die Architektur Hans Herkommers bietet hierfür
die besten Voraussetzungen. Sie ist exemplarisch für die in ihrem Anregungspotential gerade
für das heutige Bauen nicht zu überschätzende traditionalistische Moderne der 1920er Jahre
in Deutschland.
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Abb. 3: Martin Elsaesser: Großmarkthalle in Frankfurt, Ansicht von der Stadt (1928)
EINFÜHRUNG
Abb. 4: Paul Bonatz und F.E. Scholer: Hauptbahnhof in Stuttgart,
Empfangshalle für den Fernverkehr (1913-27)
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Abb. 5: Walter Gropius: Baukasten im Großen (1923)
EINFÜHRUNG
Abb. 6: Hans Herkommer: Villa Glaeser in Kaiserslautern,
Nord- und Südansicht (1928)
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Abb. 7: Paul Bonatz: Drittes eigenes Wohnhaus in Stuttgart, Am Bismarckturm,
Gartenansicht (erbaut 1922, zerstört)
EINFÜHRUNG
Abb. 8: Hans Herkommer: Villa Glaeser in Kaiserslautern, Westansicht (1928)
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Abb. 9: Hans Herkommer: Villa Glaeser in Kaiserslautern, Lageplan (1928)
EINFÜHRUNG
Abb. 10: Hans Herkommer: Villa Glaeser in Kaiserslautern, Grundriss Erdgeschoss (1928)
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Abb. 11: Hans Herkommer: Villa Glaeser in Kaiserslautern,
obere Diele Richtung Gästezimmer (2009)
EINFÜHRUNG
Abb. 12: Hans Herkommer: Villa Glaeser in Kaiserslautern,
obere Diele vom Podest aus (2009)
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Abb. 13: Hans Herkommer: Villa Glaeser in Kaiserslautern, Westseite (2009)
EINFÜHRUNG
Abb. 14: Hans Herkommer: Villa Glaeser in Kaiserslautern, Ostseite (2009)
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St. Augustinus in Heilbronn (vgl. Kat.)
ARCHITEKTURMODELLBAU
Architekturmodellbau
Johannes Modersohn
Das Modell ist ein wichtiges Ausdrucksmittel der Architekturdarstellung. Es eröffnet die Möglichkeit, ein Bauwerk vor dessen Realisierung dreidimensional erlebbar zu machen. Der Entwurf wird mit dem Modell das erste Mal plastisch überprüfbar. Geht man davon aus, dass das
Ziel jeder Planung ein realisiertes Bauwerk ist, so kann das Architekturmodell als Platzhalter
für den später zu erstellenden Bau angesehen werden. Am Modell lässt sich die räumliche
Wirkung im Vorfeld überprüfen, es dient aber auch der Präsentation und Veranschaulichung
einer Entwurfsidee.
Das Architekturmodell ist kein Ersatz für die Architekturzeichnung, denn kein Gebäude wird
unmittelbar nach einem Modell gebaut. Die detaillierte Ausführungszeichnung enthält selbstverständlich wesentlich exaktere und aussagekräftigere Informationen, die für eine bauliche
Realisierung unerlässlich sind. Mit dem Modell werden andererseits viele Elemente, die in
der zweidimensionalen Zeichnung nur abstrakt vorhanden sind, in der dritten Dimension im
Gesamtzusammenhang sichtbar. Das Modell übersetzt die zweidimensional erstellten Vorgaben in eine plastische Form, die räumlich proportionalen Zusammenhänge werden im verkleinerten Maßstab sichtbar. Das Architekturmodell kann somit auf einer anderen Ebene mehr
Informationen über ein Bauwerk oder die städtebauliche Konfiguration vermitteln, als es der
Zeichnung möglich ist. Allerdings weicht das Modell im Detaillierungsgrad und auch in Material und Konstruktion von der realen Ausführung ab und schafft so jene ästhetische Distanz, die
nötig ist, um das Modell als autonome Sprache zu verstehen.
Auch die inzwischen mit dem Computer entwickelte Animationszeichnung mit höchst realistischem Anspruch, teilweise kaum noch von einer realen Architekturfotografie zu unterscheiden, kann die Raumvorstellung eines Modells nur ansatzweise transportieren. Trotz vielfältiger
technischer Verfeinerungen hat das Architekturmodell seine grundsätzlichen Möglichkeiten
seit seiner Erfindung in der Renaissance bis heute nicht wesentlich verändert. Das Körperhafte und die erlebbare Realität eines Raumes als die wesensbestimmenden Merkmale von
Architektur werden nur durch das Modell repräsentiert.
Ist das Gebäude einmal errichtet, hat das Modell seine Funktion als Darstellungsmittel gemeinhin erfüllt und wird nicht mehr gebraucht. In wenigen ausgewählten Fällen bewahren
stolze Bauherren die angefertigten Repräsentationsmodelle auf, und sie finden einen Platz in
den Vorbereichen der Vorstandsetagen. Das ist aber nicht die Regel. Ansonsten begegnen
wir Architekturmodellen von Gebautem eigentlich nur im Museum oder in Architekturausstellungen. So auch hier.
Wir haben es mit einer Ausstellung von Architekturmodellen ausgewählter Bauten des Architekten Hans Herkommer zu tun. Sie wurden im Rahmen eines studentischen Seminars im
Fachbereich Architektur der TU Kaiserslautern in Zusammenarbeit der Lehrgebiete „Geschichte und Theorie der Architektur“ (Prof. Dr. Schirren) und „Baukonstruktion und Entwerfen“ (Prof.
