Wissenschaftliches Jahrbuch der Tiroler Landesmuseen 2013

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Wissenschaftliches Jahrbuch
der Tiroler Landesmuseen 2013
Wissenschaftliches Jahrbuch der Tiroler Landesmuseen
6/2013
ISSN 0379-0231
Das „Wissenschaftliche Jahrbuch der Tiroler Landesmuseen“ setzt die Tradition
der „Veröffentlichungen des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum“ fort.
Wissenschaftliches Jahrbuch
der Tiroler Landesmuseen 2013
StudienVerlag
Innsbruck
Wien
Bozen
Herausgegeben von
Direktor PD Dr. Wolfgang Meighörner
Tiroler Landesmuseen-Betriebsges. m. b. H.
Museumstraße 15
A–6020 Innsbruck
Bildquellen
Wenn nicht anders angegeben, werden Objekte aus den Beständen der Tiroler Landesmuseen abgebildet.
© 2013
bei den Autoren und der Tiroler Landesmuseen-Betriebsges. m. b. H.
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Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Verarbeitung mit elektronischen Systemen.
Gestaltung
büro54, Innsbruck
Satz und Umschlag
Studienverlag/Karin Berner
Umschlagbild: Stabpuppen aus dem Bestand der Innsbrucker Puppen-Bühne, s. Beitrag von Elmar Drexel
Herstellung
Studienverlag Ges.m.b.H., Erlerstraße 10, A–6020 Innsbruck
E-Mail: [email protected]
Internet: www.studienverlag.at
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar.
ISBN 978-3-7065-5330-8
INHALT
VORWORT
Wolfgang Meighörner .............................................................................................................................................................
7
Musik und Nazismus
Musik und Nazismus in Tirol: Einleitung
Dirk Rupnow..............................................................................................................................................................................
8
Josef Eduard Ploners Symphonie in Es-Dur im Kontext der Nachkriegszeit
Christian Glanz..........................................................................................................................................................................
14
Zum Tiroler Musikleben in der NS-Zeit
Franz Gratl.................................................................................................................................................................................
24
Zur Volksmusik in Tirol während der NS-Zeit
Thomas Nußbaumer.................................................................................................................................................................
42
Behemoth und die Musik
Anmerkungen zum Kulturleben des „Unstaats“ und zum unterirdischen Fortwirken der Wiener Schule
Gerhard Scheit..........................................................................................................................................................................
64
„[…] bey glorreichster Vermählung Ihrer Königlichen Hoheiten […]
zu Inspruck in Tyrol von Hof aus abgehaltenen Festivitaeten […] Anno 1765.“
Das musikalische Rahmenprogramm im Überblick, aus Anlass der 250. Wiederkehr der Vermählung
des späteren Kaisers Leopold II. mit der Infantin Maria Luisa von Bourbon-Spanien
sowie des 250. Jahrestags des Ablebens von Kaiser Franz I. Stephan von Lothringen
Walther Brauneis......................................................................................................................................................................
76
Die Innsbrucker Puppen-Bühne. Ein Nachlass
Elmar Drexel.............................................................................................................................................................................. 116
Der Alpenbock in Tirol
Notizen zur Verbreitung, Lebensweise und Schutz der stark gefährdeten Art Rosalia alpina (Linnaeus 1758)
Andreas Eckelt.......................................................................................................................................................................... 156
Tarock: Innsbrucker Schultheater und andere Spiele
Dietrich Feil............................................................................................................................................................................... 166
Beitrag zur Klimageschichte an der Südseite der östlichen Hohen Tauern
Pollendiagramm Stappitzer See und Huminstoffe als Klimazeugen
Adolf Fritz.................................................................................................................................................................................. 184
Der Meister des „Mädchens von Spinges“
Bildhauer Josef Parschalk (1863–1932)
Karl Kummer............................................................................................................................................................................. 204
Ein „gerüst zuem spil“ des 20. Jahrhunderts
Lois Eggs Bühne für die Passionsspiele in Erl
Claudia Mark . .......................................................................................................................................................................... 228
Himmelsbriefe und Kettengebete
Ein kulturwissenschaftlich-ethnologischer Beitrag zum Phänomen der magisch-religiösen Kettenbriefe
Andreas Rauchegger................................................................................................................................................................. 244
Thomas Haffenecker (1669–1730)
Ein Prager Hofmaurermeister aus dem Tannheimer Tal
Daniela Štěrbová....................................................................................................................................................................... 256
Autorinnen und Autoren ................................................................................................................................................ 277
VORWORT
Einmal mehr legt es Zeugnis ab von emsiger Forschungs­
lichkeit. Eine Ausstellung, die in Zusammenarbeit mit der
arbeit auf breiter Basis: das Wissenschaftliche Jahrbuch
Universität Innsbruck und dem Museum in Absam entstand,
der Tiroler Landesmuseen. Und wieder ist die Fülle der
machte das ungeliebte und verdrängte Thema für breitere
vertretenen Fachdisziplinen weit gestreut. Von der
interessierte Kreise greifbar; ein Symposion in Zusammen­
Geschichtsforschung über die Kunstgeschichte, von
arbeit mit der Leopold-Franzens-Universität, dem Mozarteum
theaterwissenschaftlichen zu naturwissenschaftlichen
und den Tiroler Landesmuseen führte zu einer wissenschaft-
Themen bis hin zum Phänomen religiöser Kettenbriefe
lichen Auseinandersetzung. Dessen Beiträge finden hier
ist der Bogen der Beiträge gespannt. Und wieder bietet
Aufnahme. Dass dies zeitgleich mit der Veröffentlichung
das nunmehr gut eingeführte Medium sowohl Forschern
einer vom Land Tirol veranlassten wissenschaftlichen Studie
aus den Häusern der Tiroler Landesmuseen wie auch
geschieht, ist erfreulich und stellt die Beurteilung der The-
Expertinnen und Experten von außerhalb eine arrivierte
matik auf eine breitere Basis.
Basis, um ihre Forschungsleistungen einem breiteren
Allen Autorinnen und Autoren ist für die termingerechte und
Publikum zugänglich zu machen.
angenehme Zusammenarbeit herzlich Dank abzustatten.
Einen Schwerpunkt hat dieses Jahr sicherlich zu Recht
Dank gebührt einmal mehr auch Ellen Hastaba, die sicher
die Beschäftigung mit dem noch nicht hinlänglich auf-
und effizient die Schriftleitung wahrnahm und die Publikation
gearbeiteten Thema von Musik und Nationalsozialismus.
des nunmehr sechsten Bandes dieser Reihe im Innsbrucker
Dies war sowohl Gegenstand der Beschäftigung innerhalb
Studienverlag koordinierte.
der Tiroler Landesmuseen als auch an den einschlägigen
Hochschulen in Innsbruck und befasste überdies die Öffent-
Wolfgang Meighörner
7
Cover des Programmfolders.
Musik und Nazismus in Tirol: Einleitung
Dirk Rupnow
[…] und ich versuchte, ihm zu erklären: es gehe nicht um
sich mit problematischen oder schmerzhaften Kapiteln der
Schuld, sondern nur darum, daß man etwas einsehen müsse,
Geschichte nicht mehr beschäftigen zu müssen.
schlicht und einfach, allein dem Verstand zuliebe, des
Dies wird auch daran sichtbar, dass sich solche Behauptun-
Anstands wegen, sozusagen.
gen praktisch nur mit Bezug auf die Zeit des Nazismus und
Imre Kertész, Roman eines Schicksallosen (1975)
seiner Massenverbrechen (oder vergleichbar schmerzhafter
Themen) finden – also kurioserweise mit Blick auf die
jüngste Geschichte und nicht etwa auf die Geschichte der
Abstract
Antike oder des Mittelalters in Anschlag gebracht werden,
wiewohl man ja viel eher annehmen könnte, dass diese nun
The following focus picks up on the controversial debate
mittlerweile tatsächlich „hinreichend aufgearbeitet“ seien.
on the role of Tyrolean composer Josef Eduard Ploner in
Gleichzeitig melden sich die NS-Zeit und die aus ihr hervor­
the Third Reich. The four contributions deal with different
gegangenen Kontinuitäten regelmäßig quasi von selbst
aspects of the complicity of Tyrolean “folk culture” with Nazi
zurück und dementieren so alle Hoffnungen auf einen
ideology as it was established between 1938 and 1945.
„Schlussstrich“: Ein verdrängter Friedhof wie im Fall des
Psychiatrischen Krankenhauses Hall i. T. ist freilich nur ein
Extrem­beispiel. Die Vielzahl der Entdeckungen und Ereig-
Dass ein Teil der Geschichte „hinreichend aufgearbeitet“ sei
nisse sowie der kleinen und großen Debatten, die daran
und somit nicht mehr der Aufmerksamkeit bedürfe, werden
angeknüpft haben, kann ohnehin niemand mehr überblicken.
HistorikerInnen immer verneinen müssen. Die wissenschaft-
Die Überraschung ist in jedem Fall von neuem groß, ob
liche Beschäftigung mit Geschichte ist ein unabschließbarer
inszeniert oder nicht. Und dabei ist der extrem erscheinende
Prozess wie die Forschung in jedem anderen Bereich.
Fall des Haller Friedhofs nur ein schwacher Widerhall des
Natürlich gibt es Konjunkturen, sich wandelnde Interessen
„Grauens“ dieser Jahre, das von Deutschen (einschließlich
und Prioritäten, aber nie einen endgültigen Abschluss. Von
Österreichern) ins Werk gesetzt wurde: Ganz offenbar denkt
der Gesellschaft oder bestimmten Akteuren mag ein solches
niemand daran, dass andere Teile Europas mit Massen­
klares Ende vielleicht gewünscht oder herbeigesehnt wer-
gräbern (mithin noch nicht einmal geordneten Friedhöfen)
den, das öffentliche Interesse an Epochen und Themen mag
geradezu übersät worden sind.
auch erlahmen, aber dies alles bedeutet keinesfalls, dass
Fraglos ist es korrekt, dass die NS-Zeit insgesamt inzwi-
aus Sicht der Geschichtswissenschaft alle Fragen endgültig
schen sehr gut erforscht ist. Dies gilt aber für verschiedene
geklärt seien, keine neuen Fragen mehr gestellt oder keine
Regionen und Teilaspekte in unterschiedlichem Maße.
neuen Antworten mehr gefunden werden könnten. Eine
Hinzukommt das Vergessen durch den generationellen
solche Aussage verkennt mithin ganz grundsätzlich den
Wechsel und – eng damit verschränkt – die Notwendigkeit
Charakter und die unendliche Dynamik von Wissenschaft
für jede Generation, sich die Geschichte neu zu erschließen.
und Forschung. Sie artikuliert wohl eher ein verstecktes
In jedem Fall wissen wir aber genug, um festhalten zu
Bedürfnis, den (im besten Fall verständlichen) Wunsch,
können, dass Vorstellungen von unberührten oder sauberen
9
Lebensläufen bzw. von ideologie- und kollaborationsfreien
Kunst – man denke nur an Riefenstahl, viele weitere wären
Zonen in der Gesellschaft ebenso unangemessen sind wie
zu nennen. Eine „reine“ Kunst, jenseits und völlig unberührt
von klaren und eindeutigen Brüchen und Distanzierungen
von Politik und Gesellschaft, gibt es aber genauso wenig wie
nach 1945 – und, dass es hier und da eben noch viele offene
eine „reine“ Wissenschaft.
Fragen und weiße Flecken gibt, mit dem grundsätzlichen
Wissenschaft und Kunst funktionieren immer nur in einem
Wissen darum, dass es nie eine Vollständigkeit oder einen
gesellschaftlichen und politischen Umfeld, mit eben solchen
Abschluss historischer Forschung geben wird.
Positionierungen – ob diese offen gelegt sind oder nicht.
Für HistorikerInnen ist die ewige Wiederkehr des Gleichen
Beides wird freilich gerne idealisiert und entkontextualisiert,
in den öffentlichen Diskussionen gelegentlich ermüdend, sie
Wissenschaft zudem mit Aufklärung und Objektivität gleich-
gibt uns andererseits aber auch regelmäßig Arbeit, selbst
gesetzt, weshalb Wissenschaft und Nationalsozialismus
wenn sie in dieser Form nicht immer besonders innovativ
noch viel stärker als ein Gegensatzpaar gilt als National­
sein mag. Obwohl sie in der Öffentlichkeit keinesfalls das
sozialismus und Kunst. Der Typus der „idealischen“ und
Monopol auf die Geschichte haben, werden professionelle
„heroischen“ Geschichtsschreibung ist für die Wissenschaft
HistorikerInnen gebraucht, um den Schutt wegzuräumen und
jedoch ebenso wenig angebracht wie für die Kunst, obwohl
Absolution zu erteilen, meistens im Format von Gutachten
wir uns in beiden Fällen immer noch so schwer davon lösen
oder Kommissionen. Doch die Begrifflichkeiten („Historiker-
können. Beide Bereiche sind immer verstrickt in Politik und
kommission“) verschleiern, dass diese den Charakter von
Gesellschaft. „Wissenschaft“ darf daher heute auch nicht
historischer Forschung grundsätzlich verkennen und viel
zur Ausrede werden, der Verweis auf sie darf nicht not­
mehr nach politischen Logiken als nach wissenschaftlichen
wendige gesellschaftlich-politische Debatten und Positio­
funktionieren. Auch sie sind nur Produkt der problematischen
nierungen ersetzen. HistorikerInnen können auch keinen
Sehnsucht nach einer endgültigen Aufarbeitung und einem
Ablass anbieten, sie können sich aber natürlich an gesell-
Abschluss, gewissermaßen einer sanierten Geschichte. Wis-
schaftlichen Diskussionsprozessen beteiligen, diese auch
senschaft kann all dies jedoch gerade nicht, kommt nie an
initiieren bzw. mit speziellen Perspektiven und Einsichten
ihr Ende, wird immer neue Fragen stellen, selbst wenn keine
versorgen.
neuen Quellen mehr auftauchten. Wissenschaft ist auch
An dieser Stelle sei übrigens nicht verschwiegen, dass die
weitaus weniger planbar, als es Kommissionen mit einer
so genannte „Historikerzunft“ keinesfalls mit leuchtendem
Laufzeit von einigen Monaten oder selbst Jahren verlangen.
Beispiel vorangegangen ist, was die Aufarbeitung proble-
Vor allem aber kann sie ihren Gegenstand, die Geschichte,
matischer Vergangenheiten in der NS-Zeit betrifft, ganz im
nicht nachträglich reinigen.
Gegenteil: Erst in den 1990er Jahren kam eine sehr lang-
Nun wurde in der „Ploner-Debatte“, um die es hier ja im
wierige und schmerzhafte, von vielfältigen Ausblendungen
Wesentlichen geht, keine Kommission gefordert, sondern
und Ausreden geprägte Diskussion über die Involvierung
wiederholt „wissenschaftliche Standards“ und eine „wissen-
der eigenen Disziplin und ihrer Vertreter in den Nazismus,
schaftliche neutrale Annäherung“ eingemahnt. Was könnte
­dessen Ideologie und Massenverbrechen in Gang. Der Blick
dagegen schon gesagt werden? Nun zumindest, dass auch
auf die anderen ist immer leichter.
diese Rhetorik auf einer einigermaßen problematischen Vor-
Zwei Grundirrtümer sind für die Mehrzahl der einschlägigen
stellung von Wissenschaft basiert, die mit Gesellschaft und
öffentlichen Debatten konstitutiv. Die Debatte über die deut-
Politik zunächst einmal überhaupt nichts zu tun habe. Gerade
schen Historiker im Nationalsozialismus (und ihr Nachleben)
die Wissenschaftler, die sich in der NS-Zeit besonders
ist auch hier übrigens keine Ausnahme. Zum einen gibt es
hervorgetan haben, haben diese vermeintlich klare Trenn-
den falschen Glauben an die „Stunde Null“: Natürlich bedeu-
linie nach 1945 zu ihrer Verteidigung beschworen. Diese
tete das Jahr 1945 einen einschneidenden Bruch, etwa
Strategie ist auch aus anderen Bereichen bekannt, etwa der
für die zuvor europaweit systematisch und erbarmungslos
10
Links: Ausschnitt aus dem Programmfolder. Film-Still aus:
6. Landesschießen 1943 Innsbruck, Produktion: Uli Ritzer,
Musik: Sepp Tanzer. Das 6. Landesschießen 1943 war eine
Großveranstaltung in Innsbruck vom 4. bis 18. Juli 1943.
Unten: Die von Matthias Breit, Kurt Drexel und Franz Gratl
konzipierte Ausstellung im „Historischen Gang“ des Ferdinandeums wurde am 23. November 2012 eröffnet. Aufgrund des
regen Publikumsinteresses war sie statt der vorgesehenen
zwei Wochen bis ins Jahr 2013 zu sehen. Zahlreiche Schulklassen besuchten sie im Rahmen von Spezialführungen.
Foto: Matthias Breit.
11
betriebene rassistisch-antisemitische Vernichtungspolitik der
„Erfolge“ der letzten Jahre und Jahrzehnte, die in diesem
Nationalsozialisten und ihrer Helfer, aber weitaus weniger
Kontext so zu nennen sich ohnehin verbietet, ist unsere
(vielleicht gar nicht) für rassistische und antisemitische
Gesellschaft in weiten Teilen bedauerlicherweise unverän-
Konzepte und Vorstellungen in der Gesellschaft. Brüche und
dert weit entfernt von einer „offenen“, vorbehaltlosen und
Kontinuitäten überlagern sich und sind vielfältig miteinan-
kritischen Auseinandersetzung mit dieser Vergangenheit,
der verzahnt: auf der Ebene von Personen, Institutionen,
die so gerne ausweichend und bequem als schicksalhaft,
Politiken, gesellschaftlichen Praktiken und ideologisch-
tragisch, düster und umschattet bezeichnet wird.
weltanschaulichen Vorstellungen. Sie werden je durch verschiedene Rahmenbedingungen bedingt und ermöglicht, von
Die vorliegenden Beiträge bilden das eintägige wissen­
verschiedenen AkteurInnen hergestellt und abgesichert. Will
schaftliche Symposium ab, das das Institut für Zeit­
man historisch zu verstehen versuchen, wird ein Gespür für
geschichte der Universität Innsbruck im November 2012
Brüche und Kontinuitäten zugleich, vor allem aber auch für
gemeinsam mit dem Institut für Musikwissenschaften
Transformationen notwendig sein.
(Kurt Drexel), der Musiksammlung des Tiroler Landes­-
Zum anderen existiert immer noch ein verkürztes Verständnis
museums Ferdinandeum (Franz Gratl), dem Abteilungs­-
von Täter-, oder neutraler: Urheberschaft, das für Vorgänge
bereich für Musikalische Volkskunde der Universität
in komplexen modernen Gesellschaften, wie auch das
­Mozarteum (Thomas Nußbaumer) und dem Gemeinde­
„Dritte Reich“ eine war, unangemessen ist. Das heißt freilich
museum Absam (Matthias Breit) im Archiv für Baukunst
nicht, dass alle unterschiedslos und in gleichem Maße zu
der Universität Innsbruck (Christoph Hölz) im Adambräu
Tätern geworden sind oder es keinerlei Formen und Akte von
veranstaltet hat, unterstützt vom Land Tirol und der Stadt
Widerstand gab. Es heißt aber sehr wohl, dass man sich
Innsbruck. Umrahmt wurde es von einem Hör- und Film­abend
von der Vorstellung einer eingeschränkten kleinen Gruppe,
in einer Innsbrucker Buchhandlung und der Eröffnung einer
auf die die Verbrechen nach 1945 immer wieder gerne pro­
Ausstellung zum Tiroler Musikleben in der NS-Zeit im
jiziert worden sind (Hitler und die Führungsriege des „Dritten
Ferdinandeum. Zu sehen war dabei u. a. ein Farbfilm vom
Reichs“, die Gestapo, die SS, „die Nazis“ etc.) verabschie-
6. Tiroler Landesschießen in Innsbruck 1943 (produziert
den muss: Verdrängung, Diskriminierung, Raub, Vertreibung
von Uli Ritzer, mit Musik von Sepp Tanzer). Live aufgeführt
und Massenmord waren ebenso wie Verdrängen, Vergessen
wurden in Innsbruck erstmals die Komposition „Wie es war“
und Beschweigen nach 1945 kollektive Projekte, in der
für Streichquartett und Schlagzeug, Sandblocks, Becken und
Mitte der Gesellschaft, nicht an ihrem Rande. Dabei sollte
Scheren von Peter Zwetkoff (1925–2012) und die Lieder­
nicht vergessen werden, dass Ideologie und politische
sammlung „Wo die Zypressen stehen“ von Franz Mair
Praxis des Nazismus nie eine vollständige Übereinstim-
(1910–1945), beide wichtige Exponenten des Widerstands
mung und Gefolgschaft forderten, sondern vielfältige Teil-
in Tirol.
allianzen zuließen – nicht zuletzt deshalb, weil sie bis zu
Das offensichtliche Interesse eines breiten Publikums an der
einem bestimmten Grad selbst keinesfalls durchgestaltet,
wissenschaftlichen Beschäftigung mit diesem Thema und
kon­gruent und widerspruchsfrei waren. Gerade darin lag
vor allem auch die überraschend große Resonanz auf die (mit
aber nicht eine Schwäche, sondern wohl die Stärke des
äußerst geringen Mitteln realisierte) Ausstellung, die von
NS-Systems. Dies macht es auch notwendig, den Blick für
vielen Schulklassen besucht und auch in der überregionalen
vielfältige Grauzonen jenseits eines einfachen Schwarz-
Presse gewürdigt wurde, dokumentiert noch einmal das
Weiß zu schärfen.
Desiderat. Dabei geht es natürlich nicht um einen einzelnen
Es ist äußerst irritierend, dass immer wieder und immer noch
Komponisten und dessen Verwicklung in den Nazismus, son-
die gleichen Praktiken von Vertuschung und Verleugnung,
dern vielmehr um die sehr viel weitergehende Amalgamie-
Ausblendung und Umdeutung in Gebrauch sind. Trotz aller
rung von Tiroler „Volkskultur“ – ein fraglos problematischer
12
Begriff, der selbst Gegenstand der Debatte sein müsste –
weise Ernst Kaltenbrunner, zu dieser Zeit als Nachfolger
und NS-Ideologie, wie sie zwischen 1938 und 1945 syste-
Reinhard Heydrichs bereits Chef des Reichssicherheits-
matisch betrieben wurde. Das Filmdokument vom 6. Tiroler
hauptamts, der zentralen Verfolgungsbehörde des „Dritten
Landes­schießen 1943 hat diese Verquickung äußerst
Reichs“) vor der Kulisse der Innsbrucker Hofburg und natür-
sinnfällig vor Augen geführt: Tiroler Schützen neben der
lich der unvermeidlichen Nordkette. Wenn die Diskussion
Wehrmacht, Trachten neben Hakenkreuzen, alles untermalt
um Josef Eduard Ploner und die Tagung einen Impuls dazu
von der Musik Sepp Tanzers, mit dem Gauleiter als gütigem
gegeben haben, dieses vielschichtige Szenario weiter zu
Landes­herren auf dem Podium (neben ihm interessanter-
durchleuchten, dann haben sie ihre Aufgabe erfüllt.
13
Abb. 1: 1. Satz „Ahnenerbe“, Direktion, Edition Helbling, Innsbruck–Wien 1959.
Josef Eduard Ploners Symphonie in
Es-Dur im Kontext der Nachkriegszeit
Christian Glanz
Abstract
Stil der sogenannten Tiroler Schule vorbestimmt habe.
Streng genommen fällt die Komposition nicht mehr in den
The symphony in e flat by Josef Eduard Ploner is an early
Zeitraum der nationalsozialistischen Herrschaft in Tirol. Im
key example for specific stilistic tendencies in Austrian band
Hinblick auf die im Kontext der Erforschung des National­
music. Ploner has written programmatically about the ideals
sozialismus bedeutende Frage unterschiedlicher kultureller
of band music, creating the image of a new style, emphasiz­
Kontinuitäten stellt sie jedoch ein sehr wichtiges Dokument
ing the aspects of polyphony and monumentalism. His sym­
dar. Die der Komposition seitens ihres Urhebers beigege­
phony for band, arranged by his follower Sepp Tanzer, can
benen Satztitel stellen ja vollkommen klar, dass es sich
be seen as a kind of exemplary realisation of this concept.
hier keineswegs um ein L’art pour l’art-Werk handeln soll.
Aesthetically the composition follows the established lines
Die nun folgende Auseinandersetzung mit der Komposition
of programmatic symphonic composing and demonstrates
möchte zur Diskussion stellen, welche konkreten musika­
the lasting prevalence of national idiomatic writing. In the
lischen Gestaltungsmittel hier zur Anwendung kommen,
context of the conference Ploners symphony represents the
in welchen Traditionen diese Mittel stehen und was das
lasting legacy of aesthetic positions, which prevailed during
schließlich für die Ästhetik und den Standort einer sich als
the national socialistic phase in Tyrol.
„neu“ begreifenden Bewegung innerhalb des blasmusikali­
schen Musizierens in Tirol und in Österreich bedeuten kann.
Nach den mir zugänglichen Quellen dürfte die Komposition
Die Behandlung gerade dieser Komposition im Kontext des
der Symphonie in die Jahre um 1950 fallen (Wolfgang Sup­
Themas Musik und Nationalsozialismus in Tirol ergibt sich
pan weist sie den vierziger Jahren zu). Sicher ist, dass sie
für mich vor allem aus der Rolle, die Josef Eduard Ploner
1952 beim Kompositionswettbewerb des Tiroler Landesblas­
selbst und damit auch seine Symphonie für die sogenannte
musikverbands mit einem sogenannten Ehrenpreis gewürdigt
Tiroler Schule der österreichischen Original-Blasmusik
wurde. Die postume Uraufführung der viersätzigen Kompo­
spielt. Als Lehrer von Sepp Tanzer, der in dieser Gruppe
sition erfolgte erst 1956 durch die von Sepp Tanzer geleitete
zweifellos die wichtigste Person ist, wird Ploner in den nach
Wiltener Stadtmusikkapelle im Tiroler Landestheater in
wie vor wenigen Darstellungen der historischen Entwicklung
Innsbruck. Weitere frühe Aufführungen werden für St. Gal­
des Komponierens für Blasmusik hierzulande häufig als
len, Stuttgart, Überlingen, Linz und Wels erwähnt.2 Auch die
eine legitimierende Instanz erwähnt , seine von Sepp Tanzer
Drucklegung, die Satz für Satz erfolgte, nahm geraume Zeit
für Blasorchester instrumentierte Symphonie gilt mithin als
in Anspruch: Der Innsbrucker Musikverlag Helbling brachte
ein wichtiges Vorbildwerk, welches die Richtung und den
1959 den ersten Satz heraus, abgeschlossen war die Publi­
1
1
2
Suppan, Wolfgang: Komponieren für Amateure. Ernest Majo und die Entwicklung der Blasorchesterkomposition (= Alta musica 10), Tutzing 1987, S. 66.
Spiehs, Hermann J.: Josef Eduard Ploner. Der Tiroler Komponist (= Schöpferisches Tirol 5), Innsbruck 1965, S. 5 und S. 106.
15
kation erst 1967 mit dem vierten Satz. Eine heute auch in der
Blasmusikbesetzung zu präsentieren.7 Standen Hindemiths
Blasmusikpraxis bereits übliche Partitur gibt es nicht, jedoch
Intentionen aber im Zusammenhang mit seinen Mitte der
wird vom Verlag ein Dirigier-Particell („Direktion“) angebo­
1920er Jahre auch in anderen Sparten relevant gewordenen
ten.3 Dieser Umstand lässt sich vor allem daraus erklären,
Bemühungen um eine „mittlere Musik“, die zwar neu, jedoch
dass mehrsätzige Kompositionen dieses Umfangs in jenen
sowohl dem Publikum als idealiter auch den Laienausführen­
Jahren im Bereich der österreichischen Blasmusik noch eine
den zugänglich sein sollte, so argumentiert Ploner neben der
absolute Besonderheit und damit wohl auch ein nicht unbe­
Hervorhebung aufführungspraktischer Aspekte letztlich vor
trächtliches verlegerisches Risiko bedeuteten.4
allem mit dem Bedürfnis nach „Eigenart“: „Man könnte etwa
In Ploners Werkverzeichnis scheinen 17 Kompositionen für Blas-
folgende Formel gebrauchen: Je kleiner der Raum, desto
musik auf, wobei nur vier verlegt wurden. Märsche und Fanfa­
feiner, intimer soll die Musik sein. Je größer der Raum, desto
ren stehen neben wenigen umfangreicheren Werken (eine
gewaltiger, majestätischer, monumentaler! […] Dagegen
Choralsuite, eine Heldische Musik in vier Sätzen). Im Gesamt­
empfinde ich aber eine ausgesprochene Abneigung, wenn
werk nimmt die Blasmusik auch gar keine dominierende Stel­
bei festlichen Anlässen in jeder Hinsicht ‚kleine‘ Musikwerke
lung ein, man wird sie daher auch nicht als besonderen Schaf­
geboten werden, oder wenn mit wirklichen Feststimmungen
fensschwerpunkt bezeichnen können. Dennoch hat sich Ploner
durch Benützung von unpassenden und ganz minderwertigen
vor allem in der unmittelbaren Nachkriegszeit offensichtlich
Musikstücken Schindluder getrieben wird. Ich erinnere nur
intensiv mit den Problemen und Möglichkeiten des Blasmusik­
an die bei kirchlichen Anlässen immer wieder gebrauchten
wesens befasst. Interessant ist in diesem Zusammenhang
‚feschen‘ Profanmärsche, an die unsäglich sentimentalen
besonders ein Text, der im Dezember 1948 im Mitteilungsblatt
Trauermärsche bei Begräbnissen, an gewisse südländische
des Verbandes der Südtiroler Musik­kapellen erschienen ist.6
Weichlichkeiten bei heimischen Volksfesten.
Unter dem Titel Originalmusik oder Surrogatmusik? plädiert
Können wir unserer Art nicht das geben, was ihr eigentlich
Ploner hier nachdrücklich für eine in seinen Augen neuartige
gebührt und wonach sie verlangt? Ist in unserem Lande wirk­
Blasmusik, die sich zwar weiterhin in der traditionellen
lich nur Platz für tränendrüsenfördernde Sentimentalität und
Zweckbestimmung (gemeint ist die Einbindung in lokale
kommerzielle Angelegenheiten? Stilechte, zweckbestimmte
kulturelle Zusammenhänge) eingebunden sehen sollte, jedoch
Werke könnten diesem Übelstande abhelfen. Nicht nur der
stilistisch ganz anders aussehen müsse, als die seiner Mei­
Geschmack der Masse, auch der Geschmack der Kapell­
nung nach das praktische Repertoire dominierende Musik
meister könnte dadurch gehoben werden. Es gibt noch einen
„aus zweiter Hand“. Dabei ist wohl nicht nur für Blasmusik­
weiteren Grund, warum unsere Kapellen Stücke monumenta­
historiker interessant, dass Ploner hier denselben Begriff,
len Charakters spielen sollen. Dies ist die Besetzung unserer
nämlich „Surrogat“ verwendet, der schon 1926 von Paul
Kapellen überhaupt. Diese Besetzungsart und die Qualität der
Hindemith vorgebracht wurde, als es darum ging, im Rahmen
Instrumente schreien geradezu nach polyphoner Stückwahl.
der Donaueschinger Musiktage neue Kompositionen für
Zumeist hören wir jedoch ein sehr billiges homophones
5
Allerdings geschah das augenscheinlich der Anfang der 1960er Jahre noch gebräuchlichen, heute gänzlich aus der Praxis verschwundenen Notation
„in B“ entsprechend! Bei einer tatsächlichen Verwendung des Particells „in B“ ergäbe sich dann die durchaus bemerkenswerte Sachlage, dass Ploners
Symphonie einen Ganzton tiefer, nämlich in Des erklingen würde. In der Folge wird jedoch Ploners Originaltonart „in Es“ präferiert, meine harmoni­
schen Angaben ignorieren also die Beifügung „in B“ am gedruckten Particell! Dies vor allem deshalb, weil es sich bei der Bezeichnung „in B“ offen­
sichtlich um einen Flüchtigkeitsfehler handelt. Die von mir verwendete Einspielung des Werks erklingt jedenfalls in Ploners titelgebender Tonart Es.
