Therapiekonzept Hellweg-Klinik Oerlinghausen Fachklinik für Psychotherapie und Suchtmedizin Januar 2013 Vorwort Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, vor Ihnen liegt die aktuelle Fassung des Therapiekonzeptes der Hellweg-Klinik Oerlinghausen, Fachklinik für Psychotherapie und Suchtmedizin. In dem vorliegenden Therapiekonzept wird die ärztlich-therapeutische Arbeit der Mitarbeitenden der Hellweg-Klinik Oerlinghausen beschrieben. Dazu werden zunächst die wissenschaftlichen Grundannahmen skizziert, auf denen das Krankheits- und Therapiekonzept beruht. Unser Therapiekonzept ist das Ergebnis aus einem fortlaufenden Diskussions- und Verbesserungsprozess. Als Grundlage dient unsere 45-jährige Erfahrung in der stationären Entwöhnungsbehandlung, die ergänzt wird durch die aktuellen Forschungsergebnisse aus dem Bereich der Grundlagenforschung und den aktuellen Therapieleitlinien. Ganz wertvolle Hinweise für das Therapiekonzept ergaben sich aus dem kontinuierlichen Diskussionsprozess mit Fachleuten aus den verschiedensten Bereichen der Suchtkrankenhilfe. Unser Dank gilt allen Kolleginnen und Kollegen, die sich mit unseren Fragen und Antworten konstruktiv kritisch auseinandergesetzt haben und selbstverständlich den Patienten der Hellweg-Klinik Oerlinghausen, die durch ihr mutiges Beispiel zur Entwicklung dieses Therapiekonzeptes beigetragen haben. Die Autoren dieses Therapiekonzeptes fassen die Erfahrungen und Kompetenzen der Mitarbeitenden der Hellweg-Klinik Oerlinghausen zusammen, denen der Dank für diese Arbeit und für die alltägliche Arbeit mit den Suchtpatienten gilt. Oerlinghausen, Januar 2013 Dr. med. Solmaz Golsabahi-Broclawski Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Suchtmedizinische Grundversorgung Ärztliche Direktorin der Hellweg-Kliniken Alexander Schweppe Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Facharzt für Allgemeinmedizin Stellvertretender Direktor der Hellweg-Kliniken Heike von Loh Geschäftsführerin -2- Inhaltsverzeichnis I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII. IX. X. XI. XII. XIII. Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Die Hellweg-Klinik Oerlinghausen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Wissenschaftliche Grundannahmen des Therapiekonzeptes . . . . . . . . . . . . . . . . 6 II.1 Kurzer Überblick über den derzeitigen Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 II.1.1 Medizinischer Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 II.1.2 Psychologisch-psychotherapeutische Theorien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 II.2 Persönlichkeitsmodelle, bzw. Erklärungsmodelle menschlichen Verhaltens . . . 8 II.3 Erklärungsmodell der Abhängigkeitserkrankung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 II.4 Gesundheitsmodell der WHO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 II.5 Entwicklung der Abhängigkeitserkrankung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 II.6 Therapeutische Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Definition, Symptome und Folgen der Abhängigkeitserkrankung . . . . . . . . . . 22 III.1 Indikationsspektrum Hellweg Klinik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Therapie der Abhängigkeitserkrankung im Behandlungsverbund . . . . . . . . . 26 IV.1 Kombinationsmodelle der Deutschen Rentenversicherung Bund . . . . . . . . . . . . 27 Therapiekonzept der Hellweg-Klinik Oerlinghausen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 V.1 Organisationsstrukturen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 V.2 Therapieziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 V.3 Therapiebausteine. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 V.3.1 Suchtmedizinische Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 V.3.2 Psycho-Soziotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 V.3.2.1 Bezugstherapeutensystem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 V.3.3 Handlungsorientierte Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 V.3.4 Diakonische Begleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 V.3.5 Rückfallkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 V.4 Kombitherapien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 V.4.1 Zusammenarbeit mit Selbsthilfegruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Kommunikationsstrukturen der Klinik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Qualitätsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Entscheidungsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Raumsituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Therapie- und Hausordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Kontakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 -3- I. Die Hellweg-Klinik Oerlinghausen Die Hellweg-Klinik Oerlinghausen ist eine Fachklinik für Psychotherapie und Suchtmedizin und stellt 100 stationäre Behandlungsplätze zur medizinischen Rehabilitation Abhängigkeitserkrankter zur Verfügung. Träger der Klinik ist das Ev. Johanneswerk in Bielefeld. Die Klinik ist eine Einrichtung der Diakonie. Der federführende Leistungsträger ist die Deutsche Rentenversicherung Bund. Die Hellweg-Klinik Oerlinghausen begann 1966 ihre therapeutische Arbeit und liegt in landschaftlich reizvoller Lage am Rande des Teutoburger Waldes und gehört zum Kreis Lippe. Das Klinikgelände liegt am Rande des Naturerholungsgebiet Senne und umfasst ca. 9,37 ha. Die Patienten wohnen in Einzelund Doppelzimmern. Das stationäre Behandlungsangebot (medizinische Rehabilitation) ist geeignet für entgiftete alkoholund medikamentenabhängige Männer. In bestimmtem Umfang können gleichzeitig bestehende psychiatrische Kormorbiditäten und somatische Begleiterkrankungen mitbehandelt werden. Darüber hinaus können polytoxikomane Männer, bei denen die Einnahme der illegalen Droge Heroin nicht im Vordergrund steht, behandelt werden. Die zusätzlich bestehend Verhaltenssüchte (Glücksspielsucht, Internet- und Computerspielsucht) werden mitbehandelt. machen. Durch enge Absprache mit den Zuweisern und durch ein Vorgespräch mit den Ärzten der Klinik kann entschieden werden, ob eine Therapie in der Hellweg-Klinik Oerlinghausen zum jetzigen Zeitpunkt fachlich indiziert ist, oder ob zunächst weitere stabilisierende Maßnahmen zur Erreichung der Rehabilitationsfähigkeit erforderlich sind. Derzeit werden in der Hellweg-Klinik Oerlinghausen nur männliche Patienten behandelt. Aus diesem Grunde sind Therapieangebote entwickelt worden, die das biologische und soziokulturelle Geschlecht (Gender) in besonderer Weise berücksichtigen. Das Therapieangebot ist geeignet für Patienten ab einem Alter von 18 Jahren. Die Therapiezeit ist individuell und wird durch den Behandlungsauftrag und die individuellen Therapieziele festgelegt. Die Hellweg-Klinik Oerlinghausen ist der stationäre Baustein eines regionalen Behandlungsverbundes. Eine enge Zusammenarbeit mit Einrichtungen der ganztägig ambulant Rehabilitation suchtkranker Menschen bundesweit wird unsererseits angestrebt und gepflegt. Vor dem Hintergrund ihrer wissenschaftlichen Grundannahmen hat die Klinik folgende Therapieschwerpunkte entwickelt: Sucht und Angst Sucht und Trauma ■ Sucht und Depression ■ Sucht und Persönlichkeitsstörungen ■ Sucht und Teilhabe am Arbeitsleben ■ ■ Kontraindikationen für die stationäre medizinische Rehabilitation ergeben sich durch schwere körperliche und psychiatrische Erkrankungen, die eine Akutbehandlung in einem somatischen Krankenhaus oder in einer psychiatrischen Klinik erforderlich Hauptbeleger der Hellweg-Klinik Oerlinghausen sind die Deutsche Rentenversiche- -4- I. Die Hellweg-Klinik Oerlinghausen rung Bund und die Deutsche Rentenversicherung Westfalen. Darüber hinaus erfolgt die Belegung von Rentenversicherungen, der Bundesknappschaft und der Postbeamtenkrankenkasse sowie verschiedenen Krankenkassen. Seit dem Jahre 2003 hat die Hellweg-Klinik Oerlinghausen ein anerkanntes Qualitätsmanagementsystem und ist zertifiziert nach DIN EN ISO 9001:2008 und den Richtlinien der BAR. Die Klinik ist Mitglied des Bundesverbandes für stationäre Suchtkrankenhilfe e.V. (BUSS) und Mitglied des Gesamtverbandes für Suchtkrankenhilfe im Diakonischen Werk der evangelischen Kirche (GVS). -5- II. Wissenschaftliche Grundannahmen des Therapiekonzeptes Zunächst soll ein kurzer Überblick über die derzeitigen Forschungskenntnisse gegeben werden. Danach wird das zugrundeliegende Persönlichkeitsmodell bzw. Erklärungsmodell von menschlichem Verhalten und Erleben dargestellt. Hier werden die modernen Erkenntnisse des ICF berücksichtigt. Die angegebene Literatur dient als Hinweis für die Informationsquellen, die wir genutzt haben, um unsere Grundannahmen vor dem Hintergrund des aktuellen Kenntnisstandes abzuleiten. Abschließend werden die daraus resultierenden therapeutischen Maßnahmen vor dem Hintergrund des derzeitigen evidenzbasierten Forschungsstandes beschrieben. Dabei werden die aktuellen medizinischen Leitlinien der Postakutbehandlung (stationäre medizinische Rehabilitation) und die Behandlungsleitlinien der Deutschen Rentenversicherung berücksichtigt. II.1 Kurzer Überblick über den derzeitigen Forschungsstand Die Abhängigkeitserkrankung stellt ein komplexes und mehrschichtiges Störungsbild auf körperlicher, psychischer und sozialer Ebene dar. Aus diesem Grund spricht man von einem bio-psychosozialen Störungsbild. Als Einrichtung der Diakonie ergänzen wir diese 3 Hauptaspekte durch eine spirituelle Komponente. II.1.1 Medizinischer Forschungsstand Durch die neuen Forschungsmethoden (bildgebende Verfahren, Neurotransmitterbestimmung) haben sich umfassende Kenntnisse zu den neurobiologischen Grundlagen der Abhängigkeitserkrankung entwickelt. Einigkeit besteht heute darüber, dass es eine genetische Disposition zur Entstehung der Abhängigkeitserkrankung gibt, die sich in einer erhöhten Vulnerabilitätgegenüber dem Suchtmittel und der Entwicklung der Abhängigkeitssymptome zeigt. Das Risiko für ein Individuum, suchtmittelabhängig zu werden, ist erhöht, wenn ein Elternteil oder andere Familienmitglieder abhängigkeitserkrankt sind. Diese genetische Vulnerabilität als Risikofaktor wird jedoch erst im Zusammenhang mit anderen Risikofaktoren wirksam. Diese Kenntnisse sind besonders wichtig für die Prävention und Frühintervention. Die neuen Forschungsergebnisse aus dem Bereich der neurobiologischen Grundlagenforschung ergeben Hinweise auf pathologische Veränderungen in Stoffwechselprozessen im Hirnstamm und anderen subcorticalen Hirnarealen. In diesem Zusammenhang ist das „Suchtgedächtnis“ und die Auswirkungen des regelmäßigen Suchtmittelkonsums auf das „Belohnungszentrum“ zu nennen. Die damit verbundenen Veränderungen der Transmitteraktivitäten und Rezeptorveränderungen an den Membranen der Nervenzellen sind zunehmend belegt und haben deutlich gemacht, dass verschiedene Neurotransmitter an dem Prozess der Entstehung und Aufrechterhaltung der Abhängigkeitserkrankung beteiligt sind (Dopamin, Glutamat, Se- -6- II. Wissenschaftliche Grundannahmen des Therapiekonzeptes rotonin, GABA). Die Erkenntnisse der neurobiologischen Grundlagenforschung verbessern das Verständnis von psychovegetativen Symptomen und geben wichtige Hinweise auf den Aufbau von Verhaltensänderungen im Sinne eines „Umlernens“ durch verhaltenstherapeutische Maßnahmen. Basierend auf den modernen psychiatrischen Forschungsergebnissen über den Zusammenhang zwischen Sucht und Komorbidität, wird nach einer entsprechenden Diagnostik bei vorliegender Indikation psychopharmakologisch behandelt. Die dazu notwendige Entscheidung wird vom behandelnden Psychiater getroffen vom Bezugstherapeuten im Behandlungsplan berücksichtigt und in der Fallbesprechung reflektiert. Die modernen Forschungserkenntnisse aus dem Bereich der somatischen Grundlagenforschung (Innere Medizin, Ernährung, Neurologie etc.) werden von den Fachärzten der Klinik im Behandlungsplan der Patienten berücksichtigt. Im ärztlichen Gespräch und Informationsveranstaltungen (Medizinischer Unterricht) werden diese Ergebnisse den Patienten vermittelt, mit dem Ziel einer abstinenten und ganzheitlich gesunden Lebensweise, insbesondere im Bereich Ernährung, Bewegung, Reduktion anderer Gesundheitsrisiken (z.B. Hypertonie) und Konsum anderer schädlicher Suchtmittel (z.B. Nikotin). II.1.2 Psychologisch-psychotherapeutische Theorien Es gibt eine Vielzahl von psychologisch-psychotherapeutischen Theorien über die Abhängigkeitserkrankung, die häufig schulenspezifisch sind und sich in ihren therapeu- tischen Grundannahmen unterscheiden. Keine der vorliegenden Theorien hat bisher eine universelle Gültigkeit gefunden, was vor dem Hintergrund der Komplexität auch nicht zu erwarten ist. In evidenzbasierten Untersuchungen haben sich besonders verhaltenstherapeutische und tiefenpsychologische Grundannahmen bestätigt. Es wird davon ausgegangen, dass sich die Abhängigkeitserkrankung vor dem Hintergrund einer genetischen Disposition bzw. Vulnerabilität entwickelt, die zu neurobiochemischen Veränderungen führt. Diese Vulnerabilität kommt zum Ausbruch, wenn sie durch bestimmte Lebensereignisse (persönliche, familiär geprägte, wirtschaftliche und/oder politische Faktoren) ausgelöst wird. Das zugrundeliegende Menschenbild in unserer Suchtkrankenarbeit ist geprägt durch unser diakonisches Leitbild und durch eine ressourcenorientierte Betrachtungsweise. Dabei sehen wir den suchtkranken Menschen als ein von Gott gewolltes Individuum mit Stärken und Schwächen, mit effektiven und ineffektiven Problemlösestrategien, das unter bestimmten Bedingungen eine Abhängigkeitserkrankung entwickeln kann. Durch die Forschungsergebnisse von Prohaska und DiClemente angeregt, gehen wir von einem dynamischen Prozess der Veränderungsbereitschaft aus, der durch die Methoden der motivierenden Gesprächsführung (Miller und Rollnik) gesundheitsfördernd beeinflusst werden kann. Aufgrund des vielschichtigen Störungsmodells der Abhängigkeitserkrankung sind eine Reihe von therapeutischen Interventionsansätzen entwickelt und empirisch überprüft worden. Neben suchtmedizinischen und psychotherapeutischen Ansätzen sind auch -7- II. Wissenschaftliche Grundannahmen des Therapiekonzeptes sozialtherapeutische Gesichtspunkte zu berücksichtigen, ebenso Behandlungsansätze aus dem Bereich der handlungsorientierten Therapie (Kreativtherapie, Arbeitstherapie, Körpertherapie), deren Stellenwert sich besonders im Bereich der arbeitsbezogenen medizinischen Rehabilitation zeigt. Der „Streit“ zwischen dem medizinischen Krankheitsmodell und einem sozialwissenschaftlichen Krankheitsmodell hat zu einer konstruktiven Integration der o.g. Ansätze geführt. Aus diesem Grunde ist ein multiprofessionelles Behandlungsteam erforderlich, um den suchtkranken Menschen auf dem Weg aus der Abhängigkeit zu begleiten. II.2 Persönlichkeitsmodelle, bzw. Erklärungsmodelle menschlichen Verhaltens Dem Therapiekonzept der Hellweg-Klinik Oerlinghausen liegt ein verhaltensmedizinisch orientiertes Konzept zugrunde. Dabei spielt die Funktionalität des Suchtmittels im Rahmen der Lerngeschichte und in der aktuellen Situation des betroffenen Individuums eine wesentliche Rolle. Problemverhalten bzw. Krankheitsverhalten wird als erlerntes Verhalten vor dem Hintergrund somatischer und biologischer Wirkfaktoren betrachtet. Dabei spielen praedisponierende, auslösende und aufrechterhaltende Faktoren eine wichtige Rolle. Menschliche Verhaltensweisen entstehen aus dem Zusammenwirken situativer Faktoren, kognitiver Prozesse (Erwartungen, Oberpläne) und der Wirkung bestimmter Lernprinzipien (respondentes Lernen, operantes Lernen, Modell-Lernen, zustandsabhängiges Lernen). So haben sich in den letzten Jahren zunehmend sozial-kognitive Ansätze entwickelt. Menschliches Verhalten wird dabei als gelerntes Verhalten angesehen, das unter bestimmten Bedingungen erlernt worden ist und auch wieder verlernt werden kann. Dabei spielen kognitive Aspekte und das vorhandene Verhaltensrepertoire eines Menschen eine wichtige Rolle. Problemverhalten entsteht häufig durch ineffektive Problemlösestrategien vor dem Hintergrund inadäquater kognitiver Prozesse. Außerdem finden die Ressourcen und die Umweltbedingungen des Patienten Beachtung. Durch das Zusammenwirken der aufgezählten Faktoren entwickelt sich ein Individuum mit Fähigkeiten und Stärken sowie mit Schwächen und Defiziten. Dabei verfügen Individuen über kurz- und langfristig effektive Problemlösestrategien sowie über kurzfristig effektive und langfristig ineffektive Bewältigungsstrategien. Menschliches Problemverhalten entsteht häufig dann, wenn kurzfristig effektive Problemlösestrategien angewandt werden, die langfristig aber negative Konsequenzen für das Individuum haben. Dazu zählt auch das Problemverhalten des exzessiven Trinkens bzw. der Alkoholabhängigkeit. Durch die neuen bildgebundenen Verfahren können diese Prozesse im Gehirn sichtbar gemacht werden und bestätigen die Erfahrungen der in der Praxis tätigen Therapeuten. Somit kann das exzessive Trinken im Rahmen der Alkoholabhängigkeit als erlerntes Verhalten beschrieben werden, welches den allgemein gültigen Lernprozessen unterliegt. Es existieren eine Reihe von experimentellen Arbeiten, die zeigen, dass der pharmakologische Effekt des Alkohols, von kognitiv vermittelten subjek- -8- II. Wissenschaftliche Grundannahmen des Therapiekonzeptes tiven Erwartungen gesteuert, angesehen werden kann und dass die von einer Person in den Alkohol gesetzte Erwartung für die subjektiv empfundene Wirkung von Alkohol mitbestimmt ist. Im Sinne der Hervorhebung alkoholspezifischer Erwartungshaltungen hat Marlatt ein sozial kognitives Modell des Trinkverhaltens und der Alkoholabhängigkeit abgeleitet: Demnach ergibt sich die Wahrscheinlichkeit des Alkoholkonsums in einer Stresssituation, in Abhängigkeit von dem in dieser Situation subjektiv wahrgenommenen Stresses, dem Repertoire an Bewältigungsfertigkeiten, der Einschätzung persönlicher Kontrollfähigkeit bzw. der Verfügbarkeit des Alkohols und Erwartung der Effektivität des Alkoholkonsums zur Stressbewältigung. Der ausgewählte verhaltensmedizinische Ansatz beeinflusst im Wesentlichen das psychotherapeutische Grundkonzept der Hellweg-Klinik Oerlinghausen. Der von uns gewählte integrative Ansatz bezieht sich im Wesentlichen auf zwei Betrachtungsebenen: 1. Integration verschiedener psychotherapeutischer Erklärungs- bzw. Interventionsstrategien: In den ärztlich-therapeutischen Fallbesprechungen wird die integrative Betrachtungsweise praktisch umgesetzt, indem der Bezugstherapeut seinen Patienten und dessen Suchtmitteleinnahme vor dem Hintergrund seiner individuellen Lebensgeschichte darstellt. Wir benutzen die analytisch-tiefenpsychologische Betrachtung, um das Störungsbild des Patienten zu verstehen. Diese Betrachtungsweise hilft vor allen Dingen unter diagnostischen Gesichtspunkten. Die verhaltenstherapeutische Betrachtungsweise ist für uns nützlich, um vor dem Hintergrund der funktionalen Bedingungsanalyse das aktuelle Problemverhalten des exzessiven Trinkens zu verstehen und erfolgversprechende Veränderungen gemeinsam mit dem Patienten zu planen und durchzuführen. Dabei liegt unser Interesse vor allen Dingen darin, dem Patienten effektive Problemlösestrategien zu vermitteln, damit er in Zukunft emotionale oder andere Stresssituationen ohne Einsatz von Suchtmitteln bewältigen kann. Die systemische Betrachtungsweise ist hilfreich, wenn wir den Patienten im Rahmen seiner sozialen Bezüge betrachten und Hypothesen entwickeln, welche Konsequenzen die individuellen Veränderungen des Patienten für sein soziales System haben werden. Auch bei der Planung und Durchführung der Paargespräche bzw. Angehörigengruppe ist die systemische Betrachtungsweise hilfreich. 