Modersohn) erstellt. Im gedruckten Katalog finden wir natürlich nur die zweidimensionalen,
fotografischen Abbildungen der Modelle, in der Ausstellung können die Originale von allen
Seiten in Augenschein genommen werden. Es handelt sich um eine Versammlung von Hausmodellen in unterschiedlichen Größen und Maßstäben, immer der Aufgabe und dem Entwurf
angemessen. Alle Modelle wurden in der Digitalwerkstatt mit den zur Verfügung stehenden
Maschinen computergestützt erzeugt und nach dem Zusammenfügen mit farbigen Papieren
kaschiert. Diese durchgehende ästhetische Qualität dokumentiert die Zusammengehörigkeit
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und verschafft den Modellen in ihrer Abstraktion eine gewisse Autonomie gegenüber der Realität und verleiht ihnen eine eigene Schönheit.
Die Bauten von Herkommer sind im Original oft nicht mehr in der bauzeitlichen Fassung
vorhanden oder stark verfremdet, und so war es Aufgabe die entsprechende Fassung und das
architektonisch Wesentliche der einzelnen Entwürfe in den Modellen exemplarisch herauszuarbeiten. Dies hatte unterschiedliche Modellansätze zur Folge. So werden einige Bauwerke
in ihrer Gesamtheit dargestellt, wie das St. Paulusheim in Bruchsal im ansteigenden Gelände
oder St. Michael in Saarbrücken mit seinen mächtigen Türmen und St. Joseph in Schömberg,
in seiner Formsprache schon ganz der Moderne verpflichtet. Als Schnittmodelle wurden die
Frauenfriedenskirche in Frankfurt und St. Augustinus in Heilbronn angefertigt. Diese Bauweise ermöglicht nur im Modell darstellbare Einblicke in die Bauwerke und Konstruktionen. Das
ungewöhnliche Spitzbogengewölbe aus Holzlamellen in St. Augustinus oder die über dem Altarraum scheinbar schwebenden Lichtringe der Frauenfriedenskirche lassen sich so in Form
und Struktur darstellen. Herkommer hat aber auch eine Reihe von Profanbauten verfaßt, in
dieser Ausstellung vertreten durch die großartige Brauerei Becker in St. Ingbert und die Häuser Herkommer und Köhler in Schwäbisch Gmünd. Die Kaiserslauterer „Villa Glaeser“, ist mit
zwei Modellen vertreten, einem Gesamtmodell und einem Schnittmodell, das einen Einblick in
die raffinierten Höhenentwicklungen und Deckenkonstruktionen gibt.
Die hier ausgestellten Architekturmodelle erinnern an das architektonische Werk Hans Herkommers und stehen beispielhaft für seine Architektur zwischen Tradition und Avantgarde.
ARCHITEKTURMODELLBAU
St. Paulusheim in Bruchsal (vgl. Kat.)
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ST. MICHAEL
ST. MICHAEL
SAARBRÜCKEN
Schumannstr. 25
66111 Saarbrücken
1913-1914 Erste Planungsphase
1923/1924 Realisierung
Modellbau: Ina Kreutz
Am 16. Juni 1913 wurde ein Wettbewerb für
die St. Michaelskirche in Saarbrücken ausgeschrieben, der würdige Ausdrucksformen
forderte, den Künstlern ansonsten allerdings
vollständige Freiheit ließ. Herkommer konnte sich mit seiner romanisierenden Lösung
gegen 173 Konkurrenten durchsetzen. Geplant war eine Gesamtanlage mit Taufkapelle, Kreuzgang, sowie einem Pfarrhaus, das
durch Arkaden mit der Kirche verbunden
sein sollte. Aus finanziellen Gründen mussten diese Pläne verworfen werden: lediglich
ein kleiner Teil des Kreuzgangs, angebaut
an den südlichen Turm, erinnert heute noch
an das größere Projekt. Der geplante Baubeginn am 1. Oktober 1914 kam wegen des
Ersten Weltkriegs nicht zustande; erst 1922
wurde das Vorhaben wieder aufgenommen.
Herkommer überarbeitete seinen ersten Entwurf und passte ihn den stilistischen Tendenzen der Zeit an. Am 3. Juni 1923 wurde der
Grundstein gelegt, circa ein Jahr später der
Bau geweiht und 1925 waren Hochaltar und
Innengestaltung vollendet.
Die Kirche liegt städtebaulich markant auf
einer Anhöhe, die von einer breiten Treppenanlage erschlossen wird. Die Anordnung der
Baukörper mit ihren monumentalen Formen
legte Herkommer schon in seinem ersten
Entwurf von 1913 fest. St. Michael folgt dem
traditionellen Schema der dreischiffigen Basilika, mit erhöhtem Chor, darunter gelegener
Krypta sowie Westwerk. Zwischen Chor und
Querschiffarmen befindet sich auf der nördlichen Seite eine Marienkapelle und auf der
südlichen Seite eine Sakristei. Die verschiedenen Baukörper scheinen sich ineinander zu schieben. Die Fassaden wurden mit
rauem Haustein gestaltet, dadurch scheint
die Kirche direkt aus dem Boden empor zu
wachsen. Bei seiner Überarbeitung 1922 änderte Herkommer hauptsächlich Elemente
64
65
an der Westfassade. Sein in manchen Teilen
barockartiger, größtenteils jedoch romanisierender Entwurf erhielt in zahlreichen Details
eine expressionistische Formensprache.
Zwar gibt es nach wie vor Gesimse, die sich
komplett um die Kirche ziehen. Doch der
Dreiecksgiebel zwischen den Türmen entfiel
und aus dem stark horizontal und vertikal
gegliederten Baukörper des Westwerks entwickelte der Architekt reduzierte, ausdrucksstarke Formen. Die Nische, die die Eingänge
überspannt, wurde tiefer, die darüber liegenden Rundbogen zu Schlitzfenstern, die
Türme zu massiven Rechtecken und ihre
ursprünglich gerundet vorgesehenen Aufbauten zu expressionistischen, mehrteiligen
Helmen aus Stahlbeton. Weitere expressionistische Details prägen den Bau sowohl
am Äußeren als auch im Inneren: dreieckige
Konsolen in der Nische, an den Turmhelmen
und am Hochaltar, vierzackige Sterne an den
Eingangsportalen und an allen Säulen sowie
Geländern.