4
Für die Zurverfügungstellung einer Einspielung der Komposition durch den Musikverein der ÖBB Innsbruck unter der Leitung von Florian Pedarnig
sei Herbert Malzer vom Tonarchiv des Oberösterreichischen Blasmusikverbandes ausdrücklich gedankt.
5
Spiehs: Ploner (wie Anm. 2), S. 178ff.
6
Abgedruckt bei Spiehs: Ploner (wie Anm. 2), S. 169–172.
7
Suppan, Wolfgang: Donaueschingen 1926: Paul Hindemiths Bemühungen um eine amateurgerechte Blasmusik, in: Lipp, Wolfgang (Hg.): Gesell­
schaft und Musik (= Sociologia Internationalis, Beiheft 1), Berlin 1992, S. 279–288.
3
16
Ge­klingel; wenn es hochgeht, eine an und für sich gut gebaute
Ouverture für Symphonieorchester, wobei sämtliche Strei­
cherstimmen eben wiederum durch Bläser ersetzt sind – also
wieder Surrogatmusik!“8 Die „zweckbestimmte“ Orientierung
Ploners geht in diesem Konzept auch daraus hervor, dass
er hauptsächlich von „Freiluftmusik“ spricht, um die es hier
gehe. „Monumentalität und Größe“ ist auch von daher eine
zentrale Forderung. Allerdings sei damit nicht simple „Kraft­
meierei“ gemeint, sondern eine dem „Inneren“ der Musik
angepasste Stilistik. Mit dem Begriff des „Inneren“ ist wohl
eine inhaltliche Bestimmung, letztlich also ein Programm,
möglicherweise aber auch eine erwünschte ethische Haltung
gemeint. Im Hinblick auf die anzustrebende Machart orientiert
er sich ausdrücklich musikgeschichtlich: Konkret nennt Ploner
die Beschäftigung mit den Mitteln des Chorals und besonders
der Kontrapunktik (ausdrücklich erwähnt er dabei Kanon,
Abb. 2: Josef Eduard Ploner (Reproduktion aus: Spiehs, Hermann Josef:
Josef Eduard Ploner, Innsbruck: Universitätsverlag Wagner 1965).
Passacaglia und Fuge), auch die Form der Suite ist für ihn ein
historisch relevanter und tragfähiger Orientierungspunkt. Die
Benützung von Volksliedern und Volkstänzen wird ebenfalls
von Ludwig van Beethovens Pastorale muss hier genügen.
gefordert, und zwar als symphonisch durchzuarbeitendes,
Programmatisch konzipierte viersätzige symphonische Kompo-
nicht bloß aneinanderzureihendes Material, das natürlich in
sitionen – Vladimir Karbusicky hat dafür das Schlagwort von
besonderer Weise der geforderten „Eigenart“ entspräche. Eine
der „Vier-Akte-Dramaturgie“ geprägt10 – finden sich übrigens
derartig orientierte Stilistik wäre seitens der Öffentlichkeit von
zeitgleich vor allem in den von der Shdanow-Doktrin reglemen-
dazu fähigen Komponisten durch Aufträge einzufordern.
tierten Musikproduktionen in den Ländern des sowjetischen
Die Symphonie in Es scheint mir nun ganz deutlich auf diese
Machtbereichs, allerdings trotz ihrer populären Erscheinungs-
selbst gestellten Forderungen zu reagieren, und es ist wohl
form zumeist in stilistisch doch aufwändigerer Form umgesetzt.
sinnvoll, sie nun auch tatsächlich in erster Linie an diesen Kri­
Die zwei Binnensätze, ein langsamer und ein Scherzo-Satz,
terien zu messen. Dass es nicht ertragreich ist, anhand Ploners
werden bei Ploner wie im etablierten und pädagogisch
Komposition eine Standortdiskussion der allgemeinen Sym­
geradezu gebetsmühlenartig vermittelten Formmodell der
phonik um 1950 zu führen, dürfte sich von selbst verstehen.
Symphonie üblich, von zwei bewegteren, hier auch drama­
tisch akzentuierten Rahmensätzen umfasst. Die harmonischen
Zunächst zu den allgemeinen Merkmalen:9
Verhältnisse zeigen sowohl im Satzübergreifenden als auch
Die viersätzige Gesamtanlage entspricht vollkommen der im
innerhalb der einzelnen Sätze eine ganz klare Orientierung
Lauf des 19. Jahrhunderts entwickelten symphonischen Norm,
an der Hierarchie der drei traditionellen Grundstufen her­
auch die Verwendung illustrierender Satztitel ist an sich absolut
kömmlicher Tonalität (Tonika – Subdominante – Dominante).
nichts Neues, ein kurzer Hinweis auf die Wirkungsgeschichte
Gelegentliche Erweiterungen in den Bereich der jeweils
Zit. nach Spiehs: Ploner (wie Anm. 2), S. 171.
Eine ausführliche Verlaufsanalyse der Komposition bringt Söllinger, Heide Maria: Die Entwicklung der Österreichischen Original-Blasmusikliteratur,
ungedruckte Diplomarbeit, Wien 2011, S. 102–114.
10
Karbusicky, Vladimir: Empirische Musiksoziologie, Wiesbaden 1975, S. 268–445. – Berg, Michael: „LTI“ und Siegersprache, in: Tischer, Mathias
(Hg.): Musik in der DDR (= musicologica berolinensia 13), Berlin 2005, S. 66ff.
8
9
17
parallelen Moll- bzw. Durtonarten dürfen ebenfalls als absolut
dung von bekannten Melodien (als Volkslieder bezeichnet):
üblich bezeichnet werden, selten aber doch erscheinen auch
Zentral ist dabei der Choral Wach auf, du deutsches Land
Ausweichungen in terzverwandte Tonarten und – an beson­
(Johann Walter zugeschrieben und 1561 erstmals in einem
ders dramatisch akzentuierten Stellen – übermäßige bezie­
fliegenden Blatt verbreitet). Das Material des Chorals
hungsweise verminderte Akkorde. Es wird nicht überraschen,
bestimmt die Substanz des fugierten Hauptthemas im ersten
dass die Geltung der traditionellen hierarchischen Harmonik
Satz ebenso wie die des triumphal angelegten Finales. Im
nirgends auch nur andeutungsweise in Frage gestellt wird.
zweiten Satz erscheint das ebenfalls historisch bewährte,
Vor allem im ersten und zweiten Satz erscheinen kontrapunk­
nach dem Ersten Weltkrieg vor allem in Jugendbewegung
tische Mittel, nämlich ein Fugato und eine Passacaglia. Die
und Schule verbreitete Lied Es geht eine dunkle Wolk’ h­ erein
Vortragsanweisungen beschränken sich nicht auf Tempo und
in ähnlich substanzbestimmender Weise. Das Scherzo
Lautstärke, sondern sprechen vereinzelt auch gestische Cha­
konfrontiert ein historisches Tiroler Lied (Auf, ös Tiroler und
rakteristik an (Vorwärts stürmend, wild vorwärts stürmend).11
spannt’s enkre Büchs)13 mit dem allgemein bekannten Tanz­
Im Gesamtverlauf ist eine klare Orientierung an dem aus der
lied vom Lieben Augustin. Diese Liedmaterialien charakte­
symphonischen Entwicklungslinie des 19. Jahrhunderts allge­
risieren nicht nur die jeweiligen Sätze, sondern finden auch
mein bekannten Modell eines Wegs „durch Dunkel zum Licht“
Eingang in das resümierende Finale. Ferner werden musikali­
festzustellen, inklusive triumphalem Finale, das sich auch als
sche Typen eingesetzt, die aus der traditio­nellen Blasmusik-
zusammenfassendes Resumé des Vorangegangenen versteht.
Zweckbestimmung bekannt sind: ein Trauer­marsch im zwei­
Die inhaltliche Seite der Komposition wird schon an der Ober­
ten Satz, ein Ländler im Scherzo und ein Marsch im Finale.
fläche durch die erwähnten Satztitel vollkommen klargestellt,
wobei bereits der erste Titel „Ahnenerbe“12 auffällt. Der Titel
Kurz zu Gestaltung und Charakteristik der einzelnen Sätze:
des ersten Satzes ist identisch mit einem in der NS-Phraseo­
Erster Satz (Titel „Ahnenerbe“), Es-Dur14, 4/4, Maestoso
logie sowohl für Erbanlagen als auch für kulturelle Traditionen
energico / Moderato energico
verwendeten Begriff, der im National­sozialismus aber auch
Formal handelt es sich um einen durch Fermaten geglieder­
institutionell eine bedeutende Rolle gespielt hat: Das 1935
ten Sonatenhauptsatz. Nach der Einleitung mit der Charak­
gegründete „Institut für wehr­wissenschaftliche Zweck­
teristik einer dramatischen Toccata beginnt der Hauptteil mit
forschung der Studiengesellschaft für Geistesurgeschichte
einem Fugato über den Choral Wach auf, du deutsches Land.
Deutsches Ahnenerbe“ war eine SS-Stiftung, die seit 1942 als
Die Fortführung erfolgt unter begleitender Anreicherung
„Amt Ahnenerbe“ im unmittelbaren Machtbereich Heinrich
des Choralthemas durch Triolierung. Das Seitenthema des
Himmlers angesiedelt war. Die weiteren Satztitel, „Helden-
Satzes (vorwärts stürmend, g-Moll, ab Takt 62) hat deutliche
friedhof“ (zweiter Satz) und „Heimat-Lobgesang“ (vierter
Anklänge an historische Tänze, möglicherweise soll hier die
Satz) unterstreichen die offensichtlich angestrebte heroisch-
„Landsknechtzeit“ oder die Zeit der Bauernkriege im frühen
patriotische Grundhaltung. Dazu kommt die von Ploner im
16. Jahrhunderts herbeiassoziiert werden. In den dramati­
zitierten Originalmusik-Text ausdrücklich verlangte Verwen­
schen Höhepunkten findet man Mediantik und verminderte
Erster Satz, Takt 62 bzw. Takt 102.
Schmitz-Berning, Cornelia: Vokabular des Nationalsozialismus, Berlin 2007, S. 17f. – Kater, Michael H.: Das „Ahnenerbe“ der SS 1935–1945.
Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches, München 2006.
13
Im gedruckten Particell mit 1790 datiert, jedoch möglicherweise auf 1796 oder 1797 zu datieren und dem Schwazer Regens Chori Staudacher
zuzuschreiben, vgl. Feder, J.: Über die tirolischen Kriegslieder der Jahre 1796 und 1797, in: Programm des k. k. (vereinigten) Staatsgymnasiums
in Teschen für das Schuljahr 1881/82, Teschen 1882. Zur Geschichte und Bedeutung des Walther-Chorals vgl. Brenner, Helmut: Wach auf, wach auf,
du deutsches Land. Metamorphosen eines Liedes im politisch-historischen Kontext, in: Habla, Bernhard (Hg.): Festschrift zum 60. Geburtstag von
Wolfgang Suppan, Tutzing 1993, S. 83–106.
14
Zur Tonartenproblematik siehe Anm. 3.
11
12
18
Abb. 3: 3. Satz „Scherzo“, Direktion, Edition Helbling 3333-B, Innsbruck 1966.
19
Abb. 4: 4. Satz „Heimat-Lobgesang“, Direktion, Edition Helbling 3336-B, Innsbruck 1967.
20
21
Akkorde. Die kurze Durchführung basiert hauptsächlich
melodik und durchgehenden Begleitachteln, was insgesamt
auf dem Choralmaterial. Die Reprise bringt zunächst das
einen „Brio-Charakter“ ergibt. Die Materialien der vorange­
unveränderte Choralfugato, das Seitenthema erscheint nun
gangenen Sätze erscheinen als Rondo-Episoden in jeweils
jedoch in c-Moll (Parallele zur Tonika). Die abschließende
veränderter Form: der Walter-Choral in den choraltypischen
Maestoso-Coda (das Material stammt vor allem aus dem
langen Notenwerten, ergänzt durch Figurationen im Triumph­
zweiten Teil des Chorals) wird von der variierten Einleitungs-
gestus15, das Trauermarschmaterial aus dem zweiten Satz
Toccata (zunächst in Ces) eingeleitet, der feierliche
erscheint im Sechsachteltakt und führt zu einer hervorgehobe­
Ausklang zur Tonika wird von Glocken flankiert.
nen „aufrufenden“ Soloepisode im Tenorhorn. Das Lied vom
Lieben Augustin erscheint als kurze Andante-Episode. Im Aus­
Zweiter Satz (Titel „Heldenfriedhof“), g-Moll, 3/4, Adagio
klang dominiert wieder das Material des Wach auf-Chorals.16
Formmodell A – B – A’, mit einem Trauermarsch als B-Teil
Die Rahmenteile A und A’ basieren auf dem Lied Es geht
Die Symphonie in Es realisiert die von Ploner im Text Original­-
eine dunkle Wolk’ herein, verarbeitet in der Tradition der
musik oder Surrogatmusik aufgestellten Forderungen geradezu
Passacaglia (stete Präsenz der Melodie in wechselnden
beispielhaft: Der Drang zur Monumentalität und Größe ist
Stimmen, dazu Varianten bzw. Gegenstimmen). Der Trauer­
vor allem in den Rahmensätzen manifest, die Blasorchester­
marsch in c-Moll im Kontrastteil B orientiert sich in seinem
besetzung und die Instrumentation durch Sepp Tanzer unter­
Material eindeutig am ländlichen Typus, wird im Verlauf ver­
streicht dieses Bemühen: Viel Orchestertutti, im Verlauf domi­-
dichtet und mit skalenartigem Laufwerk toccatenartig ange­
niert eine blockartige Instrumentation nach dem Muster der
reichert. Die Reprise (A’) ist verkürzt, klar ist die Tendenz zur
Registrierung der Orgelpraxis. Deutlich ist ein fast durchgän­
harmonischen Aufhellung in der Tradition der picardischen
giges klangliches Vorherrschen des weitmensurierten Blechs
Terz (Schluss in G-Dur).
(also der Flügelhörner, Tenorhörner bzw. Euphonien) in der
Melodieführung. Dagegen werden den Holzbläsern selten wirk-
Dritter Satz (Titel „Scherzo“), B-Dur, Allegro
lich solistische Funktionen zugewiesen (zweiter Satz, Trio des
Trio – Scherzo – Trio’
Scherzos), die Klarinetten werden oft stimmenweise mit den
Grundlegend ist eine ausgedehnte dynamische Steigerung
Flügelhörnern gekoppelt. Trompeten und Posaunen fungieren
beginnend im pp. Das Scherzomaterial basiert einerseits
vor allem für im weitesten Sinn signalartige Aufgaben, die
auf dem Tiroler Lied Auf, auf, ös Tiroler und spannt’s enkre
Saxophone lediglich als Füllinstrumente. Diese Instrumentation
Büchs, andererseits auf ein sich daran anschließendes typi­
entsprach ganz den damaligen praktischen Normen und Mög­
sches Ländlermotiv. Im Trioteil (unüblicherweise in As-Dur)
lichkeiten, ist aber mittlerweile zum österreichischen Phäno­
erscheint das Lied O Du lieber Augustin, zunächst dem Kli­
men geworden. Die blockartige Instrumentation, die Vernach­
schee entsprechend im Rahmen von Dudelsackquinten.
lässigung des inzwischen emanzipierten und differenzierten
Holzsatzes und das bis auf das übliche Schlagzeug inklusive
Vierter Satz (Titel „Heimat-Lobgesang“), Es-Dur, Allegro vivo
Glocken weitgehend fehlende Instrumentarium im perkussiven
Entspricht dem Formtypus des Rondos mit dem Charakter der
Bereich lassen das Werk für heutige Blasorchester nicht mehr
Zusammenfassung: A – B (Choral) – A – C (Trauermarsch) –
attraktiv erscheinen, von Stil und Gehalt ganz zu schweigen.
A – D (Tirolerlied und O Du lieber Augustin) – A – Coda
Der wiederkehrende A-Teil hat eine ganz deutliche Sechsach­
Die Verwendung von bereits vorhandenem Material (Choral,
telmarschcharakteristik bei genretypischer Terz-Sextparallel­
Tirolerlied, Volkslied, Tanzlied) steht in engem Zusammenhang
15
16
Entsprechend der feierlichen Tradition der „Flourishes“, vgl. Sepp Tanzer: Tirol 1809, Sieg (3. Satz).
Ebenfalls in Tirol 1809 zitiert (1. Satz).
22
mit den illustrierenden Satztiteln und unterstreicht die inten-
mir nicht zu, die Tiroler Zeitgeschichtsforschung wird dazu
dierte Charakteristik der Sätze und des Gesamtverlaufs: Der
Fundiertes zu sagen wissen.
erste Satz steht für Appell und Aufruf, der zweite Satz für heroi-
Faktum ist aber auch – ich komme damit schlussendlich
sches Gedenken und Geltung der Vergangenheit, der dritte
auch direkt zum engeren Thema der Tagung! – dass Ploners
Satz für Eigenart, der vierte Satz für Zuversicht und Wille.
Symphonie in Inhalt und Stil auch vollkommen mit den Erwar­
Besonders der Choral Wach auf, du deutsches Land wird in
tungen nationalsozialistischer Musikpolitik korrelieren würde.
durch zahlreiche historische Vorbilder etablierter und im Hin­
Gesten des „Aufrufs“ und des „Appells“, die stete Präsenz
blick auf das Publikum bewährter Weise zum Trägermedium
des heroisierenden Heldenkults, die Feier des „Volkhaften“
des Affirmativen. Dabei ist sein Gestus wahrscheinlich wichti­
und der „völkischen Eigenart“, schließlich der „monumentale
ger als die historische Konnotation des protestantischen Cho­
Triumph“ und die Forderung nach allgemein verständlicher
rals. Die Verwendung kontrapunktischer Techniken erscheint
Fortschreibung vermeintlich „deutscher“ kontrapunktischer
vor allem im ersten und im zweiten Satz substanziell. Fugato
Tradition waren ja fixe Bestandteile nationalsozialistischer,
und Passacaglia erscheinen nicht als Selbstzweck, sondern
auf Massenwirkung hinzielender Musikprodukte. Wie gesagt:
funktionieren in Übereinstimmung mit den durch das jeweilige
Ploners Symphonie stammt aus der Nachkriegszeit, sie orien­
Liedmaterial symbolisierten Gehalten. Trotz der viersätzigen
tiert sich aber eindeutig an Prämissen, die schon geraume
Anlage der Komposition ist eine Aufführung als Freiluftmusik
Zeit in Geltung waren. Es wäre daher viel zu kurz gedacht,
durchaus denkbar, auch die Einbindung einzelner Sätze in
würde man den ästhetischen Standort der Kompositionen
funktionelle Zusammenhänge ist unschwer vorstellbar.
nur aus dem nationalsozialistischen Diskurs heraus deuten.
An seinen eigenen Maßstäben gemessen – noch einmal sei
Ploner schreibt mit dieser Symphonie vielmehr eine Linie fort,
gesagt, dass die Diskussion der Komposition vor dem Hinter­
die sich abseits der Auseinandersetzung mit den Umwälzun­
grund der in der zeitgenössischen Musik damals erreichten
gen des ausgehenden 19. Jahrhunderts18 und unter völliger
Standards meiner Ansicht nach sinnlos ist – hat Ploner mit
Ablehnung sämtlicher moderner und gar avantgardistischer
der Symphonie in Es also so etwas wie ein Modellwerk vor­
Strömungen entwickelt hat und die sich in zahlreichen
gelegt. Die verwendeten kompositorischen Mittel korrelieren
musikalischen Hervorbringungen vergleichbar strukturierter
zur gleichsam programmatisch mitgeteilten inhaltlichen
Umgebungen in Mitteleuropa auffinden lässt. Dass jedoch
Ebene, die rein technischen Anforderungen machen das
die Realisierung dieser Prämissen zum Ausgangspunkt
Stück engagierten Laien relativ leicht zugänglich.
einer „neuen“ Strömung in der Tiroler und damit in der
Und tatsächlich hat Ploner – ob vor allem mit diesem Werk
österreichischen Blasmusik wurde, dürfte auch im Lichte der
oder schon mit seinen zitierten Forderungen – Nachfolge
zeitgeschicht­lichen Forschung eine interessante Feststellung
gefunden: Sepp Tanzers auch außerhalb Tirols bis heute
sein. In Ploners Symphonie manifestiert sich eine Kontinuität,
vielgespielte dreisätzige Programmsuite Tirol 1809 ist dafür
die – obwohl den Standards und Forderungen des National­
wahrscheinlich nur das bekannteste Beispiel. Die Einschät­
sozialismus bestens entsprechend – weit vor die NS-Jahre
zung der zweifellos zentralen Frage, wie weit die Inhalte
zurückreicht. Das zumindest die Originalblasmusikproduktion
sowohl von Ploners Symphonie wie von Tanzers Suite in
über die „Tiroler Schule“ hinaus geraume Zeit prägende
direkter Beziehung zur Südtirol-Problematik stehen und wie
Aufgreifen dieser Stilistik ist somit ein Stein im Mosaik des
stark die Tiroler Rezeption davon bestimmt war, traue ich
österreichischen Umgangs mit der eigenen Vergangenheit.
17
Die Repräsentanz des Themas in Ploners Schaffen ist aus dem Werkverzeichnis deutlich abzulesen, ich verweise lediglich auf Kompositionen wie
Trauernd Land, Das Land im Gebirge, Mahnung (Ein Südtiroler Chor).
18
Obwohl Suppan (vgl. Ders.: Komponieren für Amateure [wie Anm. 1], S. 68) Ploner und die sogenannte „Tiroler Schule“ „in der Tradition österreichi­
scher Symphonik zwischen Anton Bruckner einerseits und Joseph Marx und Franz Schmidt andererseits“ einordnet.
17
23
Abb. 1: Programm zu einem Konzert des Reichsgausymphonieorchesters im Rahmen des 7. Landesschießens 1944.
Zum Tiroler Musikleben in der NS-Zeit
Franz Gratl
Abstract
Man will von der Vergangenheit loskommen: mit Recht, weil
unter ihrem Schatten gar nicht sich leben läßt, und weil des
The paper presents a general overview of Tyrolean musical
Schreckens kein Ende ist, wenn immer nur wieder Schuld
life from 1938 to 1945. A “music letter” by an anonymous
und Gewalt mit Schuld und Gewalt bezahlt werden soll; mit
author, published in the South German newspaper “Dolo-
Unrecht, weil die Vergangenheit, der man entrinnen möchte,
miten” in 1945, is taken as a starting point; it provides
noch höchst lebendig ist.
valuable insight on the development of the local music
Theodor W. Adorno1
scene. The bourgeois concert circuit became less important
and its promoters came under the influence of NS organisa-
Der folgende Abriss des Tiroler Musiklebens in der NS-
tions, while the regime in  general and especially the local
Zeit kann und will keinem Anspruch auf Vollständigkeit
Gauleiter Franz Hofer favoured “folk culture” as a proper
genügen. Angestrebt wird vielmehr eine Darstellung, die
instrument for Nazi propaganda. The “Landestheater” was
dem Leser in konziser Form einen Einblick in die Entwick-
transformed into the “Reichsgautheater” and received
lungen und Organisationsstrukturen bietet, die Institutionen
special appreciation; theatre director Max Alexander
und handelnde Personen benennt. Gerade die Organisa-
Pflugmacher occupied important positions in the local
tionsstrukturen waren in der NS-Zeit bekanntlich verworren
cultural policy. The leading figures of the “Arbeitsgemein-
und oft genug schwer durchschaubar in ihrem konkreten
schaft Tiroler Komponisten” (1934–1938), Karl Senn and
Handlungsspielraum; ebenso standen die Institutionen
Josef Eduard Ploner, committed themselves to several
von Staat und Partei vielfach in Konkurrenz zueinander,
NS cultural projects. The regime reorganized musical educa-
was wiederum die Effi­zienz der einzelnen Dienststellen
tion and instrumentalised it for propagandistic purposes,
erheblich verminderte. Viele MusikerInnen nutzten die
connecting the educational system directly with sub-organi-
Konkurrenzsituation geschickt zu ihrem Vorteil. Michael H.
zations of the NSDAP. One of the most ambitious projects of
Kater formulierte es in seinem immer noch fundamentalen
Gauleiter Hofer was the installation of the Standschützen-
Werk „Die mißbrauchte Muse. Musiker im Dritten Reich“
verband, a mass organisation to promote “folk culture” –
so: „Die Gründe, warum es überhaupt zu einem Kompromiß
and ideological indoctrination. The Standschützenverband
zwischen Unterdrückung und Duldung kommen konnte,
also comprised the traditional wind bands, which were
waren das relative Unvermögen der Dienststellen, die
completely restructured under the rule of “Musikreferent”
zur Verwaltung der Musik im Regime eingerichtet wurden,
Sepp Tanzer.
und die fehlende Zusammenarbeit.“2 Viele Charakteristika
Adorno, Theodor W.: Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit, Radiovortrag 1959, schriftliche Fassung in: Adorno, Theodor W.: Eingriffe.
Neun kritische Modelle, Frankfurt am Main 1963, S. 125–146, S. 125. Mit der öffentlichen Sendung dieses Radiovortrages wurde die Ausstellung
„Tiroler Musikleben in der NS-Zeit“ im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum (23.11.2012–13.1.2013) beschlossen.
2
Kater, Michael H.: Die mißbrauchte Muse. Musiker im Dritten Reich, aus dem Amerikanischen von Maurus Pacher, München–Wien 1998, S. 34
[amerikanische Originalfassung: The Twisted Muse, New York 1997].
1
25
des Musiklebens im Gau Tirol-Vorarlberg zwischen 1938
ren Zug der Begeisterung und freudigen Stolzes. Dies alles,
und 1945 sind nicht spezifisch, sondern gelten für das
dieser Inbegriff idealer und auch realer Werte umschließt
ganze „Dritte Reich“; dennoch zeichnen sich hier, an der
das Tiroler Landesgefühl; durch den Frieden von 1919 aus
Südgrenze des Reiches, nicht wenige Besonderheiten ab,
seiner selbstzufriedenen, keinen Nachbarn bedrohenden
die einerseits dem besonderen Ehrgeiz einzelner handelnder
Beschaulichkeit aufgestört, in seinen Wurzeln bedroht, wird
Personen geschuldet sind, andererseits der spezifischen
es sich gleichwohl nicht mit jener Leichtigkeit in den Herzen
historischen Problematik: Südtirol betreffend gab es zum
seiner natürlichen Träger ertöten lassen, wie die Urheber
Beispiel eine frappierende Diskrepanz zwischen den Hoff-
rücksichtloser, natur- und kulturwidriger Eroberungspolitik
nungen der Bevölkerung und der Realpolitik des national-
wünschen mögen.3
sozialistischen Regimes. Dabei war die Südtirolproblematik
seit 1919 der Stachel im Fleisch national gesinnter Tiroler.
Die Nationalsozialisten instrumentalisierten genau dieses
Im „Tiroler Kalender 1934“, der vom Lehrer Hans Bator
idealisierte Bild Tirols und seiner eigensinnigen, stolzen
(Gründer und Obmann der „Ostmärkischen Sturmscharen“)
und wehrbereiten Bewohner, das hier in einem von natio-
und dem Komponisten Karl Senn, führenden Köpfen
nalem Pathos durchdrungenen Text aus der Zeit der austro-
des „Bruder-Willram-Bundes“, herausgegeben wurde,
faschistischen Diktatur (des „Ständestaates“) entworfen
finden sich auf Seite 19 in Fettdruck von Otto Stolz for-
wird.
mulierte „Merksätze für jeden Tiroler“, die ein beredtes
Zeugnis von der Bedeutung der Südtirolfrage geben und
zugleich das geistige Klima der 20er und 30er Jahre wider-
Ein aufschlussreicher „Musikbrief“
spiegeln:
Einige Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges
Tirol hat als Land und geschichtliche Gemeinschaft einen
und dem katastrophalen Untergang des „Dritten Reiches“
ganz besonderen Namen. Seit sieben Jahrhunderten auf der
erschien in der Südtiroler Tageszeitung Dolomiten am
Grenzscheide zweier großer Nationen aufgerichtet, ist das
16. Oktober 1945 ein „Innsbrucker Musikbrief“ eines noch zu
Land in allen Schicksalsstürmen des Erdteiles in besonderer
identifizierenden Verfassers „J. R.“. Innsbrucks Musikleben
Weise in Mitleidenschaft gezogen worden, es hat sich aber
wird darin ein neuer Aufschwung attestiert; in der Folge
da und sonst immer durch starken Eigenwillen und selbstän-
skizziert der Verfasser die Entwicklung der Innsbrucker
diges Handeln in Ehren behauptet. Die politische und soziale
Musikszene in der NS-Zeit mit dem Fokus auf das bürger­
Entwicklung Tirols geht unbeirrt durch das Beispiel der
liche Konzertwesen:
Nachbarn ihren besonderen Weg bodenständiger, urwüchsiger Volksfreiheit, gelangt zu gesunder Ausgleichung der
Wie auf vielen Gebieten des geistigen und kulturellen
Rechte und Pflichten zwischen den Ständen und Einzelnen.
Lebens der mittleren und kleinen Städte haben auch hier
Stammesart und Kultur nahmen hier auf dem eigenartigen
Dilettanten mit Parteiabzeichen die Führung an sich gerissen
Boden des Gebirgslandes ein besonderes Gepräge an. Reich
und die einst so angesehene Schule [Anm: des Musik­
an Gegensätzen erwuchs das Land dennoch zu einem Wirt-
vereins] […] herabgewirtschaftet. Damit entsprachen
schaftskörper von natürlicher Einheit. Und Naturschönheiten
die neuen Männer durchaus dem Wunsch des Gauleiters
einziger Art verleihen der Tiroler Heimatliebe einen besonde-
Hofer, der in einer Versammlung von Erziehern im Großen
3
Stolz, Otto: Land und Volk von Tirol im Werden des eigenen Bewußtseins und im Urteil älterer Zeitgenossen, in: Tiroler Heimat, Heft 3/4, 1923,
S. 5–38, hier zitiert nach Bator, Hans/Senn, Karl (Hg.): Tiroler Kalender 1934, S. 19.
26
Stadtsaal in Innsbruck auch über die Musikerziehung
staltung mit Freikarten herabgedrückt. Das Stammpublikum,
das Wort ergriff und öffentlich erklärte, er sei gegen die
das jahrzehntelang ständig die Symphonie- und Kammer­
klassische Musik und dagegen, dass die jungen Leute
konzerte besuchte, trat völlig in den Hintergrund oder war
Klavier, Cello, Geige, Harfe usw. lernten, sie sollten ge-
überhaupt nicht mehr zu sehen. Es war dies ein stiller Pro-
scheiter Blockflöte blasen, Ziehharmonika und ‘s Raffele
test gegen die Diktatur des Parteidilettantismus.
spielen lernen! Das allgemeine Musikniveau in Tirol
J. R.: Innsbrucker Musikbrief,
sollte nun von der H. J. bestimmt werden und nicht von
in: Dolomiten, 16. Oktober 1945, S. 2–3.
der „Unsterblichen Musik Deutscher Meister“. Daß unter
solchen Umständen ein pflichtbewusster Lehrkörper eines
Der Autor konstatiert hier – aus einem gewiss sehr subjek-
Konservatoriums einen schwierigen Stand hatte, war ein-
tiven Blickwinkel – einige Grundzüge des NS-Musiklebens
zusehen. Und so blieb dem letzten Direktor Fritz Weidlich,
in Tirol:
einem erprobten und vielseitigen Musiker, dessen Tätigkeit und Einfluß man systematisch zu untergraben suchte,
nichts anderes übrig, als zurückzutreten, um wenigstens
1) Die Schlüsselpositionen übernahmen willfährige Parteisoldaten mit oft geringem Können.
seine Standesehre als Musiker zu retten. In der Leitung des
2) Die finanzielle Ausstattung war unmittelbar nach dem
Musikvereinsorchesters folgte ihm ein aus Süddeutschland
Anschluss üppig, wenn die Musik den Zweck erfüllte,
herbeigeeilter „alter Kämpfer“, ein blutiger Dilettant, der
von seiner Aufgabe im besten Falle nur eine blasse Ahnung
hatte. Herr und Meister des Theater- und Konzertlebens
aber wurde ein Intimus des Gauleiters, der auch in Bozen
hinlänglich bekannte I. M. Pflugmacher, der zum Intendanten des Gautheaters bestellt wurde. Da anfänglich zur
den Nationalsozialismus zu verherrlichen.
