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Gutachten-Abruf-Dienst
Deutsches Notarinstitut
G u t a c h t e n d e s D e u t s c h e n No t a r i n s t i t u t s
Abruf-Nr.:
111928
l e t zt e A k t u a l i s i e r un g :
3 0 . D e ze m b e r 2 0 1 1
ESÜ Art. 15
Deutschland: Patientenverfügung sowie Vorsorgevollmacht eines deutschen Bundeswehrsoldaten islamischen Glaubens
I. Sachverhalt
-
Ein ausschließlich deutscher Staatsangehöriger, der dem sunnitischen Islam angehört, soll
als Bundeswehrsoldat in Afghanistan zum Einsatz kommen.
-
Vor diesem Hintergrund möchte er eine Patientenverfügung und eine Vorsorgevollmacht
notariell beurkunden lassen.
-
Zwar möchte der Soldat die Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung für den Fall
seiner Verwundung im Einsatz in Afghanistan beurkunden lassen. Für den Fall seiner
Verwundung ist jedoch offenbar damit zu rechnen, dass er zur medizinischen
Behandlung nach Deutschland ausgeflogen würde, so dass Vorsorgevollmacht und
Patientenverfügung also wohl letztlich ausschließlich in Deutschland zur Anwendung
kommen würden.
II. Fragen
Gefragt ist, ob/welche Besonderheiten bei einer Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung bei
einem sunnitischen Muslim zu beachten sind.
Des Weiteren ist zu klären, wie der (sunnitische) Islam die Thematik der Sterbehilfe und der
Bestimmungs des Todeszeitpunks sieht.
III. Zur Rechtslage
1.
Zur Vorsorgevollmacht
Eine Kollisionsnorm für Vorsorgevollmachten findet sich in Art. 15 des Haager Erwachsenenschutzübereinkommens vom 13.1.2000 (im Folgenden: „ESÜ“) (vgl. Heiderhoff, in:
Bamberger/Roth, Beck'scher Online-Kommentar BGB, Stand: 1.3.2011, Art. 24 EGBGB,
Rn. 46; Staudinger/von Hein, Neubearbeitung 2008, Vorbemerkung zu Art. 24 EGBGB,
Rn. 169).
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Art. 15 ESÜ erfasst (allein) eine Vorsorgevollmacht für den Fall des Eintritts der Urteilsunfähigkeit des Betroffenen, d. h. diejenige Vertretungsmacht, die ausgeübt werden soll,
wenn dieser Erwachsene nicht in der Lage ist, seine Interessen zu schützen, wobei die Unfähigkeit gerade auf einer Beeinträchtigung oder Unzulänglichkeit seiner persönlichen Fähigkeiten beruhen muss (vgl. Staudinger/von Hein, Neubearbeitung 2008, Vorbemerkung zu
Art. 24 EGBGB, Rn. 174).
Hinsichtlich des Gegenstandes der Vorsorgevollmacht ist es unerheblich, ob diese sich auf
die vermögensrechtlichen oder aber auf die persönlichen Interessen des Betroffenen beziehen soll oder ob beide Aspekte kombiniert werden, da Art. 15 Abs. 1 ESÜ ganz allgemein
auf die „Interessen“ des Erwachsenen Bezug nimmt (vgl. Staudinger/von Hein, Neubearbeitung 2008, Vorbemerkung zu Art. 24 EGBGB, Rn. 177).
Das ESÜ ist am 1.1.2009 in Kraft getreten. Deutschland hat das ESÜ durch Gesetz vom
17.3.2007 ratifiziert (vgl. BGBl. 2007 II, S. 323).
Die Regelungen des ESÜ sind aus der Sicht des deutschen IPR als sog. loi uniforme auch
gegenüber Nichtvertragsstaaten anzuwenden (vgl. Art. 18 ESÜ) und somit vorrangig gegenüber Art. 24 Abs. 1 S. 1 EGBGB zu beachten.
Gemäß Art. 15 Abs. 1 ESÜ gilt für Vorsorgevollmachten grds. das Recht des Staats, in welchem der Vollmachtgeber zur Zeit der Errichtung der Vollmacht seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (vgl. Heiderhoff, in: Bamberger/Roth, Beck'scher Online-Kommentar BGB,
Stand: 1.3.2011, Art. 24 EGBGB, Rn. 46).