Den Innenraum dominiert eine große, massive Längstonne, die ohne Unterbrechung
von der Turmseite zum Chor läuft. Das Tonnengewölbe wurde durch farbige, konstrukti-
Literatur (Auswahl)
Fuchs-Röll, Willy, „Die neue St. Michaelskirche
in Saarbrücken-St. Johan“, in: Zentralblatt
der Bauverwaltung, 45. Jg. (1925), S. 149153
Lahmann 1990, S. 45-48 sowie S. 217
Böker, Hans Josef, „Die Michaelskirche
auf dem Rotenberg in Saarbrücken, Ein
Kirchenbau zwischen Historismus und neuer
Sachlichkeit“, in: Bericht der staatlichen
Denkmalpflege im Saarland, Abteilung
Kunstdenkmalpflege, Bd. 27, hrsg. v.
staatlichen Konservatoramt Saarbrücken,
ST. MICHAEL
onsbedingte Kassetten gestaltete. Die Tonne
des Mittelschiffs ist über Vorchor und Chor
konzentrisch abgestuft. Herkommer entwarf
einen expressionistisch geformten Hochaltar
aus blauer Keramik, der von gotisierenden
Engeln auf Säulen flankiert wird. Die Wände
des Hauptschiffs waren in einem leuchtenden Orange verputzt. Die Krypta wurde von
Herkommer ähnlich farbenfroh in Gelb und
Violett gestaltet und schon von seinen Zeitgenossen als „eine bemerkenswerte Beherrschung von Farbe und Form“ (Fuchs-Röll,
1925, S. 152) wahrgenommen.
Im Zweiten Weltkrieg wurden Gewölbe,
Dach, Chor, Sakristei und fast alle Fenster
zerstört. 1945 begann der Wiederaufbau. In
den kommenden Jahrzehnten folgten zahlreiche weitere Instandsetzungsmaßnahmen
und Veränderungen, denen bedauerlicherweise Herkommers kunstvolles Farbkonzept
zum Opfer fiel.
In der architektonischen Gestaltung von
St. Michael verband Herkommer traditionelle
Bauformen mit zeitgemäßen expressionistischen Details. Diese werden im Modell trotz
des kleinen Maßstabs möglichst originalgetreu wiedergegeben.
Ina Kreutz
Saarbrücken 1980/1990 (1998), S. 123-153
Katholische Kirchengemeinde St. Michael
(Hrsg.), Kirchenführer der Katholischen
Pfarrkirche St. Michael, Saarbrücken,
Saarbrücken 2001
Archivalien
SAAI: Fotos vom Wettbewerbsentwurf
(1913), Innen- und Außenaufnahmen,
Baupläne (1923/24) mit Pausen und Skizzen,
Glasnegative
66
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ST. MICHAEL
68
69
Abb. 1: Erster Entwurf (zwischen 1913 und 1914)
ST. MICHAEL
Abb. 2: Ansicht von Südwesten (um 1924)
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71
Abb. 3: Lageplan (um 1924)
ST. MICHAEL
Abb. 4: Blick in das Langhaus (um 1924)
72
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ST. PAULUSHEIM
SUDHAUS BRAUEREI BECKER
SUDHAUS DER BRAUEREI BECKER
ST. INGBERT
Kaiserstr. 170-174
66386 St. Ingbert
1925/1926
Modellbau: Johanna Mayerl
Die Brauerei Becker erhebt sich im Blickfeld
der Hauptstraße von St. Ingbert, die zur Erbauungszeit eine verkehrsreiche und logistisch wichtige Verbindung von Saarbrücken
zur Pfalz war. Durch ihre Position auf einer
von Weitem sichtbaren Anhöhe thront die
Anlage wirkungsvoll über dem Ort und wurde
schnell zum Wahrzeichen der Stadt.
Herkommer plante nicht die gesamte Anlage. Das erste Gebäude, mit dessen Spatenstich am 1. Oktober 1925 seine Bautätigkeit
für die Firma Becker ihren Anfang nahm, war
das 43 m hohe Sudhaus, auch unter dem
Namen „Beckerturm“ bekannt. Außerdem
gehen die niedrigen Gebäude, die sich direkt
an das Sudhaus anschließen (1928/1929)
und der flachgedeckte, L-förmige Versandund Schankhallenbau (1930/1931) auf Herkommers Pläne zurück.
Das Sudhaus setzt sich aus verschieden
großen quaderförmigen Elementen zusam-
men und ist nach oben gestaffelt. So entsteht
ein turmähnlicher, in die Höhe strebender
Bau, der im Untergeschoss diverse Maschinenanlagen für Licht- und Kraftstrom beherbergt. In den darüber liegenden Geschossen
befanden sich verschiedene Elemente des
Brauvorgangs wie die Anlage zur Malzbearbeitung, Wasserreservoirs etc. Der Sudraum
mit den großen Pfannen war mit bunten Ornamenten und Kacheln ausgeschmückt. Im
obersten Geschoss brachte Herkommer ein
Bräustübel unter, darüber eine Terrasse mit
Aussicht auf das bergige, waldreiche Umland.
Der Beckerturm wurde aus Sichtbeton errichtet, rote Fensterrahmen setzten einen
farbigen Akzent. Die Formsprache ist modern und expressionistisch.
Die Oberfläche des Sudhauses wird belebt durch den Wechsel von geschlossenen
Wandflächen und Fenstern in unterschiedli-
94
95
chen Formaten. Der untere Teil des Baukörpers ist vor allem durch die den Fenstern vorgelagerten rippenartigen Vertikalen geprägt.