2. Integration verschiedener Behandlungsansätze Unser integratives Behandlungskonzept berücksichtigt noch einen weiteren wichtigen Aspekt: Die Integration von medizinischer Behandlung, Psychotherapie, Soziotherapie, handlungsorientierter Therapie und diakonischer Begleitung. Aufgrund des komplexen und mehrschichtigen Störungsbildes der Abhängigkeitserkrankung sind wir fest davon überzeugt, dass diese verschiedenen Behandlungsansätze kombiniert bzw. integriert werden müssen. Dabei muss im Einzelfall sorgfältig abgeklärt werden, wie viel aus jedem Behandlungsbereich für den ent- -9- II. Wissenschaftliche Grundannahmen des Therapiekonzeptes sprechenden Patienten angemessen ist. Wir werden dieses Integrationskonzept im Rahmen unseres „Vier-Säulen-Modells“ der Therapie (s. Kapitel V) erläutern. II.3 Erklärungsmodell der Abhängigkeitserkrankung Das zugrundegelegte Verständnis der Abhängigkeitserkrankung geht ebenfalls von der Annahme aus, dass es sich bei der Entstehung und Aufrechterhaltung der Abhängigkeitserkrankung um ein multifaktorielles Bedingungsgefüge handelt. Alle bisherigen Versuche, die Abhängigkeitserkrankung monokausal zu beschreiben, sind unserer Ansicht nach unzureichend, um die Komplexität der Abhängigkeitserkrankung adäquat zu erfassen. Außerdem ist es schwer, die Folgen und Ursachen zu trennen, zumal auch die Konsequenzen der Alkoholeinnahme häufig Auslöser für die erneute Einnahme des Suchtmittels sein kann. Um die multifaktorielle Entstehung und Aufrechterhaltung der Abhängigkeitserkrankung zu verstehen, Individuum Suchtmittel Sozialfeld sollen zunächst die drei Hauptwirkfaktoren nach Feuerlein beschrieben werden: 1. Die spezifische Wirkung der Droge (Suchtmittel), die zur Abhängigkeit führt. 2. Die spezifische Eigenschaft des konsumierenden Individuums. 3. Die Besonderheiten des Sozialfeldes. Zu 1) Die spezifische Wirkung der Droge (Suchtmittel) Bei jedem Suchtmittel muss das spezifische Abhängigkeitspotential beachtet werden (psychotrope Wirkung, dispositionelle und funktionelle Toleranz, etc.) und die Verfügbarkeit und Bewertung im sozialen Umfeld. So ist z.B. die anxiolytische Wirkung von Bromazepam stärker und verlässlicher als die anxiolytische Wirkung von Alkohol. Alkohol ist unter wesentlich anderen Bedingungen verfügbar als Heroin oder andere illegale Drogen. Bei den häufiger werdenden Verhaltenssüchten (Glücksspiel, Internet, Mediensucht) gibt es eine hohe Verfügbarkeit und eine positive gesellschaftliche Bewertung, z.B. Internet oder neue Medien (iPhone). An dieser Stelle kann nicht das psychotrope Wirkungsspektrum jedes Suchtmittels (Droge) dargestellt werden. Wichtig ist es unserer Ansicht nach zu erwähnen, dass jedes Suchtmittel erwünschte (kurzfristig) und unerwünschte (langfristig) Wirkungen hat. Der Suchtmittel konsumierende Mensch sucht zunächst die kurzfristig erwünschten Wirkungen (z.B. Euphorie, Entspannung, Angstreduktion, etc.) und missachtet die langfristig negativen Konsequenzen (Krankheit, Entzug, Verlust der Partnerschaft und/oder Arbeitsstelle, etc.). Abbildung 1: Hauptwirkfaktoren - 10 - II. Wissenschaftliche Grundannahmen des Therapiekonzeptes Zu 2) Die spezifischen Eigenschaften des konsumierenden Individuums Das Individuum, welches Suchtmittel konsumiert, wird unter verschiedenen Aspekten betrachtet. Es gibt eine umfangreiche Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen, die Einzelaspekte des Individuums (genetische Disposition, Persönlichkeitsstruktur, Lerngeschichte, etc.) ergründet haben. Ergebnis dieser Untersuchungen ist, dass verschiedene Wirkfaktoren für das Modell der Abhängigkeitserkrankung berücksichtigt werden müssen, die im Folgenden kurz dargestellt werden. Bei Untersuchungen zur Vererbung wurde festgestellt, dass eine genetische Disposition angenommen werden kann, die bei der Entstehung der Abhängigkeitserkrankung wirksam werden kann. Das Ausmaß der genetischen Disposition ist nicht eindeutig zu quantifizieren. Sie kommt dann zum Ausbruch, wenn zusätzliche Ursachenfaktoren hinzukommen. Die Existenz eines einfachen Vererbungsmechanismus konnte nicht nachgewiesen werden. Die pharmakologische Untersuchung über die Wirkungen von Alkohol hat gezeigt, dass es eine individuelle Toleranz gegenüber dem Suchtmittel Alkohol gibt, die sich in einer unterschiedlichen pharmakologischen Verarbeitung zeigt. Es unterscheidet sich z.B. die Toleranz von Männern und Frauen gegenüber Alkohol. Aber auch die intraindividuelle, pharmakologische Toleranz gegenüber Alkohol ist unterschiedlich und muss im Einzelfall bei der Entstehung und Aufrechterhaltung der Abhängigkeitserkrankung berücksichtigt werden. Eine Reihe von pharmakologischen und neurobiologischen Untersuchungen haben die Wirkung des Alkohols auf verschiedene Rezeptorsysteme untersucht und dabei die Bedeutung verschiedener Neurotransmittersysteme im Hirnstamm, dem mesolimbischen System und präfrontalem Cortex nachgewiesen. Die neurobiologische Forschung arbeitet mit der Annahme eines Dopamin gesteuerten Belohnungs- bzw. Erwartungssystems und setzt dabei ein sogenanntes Suchtgedächtnis voraus. Dieses Suchtgedächtnis nimmt subkortikal Einfluss auf Entscheidungs- und Handlungsprozesse und muss bei der Auslösung und Aufrechterhaltung der Abhängigkeitserkrankung berücksichtigt werden. Forschungsergebnisse im Tierversuch und neuere bildgebende Verfahren haben nachgewiesen, dass durch den Aufbau abstinenter Verhaltensweisen ein Umlernen möglich ist, so dass suchtspezifische Hinweisreize im Verlauf des therapeutischen Prozesses ihren auslösenden Charakter verlieren können. Dabei ist unbestritten, dass bei Vorhandensein einer Abhängigkeitserkrankung ein kontrolliertes Trinken nicht mehr das Ziel einer suchtmedizinischen Behandlung sein kann. Es hat viele Versuche gegeben, die prämorbide Persönlichkeitsstruktur der Abhängigkeitserkrankung zu finden und zu beschreiben. Das Ergebnis dieser Untersuchungen ist, dass es keine eindeutige prämorbide „Suchtpersönlichkeit“ gibt. Anhand des Buches von Riemann lässt sich zeigen, dass die unterschiedliche Ausprägung der Persönlichkeit eines Menschen in ein und derselben Situation zu einer anderen Bewertung, Erwartung oder Verhalten führen kann. Es reagiert z.B. der Mensch mit „zwanghaften“ Persönlichkeitsanteilen ängstlich auf Veränderungen in seiner Lebenssituation, wäh- - 11 - II. Wissenschaftliche Grundannahmen des Therapiekonzeptes rend der Mensch mit „akzentuierten“ Persönlichkeitsanteilen diese Veränderung sucht und den Stillstand als bedrohlich und beängstigend erlebt. Aus diesem Grunde ist es wichtig, die Persönlichkeitsanteile, die wesentlichen Einfluss auf das menschliche Verhalten haben, im diagnostischen Prozess zu erfassen und bei der Therapieplanung zu berücksichtigen. Dies geschieht durch psychiatrische und testpsychologische Untersuchungen. Für die Abhängigkeitserkrankung bedeutet es, dass bei der Therapie eines Individuums z.B. mit narzisstischen Persönlichkeitsanteilen in bestimmten Bereichen andere Interventionstechniken angewandt werden müssen als bei einem Individuum mit ängstlich-depressiven Persönlichkeitsanteilen. Die Funktionalität des Suchtmittels spielt bei den beiden beispielhaft genannten Patienten eine andere Rolle. Während der ängstlich-depressive Patient z.B. Selbstsicherheit und Selbstachtung lernen muß und Defizite im Bereich bestimmter Problemlösestrategien hat, wird der narzisstisch gestörte Patient die therapeutisch begleitete Erfahrung machen müssen, dass Schwächen und Niederlagen nicht so bedrohlich sind und die ganze Person in Frage stellen, wie er es immer wieder antizipiert hat. Während beim ängstlich-depressiven Patienten der Alkohol als „soziales Schmiermittel“ eingesetzt werden kann, dient es beim narzisstisch gestörten Menschen zur Aufrechterhaltung seines inadäquaten hohen Selbstbildes. Diese beiden Beschreibungen sollen an dieser Stelle exemplarisch für die Möglichkeiten der Wirksamkeit von Persönlichkeitsanteilen verwendet werden. Eine ganz wesentliche Bedeutung haben lebensgeschichtliche Ereignisse (life events), die im Rahmen des diagnostischen Prozesses (biographische Anamnese) erfasst werden. Neben traumatischen Erlebnissen (Trennung von den Eltern, Verlust durch Tod und Krankheit, Unfälle, etc.) haben auch „kleinere“, sich ständig wiederholende Verletzungen (Ablehnung, Vermittlung von Unerwünschtsein und Inkompetenz, Zurückweisung, etc.) eine wichtige Bedeutung. Diese lebensgeschichtlichen Ereignisse werden vom Patienten zu einer individuellen „Lebenserfahrung“ verarbeitet, die sich durch bestimmte Lebensregeln (kognitive Regeln) beschreiben lassen. So entwickelt jeder Mensch seine „Lebensregeln“, die einen wesentlichen Einfluss auf sein Verhalten haben. Häufig anzutreffende Lebensregeln bei Suchtkranken sind: „Ich bin ein Versager, ich bin nichts wert, das schaffe ich ja doch nicht, ich halte das nicht durch, ich bin unfähig“. Diese dysfunktionalen Lebensregeln (Kognitionen) lösen häufig negative Gefühle und Bewertungen aus (Angst, Trauer, Unsicherheit, Anspannung, …), die vom Patienten als unangenehm und negativ erlebt werden. Häufig zeigen sich diese negativen Gefühlszustände in subjektiv unangehm erlebten, psychovegetativen Symptomen. Aufgrund der Lebensgeschichte und der vorhandenen Problemlösestrategien sind die betroffenen Patienten häufig nicht in der Lage, diese unangenehmen Zustände konstruktiv zu bewältigen, sondern vor dem Hintergrund ihrer Lerngeschichte setzen sie das Suchtmittel im Sinne einer negativen Verstärkung ein, um diese unangenehmen Zustände zu beseitigen. Dieses führt kurzfristig zum Erfolg, aber langfristig entwickelt sich ein chronischer Teufelskreis von ineffektiven Bewältigungsstrategien, der - 12 - II. Wissenschaftliche Grundannahmen des Therapiekonzeptes langfristig in die Abhängigkeitserkrankung führt.Die Aspekte des sozialen Lernens (Modell-Lernen) ergänzen die verhaltensmedizinische Betrachtung. Im Rahmen des diagnostischen Prozesses werden die zuvor beschriebenen Aspekte des Individuums erhoben und in den therapeutischen Prozess eingearbeitet. Zu 3) Die Besonderheiten des sozialen Umfeldes Das Sozialfeld hat einen erheblichen Einfluss auf die Entstehung und die Aufrechterhaltung der Abhängigkeitserkrankung. Dabei müssen Herkunft und kultureller Hintergrund beachtet werden. Bei den sozio-kulturellen Bedingungen hat das Trinkverhalten der Gesellschaft eine wichtige Bedeutung. In Deutschland existiert unserer Ansicht eine permissive Trinkkultur, in der Alkoholgenuss erlaubt ist, Trunkenheit und andere pathologische Erscheinungen des Alkoholkonsums jedoch abgelehnt werden. Weiterhin spielen die allgemein wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen (Arbeitslosigkeit, Kriminalität, Bedrohung durch wirtschaftliche und kriegerische Ereignisse, etc.) eine suchtunterstützende Rolle. Das Familiensystem, in dem das Individuum aufgewachsen ist und dort meistens seine ersten Erfahrungen mit Suchtmitteln macht, ist von besonderer Bedeutung. Viele Untersuchungen haben gezeigt, dass das Risiko für eine spätere Abhängigkeitserkrankung wesentlich erhöht ist, wenn der Vater und/oder die Mutter selbst abhängig sind. Auch das kontinuierli- Abhängigkeitserkrankung Suchtmittel Individuum Suchtmittel Wirkung Genetische Disposition Verfügbarkeit Persönlichkeitsstruktur Abhängigkeitserkrankungen naher Bezugspersonen Bewertung Individuelle Toleranz Bewertung der Suchtmittel durch die Gesellschaft Lerngeschichte bezügl. Suchtmittel Trinkverhalten der Gesellschaft Frühkindliche Entwicklung Soziale Bedingungen Psychische Erkrankung Wirtschaftliche Bedingungen Körperliche Erkrankung Fehlen von Bezugspersonen Abbildung 2: Wirkfaktoren - 13 - II. Wissenschaftliche Grundannahmen des Therapiekonzeptes che Fehlen einer Bezugsperson (z.B. ein Elternteil) stellt einen nicht unerheblichen Risikofaktor dar. Der Stellenwert des Suchtmittels im Familiensystem bekommt somit eine wichtige Rolle, da bei der Einnahme von Suchtmitteln das Modell-Lernen eine große Bedeutung hat. Bei Jugendlichen und Heranwachsenden verlieren die Eltern als Modell ihre Wirksamkeit. An ihre Stelle treten Mitglieder aus der Clique bzw. „Vorbilder“ aus der Musikszene oder dem Sport. Diese „Vorbilder“ müssen in der Anamnese erfasst werden und ggf. im therapeutischen Prozess „korrigiert“ werden. Anhand des Dreiecks-Modells von Feuerlein sind die wesentlichen Faktoren aufgezählt worden, die bei der Genese der Abhängigkeitserkrankung eine wichtige Rolle haben (s. Abbildung 2). Verhältnisprävention: Eine bedeutende Rolle spielt dabei die gesellschaftliche Diskussion und die Bewertung durch die Gesellschaft. Hier kann durch die Politik positiver Einfluss ausgeübt werden. Dies hat sich an dem Beispiel der Steuererhöhung bei Alkopops und dem Rauchverbot in öffentlichen Einrichtungen gezeigt. Auch die Warnhinweise auf Zigarettenschachteln und in Zukunft auch – wie in anderen EU-Ländern bereits vorhanden – auf Flaschenetiketten, machen eine gesundheitspolitische Haltung sichtbar, die im Sinne der Prävention wirkt und den Heilungsverlauf suchtkranker Menschen unterstützt. Es gibt es weder ein spezifisches Ursachenbündel, was das Ungleichgewicht zwischen Innenwelt und Außenwelt auslöst, noch ist der Suchtmittelmissbrauch die einzig mögliche Reaktion auf dieses Ungleichgewicht. Denkbar wären z.B. psychogene Kriminalität, psychosomatische Krankheiten oder realitätsangepasste Versuche, das Ungleichgewicht zu überwinden. Die jeweils gewählten Ansätze mögen in bestimmten Bereichen und in der Nomenklatur unterschiedlich sein. Wesentlich ist aber, dass deutlich wird, dass die Entstehung der Abhängigkeitserkrankung mehrschichtig betrachtet werden muss, und dass bei dieser mehrschichtigen Betrachtung sowohl medizinische wie auch psychologisch-psychotherapeutische und sozialtherapeutische Aspekte berücksichtigt werden müssen. Jede Vernachlässigung der einen Komponente führt dazu, dass wesentliche Informationen in Vergessenheit geraten, die bei einer adäquaten Therapie berücksichtigt werden müssen. Wie bereits in Abschnitt II.2 beschrieben ist, haben wir uns für eine verhaltensmedizinische Betrachtung der Abhängigkeitserkrankung als Grundlage für unser Therapiekonzept entschieden. Dabei ist exzessiver Alkoholkonsum ein erlerntes Verhalten, welches den allgemein gültigen Lernprozessen unterliegt. Hier müssen bei der Entstehung und Aufrechterhaltung der Abhängigkeitserkrankung weitere Aspekte, wie z.B. soziokulturelle Lebensumstände, Persönlichkeitsausgestaltung, soziale und wirtschaftliche Bedingungen berücksichtigt werden. - 14 - II. Wissenschaftliche Grundannahmen des Therapiekonzeptes II.4 Gesundheitsmodell der WHO Eine moderne Betrachtungsweise ergibt sich aus der internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der WHO (World Health Organisation). Die ICF definiert Körperfunktionen als physiologische Funktionen der Körpersysteme. Die Funktionsfähigkeit einer Person ist das Ergebnis der Wechselwirkungen zwischen den Gesundheitsproblemen, den Körperfunktionen/-strukturen der Person, ihren Aktivitäten/ihrer Teilhabe und ihrem individuellen Lebenshintergrund (Umwelt und personenbezogener Kontext). Diese Aspekte werden im Therapiekonzept der Hellweg-Klinik Oerlinghausen folgendermaßen umgesetzt: chungen EKG-Messungen, Spirometrie, Langzeit-Blutdruckmessung und Laboruntersuchungen zur Verfügung. ■ Neurologische Faktoren: Fachärztlich neurologische