Vorrangig ist allerdings eine Rechtswahl zu beachten (vgl. Heiderhoff, in: Bamberger/Roth,
Beck'scher Online-Kommentar BGB, Stand: 1.3.2011, Art. 24 EGBGB, Rn. 46). Diese muss
nach Art 15 Abs 1, 2 ESÜ ausdrücklich und in Schriftform erfolgen (vgl. Staudinger/von
Hein, Neubearbeitung 2008, Vorbemerkung zu Art. 24 EGBGB, Rn. 186).
In einer im Bundesgesetzblatt veröffentlichten deutschen Übersetzung lautet der
Art. 15 ESÜ wie folgt (vgl. BGBl. 2007 II, S. 323, S. 329):
(1) Das Bestehen, der Umfang, die Änderung und die Beendigung der von einem Erwachsenen entweder durch eine Vereinbarung oder ein einseitiges Rechtsgeschäft eingeräumten Vertretungsmacht,
die ausgeübt werden soll, wenn dieser Erwachsene nicht in der Lage ist, seine Interessen zu schützen, werden vom Recht des Staates bestimmt, in dem der Erwachsene im Zeitpunkt der Vereinbarung oder des Rechtsgeschäfts seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, es sei denn, eines der in Absatz 2 genannten Rechte wurde ausdrücklich schriftlich gewählt.
(2) Die Staaten, deren Recht gewählt werden kann, sind
a) ein Staat, dem der Erwachsene angehört;
b) der Staat eines früheren gewöhnlichen Aufenthalts des Erwachsenen;
c) ein Staat, in dem sich Vermögen des Erwachsenen befindet, hinsichtlich dieses Vermögens.
(3) Die Art und Weise der Ausübung einer solchen Vertretungsmacht wird vom Recht des Staates bestimmt, in dem sie ausgeübt wird.
Nach Art. 15 Abs. 2 a) ESÜ kann der Soldat die Vorsorgevollmacht mithin also hinsichtlich
ihres Bestehens, ihres Umfangs, ihrer Änderung und ihrer Beendigung durch eine
Rechtswahl dem deutschen Recht unterstellen, welches nach Art. 15 Abs. 1 ESÜ aus heuti-
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ger Sicht insoweit wohl ohnehin berufen wäre. Zum „Bestehen“ der Vollmacht ist nach
richtiger Auffassung auch ihre formelle Wirksamkeit zu zählen (vgl. Staudinger/von Hein,
Neubearbeitung 2008, Vorbemerkung zu Art. 24 EGBGB, Rn. 180).
Nach Art. 15 Abs. 3 ESÜ wird vorliegend auch die Art und Weise der Ausübung einer Vorsorgevollmacht vom deutschen Recht bestimmt, sofern sie in Deutschland ausgeübt wird.
Falls der Soldat im Rahmen seines Einsatzes in Afghanistan also verwundet und zur
ärztlichen Behandlung nach Deutschland ausgeflogen werden sollte, so sollten sich insoweit
aus seiner muslimischen Religionszugehörigkeit insoweit wohl keine Besonderheiten ergeben, als das deutsche Recht in diesem Bereich nach unserer Kenntnis keine Differenzierungen an die Religionszugehörigkeit eines Vollmachtgebers knüpft.
2.
Zur Patientenverfügung
Noch wohl richtiger Auffassung, fällt jedenfalls eine isolierte Patientenverfügung mangels Erteilung einer Vertretungsmacht - nicht unter Art. 15 ESÜ (vgl. Säcker, in:
Münchener Kommentar zum BGB, 5. Auflage 2010, ESÜ, Rn. 9, Fn. 1; Staudinger/von
Hein, Neubearbeitung 2008, Vorbemerkung zu Art. 24 EGBGB, Rn. 178).
Von einer isolierten Patientverfügung kann richtigerweise wohl dann gesprochen werden,
wenn der Betroffene ohne jeglichen Bezug zu einer Bevollmächtigung seinen allgemeinen
Willen z.B. zum Abbruch einer ärztlichen Behandlung festhält (vgl. Staudinger/von Hein,
Neubearbeitung 2008, Vorbemerkung zu Art. 24 EGBGB, Rn. 179).
Bei einer derartigen (isolierten) Patientenverfügung geht es also nicht um die Vornahme von
zivilrechtlichen Rechtsgeschäften, sondern um die (Vorab-)Erteilung einer Zustimmung, die
(insbesondere) dazu führen soll, dass bestimmte (ärztliche) Maßnahmen - bzw. deren Unterlassung - keinen strafrechtlichen Tatbestand erfüllen bzw. andere sonst eintretende öffentlich-rechtliche Folgen vermieden werden (vgl. hierzu etwa: Heggen, ZNotP 2008, 184,
195).