Im oberen Teil hingegen herrschen horizontale Elemente wie liegende Fensterformate
vor. An der höchsten, turmähnlichen Gebäudeseite sind die Fenster um die Ecke geführt
und mit kräftigen Faschen eingerahmt.
Die große Fenstergruppe vor dem Sudraum ermöglicht einen Blick auf die Sudbehälter, die besonders bei Nachtarbeit „zu reklamewirkender Geltung“ (Fuchs-Röll, 1926,
o.S.) kommen. Bereiche, die weder für den
Arbeitsvorgang, noch aus Repräsentationsgründen Fensteröffnungen benötigen, sind
hinter geschlossenen Wandflächen untergebracht. Ebenfalls mehr als nur gliedernder Bauschmuck sind die auskragenden
horizontalen Plattenringe, die am zweiten
Absatz des Gebäudes übereinander angeordnet sind. Sie dienen dazu, den dahinter
liegenden Kaltwasserbehälter vor direkter
Sonneneinstrahlung zu schützen.
Max Schneider schreibt 1962 in den Gmünder Heimatblättern: „Im profanen Bereich ist
es vor allem der Industriebau, bei dem sich
die Schöpferkraft Herkommers für monumentale Bauaufgaben entfalten konnte.“ Diese
Feststellung trifft auch auf das Sudhaus der
Brauerei Becker zu, das durch seine exponierte Lage, die hochaufragende Form und
die strengen, gliedernden Schmuckelemente
sehr monumental wirkt und auch heute noch
unverändert das Stadtbild beherrscht. Mittlerweile allerdings braut man in den Gebäuden
der Brauerei Becker kein Bier mehr. Der Komplex wird von der Immobiliengesellschaft „Beckerturm Immobilien GmbH“ verwaltet. Auf
dem großflächigen Areal mit den ehemaligen
Brauereigebäuden entstand Ende 1997 der
sog. „Innovationspark am Beckerturm“, ein
Gewerbezentrum, in welchem unterschiedliche Firmen wie Handwerksbetriebe, Agenturen, Technologieunternehmen, Dienstleister, Softwareentwickler, Sicherheitsdienst, Handel und Ingenieurwesen u.v.m.,
aber auch Künstlerateliers ansässig wurden.
Sara Brück
Literatur (Auswahl)
Fuchs-Röll, Willy P., „Ein Abschnitt aus dem
Wirken des Architekten B. D. A. – D. W.
B. Hans Herkommer, Stuttgart“, in: Neue
Baukunst, 2. Jg. (1. Jan. 1926), H. 1, o.S.
O.A., „Bierbrauerei Gebr. Becker, St. Ingbert
im Saargebiet“, in: Der Baumeister, 31. Jg.
(1933), H. 3, S. 85-87, Tafel 26, 27
Schneider, Max, „Architekt Reg.Baumeister Hans Herkommer“, in: Gmünder
Heimatblätter, 23. Jg. (Sept. 1962), Nr. 9,
S. 65-77
Lahmann 1990, S. 114-115 sowie S. 235
SUDHAUS BRAUEREI BECKER
http://www.innovationspark.com/
(15.10.2010)
Archivalien
SAAI: Fotos und z.T. Glasnegative
der verschiedenen Brauereigebäude,
Planmaterial zum Sudhaus von 1925-1926,
1953 (Pläne, Pause, Fremdpausen), zum
Sudhaus, Alten Maschinenhaus, Neuen
Maschinenhaus, Generatorenhaus von
1928 (Pläne, Pause) und zu den später
ausgeführten Brauereigebäuden
96
97
SUDHAUS BRAUEREI BECKER
Abb. 1: Positionierung im Stadtbild (um 1926)
98
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Abb. 2: Sudraum (heutiger Zustand)
SUDHAUS BRAUEREI BECKER
Abb. 3: Detail (um 1926)
100
101
„VILLA GLAESER“
„VILLA GLAESER“
KAISERSLAUTERN
Eselsfürth 22
67657 Kaiserslautern
Modellbau Außenmodell: Julia Hinsch
Modellbau Schnittmodell: Silvia Köllner
In der Eselsfürth östlich vor der Stadt Kaiserslautern liegen zwei Landhäuser, die in
den 1920er Jahren für den Unternehmer Max
Glaeser (1871-1931) in unmittelbarer Nähe
zu seinem Emaille-Werk gebaut wurden.
Glaeser war ein passionierter Kunstsammler, der die von ihm gesammelten Werke bildender Kunst in seine privaten Wohnräume
integrierte.
Das erste Wohnhaus ließ sich Glaeser
1922 von dem Kaiserslauterer Architekten
Adam Roos in der Eselsfürth 12 bauen.
Schon nach kurzer Zeit wurde das Gebäude
für Glaesers exklusive Kunstsammlung zu
klein. Daher beauftragte er Hans Herkommer mit dem Entwurf eines neuen Landhauses auf dem benachbarten Grundstück, das
ausreichend Platz für die Kunstobjekte des
Industriellen bieten sollte.
Für beide Häuser war ursprünglich ein
groß angelegtes Garten- und Wohnkonzept
angedacht, das bei der Roos´schen Villa
allerdings nicht umgesetzt wurde. Bei dem
neuen Landhaus von Herkommer legte man
den Schwerpunkt einerseits auf die Positionierung in der Landschaft und andererseits
auf das innere Raumgefüge.
Die sog. Villa Glaeser liegt in einem weitläufigen Talgrund, ausgerichtet zur Landstraße,
die zur Bauzeit die Hauptverbindung nach
Mainz war und damit ihren städtebaulichen
Bezug festlegt. Zum Gebäude gehört ein
parkähnliches Gelände mit einem Weiher.