Eingangsuntersuchungen und engmaschige neurologische Konsiliarkooperationen mit niedergelassenen Kollegen Aktivität und Teilhabe ■ Körperfunktionen und Strukturen Psychische Faktoren: Durch die psychiatrische Eingangsuntersuchung wird fachärztlich der psychopathologische Befund erhoben für die Bereiche Wachheit, Orientierung, kognitive Funktionen, Stimmung, Wahrnehmung, Antrieb. Außerdem werden bestimmte psychopathologische Phänomene wie Wahnwahrnehmungen oder Halluzinationen erfasst. Durch testpsychologische Untersuchungen können diese Befunde spezifiziert werden, z.B. für die Bereiche Intelligenz, Aufmerksamkeit, Konzentration und Gedächtnis. ■ Somatische Faktoren: Werden im Rahmen der ärztlichen Eingangsuntersuchungen untersucht und bei Einschränkungen entsprechende Maßnahmen eingeleitet. Im Hause stehen neben körperlichen Untersu■ Die Durchführung der erstellen Aufgaben oder Handlungen durch den Patienten wird stets unter therapeutischer Leitung beobachtet und bewertet, u.a.: Lernen und Wissensanwendung, Kommunikation, Selbstversorgung, häusliches Leben, interpersonelle Interaktionen und Beziehungen sowie Hobbys. Die Überprüfung und Förderung dieser Fertigkeiten zeigen sich im Therapieplan u.a. durch folgende Angebote: Sozialkompetenz-Training, Freizeitkompetenz-Training, kreative Techniken zur Freizeitgestaltung, Selbsthilfegruppe. Umweltfaktoren ■ Umweltfaktoren stellen den gesamten Hintergrund des Lebens und der Lebenssituation des Menschen dar. Im Rahmen der Angehörigenarbeit und im Kontakt mit dem Arbeitgeber sowie niedergelassenen Kollegen werden diese Faktoren berücksichtigt und finden sich im individuellen Therapieplan des Patienten wieder. - 15 - II. Wissenschaftliche Grundannahmen des Therapiekonzeptes Personenbezogene Kontextfaktoren Der spezielle Hintergrund des persönlichen Lebens und der Lebensführung der Patienten steht im Mittelpunkt der Therapie. Im Rahmen der Einzelgespräche sowie Indikationsgruppen mit thematischen Schwerpunkten finden personenbezogene Kontextfaktoren eine besondere Beachtung und werden mit dem Patienten thematisiert und bearbeitet. II.5 Entwicklung der Abhängigkeitserkrankung Bei der Entwicklung der Alkoholabhängigkeit wird von einem langjährigen, schleichenden Verlauf ausgegangen. In der Regel erstreckt sich die Entwicklung vom sozialen Trinken bis zu den deutlichen Zeichen der chronischen Abhängigkeit auf einen Zeitraum zwischen 10 und 20 Jahren. In den einzelnen Entwicklungsphasen der Alkoholabhängigkeit wirken die zuvor beschriebenen Faktoren in unterschiedlicher Ausprägung und an unterschiedlichen Stellen. Das Auftreten und die Wirkung der einzelnen Faktoren ist individuell und muss für jeden einzelnen Abhängigkeitserkrankten im Rahmen des diagnostisch-therapeutischen Prozesses erkannt werden. Diese Individualität soll anhand einiger Beispiele erläutert werden: nicht jedes Individuum mit zwanghaften Persönlichkeitsanteilen wird suchtmittelabhängig u.a der Verlust eines Elternteiles oder Partners führt nicht zwangsläufig zur Alkoholabhängigkeit. Ebenso die Tatsache, dass der Vater oder andere Familienmitglieder suchtmittelabhängig gewesen sind, hat nicht zwangsläufig eine Abhängigkeitserkrankung zur Folge. Es ist vielmehr wichtig, im diagnostischen Prozess die Funktionalität des Suchtmittels in Bezug auf bestimmte Ursachenfaktoren herzustellen. Wenn der Alkohol eine wichtige Bedeutung (Funktionalität) bekommt, um die Auswirkungen eines bestimmten Faktors, z.B. Verlust eines Elternteiles zu kompensieren, dann ist dies ein wichtiger Hinweis für die Entstehung der Alkoholabhängigkeit. Diese Erkenntnis kann dann für den therapeutischen Prozess nutzbar gemacht werden, indem die Trennungserlebnisse therapeutisch bearbeitet werden, so dass sie ihren destruktiven Einfluss auf das Individuum bzw. Patienten verlieren. Viele Menschen sind als „soziale Trinker“ (risikoarmer und riskanter Konsum) einzuschätzen. Die Alkoholabhängigkeit entwickelt sich dann über die Zwischenschritte wie Erleichterungstrinken, Konflikttrinken, Problemtrinken in Richtung der chronischen Abhängigkeit, die sich nach einem mehrjährigen Verlauf mit den Symptomen des Kontrollverlustes, der Abstinenzunfähigkeit und des morgendlichen Trinkens zeigt. Gleichzeitig werden die durch den jahrelangen Alkoholgenuss hervorgerufenen körperlichen, psychischen und psychosozialen Schädigungen sichtbar. Jellinek hat aufgrund seiner empirischen Untersuchungen verschiedene „TrinkerTypen“ zu klassifizieren versucht. Die Therapieziele erarbeiten sich je nach der Entstehungsgeschichte und Verlauf der Abhängigkeitserkrankung. Die Therapieziele bei einem Patienten, der die Symptome des Erleichterungstrinkens zeigt, sind häufig auf eine adäquate Stressbewältigungsstrategie ausgerichtet. Die angewandten therapeuti- - 16 - II. Wissenschaftliche Grundannahmen des Therapiekonzeptes schen Maßnahmen sollen ihm helfen, effektive Stressbewältigungsstrategien ohne Einsatz von Suchtmitteln zu entwickeln. Bei einem Spiegeltrinker im chronischen Stadium reichen Problem- und Stressbewältigungsstrategien alleine nicht mehr aus. Die Therapieziele müssen aufgrund der Ausprägung und des Fortschrittes der Alkoholabhängigkeit durch zusätzliche ergänzt werden wie z.B. Stabilisierung des Selbstbewusstseins, Einübung von Alkoholablehnungstraining, Wiederentdeckung alter Fähigkeiten, Zulassen und Erleben eigener Gefühle, Verbesserung des Gesundheitsverhaltens etc. Neben der Beschreibung der Typologie von Jellinek ist auch die zeitliche Entwicklung der Abhängigkeitserkrankung wichtig. Diese werden in vier Phasen eingeteilt in praealkoholische, Prodromalphase, kritische und chronische Phase. Die praealkoholische Phase ist gekennzeichnet durch die „positiven Wirkungen“ des Alkohols, z.B. als „soziales Schmiermittel“ und zur Angstreduktion. Die „positive Wirkung“ des Alkohols wird in immer mehr Situationen benutzt, und es kommt schnell zu einer Generalisierung. Es gibt eine Reihe von Patienten, die von dieser „schönen Zeit“ während der Therapie schwärmen und die für sich häufig noch das geheime Therapieziel des „kontrollierten Trinkens“ haben. Die Prodromalphase ist dadurch gekennzeichnet, dass der Alkohol einen immer breiteren Raum im Leben des Patienten einnimmt. Der Patient beginnt das heimliche Trinken, hat Schuldgefühle wegen des Trinkens und entwickelt Strategien des Alkoholtrinkens, um nicht in seiner sozialen Umgebung aufzufallen. In der kritischen Phase häufen sich Kontrollverluste und Abstinenzversuche. Der soziale Druck der Umwelt nimmt zu und der Patient sucht immer neue Ausflüchte, um sein Trinken aufrechterhalten zu können. Es kommt zu Veränderungen der Persönlichkeit, zur Instabilität seiner sozialen Beziehungen und zum Abbau kognitiver und emotionaler Prozesse. Im sozialen Bereich ist der Arbeitsplatz häufig gefährdet, und in der Partnerschaft entstehen große Probleme bis hin zur Scheidung. Es existieren die deutlichen Zeichen der körperlichen Abhängigkeit mit entsprechenden Entzugssymptomen und medizinischen Erkrankungen (z.B. Delirium tremens, Entzugskrampfanfälle. In der chronischen Phase finden wir alle Symptome der chronischen Alkoholabhängigkeit auf körperlichem, psychischem und psychosozialem Gebiet. Der Patient zeigt eine körperliche Verwahrlosung, soziale Isolierung und den zunehmenden Abbau ethischer und moralischer Wertvorstellungen. Je weiter die Alkoholabhängigkeit fortgeschritten ist, desto umfangreicher und weit gefächerter müssen die therapeutischen Interventionen geplant werden. Während in der Prodomalphase psychologisch-psychotherapeutische Interventionsschritte im Vordergrund stehen können, müssen in der chronischen Phase zunehmend suchtmedizinische und soziotherapeutische Interventionen einbezogen werden. Die Entwicklung der Medikamentenabhängigkeit benötigt einen wesentlich kürzeren Zeitraum. Je nach Wirkstoff können die ersten Zeichen der Abhängigkeit schon nach mehreren Wochen bis Monaten festgestellt werden. Häufig erhalten Menschen in psychischen Krisensituationen psychotrope Medikamente mit beruhigender, euphorisierender oder anxiolytischer Wirkung. Auch die Einnahme von - 17 - II. Wissenschaftliche Grundannahmen des Therapiekonzeptes Schmerzmitteln ist häufig mit einer psychischen Wirkung verbunden, wie z.B. eine Euphorisierung oder Sedierung, die vom Patienten missbraucht wird. Nach wenigen Wochen kann sich schon aufgrund der hohen und verlässlichen Wirkung des Medikamentes eine psychische und physische Abhängigkeit entwickeln. Der ursprüngliche Grund für die Medikamenteneinnahme spielt dann keine wesentliche Bedeutung mehr, sondern die Medikamente werden kurzfristig wegen ihrer „positiven Wirkung“ und langfristig zur Vermeidung des Entzugssyndroms eingenommen. Wie bei der Alkoholabhängigkeit finden wir auch hier Zeichen der Toleranzentwicklung und eine ausgeprägte Entzugssymptomatik. In aller Regel ist das Entzugssyndrom beim Absetzen von psychotropen Medikamenten, wie z.B. Benzodiazepinen, wesentlich ausgeprägter und gefährlicher für die Patienten, so dass hier ein schrittweises Absetzen indiziert ist. Wir sehen zunehmend häufiger Patienten in der stationären Entwöhnungsbehandlung, bei denen gleichzeitig eine Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit besteht. Nach unseren Ergebnissen ist das derzeit in ca. 10 % der von uns behandelten Patienten der Fall. Die Störungen durch multiplen Substanzgebrauch und der Konsum sonstiger psychotroper Substanzen (Polytoxikomanie) treten bei einer besonderen Gruppe von Suchtmittel konsumierenden Menschen auf. Diese Gruppe ist gekennzeichnet durch frühen Suchtmittelkonsum im jugendlichen Alter, verbunden mit einer erheblichen Reifungsstörung des heranwachsenden Gehirns. Häufig entstehen als frühe psychosoziale Probleme, Probleme in der Schule und Berufsausbildung, meist ohne Schulabschluss, wechselnde Arbeitsplätze und das Auftreten juristischer Komplikationen (Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz, Straftaten im Zusammenhang mit Aggression und Gewalt). Diese suchtkranken Menschen bedürfen einer längeren und intensiveren therapeutischen Begleitung, weil der frühe Konsumbeginn und der Konsum verschiedener Substanzen zu erheblichen Reifungs- und Problemlösedefiziten geführt hat. Bei dieser Patientengruppe spiegeln sich auch die Veränderungen des gesellschaftlichen Suchtmittelkonsums wieder. Es finden sich in dieser Gruppe häufig junge Männer, die einen Konsum von Cannabis, Amphetaminen und Alkohol je nach Wunsch und Befindlichkeit entwickelt haben. Die psychoseauslösende Wirkung von Cannabis und anderen Drogen ist mittlerweile belegt. Auch ist bekannt, dass 98% der heroinabhängigen Menschen zuvor sogenannte „weiche Drogen“ konsumiert haben. Hierbei werden 2 Hauptgründe gesehen: 1. Der Wunsch nach einer stärkeren, schnelleren Reaktion des Organismus auf die Droge durch schnelleres Anfluten (den sogenannten „Kick“). 2. Die Selbstbehandlung des amotivationalen Syndroms, ausgelöst durch Cannabis, durch antriebssteigernde Drogen wie LSD, Amphetamine, Heroin. In die Einrichtungen der medizinischen Rehabilitation Sucht kommen zunehmend auch Menschen mit substanzunabhängiger Abhängigkeitserkrankung, die entweder komorbid mit einer stoffgebundenen Abhängigkeit verbunden sind oder isoliert entstanden sind. - 18 - II. Wissenschaftliche Grundannahmen des Therapiekonzeptes Zu diesen substanzunabhängigen Süchten (Verhaltenssucht) zählen wir: ■ Pathologisches Glücksspielen ■ Internetsucht ■ Mediensucht ■ Kaufsucht u.a.. II.6 Therapeutische Maßnahmen nach Ausprägung, Dauer und Schweregrad der Suchterkrankung, die Entwöhnungsbehandlung ambulant, ganztägig ambulant (teilstationär) oder stationär erfolgen kann. Von zunehmender Bedeutung sind die Kombinationstherapien, bei denen passgenau die einzelnen Therapiebausteine aufeinander abgestimmt werden. Die Kombinationsbehandlungen setzen eine gute Kommunikation zwischen den therapeutischen Mitarbeitern im ambulanten und stationären Sektor voraus. Das Therapiekonzept zur stationären medizinischen Rehabilitation Abhängigkeitserkrankter der Hellweg-Klinik Oerlinghausen beruht auf dem 4-Säulenmodell. Dieses besteht aus der : ■ suchtmedizinischen Behandlung ■ Psycho-Soziotherapie ■ handlungsorientierte Therapie ■ Diakonische Begleitung „Als Teil des „Gesundheitswesens übernimmt die medizinische Rehabilitation die Aufgabe, drohenden Behinderungen vorzubeugen sowie die Teilhabe von chronisch kranken Menschen am Leben in der Gesellschaft und in ihre Selbstbestimmung nachhaltig zu fördern. Auf diese Weise leistet sie einen Beitrag dazu, dass Arbeitnehmer länger am Arbeitsleben teilnehmen können, Frühverrentungen und Pflegebedürftigkeit vermieden und so auch Beiträge für die Sozialversicherungsträger geleistet werden.“ Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, sind eine Vielzahl von therapeutischen Maßnahmen in verschiedenen therapeutischen Settings entwickelt worden. Bevor die therapeutischen Maßnahmen der stationären Entwöhnungsbehandlung ausführlich beschrieben werden, ist festzustellen, dass je Je nach Ausmaß und Stadium der Abhängigkeitserkrankung kommt eine Kombination verschiedener therapeutischer Maßnahmen aus den o.g. Bereichen zur Anwendung. Der Therapieplan für jeden einzelnen Patienten wird vom Bezugstherapeuten im Zusammenhang mit dem multiprofessionellen therapeutischen Team festgelegt. Dazu wird im Rahmen des diagnostischen Prozesses vom Bezugstherapeuten die funktionale Bedingungsanalyse für die Abhängigkeitserkrankung seines Patienten erstellt. In dieser funktionalen Bedingungsanalyse werden die auslösenden Faktoren, Umweltfaktoren, Ressourcen, Variablen des Individuums, Kognitionen und Erwartungen sowie aufrechterhaltende Bedingungen erfasst. Gemeinsam mit dem Patienten werden die Therapieziele festgelegt und die dazu notwendi- Aktuell werden Patienten der Hellweg-Klinik Oerlinghausen, bei denen eine komorbide stoffungebundene Abhängigkeit diagnostiziert wird, in speziellen Indikationsgruppen und mit speziellen einzeltherapeutischen Maßnahmen behandelt. Beim pathologischen Glücksspielen besteht auch eine verbindliche Kooperation mit dem Hellweg-Zentrum für Beratung und Therapie in Bielefeld. - 19 - II. Wissenschaftliche Grundannahmen des Therapiekonzeptes gen therapeutischen Interventionen besprochen und durchgeführt. Nach der Durchführung der ersten therapeutischen Maßnahmen erfolgt die Überprüfung der eingangs festgelegten Therapieziele und je nach Verlauf findet eine Modifizierung und Erweiterung des Behandlungsplanes statt. Dieser Prozess wird kontinuierlich im Rahmen der Fallbesprechungen vom multiprofessionellen Behandlungsteam reflektiert und supervidiert durch einen ärztlichen Leiter. An dieser Stelle werden zusammenfassend die Hauptbausteine der therapeutischen Maßnahmen beschrieben. 1. Suchtmedinizinsche Behandlung Die wesentlichen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen der Suchtmedizin sind: ■ Ausführliche Krankheitsanamnese ■ Diagnostik von somatischen Begleiterkrankungen ■ Neurologische und psychiatrische Diagnostik ■ Medikamentöse Therapie ■ Psychoedukative Informationsveranstaltungen mit Schwerpunktthema Gesundheit, Ernährung, Bewegung, psychiatrische Diagnosen und deren Bezug zur Abhängigkeitserkrankung. ■ Pflegerische Begleitung und Versorgung der physischen und psychischen Beschwerden ■ Physikalische Behandlung bei gleichzeitig bestehender somatischer Erkrankung durch den Mitarbeiter der physikalischen Abteilung. Diese Maßnahmen erfolgen in der pflegerischen und ärztlichen Sprechstunde durch das pflegerische bzw. ärztliche Gespräch während der Visiten auf dem Patientenzimmer und bei den ärztlich und pflegerisch geleiteten Informationsveranstaltungen. 2. Psycho-Soziotherapie Dieser Bereich umfasst folgende therapeutische Angebote: 2.1 Behandlungsmaßnahmen aus dem psychologisch-psychotherapeutischen Bereich ■ Einzelpsychotherapie ■ Gruppenpsychotherapie ■ Indikationsgruppen ■ Therapeutische Expositionsübungen ■ Angehörigengespräche ■ Testdiagnostik ■ Männergruppe (Gender) ■ Affektkontrolltraining ■ Gespräche mit Arbeitgebern 2.2 Behandlungsangebote aus dem sozialtherapeutischen Bereich: ■ Teilhabe am Arbeitsleben (SGB IX) ■ Einleitung von Maßnahmen zur Erhaltung und Wiedererlangung des Arbeitsplatzes ■ Beratung und Einleitung von Maßnahmen bei juristischen Komplikationen ■ Durchführung gruppentherapeutischer Maßnahmen ■ Sozialberatung im allgemeinen und insbesondere wirtschaftliche Sicherung ■ Beratung bei sozialen Angelegenheiten ■ Schwerbehindertenangelegenheit ■ Beratung bei verminderter Erwerbsfähigkeit - 20 - II. Wissenschaftliche Grundannahmen des Therapiekonzeptes 3. Behandlungsangebote aus dem handlungsorientierten Bereich: ■ Ergotherapie mit Schwerpunkt der arbeitsbezogenen medizinischen Rehabilitation ■ Kreativtherapie ■ Körpertherapie (Bewegungstherapie, Sporttherapie) ■ Externe Belastungserprobung. 