Die Frage nach dem auf eine Patientenverfügung anwendbaren Recht ist also keine Frage
des internationalen Privatrechts im engeren Sinne, sondern richtigerweise vielmehr dem Bereich des internationalen Strafrechts zuzuordnen (vgl. Heggen, ZNotP 2008, 184, 195).
Nachdem das internationale Strafrecht vom Territorialitätsprinzip beherrscht wird, kann für
eine Patientenverfügung nichts anderes gelten (vgl. Heggen, ZNotP 2008, 184, 195). Eine
Rechtswahl ist nicht möglich (vgl. Heggen, ZNotP 2008, 184, 195).
Dementsprechend dürfte es wohl auch unmöglich sein, in der notariellen Praxis eine Patientenverfügung zu entwerfen, die weltweite Gültigkeit beansprucht (vgl. Heggen, ZNotP 2008,
184, 195)
Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass sich die Zulässigkeit bzw. Straflosigkeit von ärztlichen Maßnahmen, die in Deutschland vorgenommen oder eingestellt oder unterlassen
werden nach deutschem Recht richtet, welches - jedenfalls nach unserer Kenntnis - auch in
diesem Bereich keine Differenzierungen an die Religionszugehörigkeit des Patienten knüpft.
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3.
Ergänzende Ausführungen im Hinblick auf die muslimische Religionszugehörigkeit
Auch wenn wir – wie vorstehend ausgeführt – meinen, dass sich aus der muslimischen
Religionszugehörigkeit des Soldaten bei einer – für den Fall seiner Verwundung wohl zu
erwarteten – ärztlichen Behandlung in Deutschland aus der Sicht des deutschen Rechts grds.
keine Besonderheiten ergeben sollten, seien zur Abrundung doch folgende Ausführungen
gestattet:
a. Wie sich aus einem Artikel der taz aus dem Jahr 2005 ergibt, gibt es offenbar ein
Rechtsgutachten des türkischen Amts für Religionsangelegenheiten vom September
2003, wonach das Abschalten lebenserhaltender medizinischer Geräte dann nicht im
Konflikt mit dem islamischen Glauben steht, wenn die Gehirnfunktionen vollständig
erloschen sind, Herz und Atmung vollständig nicht mehr funktionieren und eine
Verbesserung dieses Zustandes - durch entsprechende Experten - ausgeschlossen
werden kann (vgl. taz Nr. 7656 vom 4.5.2005, S. 4).
Anlass für diese Fatwa des türkischen Amts für Religionsangelegenheiten war wohl
der Fall des Gouverneurs der türkischen Provinz Denizli, Recep Yazicioglu (vgl. taz
Nr. 7656 vom 4.5.2005, S. 4). Dieser wurde im Jahr 2003 nach einem Verkehrsunfall
über seinen Hirntod hinaus künstlich am Leben erhalten und es herrschte seinerzeit
wohl Unklarheit darüber, ob das Abschalten der lebenserhaltenden Apparate nach
islamischen (Rechts-)Verständnis vertretbar sei (vgl. taz Nr. 7656 vom 4.5.2005,
S. 4).
Bei einer Fatwa handelt es sich um ein islamisches Rechtsgutachten, das in der Regel von einem Mufti angefertigt wird, um ein spezielles Problem, welches im Rahmen
der
islamischen
Religion
aufgetreten
ist,
zu
klären
(vgl.
http://de.wikipedia.org/wiki/Fatwa).
Das türkische Amt für Religionsangelegenheiten (türkisch: Diyanet İşleri Başkanlığı)
ist eine staatliche Einrichtung der Türkei zur Verwaltung religiöser Angelegenheiten
und zugleich die höchste islamische Autorität des Landes (vgl.
http://de.wikipedia.org/wiki/Diyanet_%C4%B0%C5%9Fleri_Ba%C5%9Fkanl%C4
%B1%C4%9F%C4%B1).
Nachdem offenbar bis zu 85 % der türkischen Muslime der sunnitischen
Glaubensrichtung angehören (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/T%C3%BCrkei),
gehen wir davon aus, dass sich das türkische Amt für Religionsangelegenheiten zur
Auslegung des sunnitischen Islams berufen fühlt.
b. Nach Orthmann herrscht im Islam wohl ganz generell ein Selbstmordverbot, wonach
es selbst dann verboten ist, sich selbst zu töten, wenn die äußeren Umstände den Tod
als Erlösung aus einer schwierigen Situation erscheinen lassen (vgl. Orthmann, Die
Stunde des Todes liegt allein in Gottes Hand, Selbstmord und Euthanasie im Islam,
NZZ v. 15.9.2001, S. 95).