Darauf nahm Herkommer in seiner Planung
mit einem großen Wasserbecken Bezug, das
er auf der Sichtachse zwischen dem von ihm
geplanten und dem ersten Haus Glaeser positionierte. Das Becken wurde jedoch nicht
realisiert.
Herkommers Entwurf besteht aus drei kubischen, flach gedeckten Baukörpern, die
asymmetrisch angeordnet sind und die sich
110
111
gegenseitig zu durchdringen scheinen. Zusätzlich ist die Höhe der einzelnen Gebäudekörper gestaffelt. Der erste Kubus, der Turm,
erhebt sich dreigeschossig über den mittigen
Hauptkubus mit zwei Geschossen. Er beherbergt vorwiegend Wirtschafts- und Personalräume. Der vorgelagerte Hauptkubus wurde
für den repräsentativen Teil des Hauses und
die Wohnräume der Besitzer entworfen. Ihm
schließt sich nach Westen eine Terrasse an,
die mit dem ersten Haus in Sichtbezug steht.
Ein eingeschossiger Anbau im Süden bildet
den Abschluss des Gebäudes und beherbergt das Herrenzimmer.
Das innere Raumgefüge wurde aus seiner
Funktion als repräsentatives Wohnhaus und
Galerie heraus entworfen und definiert zudem die funktionalen Abläufe innerhalb des
Hauses.
Im Erdgeschoss sind Aufenthalts- und Repräsentationsräume mit einem großen Salon
untergebracht, konzipiert für die Kunstgegenstände. Die Ausstellungsräume erhielten
als besonderen Ausbau ein rippenähnliches
Leuchtkörpersystem innerhalb der Deckenkonstruktionen und das Herrenzimmer eine
Stuckdecke mit expressionistischem Dekor.
Diese Räume lehnen sich formal an Herkommers Kirchenbau an. Die Obergeschossräu-
Literatur (Auswahl)
Kehrer, Hugo, Die Sammlung Max Glaeser,
München 1922
Graf, Hermann, „Kunstsammler und
die Sammlung Glaeser, Eselsfürth“,
in: Mitteilungsblatt des Pfälzischen
Gewerbemuseums, 1. Jg. (1926 ), Nr. 5, S.
41-46
Graf, Hermann, „Haus und Sammlung
Glaeser, Eselsfürth“, in: Hand und
Maschine, Mitteilungsblatt der Pfälzischen
Landesgewerbeanstalt, 1. Jg. (Sept. 1929),
S. 105-107
Oexner, Mara, Stadt Kaiserslautern
(Kulturdenkmäler in Rheinland-Pfalz, Bd.
14), Worms 1996
„VILLA GLAESER“
me sind im Gegensatz zum Erdgeschoss
ausschließlich für Wohnzwecke ausgelegt.
Auf traditionelle Art wurden hier separate
Schlafbereiche für die Dame und den Hausherrn eingerichtet. Die formalen Details des
Obergeschosses entsprechen ebenfalls eher
traditionellen Bauformen, Herkommer greift
z. B. auf Rundbögen und Kreuzgratgewölbe
zurück.
Die „Villa Glaeser“ stellt mit ihrer modern
formulierten Kubatur und ihrer Ornamentlosigkeit für die Stadt und die Region eine
Seltenheit dar. Heute ist das Landhaus nach
wie vor im Besitz der Erben Max Glaesers.
Es steht unter Denkmalschutz, ist aber, da
es seit einigen Jahren leer steht, zunehmend
dem Verfall ausgesetzt.
Das Gesamtmodell soll verdeutlichen, dass
die Positionierung des Gebäudes auf dem
Gelände ein ausgewogenes Verhältnis zur
Baukörperverteilung einnimmt. Im Schnittmodell lassen sich die unterschiedliche Höhenstaffelung des Raumgefüges sowie die
aufwendige Leuchtdeckenkonstruktion erkennen. Zudem erfahren die Entwürfe ihre
Authentizität durch die präzise Ausarbeitung
und Miniaturdarstellungen, z.B. von Geländern, die einen Eindruck von den Originalteilen am Gebäude vermitteln sollen.
Julia Hinsch
Christmann, Daniela, Die Moderne
in der Pfalz, Künstlerische Beiträge,
Kunstvereinigungen und Kunstförderung in
den Zwanziger Jahren, Heidelberg 1999
Engelhardt, Christine: Voruntersuchung an
Raumschale und Fassade der Villa Glaeser
für die Stadt Kaiserslautern, Kaiserslautern
2007
Archivalien
SAAI: Fotos, Planfoto (1927)
Stadt Kaiserslautern, Referat Bauberatung,
Denkmalschutz: Bauakte, Baueingabe,
Befundbericht mit Farbuntersuchungen,
kopierte Zeichnungen, Fotos
112
113
„VILLA GLAESER“
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Abb. 1: Grundrisse 1. OG
„VILLA GLAESER“
Abb. 2: Grundriss (1929)
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Abb. 3: Ansicht von Nordwesten (heutiger Zustand)
„VILLA GLAESER“
Abb. 4: Seiteneingang (1929)
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Abb. 5: Flur im Erdgeschoss (1929)
„VILLA GLAESER“
Abb. 6: Ansicht von Nordosten (heutiger Zustand)
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Abb. 7: Herrenzimmer (1929)
„VILLA GLAESER“
Abb. 8: Salon (1929)
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FRAUENFRIEDENSKIRCHE
FRAUENFRIEDENSKIRCHE
FRANKFURT AM MAIN / BOCKENHAIM
Zeppelinallee 99-103
60487 Frankfurt am Main
1926 Wettbewerb
1927-1929 Realisierung
Modellbau: Michael Paszyna
Auf Wunsch von Hedwig Dransfeld, der Vorsitzenden des Kath. Deutschen Frauenbundes, wurde am 31. Dezember 1926 für alle
deutschen katholischen Architekten ein Wettbewerb für eine neue Kirche mit Pfarr- und
Gemeindehaus ausgeschrieben. Die Kirche
sollte dem Leid der Frauen, die im Ersten
Weltkrieg ihre Männer und Söhne verloren
hatten, ein Denkmal setzen.