4. Diakonische Begleitung Als Einrichtung der Diakonie bietet die Hellweg-Klinik Oerlinghausen den Patienten folgende diakonische Angebote interreligiös an: ■ Gottesdienste ■ Indikationsgruppe „Sinn des Lebens“ ■ Pastoral-psychologische Einzelgespräche ■ Seelsorgergespräche. Kombinationen der Therapiebausteine: Der integrative Ansatz bezieht sich nicht nur auf die angewandten psychotherapeutischen Maßnahmen, sondern auch auf die Kombination von verschiedenen Therapieschwerpunkten. Es werden in der Hellweg-Klinik Oerlinghausen psychotherapeutische Maßnahmen in Einzel- und Gruppenform kombiniert mit kreativtherapeutischen und arbeitstherapeutischen Maßnahmen sowie mit medizinischen Behandlungen und Körpertherapie. Aus unserer Sicht kann der multifaktoriellen Genese der Abhängigkeitserkrankung nur durch ein weitgefächertes Therapieangebot adäquat begegnet werden. Der Prozess der Therapiesteuerung ist ein wichtiger Bestandteil des Qualitätssicherungssystems und wird im Rahmen der regelmäßig stattfindenden multiprofessionell besetzten Fallbesprechungen kontrolliert und supervidiert. Die bei diesen Fallbesprechungen gewonnenen Erkenntnisse werden gemeinsam vom Bezugstherapeuten mit seinem Patienten in den therapeutischen Alltag der Hellweg-Klinik Oerlinghausen und bei Expositionsübungen und Belastungserprobungen außerhalb der Klinik umgesetzt. - 21 - III. Definition, Symptome und Folgen der Abhängigkeitserkrankung Es gibt eine Reihe von Definitionen zur Abhängigkeitserkrankung, die jeweils vom ausgewählten Krankheitsmodell beeinflusst sind. Da die Begriffe „Alkoholismus“ und „Sucht“ relativ unpräzise zu definieren waren, hat die WHO 1964 vorgeschlagen, die Begriffe Abhängigkeit und Missbrauch zu verwenden. Später wurde zwischen der Abhängigkeit und den Folgeschädigungen im körperlichen, psychischen und psychosozialen Bereich unterschieden. Neben der körperlichen Abhängigkeit, die durch das Auftreten von entsprechenden Entzugserscheinungen (psycho-vegetative Symptome, Toleranzentwicklung) gekennzeichnet ist, wird die psychische Abhängigkeit unterschieden. Die Abhängigkeitserkrankung wird im Kapitel „Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen“ (F10 – F19) beschrieben: ■ F10 – Störung durch Alkohol ■ F11 – Störung durch Opioide ■ F12 – Störung durch Cannabinoide ■ F13 – Störungen durch Sedativa oder Hypnotika ■ F14 – Störungen durch Kokain ■ F15 – Störungen durch sonstige Stimulantien, einschließlich Coffein ■ F16 – Störungen durch Halluzinogene ■ F17 – Störungen durch Tabak ■ F18 – Störungen durch flüchtige Lösungsmittel ■ F19 – Störungen durch multiplen Substanzgebrauch und Konsum sonstiger psychotroper Substanzen. Die nicht stoffgebundenen Süchte (Verhaltenssüchte) werden folgendermaßen klassifiziert: ■ F63.0 – Pathologisches Glücksspiel ■ F63.8 – Sonstige abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle (z.B. Kaufsucht, etc.). Im ICD 10 werden außerdem sechs diagnostische Leitlinien verwandt, 1. Ein starker Wunsch oder eine Art Zwang, psychotrope Substanzen zu konsumieren. 2. Verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums. 3. Ein körperliches Entzugssyndrom (...) bei Beendigung oder Reduktion des Konsums, nachgewiesen durch die Substanz spezifischer Entzugssymptome oder durch die Aufnahme der gleichen oder einer nahverwandten Substanz, um die Entzugssymptome zu mildern oder zu vermeiden. 4. Nachweis einer Toleranz, um die ursprünglich durch niedrige Dosen erreichten Wirkungen der psychotropen Substanz hervorzurufen, werden zunehmend höhere Dosen erforderlich. 5. Fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügen oder Interessen zugunsten des Substanzkonsums, erhöhter Zeitaufwand, um die Substanz zu beschaffen, zu konsumieren oder sich von den Folgen zu erholen. 6. Anhaltender Substanzkonsum trotz Nachweises eindeutiger schädlicher Folgen, wie z.B. Leberschädigung durch exzessives Trinken, depressive Verstimmung infolge starken Substanzkonsums oder drogenbedingte Verschlechterung kognitiver Funktionen. - 22 - III. Definition, Symptome und Folgen der Abhängigkeitserkrankung Es sollte dabei festgestellt werden, dass der Konsument sich tatsächlich über Art und Ausmaß der schädlichen Folgen im Klaren war, oder dass zumindest davon auszugehen ist. Bei der Betrachtung der Abhängigkeitserkrankung sind die Folgeschäden von wichtiger Bedeutung. Die suchtmittelbedingten Folgeschädigungen zeigen sich im körperlichen, psychischen und psycho-sozialen Bereich. In der anschließenden Darstellung sollen beispielhaft für die Alkoholabhängigkeit die Folgeschäden aufgezeigt werden. Alkohol ist ein Zellgift, das jede Körperzelle schädigen kann. Aus diesem Grunde gibt es eine Vielzahl von somatischen Begleiterkrankungen, die bei der stationären Entwöhnungsbehandlung berücksichtigt werden sollten. Zum psychopathologischen Bild der Abhängigkeitserkrankung gehören z.B. mangelndes Selbstwertgefühl, mangelnde soziale Kompetenz, Ängste und depressive Verstimmungen. Im Rahmen psychiatrischen Differentialdiagnostik werden die psychiatrische Komorbidität festgestellt und in den Therapieplan mit einbezogen. Oft ist es nach dem langjährigen Krankheitsverlauf nicht mehr sicher festzustellen, ob zuerst die Abhängigkeitserkrankung bestanden hat und sich dann die psychische Erkrankung entwickelt hat oder umgekehrt. Häufig ist der Suchtmittelkonsum ein ineffektiver Selbstheilungsversuch der primär bestehenden psychiatrischen Störung. Darüber hinaus findet sich eine Vielzahl psychosozialer Probleme im Rahmen der langjährigen Abhängigkeitsentwicklung. Diese zeigen sich vor allen Dingen in folgenden Bereichen: Trennung oder instabile Partnersituation ■ Drohender Arbeitsplatzverlust oder Arbeitslosigkeit ■ Führerscheinverlust mit juristischen Komplikationen ■ andere juristische Komplikationen durch Gewaltdelikte oder Eigentumsdelikte ■ Drohender Verlust der Wohnung oder sogar Obdachlosigkeit ■ Soziale Isolation ■ Inadäquate Freizeitgestaltung ■ Fehlende Tagesstruktur. ■ III.1 Indikationsspektrum der Hellweg-Klinik Oerlinghausen Vor dem Hintergrund des Internationalen Klassifikationssystems psychischer Störungen (ICD 10) kann das Indikationsspektrum der Hellweg-Klinik Oerlinghausen folgendermaßen beschrieben werden. Zur stationären Entwöhnungsbehandlung aufgenommen werden können suchtkranke Männer, bei denen eine Abhängigkeit besteht von ■ F10 – Störung durch Alkohol ■ F12 – Störung durch Cannabinoide ■ F13 – Störung durch Sedative und Hypnotika ■ F17 – Störung durch Tabak ■ F19 – Störung durch multiplen Substanzgebrauch (Schwerpunkt Alkohol, Cannabis, gelegentlich Amphetamine). Die Hellweg-Klinik Oerlinghausen verfügt über Erfahrungen in der Behandlung von suchtkranken Männern, bei denen zusätzlich Verhaltenssüchte bestehen, dieses sind insbesondere: - 23 - III. Definition, Symptome und Folgen der Abhängigkeitserkrankung ■ F63.0 – Pathologisches Glücksspielen und pathologischer PC-Gebrauch. Eine relative Behandlungsindikation ergibt sich für Patienten mit einer Abhängigkeit von ■ F11 – Störung durch Opioide ■ F14 – Störung durch Kokain ■ F15 – Störung durch sonstige Stimulantien ■ F16 – Störung durch Halluzinogene ■ F18 – Störungen durch flüchtige Lösungsmittel. Wenn diese Suchtmittel in Verbindung mit den zuvor genannten Suchtmitteln konsumiert werden, kann bei Unklarheiten in einem Vorgespräch die Aufnahmemöglichkeit überprüft werden. Die häufigsten psychiatrischen Diagnosen in Zusammenhang mit der Abhängigkeitserkrankung werden fachärztlich psychopharmakologisch therapeutisch mitbehandelt, sofern diese nicht im Stadium des floriden Verlaufes sind und keine akute Gefahr bzw. intensiv akut psychiatrische Betreuung voraussetzen. Neue wissenschaftliche Untersuchungen belegen die hohe Komorbidität zwischen der Alkoholabhängigkeit und Angststörungen und depressiven Störungen. Diese Krankheitsbilder sind nach dem ICD 10: ■ F32 – Depressive Episode ■ F33 – Rezidivierende depressive Störung ■ F40 – Phobische Störung ■ F41 – Sonstige Angstreaktion ■ F43 – Reaktion auf schwere Belastungs- und Anpassungsstörung F45 – Somatoforme Störung ■ F48 – Sonstige neurotische Störung ■ F43.1 – Posttraumatische Belastungsstörungen. ■ Zur Behandlung dieser psychiatrischen Krankheitsbilder hat die Hellweg-Klinik Oerlinghausen seit 1992 spezielle Therapiegruppen entwickelt und mit dem federführenden Leistungsträger, Deutsche Rentenversicherung Bund (vormals Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Berlin) abgesprochen. In manchen Fällen entwickelt sich die Alkoholabhängigkeit vor dem Hintergrund einer Persönlichkeitsstörung und Verhaltensstörung, die als Mediatorvariable eine wichtige Bedeutung bei der Entstehung und Aufrechterhaltung der Abhängigkeitserkrankung hat. Unser Therapiekonzept berücksichtigt diese Auswirkungen, wenn entsprechende Persönlichkeitsanteile vorhanden sind. Die Funktionalität dieser Persönlichkeitsanteile wird bei der Diagnostik und Therapieplanung berücksichtigt: ■ F60.3 – Emotional instabile Persönlichkeitsstörung ■ F60.4 – Histrionische Persönlichkeitsstörung ■ F60.5 – Anankastische Persönlichkeitsstörung ■ F60.6 – Ängstliche Persönlichkeitsstörung ■ F60.7 – Abhängige Persönlichkeitsstörung ■ F60. 8 – Sonstige näher bezeichnete Persönlichkeitsstörungen. Die Patienten mit einer hirnorganischen Leistungsstörung (F.0) können nur dann am Therapiekonzept der Hellweg-Klinik Oerlinghausen teilnehmen, wenn die kognitive - 24 - III. Definition, Symptome und Folgen der Abhängigkeitserkrankung Leistungsminderung nicht zu sehr ausgeprägt ist. Es erfolgt in diesen Fällen eine psychiatrische und testpsychologische Differentialdiagnostik auf der Aufnahmestation, um die Therapie- und Rehabilitationsfähigkeit zu überprüfen. Häufig handelt es sich um eine alkoholtoxisch bedingte hirnorganische Leistungsminderung, die sich unter Abstinenz bessert. Aufgrund der Häufigkeit werden die somatischen Begleiterkrankungen besonders erfasst. Dies sind: ■ Lebererkrankungen ■ Bauchspeicheldrüsenerkrankungen mit Diabetes Mellitus ■ Erkrankungen des Magen-Darmtraktes ■ Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems ■ Erkrankungen der peripheren Nerven. Im Rahmen der ärztlichen Sprechstunde und Visite werden ausführliche Gespräche geführt, um das Gesundheitsverhalten der Patienten zu verbessern. Darüber hinaus finden regelmäßige psychoedukative Informationsgruppen statt. Auf orthopädischem Fachgebiet werden häufig Beschwerden aus dem Bereich der degenerativen Erkrankungen des HWS- und LWS-Bereiches sowie der großen Gelenke im Schultergürtelbereich und der unteren Extremität berichtet. Häufig kommen die Patienten mit Spätfolgen oder Restsymptomen nach traumatischer Verursachung. Die daraus resultierenden chronischen Schmerzsyndrome werden ärztlich, psychotherapeutisch und physikalisch behandelt. Dazu wird in der HellwegKlinik Oerlinghausen ein physikalisches Behandlungsprogramm angeboten und mehr- mals wöchentlich kommt ein Krankengymnast in die Klinik, um mit den Patienten aktive Übungsprogramme zu absolvieren. Die meisten somatischen Erkrankungen werden von den Fachärzten der Klinik, vom Pflegedienst und den Physiotherapeuten behandelt. Darüber hinaus gehende Erkrankungen werden niedergelassenen Fachärzten vorgestellt. Aufgrund der Gender-Thematik widmen wir uns aktiv den Erkrankungen des männlichen Urogenitalsystems (Prostatabeschwerden, Potenzbeschwerden), die durch die niedergelassenen Urologen mitbehandelt werden. Mit den umliegenden somatischen Krankenhäusern in Detmold und Bielefeld bestehen vertrauensvolle Kooperationsbeziehungen, die durch die jahrelange Zusammenarbeit entstanden sind. Die Hellweg-Klinik Oerlinghausen verfügt im Rahmen ihres Qualitätsmanagementsystems über ein Notfallmanagement. Der nächste Rettungswagen des Malteser-Hilfsdienstes ist 1 km entfernt von der Klinik stationiert. Kontraindikationen ergeben sich für folgende akute Erkrankungen: ■ Akute somatische Erkrankungen, die eine akute stationäre Behandlung erforderlich machen. ■ Akute oder dekompensierte psychiatrische Erkrankungen, die eine akute stationäre Krankenhausbehandlung erforderlich machen. ■ Akute Selbst- oder Fremdgefährdung ■ Ausgeprägte hirnorganische Leistungsminderung ■ Rollstuhlfahrer können z.Zt. wegen der baulichen Gegebenheiten nicht aufgenommen werden. - 25 - IV. Therapie der Abhängigkeitserkrankung im Behandlungsverbund Der Königsweg (nach Wienberg) bestehend aus Suchtberatungsstelle – Fachklinik – Selbsthilfegruppe ist ersetzt worden durch den regionalen Behandlungsverbund. Dieser besteht aus den ambulanten Beratungs- und Behandlungsstellen, den teilstationären und stationären Einrichtungen zur qualifizierten Entzugsbehandlung, mehrere regionale Fachkliniken zur Entwöhnungsbehandlung und den regionalen Adaptionseinrichtungen. Darüber hinaus hat der Behandlungsverbund intensiven Kontakt zu den Hausärzten und zu den Selbsthilfegruppen. Die Grundidee des Behandlungsverbundes ist es, eine passgenaue und angemessene Behandlungsform für den Patienten zu finden, damit die Bausteine der ambulanten, ganztägig ambulanten (teilstationär) und stationären Entwöhnungsbehandlung optimal und kostengünstig miteinander kombiniert werden können. Dazu ist eine gute Kenntnis und ein enger Kontakt zwischen den therapeutischen Mitarbeitern des Behandlungsverbundes erforderlich, um einen reibungsarmen Fortgang der Therapie zu garantieren. Die Zusammenarbeit der Einrichtungen des regionalen Behandlungsverbundes ist in einem vom Rentenversicherungsträger genehmigten Therapiekonzept geregelt. In diesem Therapiekonzept wird insbesondere die Schnittstellenproblematik bei Wechsel von einer Behandlungsform in die andere geregelt, um eine qualifizierte Fortführung der Entwöhnungsbehandlung zu ermöglichen. Der Informationsfluss wird garantiert durch: Behandlungsverbund Allgemeinkrankenhaus Sucht-Akkut SWCNKƂ\KGTVG Entgiftung Selbsthilfegruppe Ambulanz Hausarzt SHG Beratungsstelle Ambulante Therapie Tagesklinik Nachtklinik Betreute Wohngemeinschaft Medizinische Rehabilitation Abbildung 3: Behandlungsverbund - 26 - IV. Therapie der Abhängigkeitserkrankung im Behandlungsverbund persönliche Übergabegespräche zeitnahe Therapieberichte über jeden Therapiebaustein ■ regelmäßige Kooperationstreffen ■ regionale Fachtagungen. ■ ■ Derzeit ist die Hellweg-Klinik Oerlinghausen nach Rücksprache mit den Leistungsträgern in folgende regionale Behandlungsverbünde integriert: ■ Behandlungsverbund Paderborn-Höxter ■ Behandlungsverbund Bielefeld-Gütersloh ■ Behandlungsverbund östliches Ostwestfalen. Darüber hinaus findet im Rahmen des Qualitätsmanagementprogramms ein qualifiziertes Aufnahmemanagement und Entlassmanagement statt. Ein wichtiger Bestandteil darin ist der regelmäßige und verbindliche Kontakt zu dem Zuweiser, um diesen über Aufnahme, Therapieverlauf und Entlassungsabsprachen zeitnah zu informieren. Das Therapiekonzept der Hellweg-Klinik Oerlinghausen versteht sich als der stationäre Baustein im regionalen Behandlungsverbund der medizinischen Rehabilitation. Vor dem Hintergrund der regionalen Behandlungsverbünde haben sich Kombinationstherapien aus ambulanter, ganztägig ambulanter und stationärer Entwöhnungsbehandlung entwickelt. Im Rahmen der regelmäßigen Fallbesprechungen ist es verbindlicher Bestandteil der Therapiesteuerung, dass nach acht bzw. zwölf Wochen der stationären Entwöhnungsbehandlung festgelegt wird, ob nicht eine Umwandlung in eine ganztägig ambulante oder ambulante Behandlungsform möglich ist. IV.1 Kombinationsmodelle der Deutschen Rentenversicherung Bund In der Hellweg-Klinik Oerlinghausen können nach Vorgabe durch den federführenden Leistungsträger, Deutsche Rentenversicherung Bund, folgende Kombinationstherapiemodelle umgesetzt werden: ■ Acht Wochen stationäre Rehabilitationsphase mit anschließend ambulanter Rehabilitation (40+4 Therapieeinheiten) ■ Ambulante Rehabilitation (40+4 Therapieeinheiten), bei Krisensituation Umwandlung in eine stationäre Rehabilitation von maximal vier Wochen, danach Fortführung der ambulanten Rehabilitation. Diese Kombinationsmodelle werden mit allen von der Deutschen Rentenversicherung Bund anerkannten Suchtberatungsstellen durchgeführt, wenn eine entsprechende Indikation vorliegt, der Patient dieser Umwandlung zustimmt und die weiter betreuende Beratungsstelle ebenfalls aktiv mit in den Entscheidungsprozess einbezogen ist. Über den stationären Therapiebaustein wird ein vorläufiger Entlassungsbericht erstellt. Durch verbindliche Übergabegespräche wird sichergestellt, dass die in der Hellweg-Klinik Oerlinghausen begonnenen Therapieprozesse in der anerkannten Suchtberatungsstelle fortgesetzt werden können und dass die Schnittstellenproblematik verringert wird, sodass ein fast nahtloser Übergang der einzelnen Therapiebausteine erreicht werden kann. Weitere Voraussetzung für die Kombinationstherapien ist, dass die Suchtberatungsstelle innerhalb von 45 Minuten mit öffentlichen Verkehrs- - 27 - IV. Therapie der Abhängigkeitserkrankung im Behandlungsverbund mitteln erreicht werden kann. Der Leistungsträger wird vor dem Wechsel der Behandlungsform über die geplanten Maßnahmen informiert und um Zustimmung gebeten. Im Anschluss an eine reguläre Entwöhnungsbehandlung wird eine ambulante Nachsorge im Umfang von 20+2 Therapieeinheiten bei einer anerkannten Suchtberatungsstelle beantragt. In Einzelfällen kann nach Rücksprache mit dem Leistungsträger auch ein mehrfacher Wechsel zwischen den ambulanten und stationären Therapiebausteinen durchgeführt werden. Über jede Therapiephase wird ein eigenständiger Therapiebericht zeitnah erstellt. Seit Dezember 2009 werden in der Hellweg-Klinik Bielefeld suchtkranke Menschen im Rahmen der ganztägig ambulanten Rehabilitation behandelt. Federführender Leistungsträger ist ebenfalls die Deutsche Rentenversicherung Bund. Das genehmigte Therapiekonzept stammt aus dem Jahre 2010. Seit dem Januar 2012 gehört im Hellweg-Zentrum für Beratung und Therapie (vormals Suchtberatungsstelle des Evangelischen Gemeindedienstes) suchtkranke Menschen beraten und in stationäre oder ganztägig ambulante Einrichtungen sein werden. Außerdem bestehen Angebote zur ambulanten Rehabilitation und Nachsorge für den Indikationsbereich Alkohol und pathologisches Glücksspielen. In der Hellweg-Klinik Lage werden