3) Die „ernste Musik“, d. h. in diesem Fall der bürgerliche
Konzertbetrieb, verlor an Bedeutung.
4) Die Kirchenmusikpflege wurde starken Beschränkungen
unterworfen.
5) Die kulturpolitische Ausrichtung wurde von Gauleiter
Verherrlichung des Nationalsozialismus Geld überhaupt
Hofer vorgegeben und war sehr stark von seiner Intention
keine Rolle spielte, ließ es sich Herr Pflugmacher nicht
geprägt, Tirol-Vorarlberg zu einer Musterregion innerhalb
zweimal sagen, um von dieser These überreichen Gebrauch
des Deutschen Reiches zu machen.
zu machen. Unter solchen Voraussetzungen war es nicht
schwierig, Erfolge zu erringen und so läßt sich auch nicht
leugnen, dass im Stadttheater oder Gautheater, wie es nun
Das bürgerliche Konzertwesen
hieß, eine Reihe beachtlicher Aufführungen über die Bretter
gingen. Auch in Bezug auf die Ausstattung ließ man sich’s
Gauleiter Franz Hofer verfolgte mit großem Eifer das Ziel
etwas kosten. Pflugmacher war übrigens der Mann, der die
einer Neuausrichtung des gesamten kulturellen Lebens
Messkleider und Ornate aufgehobener Klöster zu Kostü-
mit besonderer, auch seinem persönlichen Geschmack
men von Operettendivas „umbauen“ ließ und als oberster
entsprechender Betonung der „Volkskultur“. So lässt sich
Musikdiktator im Gau den Orchestermusikern die Teilnahme
der vom Autor des „Musikbriefes“ konstatierte Niedergang
an kirchenmusikalischen Diensten verbot, wodurch die
des traditionellen bürgerlichen Konzertbetriebes erklären:
Aufführung einer großen Zahl berühmter Meisterwerke, die
Speziell gefördert wurden nun Veranstaltungen und Werke,
der Innsbrucker Pfarrkirchenchor in seinem Repertoir hatte,
in denen vordergründig Heimatliches, Tirolisches in den
unmöglich gemacht wurde.
Mittelpunkt gerückt wurde. Die Hinwendung vieler Tiroler
Das Konzertleben aber, der wahre Prüfstein für das Musik­
Komponisten zu Themen aus der Tiroler Geschichte, von
leben einer Stadt, verlor fast vollständig seine traditionelle
Oswald von Wolkenstein bis zu Andreas Hofer, steht damit
Basis und wurde mehr oder minder zu einer K. d. F.-Veran-
in Zusammenhang und darf keineswegs als Ausdruck
27
bloßer Heimatverbundenheit missverstanden werden4 –
Innsbruck 1974) 1939 nach Innsbruck berufen. Pflugmacher
die Komponisten ordneten sich damit dem kulturpoliti-
war im Gegensatz zu Ratjen als Musiker wenig bedeutend
schen Programm unter, das letztlich auf eine umfassende
und trat primär als Operetten- und Filmmusikkomponist
„Umformung“ im Sinne des Nationalsozialismus und einen
hervor, verfügte aber über ein besonderes Naheverhältnis
chauvinistischen, von völkischer Ideologie und Rassentheorie
zu Gauleiter Hofer. Der willfährige Partei­genosse Pflug-
beeinflussten Tirolkult hinauslief. Nach dem „Anschluss“
macher sicherte sich mit den Posten des „Lande­leiters
gab es in Bezug auf den bürgerlichen Konzertbetrieb
der Reichsmusikkammer Gau Tirol-Vorarlberg“ und des
zunächst keinen wirklichen Bruch – sieht man von den
Gaubeauftragten für Musik mit vielfältigen Aufgaben6 eine
offenbar nicht als Bruch erlebten „Säuberungen“ im Zuge
herausragende Position im regionalen NS-Kulturleben.
des „Anschlusses“ ab: Das Orchester des Musikvereins
Die vom Verfasser des „Musikbriefes“ an die Dolomiten
stand weiterhin unter der Leitung von Fritz Weidlich (Wien
konstatierten Entwicklungen in Bezug auf das Konzertleben
1898 – Innsbruck 1952). Aber schon unmittelbar nach dem
lassen sich tatsächlich aus den vorhandenen Konzert-
Anschluss wurden Pläne entwickelt, die auf die Auflösung
programmen ablesen: Als Veranstalter der traditionsreichen
des Musikvereins zielten. 1939 löste eine Konzertgemeinde
Symphoniekonzerte wurde der Musikverein zunächst von
den Musikverein als Träger der Symphonie- und Kammer-
der „Konzertgemeinde der Stadt Innsbruck“ und schließ-
konzerte ab, was zusammen mit der Einrichtung der
lich ganz von der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“
„Musikschule für Jugend und Volk“ und der Umwandlung
(einer Unterorganisation der „Deutschen Arbeitsfront“)
der Schule des Musikvereins in die „Musikschule der Gau-
abgelöst.
hauptstadt Innsbruck“ faktisch einem Ende der traditions­
„Meisterkonzerte“ organisierte die „Konzertunternehmung
reichen Institution Innsbrucker Musikverein (gegründet
Johann Groß“ – hier fand also die Leitung der führenden
1818) gleichkam, das durch einen Erlass des Gauleiters
Innsbrucker Musikalienhandlung ein weiteres Betätigungs-
1941 besiegelt wurde.5 Der Dirigent des Opernorchesters
feld (nebst dem Handel mit Noten und Instrumenten, dem
Hans-Georg Ratjen leitete 1939 erstmals das Musikvereins­
Betrieb eines eigenen Musikverlages und einer Reparatur-
orchester, Weidlich fungierte bei diesem Konzert als Klavier­
werkstätte für Instrumente).
solist. Ratjen sollte wohl als bereits profilierter Musiker
Fritz Weidlich sah sein Betätigungsfeld zunehmend einge-
Weidlich Konkurrenz machen und wurde auf Betreiben des
schränkt und ging daher zunächst 1942 nach Lemberg, dann
zunächst stellvertretenden und später leitenden Theater-
1943 nach Pressburg. Pflugmacher als „graue Eminenz“
intendanten Max Alexander Pflugmacher (Innsbruck 1903 –
und Ratjen als dessen Schützling verdrängten Weidlich
Hermann Josef Spiehs etwa sieht in der Hinwendung zu tirolischen Themen bei Josef Eduard Ploner eine Reaktion auf dessen zunehmende Enttäuschung in der NS-Zeit: „Ja er vertiefte und versteifte sich nach dem kulturellen Debakel nur noch mehr auf sein Tirolertum […]“; vgl. Spiehs,
Hermann Josef: Josef Eduard Ploner – Ein Tiroler Komponist (Schöpferisches Tirol, 5. Folge), Innsbruck 1965, S. 65. Manfred Schneider folgt in
den drei Auflagen des Booklets zur CD-Produktion „Klingende Kostbarkeiten aus Tirol 74“ (Institut für Tiroler Musikforschung 2011) mit Werken
von Josef Eduard Ploner in historischen Aufnahmen aus dem ORF Tirol vielfach unkritisch den Ausführungen von Spiehs; auch er sieht in der kompromisslosen „Heimatliebe“ Ploners den primären Grund für die Wahl von Themen aus der Tiroler Geschichte, selbst wenn es sich um (Auftrags-)
Werke aus der NS-Zeit handelt; ähnliche Tendenzen finden sich auch in: Herrmann-Schneider, Hildegard: Die klangliche Inszenierung des Mythos
Tirol. Tiroler Komponisten des 20. Jahrhunderts und ihre Hommage an das Land im Gebirge, Vortrag vom 3. Dezember 2011 in Wien auf der Jahrestagung Synthese Österreich der Österreichischen Gesellschaft für Musikwissenschaft in Kooperation mit der Kommission für Musikforschung der
Österreichischen Akademie der Wissenschaften, im Internet unter http://www.musikland-tirol.at/musikgeschichten/die-klangliche-inszenierungdes-mythos-tirol.php (Zugriff 8/2013).
5
Steiner, Wolfgang: Musikverein / Konservatorium / Musikschule 1938–1945, in: Steiner, Wolfgang im Auftrag des Tiroler Landeskonservatoriums
(Hg.): 175 Jahre Musikverein – Musikschule – Konservatorium in Innsbruck, S. 87–91, S. 87.
6
Pflugmacher war 1939 Inhaber eines Flüchtlingspasses und SA Obertruppenführer; folgende Funktionen übte er aus: „Leitung Gaupropaganda,
Musik-Beauftragter, Leiter der R[eichs]M[usik]K[ammer]-Stelle, Dienst in der Gauleitung“ (Tiroler Landesarchiv, Parteistatistisches Erhebungsblatt
vom 6.9.1939).
4
28
zunehmend aus seinen Betätigungsfeldern. Es waren also
eher Konkurrenz und Intrigen unter Kollegen, keineswegs
politische Gründe, die zu diesem Abgang führten. Weidlich
verfügte vielmehr über erstklassige Kontakte zu Parteifunktionären, die er zum Beispiel in Lemberg glänzend zu nutzen
verstand, wo er im Übrigen die Wohnung vertriebener Juden
bezog, wie er dem Komponisten Emil Berlanda in Innsbruck
stolz berichtete:
Dafür erzählte er [Weidlich] mir [Berlanda], der sich als durch
Pflugmacher aus Innsbruck hinausgeworfen betrachtete,
dass er in Lemberg ausgezeichnet lebe und mit ausreichenden Lebensmittelzulagen versorgt wäre, in der Villa eines
vertriebenen Juden komfortable wohne und dass er bereits
einen einflussreichen Kreis von Freunden und Bewunderern
seiner Kunst versammle, der bis über Krakau hinaus reiche,
wo er sich öfters zeige und dort ein gerngesehener Gast bei
höchsten Funktionären der Partei sei …7
Nach Weidlichs Abgang wirkten vor allem Pflugmacher
selbst und Ratjen als Dirigenten, das Repertoire umfasste
primär den klassisch-romantischen Kanon – bis zum Ende
des regulären Konzertbetriebes 1944. Ein neues, national-
Abb. 2: Programm zu einem „Meisterkonzert“, veranstaltet von der
„Konzertunternehmung Johann Groß“.
sozialistischen Vorstellungen konformes Repertoire, neue
Formen der Konzert- und Feiergestaltung entwickelten sich
primär abseits des herkömmlichen bürgerlichen Konzert­
schießen“. In dessen Rahmen fanden vielfältige kulturelle
betriebes im Kontext etwa von Parteiveranstaltungen und
Veranstaltungen statt, so auch Konzerte. 1943 fanden
der Musikausbildung. 1942 wird Josef Eduard Ploners Kan-
im Rahmen des vierzehntägigen „6. Landesschießens“
tate „Das Land im Gebirge“ op. 109 über einen von Blut- und
(3.–18. Juli) „NS-Kulturtage“ und ein Wertungsspiel der
Boden-Ideologie durchdrungenen Text von Josef Georg Ober-
Hitlerjugend statt, die Veranstaltung war weiters mit einer
kofler im Rahmen einer „Feierstunde der Heimat“ im Inns-
Schulungs­woche für Musiklehrer verbunden (mit den Refe-
brucker Stadtsaal unter dem Ehrenschutz des Gauleiters (und
renten Wilhelm Ehmann, Professor für Musikwissenschaft
Widmungsträgers von „Das Land im Gebirge“) aufgeführt.
an der „Alpenuniversität“ Innsbruck, und Toni Grad, Leiter
Es war mit großer Wahrscheinlichkeit Ploner selbst, der
der Gaumusikschule), das „Reichssymphonieorchester“
diese Feierstunde, eine Form der Konzertgestaltung ganz im
konzertierte in Innsbruck; im Rahmen des 6. und 7. Landes­
Sinne der Machthaber mit „volkskultureller“ Ausrichtung,
schießens fanden Brauchtumsabende und Feierstunden
konzipierte. Zur zentralen Partei-Propagandaveranstaltung
statt, in denen Ploners Konzept der „Feierstunden der
im Gau Tirol-Vorarlberg entwickelte sich das „Tiroler Landes-
Heimat“ aufgegriffen und weiterentwickelt wurde.
7
Berlanda, Emil: Autobiographie, Typoskript (Kopien in TLMF, Bibliothek), S. 274.
29
Abb. 3: Programm zu einer „Feierstunde der Heimat“ im Rahmen des 6. Landesschießens 1943.
30
Die Rolle der Protagonisten der
allen Kunstarten ist die Tonkunst die blutbedingteste. Wenn
„Arbeitsgemeinschaft Tiroler Komponisten“
Politik werdende Geschichte ist und Geschichte letzten Endes
in der NS-Zeit
die durch die Politik in die Tat umgesetzte Welt­anschauung,
so stehen auch die echte und wahre Kunst als aus einer
Die „Arbeitsgemeinschaft Tiroler Komponisten“ (ATK) for-
Weltanschauung geboren mit der Geschichte in ständiger
mierte sich 1934. Vordergründig ging es den Protagonisten
Wechselwirkung, d. h., die Geschichte als tatgewordene
darum, den heimischen Komponisten eine stärkere Position
Weltanschauung bedingt die Kunst und nicht umgekehrt.
im Musikleben zu verschaffen. Obwohl laut Statut angeblich
Die demokratisch-liberalische Formel, daß die Kunst mit der
unpolitisch, waren führende Mitglieder der ATK schon in der
Politik in keinem Zusammenhang stehe oder zu stehen habe,
Verbotszeit der NSDAP beigetreten, etwa Karl Senn und Josef
ist genau dieselbe Heuchelei und Tat­sachen­verdrehung wie
Eduard Ploner. Vor allem letzterer trat im Rahmen von ATK-
die Formel von der „absoluten Musik“ an sich: denn Musik
Sitzungen immer wieder mit antisemitischer Agitation hervor.
für sich allein gibt es in der Auswirkung auf die Menschheit
Die ATK organisierte oder initiierte eine Reihe von Aufführun-
ebenso wenig, als eine Kunst, eine Welt­anschauung, eine
gen der Kompositionen ihrer Mitglieder in Tirol, knüpfte aber
Politik, eine Geschichte für sich selbst gibt. Diese Tatsachen
darüber hinaus intensive Kontakte zum Deutschen Reich. Als
stehen auf dem Boden der Natur­gesetze und damit auf dem
der „Anschluss“ kam, entwickelten die Mitglieder der ATK und
gottgeschaffenen Grundsatz von „Blut und Boden“, da ja auch
wiederum allen voran Ploner eine hektische Aktivität. Ploner
die Naturgesetze göttlichen Ursprungs sind. Die blutleeren
und Senn verfassten im Kontext der inszenierten Anschluss-
und naturwidrigen Formeln der demokratisch-liberalistischen
Volksabstimmung vom 9. April 1938 propagandistische
Zeit stammen alle von Juden oder Judenknechten. In der
Schriften bzw. Kompositionen; Berlanda schrieb ein Lied zum
Tonkunst schaffte besonders die vom einst allmächtigen
Geburtstag des Führers, das er an die Reichskanzlei sandte.
Wiener Musikpapst Eduard Hanslick geschaffene Formel der
Offenbar waren die drei bis dahin „zu kurz Gekommenen“
„absoluten Musik“ – also einer Musik um ihrer selbst willen
hektisch darum bemüht, nun jene Positionen zu besetzen, die
– viel Verwirrung. („Vom musikalisch Schönen. Ein Beitrag
ihnen vorher vorenthalten worden waren. Die ATK wurde von
zur Revision der Aesthetik der Tonkunst.“ Erschienen 1854.)
den Nationalsozialisten aufgelöst. Nicht, weil sie etwa nicht
Hand in Hand damit ging dann die Vernebelungslehre „keine
regimekonform agiert hätte, sondern im Zuge der Auflösung
Politik in der Kunst“! Somit leisteten alle diese Verdrehungen
aller nach österreichischem Recht bestehenden Vereine. Eine
und Unwahrheiten der aus dem Judenblute stammenden
Neugründung wurde nicht erwogen – die Voraussetzungen
demokratisch-liberalistischen Weltanschauung die zugedach-
hatten sich ja grundlegend geändert, nun war endlich der
ten Handlangerdienste, womit also auf die scheinheiligste
politische Wechsel gekommen, den man so sehr erhofft hatte.
Weise gerade die Kunst für die Politik ausgenützt werden
Ploners begeisterte Reaktion auf den „Anschluss“ ist ein poli-
konnte. Daß der deutsche Mensch in seinem Fühlen, Denken
tisches Pamphlet, in dem sein völkischer Antisemitismus und
und Handeln sich nun wieder von diesen trugvollen Lehren
sein Antimodernismus Ausdruck finden:
befreit und zu seinem artgemäßen Leben und seiner Kultur
zurück­gefunden hat, verdankt er der Tat Adolf Hitlers. Diese
Weltanschauung und Tonkunst.
Befreiung verlangt als Dankabstattung die letzte Hingabe
Zum Wirken des „Innsbrucker Kammerchores“
von jedem volksbewußten Deutschen innerhalb seines Wirkungskreises; von dem musikalisch begabten und tätigen
Jede echte und wahre Kunst ist weltanschaulich bedingt.
Volksgenossen daher sein bestes Wirken im Dienste der
Weltanschauungen gründen sich nicht nur auf das Denken
natio­nalsozialistischen Weltanschauung.
und die Vernunft, sondern auch auf das Gefühl. Dieses ist
Der „Innsbrucker Kammerchor“ hat seit seiner Gründung
wieder in einem besonderen Maße rassisch bedingt. Von
immer volksverbundenen Zielen gedient. Sein Eintreten für
31
die alten deutschen Meister in den Nachkriegsjahren war
schaft der Komponisten“ in der Reichskulturkammer für Tirol
schließlich nichts anderes als ein kulturelles Kämpfen gegen
aus – eine Funktion, die nur Sinn ergibt, wenn Österreichs
die verschiedensten jüdischen Ismen (Atonalismus, Inter-
Souveränität negiert und der „Anschluss“ angestrebt wird –
nationalismus, Dadaismus, Bolschewismus, Primitivismus,
und wurde daher in der NS-Zeit als „alter Kämpfer“ aner-
Jazz-Bandismus und wie sie alle hießen und im geheimen
kannt. Ploner war nicht nur Mitglied zahlreicher NS-Partei­
auch bei uns noch heißen).
organisationen, sondern stand auch in der persönlichen Gunst
Das bewusste Sichhinwenden zu einer immer planmäßig­eren
des Gauleiters. Er brachte sich in der NS-Zeit ideologisch
Pflege der zeitgenössischen und heimischen Tonkunst ver-
engagiert als Komponist, Organisator und Pädagoge außer­
schiedener Zeiten geschah aus der Erkenntnis der alleinigen
ordentlich vielfältig ein. Im Gegensatz zu Karl Senn bekleidete
Wertigkeit der nationalsozialistischen Welt­anschauung. Mit
er kein hohes Amt im kulturpolitischen System, war aber
treuer Hingabe und vielen Opfern wurde für diese Zielsetzung
nichtsdestotrotz das bei weitem aktivste Ex-Mitglied der
gearbeitet. Die Zeiten der Drosselung und Knebelung sind
Arbeitsgemeinschaft Tiroler Komponisten – und bis zum Ende
nun gottlob vorbei. Nun will sich der „Kammerchor“ mit neuer
(und darüber hinaus9) linientreu, wie seine ohne Auftrag und
Tatkraft der Erreichung seines Zieles widmen und will seine
in einem privaten Rahmen geschriebenen „Aufmunterungs-
durch Abwanderung und Flucht gelichteten Reihen auffüllen,
Lieder“ für den „Volkssturm“ von Ende 1944 belegen.
um damit auf seinem Gebiet mitzuhelfen an der seelischen
Karl Senn (Innsbruck 1878 – Innsbruck 1964) war eine Gene-
Untermauerung unseres Volkes. Er will mit erneuter Arbeits-
ration älter als die meisten Mitglieder der ATK, deren Grand-
freude das gemischtchörige Musikgut weiterpflegen, einge-
seigneur und wohl profiliertester Komponist. Im gleichen
denk der Tatsache, daß auch die Kunst der Weltanschauung
Maß, wie Senns weltanschauliche Positionierung um 1930
zu dienen hat, den: „Kein Volk lebt länger als die Dokumente
eine Radikalisierung erfuhr, wandte er sich kompositorisch
seiner Kultur.“ Um dieses Wort Hitlers auch für unsere Zeit
von seiner vergleichsweise progressiven Haltung ab. Senn
wahr machen zu können, richtet der Kammerchor an alle
intensivierte zunächst seine Kontakte zum konservativ-
kulturell verantwortungsbewußten und sangeskundigen
klerikalen, tiroltümelnden, antisemitischen Bruder-Willram-
Volks­genossen die Aufforderung zur ernsten und freudigen
Bund und wandte sich früh dem Nationalsozialismus zu. Am
Mitarbeit, damit schon der für den Sommer geplanten Werbe-
1. Mai 1933 wurde er Mitglied der NSDAP. Senn trug zwar
fahrt ins Altreich ein voller Erfolg beschieden sei.
die Aktivitäten der ATK mit, tat sich aber nicht selber mit
Die Singabende finden derzeit sowohl für Frauen- als auch
Pamphleten oder programmatischen Schriften hervor. Nach
für Männerstimmen jeden Donnerstag ab 20 Uhr im Zimmer
dem „Anschluss“ ließ er als seinen Beitrag zur NS-Volks-
18 des Musikvereinsgebäudes statt. Neuanmeldungen
abstimmungs-Propaganda ein Lied „Ein Volk, ein Reich, ein
können dort und außer dieser Zeit bei den Chormitgliedern
Führer“ abdrucken; an der vom „Stellvertretenden General-
gemacht werden.
kommando XVIII AK“ herausgegebenen Publikation „Im gleichen Schritt und Tritt – Liederbuch ostmärkischer Soldaten“
Josef Eduard Ploner (Sterzing 1894 – Innsbruck 1955) war
(München 1941) arbeitete er mit und steuerte einschlägige
schon am 17. Mai 1933 der NSDAP beigetreten.8 1937, in der
Lieder bei. Seit 1940 ist er als „Leiter der Fachschaft Kom-
Verbotszeit, übte er das Amt des „Schulungsleiters der Fach-
ponisten in der Reichsmusikkammer, Gau Tirol/Vorarlberg“
Die folgenden biographischen Angaben zu Josef Eduard Ploner beruhen zum Teil auf Ausführungen des Historikers Michael Wedekind, die wohl als
„Vorausversion“ des Gutachtens zu sehen sind, das von der Kulturabteilung des Landes Tirol in Auftrag gegeben wurde und derzeit (8/2013) noch
nicht zur Gänze vorliegt; hier zitiert nach http://www.musikland-tirol.at/ARGE-NS-Zeit/ploner/index.html (Zugriff 8/2013).
9
Vgl. die nazistischen Chiffren in der „Symphonie in Es“ (1951), siehe dazu: Brenner, Helmut: Wach auf, wach auf, du deutsches Land. Metamorphosen eines Liedes im politisch-historischen Kontext, in: Habla, Bernhard (Hg.): Festschrift zum 60. Geburtstag von Wolfgang Suppan, Tutzing 1993,
S. 83–106, insbesondere S. 101–103.
8
32
Abb. 4: Josef Eduard Ploner, Tiroler Volkssturm 1944, Autograph Tarrenz, Oktober 1944, TLMF, Musiksammlung.
33
nachweisbar. Obwohl er dieses hohe kulturpolitische Partei-
„Sängervereinigung Wolkensteiner“ hatte er bereits vielfäl-
amt ausübte, schuf er keine Werke für NS-Feiern.
tige Kontakte zu Ploner und Senn geknüpft. Auch ideologisch
Emil Berlanda (Kufstein 1905 – Innsbruck 1960) war weder
war man sich einig – Kanetscheider trat schon im April 1933
ideologisch besonders engagiert, noch bekleidete er ein
der NSDAP bei; in der ATK gab es allerdings immer wieder
bedeutendes musikpolitisches Amt. Berlanda bemühte sich
Differenzen, die im Austritt Kanetscheiders 1937 gipfelten.
schon in den 30er Jahren intensiv um Aufführungen seiner
In der NS-Zeit entfaltete Kanetscheider ein vielfältiges
Werke – auch mit Hilfe der ATK, deren loyales Mitglied und
Wirken: Er engagierte sich in der NSV (Nationalsozialistische
Schriftführer er wurde. Aber Berlanda legte zum Beispiel im
Volkswohlfahrt), war Mitglied im Reichsluftschutzbund, in
Gegensatz zu Ploner und Senn nicht 1937 in der Ordination
der Reichskulturkammer (Gaureferent beim Gaukulturwart)
des Arztes, Lyrikers und Kritikers und „Beauftragten des
und im Nationalsozialistischen Lehrerbund, dem er als
Nationalsozialistischen Kulturbundes“ Dr. Siegfried Ost­
Stützpunktleiter diente.11 Als Gausachbearbeiter für Musik­
heimer den Eid auf Hitler ab, sondern berichtet darüber nur
erziehung arbeitete er führend an der ideologisch ausgerich-
in seiner Autobiographie:
teten Neugestaltung des Musikunterrichtes.
Ein weiteres Mitglied der ATK, Peter Marini (Brixen 1878 –
Die Anwesenheit Dr. O s t h e i m e r s als Beauftragter des
Hall in Tirol 1954), war mit seinen kirchlichen Vokalwerken,
Nationalsozialistischen Kulturbundes bei der Sitzung vom
komischen Bühnenwerken, Chor- und Sololiedern nur mäßig
1. Juli 1937 brachte die erste Bindung der ATK und einiger
erfolgreich, muss aber über gute Kontakte zur Gauleitung
ihrer Mitglieder (Senn, Ploner, Marini, Kanetscheider Riester
verfügt haben, sodass ihm nach dem Anschluss die Leitung
u. mir) an die NSDAP. Dies besonders deshalb, weil eine
der Fachschaft Komponisten in der Reichsmusikkammer des
Verbindung mit der Reichskultur(Reichsmusik)kammer für
Gaus Tirol-Vorarlberg übertragen wurde, eine Funktion, die
Aufführungen im Reich unerläßlich geworden war. Senn und
später – wann genau und warum, ist noch ungeklärt – Karl
Ploner als besonders völkisch-orientierte Mitglieder der ATK
Senn übertragen wurde.
wurden noch im Juli in der Ordination Dr. Ostheimers auf
Albert Riester (Innsbruck 1905 – Innsbruck 1975) war als
den Führer Adolf Hitler vereidigt.10
Komponist weniger erfolgreich, umso mehr als Musiker (Harfenist) und Kritiker für zahlreiche Zeitungen, in der NS-Zeit
Das Drängen in die musikalische Öffentlichkeit war wohl Ber-
zum Beispiel immer wieder für das Parteiorgan der NSDAP,
landas primärer Impetus, auch in der NS-Zeit. Er komponierte
den „Völkischen Beobachter“. 1937 unternahm er eine Kon-
in dieser Zeit besonders viele, auch großangelegte Werke, die
zertreise nach Deutschland, in deren Verlauf er für die ATK
erfolgreich aufgeführt wurden. Sein Lied zum Geburtstag des
wichtige Kontakte im Reich knüpfte. In der NS-Zeit entfaltete
Führers, das er an die Reichskanzlei sandte, blieb allerdings
Riester eine umfangreiche Konzerttätigkeit, die auch Kamerad­
ein Einzelfall als Versuch einer Anbiederung, ansonsten kom-
schaftsabende des NS-Lehrerbundes, Schulungsabende für
promittierte er sich weit weniger als beispielsweise Ploner.
Musikerzieher und Konzerte an der Westfront umfasste.12
Artur Kanetscheider (Innsbruck 1898 – Kramsach 1977) war
Der Chordirektor der Innsbrucker Stadtpfarrkirche, Karl Koch
bereits ein anerkannter Chorleiter und machte sich zuneh-
(Biberwier 1887 – Innsbruck 1971), war ebenso Mitglied der
mend als Komponist einen Namen, als er der ATK beitrat.
ATK wie der Leiter des Chores des Augustiner-Chorherren-
Als Leiter des „Deutschen Männergesangsvereins“ und der
stiftes Neustift, Josef Gasser (Lienz 1873 – Neustift 1957).
Berlanda: Autobiographie (wie Anm. 7), S. 206.
Tiroler Landesarchiv, Parteistatistisches Erhebungsblatt 28.06.1939.
12
Eine umfangreiche Sammlung von Programmzetteln, Fotografien und Zeitungsberichten aus dem Nachlass von Albert Riester befindet sich in TLMF,
Bibliothek, FB 137591 (vormals TLMF, Musiksammlung, ohne Signatur).
10
11
34
Abb. 5: Karl Senn: „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“, Anschluss-Lied, aus: Neueste Zeitung, 2.4.1938, Beilage „Lebendiges Tirol“, S. 8.
35
Beide Komponisten wirkten primär im kirchlichen Umfeld;
Geld – 150.000 Reichsmark, floss in eine großzügige Erwei-
Koch erhoffte sich durch die ATK sicher Aufführungen seiner
terung der Kapazität des Hauses durch Umbaumaßnahmen
Werke, engagierte sich aber viel weniger im Verein und
und eine erhebliche personelle Vergrößerung des Orchesters.
wurde daher sogar mehrfach ermahnt. Gasser war mit Plo-
Mit der Saison 1939/40 wurde das Theater direkt der Gau-
ner befreundet und hoffte wahrscheinlich ebenso auf eine
leitung unterstellt und in „Tiroler Landestheater Innsbruck“
verstärkte Rezeption seiner Werke. Kochs Wirken erfuhr in
umbenannt. Der bisherige stellvertretende Intendant Max
der NS-Zeit empfindliche Einschränkungen, eine Nähe zur
Alexander Pflugmacher übernahm von Hellwig die Leitung.