Herkommers Entwurf, der ausgeführt wurde, obwohl er im Wettbewerb lediglich einen
Ankauf erhalten hatte, sah einen Gesamtkomplex vor, der in Anlehnung an mittelalterliche Klosteranlagen mit einer Hauptkirche,
einem als Ehrenhof ausgeführten Kreuzgang
und einem umschließenden Gemeindehaus
entworfen wurde. Die Kirche ist in Richtung
eines großen Platzes an der Zeppelinallee
ausgerichtet, den sie durch einen monumentalen Portalbau mit drei hohen Rundbögen
dominiert. Eine Taufkapelle schließt sich
östlich des Portalbaues an. Der Ehrenhof
wird an drei Seiten von einem Arkadengang
umschlossen, nördlich und westlich liegt das
Gemeindehaus.
Die Frauenfriedenkirche wurde in Form einer dreischiffigen Basilika erbaut. Allerdings
sind die Seitenschiffe mit 3,50 m Breite sehr
schmal und im Außenraum relativ flach ausgebildet. Der Kirchenraum besitzt eine beachtliche Deckenkonstruktion aus fünf massiven Quer- und zwei fünfreihigen Längsbalken, die auf ersteren aufliegen. Der Mittelteil
ist noch einmal erhöht. An seiner Decke
reihen sich weitere Querbalken in engerem
Raster. Die Seitenschiffsarkaden werden
durch Rundbogenfenster aus Mosaikbuntglas belichtet. Der erhöhte sowie eingezogene Chor hat einen geraden Abschluss und
öffnet sich mit einen großen Triumphbogen
zum Hauptschiff. Er ist zentral durch drei
konzentrische Stahlbetonringe überdacht,
124
125
deren Radius sich nach innen verjüngt und
die künstlich beleuchtet werden.
Die Erhöhung des Chors ergibt sich aus
der darunter gelegenen, ebenfalls dreischiffigen Krypta, die axialsymmetrisch aufgebaut ist. Die Seitenwände nach Osten und
Westen sind von je drei Rundbogenfenster
aus Buntglas durchbrochen, die Tageslicht in
den Raum lassen. An der Decke der Krypta
wiederholt sich das Motiv der konzentrischen
Kreise, das man auch an der Chordecke findet.
Die natürliche und künstliche Beleuchtung
spielen beim atmosphärischen Eindruck des
Innenraumes eine wichtige Rolle. Die natürliche Belichtung erfolgt über die großen Mosaikglasfenster, die durch ihre Farbigkeit einen
mystischen Eindruck erzeugen. Zudem wird
durch indirektes, akzentuiertes Licht ein besonderer Eindruck hervorgerufen. Spotlights
in den Rundbogennischen des erhöhten Mittelschiffes sowie Leuchten in der Staffelung
der Ringe im Chor und in der Krypta, betonen den sakralen Charakter der Altarstätten.
Die Verbindung von Licht und Konstruktion führen zu einer Blicklenkung des Besuchers. Die unterschiedliche Farbigkeit der
Rundbogenfenster als Staffelung sowie die
Belichtung im erhöhten Mittelschiff und die
Literatur (Auswahl)
Schürmeyer, Walter, „Frauenfriedenskirche
in Frankfurt a. M.“, in: Deutsche Bauzeitung,
Beilage Wettbewerbe, 61. Jg. (22. Juni
1927), Nr. 12, S. 73-80
Hoff, August, „Wettbewerb für die ‚Frauenfriedenskirche‘ für Frankfurt am Main“, in:
Die Christliche Kunst (1927/28), H. 24, S.
298-308
Schürmeyer, Walter, „Die kath. Frauenfriedenskirche in Frankfurt am Main“, in:
Deutsche Bauzeitung (3. Juli 1929), Nr. 53,
S. 457-463
Krabbel, Gerta, Frauen-Friedens-Kirche,
Den Gefallenen des Weltkrieges, Düsseldorf
1935
FRAUENFRIEDENSKIRCHE
damit verbundene Addition der Querbalken,
richten den Blick auf den Chorraum. Dieser
erfährt eine hellere Belichtung durch weißes
und gelbes Glas sowie durch eine schon fast
theatralische direkte Beleuchtung.
Die Kirche ist ein Stahlbetonskelettbau,
der zusätzlich durch Mauerwerk ausgesteift
wurde. Im Außenraum wurde die Fassade mit Kunststeinen aus einer Bindung von
Muschelkalk und Zement verblendet, die
Bogenöffnungen dagegen sind mit Natursteinquadern überwölbt. Struktur und Farbe
des Kunststeins ähneln stark dem des Natursteins, der allerdings aus Kostengründen an
der Fassade nicht verwendet wurde.
Die Frauenfriedenskirche kann als Gesamtkunstwerk verstanden werden. Neben der
Architektur und ihrer inszenierenden Belichtung werden die Malerei sowie die Bildhauerkunst zu einem einheitlichen Ganzen zusammengefügt. Zudem war Hans Herkommer für
die Gestaltung der Kirchenausstattung und
des liturgischen Geräts verantwortlich.
Im Zweiten Weltkrieg wurde die Kirche
schwer beschädigt, in den 1950er Jahren
nach ursprünglichen Plänen wieder aufgebaut. Die Renovierungsarbeiten der 1970er
Jahre veränderten ihre Gestalt kaum.