seit dem Jahre 2004 qualifizierte teilstationäre Entgiftungsbehandlungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) durchgeführt. Je nach Ausprägung der Erkrankung und Motivation des Patienten werden diese in ambulante, ganztägig ambulante oder stationäre Einrichtungen vermittelt. - 28 - V. Therapiekonzept der Hellweg-Klinik Oerlinghausen Fachklinik für Psychotherapie und Suchtmedizin Die Leitung ist aufgebaut auf den Führungsgrundsätzen des Johanneswerkes. V.1 Organisationsstrukturen Die Hellweg-Klinik Oerlinghausen ist eine Klinik für Psychotherapie und Suchtmedizin und stellt 100 Therapieplätze für suchtkranke Männer zur Verfügung. Nach dem Indikationsangebot besteht eine Behandlungsmöglichkeit für alkohol- und medikamentenabhängige Männer. Polytoxikomane Patienten (Mehrfachabhängigkeit) können stationär behandelt werden, wenn die Abhängigkeit von Opiaten nicht im Vordergrund steht. Komorbid bestehende stoffungebundene Abhängigkeiten werden mitbehandelt (Glücksspielsucht, Mediensucht). Bei Gründung der Hellweg-Klinik Oerlinghausen im Jahre 1966 ergab es sich, in der Einrichtung ausschließlich suchtkranke Männer zu behandeln. Die Argumentationsliste für oder gegen diese Entscheidung ist lang und wird in der Fachwelt immer wieder kontrovers diskutiert. Vor dem Hintergrund der aktuellen Gender-Diskussion haben wir die geschlechtsspezifische Ausrichtung des Therapiekonzeptes verbessert und die Auswirkungen des biologischen und soziokulturellen Geschlechtes in dem Therapieangebot berücksichtigt. Die Schwerpunktthemen der Behandlung mit männlichen Patienten werden in diversen Indikationsgruppen thematisiert und erörtert. der Behandlungszeit finden die ärztlichen Untersuchungen und die psychiatrische Differentialdiagnostik in den ersten zwei Tagen nach der Aufnahme statt. Die indikationsbezogene Aufnahme bestehend aus ergotherapeutische und sozialmedizinischen Teil sind mit dem dritten Tag nach der Aufnahme beendet und dokumentiert. Im Rahmen der Fallbesprechung nach einer Woche nach der Aufnahme werden die Patienten in das multiprofessionelle Team besprochen und entsprechend des Störungsbildes in die Gruppen der Klinik eingeteilt. Suchtmittelrückfällige Patienten sowie noch zum Zeitpunkt der Aufnahme entzügige Patienten werden zur Überwachung auf den dafür vorgesehenen Zimmern in unmittelbarer Nähe zur Pflege verlegt. Das therapeutische Team setzt sich zusammen aus Mitarbeitern aus den Bereichen: ■ Medizinischer Dienst ■ Bezugstherapeuten (Einzel- und Gruppentherapeuten) ■ Ergotherapeuten, ■ Sporttherapeuten ■ Sozialdienst ■ Qualifiziertes Pflegepersonal ■ Pastoraldienst Die Anzahl in einer Therapiegruppe beträgt bis zwölf Patienten. Jeder Patient wird am Tag der Aufnahme sowohl ärztlich als auch therapeutisch aufgenommen und pflegerisch versorgt. Während - 29 - V. Therapiekonzept der Hellweg-Klinik Oerlinghausen Fachklinik für Psychotherapie und Suchtmedizin V.2 Therapieziele der stationären medizinischen Rehabilitation Die medizinische Rehabilitation orientiert sich an dem bio-psychosozialen Krankheitsmodell der Gesundheitsorganisation (WHO) und der internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF). Daraus ergibt sich ein ganzheitlich angelegtes interdisziplinäres Rehabilitationskonzept mit den entsprechenden Therapiezielen, die das Ziel haben, die funktionale Gesundheit des Rehabilitanden zu erhalten oder wiederherzustellen und dessen soziales und berufliches Umfeld zu berücksichtigen. Somit ist das übergeordnete Therapieziel des stationären Rehabilitationsprozesses, die negativen Auswirkungen einer Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft entgegenzuwirken. Diese Grundannahmen haben in den Fachgesellschaften zu intensiven Diskussionen der evidenzbasierten Leitlinien im Bereich der medizinischen Rehabilitation (Postakutbehandlung) geführt. Die Behinderungen umfassen durch die Suchterkrankung bedingte Schädigungen der Körperfunktionen bzw. -strukturen sowie Beeinträchtigung der Aktivitäten und der Partizipation im Kontext umwelt- und personenbezogener Faktoren. Postakut-Behandlungen zielen demnach auf den Erhalt, die Verbesserung und die Wiederherstellung der Funktions- und Leistungsfähigkeit des chronisch kranken oder behinderten Menschen in Alltag und Beruf. Danach sind behandlungsleitende Ziele: Sicherung von Selbstbestimmung ■ Gleichberechtigte Teilhabe am Leben in ■ ■ der Gesellschaft Wiederherstellung von Arbeits- und Erwerbsfähigkeit. Ziele der Postakut-Behandlungen sind nach den evidenzbasierten Leitlinien in der Suchtmedizin: ■ Erhaltung oder Wiederherstellung der Teilhabe am Erwerbsleben ■ Erreichen und Aufrechterhaltung der Suchtmittelabstinenz ■ Besserung komorbider psychiatrischer Störungen ■ Besserung somatischer Begleiterkrankung ■ Beseitigung, Reduktion oder Kompensation der somatischen, psychischen und psychosozialen Folgen. Prognostisch günstige Faktoren für eine zufriedene Abstinenz sind die Teilhabe am Erwerbsleben, das Vorhandensein von Wohnraum und eine stabile Partnerschaft bei wirtschaftlicher Absicherung. Die allgemeinen übergeordneten Therapieziele können in Unterpunkte differenziert werden. Aus suchtmedizinischer Sicht ist ein wesentliches Therapieziel die Übernahme der Eigenverantwortung und Eigenkontrolle, nachdem sich der Patient aus dem Teufelskreis der Abhängigkeit befreien konnte. Im Verlauf der Suchterkrankung hat der abhängigkeitserkrankte Mensch diese Eigenkontrolle teilweise verloren. Durch die therapeutischen Maßnahmen und durch die Einhaltung der Hausordnung kann er die Eigenkontrolle und Eigenverantwortung im Rahmen der Abstinenz wieder erlangen. Das Therapiekonzept und die Hausordnung sind so aufgebaut, dass ein schrittweiser Abbau der therapeutischen Fremdkontrolle zu - 30 - V. Therapiekonzept der Hellweg-Klinik Oerlinghausen Fachklinik für Psychotherapie und Suchtmedizin Gunsten der Übernahme von Eigenkontrolle und Eigenverantwortung möglich wird. Dazu dienen die Ausgangsregelung und weitere therapeutische Regeln. Um die übergeordneten Therapieziele zu erreichen, sind eine Reihe von individuellen Therapiezielen erforderlich, die gemeinsam mit dem Patienten aus dem komplexen Störungsbild abgeleitet werden können. Die Anzahl und das Ausmaß der individuellen Therapieziele sind im Wesentlichen abhängig von der Dauer und Ausprägung der Abhängigkeitserkrankung und den damit verbundenen Folgeschädigungen. Bei der Festlegung der Therapieziele sind nicht nur die Schwächen und Defizite der Patienten relevant, sondern auch dessen Fähigkeiten und Stärken. Diese Ressourcen können für das Erreichen der Therapieziele konstruktiv genutzt werden. Nach mehrwöchiger Abstinenz können Patienten die Erfahrung machen, dass es ihnen gelingt, alte Fähigkeiten und Stärken wieder zu entdecken. Dieses führt im Sinne einer positiven Verstärkung zu einem motivationsfördernden Therapieprozess mit Verbesserung der Selbstkompetenz und der Selbstwirksamkeitserwartung. gen und therapeutischen Besprechungen dieser Prozess begleitet, überwacht und bei Bedarf korrigiert. Im Nachfolgenden ist die Aufzählung und Kategorisierung der häufigsten Therapieziele im Verlauf der stationären medizinischen Rehabilitation Abhängigkeitserkrankter dargestellt: 1. Suchtmedizinische Therapieziele Verbesserung der physischen und psychischen Leistungsfähigkeit ■ Verringerung körperlicher Folgeerkrankungen, wie z.B. Lebererkrankungen, Polyneuropathie, ■ Aufbau einer gesundheitsfördernden Lebensweise bezüglich Essverhalten, Gesundheitspflege, Genuss, ■ Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen ■ Mitbehandlung der psychiatrischen Komorbidität ■ 2. Therapieziele im psychotherapeutischen Bereich Behandlung einer gleichzeitig bestehenden psychischen Komorbidität ■ Mitbehandlung der Auswirkung gleichzeitig bestehender Persönlichkeitsstörungen ■ Umgang mit Rückfallen ■ Verbesserung der Wahrnehmung von Gefühlen ■ Adäquater Umgang mit Enttäuschungen und Rückschlägen ■ Wiederentdeckung von psychischen Stärken und Fähigkeiten ■ Verbesserung der sozialen Durchsetzungsfähigkeit ■ Die folgenden Therapieziele sind unserer Ansicht nach erforderlich, um die Suchtmittelabstinenz zu erreichen und zu stabilisieren. Diese ist wiederum eine wichtige Voraussetzung zur Wiederherstellung und zum Erhalt der Erwerbsfähigkeit. Während des individuellen Therapieprozesses werden mit dem Patienten gemeinsam diese Therapieziele festgelegt und die dazu notwendige Therapieinterventionen geplant und umgesetzt. Im Rahmen der Therapiesteuerung wird dann in den Fallbesprechun- - 31 - V. Therapiekonzept der Hellweg-Klinik Oerlinghausen Fachklinik für Psychotherapie und Suchtmedizin Wiederherstellung und Aufbau eines adäquaten Selbstwertgefühles ■ Erprobung der erreichten Problemlösestrategien im realen Umfeld ■ 3. Therapieziele im psycho-sozialen Bereich Maßnahmen zur Erhaltung bzw. Wiedererlangung eines Arbeitsplatzes ■ Unterstützung zur Bewältigung juristischer Komplikationen (Strafprozesse, Verkehrsdelikte) ■ Verbesserung der Kommunikation mit Sozialpartnern (Ehepartner, Kinder, Vorgesetzte) ■ Verbesserter adäquater Umgang mit Ämtern und Behörden ■ Adäquates Durchsetzen eigener Interessen in der sozialen Gruppe ■ 4. Therapieziele im arbeitstherapeutischen Bereich Verbesserung neuro-psychologischer Funktionen, z.B. Aufmerksamkeit ■ Einübung und abgestufte Belastung zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit ■ Bewerbungstraining inkl. Unterstützung bei der Erstellung einer Bewerbungsmappe, Beantragung fehlender Zeugnisse, Vorbereitung au Vorstellungsgespräche (Rollenspiele), Wege der Arbeitssuche (Anzeigen und Ausschreibungen im Internet, Zeitung und Zeitschriften u.a.) ■ Work-Life-Balance (Arbeit-Freizeit-Verhältnis als eine wichtige Form der Rückfallprävention). ■ Angemessener Umgang mit „Kollegen“ und „Vorgesetzten“ ■ Verbesserung von Ausdauer, Durchhaltevermögen und Flexibilität ■ Berufsorientierende Maßnahmen durch interne und externe Belastungserprobung ■ 5. Therapieziele im Bereich der Kreativtherapie und Freizeitgestaltung Aufbau und Wiederentdeckung kreativer Fähigkeiten ■ Bearbeitung dysfunktionaler emotionaler Prozesse im Umgang mit Frustration und Kränkungen ■ Förderung nonverbaler Ausdruckweisen ■ Nonverbaler Zugang zu sich und den Gefühlen ■ Selbstwertsteigerung ■ Wahrnehmung von eigenen Bedürfnissen ■ Trauerbearbeitung ■ Gestalterische Beschäftigung mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ■ Wiederentdeckung von Freizeitaktivitäten ■ Übernahme von Verantwortung im Freizeitbereich ■ 6. Therapieziele im Bereich der Körpertherapie Verbesserung der Entspannungsfähigkeit Verbesserung der körperlichen Belastungsfähigkeit ■ Angemessenes sportliches Verhalten ■ Verbesserung der körperlichen Fitness ■ Verbesserung des Ernährungsverhaltens ■ Motivation zur Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen ■ ■ - 32 - V. Therapiekonzept der Hellweg-Klinik Oerlinghausen Fachklinik für Psychotherapie und Suchtmedizin ■ ■ Wiederentdecken des „Genießens im Alltag“ Selbstwahrnehmung und Selbststärkung 7. Therapieziele im Bereich sozialmedizinischer Fragestellungen Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt, in Ausnahmefällen und bei gegebener Indikation Vermittlung auf dem zweiten Arbeitsmarkt ■ Bei Indikation die Einleitung der stundenweisen Wiedereingliederung ■ Arbeitgebergespräche im Beisein des Patienten und nach Möglichkeit des Suchtbeauftragten seines Arbeitsgebers ■ Hilfestellung bei sozialmedizinischen Fragestellungen ■ Hilfestellung bei Bedarf im Rahmen des betreuten Wohnens ■ 8. Therapieziele im Bereich der diakonischen Begleitung Wiederentdeckung von Sinn- und Werteorientierung ■ Stärkung ethischer Orientierung zur Stabilisierung der Abstinenz. ■ Ergänzt und unterstützt die therapeutischen Ziele in Zusammenarbeit mit Bezugstherapeuten ■ Trauer- und Trennungsbewältigung ■ Stützende und entlastende Gespräche ■ Im Rahmen des hypothesengeleiteten, diagnostischen Prozesses erarbeitet der Bezugstherapeut mit seinen Patienten die zur Bewältigung seiner Abhängigkeitserkrankung erforderlichen Therapieziele. Dann legt er gemeinsam mit dem Patienten fest, welche therapeutischen Maßnahmen (Therapiebausteine) zur Erreichung der festgelegten Therapieziele erfolgversprechend sind. Im Rahmen dieses diagnostisch-therapeutischen Prozesses werden Therapiefortschritte festgestellt und der o.g. Prozess modifiziert. In vielen Fällen ist die Fortführung des therapeutischen Prozesses im ambulanten Rahmen erforderlich, um die in der Klinik erreichten Problemlösestrategien im Alltag zu stabilisieren. Das Angebot der Kombitherapien ist dafür ein geeignetes Instrument, wenn der begonnene Therapieprozess reibungslos im ambulanten Setting fortgesetzt werden kann. Durch die verbindlichen Absprachen des regionalen Behandlungsverbundes sind die bekannten Schnittstellen und Transferprobleme deutlich verringert worden. V.3 Therapiebausteine In der Hellweg-Klinik Oerlinghausen wird dem Patienten ein integratives Therapieangebot gemacht. Dazu werden die in der modernen stationären Suchtkrankenarbeit angewandten Therapiebausteine angeboten, die sich im Rahmen der evidenzbasierten Suchtmedizin bewährt haben. Sie werden ergänzt durch praxisbewährte Therapieangebote. Die vier Säulen der Therapie sind: ■ Suchtmedizinische Behandlung ■ Psycho-Soziotherapie ■ Handlungsorientierte Therapie ■ Diakonische Begleitung. - 33 - V. Therapiekonzept der Hellweg-Klinik Oerlinghausen Fachklinik für Psychotherapie und Suchtmedizin Die vier Säulen der Therapie repräsentieren ein weitgefächertes Therapieangebot zur Behandlung der körperlichen, psychischen und psychosozialen Symptome und Folgen der Abhängigkeitserkrankung. Im Folgenden werden die einzelnen Therapiebausteine, die zur Erreichung der festgelegten Therapieziele eingesetzt werden, beschrieben. Häufig werden mehrere Therapieinterventionen zeitgleich angeboten, um die Therapieziele zu erreichen. Die Umsetzung und Steuerung erfolgt durch den Bezugstherapeuten, der Unterstützung durch das therapeutische Team erhält. Das Bezugstherapeutensystem ist die Basis unseres Therapieangebotes. Die suchtmedizinische Behandlung dient der Wiederherstellung und Erhaltung der Gesundheit und Erwerbsfähigkeit, die eine wesentliche Voraussetzung für ein suchtmittelfreies Leben und für die Teilhabe am Erwerbsleben sind. Im Rahmen der Psycho-Soziotherapie werden sowohl Schwierigkeiten in der Per- Diakonisch Handlungsorientiert Psycho-Sozial Medizinisch Therapieangebote Abbildung 4: „Die vier Therapiesäulen“ son des Suchtkranken als auch die Schwierigkeiten des Patienten in der Interaktion mit anderen Menschen bearbeitet. Dabei spielen Prozesse aus der Vergangenheit (biographische Bearbeitung) ebenso eine Rolle, wie auch der Aufbau neuer alternativer Verhaltensweisen, um so Problemsituationen in Zukunft suchtmittelfrei bewältigen zu können. Ziel ist es, inneres und von außen zu beobachtendes Erleben und Verhalten zu verändern. Dahinter steht die Absicht, dysfunktionale Gefühle, Gedanken, Erwartungen und Reaktionen zu verändern und fehlende Bewältigungs- und Regulierungskompetenzen aufzubauen. In diesem Rahmen findet auch die Einbeziehung der Angehörigen statt. Die handlungsorientierte Therapie umfasst eine Vielzahl von praxisorientierten Behandlungsangeboten, die den Patienten bei der Wiederherstellung und Erhaltung seiner Erwerbsfähigkeit unterstützen. Dabei helfen ergo- und kreativtherapeutische Angebote sowie Maßnahmen der Körpertherapie. Zusätzlich erlernt der Patient die Möglichkeiten des Freizeitverhaltens und der konstruktiven Tagesstrukturierung. Die diakonische Begleitung macht sichtbar, dass das menschliche Leben in einem größeren Sinnzusammenhang steht. Die Auseinandersetzung mit der Werteorientierung und die Begleitung von Fragen nach dem Sinn des Lebens und wird den Patienten angeboten, um ihre Suchterkrankung spirituell zu verstehen. Die vier Säulen des Therapiekonzeptes der HellwegKlinik basieren in der Hauptsache auf den modernen Erkenntnissen der evidenzbasierten Suchtmedizin. Im Rahmen der im Qualitätsmanagement festgelegten Therapiesteuerung wird die Integration dieser - 34 - V. Therapiekonzept der Hellweg-Klinik Oerlinghausen Fachklinik für Psychotherapie und Suchtmedizin Therapiemaßnahmen zur Erreichung der festgelegten Therapieziele optimiert und regelmäßig supervidiert. V.3.1 Suchtmedizinische Behandlung Ziel der suchtmedizinischen Behandlung ist es, die körperliche und psychische Gesundheit zu erhalten oder wiederherzustellen. Es arbeiten in der Klinik Ärzte mit entsprechender Facharztausbildung aus den Bereichen Psychiatrie und Psychotherapie und Allgemeinmedizin/Innere Medizin. In Zusammenarbeit mit dem Pflegedienst werden ärztliche Behandlungen auf psychiatrischem, internistischem und neurologischem Fachgebiet durchgeführt. Dazu dienen die körperliche Untersuchung, das ärztliche Gespräch und die Verordnung entsprechender Medikamente und physikalischer Maßnahmen. Erforderliche diagnostische Zusatzuntersuchungen werden in kooperierenden Arztpraxen und Krankenhäusern durchgeführt. Andere akut oder chronische Erkrankungen werden kooperierenden Fachärzten vorgestellt, die seit vielen Jahren mit der Hellweg-Klinik zusammenarbeiten. Deren Therapievorschläge werden nach Absprache mit den Ärzten der Klinik umgesetzt. Entsprechend den Vorschriften des Qualitätsmanagementsystems wird jeder Patient am Aufnahmetag allgemein-körperlich, neurologisch und psychiatrisch untersucht. Zudem findet am Aufnahmetag ein therapeutisches Aufnahmegespräch statt. Diese Aufnahmeuntersuchung wird