NS-Ideologie ist bei ihm nicht festzustellen und bei seiner
Begeistert kündigt er im Vorwort zum Spielzeitheft 1939/40
katholischen Prägung nicht anzunehmen. Ähnliches gilt für
die Umbenennung und Neuausrichtung des Landestheaters
Gasser, der allerdings von Ploners Engagement immer wie-
an, das 1942 noch einmal einen neuen Namen (Reichsgau-
der brieflich informiert, auch quasi indoktriniert wurde und
theater des Reichsgaues Tirol-Vorarlberg) erhalten sollte:
den Kontakt aufrecht erhielt.13
Im zweiten Jahr nach der Wieder-Vereinigung der Ostmark
mit dem Altreich tritt die Bühne der Tiroler Gauhauptstadt
Musiktheater
als T i r o l e r L a n d e s t h e a t e r I n n s b r u c k ins
Leben. Damit kennzeichnet sich der mit der allgemeinen Auf-
Unmittelbar nach dem Anschluss – bis zur Saison 1940/41 –
wärtsentwicklung Hand in Hand gehende Fortschritt einer
unterstand das Theater noch der Stadt Innsbruck, die als
arteigenen und volksgemäßen Kunstpflege, die nach dem
Ersatz für den angeblich politisch nicht „zuverlässigen“ Fer-
Willen des Führers durchgeführt wird.17
dinand Skuhra den gebürtigen Wiener Robert Hellwig nach
14
Innsbruck berief. Es gab wohl auch hier einen persönlichen
Bis zur Schließung 1944 prägten in Hinblick auf das Musik­
Konflikt oder eine Konkurrenzsituation, denn Skuhra war ein
theater zwei Schwerpunkte den beeindruckend vollen Spiel-
überzeugter Nationalsozialist, wie er in seiner Bewerbung
plan des Landestheaters: Die leichte Muse, die Operette auf
für die Intendantenstelle in Klagenfurt vom 23.6.1938 klar-
der einen Seite und die Pflege großer klassisch-romantischer
stellte. Hellwig war ausgebildeter Sänger und vor seiner
deutscher und italienischer Opern von Mozart über Beet­hoven,
Innsbrucker Zeit länger in Wilhelmshaven als Theaterleiter
Weber, Verdi und Puccini bis Strauss (der einer Salome-
tätig. Gemeinsam mit seinem Stellvertreter Max Alexan-
Aufführung im Oktober 1940 persönlich beiwohnte) auf der
der Pflugmacher machte er sich daran, „eine der ältesten
anderen Seite. Dazu kamen Historiendramen, in denen
Bühnen des deutschen Kulturraumes vor dem drohenden
Themen aufgegriffen wurden, die in das Kultur­programm
Verfall zu bewahren und den Wiederaufbau in die Wege zu
des Regimes passten und durch Schauspiel­musiken The-
15
leiten“ , ausgestattet mit einer außerordentlich hohen finan-
men­relevanz erhielten, etwa Josef Wenters „Michel Geis-
ziellen Zuwendung des Reichspropagandaministeriums. Das
meir“ [sic] mit Musik von Josef Eduard Ploner (1940);
16
Vgl. die profunde Arbeit zu Gasser von Michael Chizzali: „Ich bin 100 Jahre zu spät geboren“: Studien zum weltlichen Musikschaffen des Tiroler
Komponisten Josef Gasser (1873–1957), Diss., Innsbruck 2012. Auf S. 37 zitiert Chizzali aus Briefen Ploners an Gasser, die Ploners fanatischen
Antisemitismus und seine überzeugte nationalsozialistische Haltung belegen.
14
„Skuhra war dem neuen Regime nicht genehm.“ Siehe Höller-Herzog, Theresia: Musiktheater im Tiroler Landestheater in Innsbruck im 20. Jahrhundert, in: Drexel, Kurt / Fink, Monika (Hg.): Musikgeschichte Tirols II (= Schlern-Schriften 344), Innsbruck 2008, S. 467–479, S. 472, Fußnote 16.
15
Siehe Sienčnik, Nataša: Theater an der Grenze. Kulturpolitik im Nationalsozialismus – Funktion und Aufgabe des Kärntner Grenzlandtheaters als
„Träger und Künder deutscher Kultur“ (1938–45), Seminararbeit WS 2011/12, im Internet unter http://www.natasasiencnik.com/updata/Siencnik,
%20N.%20Theater%20an%20der%20Grenze%20[2012]%20web.pdf (Zugriff 8/2013).
16
Deutsche Volkszeitung, 28. Juni 1938, S. 8.
17
Tiroler Landestheater Innsbruck, Spielzeitheft 1939/40, Vorwort.
13
36
Abb. 6: Aus einem Programmheft des „Reichsgautheaters“.
37
dieses Drama eröffnete 1940 das „3. Tiroler Landesschießen“,
(Stammführer), der nach Gründung des Standschützenverban-
eine vom Standschützenverband getragene NS-Propaganda-
des für diesen als Kompanieführer tätig war und zahlreichen
veranstaltung. Noch 1944 war eine Aufführung von Richard
Parteiorganisationen angehörte (Deutsche Arbeitsfront,
Strauss’ „Rosenkavalier“ möglich. Die Erweiterung des
Nationalsozialistische Volkswohlfahrt, Reichsluftschutzbund,
Fassungs­vermögens des Landestheaters zielte nicht zuletzt
Reichskulturkammer, Volksbund für das Deutschtum im Aus-
darauf ab, breitere Schichten der Bevölkerung ins Theater zu
land).18 Fritz Engel war weiters Gaukulturhauptstellenleiter19,
bringen, in erster Linie im Rahmen von Aktionen der Gemein-
Mitglied im Gauausschuss für Volksmusik im Gau Tirol-Vorarl-
schaft „Kraft durch Freude“. Dem Theater maß Gauleiter
berg und Kulturreferent des Reichspropagandaministeriums,
Hofer große Bedeutung als Propagandainstrument zu; in Inten-
Sektion Tirol. Das „Musikschulwerk“ wurde 1938 auch im Gau
dant Pflugmacher hatte er einen willfährigen und zielstrebigen
Tirol-Vorarlberg institutionalisiert. Gottfried Huber charakte-
Gefolgsmann als Intendanten zur Verfügung. Nicht nur Fritz
risiert Funktion, Organisationsstruktur und Bedeutung dieser
Weidlichs Abgang aus Innsbruck war ein „Verdienst“ Pflug-
neu geschaffenen Institution:
machers, sondern auch Max Köhlers Abschied als Operettendirigent 1940. Nach und nach schaffte es Pflugmacher, alle
Das Musikschulwerk trägt den Charakter einer Arbeitsgemein-
potenziellen Konkurrenten zu beseitigen, sich selber wichtige
schaft, in der alle an der Musikarbeit tätig oder fördernd betei-
Positionen zu sichern und andere mit Günstlingen zu besetzen
ligten Dienststellen von Partei und Staat sich vereinigen, und
(z. B. Ratjen). Darüber hinaus konnte er sich aufgrund seiner
zwar: 1. die Reichsmusikkammer (gleichzeitig Verbindungs-
hohen Position der Förderung junger Talente widmen, zum
stelle zum Landeskulturverwalter); 2. das Deutsche Volks­
Beispiel Emil Berlandas, der Kompositionsaufträge bekam und
bildungswerk in der NS.-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“
Werke Pflugmachers instrumentieren durfte.
der Deutschen Arbeitsfront; 3. die Gebietsführung der Hitlerjugend für die musikalische Betreuung der Jungen und Mädel;
4. der Direktor der Landesmusikschule (Konservatorium); 5. der
Musikschulwesen
nationalsozialistische Lehrerbund; 6. das Gauamt für Kommunalpolitik der NSDAP; 7. der Deutsche Gemeindetag.
Die Musikausbildung bildete innerhalb des kulturpolitischen
Das Musikschulwerk setzt sich zum Ziel, mit seiner Arbeit
Programms der Nationalsozialisten einen Schwerpunkt. Sie
den Grundstein für Volksmusikkultur und berufskünstlerische
wurde mit einer der wichtigsten Unterorganisationen der
Fachbildung zu legen. In seinen Arbeitsbereich gehören im
Partei direkt verknüpft, nämlich der Hitlerjugend (HJ) bzw.
besonderen: a) Jugendmusikerziehung; b) Volksmusikerzie-
ihrem weiblichen Pendant, dem Bund deutscher Mädel (BdM).
hung; c) Berufsmusikerziehung. Diese Aufteilung bedeutet
In Innsbruck lässt sich die Umstrukturierung des Musikschul-
jedoch ausschließlich die logische Gliederung einer zu ver-
wesens beispielhaft zeigen: Das Konservatorium des Musik-
wirklichenden lebendigen erzieherischen Einheit.20
vereins wurde unter städtische Verwaltung gestellt. Neu
eingerichtet wurde eine Abteilung „Musikschule für Jugend
Am 1. Oktober 1939 übernahm Otto Engelmaier das Amt des
und Volk“, die zunächst Fritz Engel (Berlin 1904 – Reutte
Leiters der „Musikschule für Jugend und Volk“, der einen
2004) gemeinsam mit dem Musikreferenten der Hitlerjugend
grundlegend neuen Lehrplan erarbeitete.21 Drei Abteilungen
Gottfried Huber leitete. Engel war ebenfalls ein HJ-Funktionär
wurden eingerichtet: Die Singschule, die sich besonders der
Tiroler Landesarchiv, Bundespolizeidirektion Innsbruck, NS-Dokumentationsmaterial 3/93, Personalkarte Gaustandschützenkommando Tirol-Vorarlberg, Fritz Engel, und Tiroler Landesarchiv, Parteistatistisches Erhebungsblatt vom 30.6.1939, Fritz Engel.
19
Innsbrucker Nachrichten 20.10.1942, S. 3.
20
Innsbrucker Nachrichten, 8.10.1938, S. 7–8.
21
Steiner: Musikverein / Konservatorium / Musikschule (wie Anm. 5), S. 87.
18
38
Abb. 7: Aus einem Runderlass des Gaubeauftragten für Musikerziehung Artur Kanetscheider, NS-konforme Weihnachtslieder betreffend.
39
Volksliedpflege widmete, die Instrumentalschule, in der neben
und Volkstanzgruppen (inklusive Schuhplattler) sowie meh-
dem „klassischen“ Instrumentarium nun auch massentaugliche
rere Partei-Unterorganisationen vom Fliegerkorps bis zur
Instrumente wie Blockflöte, Mandoline und Handharmonika
Hitlerjugend in den Verband eingegliedert, der als ein zentra-
unterrichtet wurden, und schließlich die „Musizierabteilung
les Instrument der NS-Propaganda im Gau und als Massen-
der Staatsjugend“ zur gezielten Schulung der Parteiformatio­
organisation institutionalisiert wurde. Oberstschützenmeister
nen (Bannorchester, Spielmannszüge, Fanfarenzüge, Spiel-
und damit Vorsitzender des Standschützenverbandes war
scharen). Das Konservatorium als Erbe des Musikvereins
Gauleiter Hofer selbst. Der Standschützenverband wurde
hatte im Vergleich zur „Musikschule für Jugend und Volk“
finanziell großzügig ausgestattet, sodass auch das Blasmusik-
viel weniger Zulauf. 1940 wurde als drittes Standbein der
wesen einen enormen Aufschwung erfuhr. Als Musikreferent
Musikausbildung im Gau ein „Seminar für Musikerziehung“
des Standschützenverbandes wirkte Sepp Tanzer (Matrei am
geschaffen, 1942 eine Opernschule. Der Musikschule stand
Brenner 1907 – Kramsach 1983), der zusammen mit Josef
bis 1942 Musikdirektor Fritz Weidlich vor, nach dessen Abgang
Eduard Ploner und dessen Schüler Sepp Thaler (Auer 1901
in Richtung Lemberg versah Engelmaier die kommissarische
– Auer 1982) an der straffen Durchorganisation und Profes­
Leitung, ehe Toni Grad mit 1. Februar 1943 die Leitung über-
sio­nalisierung der Tiroler Blasmusik arbeitete – ein Bemühen,
nahm. Entsprechend der Organisationsstruktur von Konserva-
das nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges fast bruchlos
torium und Musikschule gestalteten sich die Schülerkonzerte
fortgesetzt wurde. Sepp Tanzer leitete die Wiltener Musik-
äußerst bunt, mit Darbietungen der HJ, dem Absingen von
kapelle, die eine Aufwertung erfuhr, indem sie schon unter
deutschen Volksliedern und klassischen Elementen.22 Die NS-
Hofers Vorgänger Edmund Christoph zum SA-Gaumusikzug
Kulturpolitik zielte darauf ab, Musikerziehung für ein Massen-
(der bei Parteifeiern und anderen öffentlichen Anlässen in
publikum zu öffnen und ideologisch zu instrumentalisieren. Mit
SA-Uniformen auftrat) umgewandelt und 1941 zur Gaumusik
der Gründung der „Musikschule für Jugend und Volk“ und dem
erhoben wurde. Beim Empfang von Goebbels in Innsbruck24,
Bedeutungsverlust des Konservatoriums wurden diese Ziele
zum 36. Geburtstag des Gauleiters im November 193825
im Gau Tirol-Vorarlberg erfolgreich verwirklicht.
(um hier nur zwei Beispiele zu nennen) – stets waren es die
Wiltener, die diese Anlässe gewissermaßen „landesüblich“
umrahmten, oft mit neu komponierten Märschen Tanzers
Blasmusik
(„Gauleiter-Hofer-Marsch“ 1938, Standschützen-Marsch ca.
1942, „Dem Landesoberstschützenmeister im Standschüt-
Die Tiroler Blasmusik erfuhr in der NS-Zeit eine enorme Auf-
zenverband Tirol-Vorarlberg Gauleiter und Reichsstatthalter
wertung. Die traditionellen Trachtenmusikkapellen (also die
P[artei]g[enossen] Franz Hofer in Dankbarkeit gewidmet“26).
Nicht-Militärkapellen) wurden in den Standschützenverband
Die Massenveranstaltungen des Standschützenverbandes
eingegliedert, der 1938 auf Betreiben von Gauleiter Franz
wurden gezielt für umfassende NS-Propaganda genutzt,
Hofer gegründet wurde. Neben den Musikkapellen wurden
besonders das alljährliche Landesschießen, das immer grö-
die Schützenkompanien und -gilden, alle Trachtenvereine
ßere Dimensionen annahm. Bei einer Rede vor Standschützen,
23
Steiner: Musikverein / Konservatorium / Musikschule (wie Anm. 5), S. 88.
Zum Thema siehe Gratl, Franz: Die Tiroler Blasmusik in der NS-Zeit … und wie wir heute mit diesem Kapitel der Blasmusikgeschichte umgehen
könnten, in: Blasmusik in Tirol 3/2012, S. 34–35; ferner Sammer, Gerhard: Sepp Tanzer (1907–1983). Leben – Werk – Umfeld: Eine Monographie,
Diplomarbeit, Innsbruck 1995.
24
„Zwischen den beiden Hangars hatte sich die Wiltener Musik in ihrer schmucken Tracht aufgestellt, die dann später den Minister mit flotten
Marschweisen begrüßen sollte.“ Neueste Zeitung, 18.7.1938, S. 1.
25
Vgl. [ohne Autor]: „Der Gauleiter herzlichst beglückwünscht. Erstaufführung des ‚Gauleiter-Hofer-Marsches‘ zum 36. Geburtstag“, Neueste Zeitung,
28.11.1938, S. 3–4.
26
Widmung in der Druckausgabe Innsbruck: Johann Gross [ca. 1942], Exemplar in TLMF, Musiksammlung, M 9252.
22
23
40
Abb. 8: Sepp Tanzer an der Spitze des „SA-Musikzuges“. Foto: Archiv Markus Wilhelm.
die an einer Ausbildung zum „Führer“ bzw. „Unterführer“
und somit steht der Gau Tirol-Vorarlberg mit über 300 Kapel-
teilnahmen, schwor Gauleiter Hofer 3000 Verbandsmitglieder
len an der S p i t z e aller Gaue. Die Musizierfreudigkeit
darauf ein, dass nun „in dem großen, vom Weltjudentum
unserer Bergheimat ist ebenso dem Wehrwillen verbunden.28
angestifteten Ringen die Zeit der Entscheidung gekommen“
27
sei und dass die Standschützen zum Kampf bereit zu stehen
hätten. Den Wehrwillen, die Wehrhaftigkeit der Tiroler betont
Anstatt eines Resümees
auch Sepp Tanzer in seiner Beschreibung der Tiroler Blasmusik aus dem letzten Kriegsjahr:
Dieser Beitrag versteht sich als Mosaikstein zu einer kritischen Aufarbeitung der NS-Zeit in Tirol, gemäß den 2012
Der W e h r w i l l e n und die Wehrhaftigkeit unserer Heimat
formulierten Grundsätzen:
drücken sich nicht nur in der Waffenbeherrschung und im
Schießwesen aus, sondern auch in der Pflege der Blasmusik.
Wenn eine Gesellschaft sich ein kollektives Gedächtnis leis-
Seit dem Mittelalter hat sich die Blasmusik im Rahmen der
tet, also Museen, Bibliotheken und Archive anlegt, so muss
Wehrhaftigkeit langsam zu jener heldisch tönenden Harmo-
die Bearbeitung und Präsentation dieser Materialien unter
nie entwickelt, wie sie in den klangvollen Kapellen der heuti-
besonderen, wissenschaftlichen Kriterien erfolgen – will
gen Zeit Ausdruck findet … Von den etwa 6000 Blaskapellen
man den Missbrauch durch Ideologien vermeiden. Schön­
des Großdeutschen Reiches befinden sich ungefähr 1250,
färberei von Biografien, Geschichtsfälschung und Ausblen-
das ist über ein Fünftel, allein in den Alpen- und Donau-
dung von Tatsachen sind nicht dazu angetan, für künftige
gauen. Davon entfallen auf unseren Gau ungefähr ein Viertel;
Generationen Identität zu stiften.29
Tiroler Volksblatt, 9.11.1944, S. 3.
Tanzer, Sepp: Der Aufbau der Standschützenkapellen, in: Alpenheimat 1945. Familienkalender für Stadt und Land, Innsbruck 1945, S. 43–44.
29
Aus dem offenen Brief vom 15.6.2011 betreffend CD-Produktion „Klingende Kostbarkeiten aus Tirol 74“ des Instituts für Tiroler Musikforschung,
unterzeichnet von Dr. Kurt Drexel, Institut für Musikwissenschaft der Universität Innsbruck, PD Dr. Wolfgang Meighörner, Direktor der Tiroler
Landes­museen, Mag. Kurt Rammerstorfer, Landesdirektor ORF Tirol und dem Autor. Der komplette offene Brief ist im Internet abrufbar unter http://
www.uibk.ac.at/musikwissenschaft/aktuelles/files/offenerbrief.pdf (Zugriff 8/2013).
27
28
41
Abb. 1: „Liederblätter des Reichsgaues Tirol-Vorarlberg“, Folge 1: Oktober 1940, S. 1.
Zur Volksmusik in Tirol
während der NS-Zeit
Thomas Nußbaumer
Abstract
(1938–1945) und in Südtirol während der Option und
Umsiedlung (1939–1943) aufzuzeigen. Es sei ausdrücklich
The contribution on hand deals with the misusage of folk
darauf hingewiesen, dass das Thema Volksmusik in Tirol
music for ideological and political aims in the “Gau Tirol-
während der NS-Zeit derzeit keinesfalls als ausreichend
Vorarlberg” from 1938–1945 (the phase of the Third Reich in
erforscht gilt. Viele Quellen liegen noch im Dunkeln. Eine
Austria). The National Socialists generally enhanced the
wichtige Materialsammlung zur Aufarbeitung des Themas
status of folk music for ideological and propagandistic
stellen die von Manfred Schneider auf „www.musikland-
reasons. Folk music played a strong role in the following
tirol.at“ veröffentlichten Abschriften von NS-Zeitungs­
contexts: a) as an object of research, e. g. carried out by the
artikeln, vorwiegend aus den „Innsbrucker Nachrichten“,
German musicologist Alfred Quellmalz in the framework of
dem Zentralorgan der NSDAP im Gau Tirol-Vorarlberg,
the field research of the SS-“Ahnenerbe” in South Tyrol,
dar. Sie vermitteln allerdings nur eine Sichtweise, nämlich
b) in printed folk song collections (e. g. the “Liederblätter des
die offizielle, parteikonforme, erlauben aber immerhin
Reichsgaues Tirol-Vorarlberg” and the songbook “Hellau!”
einen Überblick über volksmusikbezogene Aktivitäten
by Josef Eduard Ploner) to spread National Socialist ideology
im genannten Zeitraum. Schneider konnte auf „www.
by songs, c) in the framework of political and propagandistic
musikland-tirol.at“ auch bis dato nicht zugängliche volks­
events like the “Landesschießen” of the “Standschützen­
musikalisch relevante Schriftdokumente aus Nachlässen
verband” (association of the riflemen – the main Nazi culture
der „Arbeitsgemeinschaft Tiroler Komponisten“ veröffent­
organization of the “Gau Tirol-Vorarlberg”) or the “Flurritt” in
lichen.
the Brixen valley, d) in the context of social events (like the
Viele unbekannte Quellen dürften hingegen noch in ande-
street collections for the soldiers and poor people in winter,
ren Zeitschriften und Zeitungen der NS-Zeit, in Archiven,
or of singings for injured soldiers, e) in music education and
etwa der Blasmusik- und Schützenvereine, und ganz
f) in musical composition. Generally said, the Nazis tried to
besonders in Privatbesitz zu finden sein. Da bei volks­
construct a Tyrolean identity based on the riflemen customs,
musikalischen Feldforschungen, wie sie etwa vom „Tiroler
traditional folk music and music for wind. Musicians like
Volksliedarchiv“ oder vom „Abteilungsbereich Musikalische
Josef Eduard Ploner, Norbert Wallner, Karl Horak, Sepp
Volkskunde“ am Mozarteum in Innsbruck durchgeführt
Tanzer and others acted as compliant supporters of the Nazi
werden, das Thema Volksmusik in der NS-Zeit bislang nur
ideology, anti-Semitism and war celebration.
am Rande angeschnitten wurde, liegen in den Volksliedarchiven Zeitzeugenaussagen (auf Tonbändern) und Dokumente aus dem Privatbesitz der Gewährsleute nur in
Ziel des vorliegenden Beitrages ist es, Strömungen und
geringem Ausmaß vor.
Aspekte der Volksmusikpflege, -erforschung und -instrumen-
Alpenländische Volksmusik, verstanden als ursprünglich
talisierung während der NS-Zeit im Gau Tirol-Vorarlberg
vorwiegend mündlich tradierte, funktional gebundene
43
„traditional music“ mit bestimmten regionalspezifischen
stilistischen Merkmalen, spielt in Tirol während der NS-Zeit
laut dem derzeitigen Quellenstand in folgenden Kontexten
eine Rolle:
halb der „Hitlerjugend“ (HJ) und des „Bundes deutscher
Mädel“ (BdM), aber auch der Musikerziehung an den
Pflichtschulen,
f) im Hinblick auf volksmusikalische Themen, Motive und
Techniken in Kompositionen der Kunstmusik.
a) als Gegenstand musikalisch-volkskundlicher Forschung,
vor allem bei den Feldforschungen des SS-„Ahnenerbes“
Ich werde in diesem Beitrag insbesondere auf Aspekte
in Südtirol und im Archiv des „Gauausschusses für Volks-
der drei erstgenannten Bereiche eingehen und verweise,
musik im Gau Tirol-Vorarlberg“,
was die drei übrigen Punkte anbelangt, vorläufig auf die
b) in Volkslied-Publikationen (z. B. den Liederblättern des
„Reichsgaues Tirol-Vorarlberg“ oder im Liederbuch
erwähnte Quellensammlung auf der Internetseite www.
musikland-tirol.at und andere Literatur.2
„Hellau!“ von Josef Eduard Ploner); ein gesondert zu
untersuchendes Thema wäre die Entstehungsgeschichte
des Vorarlberger Dialektliedes1, die ebenfalls zum Teil in
1. Die Feldforschungen von Alfred
der NS-Zeit wurzelt;
Quellmalz in Südtirol (1940–1942) im Auftrag
c) im Rahmen politisch-propagandistischer Veranstaltungen, etwa der jährlich stattfindenden „Landesschießen“
der „Südtiroler Kulturkommission“
des SS-„Ahnenerbes“
und „Kreisschießen“ des „Standschützenverbandes“,
der Brixentaler „Flurritte“, der ideologisch-bildenden
Zunächst sei darauf hingewiesen, dass auch zwischen
„Dorfgemeinschaftsabende“, an Hitlers Geburtstag, am
1938 und 1945 in Tirol eine sehr vielfältige „traditional
Muttertag und an anderen Fest- und Feiertagen,
music“ existierte, nämlich eine funktional gebundene,
d) im Rahmen der Sammlungen für das Winterhilfswerk,
teilweise alte und primär mündlich überlieferte Volksmusik
der Kriegsverwundetenbetreuung und anderer sozialer
im alpenländischen Stil3, die auf unterschiedliche Weise
Einsätze,
auch unter dem Nationalsozialismus in privaten und halb-
e) im Rahmen der Musikausbildung an der „Gaumusikschule für Jugend und Volk“ in Innsbruck sowie inner-
öffentlichen Kontexten weiter betrieben wurde und als
so genannte Stammesmusik nicht nur in der Musikpflege,
Siehe Fink-Mennel, Evelyn: Einwanderer-Musikkulturen in Vorarlberg. Musik, Tanz und Vorarlberger Dialektlied zwischen interner Praxis, öffent­
licher Präsentation und interkultureller Kommunikation, in: Nußbaumer, Thomas (Hg.): Volksmusik in den Alpen – Standortbestimmungen. Festschrift für Josef Sulz zum 80. Geburtstag (= Schriften zur musikalischen Ethnologie 1), Innsbruck 2011, S. 197–215.
2
Zur Verwendung von Musik und auch traditioneller Volksmusik im Rahmen sozialer Einsätze wie Benefizveranstaltungen und Sammlungen für das
Winterhilfswerk oder das Singen in Kriegslazaretten siehe Schneider, Manfred: Musik im sozialen Einsatz, http://www.musikland-tirol.at/ARGENS-Zeit/ploner/musik-im-sozialen-einsatz.html (Zugriff 29.8.2013). – Quellen zur Volksmusikausbildung an der 1938 gegründeten „Gaumusikschule
für Jugend und Volk“ in Innsbruck als „Erweiterung des Städtischen Konservatoriums“ und in enger Verzahnung mit der Hitlerjugend (HJ) und dem
„Bund deutscher Mädel“ (BdM), insbesondere Unterrichtskonzepte und Notizen über Auftritte der HJ, finden sich in Schneider, Manfred: Musik­
ausbildung in der NS-Zeit, http://www.musikland-tirol.at/ARGE-NS-Zeit/ploner/musikausbildung-in-der-ns-zeit.html (Zugriff 29.8.2013). – Zur Rolle
der Musik im Schulunterricht siehe Wolf, Christian: Musikerziehung unterm Hakenkreuz. Die Rolle der Musik am Beispiel der Oberschulen im Gau
Tirol-Vorarlberg (= Innsbrucker Hochschulschriften. Serie A: Musikpädagogik 3), Anif/Salzburg 1998. – Noch weitestgehend unbearbeitet ist das
Thema der Verarbeitung volksmusikalischen Materials in Werken der Kunstmusik während der NS-Zeit in Tirol. Einen Überblick in Bezug auf die
„Arbeitsgemeinschaft Tiroler Komponisten“, insbesondere auf das Schaffen von Karl Senn, Josef Eduard Ploner, Artur Kanetscheider und Karl Koch
in der NS-Zeit, vermittelt Herrmann-Schneider, Hildegard: Die klangliche Inszenierung des Mythos Tirol. Tiroler Komponisten des 20. Jahrhunderts
und ihre Hommage an das Land im Gebirge, http://www.musikland-tirol.at/musikgeschichten/die-klangliche-inszenierung-des-mythos-tirol.php
(Zugriff 29.8.2013).
3
Zum Volksmusikbegriff in Tirol im 20. Jahrhundert siehe Nußbaumer, Thomas: Volksmusik in Tirol und Südtirol seit 1900. Von „echten“ Tiroler­
liedern, landschaftlichen Musizierstilen, „gepflegter Volksmusik“, Folklore und anderen Erscheinungen der Volkskultur, Innsbruck–Wien–Bozen
2008, S. 13–27.
1
44
sondern auch in der musikalischen Rassenforschung 4 größte
Wahl gestellt worden, entweder im faschistischen Italien zu
Beachtung erfuhr.5
verbleiben oder ins Deutsche Reich auszuwandern.9 Diese
Diese Form der Musik wird in Tirol seit ungefähr 1900
Entscheidung auf der Grundlage der Berliner Vereinbarungen
mit den Methoden der sich allmählich entwickelnden
vom Juli 1939 bezeichnete man als Option, wobei jedes
musikalisch-volkskundlichen (heute: ethnomusikologischen)
Familienoberhaupt individuell entscheiden durfte, ob die
Feldforschung gesammelt und dokumentiert. Hervorzuheben
Familie auswanderte (für Deutschland optierte) oder nicht.
sind die Sammelfahrten und -aufrufe des in St. Valentin
Bis Jahresende hatten sich rund 85% der Südtiroler für die
auf der Haide (Obervinschgau, Südtirol) geborenen und in
Option für Deutschland entschieden. Aus diesem Grunde
Wien lebenden Naturwissenschaftlers Franz Friedrich Kohl
wurde neben Umsiedlungsämtern und Wertfestsetzungs-
(1851–1924), dessen Publikation „Echte Tiroler-Lieder“ von
kommissionen für den von den Italienern abzulösenden
1899 für ein völkisch geprägtes Volksliedverständnis in Tirol
materiellen Besitz der Optanten auch die „Südtiroler Kultur­
richtungsweisend wurde6, und die vom k. k. Kultusministe-
kommission“ der SS-„Forschungs- und Lehrgemeinschaft
rium und vom Musikverlag Universaledition in Wien initiierte
‚Das Ahnenerbe‘“, die direkt Heinrich Himmler unterstand,
Sammelaktion „Das Volkslied in Österreich“ zur Erfassung
eingerichtet, und zwar mit dem Ziel der Erfassung und Doku-
und Publikation der in den k. k. Kronländern überlieferten
mentation der immateriellen („unbeweglichen“) Kulturwerte
Volksmusik.7 Aus den Arbeitsgruppen dieses von 1904 bis
der Südtiroler Optanten. Die „Südtiroler Kulturkommission“,
1918 durchgeführten, jedoch nie abgeschlossenen Projekts
überwiegend besetzt mit universitär ausgebildeten reichs-
gingen die heutigen österreichischen Volksliedarchive,
deutschen Wissenschaftlern aus einschlägigen deutschen
­darunter auch das „Tiroler Volksliedarchiv“, hervor.
Forschungsinstitutionen, untergliederte sich in ca. 15 Ein-
Im Zusammenhang mit unserem Thema nehmen die Süd-
heiten, genannt „Arbeitsgruppen“. Von Juli 1940 bis Mitte
tiroler Feldforschungen des SS-„Ahnenerbes“ eine heraus­
1943 zeichnete man in Südtirol, dem Hauptgebiet des so
ragende Stellung ein. Bekanntlich war die Südtiroler
genannten „Umsiedlungsgebietes“, unter anderem Volks-
Bevölkerung in der zweiten Hälfte des Jahres 1939 vor die
trachten, Volkssagen, bäuerliche Architektur, Sinnbilder und
8
Zur musikalischen Rassenforschung siehe Eichenauer, Richard: Musik und Rasse, München 1932. – Günther, Siegfried: Musikalische Begabung und
Rassenforschung im Schrifttum der Gegenwart, in: Archiv für Musikforschung 2, 1937, S. 308–339. – Heinitz, Wilhelm: Die Erforschung rassischer
Merkmale aus der Musik, Hamburg 1938. – Seifert, Adolf: Von Art und Wesen deutscher Musik. Eine deutsche Musikkunde auf der Grundlage
des Volksliedes. 1. Teil: Die musikalischen Grunderlebnisse. 2. Teil: Volkslied und Rasse. Ein Beitrag zur Rassenkunde, Berlin-Lichterfelde 1943. –
Erste wichtige Ansätze zu einer Gesamtdarstellung des Themas Volksliedforschung und NS-Rassenideologie liefert Probst-Effah, Gisela: Der Einfluß
der nationalsozialistischen Rassenideologie auf die deutsche Volksliedforschung, in: Noll, Günther (Hg.): Musikalische Volkskultur und die politische Macht. Tagungsbericht Weimar 1992 der Kommission für Lied-, Musik- und Tanzforschung in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde e. V.