Michael Paszyna
Lahmann 1990, S. 60-64 sowie S. 247-248
Archivalien
SAAI: Entwurf „Hallenkirche“ (Plan), Ausführungsentwurf (Pläne, Ansichten), Entwurf
„Höhenbekrönung“ von 1927 (Modellfoto),
Entwurf „Umgestalteter Entwurf Hallenkirche, Variante“ von 1927 (Planfotos Grundriss und Lageplan), Ausführungsentwurf
von 1927 (Planfotos, Vogelperspektive,
Grundriss, Schnitte), Fotos, Glasnegative,
Maschinenschreiben „Technisches“, Baukostenaufstellung, Konstruktionspläne
126
127
FRAUENFRIEDENSKIRCHE
128
129
Abb. 1: Vogelperspektive (um 1929)
FRAUENFRIEDENSKIRCHE
Abb. 2: Ansicht von Norden (um 1929)
130
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Abb. 3: Blick in das Langhaus mit Chor (um 1929)
FRAUENFRIEDENSKIRCHE
Abb. 4: Blick in den Chor (um 1929)
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Abb. 5: Blick in das Langhaus mit Empore (um 1929)
FRAUENFRIEDENSKIRCHE
Abb. 6: Grundriss Erdgeschoss (um 1929)
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Abb. 7: Grundriss der Unterkirche (um 1929)
FRAUENFRIEDENSKIRCHE
Abb. 8: Blick in die Unterkirche (um 1929)
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HAUS HERKOMMER
HAUS HERKOMMER
SCHWÄBISCH GMÜND
Zeppelinweg 1
73525 Schwäbisch Gmünd
1928/1929
Modellbau: Filipe Dos Santos
Das für einen „Fabrikanten“ (Bauakte) Karl
Herkommer errichtete Einfamilienhaus liegt
in offenem Baugebiet auf einem nach Südwesten abfallenden Hanggrundstück östlich
der Altstadt von Schwäbisch Gmünd. Mit
seinen stereometrisch klar konturierten Formen, dem flachen Dach, den zu Bändern zusammengefassten Fenstern und der auffälligen Dachterrasse ist das Gebäude ganz den
Prinzipien jenes ‚Neuen Bauens‘ verpflichtet,
das 1927, ein Jahr vor seiner Erbauung, mit
der Stuttgarter Weißenhofsiedlung einen
spektakulären Durchbruch in Deutschland
erzielt hatte.
Das Grundstück liegt oberhalb des Zeppelinwegs. Der zweistöckige Baukörper wendet seine untere, nach Südwesten gerichtete
Schmalseite leicht aus der Achse gedreht
der parallel zum Hang verlaufenden Straße
zu. Gleichsam quer vorgelagert (oder eben
abgestuft) ist der mit der erwähnten Dachter-
rasse versehene niedrigere Anbau, der den
höheren Hauskörper gewissermaßen zum
Tal hin abstützt. Die Westecke des Gebäudes
scheint er sogar zu umfassen: Seine nordwestliche Schmalseite springt ein wenig über
die Langseite des höheren Baukörpers vor
und ist, motiviert durch den hier platzierten
Haupteingang, zu dem eine Treppe entlang
des Gebäudes von der Straße heranführt,
hinter die Höhe der südwestlichen Fassadenlinie zurückgezogen. Es entsteht so der
Eindruck einer Verschränkung der Baukörper. Der just im Zwickel dieser Verschränkung scharnierartig aufragende Schornstein
kann wie ihre vertikale Akzentuierung gelesen werden.
Auf den eher gedrungen und kubisch geschlossen wirkenden, vorgelagerten Trakt
der Talseite antwortet ein schlank dimensionierter, gerundeter und stark durchfensterter
Anbau auf der südöstlichen Bergseite des
146
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Gebäudes. Neben seiner kompositorischen
Bedeutung für das Gesamtensemble dürfte
er in erster Linie dem Ausblick auf die Stadt
im Tal gedient haben.
Der Grundriss im Innern verteilt alle Wohnräume an den Südseiten des Gebäudes.
Gleich neben dem Hauseingang öffnet sich
nach rechts das im Südwesten gelegene
Wohnzimmer, das über eine gegenüber der
Längsachse des Raumes um 90 Grad abknickende, im Grundriss zudem verspringende Enfilade mit Herren- und Esszimmer auf
der Südostseite verbunden ist. Indem Herkommer die Fenster des Wohnzimmers zu
Gruppen zusammenzieht, die gerade nicht
mittelsymmetrisch auf Raumachsen stoßen,
entsteht ein dynamisches Raumbild, wie es
sein Lehrer Theodor Fischer immer wieder
gefordert hat.
Die Küche befindet sich im Nordosten, der
halbrunde Anbau im Südosten entpuppt sich
im Hauptwohngeschoss als eine Art erweitertes Blumenfenster, das vom Speisezimmer abgeht und etwas euphemistisch als
„Wintergarten“ ausgewiesen ist. Im Obergeschoss ist der entsprechende Raum dem
Kinderzimmer zugeschlagen. Erschlossen
werden die Räume über einen wie ein Rückgrat auf der Nordostseite verlaufenden Flur.
Durch eine einläufige gerade Treppe sind die
Geschosse miteinander verbunden.