ergänzt durch entsprechende Laboruntersuchungen und durch ein Elektrokardiogramm. Die er- forderlichen Medikamente werden durch die Ärzte der Klinik verordnet und durch den Pflegedienst ausgegeben. Die psychologische Testdiagnostik wird entsprechend der Leitlinien eingesetzt und durchgeführt und als diagnostisches Kriterium eingesetzt. Erforderliche Zwischenuntersuchungen und Abschlussuntersuchungen finden regelmäßig statt. Es findet wöchentlich eine fachärztlich (psychiatrisch-internistische) Visite im Zimmer der Patienten in Beisein der Bezugstherapeuten und Pflege statt. Im Rahmen der ärztlichen Gespräche während und außerhalb der Sprechstunden bzw. im Verlauf der Visiten wird die Verbesserung des Gesundheitsverhaltens vorgenommen. Die psychiatrische und internistische Behandlung der vorherrschenden Diagnosen und Störungen liegt im Vordergrund der Behandlung. Schwerpunkte der ärztlichen Interventionen sind das Ernährungs- und Bewegungsverhalten sowie der Umgang mit anderen Suchtstoffen, vor allem Nikotin und Psychoedukation. Die Bearbeitung des Essverhaltens wird unterstützt durch die Mitarbeit der Diätassistentin, die ebenfalls einzel- und gruppentherapeutische Angebote macht. Im medizinischen Unterricht (Psycho-Edukation) erhalten die Patienten weitere wichtige Informationen zum allgemeinen Gesundheitsverhalten, Essverhalten, Umgang mit Risikofaktoren und Krankheitsbildern. Innerhalb des medizinischen Unterrichtes finden ausführliche Informationsveranstaltungen über die Folgeschädigungen des Rauchens statt. Die Hellweg-Klinik Oerlinghausen nimmt am Nichtrauchertraining des IFT München teil. Die Hellweg-Klinik Oerlinghausen verfügt über ein erprobtes Notfallmanagement. Der ärztliche Be- - 35 - V. Therapiekonzept der Hellweg-Klinik Oerlinghausen Fachklinik für Psychotherapie und Suchtmedizin reitschaftsdienst findet in Form von Rufdiensten statt. Einbezogen in den Rufdienst sind niedergelassene kooperierende Fachärzte. Eine notfallmäßige medizinische Versorgung kann durch die Notärzte des zuständigen Rettungsdienstes erfolgen. Der RTW des Malteser Hilfsdienstes ist 1 km entfernt von der Klinik stationiert. Zur Unterstützung der medizinischen Behandlung ist ein Masseur und med. Bademeister beschäftigt, der therapeutische Angebote zur Linderung der Beschwerden des Stütz- und Bewegungsapparates macht. Dazu kommen klassische Massagen, Fangopackungen, und medizinische Bäder, beispielsweise Entspannungs-, Beruhigungs-, Öl- und Rheumabäder. Mehrmals wöchentlich ist auch ein Krankengymnast im Hause, der die entsprechenden ärztlichen Verordnungen aktiv mit den Patienten umsetzt. V.3.2 Psycho-Soziotherapie Die Post-Akutbehandlung von Alkoholabhängigen wird in der Regel mit einem integrierten Behandlungsplan umgesetzt, indem psychotherapeutische, soziotherapeutische und suchtmedizinische Interventionen in Kombination angewandt werden. Das Ziel der medizinischen Rehabilitation ist der Erhalt der funktionalen Gesundheit. Aus diesem Grunde werden motivationsfördernde und kompetenzerhöhende Therapiemaßnahmen eingesetzt, um die Krankheitsakzeptanz zu vertiefen und die Suchtmittelabstinenz langfristig zu erhalten. Die umfangreichen Therapieinterventionen aus dem Bereich der Psycho-Soziotherapie be- inhalten sowohl evidenzbasierte Maßnahmen als auch Interventionen, deren Wirksamkeit im Einzelnen noch nicht nachgewiesen ist. Die evidenzbasierte Suchtmedizin hat nachgewiesen, dass integrierte Behandlungen wirksamer sind als die Anwendung separater Behandlungskomponenten. Der psycho-soziotherapeutische Prozess ist ein fortlaufender, ineinander verzahnter Prozess, in dem der Bezugstherapeut gemeinsam mit dem Patienten die zentrale Rolle spielt. Die folgende Aufzählung der angewandten Therapiebausteine stellt eine künstliche Trennung dar. Die Elemente können im realen Therapieprozess nicht so deutlich voneinander getrennt werden. Es werden Interventionstechniken der Einzelund Gruppenpsychotherapien mit Interventionsstrategien der Soziotherapie verbunden. V.3.2.1 Bezugstherapeutensystem Die Basis des psycho-soziotherapeutischen Prozesses ist das Bezugstherapeutensystem. Jeder Patient bekommt bei der Aufnahme in seine Therapiegruppe einen Bezugstherapeuten. Der Bezugstherapeut ist Hauptansprechpartner des Patienten für alle wesentlichen Belange mit Ausnahme der medizinischen Behandlung. Der Bezugstherapeut arbeitet im multiprofessionellen Team, in denen alle Mitarbeitergruppen der Hellweg-Klinik vertreten sind. Der Bezugstherapeut führt mit seinem Patienten regelmäßig Einzelgespräche (1 x wöchentlich), in denen die biographische Anamnese und die Suchtmittelanamnese erhoben wird. Es ergeben sich in diesen Gesprächen Hinweise für frühe Traumatisie- - 36 - V. Therapiekonzept der Hellweg-Klinik Oerlinghausen Fachklinik für Psychotherapie und Suchtmedizin rungen und wichtige Informationen über die Sozialisationsbedingungen des Patienten und seine entsprechende Lerngeschichte. Im Anschluss daran werden die ersten Hypothesen über das Störungsbild des Patienten gebildet, und es werden gemeinsam mit dem Patienten die ersten Therapieziele festgelegt. Die später beschriebenen therapeutischen Angebote werden von psychologischen Psychotherapeuten, Dipl. Psychologen mit Zusatzausbildung und Dipl. Sozialarbeitern mit sozialtherapeutischer Weiterbildung durchgeführt. Folgende Interventionsstrategien werden angewandt: ■ Einzelgespräche/Einzelpsychotherapie ■ Gruppentherapie ■ Indikations- und psychoedukative Gruppen ■ Expositionsübungen ■ Sozialtherapeutische Maßnahmen ■ Milieutherapeutische Elemente ■ Angehörigenarbeit ■ Sozialberatung Einzelgespräche – Einzelpsychotherapie Schwerpunkte einer abhängigkeitsspezifischen Psychotherapie sind motivationsfördernde und kompetenzerhöhende Maßnahmen zur Erreichung und Aufrechterhaltung der Abstinenz. Dazu wird die motivierende Gesprächsführung nach Miller und Rollnik angewandt, um die vorhandene Ambivalenz des Patienten konstruktiv für die Entwicklung und Aufrechterhaltung der Abstinenz zu nutzen. Im Rahmen der Einzeltherapie kommen die Grundlagen der verhaltensmedizinischen Behandlung zum Tragen. Dazu werden im Wesentlichen kognitiv-behavio- rale Ansätze genutzt, die ergänzt werden durch Expositionsübungen mit therapeutischer Begleitung. Neben der Arbeit mit dem Bezugstherapeuten ist die Arbeit in der Therapiegruppe zentraler Bestandteil des Therapieangebotes. Gruppentherapeutische Angebote In der Hellweg-Klinik Oerlinghausen wird die Gruppentherapie in Form halboffener Therapiegruppen angeboten, in denen soziales Lernen (Modelllernen) gefördert wird. „Neue Patienten“ können von den „älteren Patienten“ lernen, die kurz vor der Entlassung stehen und die von ihrer erfolgreichen Umsetzung der Bewältigungsstrategien in der Klinik und dem realen Umfeld berichten können. Den zentralen gruppentherapeutischen Prozess führt der Patient in seiner Therapiegruppe durch, in der sein Bezugstherapeut gruppentherapeutisch tätig ist. Die Therapiegruppe findet dreimal wöchentlich über 90 Minuten statt. Weiterhin findet verbindlich dreimal Entspannungstraining und einmal die Gruppe „Ich und die Anderen“ statt. Innerhalb der Gruppentherapie werden Interventionsstrategien des sozialen Kompetenztrainings angewendet, um das Erlernen von effektiven Bewältigungsstrategien zu verbessern. Auch die Prinzipien eines erfolgreichen Rückfallmanagementes werden in der Therapiegruppe erarbeitet. In psycho-edukativen Gruppen findet Informationsvermittlung zur Abhängigkeitserkrankung, zum Rückfallmanagement und zum Gesundheitsverhalten statt. Eine wesentliche Besonderheit der Hellweg-Klinik Oerlinghausen ist das Angebot von Therapiegruppen mit besonderen Schwerpunkten. Aufgrund der langjährigen - 37 - V. Therapiekonzept der Hellweg-Klinik Oerlinghausen Fachklinik für Psychotherapie und Suchtmedizin Praxiserfahrung in der stationären Entwöhnungsbehandlung von Suchtpatienten und den modernen Ergebnissen der evidenzbasierten Suchtmedizin sind in der Klinik diese Therapiegruppen entwickelt worden. In der Therapiegruppe „Sucht und Angst“ werden Patienten aufgenommen, bei denen nach entsprechender Diagnostik neben der Suchterkrankung auch eine behandlungsbedürftige Angsterkrankung festgestellt worden ist. Diese Patienten erhalten durch entsprechend ausgebildete therapeutische Mitarbeiter verhaltenstherapeutische Therapieangebote sowohl bezüglich der Abhängigkeitserkrankung als auch in Bezug auf die Angsterkrankung. Dazu werden einzel- und gruppentherapeutische Maßnahmen ergänzt durch das Selbstsicherheitstraining und die Angstgruppe angeboten. Zusätzlich wird im Rahmen der Körpertherapie das psycho-vegetative System stabilisiert und das Vermeidungsverhalten abgebaut und Entspannungsverfahren zur eigenständigen Durchführung vermittelt. In der Therapiegruppe „Sucht und Depression“ werden Patienten aufgenommen, bei denen nach entsprechender Diagnostik neben der Suchterkrankung auch eine behandlungsbedürftige depressive Erkrankung festgestellt worden ist. Der Behandlungsansatz beruht auf den Erkenntnissen der Verhaltensmedizin und ist darauf ausgerichtet, dysfunktionale depressive Kognitionen zu identifizieren und umzustrukturieren. Gleichzeitig wird ein Aktivitätsprogramm zur Verbesserung und zur Optimierung von positiven Verstärkern angewandt und ein adäquates Genusstraining und Freizeitverhalten angeboten. In der Therapiegruppe „Sucht und Trauma“ werden Patienten aufgenommen, bei denen eine behandlungsbedürftige posttraumatische Belastungsstörung besteht und der Suchtmittelkonsum die Funktion hat, die damit verbundene körperliche und psychische Symptomatik kurzfristig zu lindern (negative Verstärkung). In dieser Therapiegruppe werden zunächst bewährte Stabilisierungstechniken vermittelt und störungsspezifische Aspekte besonders berücksichtigt. Gemeinsam mit den Patienten wird das therapeutische Vorgehen abgesprochen. Darüber hinaus werden Entspannungstechniken und positive Verstärker angewandt. Häufig besteht bei diesen Patienten eine zusätzliche Persönlichkeitsstörung, die einen wichtigen Einfluss auf die Entstehung und Aufrechterhaltung der Abhängigkeitserkrankung hat. Durch evaluierte Interventionstechniken werden die Auswirkungen der Persönlichkeitsstörung auf den Suchtmittelkonsum positiv beeinflusst. Die Abhängigkeitserkrankung und ihre Folgen am Arbeitsleben ist stets im Mittelpunkt der therapeutischen Arbeit. Die Wiedereingliederung des Patienten ins berufliche Leben und Strukturierung des Alltagslebens, die Neudefinition des Rollenbildes in der Gesellschaft steht im Mittelpunkt der Therapie. Seit vielen Jahren werden in der Hellweg-Klinik Oerlinghausen junge Männer behandelt, deren Suchtmittelkonsummuster besteht aus Alkohol, Nikotin, Cannabis, Amphetamine, Ecstasy und gelegentlich Kokain. Einmal wöchentlich finden Indikationsgruppen statt, die von den therapeutischen Mitarbeitern angeboten werden. Die Zuweisung in diese Gruppen trifft der Bezugstherapeut gemeinsam mit dem Patienten. Der durchführende Therapeut dokumentiert die Ergebnisse und Erfolge der - 38 - V. Therapiekonzept der Hellweg-Klinik Oerlinghausen Fachklinik für Psychotherapie und Suchtmedizin Indikationsgruppen im Patientendokumentationsystem (PaDo), wo sie von allen therapeutischen Mitarbeitenden einsehbar sind. ■ Folgende Indikationsgruppen werden angeboten: ■ Berufliche Orientierung ■ Hirnorganisches Leistungstraining ■ Männergruppe ■ IG-Laufen ■ Nordic-Walking ■ Sozialkompetenztraining ■ Abhängigkeitspräventionsgruppen (Stressbewältigung, Motivation, Rückfallmanagement) ■ Freizeitkompetenztraining ■ Sinn des Lebens ■ Lehrküche ■ Genusstraining ■ Affektkontrolltraining ■ Pathologisches Glücksspielen / Mediensucht Diese Expositionsübungen werden zunächst mit dem Bezugstherapeuten vorbereitet und in der Therapiegruppe im Rollenspiel eingeübt. Danach werden entsprechend der Leitlinien die Expositionsübung verhaltenstherapeutisch begleitet. Im Einzelgespräch und in der Therapiegruppe werden die Ergebnisse und Fortschritte ausgewertet und notwendige Verbesserungen für weitere Expositionsübungen geplant. Erfolgreich durchgeführte Expositionsübungen und Belastungserprobungen erhöhen die subjektive Selbstkompetenz. Diese erhöhte subjektive Selbstkompetenz ist für den Patienten insofern besonders wichtig, weil er nach der Entlassung in realen Belastungssituationen auf diese positiven Bewältigungserlebnisse zurückgreifen kann. In der Indikationsgruppe kann der Patient spezielle Therapieziele bearbeiten, die in der Therapiegruppe keinen ausreichenden Platz finden oder die eine spezielle therapeutische Interventionstechnik benötigen. Soziotherapie / Sozialberatung In der Soziotherapie werden vorwiegend die sozialen Belange des Patienten berücksichtigt. Die wissenschaftlichen Ergebnisse haben eindeutig gezeigt, dass suchtkranke Patienten mit Arbeit, Wohnung und stabiler Partnerschaft eine bessere Abstinenzprognose haben als Patienten, die sich in einer wirtschaftlich, beruflich und psychosozial negativen Situation befinden. Gerade am Anfang der stationären Entwöhnungsbehandlung ist die Sozialberatung wichtig geworden, weil durch die modernen Sozialgesetze (SGB IX, Hartz IV) neue sozialrechtliche Probleme entstanden sind, die zeitnah gelöst werden müssen. Ziel der Sozialberatung ist, den Patienten zu befähigen, un- Expositionsübungen/Belastungsübungen Therapeutische Übungen in der realen Lebenssituation (Expositionsübungen) werden durchführt, um die in der Psychotherapie erarbeiteten und erlernten Problemlösestrategien auf Alltagsfähigkeit zu überprüfen. Beispiele für Expositionsübungen sind: Busfahren oder Bahnfahren bei Angstpatienten ■ Selbstsicherheitsübungen bei Ämtern und ■ Gerichten, Arbeitgebergespräche Arbeitsplatzbesuche ■ Familienheimfahrten. - 39 - V. Therapiekonzept der Hellweg-Klinik Oerlinghausen Fachklinik für Psychotherapie und Suchtmedizin günstige soziale Verhältnisse zu verändern und seine sozialen Belange wieder eigenverantwortlich zu regeln. Dazu gehören folgende Bereiche: ■ Sicherung des Lebensunterhaltes ■ Unterstützung bei der Wohnungssuche ■ Vermittlung juristischer Beratung ■ Lösung von Problemen am Arbeitsplatz ■ Lösung von Problemen mit der Agentur für Arbeit ■ Beratung und Kontaktherstellung bei finanzieller Angelegenheiten ■ Vermittlung in Beschäftigungsprogramme. Die Sozialberatung wird vor Ort von ausgebildeten Diplom-Sozialarbeitern/Sozialpädagogen angeboten, die engmaschig mit den Bezugstherapeuten zusammenarbeiten. Die Sozialtherapie/-beratung findet in Einzelund Gruppenformen statt. Den Patienten steht in der Hellweg-Klinik Oerlinghausen das Internet kostenlos zur Verfügung, um sich entsprechend sachkundig zu machen und Informationen und Hilfsmöglichkeiten vor Ort zu finden. Ein besonderer Schwerpunkt der Sozialtherapie ist die Wiedereingliederung in die Erwerbstätigkeit. Dies ist vor allen Dingen bei langjährig arbeitslosen Patienten erforderlich. Dazu werden Kontakte zur Agentur für Arbeit aufgenommen und es werden die Möglichkeiten der beruflichen Rehabilitation genutzt. In der letzten Therapiephase findet im therapeutischen Team eine intensive Bearbeitung dieses Themas statt unter Einbeziehung des Bezugstherapeuten, des Ergotherapeuten, des Arztes und des zuständigen Mitarbeiters aus dem Sozialdienst. Weiterhin werden milieutherapeutische Elemente angewandt. So werden dem Patienten Aufgaben übertragen, bei denen er zunehmend mehr Verantwortung für sich und andere übernimmt. Es beginnt damit, dass er selbst für die Sauberkeit und Reinigung seines Zimmers verantwortlich ist. Die von der Therapiegruppe benutzten Gemeinschaftseinrichtungen werden auch gemeinschaftlich gereinigt. Hier entsteht ein wichtiges Übungsfeld für angemessenes soziales Durchsetzungsvermögen und faires Zusammenarbeiten. In der Therapiegruppe werden regelmäßig Gruppenaktivitäten mit und ohne Bezugstherapeuten durchgeführt. Diese fördern ein besseres Verständnis der Gruppenmitglieder untereinander und bieten ein Übungsfeld dafür, dass Freizeitaktivitäten auch ohne Alkohol Spaß machen, so dass auch durch Gruppenaktivitäten verhaltensmedizinisches Umlernen stattfinden kann. Angehörigenarbeit Die Abhängigkeitserkrankung findet häufig im Familiensystem statt, in dem jeder Beteiligte eine bestimmte Rolle übernimmt. Die Angehörigen des Patienten zeigen manchmal ein co-abhängiges Verhalten, welches unserer Ansicht nach häufig auf ein behandlungsbedürftiges Krankheitsbild beim Angehörigen hinweist. Um die Partnersituation zu klären und zu stabilisieren, werden Paargespräche angeboten. Einmal wöchentlich findet eine Angehörigengruppe statt, zu der alle Angehörigen eingeladen werden. In den meisten Fällen gelingt es, die Partnerschaftsbeziehung zu stabilisieren und zu verbessern oder einen angemessenen Weg zu finden, die Partnerschaft in Frieden zu beenden. Günstig ist es auch, wenn Arbeits- - 40 - V. Therapiekonzept der Hellweg-Klinik Oerlinghausen Fachklinik für Psychotherapie und Suchtmedizin kollegen und Vorgesetzte aus Betrieben des regionalen Bereiches mit in den Therapieprozess einbezogen werden können. Besonders wichtig ist es, den beruflichen Wiedereinstieg des Patienten vorzubereiten und Ängste in diesem Bereich abzubauen. Dazu bieten wir Gespräche mit Vorgesetzten oder Mitarbeitern aus Betrieben an. In Einzelfällen gibt es die Möglichkeit der externen Belastungserprobung im eigenen Betrieb. Von den Ärzten der Klinik wird die Möglichkeit geprüft, ob eine stufenweise Wiedereingliederung für den Patienten aus medizinischen Gründen erforderlich ist. V.3.3 Handlungsorientierte Therapie (arbeitsbezogene