(= Musikalische Volkskunde. Materialien und Analysen 11), Essen 1994, S. 382–401.
5
Die Behauptung, die Nationalsozialisten hätten regionale Musikkulturen unterdrückt und eine Vereinheitlichung des deutschen Volksliedrepertoires
angestrebt, und das Singen regionaler Volkslieder sei demnach ein symbolischer Akt des Widerstandes gewesen, ist ein Mythos. Genau das
Gegenteil war der Fall: Regionaltypische Stile wurden unter dem Nationalsozialismus im Sinne der Förderung deutscher Stammeskulturen, wie es
damals hieß, ungemein aufgewertet. Vgl. Bruckbauer, Maria: Verordnete Kultur – Überlegungen zur Volksmusik in Bayern während der NS-Zeit, in:
Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 1989, S. 82–91.
6
Zu Franz Friedrich Kohls Volksliedideologie siehe Nußbaumer, Thomas: Anmerkungen zur vorliegenden Edition und ihren Quellen, in: Tiroler Volksmusikverein/Südtiroler Volksmusikkreis (Hg.): Echte Tiroler Lieder. Ergänzte und kommentierte Neuausgabe der Tiroler Liedersammlungen von Franz
Friedrich Kohl, 3. Band, Innsbruck–Wien 1999, S. 663–675.
7
Siehe Deutsch, Walter/Hois, Eva Maria (Hg.): Das Volkslied in Österreich. Volkspoesie und Volksmusik der in Österreich lebenden Völker heraus­
gegeben vom k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht 1918 [bearbeiteter und kommentierter Nachdruck] (= Corpus Musicae Popularis Austriacae,
Sonderband), Wien 2004.
8
Grundlegend über das „Ahnenerbe“ schrieb Kater, Michael H.: Das „Ahnenerbe“ der SS 1939–1945. Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches (= Studien zur Zeitgeschichte 6), München 21997 [11974].
9
Über viele Aspekte der Option und Umsiedlung informieren ausführlich beispielsweise Stuhlpfarrer, Karl: Umsiedlung Südtirol. 1939–1940, 2 Teile
[durchgehend], Wien 1985, und Erhard, Benedikt: Option – Heimat – Opzioni. Eine Geschichte Südtirols vom Gehen und vom Bleiben, Wien 1989.
4
45
Der Leiter der „Arbeitsgruppe Volksmusik“ war der in Berlin
am „Staatlichen Institut für Deutsche Musikforschung“
als Vorstand der „Abteilung II (Volksmusik)“ angestellte
Musikwissenschaftler Alfred Quellmalz (1899–1979) (siehe
Abb. 2).11 Mit ihm arbeiteten der Berliner Musikethnologe
Fritz Bose (1906–1975), der Tiroler Gymnasialprofessor und
Volksmusikforscher Karl Horak (1908–1992), zugleich auch
Archivleiter im „Gauausschuss für Volksmusik“ in Tirol-Vorarlberg, und später auch der Innsbrucker Musikwissenschaftler Walter Senn (1904–1982). Quellmalz und Bose verwendeten das damals hochmoderne Magnetophon-Aufnahmegerät
der Type K 4 der AEG Berlin (siehe Abb. 3) und erstellten
zusammen rund 3.000 Tonaufnahmen von überwiegend alter,
bäuerlicher Volksmusik (siehe Abb. 4 und 5). Die heute noch
sehr gut erhaltene Tondokumentesammlung befindet sich
an der Universitätsbibliothek Regensburg und umfasst beispielsweise Aufnahmen von Tanzmusikbesetzungen unterschiedlichster Prägungen, Zeugnisse des Repertoires und der
Abb. 2: Alfred Quellmalz in Südtirol, mit aufgestecktem Parteiabzeichen
(Nachlass Quellmalz, Fotosammlung, Datensatz-Nr. 41 37A). Mit freundlicher Erlaubnis von: Bereich deutsche und ladinische Musikschulen,
Referat Volksmusik, Bozen.
Mehrstimmigkeit der Kirchensingerfamilien, alpenländische
Volkslieder aller Gattungen, Volksballaden, Lieder zu Bräuchen wie Neujahr und Klöckeln, weihnachtliche Lieder und
auch einige, wenn auch nur sehr wenige, Belege für zeitgenössisches, aktuelle Situationen verarbeitendes Singen,
Heilszeichen, Dialekte usw. auf. Es handelte sich um die
z. B. so genannte „Optantenlieder“.12 Der Schwerpunkt der
größte volkskundliche Forschungsaktion der Geschichte, die
Sammlung lag eindeutig auf alter, mündlich überlieferter
noch lange nach dem Krieg Lehrmeinungen prägte.10
Volksmusik.
Zur „Südtiroler Kulturkommission“ siehe beispielsweise Kater: Das „Ahnenerbe“ der SS (wie Anm. 8), S. 159–170. – Stuhlpfarrer: Umsiedlung Südtirol (wie Anm. 9), S. 390–413. – Lixfeld, Gisela: Das „Ahnenerbe“ Heinrich Himmlers und die ideologisch-politische Funktion seiner Volkskunde, in:
Jacobeit, Wolfgang/Lixfeld, Hannjost/Bockhorn, Olaf (Hg.): Völkische Wissenschaft. Gestalten und Tendenzen der deutschen und österreichischen
Volkskunde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Wien 1994, S. 238–255. – Wedekind, Michael: „Völkische Grenzlandwissenschaft“ in Tirol
(1918–1945). Vom wissenschaftlichen „Abwehrkampf“ zur Flankierung der NS-Expansionspolitik, in: Geschichte und Region/Storia e regione. Jahrbuch der Arbeitsgruppe Regionalgeschichte, Bozen/Annuario del Gruppo di ricerca per la storia regionale, Bolzano 5, 1996, S. 227–265.
11
Über die „Gruppe Volksmusik“ und insbesondere Alfred Quellmalz siehe Nußbaumer, Thomas: Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940–42). Eine Studie zur musikalischen Volkskunde unter dem Nationalsozialismus (= Bibliotheca Musicologica VI), Innsbruck–Wien–München–Lucca 2001. – Ders.: Bäuerliche Volksmusik aus Südtirol 1940–1942. Originalaufnahmen zwischen NS-Ideologie und Heimatkultur, Innsbruck–
Wien–Bozen 2008 [Doppel-CD mit Begleitbuch].
12
Zur Auswertung der Sammlung Quellmalz siehe Kofler, Franz/Deutsch, Walter (Hg.): Tänze und Spielstücke aus der Tonbandsammlung Dr. Alfred
Quellmalz 1940–42 (= Corpus Musicae Popularis Austriacae 10: Volksmusik in Südtirol), Wien 1999. – Nußbaumer, Thomas: Die Südtirolsammlung
Quellmalz als Quelle für das geistliche Lied um 1940, in: Sulz, Josef/Nußbaumer, Thomas (Hg.): Religiöse Volksmusik in den Alpen. Musikalisch
volkskundliche und theologische Aspekte (= Innsbrucker Hochschulschriften. Serie B: Musikalische Volkskunde 4), Anif/Salzburg 2002, S. 127–
177. – Ders.: Zu den Blasmusik-Magnetophonaufnahmen (1940 bis 1942) in der Südtiroler Volksmusiksammlung von Alfred Quellmalz, in: Habla,
Bernhard (Hg.): Kongressberichte Bad Waltersdorf/Steiermark 2000, Lana/Südtirol 2002 (= Alta Musica 24), Tutzing 2003, S. 429–448. – Ders.:
Politische Lieder aus Südtirol zur Zeit der Option und Umsiedlung (1939–43). Lieder der „Optanten“ und „Dableiber“, in: Probst-Effah, Gisela/
Schepping, Wilhelm/Schneider, Reinhard (Hg.): Musikalische Volkskunde und Musikpädagogik. Annäherungen und Schnittmengen. Festschrift für
Günther Noll zum 75. Geburtstag (= Musikalische Volkskunde. Materialien und Analysen 15), Essen 2002, S. 306–346.
10
46
Abb. 3: Werbefoto der Firma AEG für das Magnetophonmodell K 4 (Lautsprecher, Magnetophon, Vorverstärker) (Nachlass Quellmalz). Mit freundlicher
Erlaubnis von: Bereich deutsche und ladinische Musikschulen, Referat Volksmusik, Bozen.
Abb. 4: Aufnahmeszene aus Unser Frau in Schnals, 21. November 1941, mit Felicitas Gamper, Rosa Santer, Theresia Grüner und Karoline Santer.
Am rechten Bildrand ist das Kondensatormikrophon zu erkennen (Nachlass Quellmalz, Fotosammlung, Nr. 638). Mit freundlicher Erlaubnis von: Bereich
deutsche und ladinische Musikschulen, Referat Volksmusik, Bozen.
47
Abb. 5: Aufnahmeszene aus Dorf Tirol, 28. Juli 1940. Quellmalz instruiert seine Assistentin Gertraud Wittmann resp. Simon, die meist als Aufnahmeleiterin fungierte (Nachlass Quellmalz, Fotosammlung, Nr. 7). Mit freundlicher Erlaubnis von: Bereich deutsche und ladinische Musikschulen, Referat
Volksmusik, Bozen.
Bei aller Wissenschaftlichkeit der Leistungen einzelner
mittelfristig verwertbarer Belege für die deutsche Identität
Mitarbeiter ist die „Südtiroler Kulturkommission“ ein Produkt
Südtirols.
nationalsozialistischer Kulturauffassung. Das endgültige
Auch für Quellmalz waren derartige Prämissen verbind-
Ziel bestand nicht allein darin, die Südtiroler Kultur zu
lich. „Die Arbeiten“, berichtet er im Februar 1941 seinem
dokumentieren und zu erforschen, sondern in der Schaffung
Institutsleiter Max Seiffert in Berlin, „gehen nicht nur im
einer ideologisch ausgerichteten Kulturpflege im Hinblick auf
allgemeinen wohlverstandenen Interesse der Volksmusik­
das versprochene, militärisch allerdings noch zu erobernde
forschung und damit auch der Abteilung Volksmusik vor sich,
Siedlungsgebiet für rund 200.000 Südtiroler Auswanderer.
sondern sie sind eine volkspolitische Notwendigkeit. Sie
Die Forschungsideologie der „Südtiroler Kulturkommission“,
beweisen gegenüber den anders lautenden Behauptungen
wie überhaupt der „Forschungs- und Lehrgemeinschaft ‚Das
der Italiener auch für das musikalische Gebiet die rein
Ahnenerbe‘“, kann mit dem Begriff der germanischen Kon-
deutsche Herkunft der Südtiroler“.13
tinuitätsforschung charakterisiert werden. In Südtirol ging
Das Dogma der „germanischen Kontinuität“, nach Hermann
es nicht nur darum, die angeblichen germanischen Wurzeln
Bausinger „ein jeglicher wissenschaftlicher Untersuchung
Südtirols nachzuweisen, sondern auch um die Erbringung
vorgeschalteter Glaubenssatz“ der älteren deutschen Volks-
13
Bundesarchiv Berlin, PU A. Quellmalz: Alfred Quellmalz an Max Seiffert [Direktor des „Staatlichen Instituts für Deutsche Musikforschung“],
20.2.1941, S. 6.
48
kunde14, war keine nationalsozialistische Erfindung, denn
bildungsdienstes“ der Südtiroler „Arbeitsgemeinschaft der
die Rückführung volkskultureller Phänomene auf angebliche
Optanten für Deutschland“ (AdO) eingebunden. Quellmalz
germanische Vorläufer, oder, wie im Falle der „Südtiroler
verbreitete in diesem Zusammenhang in Südtirol die „reichs-
Kulturkommission“, die willkürliche Aufdeckung kultureller
deutsche“, auch mit Liedern der NS-Bewegung ausgestat-
Parallelen „vom Nordmeer bis in die Südalpen“ , entspra-
tete Ausgabe seiner gemeinsam mit dem Germanisten Hugo
chen schon vor der NS-Zeit den gängigen Lehrmeinungen.
Moser und Hermann Peter Gericke, dem Musikreferenten
In Südtirol gewann diese Denkweise unter dem Einfluss
des „Volksbundes für das Deutschtum im Ausland“, heraus­
des Nationalsozialismus und vor dem Hintergrund einer
gegebenen Sammlung „Lieder unseres Volkes“ (Kassel,
für Tirol spezifischen Grenzlandideologie an politischer
Bärenreiter-Verlag 1938)21 und wirkte an der Planung und
Bedeutung , zumal es auf italienischer Seite publizistische
Realisierung eines ideologisch-schulenden „Musiklagers“ in
Anstrengungen gab, die angebliche Italienischstämmigkeit
Seis am Schlern im April 1941 mit. Den daran teilnehmenden
der Süd­tiroler nachzuweisen.17 Anlässlich seines Vortrages
82 jungen Südtiroler Sing- und Spielgruppenleitern beiderlei
vor der „Alpenländischen Forschungsgemeinschaft“ in Inns-
Geschlechts brachte man dabei durch weltanschauliche
bruck im Juli 1943, also kurz vor dem Einmarsch der Wehr-
und volkskundliche Vorträge von Alfred Quellmalz, Karl
macht in Südtirol und der Einsetzung der „Operationszone
Horak, dem Volkskundler Richard Wolfram, Hermann Peter
Alpenvorland“, hob Quellmalz, der im Februar 1943 aufgrund
Gericke und dem Südtiroler Heimatforscher Karl Theodor
der „systematischen Bearbeitung des gesamten Vertrags-
Hoeniger den „grossdeutschen Gedanken“ näher. Zugleich
gebietes […] trotz schwierigster Arbeitsverhältnisse“ mit
lehrte man sie in Singkursen „einen Stamm von gemein-
dem Kriegsverdienstkreuz der zweiten Klasse ausgezeichnet
deutschen Liedern (auch der Bewegung)“ und führte sie in
worden war18, einmal mehr den „ohne jede Einschränkung
„das Wesen ihres südtiroler Heimatliedes“ ein.22 Wie diese
deutschen Charakter“ der Südtiroler Volksmusik hervor.19
Identitäts­vermittlung im Bereich der Volkstanzschulung
Interkulturelle Fragestellungen spielten für ihn so gut wie
aussah, verdeutlichen Karl Horaks „Richtlinien, gemäß der
keine Rolle.
Volks­tanzarbeit beim Musiklager in Seis“. Darin wurden
15
16
20
Da die Musikwissenschaft nach nationalsozialistischem
zehn im Zuge der Feldforschung aufgezeichnete lokale
Verständnis stets Zweckwissenschaft zu sein hatte, wurde
Tanzformen als für alle Südtiroler Tanzgruppen verbindlich
die „Gruppe Volksmusik“ auch in den Aufbau der ideologisch
festgeschrieben. Dass diese „Pflichttänze“, die zu lernen
ausgerichteten Südtiroler Volksmusikpflege des „Volks­
„selbstverständliche Pflicht der gesamten Südtiroler Jugend“
Bausinger, Hermann: Volkskunde. Von der Altertumskunde zur Kulturanalyse, unveränderter Nachdruck der Ausgabe 1971 (= Untersuchungen des
Ludwig-Uhland-Instituts der Universität Tübingen. Sonderband), Tübingen 1987, S. 78.
15
Bundesarchiv Koblenz, Kleine Erwerbungen 27/4, fol. 119f.: Hoeniger, Karl Theodor [Mitarbeiter der „Südtiroler Kulturkommission“ und des
„AdO-Volksbildungsdienstes“], Arbeitsbericht, 28. Februar 1941.
16
Grundlegend über die völkische Grenzlandwissenschaft in Tirol schrieb Wedekind: „Völkische Grenzlandwissenschaft“ in Tirol (wie Anm. 10).
17
Vgl. Podestà, Agostino (Hg.): Alto Adige. Alcuni documenti del passato, Bergamo 1942.
18
Bundesarchiv Berlin, PU A. Quellmalz: Vorschlagsliste Nr. 416 für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes II. Klasse (ohne Schwerter) der Kriegsverdienstmedaille, 3.12.1942.
19
Bereich deutsche und ladinische Musikschulen, Referat Volksmusik, Bozen, Nachlass Quellmalz: Quellmalz, Alfred: Vortragsmanuskript, undatiert
[Juli 1943], 15 Seiten.
20
Vgl. Nußbaumer, Thomas: La raccolta di musica popolare altoatesina di Alfred Quellmalz: confini nazionali e punti di contatto interetnici sulla
base dell’Italienerlied, in: Dalmonte, Rossana/Macchiarella, Ignazio (Hg.): Tutti i lunedì di primavera. Seconda rassegna europea di musica etnica
dell’Arco Alpino, Trient 2000, S. 115–136.
21
Gericke, Hermann Peter/Moser, Hugo/Quellmalz, Alfred (Hg.): Lieder unseres Volkes. Reichsdeutsche Ausgabe, Kassel 1938. Die „Reichsdeutsche
Ausgabe“ enthält im Gegensatz zur „Ausgabe für das Ausland“ die damals wichtigsten Nazilieder.
22
Bundesarchiv Berlin, PU A. Quellmalz: Quellmalz, Alfred: Bericht über die musikalische Schulungswoche vom 3.–8.4.1941 in Seis, 24.4.1941, S. 4. –
Über das Seiser Musiklager siehe Nußbaumer: Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (wie Anm. 11), S. 259–277.
14
49
sei, damit bei der Fest- und Feiergestaltung „unser eigenes
Die National­sozialisten, grundsätzlich am propagandisti­
Tanzgut alles Fremde verdräng[e]“23, den Lehrgangsteil-
schen Potential der Volksmusikpflege interessiert, ver-
nehmern „meistens unbekannt“ waren , kennzeichnet die
folgten mit diesen Einrichtungen große Pläne. Zunächst
vermittelte Identität als willkürlich festgelegt. Der Südtiroler
wurde das „Österreichische Volksliedunternehmen“ der
Karl Aukenthaler (1909–2000), Quellmalz’ wichtigster Infor-
Zwischenkriegszeit (als Dachverband der Bundesländer-
mant und organisatorischer Leiter des Musiklagers, brachte
Volksliedwerke) in „Ostmärkisches Volksliedunternehmen“
bereits während der Planungsphase den Sinn derartiger
umbenannt.26 Der schon genannte Karl Horak scheint im
Kulturpflege auf den Punkt, wenn er formulierte: „Es ist
„Ostmärkischen Volksliedunternehmen“ als ein Mitarbeiter
kein Zweifel, daß die Erziehung zur nationalsozialistischen
der ersten Stunde auf. Er war von Karl Haiding, dem führen­
Weltanschauung dem Volke gerade zum grössten Teil durch
den Volkskundler des „Amtes Rosenberg“, als „politisch,
die verschiedensten kulturellen Veranstaltungen beigebracht
weltanschaulich und wissenschaftlich“ geeignet empfohlen
und vorgelegt wird“.25
worden27, wobei Horaks politische Qualifikation u. a. darauf
Obwohl in der „Südtiroler Kulturkommission“ zahlreiche
zurückging, dass er laut Aussage der Gauleitung Tirol-Vorarl-
Fachkräfte aus dem Gau Tirol-Vorarlberg mitwirkten, ver-
berg „bereits in der Verbotszeit aktiv für die Bewegung“ ein-
liefen die Aktivitäten des Ahnenerbes unabhängig von der
getreten war und bei der Hitlerjugend einen Rang einnahm.28
Innsbrucker Gauregierung, die das Ahnenerbe als Berliner
Schon im Juli 1939 wurde das „Ostmärkische Volksliedunter-
Organisation eher misstrauisch beäugte und mit dem Gau-
nehmen“ wieder aufgelöst, da seine Bezeichnung und Struk-
archiv für Volksmusik eine eigene wissenschaftliche und
tur zu sehr an die österreichische Vorgängerstruktur erin-
volksliedpflegerische Stelle installiert hatte.
nerte.29 Stattdessen gerieten die einzelnen ostmärkischen
24
Gauarchive in die Abhängigkeit der jeweiligen Gauselbstverwaltungen (Gauregierungen). Die wissenschaftlich-fachliche
2. Der „Gauausschuss für Volksmusik“
Kontrolle wurde Alfred Quellmalz bzw. der von ihm geleite-
im Gau Tirol-Vorarlberg
ten „Abteilung II (Volksmusik)“ des „Staatlichen Instituts für
Deutsche Musikforschung“ in Berlin übertragen – und zwar
Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich
unter Einbindung weiterer musikforschender und parteinaher
änderte sich die Situation der aus dem Volksmusikfor-
Institutionen, wie etwa des „Deutschen Volksliedarchivs“
schungsunternehmen der Monarchie hervorgegangenen
oder der „Mittelstelle für Spielforschung“ im Amt Rosen-
Bundesländer-Archive, die in der Zwischenkriegszeit ein
berg –, doch die Belange der praktischen Volksmusikpflege
eher kümmerliches Dasein gefristet hatten, schlagartig.
galten explizit als Angelegenheit der NSDAP und ihrer
Bereich deutsche und ladinische Musikschulen, Referat Volksmusik, Bozen, Nachlass Quellmalz: Horak, Karl: Richtlinien, gemäß der Volkstanzarbeit
beim Musiklager in Seis, 1. Teil, April 1941, Vorwort.
24
Bundesarchiv Berlin, PU A. Quellmalz: Quellmalz, Alfred: Bericht über die musikalische Schulungswoche vom 3.–8.4.1941 in Seis, 24.4.1941, S. 4.
25
Bundesarchiv Berlin, NS 21/219: Aukenthaler, Karl: Vermerk betreffend Lehrgang für Volkskultur an alle Kreis- und Gebietsbeauftragten des Volksbildungsdienstes u. a., 18.3.1941.
26
Siehe Nußbaumer, Thomas: Das Ostmärkische Volksliedunternehmen und die ostmärkischen Gauausschüsse für Volksmusik. Ein Beitrag zur
Geschichte des Österreichischen Volkliedwerkes, in: Haid, Gerlinde/Hemetek, Ursula/Pietsch, Rudolf (Hg.): Volksmusik – Wandel und Deutung.
Festschrift Walter Deutsch zum 75. Geburtstag (= Schriften zur Volksmusik 19), Wien–Köln–Weimar 2000, S. 152–156.
27
Universitätsbibliothek Regensburg, Nachlass der Abteilung II (Volksmusik) des Staatlichen Instituts für Deutsche Musikforschung, Ordner Volksmusikausschuss. Verwaltung und Organisation: Karl Haiding an Abteilung II (Volksmusik) des Staatlichen Instituts für Deutsche Musikforschung,
8.11.1939.
28
Bundesarchiv Berlin, PU K. Horak, RKK: 2101, Box: 0538, File: 04: NSDAP-Gauleitung Tirol-Vorarlberg an den Präsidenten der Reichsschrift­
tumskammer, 30.8.1940, und Fragebogen zur Bearbeitung des Aufnahmeantrages für die Reichsschrifttumskammer, Gruppe Schriftsteller, Eingang:
6.8.1940. Horak war seit dem 1. Mai 1938 Mitglied der NSDAP (Mitgliedsnummer 6248151).
29
Nußbaumer: Das Ostmärkische Volksliedunternehmen (wie Anm. 26), S. 156–162.
23
50
Gliederungen. Jedes Volksmusikarchiv erhielt einen Archiv-
tätigkeit in alles eingeweiht. Es gehen daher auch alle Arbei-
leiter und einen aus Funktionären unterschiedlicher Partei-
ten im Archiv, die aus der Übernahme des ehemaligen Tiroler
gliederungen besetzten „Gauausschuss für Volksmusik“.
Volkslied-Ausschusses erwachsen sind, ohne Unterbrechung
Dies hatte zur Folge, dass die einzelnen Gauarchive für
weiter. Die umfangreiche, aber ungepflegte Sammlung wird
Volksmusik im ehemaligen Österreich in unterschiedlichem
reingeschrieben, geordnet und nach den von Ihnen ausge-
Ausmaß entweder in den Dienst der Musikpflege oder der
gebenen Richtlinien verzettelt. Ich weiß nicht, wie lange der
wissenschaft­lichen Archivarbeit gestellt wurden.
Krieg dauern wird und ich bei der Wehrmacht bleiben muß.
Dank dem Umstand, dass der Nachlass der „Abteilung II
Ich wünsche trotzdem die Arbeit des Gauausschusses ohne
(Volksmusik)“ des „Staatlichen Instituts für Deutsche Musik-
Unterbrechung weitergeführt. Es ist nun in Tirol niemand,
forschung“ erhalten blieb, wissen wir auch über die Tätig-
dem die Archive in Freiburg und Berlin bekannt sind und der
30
keiten des Gauausschusses für Tirol-Vorarlberg Bescheid.
deren Arbeitsweise kennt. Da Sie nun Vorgesetzter für die
Zunächst wurden die beiden nach dem Ende des Ersten
Gauausschüsse für Volksmusik sind, bitte ich Sie, meine
Weltkriegs getrennten Archive in Bregenz und Innsbruck wie-
Frau Margarete Horak auch förmlich mit meiner Vertretung
der zusammengeführt und dem Standschützenverband unter-
zu betrauen. […] Ich stehe von hier aus mit Prof. John Meier
stellt. Die Leitung übertrug man umgehend Karl Horak, der
[Gründer und Leiter des „Deutschen Volksliedarchivs“ in
die Tiroler Sammlung von Josef Schatz, dem letzten Obmann
Freiburg i. Br., Anm.] in Briefwechsel, um in der Reihe der
des „Tiroler Volksliedausschusses“ der Zwischenkriegszeit,
landschaftlichen Volkslieder ein Heft deutscher Volkslieder
übernommen hatte. Horak berichtete darüber Quellmalz:
aus Mittelpolen herauszubringen. Ein solches Heft hat jetzt
„Als ich das Tiroler Volksliedarchiv übernahm, war es in
auch eine politische Bedeutung.“33
einem schauderhaften Zustand. Die Aufzeichnungen und
Damit Horak, nach dem Polenfeldzug bald wieder nach
Einsendungen sind in den verschiedensten Formaten zu 99%
Hause zurückgekehrt und für den Rest des Krieges „unab-
handschriftlich, teilweise noch in bäuerlicher Urschrift. Es ist
kömmlich“, also in vom Kriegsdienst befreiter u. k.-Stellung,
daher notwendig, das ganze Archiv reinzuschreiben.“
die Sammlung bequemer bearbeiten konnte, waren die
Sehr kennzeichnend für den Aufbruchsgeist der Volksmusik-
Bestände zwischenzeitlich nach Kufstein, wo er lebte und
forschung noch in der ersten Kriegsphase ist Horaks Brief an
als Mittelschulprofessor arbeitete, überbracht worden. Erst
Quellmalz vom 25. Oktober 1939, geschrieben an der Front
später wurde das Archiv nach Innsbruck rücküberführt. Hilf-
in Polen: „Ich bin im Augenblick auf der Wacht im Osten. Ich
reiche Unterstützung bei der Archivarbeit erfuhr Horak durch
habe den Polenfeldzug mitgemacht, bin durch Galizien bis in
seine Frau Grete Horak (1908–1996). Bis März 1940 hatte
die Nähe von Rawa Ruska, dort mußten wir zurück über den
das Ehepaar rund tausend Aufzeichnungen (von insgesamt
San und spielen jetzt Besatzungstruppe im Gebiet zwischen
rund 10.700) reingeschrieben und verzettelt sowie die Biblio­
Weichsel und Bug.
theksbestände vermehrt.34 Ebenso wie seine Kollegen im
Indessen führt meine Frau daheim die Geschäfte im Volks-
Gauausschuss Fritz Engel (1904–2004), Josef Eduard Ploner
liedarchiv weiter. Sie ist als meine ständig hilfsbereite
(1894–1955) und Sepp Thaler (1901–1982) hielt auch Horak
Mitarbeiterin bei meiner Volkslied-Sammel- und Forschungs-
Vorträge über Volksmusik, und zwar, wie es im letzten, von
31
32
Nußbaumer: Das Ostmärkische Volksliedunternehmen (wie Anm. 26), S. 162–168.
Universitätsbibliothek Regensburg, Nachlass Abteilung Volksmusik (wie Anm. 27): Ordner Volksmusik-Ausschuss. Verwaltung und Organisation und
Ordner Volksmusik-Ausschuss. Schriftverkehr mit den einzelnen Gauausschüssen.
32
Universitätsbibliothek Regensburg, Nachlass Abteilung Volksmusik (wie Anm. 27), Ordner Volksmusik-Ausschuss. Schriftverkehr mit den einzelnen
Gauausschüssen: Karl Horak an Alfred Quellmalz, 24.11.1939.
33
Universitätsbibliothek Regensburg, Nachlass Abteilung Volksmusik (wie Anm. 27), Ordner Volksmusik-Ausschuss. Schriftverkehr mit den einzelnen
Gauausschüssen: Karl Horak an Alfred Quellmalz, 25.10.1939.
34
Nußbaumer: Das Ostmärkische Volksliedunternehmen (wie Anm. 26), S. 167–168.
30
31
51
Fritz Engel verfassten Tätigkeitsbericht des Gauausschusses
Zu den wichtigsten Aktivitäten des Gremiums zählte die
für das Jahr 1943 heißt, „vor allem vor politischen Leitern
von Josef Eduard Ploner verantwortete Publikation so
und Lehrern“, um „aufklärend und wegweisend“ zu wirken.
genannter „Liederblätter des Reichsgaues Tirol-Vorarlberg“,
Auch wurden laut Engel zahlreiche praktische Lehrgänge
herausgegeben in Zusammenarbeit mit Karl Horak im Ludwig
für Volkslied und Volkstanz abgehalten, die zum Teil in den
Voggenreiter-Verlag in Potsdam44 (siehe Abb. 1).