Literatur (Auswahl)
Hegemann 1929, S. 58
Döcker, Richard, Wohnhäuser von 8.000 bis
40.000 RM, Stuttgart 1932, o.S.
Lahmann 1990, S. 100 sowie S. 262
HAUS HERKOMMER
Trotz des aufwendigen Raumprogramms
lässt die knappe Grundrissdimensionierung
und der Verzicht auf eine repräsentative Eingangssituation (kein Vestibül, keine Halle)
Herkommers produktive Auseinandersetzung mit den Grundrissdiskussionen der Zeit
erkennen. Verglichen mit dem Kaiserslauterer Landhaus Glaeser wirkt der Bau „moderner“ und ist mehr als nur äußerlich dem auf
der Weißenhofausstellung Gebotenen angeglichen. Richard Döcker, der Bauleiter der
Stuttgarter Siedlung, hat das Gmünder Haus
denn auch 1932 in seine Beispielsammlung 42 Wohnhäuser von 8.000 bis 40.000
RM aufgenommen. Darüber hinaus scheint
der Bau in zeitgenössischen Publikationen
allerdings unbeachtet geblieben zu sein,
sieht man einmal davon ab, dass Herkommer schon während der Errichtung Ansichtszeichnungen und Grundriss der von Werner
Hegemann bevorworteten Werkmonographie seiner Bauten und Projekte beigab.
Der Bau ist erhalten, wurde allerdings von
Herkommer selbst zunächst 1935 und dann
wieder 1950 im Zuge von Umnutzungen
durch mehrere An- und Aufbauten verändert.
Das in der Ausstellung gezeigte Modell dokumentiert den erbauungszeitlichen Zustand
der späten zwanziger Jahre.
M. S.
Archivalien
SAAI: Fotos
Bauordnungsamt der Stadt Schwäbisch
Gmünd: Bauakte
148
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HAUS HERKOMMER
150
151
Abb. 1: Grundriss Obergeschoss (um 1929)
HAUS HERKOMMER
Abb. 2: Ansichten und Grundriss Erdgeschoss (um 1929)
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Abb. 3: Lageplan, bearbeitet (1928)
HAUS HERKOMMER
Abb. 4: Ansicht von Süden (um 1929)
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155
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Badisches Landesmuseum Karlsruhe (1997)
141, 145 alle drei
Bauarchiv der Stadt Kaiserslautern
19, 21, 22, 23
Bonatz (1950)
20
Deutsche Bauzeitung (1929)
61, 142, 144
Döcker (1932)
152, 155
Ernährungsamt und Hochbauamt Frankfurt a. M. (1928)
16
Fries (1926)
82, 83
Friese, Bernhard
28, 31, 67, 68, 69, 77, 78, 87, 88, 89, 97, 98, 105, 106, 113, 114, 115, 127, 128, 129, 149,150, 151, 159, 160, 161
Graf (1929)
Umschlag, 10 beide, 117, 119, 120, 122, 123
Happe (2003)
18
Hegemann (1929)
37, 38, 40, 42, 44, 51, 72, 80, 81, 99, 101, 107, 108, 135, 153, 166
Herkommer (1930)
132
Hinsch, Julia
49, 116
Jochum, Wilhelm
52, 100
Klein (1924)
90, 93
Morpher (1929)
59, 73
Pawlik, Sascha
24, 25, 26, 27, 118, 121, 130, 131, 170
Platz (1927)
17, 48
Puhl, Yannick
167
St. Michael (1984)
70
St. Paulusheim Postkartenbuch (o. J.)
58, 79
Stadtbauamt Schwäbisch Gmünd zep 10
54
Südwestdeutsches Archiv für Architektur und Ingenieurbau (SAAI)
4, 36, 50, 54, 60, 71, 91, 92, 109, 133, 136, 143, 162, 163, 164, 165, 168, 169
Weber, Ulrike
32
Zichner (1931)
134, 137
Ziegler, Cornelius
39, 41
176
177
Diese Publikation erscheint zur Ausstellung
MODERNE
ARCHITEKTUR
EXEMPLARISCH
HANS
HERKOMMER
(1887-1956)
in der Architekturgalerie der Technischen Universität Kaiserslautern,
28. Oktober 2010 – 08. Dezember 2010.
IMPRESSUM
Ein Gemeinschaftsprojekt der Lehrgebiete
Geschichte und Theorie der Architektur, Prof. Dr. Matthias Schirren sowie
Baukonstruktion III und Entwerfen, Prof. Dipl. Ing. Johannes Modersohn.
Betreuung des Modellbaus:
Dipl. Ing. Denis Andernach
Dipl. Ing. Nicolas Bahnemann
Layout und Satz:
Cand. arch. Florian Budke
Cand. arch. Eva-Maria Ciesla
Mitarbeit:
Cand. arch. Willem Balk
Dipl. Ing. (FH) Silvia Köllner
Kurt Mautschke
©2010 gta-kl.de
Lehrgebiet Geschichte und Theorie der Architektur
der Technischen Universität Kaiserslautern
Prof. Dr. Matthias Schirren
Sara Brück, M.A.
Ulrike Weber, M.A.
und die einzelnen Autorinnen und Autoren
Druck und Bindung
foto/repro/druck, TU Kaiserslautern
Printed in Germany
ISBN: 3-935627-09-2
Für Hinweise zu den Illustrationen:
Siehe bitte das Abbildungsverzeichnis ab S. 174
Besonderer Dank gilt
dem SAAI (Südwestdeutschen Archiv für Architektur und Ingenieurbau)
am Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
für die freundliche Druckgenehmigung des Archivmaterials
Die Ausstellung wurde von folgenden
Institutionen und Firmen unterstützt:
TU Kaiserslautern, Studiengang Architektur sowie
Landesschwerpunkt Region und Stadt;
Ministerium für Finanzen und Ministerium für Bildung,
Wissenschaft, Jugend und Kultur des Landes Rheinland-Pfalz;
Architektenkammer des Landes Rheinland-Pfalz;
Sutor-Stiftung Hamburg;
Stiftung der Landesbank Rheinland-Pfalz;
Beckerturm Immobilien GmbH.
Sutor-Stiftung, Hamburg
TECHNISCHE UNIVERSITÄT
KAISERSLAUTERN
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