So ist es wohl selbst Schwerverletzten untersagt, ihre Qual abzukürzen (vgl.
Orthmann, Die Stunde des Todes liegt allein in Gottes Hand, Selbstmord und
Euthanasie im Islam, NZZ v. 15.9.2001, S. 95).
Die Begründung hierfür besteht wohl in der Vorstellung, dass das menschliche
Leben ein Gut darstellt, welches den Menschen nicht selbst gehört, sondern ihnen
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von Gott lediglich anvertraut ist (vgl. Orthmann, Die Stunde des Todes liegt allein in
Gottes Hand, Selbstmord und Euthanasie im Islam, NZZ v. 15.9.2001, S. 95). Leben
und Sterben liegen allein in Gottes Hand (vgl. Orthmann, Die Stunde des Todes liegt
allein in Gottes Hand, Selbstmord und Euthanasie im Islam, NZZ v. 15.9.2001,
S. 95).
Setzt man seinem Leben vorzeitig ein Ende, so lehnt man sich nach islamischem
Rechtsverständnis gegen Gottes Ratschluss auf (vgl. Orthmann, Die Stunde des
Todes liegt allein in Gottes Hand, Selbstmord und Euthanasie im Islam, NZZ v.
15.9.2001, S. 95).
Selbst schweres Leid soll ein Muslim folglich offenbar geduldig ertragen und den
Tod akzeptieren, wenn seine Stunde gekommen ist (vgl. Orthmann, Die Stunde des
Todes liegt allein in Gottes Hand, Selbstmord und Euthanasie im Islam, NZZ v.
15.9.2001, S. 95).
Nach Orthmann ist die religiöse Bewertung eines Verzichts auf lebensverlängernde
Maßnahmen im Rahmen islamischer Auseinandersetzungen über die Zulässigkeit
von Euthanasie zu sehen (vgl. Orthmann, Die Stunde des Todes liegt allein in Gottes
Hand, Selbstmord und Euthanasie im Islam, NZZ v. 15.9.2001, S. 95).
Eindeutig abgelehnt wird wohl jedwede Form aktiver Sterbehilfe, die mit Selbstmord
bzw. Totschlag gleichgesetzt wird (vgl. Orthmann, Die Stunde des Todes liegt allein
in Gottes Hand, Selbstmord und Euthanasie im Islam, NZZ v. 15.9.2001, S. 95).
So wenig, wie ein Kranker selbst seinem Leid ein Ende setzen darf, ist dies anderen
gestattet, selbst wenn sie mit Zustimmung oder Wunsch des Patienten handeln (vgl.
Orthmann, Die Stunde des Todes liegt allein in Gottes Hand, Selbstmord und
Euthanasie im Islam, NZZ v. 15.9.2001, S. 95).
Verboten sind hierbei wohl nicht nur solche Maßnahmen, die eine direkte Tötung
enthalten, wie etwa das Verabreichen von Gift, sondern auch das Unterlassen von
lebensverlängernden Maßnahmen (vgl. Orthmann, Die Stunde des Todes liegt allein
in Gottes Hand, Selbstmord und Euthanasie im Islam, NZZ v. 15.9.2001, S. 95).
Ein Arzt, der sich nicht mehr mit allen Mitteln um einen Todkranken bemüht, mache
sich daher der unrechtmäßigen Tötung eines Menschen schuldig (vgl. Orthmann, Die
Stunde des Todes liegt allein in Gottes Hand, Selbstmord und Euthanasie im Islam,
NZZ v. 15.9.2001, S. 95).
Im Hinblick auf das (reine) Abschalten lebenserhaltender Apparate in der modernen
Intensivmedizin sehen sich islamische Gelehrte diesbezüglich allerdings wohl zu
einer stärkeren Differenzierung veranlasst (vgl. Orthmann, Die Stunde des Todes
liegt allein in Gottes Hand, Selbstmord und Euthanasie im Islam, NZZ v. 15.9.2001,
S. 95).
So habe lt. Orthmann etwa der im Jahr 2010 verstorbene vormalige oberste
Religionsgelehrte der ägyptischen al-Azhar-Universität, Muhammad Said Tantawi,
im Rahmen einer medizinischen Konferenz zu Fragen der Euthanasie Stellung
bezogen und hierbei darauf hingewiesen, dass der Tod eine Trennung vom Leben
bedeute und dass den Zeitpunkt der Trennung nicht die Religionsgelehrten, sondern
vielmehr die Mediziner zu beurteilen hätten (vgl. Orthmann, Die Stunde des Todes
Seite 6
liegt allein in Gottes Hand, Selbstmord und Euthanasie im Islam, NZZ v. 15.9.2001,
S. 95).
Das bereits im 10. Jahrhundert gegründete Institut, dem Tantawi vorstand, ist wohl
die
bedeutendste
Institution
des
sunnitischen
Islam
(vgl.
www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,682723,00.html). Tantawi war zugleich
Imam der al-Azhar-Moschee und galt wohl als oberste religiöse Autorität des
sunnitischen Islams (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Muhammad_Sayyid_Tantawi).