„Innsbrucker Nachrichten“ Erwähnung finden. So führte
Ploner war eine führende Kraft der Volksmusikpflege im Gau
Engel beispielsweise „Volkslieder-Singabende“ im Claudia-
Tirol-Vorarlberg und auch einer ihrer Hauptideologen. Seine
saal in Innsbruck durch37, sang Volkslieder mit Teilnehmern
Liederblätter erschienen in den Jahren 1940 und 1941 in
ideologisch bildender Tagungen (z. B. auf einer „Brauchtums-
zehn Folgen und umfassen insgesamt 87 Lieder. Sie waren
tagung“ in Umhausen38) und hielt bei ähnlichen Veranstal-
als Beitrag zur Liedpflege beispielsweise bei den noch näher
tungen mitunter Vorträge über Volkslied und Volkstanz (z. B.
darzustellenden „Dorfgemeinschaftsabenden“ der NSDAP-
auf einer Kreisarbeitstagung in Dornbirn39). Auch Karl Horak
Gliederungen oder innerhalb der Hitlerjugend gedacht und
tat sich in diesem Bereich hervor, z. B. im September 1942
sind in ihrer Zusammenstellung als dezidiert NS-ideologisch
bei einer Brauchtumstagung in Landeck.40
zu bezeichnen. Die nachfolgende Auflistung bietet einen
35
36
Überblick über die Themen der Liederblätter:
3. Volkslied-Publikationen: „Liederblätter
Folgen 1–4: kein Thema
des Reichsgaues Tirol-Vorarlberg“ und
Folge 5: Kinder- und Wiegenlieder
Ploners Liederbuch „Hellau!“
Folge 6: „Aber heunt sein miar kreuzfidell“
Folge 7: „Im Felde, da ist der Mann noch was wert“
Dem Volksmusikausschuss des Gaues Tirol-Vorarlberg gehör-
Folge 8: „Alte Meister“
ten neben Horak, Ploner, Thaler und Engel auch Hermann
Folge 9: „Maienzeit bannet Leid“
Josef Spiehs (1893–1964) vom NS-Lehrerbund an, der nach
Folge 10: Norbert Wallner-Lieder.
dem Krieg eine huldigende Ploner-Biographie schrieb.41
Fritz Engel trug zudem den Titel eines „Kulturreferenten
Die 87 Lieder sind einstimmig und zweistimmig, seltener
des Reichspropagandaministeriums, Sektion Tirol“42 und
drei- und vierstimmig gesetzt und enthalten gelegentlich
war einer der Hauptorganisatoren der „Gaumusikschule für
Angaben zur instrumentalen Begleitung. 37 Lieder ent-
Jugend und Volk“ in Innsbruck.43
stammen dem Bereich des traditionellen alpenländischen
Universitätsbibliothek Regensburg, Nachlass Abteilung Volksmusik (wie Anm. 27), Ordner Volksmusik-Ausschuss. Schriftverkehr mit den einzelnen
Gauausschüssen: Engel, Fritz: Tätigkeitsbericht des Volksliedarchives, 5.10.1943.
36
Siehe Schneider, Manfred: Gauleiter Hofer als Förderer des Brauchtums, http://www.musikland-tirol.at/ARGE-NS-Zeit/ploner/gauleiter-hofer-alsfoerderer-des-brauchtums.html (Zugriff 30.8.2013).
37
[ohne Verf.]: Allgemeines Volksliedersingen der „Kraft durch Freude“, in: Innsbrucker Nachrichten, 8.10.1938, S. 8.
38
[ohne Verf.]: Brauchtumstagung in Umhausen, in: Innsbrucker Nachrichten, 20.10.1942, S. 4.
39
hf.: Dornbirn. Kreisarbeitstagung, in: Innsbrucker Nachrichten, 14.10.1942, S. 3.
40
hf.: Brauchtumstagung in Landeck, in: Innsbrucker Nachrichten, 14.9.1942, S. 4.
41
Spiehs, Hermann Josef [†]: Josef Eduard Ploner. Der Tiroler Komponist (= Schöpferisches Tirol 5, hg. v. Hermann Holzmann), Innsbruck 1965.
42
Siehe Drexel, Kurt: Musikwissenschaft und NS-Ideologie. Dargestellt am Beispiel der Universität Innsbruck von 1938 bis 1945 (= Veröffentlichungen der Universität Innsbruck 202), Innsbruck 1994, S. 192.
43
Schneider, Manfred: Musikausbildung in der NS-Zeit, http://www.musikland-tirol.at/ARGE-NS-Zeit/ploner/musikausbildung-in-der-ns-zeit.html
(Zugriff 29.8.2013).
44
Ploner, Josef Eduard, in Zusammenarbeit mit Karl Horak (Hg.): Liederblätter des Reichsgaues Tirol-Vorarlberg, Potsdam: Folgen 1 und 2: Oktober
1940, Folge 3: November 1940, Folge 4: Dezember 1940, Folge 5: Jänner 1941, Folge 6: Februar 1941, Folge 7: März 1941, Folge 8: April 1941,
Folge 9: Mai 1941, Folge 10: Juni 1941.
35
52
Volksliedes, wobei Ploner mit einer Ausnahme nur in Tirol
Umdichtung“) vor, um einerseits Begriffe wie „Gott“,
und Südtirol aufgezeichnete Lieder veröffentlichte. 15 Lieder
„Vater“, „Buß‘“ und „Gnade“ zu vermeiden, und anderer-
sind deutschnational mit mehr oder weniger deutlicher NS-
seits dem Lied einen kämpferischen Schluss zu verpassen
ideologischer Orientierung. Groß ist der Anteil kriegerischer
(die Hervorhebungen beziehen sich auf die umgedichte-
Lieder aus diversen historischen „Kampfzeiten“ in Tirol. So
ten Stellen):
finden sich acht historisch-politische Lieder überwiegend aus
der Zeit der Tiroler Landesverteidigung von 1796/97 und des
1. Original:50
Tiroler Aufstandes von 1809, zwei jüngere Lieder, die den
„Gleich wie beim letzten Hammerschlag das alte Jahr
vergangen,
angeblich wehrhaften Charakter des Tirolers hervorheben,
und ein Soldatenlied. Lieder so genannter „alter Meister“
so hat im selben Augenblick das neue angefangen.
sowie jahreszeitliche Lieder, darunter Weihnachtslieder,
Wir danken dir, o großer Gott, für das verfloss’ne Jahr:
Kanons belehrenden Inhaltes und ein gebetartiges Lied mit
Wohl daß du uns behütet hast vor Unglück und Gefahr!“
einem Text des in der NS-Zeit gefeierten Südtiroler Dichters
 
Josef Georg Oberkofler (1889–1962)45 vervollständigen die
1. Ploners Umtextierung:
Sammlung.
„Gleich wie beim letzten Hammerschlag das alte Jahr
Dass Ploner Weihnachtslieder aus ideologischen Gründen
vergangen,
als problematisch empfand und nicht ihre originalen Texte
so hat im selben Augenblick das neue angefangen.
wiedergeben wollte, ist für die NS-Zeit durchaus typisch.46
Wir danken fürs empfangne Gut in dem verflossnen Jahr,
Das Tiroler Weihnachtslied „Es håt sich hålt aufton das
wie oft sind wir behütet worden vor Unglück und
himmlische Tor“ enthält einen „Alleluja“-Refrain (siehe
Gefahr!“
Abb. 6). Um den christlichen Bezug des Liedes abzuweisen,
behauptet Ploner: „Dieser ‚liturgische‘ Jodler ist als Protest
2. Original:
gegen den volksmusikdrosselnden Cäcilianismus zu verste-
„Bei vielen hat in diesem Jahr die Uhr geschlagen aus,
hen“.47
sie sind jetzt nicht mehr hier, sie sind im Bretterhaus.
Beim Neujahrslied „Gleichwie beim letzten Hammer-
Vielleicht kann es mit mir und dir im neuen Jahr so geh’n?
schlag“48 nahm er, wie Manfred Schneider aufzeigen
Wie werden wir, o großer Gott, vor’m Richterstuhl
konnte , Umtextierungen (Ploner spricht von „teilweiser
49
besteh’n?“
Josef Georg Oberkofler schrieb auch den Text zu Josef Eduard Ploners Kantate Das Land im Gebirge (op. 109), die dem Gauleiter Franz Hofer
gewidmet war und am 11. Dezember 1942 im Großen Stadtsaal in Innsbruck in einer „Feierstunde der Heimat“ unter dem Ehrenschutz des Gau­
leiters uraufgeführt wurde; siehe Herrmann-Schneider, Hildegard: Werkverzeichnis. Kompositionen von Josef Eduard Ploner kurz vor, während und
kurz nach der NS-Zeit: Opus 76 (vor 1938?) bzw. Opus 77 (1935) − Opus 147 (Dezember 1945), http://www.musikland-tirol.at/ARGE-NS-Zeit/ploner/
werkverzeichnis/index.html (Zugriff 30.8.2013).
46
Siehe Benzig-Vogt, Irmgard: Vom Kind in der Krippe zum Kind in der Wiege. Das Weihnachtslied der NS-Zeit, in: neue musikzeitung 46, 1997,
Ausgabe 12, http://www.nmz.de/artikel/vom-kind-in-der-krippe-zum-kind-in-der-wiege (Zugriff 30.8.2013).
47
Ploner, Josef Eduard: Kommentar zum Lied „Es håt sich hålt aufton das himmlische Tor“, in: Ders., in Zusammenarbeit mit Karl Horak (Hg.):
Lieder­blätter des Reichsgaues Tirol-Vorarlberg, Potsdam 1940, Folge 4, Nr. 23. – Der Cäcilianismus, benannt nach der Heiligen Cäcilia, Patronin
der Musik, ist eine katholische kirchenmusikalische Restaurationsbewegung des 19. Jahrhunderts mit dem Ziel der Rückbesinnung auf einen
an ­Palestrina angelehnten A-cappella-Stil.
48
„Gleichwie beim letzten Hammerschlag“, in Ploner, Josef Eduard, in Zusammenarbeit mit Karl Horak (Hg.): Liederblätter des Reichsgaues TirolVorarlberg, Potsdam 1940, Folge 4, Nr. 32.
49
Schneider, Manfred: Josef Eduard Ploner (1894–1955). 1938/39/40, http://www.musikland-tirol.at/ARGE-NS-Zeit/ploner/1938-39-40/index.html
(Zugriff 30.8.2013).
50
Aufzeichnung von Hermann Josef Spiehs aus Fließ vom 24. November 1937 und von ihm für vierstimmigen Männerchor gesetzt, in: Arbeits­
gemeinschaft Tiroler Komponisten (Hg.): Hirten- und Krippenlieder aus Nord- & Südtirol für verschiedene Chor- u. Instrumentalbesetzung, 1. Folge,
Innsbruck 1937, S. 19.
45
53
Abb. 6: „Es håt sich hålt aufton das himmlische Tor“, in: Ploner, Josef Eduard, in Zusammenarbeit mit Karl Horak (Hg.): Liederblätter des Reichsgaues
Tirol-Vorarlberg, Potsdam 1940, Folge 4, Nr. 23.
54
2. Ploners Umtextierung:
Funktion des Kulturreferenten im Reichspropagandaamt.
„Bei vielen hat in diesem Jahr die Uhr geschlagen aus,
Anschließend kehrte er in den Schuldienst zurück und
sie sind jetzt nicht mehr hier bei uns, sie sind im Bretterhaus.
wurde im Oktober 1938 nach Kitzbühel versetzt, wo er
Vielleicht kann es mit mir und dir im neuen Jahr so gehn?
als Bezirksschulinspektor für den dortigen Landkreis tätig
Wir aber wolln auch Not und Tod im neuen Jahr bestehn!“
war.51
Wallner war ein überzeugter Nationalsozialist, der seiner
3. Original:
politischen Überzeugung durch Lieder und Texte Ausdruck
„Gib, Vater, uns die große Gnad, daß wir zu dir uns wenden,
verlieh sowie des Öfteren in kulturideologischen Kontexten
die wahre Buß’ ergreifen g’schwind vor unserm Lebensende.
an die Öffentlichkeit trat, beispielsweise als Gestalter von
Es kommt für uns ein neues Jahr und wir sein jetzt
„Tirolerabenden“, um seinem Publikum „den Geist unse-
außer G’fahr.
Das wünschen wir, und alle gleich, wohl zu dem neuen
Jahr!“
res echten, urdeutschen Volkslebens, seiner Sitten und
Bräuche, Tänze und Lieder zu erschließen.“52 Im Jahr 1944
komponierte er gar ein „Brixentaler Flurrittlied“, das beim
 
Flurritt, dieser bereits erwähnten massenwirksamen, jährlich
3. Ploners Umtextierung:
stattfindenden Propagandaveranstaltung der NSDAP im Gau
„So kämpfen wir mit allem Mut, daß unsre Kraft es wende
Tirol-Vorarlberg, vorgetragen wurde.53
Und wir all Mühn bestehen gut vor unserm Lebensende.
Im Jahr 1938 hatte Wallner im Ludwig Voggenreiter Verlag
Und kommt für uns das neue Jahr mit Freud und Leid
seine nationalsozialistische Liedersammlung „Wir stehn im
und viel Gefahr.
Wir kämpfen mit viel Mut und Kraft auch in dem neuen
Jahr!“
Morgenrot. Lieder der kämpfenden Ostmark“54 publiziert.
Die 18 Lieder und Texte sind nach den Themen „Aufbruch“,
„Kampf“ und „Reise“ geordnet. Dass Josef Eduard Ploner
dem ihm gut bekannten Norbert Wallner eine Folge seiner
Ab der Folge 5 stehen die Blätter jeweils unter einem
Liederblätter zueignete und insgesamt sechs Lieder aus des-
bestimmten Motto, die Folge 10 beispielsweise ist den
sen Sammlung von 1938 abdruckte, ist eine deutlich erkenn-
Liedern Norbert Wallners gewidmet. Wallner (1907–1976)
bare ideologische Einfärbung der Liederblättersammlung.
war bereits in der NS-Zeit ein führender Mann der Volksliedpflege in Tirol und blieb dies bis zu seinem Tode. Von
Ploners umfangreichstes Liederbuch ist jedoch die Samm-
Beruf Lehrer, war er schon 1936 der damals in Österreich
lung „Hellau! Liederbuch für Front und Heimat des Gaues
verbotenen NSDAP beigetreten. Nach dem so genannten
Tirol-Vorarlberg“, 1942 herausgegeben im Auftrag des
„Anschluss“ übte er zunächst drei Monate lang das Amt
Gauleiters Franz Hofer55 und, was die Auswahl der Lieder
eines Volksbildungsreferenten für den Gau Tirol-Vorarlberg
und Zusammenstellung anbelangt, ein nationalsozialisti-
aus, dann vom 1. August bis 21. September 1938 die
sches Werk (siehe Abb. 7). Ploners Volksliedbegriff steht
Über Norbert Wallner in der NS-Zeit siehe Bundesarchiv Berlin, R 43/4571: Dokumente aus der NSDAP-Gaukartei u. a. Ich danke Kurt Drexel,
Universität Innsbruck, für den Hinweis auf diese Dokumente. – Siehe auch Schneider, Manfred: Weitere Informationen zu Norbert Wallner,
http://www.musikland-tirol.at/ARGE-NS-Zeit/ploner/weitere-informationen-zu-norbert-wallner.html (Zugriff 30.8.2013).
52
p.: Tirol in Lied und Tanz. Die erste große Feierabend-Gestaltung der NS.-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“, in: Innsbrucker Nachrichten,
12.8.1938, S. 6.
53
[ohne Verf.]: „Wehrbauernstamm im Süden des Reiches“. Der Brixentaler Flurritt, ein Bekenntnis zu Heimattreue und Einsatzbereitschaft, in: Innsbrucker Nachrichten, 13.6.1944, S. 3.
54
Wallner, Norbert: Wir stehn im Morgenrot. Lieder der kämpfenden Ostmark, Potsdam 1938.
55
Ploner, Josef Eduard (Hg.): Hellau! Liederbuch für Front und Heimat des Gaues Tirol-Vorarlberg. Herausgegeben im Auftrage des Gauleiters und
Reichsstatthalters Franz Hofer, Potsdam 1942.
51
55
Abb. 7: Umschlagbild und Vorwort zu: Ploner, Josef Eduard (Hg.): Hellau! Liederbuch für Front und Heimat des Gaues Tirol-Vorarlberg. Herausgegeben
im Auftrage des Gauleiters und Reichsstatthalters Franz Hofer, Potsdam 1942.
in der Tradition des völkisch bestimmten Volksliedbegriffs
skript mit dem Titel „Vom echten und unechten Tiroler Volks-
eines Josef Pommer (1845–1918)56 und Franz Friedrich Kohl
lied“. Darin heißt es: „Die bewusste Brauchtumspflege
(1851–1924). Beide waren deutschnationale Vertreter der
des Natio­nalsozialismus hat auch in unserem Gau das hei-
so genannten „Produktionstheorie“ und Pioniere der Volks-
mische Lied aus seinem Sonder- und Schattendasein heraus­
liedforschung in Österreich zur Wende zum 20. Jahrhundert.
geführt. Wenn es bisher in Sammlungen und Archiven, in
Ploner formulierte seinen Volksliedbegriff in einem um
bestimmten Vereinen und bei einzelnen Idealisten und Lieb-
1942/43 verfassten, unveröffentlicht gebliebenen Typo-
habern noch ein etwas blutleeres Dasein geführt hat,
57
Zu Josef Pommers Wirken und Volksliedbegriff siehe Mochar-Kircher, Iris: Das echte deutsche Volkslied. Josef Pommer (1845–1918) – Politik und
nationale Kultur (= Musikkontext. Studien zur Kultur, Geschichte und Theorie der Musik 3), Frankfurt a. M.–Berlin–Bern–Bruxelles–New York–
Oxford–Wien 2004.
57
Franz Friedrich Kohl, trotz seiner späteren Feindschaft mit Josef Pommer stets ein Anhänger von dessen Gedankenwelt, formulierte sein Volksliedverständnis in seiner programmatischen, seiner Sammlung „Echte Tiroler-Lieder“ (Wien 1899) vorangestellten Abhandlung. Kohl, Franz Friedrich:
Das Tiroler-Volkslied. Ein Wort zum Verständnis und zur Würdigung des echten deutschen Volksliedes in Tirol, in: Tiroler Volksmusikverein/Süd­
tiroler Volksmusikkreis (Hg.): Echte Tiroler Lieder. Ergänzte und kommentierte Neuausgabe der Tiroler Liedersammlungen von Franz Friedrich Kohl,
3. Band, Innsbruck–Wien 1999, S. 470–502.
56
56
so soll es jetzt nach dem Willen des Gauleiters und Reichs-
gegenwärtige musikalische Rassenforschung der NS-Zeit
statthalters wieder lebendiges Eigentum des Volkes werden.
Bezug nimmt. Er ist durchaus vereinbar mit dem Brauchtums-
Die Herausgabe des ‚Hellau‘-Liederbuches, die Liederheft-
begriff des Gauleiters Franz Hofer, der sich anlässlich der
chen bei einer der letzten Straßensammlungen, das geplante
„Volkskulturtage der Hitler-Jugend“ im Rahmen des „6. Lan-
Schulliederbuch des Gaues, die allseitige Volksmusik-
desschießens“ des Standschützenverbandes 1943 über seine
pflege innerhalb des Standschützenverbandes und die in
Kulturpolitik äußerte: „Dann nahm Gauleiter H o f e r das
vielen Ortsgruppen schon durchgeführten Heim- und Dorf-
Wort zu grundsätzlichen Ausführungen über den Sinn und
abende zeugen von diesem Erneuerungswillen. Erstrebens-
das Ziel der gesamten Brauchtumsarbeit. […] Eindringlich
wertes Höchstziel wäre es, wenn durch Partei und Schule
wies der Gauleiter darauf hin, daß Volkslied, Volkstanz,
die Aufklärung über echte und unechte Volksmusik soweit
Volkmusik, Volkstracht, Laienspiel und alles, was sonst noch
gediehe, dass überhaupt nur mehr echte Volkskunst ertönte.
zur Brauchtumspflege gehört, keine Nervenreizmittel und
Meine heutigen Ausführungen über das echte und unechte
keine oberflächlichen Vergnügungen sind, sondern wich-
Tiroler Lied soll man als kleinen Beitrag der Aufklärung
tigste Arbeit an der Gemeinschaft und ein Zurückfinden zu
werten“.58
unserer Urkraft. In diesem Zusammenhang ging der Gauleiter
„Echte“ Tiroler Volkslieder sind laut Ploner – und hier folgt
besonders auch auf die Fragen der Musikerziehung ein und
er den Definitionen Franz Friedrich Kohls von 1899 – Lieder
betonte die feststehende und richtungweisende Tatsache,
„heiterer Art“ mit „tänzerisch-beschwingter Weise“. Im
daß alle hohe Kunst aus der Volkskunst hervorgegangen sei
„echten“ Tiroler Lied finde man nie „eine weltschmerzliche
und ihr nur von dieser her immer wieder frische Kräfte zuge-
oder gar sentimentale Wendung oder Betrachtung“, das
führt werden können. Alles höher Entwickelte ist der Gefahr
„echte“ Tiroler Lied sei „fast immer lebensbejahend, kämp-
des Verfalles und der Entartung ausgesetzt: Verfeinerte
ferisch, daseinsfroh, ja geradezu daseinsüberschwenglich“.
Obstsorten, hochgezüchtete Getreidearten sind anfälliger für
Vehement wendet sich Ploner gegen die in der Bevölkerung
Schädlinge und für ungünstige Witterungseinflüsse als die
auch zu seiner Zeit populären sentimentalen Lieder – sie
einfachen ‚groben‘ Gewächse; genau dasselbe gilt für die
seien „unecht“. „Alle diese tränendrüsenbewegenden
Güter der Kultur und auch für die Menschen. Modische Klei-
Lieder“, behauptet er, „sind die Erzeugnisse entarteter
der entarten leicht, das Berufstheater und die Kunstmusik
Seelenhaltung und haben mit den echten Liedern unseres
können verderblichen Kultureinflüssen nur zu leicht verfallen,
Alpenvolkes nur […] Äußerlichkeiten gemein.“ Die einzige
was wir ja in der Systemzeit [unter den österreichischen
Möglichkeit, diese Lieder zu bekämpfen, liege in der natio-
Kanzlern Engelbert Dollfuß und Kurt Schuschnigg, Anm.] zur
nalsozialistischen Kulturarbeit.
Genüge erlebt haben, der verstädterte Mensch ist immer
Ideen dieser Art korrelieren mit der Absicht, einer ganz spe-
in Gefahr, nachteiligen Umwelteinflüssen zu erliegen. Blei-
zifischen, in der völkischen Ideologie wurzelnden Vorstellung
bend und unveränderlich sind dagegen die Kulturwerte des
von tirolischer Identität Bahn zu brechen. Der idealtypische
bäuerl­ichen Lebenskreises: die Tracht, das Laienspiel und die
Tiroler (er ist auch bei Kohl schon deutsch) sei heiter, natur-
Volksmusik. Ewige Lebenskraft, Beharrlichkeit und Sicherung
verbunden, männlich, wehrhaft. Ploners Volksliedbegriff
der Art ruht im bäuerlichen Menschen. Aller Musikaus­
ist, genauso wie jener von Kohl, antimodernistisch, kultur­
bildung fehlt daher die sichere Grundlage, wenn sie nicht
pessimistisch und sogar rassistisch, wenn er auf die damals
aus der Volksmusik und ihrer Pflege herauswächst. […]
59
Ploner, Josef Eduard: Vom echten und unechten Tiroler Volkslied (Typoskript), 1942/43 verfasst; Original im Besitz von Gilbert Ploner, Innsbruck.
Vollständig wiedergegeben in: Schneider, Manfred: Josef Eduard Ploner (1894–1955). 1941/42, http://www.musikland-tirol.at/ARGE-NS-Zeit/
ploner/1941-42/index.html (Zugriff 29.8.2013).
59
Ploner: Vom echten und unechten Tiroler Volkslied (wie Anm. 58).
58
57
Daher muß die Pflege der Volksmusik durch eine umfas-
Die 239 Lieder in Ploners Sammlung sind in vier Gruppen
sende Breitenarbeit bis in das letzte Dorf getragen werden,
unterteilt: „I. [nationalsozialistische] Kampf- und Feier­-
wobei nicht nur ihre gemeinschaftsbildende Wirkung zum
lieder“, „II. Soldatenlieder“, „III. Heimatlieder“ und
Tragen gebracht wird, sondern auch in der großen Masse
„IV. ‚Kraut und Ruabn‘ [i. e. alpenländische Lieder ver-
der Musikbeflissenheit die großen Begabungen auf dem
schiedenen Inhaltes]“. Das Liederbuch sollte nach Ploners
Wege der natürlichen Auslese herausgefunden werden
Wunsch „viel Freude bereiten! Und Freude schafft
[…].“
wiederum Kraft. Diese seelische Kraft aber soll mithelfen,
Ploners „Hellau!“-Sammlung präsentiert sich als Spiegelbild
unserem kämpfenden Volke den Endsieg zu erringen.“63
derartiger Konzepte. Das titelgebende Lied „Hellau! Miar
Abgesehen von den 32 bekenntnishaften NS-Liedern,
sein Tirolerbuam“, von Ploner wohl fälschlich als ein „altes
von denen sechs von Ploner stammen, überwiegen die
Schützenlied“ bezeichnet, scheint erstmals in einer Lied-
alpenländischen bzw. Tiroler und Südtiroler Volkslieder
broschüre, herausgegeben nach 1926 von der Innsbrucker
bei weitem.64 Doch der Titel, die im Vorwort geäußerte Inten-
„Arbeitsstelle für Südtirol“ auf. Diese Arbeitsstelle, die dem
tion und die Auswahl verleihen der Sammlung eine klare
1919 gegründeten „Andreas-Hofer-Bund“ angegliedert war,
NS-ideologische Prägung, die durch den Aspekt des Anti-
zeichnete für die Herausgabe politisch-propagandistischer
semitismus massiv verstärkt wird, indem Ploner gegen
Schriften im Rahmen des Abwehrkampfes gegen die vom
Ende des Buchs eine gegen die Juden gerichtete „Litanei“,
Mussolini-Regime betriebenen Italianisierungsmaßnahmen
die er dem Liederbuch „Der kleine Kilometerstein. Eine
in Südtirol verantwortlich.61 Das Lied war also bereits ideo-
lustige Sammlung“ (Potsdam, viele Ausgaben besonders
logisch determiniert, ehe es Sepp Tanzer (1907–1983), „Gau-
ab 1933) entnommen hat, sowie ein antisemitisches Gstanzl
musikleiter von Tirol und Vorarlberg“, für den Trioteil seiner
wiedergibt65 (siehe Abb. 8).
dem Gauleiter Hofer gewidmeten Komposition „Standschüt-
In der alpenländischen Volksliedüberlieferung gibt es einige
zenmarsch“ (1942) verwendete und Ploner sein Liederbuch
wenige Beispiele für den religiös motivierten Antisemitis-
danach benannte. „Hellau! Miar sein Tirolerbuam“ war quasi
mus, in denen die Juden als Mörder von Jesus Christus
die Hymne der Standschützen, angeblich ein Lieblingslied
beschimpft werden. Der Antisemitismus bei Ploner hin-
des Gauleiters, und wurde gegen Kriegsende immer häufiger
gegen ist nicht religiös, sondern rassistisch motiviert und
bei den Landes- und Kreisschießen in bekenntnishafter Atti-
unterstreicht die nationalsozialistische Ausrichtung seines
tüde gesungen.
Liederbuchs. Aus diesem Grund ist die Aufnahme der
60
62
[ohne Verf.]: Volkskulturtage der Hitler-Jugend abgeschlossen, in: Innsbrucker Nachrichten, 16.7.1943, S. 3. – Über Franz Hofers Brauchtumsbegriff
siehe die Materialsammlung in Schneider, Manfred: Gauleiter Hofer als Förderer des Brauchtums, http://www.musikland-tirol.at/ARGE-NS-Zeit/
ploner/gauleiter-hofer-als-foerderer-des-brauchtums.html (Zugriff 30.8.2013).
61
Für den Hinweis auf den ersten bekannten Druck des Liedes „Hellau! Miar sein Tirolerbuam“, in: Arbeitsstelle für Südtirol (Hg.): Tiroler Heimat­
lieder, Innsbruck o. J., S. 11, danke ich Kurt Drexel, Universität Innsbruck.
62
Z. B. beim „Brauchtumsabend“ zum Abschluss der „Volkskulturtage“ der Hitlerjugend im Rahmen des „6. Landesschießens“ im Juli 1943: „Daß
aber nicht nur die Mitwirkenden untereinander, sondern mit ihnen auch die Zuhörer eine große Kameradschaft darstellten, wurde dadurch versinnbildlicht, daß zu wiederholtem Mal alle Anwesenden gemeinsam in die vertrauten Heimatlieder einstimmten, wie es besonders am Schluß des
Abends beim Gesang des ‚Hellau‘ geschah“ ([ohne Verf.]: Großer Brauchtumsabend der Hitler-Jugend, in: Innsbrucker Nachrichten, 17.7.1943, S. 3).
– Oder bei der Eröffnung des Kreisschießens in Schwaz am 18. Juni 1944: „Nach einem Schwertertanz einer Jungengruppe, dessen Schildspruch
‚Vor keinem stocken, vor keinem weichen, Schwert und Pflugschar blank weiterreichen!‘ mit kurzen Worten Haltung und Verpflichtung im Sinne
unserer überlieferten wehrgeistigen Auffassung umriß, bildete das Hellau-Lied den Abschluß der Feier“ ([ohne Verf.]: Gewaltiger Aufschwung der
Pflege wehrhaften Brauchtums. Gauleiter Hofer besuchte die Kreisschießen in Kufstein und Schwaz – Großartiger Leistungsbericht der Brauchtumsarbeit im Standschützenverband und in der Hitler-Jugend, in: Tiroler Volksblatt, 19.6.1944, S. 3).
63
Ploner, Josef Eduard: [Vorwort], in: Ders.: Hellau (wie Anm. 55), S. 5.
64
Die in Südtirol aufgezeichneten Volkslieder hatte ihm der schon genannte Südtiroler Quellmalz-Mitarbeiter Karl Aukenthaler übermittelt.
65
Ploner: Hellau (wie Anm. 55), S. 246: „Litanei“ und „Und der Jud hat den Brauch“.
60
58
Abb. 8: „Litanei“ und „Und der Jud hat den Brauch“, in: Ploner, Josef Eduard (Hg.): Hellau! Liederbuch für Front und Heimat des Gaues Tirol-Vorarlberg.
Herausgegeben im Auftrage des Gauleiters und Reichsstatthalters Franz Hofer, Potsdam 1942, S. 246.
59
beiden judenfeindlichen Lieder in das Werk nicht als quasi
Hofer veranlasste bald nach seiner Machtübernahme die
beiläufige Anbiederung an die herrschende politische
Gründung des so genannten „Standschützenverbandes“,
66
Situation zu werten, wie Manfred Schneider glaubt ,
dem sämtliche Traditionsvereine des Gaues beizutreten
sondern als eine von Ploner beabsichtigte, pointierte
hatten. Der Standschützenverband sollte zwar ideell an
Zuspitzung der ideologischen Linie seiner Sammlung.
die Schützentradition des Landes anknüpfen, aber nicht
Erwähnenswert ist, dass Ploner in seinem „Tirol-Vorarlberg
allein auf das sportliche Schießen beschränkt bleiben,
Chorbuch für drei gleiche oder gemischte Stimmen“ (Wien
sondern durch öffentlichkeitswirksame Brauchtumsveran-
1943), gedacht für den Schulunterricht und die Volkslied-
staltungen unter Einbezug von Blasmusik, Volksmusik,
pflege im Chor, auf Ideologie weitgehend verzichtete, also
Volkstanz und Gesang ein Abbild einer neuen Volksgemein-
auch durchaus anders agieren konnte.
schaft darstellen. „Der Standschützenverband“, betonte
Hofer immer wieder, beispielsweise 1942, „soll der große
Brauchtums- und Heimatverband sein. Er will nicht nur
4. Volksmusik zur Fest- und
das Schießen pflegen, besonders die Jugend zur Schuss-
Feiergestaltung und bei diversen
fertigkeit und zum wehrhaften Geist heranziehen, sondern
öffentlichen Veranstaltungen
auch das Volksleben, den Volkstanz, das Volkslied, die
Trachten, die Musik und vor allem auch die Laienspiele
Bloß zusammenfassend seien hier weitere Bereiche des
erhalten und fördern.“67 Gegen Ende des Krieges und beson-
politischen und sozialen Lebens genannt, in denen Volksmu-
ders ab der Mobilisierung des so genannten „Volkssturms“
sik eine Rolle spielte. Geradezu überraschend ist das sich
ist immer öfter auch von „wehrhafter Brauchtumspflege“
in den Zeitungen spiegelnde ungeheuer große Ausmaß an
die Rede.68
brauchtumspflegerischen Aktivitäten in Tirol während der
Die propagandistischen Großveranstaltungen der NS-Dikta-
NS-Zeit und die immense Funktionalisierung von Volksmusik,
tur in Tirol waren die jährlich stattfindenden Landesschießen
Volkstanz und Blasmusik für ideologische Zwecke. Über­
in Innsbruck sowie die so genannten „Flurritte“ im Brixental
raschend ist auch die teilweise sehr ausführliche Darstellung
mit tausenden Mitwirkenden und Zuschauern. Bei den sich
von volkskulturellen Ereignissen in den Zeitungen, insbeson-
über mehrere Tage erstreckenden Landesschießen wurden,
dere in den „Innsbrucker Nachrichten“. Höchst offenkundig
abgesehen von den Schießübungen am Landesschießplatz in
zählte die Volkskulturpflege, bzw. „Brauchtumspflege“, wie
Innsbruck und stundenlangen Paraden der Schützenkompa-
es damals zumeist hieß, zu den Säulen der Kulturpolitik
nien und Musikkapellen, zahlreiche Volkstanzveranstaltungen,
Gauleiter Hofers.