medizinische Rehabilitation) Diese Form der therapeutischen Arbeit ergänzt das Sprechen über Schwierigkeiten oder Probleme durch aktives Handeln in verschiedenen Aufgabenbereichen. Folgende Beobachtungen liegen diesem Behandlungsansatz zugrunde: Während des mehrjährigen Alkoholkonsums lassen die kreativen Fähigkeiten der Patienten sehr schnell nach, und sie werden von ihren Angehörigen teilweise als „abgestumpft, passiv und ideenlos“ beschrieben. Ihre beruflichen Kompetenzen und Fähigkeiten können die Patienten häufig länger aufrechterhalten. Jedoch kommt es im Laufe des weiteren Suchtmittelkonsums zu einem Verlust der praktischen und theoretischen Fähigkeiten, die sich in mangelnder Arbeitsleistung, häufigen Fehlzeiten und Abmahnungen am Arbeitsplatz zeigen. Diese Miss- erfolge wiederum führen zu einer Abnahme des Selbstbewusstseins und verstärken häufig den Suchtmittelkonsum. Damit befinden sich die Patienten in einem Teufelskreis von Misserfolg, zunehmender Selbstunsicherheit und Suchtmittelkonsum. Durch eine gezielt angewandte handlungsorientierte Therapie sollen sie in die Lage versetzt werden, alte Fähigkeiten wiederzuentdecken und Erfolgserlebnisse zu erzielen. Damit wird eine Verbesserung der subjektiven Selbstkompetenz erreicht, die sich auch günstig auf den psycho-soziotherapeutischen Verlauf auswirkt. Zentraler Bestandteil der handlungsorientierten Therapie ist die Ergo- und Arbeitstherapie. Die Ergotherapie ermöglicht die Einübung und abgestufte Belastung des Patienten zur Wiederherstellung seiner Erwerbsfähigkeit. Neben der Berufsanamnese wird eine Diagnostik zu den arbeits- und berufsbezogenen Fertigkeiten und Fähigkeiten durchgeführt, um mit diesem Wissen die gezielte Ergo- und Arbeitstherapie in der Hellweg-Klinik Oerlinghausen zu planen und umzusetzen. Bei Indikation kommen diagnostische Verfahren wie z.B. MELBA zum Einsatz. In diesen Besprechungen werden neben den psychotherapeutischen Therapiezielen auch die für die Arbeitswelt bezogenen Therapieziele festgelegt. Die Ergo- und Arbeitstherapie findet in der Hellweg-Klinik Oerlinghausen in Gruppenformen statt und wird ergänzt durch die Einzelgespräche mit dem zuständigen Ergotherapeuten. Einige Arbeitstherapiebereiche sind den Produktionsabläufen einer Firma angepasst. Die ergotherapeutischen Interventionsstrategien werden indikationsgeleitet eingesetzt und prozess- - 41 - V. Therapiekonzept der Hellweg-Klinik Oerlinghausen Fachklinik für Psychotherapie und Suchtmedizin begleitend dokumentiert. Bei der Einteilung in die Arbeitstherapie werden die medizinischen Vorerkrankungen berücksichtigt und mit dem Arzt besprochen. Folgende Therapieziele können mit Hilfe der Ergo- und Arbeitstherapie erreicht werden: ■ Übung von Kontinuität und Ausdauer ■ Erlernen und Umgehen mit Forderung, Über- und Unterforderung ■ Erleben und Verarbeitung von Erfolg und Misserfolg ■ Positiver Umgang mit Fehlern und deren Überwindung ■ Entwicklung und Stabilisierung eines realistischen Selbst- und Leistungsbildes ■ Erwerb neuer Problem- und Konfliktlösestrategien ■ Verbesserung der sozialen Kommunikationsfähigkeit ■ Verbesserung der körperlichen und psychischen Belastbarkeit ■ Überwindung von Unlustgefühlen ■ Berufsfindung, Hobbyfindung Folgende „Arbeitsplätze“ stehen zur Verfügung: Werkstätten: ■ Medienwerkstatt ■ Schlosserei ■ Tischlerei ■ Gärtnerei Dienstleistungszentren: Cafeteria ■ Info- und Service ■ Freizeithalle ■ Bücherei ■ Fahrradwerkstatt Küster/Kirchenraum ■ Physikalische Therapie ■ ■ Bei bestimmter Indikation werden die o.g. Therapieziele im Rahmen einer externen Belastungserprobung/Arbeitstherapie vermittelt. Dazu haben wir eine Vielzahl von Betrieben in der Umgebung als Kooperationspartner gewinnen können. Die externe Belastungserprobung wird dann in Anspruch genommen, wenn für das Einüben alternativer Verhaltensweisen zur Bewältigung von Problemen am Arbeitsplatz ein reales Übungsumfeld gesucht werden muss. Der Patient führt dann vier Stunden pro Tag die Arbeitstherapie in dem ausgewählten Betrieb durch. Die Einzel- und Gruppentherapie findet weiterhin statt. Die externe Belastungserprobung hat mehrere Funktionen: 1. Überprüfung der Belastbarkeit und der Stressbewältigungskompetenz unter realen Arbeitsbedingungen 2. Nach entsprechender therapeutischer Vorbereitung die Konfrontation mit rückfallgefährdenden Situationen, wenn Problemsituationen am Arbeitsplatz in der Lerngeschichte des Patienten eine wichtige Rolle gespielt haben. 3. Kennenlernen von neuen beruflichen Praxisfeldern, wenn z.B. aus medizinischen Gründen eine berufliche Neuorientierung erforderlich ist. In den Fallbesprechungen findet ein intensiver Austausch zwischen dem Bezugstherapeuten, dem Arzt und dem Ergotherapeuten statt, um die erreichten Therapiefort- - 42 - V. Therapiekonzept der Hellweg-Klinik Oerlinghausen Fachklinik für Psychotherapie und Suchtmedizin schritte rückzumelden und eine Modifikation des Therapieprozesses unter Supervision vorzunehmen. Ein weiterer wichtiger Bestandteil der handlungsorientierten Therapie ist die Kreativtherapie, welche eigene Räumlichkeiten direkt in den Werkstattgebäuden der Klinik hat. Die Angebote der Kreativtherapie werden sowohl in Einzelarbeiten als auch in Gruppenarbeiten angeboten. Folgende Therapieziele können mit Kreativtherapie erreicht werden: ■ Aufbau und Wiederentdeckung kreativer Fähigkeiten ■ Verbesserung des emotionalen Zugangs über kreatives Gestalten ■ Selbstwertsteigerung ■ Bearbeitung dysfunktionaler emotionaler Prozesse ■ Wahrnehmung von eigenen Bedürfnissen ■ Integration biographischer Themen über nonverbalen Ausdruck Der Patient wird im Rahmen dieses Therapieprozesses mit nichtsprachlichen Medien vertraut gemacht. Die Kreativtherapie ist eine handlungsorientierte erlebnisintensive Therapieform, in der das Tun im Vordergrund steht und nicht das Werk. Es besteht keine Leistungsanforderung von außen. Der Patient soll da beginnen, wo er steht und so angenommen werden, wie er sich einbringen kann. Dadurch erlebt er positive Kräfte, die er für den gesamttherapeutischen Prozess nutzen kann. Ausgangspunkt der Kreativtherapie ist die Überzeugung, dass kreative Kräfte in jedem Menschen stecken, und dass diese kreativen Kräfte für die Verbesserung und den Neuaufbau des Selbstbewusstseins konstruktiv genutzt werden können. Im Rahmen der Kreativtherapie können erforderliche emotionale Prozesse angestoßen werden, die vom Therapeuten konstruktiv für die weitere Bearbeitung der Therapieziele wie z.B. Selbstbewusstsein, Verbesserung der Selbstkompetenz usw. eingesetzt werden können. Die therapeutische Arbeit mit den nichtsprachlichen Medien unterstützt den psychotherapeutischen Prozess in der Einzel- und Gruppentherapie und bringt wertvolle Informationen, die dem Patienten manchmal noch nicht kognitiv oder verbal zugänglich sind. Die Kreativtherapie wird von ausgebildeten Ergotherapeuten durchgeführt. Der dritte Schwerpunkt der handlungsorientierten Therapie ist die Körpertherapie. Diese gliedert sich in zwei Hauptbereiche. Bei Indikation sollen die Patienten ein aktives Entspannungsverfahren erlernen, was sie später eigenständig durchführen können. Dadurch werden die Selbstwirksamkeitserwartung und das Selbstwertgefühl des Patienten positiv beeinflusst. Mit dem Erlernen von Entspannungstechniken verfügt der Patient über Bewältigungsstrategien, die er sowohl bei Rückfallgefahr als auch zur Überwindung komorbider Störungen einsetzen kann. Angeboten wird zusätzlich der körperorientierte Ansatz des Affektkontrolltrainings A.K.T. Darin erleben und überprüfen die Klienten u.a. mit Hilfe asiatische Bewegungsformen und Kampfkünsten wie z.B. Qi Gong, Kung Fu oder Aikido aktuelle Handlungsmuster und Konfliktstrategien. Sie fügen Alternativen hinzu, die - 43 - V. Therapiekonzept der Hellweg-Klinik Oerlinghausen Fachklinik für Psychotherapie und Suchtmedizin durch kontinuierliches Training erweitert und abrufbar werden, um dadurch schließlich mehr Selbststärkung zu erlangen. Die klassische Sporttherapie verbessert die Fitness und körperliche Leistungsfähigkeit und hat damit unmittelbaren Einfluss auf die Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit zur Erhaltung der beruflichen Leistungsfähigkeit. Damit wird gesundheitsorientiertes Verhalten verbessert, was sich vor allen Dingen im Bereich der Bewegung und Ernährung zeigt. Gerade in der Sporttherapie ist es erforderlich, dass der Patient ein angemessenes Umgehen mit sportlichen Angeboten erlernt, da die Suchtpatienten häufig dazu neigen, sich zu überoder zu unterfordern. Die Arbeit in der Sporttherapie ist durch diese ständige Auseinandersetzung gekennzeichnet. Wesentliche Ziele der Sporttherapie sind: ■ Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit ■ Erkennen und Akzeptieren von körperlichen Grenzen ■ Erleben von Spaß und Gemeinsamkeit durch sportliche Aktivität ■ Verbesserung der sozialen Kommunikationsfähigkeit ■ Möglichkeiten der Freizeitgestaltung ■ Rücksichtnahme auf andere Mitpatienten ■ Erleben von Sport ohne Suchtmittelkonsum. Jede Therapiegruppe erhält pro Woche zwei Sporteinheiten à 90 Minuten. Ein Termin findet in der Schwimmhalle statt und ein Termin in der Sporthalle oder im Freien. In der Hellweg-Klinik Oerlinghausen sind vor einigen Jahren wissenschaftliche Untersu- chungen zur positiven Wirkung des langsamen Ausdauerlaufens gemacht worden. Diese haben gezeigt, dass langsames Ausdauerlaufen die Handlungskompetenz und Selbstsicherheit erhöht. Aus diesem Grund wird den Patienten regelmäßig Ausdauerlaufen auf dem gesunden Sennesandboden angeboten und viele Patienten absolvieren das DLV-Laufabzeichen über 15, 30, 60 oder 90 Minuten Ausdauerlauf. Ebenso ist es möglich ein entsprechendes DLV-Walkingabzeichen zu erlangen. V.3.4 Diakonische Begleitung Die Hellweg Klinik Oerlinghausen ist eine Einrichtung der Diakonie. Sie ist dem christlich-diakonischen Wertekanon verpflichtet. Anschaulich umgesetzt wird dieser Wertekanon in den Bereichen ■ Personalplanung ■ Menschenbild ■ Räumliche Angebote ■ Angebote diakonischer Begleitung. Das pastoralpsychologische Gesprächsangebot der Pastorin ergänzt die therapeutischen Angebote der Psychosozialen Säule. Die inhaltliche Ausrichtung ihrer Arbeit ist dem therapeutischen Kontext entsprechend nicht-missionarisch, sondern emanzipatorisch und seelsorgerlich-begleitend. Die Besinnungsorte Besinnungsorte laden zum Nachdenken und Innehalten ein und ermöglichen einen Zugang zu eigenen Ressourcen. Sie sind Quel- - 44 - V. Therapiekonzept der Hellweg-Klinik Oerlinghausen Fachklinik für Psychotherapie und Suchtmedizin len positiver Kraft, von denen Impulse für einen heilsamen Veränderungsprozess ausgehen können. gebung außerhalb des Klinikgeländes einen Wald, einen See im Wald, die Ruine einer historischen Kapelle u.v.m. Besinnungsorte werden bereitgestellt ■ durch natürliche Gegebenheiten im Umkreis der Klinik ■ im Außengelände der Klinik ■ im Innenbereich der Klinik Angebote diakonischer Begleitung Durch die Arbeit der Pastorin stellt die Klinik den Patienten ein zusätzliches, freiwilliges Gesprächsangebot zur Verfügung. Die seelsorgerliche Blickweise und pastoralpsychologische Ausrichtung ergänzt die Arbeit der Bezugstherapeuten und Ergotherapeuten. Die Seelsorgegespräche finden unter den Bedingungen der Amtlichen Schweigepflicht statt. Die Durchführung des Gottesdienstes findet sowohl im Liturgischen Gottesdienstteil als auch im Biblischen Auslegungsteil im interaktiven Dialog mit den Patienten statt. Im liturgischen Teil geht es dabei um die Erfahrung, in fremdbestimmter Umgebung Möglichkeiten zu selbstbestimmter Teilnahme zu entdecken und zu entwickeln. Im Gottesdienstteil der Biblischen Auslegung ermöglicht das Einbringen interaktiver Elemente den Patienten das mögliche Wiedererkennen einer selbst erlebten Situation, die Identifikation mit Personen der biblischen Geschichte, das Herbeiführen einer Lösung in der Situation und die Übertragung der Zusage Gottes auf das eigene Leben. Besinnungsorte begegnen einem Menschen in seiner in ihm jetzt aktuell lebenden Thematik und geben nonverbale Impulse zu einer Auseinandersetzung mit ihren Inhalten. Im suchttherapeutischen Umfeld immer wiederkehrende Themenkreise sind: ■ Trauer, Abschied, Loslassen ■ Vertrauen ■ Liebe, Geborgenheit ■ Hoffnung, Zuversicht ■ Sinn des Lebens ■ Selbstwert, Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein ■ Ruhe, Kraft, Stärke Folgende Besinnungsorte werden in der Hellweg-Klinik Oerlinghausen angeboten Im Außenbereich: ■ Das Feld der Erinnerung ■ Die Quelle der Zuversicht ■ Ein Steinkreis ■ Bank um die Eiche Im Innenbereich: ■ Der Kirchenraum ■ Der Engelraum ■ Der Warteraum „Raum für Zeit“ Darüber hinaus bietet die unmittelbare Um- Die Indikationsgruppe Sinn des Lebens Die Indikationsgruppe Sinn des Lebens ermöglicht durch geeignete Übungen sowie eine wertschätzende Deutung der individuellen Vergangenheit einen entdeckenden Zugang zu den persönlichen Ressourcen und einen zuversichtlichen, planvollen Blick auf die Herausforderungen der Zukunft. In Zusammenarbeit mit einer Therapeutin/ - 45 - V. Therapiekonzept der Hellweg-Klinik Oerlinghausen Fachklinik für Psychotherapie und Suchtmedizin einem Therapeuten der Ergotherapie betreut die Pastorin einen Patienten auf dem Ergotherapieplatz „Kirchenraum“. Zur Aufrechterhaltung einer dauerhaften, zufriedenen Abstinenz ist ein beständiges Wertesystem für den Patienten und seine Angehörigen hilfreich. Als Einrichtung der Diakonie bieten wir einige spirituelle Bausteine an und machen regelmäßige Angebote zur Auseinandersetzung mit der eigenen religiösen Orientierung. In der Indikationsgruppe „Sinn des Lebens“, ermöglicht durch geeignete Übungen sowie eine wertschätzende Deutung der individuellen Vergangenheit einen entdeckenden Zugang zu den persönlichen Ressourcen und einen zuversichtlichen planvollen Blick auf die Herausforderungen der Zukunft. In den Einzelgesprächen der diakonischen Begleitung werden die von den Patienten eingebrachten Themen unter pastoralpsychologischen und seelsorgerlichen Gesichtspunkten aufgenommen und bearbeitet. V.3.5 Rückfallkonzept Der erneute Suchtmittelkonsum (Rückfall / Vorfall) ist ein Hauptsymptom der Suchterkrankung und kann auch während einer effektiven psychotherapeutischen Behandlung auftreten. Wir verstehen unter einem Rückfall die erneute Einnahme eines Suchtmittels (Alkohol, Medikamente, die nicht vom Arzt verordnet sind, illegale Drogen). Der Rückfallpatient stellt eine medizinischtherapeutische Krise dar und aus diesem Grunde wird der rückfällige Patient ärztlich und therapeutisch untersucht und in sei- nem Rückfallgeschehen begleitet. Folgende Entscheidungen sind unter ärztlicher Verantwortung möglich: ■ Sofortige Entlassung aus der stationären medizinischen Rehabilitation ■ Verlegung in ein Akutkrankenhaus (Allgemeinkrankenhaus / Psychiatrisches Krankenhaus) ■ Bei medizinischer Indikation Verlegung auf die Aufnahmestation ■ Verbleib in der Therapiegruppe Der Patient arbeitet nach seinem Rückfall gemeinsam mit seinem Bezugstherapeuten an der Frage, ob er aus dem Rückfallgeschehen konstruktive Veränderungsschritte entwickeln kann. Dazu werden Einzelgespräche geführt, er stellt sein Rückfallgeschehen in der Therapiegruppe vor und das Rückfallgeschehen wird reflektiert. Die sofortige Entlassung aus der stationären Entwöhnungsbehandlung erfolgt, wenn eine erhebliche Selbst- oder Fremdgefährdung besteht. Dann wird der Patient in eine entsprechende psychiatrische Klinik verlegt. Die sofortige Entlassung erfolgt auch dann, wenn der Patient andere Patienten zum Mitkonsumieren von Suchtmitteln animiert, gewalttätig geworden ist oder die Suchtstoffe nüchtern in die Klinik gebracht hat. Zur Überwachung der medizinischen Notfällen werden sogenannte Notfallbetten zur Verfügung stehen, welche ganz nah zu den Räumlichkeiten der Pflege angesiedelt sind. V.4 Kombitherapien Angeregt durch die Diskussion über die The- - 46 - V. Therapiekonzept der Hellweg-Klinik Oerlinghausen Fachklinik für Psychotherapie und Suchtmedizin rapiekosten hat sich in Deutschland in den letzten Jahren folgende Weiterentwicklung der medizinischen Rehabilitation Abhängigkeitserkrankter ergeben. Die ambulante medizinische Rehabilitation wird verstärkt an vielen Orten angeboten. Gleichzeitig ist die Verweildauer in den stationären Einrichtungen zur medizinischen Rehabilitation Abhängigkeitserkrankter zurückgegangen. Für diese Entwicklung waren nicht nur wissenschaftliche Argumente verantwortlich, sondern auch Kostengründe. Aus dieser Not hat sich eine sinnvolle Tugend entwickelt, nämlich die Möglichkeit von Kombitherapien und die Behandlung im regionalen Behandlungsverbund. Die Kombitherapien stellen eine sinnvolle und passgenaue Kombination von ambulanten und stationären Angeboten zur medizinischen Rehabilitation Abhängigkeitskranker dar. Durch den Aufbau von regionalen Behandlungsverbünden wurde die Grundlagen für eine qualitätsgesicherte Kombitherapie geschaffen. In der HellwegKlinik Oerlinghausen wird die Kombinationsbehandlung entsprechend dem Kombimodell der Deutschen Rentenversicherung Bund durchgeführt. Beginn der Kombinationstherapie mit einer stationären Rehabilitationsphase mit anschließender ambulanter Rehabilitation. Aufgrund von neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen hat sich die Kombination von 8 Wochen stationärer Rehabilitationsphase mit anschließend ambulanter Rehabilitation von 40+4 Therapieeinheiten bewährt. Diese Behandlungsform ist besonders geeignet für suchtkranke Menschen, bei denen die