Bei einem Hirntoten lebenserhaltende Maschinen abzuschalten, die nur noch sein
Herz am Schlagen hielten, stelle lt. Tantawi keinen unerlaubten Eingriff dar, sondern
zeige vielmehr, dass man sich Gottes Willen füge (vgl. Orthmann, Die Stunde des
Todes liegt allein in Gottes Hand, Selbstmord und Euthanasie im Islam, NZZ v.
15.9.2001, S. 95).
Nach Orthmann stelle demnach die Frage des Hirntodes einen zentralen Punkt in der
islamischen Diskussion über die Zulässigkeit des Abschaltens medizinischer Geräte
dar (vgl. Orthmann, Die Stunde des Todes liegt allein in Gottes Hand, Selbstmord
und Euthanasie im Islam, NZZ v. 15.9.2001, S. 95).
Wann ein Mensch als tot zu gelten hat, wird von den Islamgelehrten wohl unterschiedlich beurteilt (vgl. Orthmann, Die Stunde des Todes liegt allein in Gottes
Hand, Selbstmord und Euthanasie im Islam, NZZ v. 15.9.2001, S. 95).
Als Todeszeitpunkt wird im Islam wohl generell derjenige Moment definiert, in dem
die Seele aus dem Körper austritt (vgl. Orthmann, Die Stunde des Todes liegt allein
in Gottes Hand, Selbstmord und Euthanasie im Islam, NZZ v. 15.9.2001, S. 95).
Nachdem dieser Zeitpunkt einer exakten naturwissenschaftlichen Feststellung
erkennbar unzugänglich ist, wird unter Muslimen wohl darüber diskutiert, inwieweit
der Hirntod als eindeutiges Todeskriterium zu akzeptieren sei, wobei entsprechende
Debatten wohl erst seit den 1980er Jahren geführt werden (vgl. Orthmann, Die
Stunde des Todes liegt allein in Gottes Hand, Selbstmord und Euthanasie im Islam,
NZZ v. 15.9.2001, S. 95).
So wird wohl etwa vertreten, dass im Falle eines partiellen Hirntodes alle
Anstrengungen unternommen werden müssen, um den Patienten am Leben zu
erhalten, wohingegen bei einem völligen Hirntod der Patient als in rechtlicher Hinsicht tot zu betrachten sei, so dass alle Geräte abgeschaltet werden dürfen (vgl.
Orthmann, Die Stunde des Todes liegt allein in Gottes Hand, Selbstmord und Euthanasie im Islam, NZZ v. 15.9.2001, S. 95).
Nicht nur eine vorzeitige Beendigung eines Lebens, sondern auch seine künstliche
Verlängerung über den eigentlichen Tod hinaus, stelle eine Einmischung in Gottes
Zuständigkeitsbereich dar, so dass das passive Sterbenlassen nur noch künstlich
durch medizinische Geräte am Leben erhaltener Patienten deswegen als ein
Akzeptieren von Gottes Willen verstanden werden könne und damit eine positive
Bewertung zu erfahren habe (vgl. Orthmann, Die Stunde des Todes liegt allein in
Gottes Hand, Selbstmord und Euthanasie im Islam, NZZ v. 15.9.2001, S. 95).
Andere islamische Gelehrte lehnen jedoch wohl eine Anknüpfung an den Hirntod
kategorisch ab, da dieser nach ihrem Verständnis keine absolute Gewissheit über den
Seite 7
Eintritt des Todes biete (vgl. Orthmann, Die Stunde des Todes liegt allein in Gottes
Hand, Selbstmord und Euthanasie im Islam, NZZ v. 15.9.2001, S. 95).
c. Zur Ergänzung und Vertiefung verweisen wir auf die Ausführungen von Kellner, der
sowohl den Hirntod wie auch die Sterbehilfe aus islamischer Sicht ausführlich
thematisiert (vgl. Kellner, Islamische Rechtsmeinungen zu medizinischen Eingriffen
an den Grenzen des Lebens, 1. Aufl. 2010, S. 113 - 153).
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