Musikkapellenwettbewerbe, sogar „Volkskulturtage der
Manfred Schneiders Materialsammlung ist zwar sehr verdienstvoll, doch einige seiner Deutungen und Kommentare sind nicht nachvollziehbar
und auch polemisch, wie etwa im gegenständlichen Fall: „Dass ein antijüdisches Schnaderhüpfel wie Nr. 238 und besonders die Litanei Nr. 237
in einem Liederbuch aus der Zeit des Nationalsozialismus aus heutiger Sicht, wo wir von der Verfolgung und Vernichtung unzähliger Juden durch
den nationalsozialistischen Terror wissen und diese unverzeihlichen Verbrechen niemals aus unserem Gedächtnis streichen dürfen, aus dem
ursprünglich intendierten Zusammenhang gerissen, eine schreckliche, ja unerträgliche Optik ergeben, ist evident. Umso mehr muss man bei der
wissenschaftlichen Beurteilung solcher Quellen sich aber nicht von verständlicher moralischer Empörung leiten lassen, sondern den Sachverhalt
in seinem ursprünglichen Kontext erkennen und auch akzeptieren. Dass man mit einem Beispiel wie der Litanei, vom originären Hintergrund isoliert, indem das für sich stehende grauenvolle Liedzitat gewissermaßen mit Leben und Werk Ploners subsumiert wird, obwohl die Worte und die
Melodie gar nicht von ihm stammen, öffentliche Verunsicherung und gezielte Polemik erzeugen kann, haben jüngste Vorgänge seitens des Musik­
wissenschaftlichen Instituts der Universität Innsbruck eindringlich wie hinlänglich vor Augen geführt“; siehe Schneider, Manfred: Josef Eduard
Ploner (1894–1955). 1941/42, http://www.musikland-tirol.at/ARGE-NS-Zeit/ploner/1941-42/index.html (Zugriff 29.8.2013).
67
gd.: „Der große Brauchtums- und Heimatabend“. Grundsätzliche Rede des Gauleiters in Dornbirn, in: Tiroler Volksblatt, 20.5.1942, S. 3.
68
Z. B. beim „7. Landesschießen“ am 2. Juli 1944: „In seinen folgenden Ausführungen ging der Gauleiter sodann auf die wehrhafte Brauchtumspflege
in unserer Heimat ein […].“ (kth.: Demonstration des Wehrwillens und der Siegesgewißheit. Zehntausende bei der Großkundgebung und dem Vorbeimarsch auf dem Adolf-Hitler-Platz – Ein einzigartiges Bekenntnis zum Führer, in: Innsbrucker Nachrichten, 3.7.1944, S. 3).
66
60
Hitlerjugend“69, veranstaltet. Der Flurritt als nationalsozia­
ler, Brauchtumsgruppen (Anklöpfler, Perchten usw.), begleitet
listische Umformung des katholischen Brauches des Ant-
von der Alpbacher Trachtenmusik, boten Hervorragendes“
lassreitens bot, abgesehen von der üblichen Pferdeschau,
(Dorfgemeinschaftsabend im Alpbachtal74); „[…] außerdem
ebenfalls Anlass zu gemeinschaftsbildender Ausübung von
waren volkstümliche Lieder im Viergesang zu hören“ (Walch-
Volksmusik, Volkstanz und Blasmusik. Diese Art der Volks-
see75); „Die Darbietungen der Musikkapelle, die bunten Lied-
musikpflege war darbietungsorientiert und unterschied sich
vorträge und Volkstänze der Brauchtumsgruppe und die von
beträchtlich von den funktional geprägten Musiktraditionen
Pg. [Parteigenosse] Primus vorgetragenen Knittelverse nach
in den Dörfern.
der Art der ‚Schnitzelbank‘ wurden mit ungeteiltem Beifall
70
71
Eine Besonderheit des NS-Systems waren die so genannten
aufgenommen“ (Kitzbühel76); „Besonderen Beifall fand der
72
„Dorfgemeinschaftsabende“. Sie wurden von den ört­
beste Jodler des Dorfes, Pg. Josef Bader“ (Lermoos77); „Die
lichen NSDAP-Gliederungen (z. B. von der HJ, dem BdM, der
kleine Sängerschar und das Wolf-Quartett sangen sich mit
NS-Frauenschaft) gestaltet, dienten der Identitätsstiftung,
ihren Liedern und Jodlern in die Herzen der Zuschauer. Rei-
Gemeinschafts- und ideologischen Bildung und waren der
chen Beifall fanden die Mädchen des Reichsarbeitsdienstes,
nationalsozialistischen Volksgemeinschaftsideologie ver-
die unter Leitung der Lagerführerin Pg. Hesse alte Volkstänze
pflichtet. Meist wurden dabei im Rahmen festgelegter Pro-
zeigten und ansprechende Volkslieder brachten. […] Zum
grammfolgen historische, politische oder volkskundliche Vor-
Schluß ergriff der Kreisleiter, Gauinspektor [Klaus] Mahnert
träge gehalten und im Anschluss daran Lieder, Musik­stücke
das Wort und führte u. a. aus: Wenn wir heute im dritten
und Tänze dargeboten oder gemeinsam ausgeführt. Der
Kriegsjahr einen Dorfgemeinschaftsabend durchführen, dann
erste Dorfgemeinschaftsabend im Gau Tirol-Vorarlberg fand
tun wir dies nicht, um das Kriegsgeschehen zu vergessen,
laut den „Innsbrucker Nachrichten“ am 29. Jänner 1940 in
sondern um zu erkennen, daß wir uns noch enger als bisher
Rum bei Innsbruck statt. In den „Innsbrucker Nachrichten“
zusammenfinden müssen, um auch in der Heimat bestehen
sind für den Zeitraum 1940–1944 zahlreiche Dorfgemein-
zu können“ (Tarrenz78). Gerade die letzte Passage – hier ging
schaftsabende belegt, in denen Volksmusikdarbietungen
es bereits um Durchhalteparolen in einem immer schlimmer
eine wesentliche Rolle spielten. Dazu bloß einige wenige
werdenden Krieg – offenbart die doch sehr strikte politische
Beispiele: „[…] denn die einheimischen Sänger, Schuhplatt-
Orientierung dieser Dorfgemeinschaftsabende.
73
Im Rahmen des „6. Landesschießens“ in Innsbruck im Juli 1943. In zeitlicher Nähe zum „7. Landesschießen“ fanden im Juli 1944 „Volkskulturtage der Hitler-Jugend“ in Landeck statt; siehe die entsprechenden Zeitungsberichte in der Materialsammlung bei Schneider, Manfred: Standschützenverband – Landesschießen – Kreisschießen, http://www.musikland-tirol.at/ARGE-NS-Zeit/ploner/1938-39-40/standschuetzenverband--landesschieen---kreisschie.html (Zugriff 30.8.2013).
70
Siehe Bundesarchiv Berlin, NS 8/245, fol. 23–24: Thiele, Otto: Umwandlung kirchlichen Brauchtums [Schreiben an Wolfram Sievers, Reichs­
geschäftsführer des SS-Ahnenerbes]. Thiele war ein Volkskundler innerhalb des SS-Ahnenerbes, der die Umformung des Brixentaler Antlassrittes
zum Flurritt genau beobachtete und als besonders vorbildlich beurteilte: „Ich habe dabei den Eindruck gewonnen, daß die Durchführung dieses
Brauches für unsere künftige Brauchtumsarbeit von wegweisender Bedeutung sein kann, da hier erstmalig der Versuch unternommen wird, die
Kirche am Fronleichnamstag auszuschalten und die Gestaltung dieses Tages selbst zu übernehmen“ (fol. 23).
71
Siehe die Zeitungsberichte in Schneider, Manfred: Brixentaler Flurritt 1939–44, http://www.musikland-tirol.at/ARGE-NS-Zeit/ploner/brixentalerflurritt-1939-44.html (Zugriff 30.8.2013).
72
Siehe die Zeitungsberichte in Schneider, Manfred: Anmerkungen, http://www.musikland-tirol.at/ARGE-NS-Zeit/ploner/anmerkungen.html (Zugriff
30.8.2013).
73
f. o.: Fester Zusammenhalt in der Dorfgemeinschaft. Der erste Dorfgemeinschaftsabend in unserem Gau – Kulturarbeit im Dorf auch in der Kriegszeit, in: Innsbrucker Nachrichten, 30.1.1940, S. 4.
74
G.: Der erste Dorfgemeinschaftsabend im Alpbachtal. Altes Brauchtum in lebendiger Ueberlieferung – Gäste aus allen deutschen Gauen – Ein
­farbenfrohes Bild alter Trachten, in: Innsbrucker Nachrichten, 2.4.1941, S. 5.
75
gd.: Walchsee. Dorfgemeinschaftsabend [der lokalen NSDAP-Ortsgruppe], in: Innsbrucker Nachrichten, 27.3.1941, S. 6.
76
gd.: Kitzbühel. Dorfgemeinschaftsabend [der lokalen NSDAP-Ortsgruppe], Innsbrucker Nachrichten, 17.9.1941, S. 4.
77
gd.: Lermoos. Dorfgemeinschaftsabend [der lokalen NSDAP-Ortsgruppe], in: Innsbrucker Nachrichten, 18.11.1941, S. 4.
78
[ohne Verf.]: Dorfgemeinschaftsabend in Tarrenz, Innsbrucker Nachrichten, 3.2.1942, S. 3.
69
61
5. Anmerkungen zur Funktionalität
Kapellen schwerwiegende Verluste und Ausfälle hinnehmen,
der Blasmusik im Gau Tirol-Vorarlberg
doch Franz Hofer irrte wohl nicht, als er am 7. Juli 1942
anlässlich des „5. Landesschießens“ öffentlich äußerte:
Die Blasmusikpflege wird aufgrund des Blasmusikreper-
„Trotz der durch den Krieg bedingten Erschwerungen ist das
toires, das neben „traditional music“ und Popularmusik
Landesschießen in Innsbruck heute eindeutig das größte
auch komponierte Märsche, Arrangements von kunst­
Schützentreffen, das Deutschland kennt und trotz Krieg und
musikalischen Werken und Originalkompositionen für Blas-
aller Schwierigkeiten sind im Gau fast 200 Standschüt-
instrumente umfasst, gewöhnlich nicht zu den Bereichen der
zenmusikkapellen noch spielfähig. Wo die waffenfähigen
Volksmusik gezählt. Da die Blasmusikforschung überwiegend
Männer fehlen, finden sich überall Alte und Junge, die in die
andere Themen bearbeitet als die Volksmusikforschung,
Lücken einspringen. In dieser Bereitschaft, sich für andere
wäre die Frage der Funktionalisierung der Blasmusik im
zur Verfügung zu stellen, offenbart sich aber das Gemein-
Gau Tirol-Vorarlberg somit ein eigenes und übrigens drin-
schaftsgefühl, das in wenigen Jahren in unserem Volke
gend zu behandelndes Thema. Aufgrund der thematischen
wieder geweckt und in ungeahntem Maße vertieft wurde.
Nähe der Blasmusikpflege zur Volksmusikpflege gerade
Auch hier offenbart sich der große Wandel, den wir einem
in der NS-Zeit in Tirol seien an dieser Stelle trotzdem einige
einzigen Manne verdanken, von dem eine wunderbare Kraft
Anmerkungen gestattet.
ausgeht, die uns zu Leistungen befähigt, die wir ohne Adolf
Als Betreuer zahlreicher studentischer Arbeiten an der
Hitler niemals hätten schaffen können.“79
Universität Mozarteum über Tiroler Dorfmusikkapellen
Ähnlich äußerte sich noch knapp vor Kriegsende Sepp
konnte ich immer wieder feststellen, dass die Tiroler
Tanzer, Gaumusikleiter, Musikreferent des Standschützenver-
Musikkapellenchroniken für die Jahre 1938–1945 meist
bandes und Leiter der „Fachschaft Volksmusik in der Reichs-
keine Aufzeichnungen (mehr) enthalten. Fast in jeder Tiroler
musikkammer für den Gau Tirol-Vorarlberg“: „Der Wehrwil-
Musikkapellenchronik ist zu lesen, die Kapelle habe infolge
len [sic] und die Wehrhaftigkeit unserer Heimat drücken sich
des Krieges und der Einziehung ihrer Mitglieder zur Wehr-
nicht nur in der Waffenbeherrschung und im Schießwesen
macht ihr Wirken einstellen müssen. Die Eingliederung
aus, sondern auch in der Pflege der Blasmusik. Seit dem
der Musikkapellen in den Standschützenverband, wo sie in
Mittelalter hat sich die Blasmusik im Rahmen der Wehrhaf-
Wahrheit fortbestanden, wird heute fälschlich als Auflösung
tigkeit langsam zu jener heldisch tönenden Harmonie entwi-
der Kapellen bezeichnet.
ckelt, wie sie in den klangvollen Kapellen der heutigen Zeit
Folgt man jedoch den Berichten in den Zeitungen der NS-
Ausdruck findet. […] Von den etwa 6000 Blaskapellen des
Zeit, bietet sich ein Bild höchster Aktivität im blasmusika-
Großdeutschen Reiches befinden sich ungefähr 1250, das
lischen Sektor. Bei jedem Landesschießen, Kreisschießen,
ist über ein Fünftel, allein in den Alpen- und Donaugauen.
bei jeder Sammlung für das Winterhilfswerk, bei jedem Fest
Davon entfallen [sic] auf unseren Gau ungefähr ein Viertel;
zum Führergeburtstag usw. zeigten sich marschierende,
und somit steht der Gau Tirol-Vorarlberg mit über 300 Kapel-
Wertungsspiele austragende, Kameradschaftsabende
len an der Spitze aller Gaue.“80 Tirol-Vorarlberg ein Gau der
und Dorfgemeinschaftsabende gestaltende Standschüt-
Blasmusik – eine damals wohl nicht uninteressante Perspek-
zenmusikkapellen, und man entnimmt den Medien oft
tive für die kulturelle Identitätskonstruktion im Vergleich zu
detaillierte Beschreibungen von Musikkapellenkonzerten.
den anderen Gauen, von denen sich der Gau Tirol-Vorarlberg
Zwar mussten mit Fortschritt des Krieges tatsächlich viele
ja abheben wollte.
kth.: Großdeutschlands größtes Schützentreffen. Der Großappell „Heimat in Waffen“ auf dem Adolf-Hitler-Platz – Ein machtvolles Bekenntnis zum
Führer und zum großdeutschen Freiheitskampf, in: Innsbrucker Nachrichten, 7.7.1942, S. 6.
80
Tanzer, Sepp: Der Aufbau der Standschützenkapellen, in: Alpenheimat. Familienkalender für Stadt und Land 1945, S. 43.
79
62
Diese Aussagen sind angesichts der bisher schlechten For-
unternahmen, manchmal eklatant ist. Eine detailliertere
schungslage bemerkenswert, und die Quellen sind geeignet,
Kenntnis der historischen Fakten, das Wissen um die politi-
das Märchen vom Untergang der Tiroler Blasmusik während
sche Instrumentalisierbarkeit der Volks- und Gebrauchsmusik
der NS-Zeit zu widerlegen, zumal – und ich spreche hier aus
während der NS-Zeit, auch ein Gespür für Fragen der Ideolo-
meiner Erfahrung als Universitätslehrer – der Mangel an
gie bzw. Ideologisierung von Musik, all dies könnte zu einer
historischer Sensibilität bei jungen Musikstudierenden, die
Bewusstseinsbildung besonders innerhalb der Blas­musik-
sich mit der Entwicklungsgeschichte jener Kapellen befas-
und Volkmusikszene, sowohl bei den Musikantinnen und
sen wollen, in denen sie ihre ersten musikalischen Schritte
Musikanten als auch bei ihrem Publikum, beitragen.
63
Abb. 1: Film-Still aus: 6. Landesschießen 1943 Innsbruck, Produktion: Uli Ritzer, Musik: Sepp Tanzer, Österreich (1943) Ton, Farbe.
Das 6. Landesschießen 1943 war eine Großveranstaltung in Innsbruck vom 4. bis 18. Juli 1943.
Behemoth und die Musik
Anmerkungen zum Kulturleben des „Unstaats“
und zum unterirdischen Fortwirken der Wiener Schule
Gerhard Scheit
Abstract
gen, zu bejahenden Ungeheuer, nämlich dem Souverän als
anerkanntem Gewaltmonopol; bei Neumann ist der moderne
In the analysis of the musical culture in the Nazi state, this
Behemoth der Nationalsozialismus, den zu bekämpfen der
article refers to findings that Franz L. Neumann presented
Autor selber in die Dienste des US-amerikanischen Souve-
in his study on National Socialism. Therefore, the focus lies
räns trat. Schon dieser Titel und diese Anspielung – vom
on the correlation between the “utmost lack of shape”, a
Engagement beim US-Geheimdienst ganz zu schweigen –
sort of gang culture that characterised the musical policies,
müssen irritierend wirken für Faschismustheoretiker, die
and the fact that everything concerning them – even musical
mehr oder weniger von einer „Diktatur des Finanzkapitals“
aesthetics – was directed at the persecution and eradication
ausgehen, um sich nationalsozialistische Herrschaft zu
of the Jews.
erklären. Dabei wollte auch Neumann eigentlich beweisen,
dass der Nationalsozialismus seinem Wesen nach als ein
kapitalistischer Staat zu betrachten sei, nicht unterschieden
I
von dem des 19. Jahrhunderts, wenn auch in seinen Erscheinungsformen geprägt von den neuen Tendenzen der „mono-
Es gibt ein Buch über den Nationalsozialismus, dessen
polkapitalistischen“ Phase. Aber wie es so geht mit dem
Bedeutung für die Analyse der Kulturpolitik und des Musik­
Beweisen in der Kritischen Theorie, der sich der einstige
lebens im NS-Staat noch kaum begriffen wurde. Kein Wun-
Anwalt für Arbeitsrecht seit seiner Flucht aus Deutschland
der, denn dieses Buch, obwohl es schon 1942 zum ersten
angenähert hatte, die Durchführung bringt zugleich anderes
Mal erschien und einige Berühmtheit erlangte, ist doch noch
zutage als das zu Beweisende: So gelangte er, gegen seine
immer so gut wie unbekannt. Die Linke vor allem hat es nie
Intention, zu der Erkenntnis, dass der Nationalsozialismus
wirklich rezipiert, denn sonst wäre ihr das Erklärungsmodell
„kapitalistisch und antikapitalistisch zugleich“ sei: „Er ist
ihrer Faschismustheorien abhandengekommen. Dabei ist
autoritär und antiautoritär […] er ist für und gegen das
der Autor dieses Buchs durchaus als ein Linker zu verstehen:
Privateigentum.“1 So sehr Neumann sich auch mühte, diesen
Franz Leopold Neumann. Er gab ihm den Titel Behemoth und
Doppelcharakter direkt aus der Ablösung des Konkurrenz­
spielte mit dem Namen des biblischen Ungeheuers auf die
kapitalismus durch den Monopolkapitalismus abzuleiten, der
Schrift von Thomas Hobbes über den englischen Bürgerkrieg
Blick auf die politischen Strukturen in Hitlerdeutschland, die
an. Bei dem englischen Philosophen firmierte Behemoth
von allen anderen politischen Formen kapitalistischer Krisen­
damit als negatives Gegenbild zu Leviathan, dem notwendi-
bewältigung, wie sie sich etwa in den USA entwickelten,
1
Neumann, Franz: Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933–1944, hg. von Gert Schäfer, Frankfurt am Main 1998, S. 506f.
65
abwichen, ließ eine solche Deduktion im Grunde nicht zu und
Ganz ähnlich wie Neumann, aber ohne auf ihn Bezug zu
erforderte, das Ineinander kapitalistischer und antikapita-
nehmen, beschrieb schließlich Hannah Arendt die Elemente
listischer Formation zu verdeutlichen, und das hieß letztlich:
und Ursprünge totaler Herrschaft. Wie breit und nachhaltig
die innere Dynamik des Vernichtungskriegs aufzuschließen.
dieses in den 1950er Jahren erschienene Buch auch rezipiert
Neumann konstatiert nicht nur, dass es im Nationalsozia-
wurde, gerade das, was es mit Neumanns Behemoth und
lismus „ein Reich von Recht und Gesetz nicht gibt, obwohl
Fraenkels Doppelstaat gemeinsam hat, blieb weitgehend
Tausende von berechenbaren technischen Regeln vorhanden
unbeachtet. Dabei ist es offenkundig, dass Arendt „totale
sind“2, er kommt zu dem frappierenden Resultat, dass selbst
Herrschaft“ ebenso – wenn auch jenseits der Marxschen Kri-
von einem Staat gar nicht mehr gesprochen werden kann,
tik der politischen Ökonomie – als eine durchgehende Bewe-
soweit ein solcher „begrifflich durch die Einheit der von
gung analysiert, die der herkömmlichen staatlichen Ordnung
ihm ausgeübten politischen Gewalt definiert“ werde. „Viel
geradezu entgegengesetzt ist: „Rein technisch bewegt sich
eher handelt es sich um eine Bande, deren Anführer ständig
die Bewegung innerhalb des totalen Herrschaftsapparats
gezwungen sind, sich nach Streitigkeiten wieder zu ver-
dadurch, daß die Führung das eigentliche Machtzentrum
tragen.“3 Die verschiedenen Gruppen, die im Dritten Reich
dauernd verschiebt, in andere Organisationen verlegt, ohne
Macht ausüben, einigen „sich informell auf eine bestimmte
doch darum die so entmachteten Gruppen aufzulösen […].“6
Politik“: Sodann bringen sie diese Politik „mit den ihnen zur
Demnach stellt diese Bewegung im Unterschied etwa zur
Verfügung stehenden Apparaten zur Durchführung. Nach
faschistischen Partei in Italien im Staat selber und gegen
einem über allen Gruppen stehenden Staat besteht kein
dessen Einheit gerichtet „Strukturlosigkeit“ her. Dafür konnte
Bedürfnis […].“ Keine der ‚Institutionen‘ besitzt die Macht
die bloße „Verdoppelung aller Ämter und Instanzen in Partei-
schlechthin, „jede ist nur in dem Maße mächtig, wie sie sich
und Staatsinstanzen nicht genügen“ – Arendt spricht von
mit einer großen Zahl anderer Institutionen im Gleichklang
„Multiplikation“ und gibt dafür prägnante Beispiele.7 Weder
befindet. Das gestattet dem Führer auch, eine Gruppe gegen
der einfache Volksgenosse noch der Funktionär oder Beamte
4
eine andere auszuspielen.“
vermochte bei den ständig rivalisierenden Instanzen von Par-
Eben dieses Nebeneinander von Partei und Staat, die Koexis-
tei und Staat, von SA und SS, von SS und Sicherheitsdienst
tenz der verschiedenen Instanzen und die Überschneidung
usw. zu wissen, wo sich gerade die Macht befand und wel-
der unterschiedlichsten Kompetenzen, die bereits Ernst
che Position er selber in dem Gefüge eigentlich einnahm, da
Fraenkel in seiner Studie über den Doppelstaat zum Thema
es doch keine eindeutig strukturierte Hierarchie mehr gab, an
gemacht hatte, konstituierten den Nationalsozialismus
der man sich hätte orientieren können. Es gab im Zweifelsfall
als Herrschaftspraxis und bestimmten seine Verlaufsform.
immer nur den Führer und die Volksgemeinschaft. Arendt
5
4
5
6
7
2
3
66
Neumann: Behemoth (wie Anm.1), S. 541.
Neumann: Behemoth (wie Anm.1), S. 554.
Neumann: Behemoth (wie Anm.1), S. 542.
Neumann: Behemoth (wie Anm.1), S. 556.
Arendt, Hannah: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, München–Zürich 1986, S. 621–623.
„So gingen die Nazis, nachdem sie erst einmal durch die Gaue die territorialen Zuständigkeiten dupliziert hatten, sofort daran, eine ganze Reihe
anderer geographischer Einteilungen durchzuführen, die bestimmten innerparteilichen Divisionen entsprachen: So fiel die territoriale Zuständigkeit
der SA weder mit den Gauen noch mit den Provinzen zusammen und war außerdem nochmals von derjenigen der SS geschieden; zu den SA- und
SS-Territorien trat dann noch die Zone, die für die Hitlerjugend maßgebend war und die mit keiner der erwähnten Einteilungen zusammenfiel.“
Unmittelbar nach dem Reichstagsbrand lag „alle Macht bei der SA, mit der verglichen Gauleiter und andere Parteifunktionäre nur scheinbare
Macht besaßen. Die Verschiebung der Macht von der SA auf die SS vollzog sich im Anschluß an die Liquidierung der Röhm-Fraktion im Sommer
1934, und zwar dadurch, daß die SS mit der Erschießung der SA-Truppen betraut wurde. […] Innerhalb der SS begann dann natürlich wieder das
gleiche Spiel. Gegen die Allgemeine SS wurden die Verfügungstruppen und dann die Totenkopfverbände gegründet, denen gegenüber wieder die
Allgemeine SS die Fassade bildete.“ Arendt: Elemente (wie Anm. 6), S. 623f.
spricht darum von „einer Art sechster Sinn“, der ihnen allein
aggressiven Expansion den „totalen Feind“ (Carl Schmitt)
sagen konnte, wessen Befehl sie wirklich zu gehorchen
ebenso bedingt als voraussetzt, den Feind, den man sich in
hatten und um wen sie sich nicht mehr zu kümmern brauch-
der „Gegenrasse“ (Alfred Rosenberg) geschaffen hat. Erst in
ten. „Andererseits waren diejenigen, welche die Befehle
einer Bemerkung der zweiten Auflage von 1944 tastet sich
durchzuführen hatten, welche die Führung im Interesse der
Neumann vor zu der Erkenntnis, wonach die „Teilnahme an
Bewegung für wirklich notwendig hielt – und solche Befehle
einem so ungeheuren Verbrechen wie der Ausrottung der
wurden natürlich im Unterschied zu staatlichen Maßnah-
Ostjuden […] die deutsche Wehrmacht, das deutsche Beam-
men nur den Eliteformationen der Partei anvertraut –, nicht
tentum und breite Massen zu Mittätern und Helfern dieses
wesentlich besser daran. Solche Befehle wurden zu­meist
Verbrechens“ mache und „es ihnen daher unmöglich“ sei,
‚absichtlich unklar gegeben in der Erwartung, der Befehls-
„das Naziboot zu verlassen“.11
empfänger werde den Willen des Befehlsgebers erkennen
Die zeitgeschichtliche Forschung über den NS-Staat hat
und danach handeln‘; denn die Eliteformationen waren
in den letzten Jahrzehnten zwar Erkenntnisse Neumanns
keineswegs daran gehalten, in jedem Fall dem Befehl des
(wie auch Fraenkels und Arendts) durchaus adaptiert, aber
Führers zu gehorchen (dies galt ohnehin für alle Instanzen),
gerade diesen Zusammenhang, der sich zwingend aus der
sondern den ‚Willen der Führung zu vollziehen‘, und dies
Dynamik des Behemoth ergibt, ins positivistische Streitge-
war, wie man sich in den langwierigen Verhandlungen über
spräch zwischen „Intentionalisten“ und „Funktionalisten“
‚Ausschweifungen‘ vor den Parteigerichten überzeugen kann,
aufgelöst. Das war nur möglich, weil sie sich die Frage der
keineswegs immer dasselbe. Der Unterschied war nur, daß
Einheit des Prozesses, die Frage des Staats, mithin des
die Eliteformationen in einer für solche Zwecke bestimmten
Verhältnisses von Staat und Kapital, weder auf der einen
Schulung gelernt hatten, aus ‚Andeutungen‘ ‚mehr herauszu-
noch auf der anderen Seite stellte. Dagegen wäre auf die
lesen, als wörtlich gesagt ist‘.“
radikale Fragestellung jener Studie zurückzugreifen, die
Soweit Franz Neumann nun in dieser Strukturlosigkeit,
ausgesprochen oder unausgesprochen einen Begriff des
die er „äußerste Formlosigkeit“ nennt, keine Schwäche,
Ganzen als des Unwahren voraussetzt – wie insbesondere
sondern „eine Stärke des Systems“ erkennen kann, wird
an Theodor W. Adornos später Würdigung Franz Neumanns
auch erkennbar, dass „das ganze System die unaufhörliche
deutlich wird: Dessen Idee des Behemoth sei den „Ober­
aggressive Expansion notwendig bedingt“.9 Diese Expansion
flächenvorstellungen vom monolithischen Faschismus schroff
ist ihrerseits ebenso kapitalistisch wie antikapitalistisch:
entgegengesetzt“, indem es nämlich offenlegte, dass „der
Denn die Mittel für sie können unmöglich durch Handel mit
nationalsozialistische Staat, der sich als total-einheitlich
anderen Staaten auf dem Weltmarkt erworben werden,
propagierte, in Wahrheit pluralistisch war. Die politische
„das läßt sich nicht mehr durch rein ökonomischen Tausch
Willensbildung stellte sich her durch die planlose Konkurrenz
bewerkstelligen, sondern nur noch mit Hilfe politischer
mächtigster sozialer Cliquen […] Die Gesellschaft, unfähig,
Beherrschung, die jene Staaten in das deutsche Währungs-
in freier Bewegung länger sich zu reproduzieren, bricht
8
system eingliedert“. Es lag allerdings noch außerhalb des
auseinander in diffuse barbarische Vielheit, das Gegenteil
Horizonts dieser wohl wichtigsten Studie über den Natio-
jener versöhnten Vielfalt, die allein ein menschenwürdiger
nalsozialismus, dass jenes „ganze System“ der unaufhörlich
Zustand wäre.“12
10
Arendt: Elemente (wie Anm. 6), S. 623.
Neumann: Behemoth (wie Anm. 1), S. 546.
10
Neumann: Behemoth (wie Anm.1), S. 338.
11
Neumann: Behemoth (wie Anm.1), S. 583.
12
Neumann: Behemoth (wie Anm.1), S. 702.
8
9
67
II
solchen Vernichtungskriegs bildeten. Dass sie dabei selbst
noch autonom blieben, gehört aber zum Wesen dieser, auf
Für diese barbarische Vielheit bietet nun das Musikleben
die unbedingte Vernichtung ausgerichteten Herrschaft und
des Dritten Reichs reiches Anschauungsmaterial. Form-
zeigt sich auf besonders eklatante Weise bei den Wiener
losigkeit und Bandenwesen wurden generiert durch den
Philharmonikern.
systematischen Abbau institutioneller Regelung, bzw.