Abhängigkeitserkrankung noch nicht so weit fortgeschritten ist und die körperlichen, psy- chischen und sozialen Komplikationen noch nicht so ausgeprägt vorhanden sind. Diese Kombinationstherapie wird in Zusammenarbeit mit anerkannten Suchtberatungs- und Behandlungsstellen durchgeführt. Durch die jahrelange regionale Arbeit der Hellweg-Klinik Oerlinghausen besteht ein guter Kontakt zu den regionalen Suchtberatungs- und Behandlungsstellen, sodass der stationäre Therapieprozess ohne größere Reibungsverluste im ambulanten Rahmen fortgesetzt werden kann. Dazu dienen die von den Leistungsträgern festgelegten Qualitätskriterien für eine patientenorientierte Kooperation. Die zuweisende und später weiterbehandelnde Beratungsstelle und die Hellweg-Klinik Oerlinghausen stimmen die erforderlichen Therapieprozesse aufeinander ab, damit die Kombinationstherapie nutzbringend für den Patienten durchgeführt werden kann. Im Vorfeld der stationären Aufnahme hat eine ausreichende Motivationsphase stattgefunden, in der der Patient sich für eine Suchtmittelabstinenz entschieden hat. Nach Einschätzung der zuweisenden Beratungsstelle ist der Patient für die Kombinationstherapie geeignet und der Patient ist über diese Behandlungsform von der zuweisenden Beratungsstelle ausführlich informiert worden. Er hat seine verbindliche Teilnahme an den Einzel- und Gruppengesprächen erklärt und hat schon in der Beratungsphase zuverlässigen Kontakt zur Beratungsstelle gehalten. Von der zuweisenden Beratungsstelle wird dann der Antrag auf Kombitherapie zusammen mit der Hellweg-Klinik gestellt und im Rahmen des Übergabemanagements wird die Klinik schriftlich (Sozialbericht, Arztgutachten) und telefonisch über die gewünschte Kombitherapie und die - 47 - V. Therapiekonzept der Hellweg-Klinik Oerlinghausen Fachklinik für Psychotherapie und Suchtmedizin damit verbundenen Therapieziele informiert. Diese Informationen werden vom Aufnahmetherapeuten in der Hellweg-Klinik Oerlinghausen bei der Therapiegruppeneinteilung berücksichtigt und finden auch ihren Niederschlag in der Therapiezielplanung. Nach Wechsel in die Bezugsgruppe erarbeitet der Patient zusammen mit dem Bezugstherapeuten die verbindlichen Therapieziele für die stationäre Phase und die Therapieziele für die anschließende ambulante Rehabilitation werden schon mit in die Überlegungen einbezogen. Voraussetzung für die Kombinationstherapie ist ein konstruktiver Therapieverlauf mit einem Patienten, der eine aktive Veränderungserwartung und Veränderungskompetenz hat. Bei einem Rückfallgeschehen während der stationären Phase muss die Indikation für die Kombinationstherapie überprüft werden. Im Rahmen der Fallbesprechungen wird in einem multiprofessionellen Besetzung bestehend aus Bezugstherapeuten, Ergotherapeuten, Sozialdienst, Sporttherapeuten, Pflege, behandelnde Arzt sowie einem Facharzt der Psychiatrie der bisherigen Therapieverlauf besprochen und die erreichten Therapieziele und überprüft. Darauf folgend werden sowie sozialmedizinischen Fragestellungen erörtert und die nachfolgende Therapie im Sinne der Nachsorge und Kombibehandlung reflektiert. In diesem Zusammenhang wird die Frage der Erwerbstätigkeit und der eventuellen Teilhabe am Arbeitsleben in Raum gestellt und gemeinsam ein Behandlungsplan erstellt, welche darauffolgend in der ärztlichen Visite und der bezugstherapeutischen Einzelgesprächen mit dem Patienten gemeinsam erarbeitet werden. In Einzelfällen kann die Kombinationstherapie auch daraus bestehen, dass ein zusätzlicher Therapieblock im ganztägig ambulanten Rahmen (z.B. in der Hellweg-Klinik Bielefeld) hinzugefügt wird, wenn dies aufgrund der vereinbarten Therapieziele und der komorbiden Störungen bzw. der psychosozialen Situation erforderlich ist. Dieses geschieht nur mit Zustimmung des Patienten, des Leistungsträgers und der zuweisenden Beratungsstelle. V.4.1 Zusammenarbeit mit Selbsthilfegruppen Der regelmäßige Selbsthilfegruppenbesuch nach der Entwöhnungsbehandlung ist ein wichtiger prognostischer Faktor für längerfristige Suchtmittelabstinenz. Aus diesem Grund ist es ein wesentliches Therapieziel, dass sich jeder Patient nach der stationären Entwöhnungsbehandlung langfristig an eine Selbsthilfegruppe anschließt. Um die Arbeit der verschiedenen Selbsthilfegruppen kennen zu lernen, bieten verschiedene Selbsthilfegruppen (Anonyme Alkoholiker, Freundeskreise, Kreuzbund, Guttempler, BlaukreuzGruppen...) ihre Selbsthilfegruppenarbeit in der Hellweg-Klinik an. Es ist für jeden Patienten verpflichtend, an vier Selbsthilfegruppenabenden teilzunehmen. Die Patienten aus dem regionalen Bereich haben die Möglichkeit, im Rahmen der Ausgangsregelung ihre „alte“ Selbsthilfegruppe zu besuchen. Der Selbsthilfegruppenbesuch ist für die Patienten im ambulanten Bereich eine wichtige Ressource, die auch im Verständnis des ICF eine wichtige Bedeutung hat. - 48 - VI. Kommunikationsstrukturen In der Hellweg-Klinik Oerlinghausen arbeiten verschiedene Mitarbeitergruppen im Rahmen des integrativen Therapieansatzes zusammen. Im Zentrum der therapeutischen Arbeit mit dem Patienten steht der Bezugstherapeut, der gemeinsam mit dem Patienten die Therapie plant, durchführt und die Erreichung der Therapieziele überprüft. Dieses wird im Kapitel Therapiesteuerung im Qualitätsmanagementsystem der Klinik ausführlich beschrieben. Voraussetzung für diese Therapiesteuerung ist der Informationsfluss von den verschiedenen Berufsgruppen zum Bezugstherapeuten. Das therapeutische Team besteht aus Bezugstherapeuten (psychologische Psychotherapeuten, DiplomPsychologen, Diplom-Sozialarbeiter mit Zusatzausbildung), Arzt, Pflegedienstmitarbeiter, Ergotherapeuten und Körpertherapeuten. Die Therapieverantwortung hat der Leitende Arzt, der für die Umsetzung der medizinischen Rehabilitation verantwortlich ist. Es finden täglich Mitarbeiterbesprechungen statt, in denen der Alltag der Patienten „geregelt“ wird. In den wöchentlichen Fallbesprechungen wird die Therapiesteuerung jedes einzelnen Patienten vorgenommen. Hier werden nach 3 und nach 6 Wochen vom Bezugstherapeuten die Therapiefortschritte und geplanten Therapiemaßnahmen vorgestellt, diskutiert und modifiziert. Dieser Prozess wird intern supervidiert durch den ärztlichen und therapeutischen Leiter. Zu wichtigen Themen aus dem Bereich der Suchtmedizin, Psychiatrie und Psychotherapie wird der Kenntnisstand der Mitarbeiter kontinuierlich verbessert. Dies geschieht durch die interne Fortbildung. Diese wird ergänzt durch externe Referenten. In der Hellweg-Klinik Oerlinghausen findet derzeit eine externe Supervision statt. In den täglichen Klinikübergaben treffen sich alle therapeutischen Mitarbeiter, um aktuelle Entwicklungen, Schwierigkeiten und Veränderungen zu besprechen. Der regelmäßig stattfindende Lenkungskreis des Qualitätsmanagementsystems ergänzt diesen Prozess und verbessert fortlaufend die Arbeit der Mitarbeiter in der Klinik. - 49 - VII. Qualitätsmanagement Die Mitarbeiter überprüfen und verbessern ständig die Qualität ihrer Arbeit. Dieses geschieht in einer Reihe von Prozessen. Zunächst wird das Qualitätssicherungsprogramm der Leistungsträger umgesetzt und dient zur Verbesserung des therapeutischen Angebotes, der Struktur-, Prozessund Ergebnisqualität. Es umfasst Patientenbefragungen, Visitationen, Peer-Review-Verfahren der Entlassungsbriefe, Messung der Laufzeiten der Entlassungsbriefe und Erfassung und Auswertung der therapeutischen Leistungen (KTL). Seit Dezember 2003 ist die Hellweg-Klinik Oerlinghausen zertifiziert nach DIN EN ISO 9001:2008 und den Richtlinien der „DeQus“ (Deutsche Gesellschaft für Qualitätsmanagement in der Suchttherapie e.V.). Seit dem Jahre 2009 erfüllt die Hellweg-Klinik Oerlinghausen auch die Qualitätskriterien der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR). Die Steuerung des Qualitätsmanagementsystems erfolgt regelmäßig über den Lenkungskreis, der unter Federführung der Geschäftsführung steht. In diesem Lenkungskreis sind Mitarbeiter aus allen Bereichen der Klinik vertreten. Als Grundlage des Zertifizierungsprozesses ist ein Qualitäts-Handbuch entstanden, in dem die Prozesse und Abläufe der Hellweg-Klinik verbindlich für alle Mitarbeiter geregelt werden. Weiter gehören zu diesem Qualitätsmanagementsystem eine regelmäßige anonyme interne Patientenbefragung und die jährliche Festlegung von Qualitätszielen. Diese Qualitätsziele werden regelmäßig mit den Mitarbeitern kommuniziert und ihr Zielerreichungsgrad gemessen sowie dokumentiert. In jährlichen Abständen wird das Qualitätsmanagementsystem auf seine Anwendung im Management-Review überprüft. Ein ausgebildeter Qualitätsmanagementbeauftragter überwacht im Rahmen von internen Audits zusätzlich diesen Prozess. Die Mitarbeiter der Hellweg-Klinik Oerlinghausen haben gemeinsam ein Leitbild erarbeitet. In diesem Leitbild verpflichten sich die Mitarbeiter vor dem Hintergrund eines christlichen Menschenbildes zu einer qualitativ hochwertigen, wertschätzenden und patientenorientierten therapeutischen Arbeit. Die Hellweg-Klinik Oerlinghausen ist Mitglied in folgenden Fachverbänden: ■ Bundesverband für stationäre Suchtkrankentherapie in Kassel (BUSS) ■ Deutsche Gesellschaft für Qualitätsmanagement e.V. (deQus) ■ Gesamtverband für Suchtkrankenhilfe im Diakonischen Werk der Ev. Kirche Deutschland (GVS) in Berlin. ■ Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie (GSS) ■ Evangelischer Fachverband Sucht Rheinland Westfalen-Lippe ■ Verband Evangelischer Krankenhäuser in Westfalen (Valeo). - 50 - VIII. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Die Hellweg-Klinik Oerlinghausen ist eine Einrichtung des Ev. Johanneswerkes e.V. in Bielefeld, welches mehr als 70 Einrichtungen in Europa umfasst. Zum Ev. Johanneswerk e.V. gehören mehr als 6.200 Mitarbeiter. Die Einstellung der Mitarbeiter erfolgt nach den festgelegten Richtlinien des Ev. Johanneswerkes e.V.. Grundlage der Dienstverträge der Mitarbeiter sind die Arbeitsvertragsrichtlinien der Diakonischen Werke der Ev. Kirche in Deutschland (tarifrechtlich wird die AVR angewandt). Ziel unseres Personalmanagement ist es, hochqualifizierte und gut motivierte Mitarbeiter zu haben. Dazu werden im Ev. Johanneswerk e.V. verbindliche Instrumente der Personalentwicklung und Mitarbeiterführung angewandt. Die therapeutisch Mitarbeitenden der Hellweg-Klinik Oerlinghausen haben eine bei der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR/vormals Verband der Deutschen Rentenversicherungsträger (VDR) anerkannte therapeutische Ausbildung oder befinden sich aktuell in einer anerkannten Weiterbildung. Das medizinischtherapeutische Team setzt sich zusammen aus folgenden Berufsgruppen: Fachärztinnen und -ärzte ( Psychiatrie, Allgemeinmedizin) ■ Psychologische Psychotherapeutinnen und -therapeuten ■ Diplom-Psychologinnen und -Psychologen in psychotherapeutischer Weiterbildung ■ Diplom-Sozialarbeiterinnen und -Sozialarbeiter, Diplom-Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen mit sozialtherapeutischer Zusatzausbildung (BAR anerkannt / vormals VDR) ■ Ergotherapeutinnen und -therapeuten ■ Pflegedienst ■ Medizinischer Masseur und med. Bademeister und Krankengymnast ■ Sportübungsleiter und Sportwissenschaftlerin ■ Pastorin ■ Diätassistentinnen und ein diätetisch geschulter Koch ■ Das therapeutische Mitarbeiterteam wird unterstützt durch MitarbeiterInnen aus der Verwaltung, aus dem Sekretariat und Schreibdienst, aus dem Wirtschafts- und Versorgungsdienst, der Haustechnik und dem klinischen Hauspersonal. - 51 - IX. Entscheidungsstrukturen Die operative Verantwortung der Patientenversorgung liegt in der Verantwortung der Ltd. Ärzte, die strategische Verantwortung der Hellweg-Klinik Oerlinghausen und der anderen Hellweg-Kliniken liegt in der Verantwortung der Geschäftsführung. Der fachlich-inhaltliche Schwerpunkt und das Qualitätsmanagement werden von der ärztlichen Direktion verantwortet, die wirtschaftlichen und administrativen Prozesse von der Geschäftsführerin. - 52 - X. Raumsituation Die Hellweg-Klinik Oerlinghausen ist eine Fachklinik mit mehreren Gebäuden auf einer großen Fläche in landschaftlich reizvoller Lage. Im Haus Hellweg befinden sich die Stationen und alle Therapiegruppen. In diesem Gebäudekomplex befinden sich auch die Verwaltung, der medizinische Bereich und der Wirtschaftsbereich. Zur Klinik gehören weiterhin Räume für die Ergotherapie: Medien-Werkstatt, Tischlerei, Schlosserei und Räume für die Kreativtherapie. Weiterhin verfügt die Klinik noch über eine Gymnastikhalle, zwei Sportspielanlagen und eine Beachvolleyballanlage. Die Hallen- und Freibäder in der direkten Umgebung werden regelmäßig genutzt. Im Fahrradkeller stehen Tourenräder zur Nutzung in der Sporttherapie zur Verfügung. In der gegenüberliegenden Segelflugschule sind verschiedene Funktionsräume für eine regelmäßige Nutzung angemietet worden (z.B. Kraftraum, Sauna). Es stehen ausreichend Freizeiträumlichkeiten und eine Freizeithalle zur Verfügung, in denen Tischtennis, Gesellschaftsspiele und andere Freizeitaktivitäten durchgeführt werden können. Es gibt Aufenthaltsräume, die mit Fernsehern ausgestattet sind. Im Eingangsbereich der Klinik befinden sich zwei Internetplätze, die den Patienten unentgeltlich zur Verfügung stehen. Die Hellweg-Klinik Oerlinghausen verfügt über Einund Zweibettzimmer in etwa gleicher Anzahl. Im neuen Bettentrakt befinden sich 37 Einzel- und einige Doppelzimmer mit eigener Dusche und WC sowie ebenerdig liegenden Terrassen. Jedes Zimmer ist ausgestattet mit einem eigenen Telefonanschluss, der auf Wunsch gemietet werden kann. Die Klinik ist mit einer Notrufanlage ausgestattet. Die Räumlichkeiten des zentralen Pflegedienstes sind in Verbindung mit den Notfallbetten eingerichtet und können von jedem Patienten jederzeit erreicht werden. Die Physikalische Abteilung bietet Räume für Bäder, Massagen, Fangopackungen, Lymphdrainage, Kurzwelle und Reizstrom, Inhalationen, Krankengymnastik. Weitere Räumlichkeiten der Hellweg-Klinik Oerlinghausen stehen der diakonischen Säule zur Verfügung: diese sind u.a. Kirchenraum, Raum für Gespräche, Besinnungsorte. - 53 - XI. Therapie- und Hausordnung Eine große Klinik mit 120 Patienten und mit über 60 Mitarbeitern bietet ein reales Lebens- und Übungsfeld für alltagsnahe Konfliktbewältigung. Diese können teilweise für den therapeutischen Prozess genutzt werden. Allerdings ist es erforderlich, eine verbindliche Therapie- und Hausordnung zu haben, die dem Patienten zur verbindlichen Orientierung dient. Die derzeitigen Therapieregeln können der aktuellen Hausordnung entnommen werden, die jedem Patienten bei Aufnahme zur Verfügung gestellt wird. Zentrale Punkte der Hausordnung sind: Wertschätzender Umgang miteinander ■ Suchtmittelabstinenz ■ Gewaltfreiheit ■ Verbindliche Teilnahme an allen verordneten therapeutischen Maßnahmen ■ - 54 - XII. Literaturverzeichnis Altmannsberger, W. (2004): „Kognitiv verhaltenstherapeutische Rückfallprävention bei Alkoholabhängigkeit“, Hogrefe, Göttingen, 2004 Augurzky, Boris et al (2011): Faktenbuch Medizinische Rehabilitation 2011 (Heft 66),Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung, Essen Beck, J. (1999): „Praxis der kognitiven Verhaltenstherapie“, Beltz, Weinheim Böhl, H., Koch, A., Leuna, J., Redecker, Th. (2010): Suchthilfe im Regionalen Behandlungsverbund Herausgeber Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen im DHS Hamm Brueck, R. Mann, K. (2007): „Alkoholismus-spezifische Psychotherapie” Deutscher Ärzteverlag Köln 2007 Borgart, E., Meermann, R. (2004): „Stationäre Verhaltenstherapie“, Verlag Hans Huber, Bern Dilling, H. et al (1990): „Internationale Klassifikation psychischer Störungen, ICD 10“, Verlag Hans Huber, Bern Egner, Uwe et al (2010): „Strukturqualität von Rehaeinrichtungen – Anforderungen der Deutschen Rentenversicherung Berlin“ Engelhardt, U. , Härdel, C. (2003): Anforderungsprofil für eine stationäre Einrichtung zur medizinischen Rehabilitation Alkoholabhängiger mit 100 Rehabilitationsplätzen, BfA Berlin Gastpar, M., Mann, K., Rommelsbacher, H. (1999): Lehrbuch der Suchterkrankungen, Thieme-Verlag, Stuttgart Kaufer, F., Reineker, H., Schmelzer, D. (1996): „Selbstmanagement-Therapie“, SpringerVerlag, Berlin Lindenmeyer, J. (2005): Alkoholabhängigkeit, Hogrefe-Verlag , Göttingen Mann, K., et al (2006): Qualifizierte Entzugsbehandlung von Alkoholabhängigen, Deutscher Ärzteverlag Köln Miller, W. und Rollnick, S. (2005): Motivierende Gesprächsführung, Lambertus-Verlag - 55 - XII. Literaturverzeichnis Redecker, Th. (2009): Therapiekonzept der Klinik am Hellweg, Oerlinghausen Redecker, Th. (2001): „Sucht und Angst“, Nicol-Verlag, Kassel Redecker, Th., Gaber, H.-J. (2004): Behandlungskonzept der Tagesklinik „Sucht akut“, Lage, Kreis Lippe Redecker, Th., Golsabahi-Broclawski, S. (2011): Therapiekonzept der Hellweg-Klinik Bielefeld Redecker, Th.; Brinkmann S, Everts, B ( 2011): Therapiekonzept der Hellweg-Klinik Bielefeld Schmidt, L.G., et al (2006): Evidenz-basierte Suchtmedizin, Deutscher Ärzteverlag Köln Soyka, M. (1995): Die Alkoholkrankheit – Diagnose und Therapie, Shepmen und Hall, Weinheim Wetterling, T., Ventrup, C. (1997): Diagnostik und Therapie von Alkoholproblemen, Springer-Verlag Wienberg, G., Drießen, M. (2001): „Auf dem Weg zur vergessenen Mehrheit“, Psychiatrie-Verlag Wiesbeck, G. (2007): Alkoholismusforschung, aktuelle Befunde, künftige Perspektiven, Pabst-Verlag Lengerich - 56 - XIII. Kontakt Hellweg-Klinik Oerlinghausen Robert-Kronfeld-Str. 12 33813 Oerlinghausen Tel. 05202 702- 0 Fax 05202 702- 110 [email protected] www.hellweg-klinik-oerlinghausen.de