Es überrascht zunächst nicht, dass der Orchestervorstand
durch die Überlagerung ständig neuer technischer Regeln
Hugo Burghauser, der den Nazis wegen seiner Nähe
und Zuständigkeiten, so dass die eine die andere jeder-
zur österreichischen Regierung verhasst war, schon am
zeit unwirksam machen konnte, der harmlose Ausdruck
12. März 1938, also noch vor der eigentlichen Proklamation
dafür lautet Kompetenzwirrwarr. Dadurch steigerte sich
des Gesetzes zur Wiedervereinigung Österreichs mit dem
die Rivalität, also der Konkurrenzkampf der einzelnen
Deutschen Reich, aus dem Amt gedrängt wurde. Der Kontra­
Institutionen des Musiklebens, der ohne regulierende Ver-
bassist Wilhelm Jerger präsentierte kurzerhand ein Schrei-
mittlungsformen ablief. Jeder versuchte zu erraten, was
ben der Parteileitung, das ihn als kommissarischen Leiter
der Nationalsozialismus in der Musik bedeutete, was der
des Orchesters auswies. Jerger war seit 1932 Parteimitglied,
Führerbefehl auf diesem Gebiet hieß, niemand konnte es
seit 1938 bei der SS, 1939 sollte er zum Ratsherrn der Stadt
eindeutig wissen – und doch wussten alle, dass es gegen
Wien aufsteigen.
die Juden ging. Dieses permanente Hauen und Stechen, um
Signifikant ist jedoch, dass es in der Folge zu keiner Ver-
sich im nächsten Moment ohne Verträge wieder zu vertra-
einsauflösung kam. Kurzzeitig war zwar die Löschung und
gen, dieses wechselseitige Denunzieren und Arrangieren
Eingliederung des Vereins der Wiener Philharmoniker in
zwischen Dirigenten, Orchestermusikern, Musikkritikern,
die Staatstheater und Bühnenakademie vorgesehen, doch
Intendanten, Parteifunktionären und Staatsbeamten konnte
Goebbels entschied sich wohlweislich für die Beibehaltung
der Film Taking Sides – Der Fall Furtwängler (2001) von
der vereinsrechtlichen Selbständigkeit der Wiener Philhar-
István Szabó auf erstaunliche Weise sichtbar machen. Was
moniker, jedoch unter der Voraussetzung, dass die Satzungen
die wissenschaftliche Dokumentation betrifft, gibt die erste
nationalsozialistischen Grundsätzen entsprechend geän-
grundlegende Studie über die Musik im NS-Staat, die Fred
dert werden und der Verein seiner unmittelbaren Aufsicht
K. Prieberg 1982 vorlegte, gerade in ihrer völlig unsystemati-
subordiniert wird. So hieß es dann auch ganz im Sinne des
schen, ja willkürlichen Darstellungsweise wohl noch immer
Behemoth: „Die Organisation behält ihre Selbständigkeit und
den besten Einblick in das Chaos des Musikbetriebs und der
wird der Aufsicht des Reichsministers für Volksaufklärung
ästhetischen Debatten, das sich notwendig aus der „äußers-
und Propaganda, Berlin, unterstellt.“14 Dass das eine das
ten Formlosigkeit“ des NS-Staats ergab.
andere notwendig ausschließt, dieses Gesetz des logischen
So verwandelten sich etwa Orchesterapparate in „Rackets“
Denkens und des Leviathan gilt im Dritten Reich eben nicht.
(Max Horkheimer), und das ist in bestimmter Hinsicht noch
Im Gegenteil: die Unterstellung unter die Aufsicht des Pro-
zu wohlmeinend ausgedrückt. Schlimmer als kriminelle
pagandaministers musste selbst noch konterkariert werden:
Organisationen, die wenigsten rationale Ziele haben,
Schon Seyß-Inquart äußerte in einem Schreiben von Anfang
nämlich Beute und nicht Vernichtung um der Vernichtung
1939 an den Chef der Reichskanzlei Lammers, der Führer
willen, waren die NS-Orchester tatsächlich insofern, als sie
habe betont, dass die Selbständigkeit der Wiener Kultur-
Hilfs-Apparate zur Vorbereitung und Unterstützung eines
und Kunsteinrichtungen das Hauptziel der Regelung sein
13
13
14
Prieberg, Fred K.: Musik im NS-Staat, Frankfurt am Main 1982.
Zit. nach Trümpi, Fritz: Politisierte Orchester. Die Wiener Philharmoniker und das Berliner Philharmonische Orchester im Nationalsozialismus,
Wien–Köln–Weimar 2011, S. 136.
68
müsse, und er habe Bedenken, diese Einrichtungen, wozu
die „hohe Kunst“ zum Eigentum der Volksgemeinschaft zu
ausdrücklich die Wiener Philharmoniker gezählt werden, ins
machen, sogar eine wesentliche Rolle. Vom Bezugspunkt des
Reichseigentum zu übernehmen. Lammers seinerseits ließ
gemeinsamen Standortes „Groß-Wien“ aus, den es gegen
ebenso mitteilen, dass der Führer tatsächlich beabsichtige,
andere Standorte des Dritten Reichs im inner-national­
die gesamten ostmärkischen Kunst- und Kultureinrichtungen
sozialistischen Konkurrenzkampf der Länder und Gemeinden,
einem selbständigen Referat mit Sitz in Wien unter Los­
Organisationen und Instanzen zu verteidigen galt, gelang es
lösung von dem Geschäftsbereich des Reichsministeriums
erst, die verschiedenen disparaten Musik- und Kunstformen
für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung zu unterstel-
so zu verschmelzen, dass sie nicht mehr die Einheit der
len. Doch auch dieser Entscheid beließ, wie Fritz Trümpi
Volksgemeinschaft gefährden konnten und jeder einzelne
schreibt, „genügend Spielraum, um die involvierten Instan-
„Volksgenosse“ in die Lage versetzt wurde, über dieses
zen weiterhin um die Zuständigkeit für die ‚Wiener Kunst
Eigentum mit dem nationalsozialistischen Staat sich zu
und Kulturinstitute‘ ringen zu lassen“.15 Es rief Goebbels auf
identifizieren. Dazu war es eben nötig, auch im Kleinen,
den Plan, der dem Reichsinnenminister mitteilte, dass nach
Regionalen, gewisse lokalpatriotische Identitäten aufzu-
der Entscheidung des Führers die Theater des früheren Lan-
greifen, weiter auszubilden und anzubieten. Besonders die
des Österreich als Reichstheater zu führen seien. Daraufhin
Organisation „Kraft durch Freude“ (KdF) war der Schauplatz
sprach der Reichsinnenminister Frick beim Führer vor, der
für solchen Identitäts-Wettstreit. Das Spektrum reichte vom
dann in Gegenwart des Reichsleiters Bormann erklärt hat,
Festkonzert der KdF im Konzerthaus bis zum Auftritt promi-
dass zur Erzielung höchster Kulturleistungen die Leitung der
nenter Künstler in der Fabrik.
Wiener Kunstinstitute möglichst unabhängig von Berlin in
Der Musik-Standort Wien wird zu einer ganze besonderen
Wien liegen solle. Goebbels gab natürlich nicht auf – und
Qualität innerhalb der Volksgemeinschaft erhoben: Wien
übte nun Druck aus über die Frage der Haushaltsausgaben
allein bedeute neben dem Nationalen eine eigene Kategorie
der Wiener Theater. Die ‚Kompetenzstreitigkeiten‘ hielten
von Musik: Es gebe „wohl eine Musik der Nationen, aber
demnach unvermindert an, trotz Hitlers scheinbar definitiver
es gibt keine Musik der Städte, es gibt einzig und allein
Entscheidung, denn sie bildeten ja die Bewegungsform der
eine Wiener Musik“. Auffällig ist der dabei angeschlagene
NS-Kultur. Der Antagonismus zwischen Berlin und Wien war
Ton, die Rede ist nämlich von „dieser fraulichen, ein wenig
geradezu intendiert, er wurde als Mittel zur Herrschaftssi-
in sich selbst verliebten Stadt“17. Bekanntlich hat Adolf
cherung erkannt und ausgebaut. Und unterhalb solcher domi-
Hitler immer wieder den Massen weibliche Eigenschaften
nierender Polaritäten waren schließlich die kleineren, etwa
zugeordnet. Wien aber präsentiert sich in den Kommentaren
zwischen der Tiroler und der Wiener Musikpolitik, wirksam.
des gleichgeschalteten Musikfeuilletons als eine Art Essenz
Ideologisch bedeutete dies, dass die Eigenart des Wieneri-
der Massen. (Die Gestalt Schuberts, von der entsprechende
schen oder Österreichischen bzw. Ostmärkischen geradezu
Klischees vorgeprägt sind, wird dabei übrigens besonders
forciert, ja bisweilen neu erfunden wurde – ganz im Gegen-
gerne verwendet, diese ideologische Form zu personifizie-
satz zu der nach 1945 gepflegten Imagination von der Aus­
ren.)
löschung oder Verneinung einer österreichischen Eigenart im
Der Standpunkt dieser Art „Musikbetrachtung“ ist hier
Nationalsozialismus. Die Berufung auf solche spezifischen
überhaupt der des überraschend nahegerückten „Führers“,
Traditionen spielt in dem nationalsozialistischen Projekt,
der das Wiener Publikum als weibliches Subjekt anspricht
16
Trümpi: Politisierte Orchester (wie Anm. 14), S. 165.
Vgl. hierzu Scheit, Gerhard: Musik-Standort Wien im Dritten Reich, in: Ilja Dürhammer/Pia Janke (Hg.): Die „österreichische“ nationalsozialistische
Ästhetik, Wien–Köln–Weimar 2003, S. 221–234.
17
Meinl, Johanna: Musik aus Wien, in: Völkischer Beobachter, 14.12.1943.
15
16
69
und gerade in der Hervorhebung der tadelnswerten Eigen-
Instanzen sich zu behaupten, und auch hier jenen „sechsten
schaft des In-sich-selbst-Verliebtseins seine exklusive Nähe
Sinn“ zu entwickeln, von dem Hannah Arendt spricht, zeigt
und intime Kenntnis artikuliert. Die Musik dient nicht dazu,
das Schicksal des Wiener Kulturfunktionärs Aurel Wolfram.
Differenzen regionaler oder sozialer Art innerhalb der Gesell-
Er wurde nach dem „Anschluß“ als Referent der Kultur­
schaft des Nationalsozialismus einfach zum Verschwinden
abteilung im Reichspropagandaamt eingesetzt und mit der
zu bringen, vielmehr Distinktionen zu befestigen und zu
Sonderaufgabe betraut, die Verbindung mit Berlin herzustel-
schaffen, an deren Überwindung sich dann die Einheit der
len. Er war auch der einzige externe Vertreter im Komitee
Volksgemeinschaft bewährt.
der Wiener Philharmoniker, nahm also an dessen Sitzungen
Eines der besten Beispiele hierfür ist die Etablierung der
teil. Dies wurde offenkundig nicht oktroyiert, der Referent
Strauß-Walzer Tradition der Wiener Philharmoniker, die im
vielmehr einstimmig von den Mitgliedern in das Leitungs­
Konzept der regelmäßigen Konzerte zum Jahreswechsel
gremium gewählt.20 Wolfram schrieb nun im September
gipfelte: Zu Silvester 1939 fand sozusagen das erste Neu-
1940 einen Artikel fürs Neue Wiener Tagblatt unter dem
jahrskonzert statt. (Es ist einigermaßen bezeichnend, dass
Titel: „Wien – Refugium der deutschen Seele. Vom wachen
es eines Schweizer Autors, Fritz Trümpi, bedurfte, den Öster-
und vom weisen Blut“, worin er die Wiener Eigenart, wie
reichern dieses Faktum wieder in Erinnerung zu rufen. ) Der
sich herausstellen sollte, dann doch viel zu scharf gegenüber
Gauleiter von Niederdonau drückte in einem Schreiben an
der Berliner betonte: „Berlin ist der Kopf des deutschen Kör-
den Staatssekretär für Inneres und kulturelle Angelegenhei-
pers und morgen – der des Kontinents. […] Berlin hat vieles
ten die gleichsam ‚multikulturelle‘ Konzeption des Behemoth
gemeinsam mit dem Amerikanismus. Es gleicht tatsächlich
in dieser Hinsicht sehr prägnant aus, wenn er sagt, „daß
einem Selfmademan, ganz aus sich selbst gewachsen. […]
wir unser spezifisches ostmärkisches Kunstprofil erhalten
Doch unwillkürlich stellt man die Frage: Wird das immer
müssen, weil nur aus der Bipolarität Berlin Wien heraus die
so gehen? […] Für alles was Innigkeit, Gemüt, Seele heißt,
Mobilisierung aller seelischen und künstlerischen Kräfte des
besteht da auch nicht der kleinste Schlupfwinkel mehr? […]
18
deutschen Volkes erfolgen kann“. So reisten zum Zweck
Mögen kühner Unternehmungsgeist, straffe Zusammenfas-
dieser Mobilisierung die Wiener Philharmoniker wenige
sung aller Kräfte nach außen jetzt und fürderhin Vorrecht
Monate nach ihrem ersten ‚Neujahrskonzert‘ zum Wehr-
Berlins sein – Wiens Ziel und Weg liegen in andrer Richtung,
machts-Konzert nach Krakau, das gerade zur Hauptstadt des
vorzusorgen und sich bereit zu halten für jenen Tag, um zu
Generalgouvernements Polen geworden war und wo nun die
werden, wozu es urbestimmt: zum Hort wesenhafter Bewäh-
Vernichtung der Juden in Gang gesetzt wurde.
rung, zur Hauptstadt des inneren Reiches, zum Refugium der
19
deutschen Seele.“21
Das ging zu weit. Schon allein, dass der Autor Berlin in die
III
Nähe des Amerikanismus rückte, war untragbar, denn hier
wurde die Grenze dessen überschritten, was als Rivalität
Wie schwierig es aber für den Einzelnen sein konnte, in der
möglich war; hier fand sich, indem das Feindbild berührt
Bipolarität des „Unstaats“ (Neumann), in dem ‚Hick Hack‘
wurde, wie es sich gerade in diesen ersten Kriegsjahren
zwischen den „Rackets“ und der Rivalität der einzelnen
konkretisierte – das von ‚den Juden‘ unterwanderte und
Vgl. Trümpi: Politisierte Orchester (wie Anm. 14), S. 256. Trümpis Buch löste bei den Wiener Philharmonikern geradezu einen Schub an Vergangenheitsbewältigung aus, über deren Resultate allerdings Zweifel angebracht sind. Denn dass sie zu spät kommen, prägt zwangsläufig auch ihre
Inhalte, wenn gerade die Tatsache, dass etwas unwiederbringlich versäumt wurde, nicht reflektiert wird, nicht Eingang ins Resultat findet.
19
Zit. nach Rathkolb, Oliver: „Führertreu und Gottbegnadet“. Künstlereliten im Dritten Reich, Wien 1991, S. 52.
20
Vgl. hierzu Trümpi: Politisierte Orchester (wie Anm. 14), S. 169f.
21
Wolfram, Aurel: Wien – Refugium der deutschen Seele. ‚Vom wachen und vom weisen Blut‘, in: Neues Wiener Tagblatt, 29.9.1940.
18
70
beherrschte Amerika –, die tatsächliche Einheit des Dritten
‚Abstammung‘ publik geworden, Wien hätte schlagartig
Reichs in Frage gestellt. Goebbels gab Schirach sofort Voll-
sein Markenzeichen verloren: Das schier unübersehbare und
macht, Wolfram seines Amtes zu entheben und ihn sogar in
überaus wirkungsmächtige Schaffen jenes Heros von Wiener
Gewahrsam zu nehmen. Er schrieb damals in sein Tagebuch:
Innigkeit, Gemüt und Seele wäre – samt dem von Vater und
„Das fehlte noch, daß nun meine eigenen Dienstorgane in
Bruder – plötzlich als „verjudet“ ruchbar gewesen und die
Wien anfangen, gegen das Reich und gegen Berlin öffentlich
Wiener Philharmoniker hätten etwa kaum noch genügend
zu stänkern.“ Das heißt natürlich nicht, dass Goebbels damit
Programme für ihre Neujahrskonzerterfindung zusammen-
grundsätzlich als Gegner der Forcierung ostmärkischer und
stellen können, um identitätsbildend zu wirken. So gesehen
Wiener Eigenart zu betrachten wäre. Ganz im Gegenteil: im
erscheint der Antisemitismus wie ein taktisches Kalkül:
März 1942 notierte er anlässlich des Schwerpunkts, den Furt-
als ob man selbst nicht daran glaubte, dass die Musik von
wängler mittlerweile auf seine Arbeit in Wien gelegt hatte:
Strauß durch die Tatsache der jüdischen Vorfahren des
„Ich begrüße das sehr, denn Wien hat es nötig. Überhaupt
Komponisten geprägt sein könnte. Aber ein Deutscher, so
halte ich es für richtig, daß der künstlerische Charakter Wiens
Adorno, ist eben „ein Mensch, der keine Lüge aussprechen
mit der Zeit stärker und stärker zum Ausdruck kommt. Diese
kann, ohne sie selbst zu glauben“.27
Stadt hat politisch so viel aufgeben müssen, daß man ver-
Um solche Deutschheit handelt es sich auch bei dem Kampf-
suchen muß, ihr dafür künstlerisch und kulturell Äquivalente
begriff der „entarteten Musik“: Man benötigte innerhalb
zu bieten.“ Wolfram selbst fand nach der Affäre um seinen
der Musik selbst ein Äquivalent des Judentums, etwas
Artikel auch bald wieder einen Platz im ständig wachsenden
Benennbares, das mit der Abstammung zu tun hat, das sich
Dickicht der Rackets, als Archivar bei der Stadt Wien wurde
letztlich aus dem Verhältnis zum Judentum ergeben sollte,
er im April 1941 Vorstand des neu gegründeten „Sonderrefe-
aber zugleich mit der Abstammung nicht völlig identisch
rats für Wiener Theatergeschichte“ , er konnte schließlich
war, sodass also prinzipiell auch nichtjüdische Komponisten
22
23
24
einen Aufsatz über die Geschichte der Wiener Philharmoniker
dafür haftbar gemacht werden konnten, „verjudete“ Musik
für den Jubiläumsband des Orchesters von 1942 beisteuern
zu ­schreiben. Auch hier herrschte keine verbindliche Regel.
und gab 1943 das Buch Glaube an Wien heraus, in dem man
Werke von Berg- und Schönberg-Schülern, soweit diese
sogar eine Fortführung seines Artikel von 1940 sehen kann:
nicht dem Judentum eindeutig zugeordnet werden konnten,
„Ein ehrliches Bemühen, sich in Wesens- und Sinnesart der
wurden von Aufführungen durchaus nicht grundsätzlich
anderen hineinzuversetzen,“ erscheint dem gebeutelten Wie-
ausgeschlossen. So waren ab und zu einzelne Stücke von
ner Volksgenossen „als wichtigste Voraussetzung, einander
Hans Erich Apostel und Winfried Zillig bei öffentlichen
näherzukommen. Wir Wiener haben es daran wohl nie fehlen
Konzerten zu hören. Wie also die „Nürnberger Gesetze“
lassen.“26
gewissermaßen ins rein ‚Ästhetische‘ zu übertragen wären,
Das Prekäre der Bipolarität von Berlin und Wien im NS-Kul-
darüber gab es immer wieder mehr oder weniger deutliche
turleben zeigt sich umgekehrt auch am eminenten Interesse,
Auseinandersetzungen, nicht nur zwischen den Vertretern
die Dokumente, die auf die jüdischen Vorfahren der Familie
der Goebbels-, Schirach- und Rosenberg-Lager, sondern
Strauß verweisen, verschwinden zu lassen. Wäre diese
innerhalb dieser Lager selbst. Der Grad, in welchem Musik
25
24
25
26
Fröhlich, Elke (Hg.): Die Tagebücher von Joseph Goebbels, Teil I, Aufzeichnungen 1924–1941, Bd. 4, München u. a. 1987, S. 353.
Fröhlich, Elke (Hg.): Die Tagebücher von Joseph Goebbels, Teil II, Diktate 1941–1945, Bd. 2, München u. a. 1996, S. 469.
Vgl. Trümpi: Politisierte Orchester (wie Anm. 14), S. 170.
Wolfram, Aurel: Wien und die Philharmoniker, in: Wiener Philharmoniker (Hg.): Wiener Philharmoniker 1842–1942, Wien–Leipzig 1942, S. 28–47.
Wolfram, Aurel: Glaube an Wien, zit. nach Rebhann, Fritz H.: Wien war die Schule, in: Das einsame Gewissen. Beiträge zur Geschichte Österreichs
1938 bis 1945, Band VIII, Wien–München 1978, S. 38.
27
Adorno, Theodor W.: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hg. von Rolf Tiedemann, Bd. 4,
Frankfurt am Main 1997, S. 124.
22
23
71
als „entartet“ und damit „verjudet“ gelten sollte, war nicht
möglich, sich zu neueren polyphonen Tendenzen in der Musik
festzulegen, auch nicht die Art und Weise, wie es nach-
zu bekennen, nicht ohne dies aber unmittelbar mit der Rasse
zuweisen wäre – all das musste in den Rivalitätskämpfen
zu begründen: „In großen Zusammenhängen gesehen, scheint
verschiedener Rackets des Musikbetriebs sich erweisen,
sich aber heute in der Hinwendung zur polyphonen Schreib-
gleichsam ermittelt werden, ohne dass es dafür Regeln
weise der Urtrieb nach einer Ornamentik zu äußern, wie sie
oder Gesetze gegeben hätte, außer eben die „Nürnberger
nach neuesten Feststellungen der Kunstgeschichte […] für
Gesetze“. Die Linie der Argumentation war also keineswegs
die nordische Rasse kennzeichnend schon lange eine ihr
vorgegeben, sondern ergab sich aus den Bandenkämpfen.
angemessene Form des musikalischen Schaffens ist.“28 Das
Zu diesem Zweck wurde – entgegen der üblichen Auffas-
Zeitgenössische also ist hier das Ursprüngliche, das Neue nur
sungen, die bis heute vom Nationalsozialismus kursieren –
das Immergleiche: Urtrieb der nordischen Rasse.
dem „Zeitgenössischen“ in der Kunst durchaus besonderes
Franz Neumann spricht von der „äußersten Formlosigkeit“ in
Augenmerk geschenkt und ausgesprochene Förderung
der NS-Politik, die aber keine Schwäche, sondern „eine Stärke
zuteil. So ist etwa im Mai 1942 in Wien eine vielbeachtete
des Systems“ sei, dazu geschaffen, die Erde mit einem Ver-
„Woche der zeitgenössischen Musik“ veranstaltet worden,
nichtungsfeldzug zu überziehen. Diese äußerste Formlosigkeit
bei der auch die Wiener Philharmoniker mitwirkten.
ist auch die ideale Bewegungsform in der Eliminierung des-
Anlässlich dieses Festivals sah sich ein Protagonist jener Ban-
sen, was die Propaganda „entartete Musik“ bezeichnet. Von
denkämpfe des Musiklebens herausgefordert, für bestimmte
der Stärke des Systems profitiert die entfesselte Mittelmäßig-
Elemente innerhalb der neuen Musik eine Lanze zu brechen.
keit – mit Folgen, die bis in die 1960er Jahre reichen. Im Rah-
Um aber an einem neuralgischen Punkt der Moderne – der
men jener Woche zeitgenössischer Musik wurde Joseph Marx
Kontrapunktik – das Zeitgenössische vom Entarteten zu tren-
besondere Aufmerksamkeit zuteil. Im Völkischen Beobachter
nen, musste der Fürsprecher einer gemäßigten Moderne zu-
findet sich dazu der Artikel zum 60. Geburtstag des Kompo-
nächst einmal die Juden attackieren: „In den letzten Jahrzehn-
nisten, geschrieben von Erich Schenk, der zum Rosenberg-
ten vor dem Umbruch schufen allerdings die gar zu bedenklich
Lager der Kulturpolitik zählte, an dessen Rauborganisation
aufgenommene lineare Schreibweise, die Poly­tonalität und
„Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg“ und der zugehörigen
die Atonalität, unter jüdischer Führung mißbraucht und bis zur
Zeitschrift Musik im Kriege mitwirkte sowie als Professor
ödesten Notenmathematik getrieben, starke Verwirrung. Es
am Wiener Institut für Musikwissenschaft lehrte. Schenk
war gar zu bequem, sich in der Stimmführung durch keinerlei
war insofern auch Mitarbeiter des Lexikons der Juden in der
Regeln und harmonische Rücksichten eingeengt zu fühlen
Musik, als er beflissen Auskunft über Studenten jüdischer
und lustig draufloszuschreiben, ohne darauf zu achten, wie
Herkunft an seinem Institut gab. Herbert Gerigk, der Heraus-
das Ganze klingen, vom menschlichen Ohr aufgenommen
geber dieser Deportationsliste des Musiklebens und „Leiter
und inhaltlich verstanden werden sollte. Was herauskam,
der Hauptstelle Musik beim Beauftragten des Führers für die
war oft ein bloßer Blender. Weniger Schöpferische kranken
Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen
noch heute daran, daß sie mangels eigener Erfindung stofflich
Schulung und Erziehung der NSDAP“, bedankte sich herzlich
zu thematischen Kopien aus Regers und Bachs Werken, zu
dafür und ermunterte Schenk zu einer noch genaueren Durch-
ganzen Themen aus alten Werken und zu Volksweisen ihre
sicht, denn eine solche würde „wahrscheinlich noch manchen
Zuflucht nehmen müssen und der Kontrapunktik selbst keine
fetten Juden zu Tage fördern“29. Schenk, der bereits als Autor
Ausdruckswerte ent­locken.“ Im nächsten Schritt erst war es
eines Buchs über Johann Strauß hervorgetreten war, das als
28
29
Repp, Otto: Die Woche der Zeitgenössischen Musik: Konzert der Wiener Philharmoniker, in: Völkischer Beobachter, 10.5.1942.
Zit. nach Potter, Pamela M.: Die deutscheste der Künste. Musikwissenschaft und Gesellschaft von der Weimarer Republik bis zum Ende des Dritten
Reichs, Stuttgart 2000, S. 187.
72
eine Art erweiterter Ariernachweis verfasst ist30, bezeichnet
über das „Zeitgenössische“ beteiligen wollten, um etwa
nun im Völkischen Beobachter Joseph Marx als den heute
im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten neben einem
„repräsentativen Komponisten des donau-alpenländischen
„repräsentativen Komponisten“ wie Joseph Marx gewisse
Raumes“, der schon „vor vielen Jahren in den ersten Reihen
Wirkungsmöglichkeiten für die eigene Musik zu bewahren.
der musikalischen ‚Moderne‘ gestanden“ habe, wobei hier im
Einige Zeit nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten,
Kleinen wiederum die Entwicklungslosigkeit als völkisches
allerdings ehe die „Nürnberger Gesetze“ in Kraft traten,
Ideal erscheint: „In solchem Streben ist nun Josef Marx
hatte offenkundig auch Adorno noch Möglichkeiten gesehen,
unbeirrbar seinen eigenen Weg gegangen – er blieb sich treu,
in Deutschland weiterhin für die Moderne einzutreten, ihr
verzichtete auf hochtrabende Fanfaren und programmatische
gleichsam zum ‚Überwintern‘ zu verhelfen. Eine Rezension
Manifeste, die Zeitalter künstlerischen Umsturzes kennzeich-
von Herbert Müntzels Vertonung eines Gedichtzyklus von
nen, deren Verkünder allerdings – so geflissentlich sie die
Baldur von Schirach aus der Zeitschrift Die Musik vom Juni
Geschichte für sich sprechen lassen – nur in seltenen Fällen
1934 zeigt, dass er es sogar irgendwie für möglich hielt, die
den Beweis der Wert- und Dauerhaftigkeit ihrer Leistungen
Wiener Schule bei den Nationalsozialisten durchzusetzen,
zu erbringen vermögen.“31 Von „Tiefe und Innigkeit“ ist des
um dadurch den Nationalsozialismus von innen her aufzu-
Weiteren die Rede und davon, dass „jedes wirkliche große
brechen – obwohl er etwas von der Aussichtslosigkeit des
Kunstwerk“ „einer ganz bestimmten seelischen Seinslage“
Unterfangens schon geahnt haben muss: Er spricht davon,
entspringe. Solche „Musikbetrachtung“ hat den Jargon der
dass im Hintergrund der Bemühungen, die er bei dem
Nachkriegszeit bereits bis ins Detail vorweggenommen – als
Komponisten Müntzel unterstellt, „die tödliche Auseinander­
diskretere Weise, an die nationalsozialistische Ideologie anzu-
setzung zwischen dem Drang, verständlich und ‚unmittelbar‘
knüpfen; und sie hat den Boden für das Wiener Musik­leben,
zu werden und den Anforderungen an rein innerkomposito-
das diesem Jargon gemäß war, bereitet, als die Zahl der
rische Legitimität“ stehe.33 In einem früheren Artikel hatte
Aufführungen Marxscher Kompositionen die der Symphonien
Adorno bereits gegen den ab 1933 praktizierten Ausschluss
Mahlers übertraf und der Wiener Ordinarius für Musikwissen-
der Werke jüdischer Komponisten eingewandt, es wäre
schaft, bald auch Dekan und Rektor der Wiener Universität,
vielleicht doch wichtiger, Operetten wie die von Kálmán
Erich Schenk es nunmehr so unauffällig wie nur möglich zu
„auszumerzen, als von den Programmen Mahlersymphonien
verhindern wusste, dass man an seinem Institut über „einen
abzusetzen“.34 Er beharrt darauf, dass die Entwicklung, die
Juden“ dissertieren konnte.32
von Mahler zu Schönberg führte, nachzuvollziehen ist, nur
dass er die Zweite Wiener Schule nicht beim Namen nennt,
sondern als „neue Romantik“, ja mit dem Goebbels’schen
IV
Begriff des „romantischen Realismus“ schmackhaft zu
machen sucht und dafür bereits erste Anzeichen bei einer
Für die nichtjüdischen Musiker, die sich der Wiener Schule
Musik zu Baldur von Schirach’schen Versen sieht. Er möchte
zugehörig fühlten, stellte sich damit zwingend die Frage,
offenkundig den Konflikt zuspitzen, den er in einer von
inwieweit sie sich selbst an jenen Auseinandersetzungen
­Goebbels und Schirach inspirierten Produktion wahrzuneh-
Schenk, Erich: Johann Strauß, Potsdam 1940.
Schenk, Erich: Der Sechziger Josef Marx, in: Völkischer Beobachter, 10.5.1942.
32
Vgl. hierzu Gösta Neuwirths Erinnerungen an sein Studium in Wien, in: Scheit, Gerhard/Svoboda, Wilhelm: Feindbild Gustav Mahler, Wien 2002,
S. 281–285.
33
Adorno, Theodor W.: Müntzel. Die Fahne der Verfolgten u. a., in: Die Musik 26, 1933/34, S. 712; wiederabgedruckt in: Ders.: Gesammelte Schriften.
hg. von Rolf Tiedemann, Bd. 19, Frankfurt am Main 1997, S. 331f.
34
Adorno, Theodor W. in: Die Musik 25, 1932/33, S. 622; wiederabgedruckt in: Ders.: Gesammelte Schriften, Bd. 19, Frankfurt am Main 1997, S. 243.
30
31
73
men glaubt. Es sei kein Zufall, dass die Lieder Müntzels die
„Davon werden Sie ihn vielleicht überzeugen, Herr Dok-
Spuren eines „Kampfes“ tragen: dass „zuweilen Linie und
tor“, habe da Stadlen erwidert, „aber Sie können ihn doch
Harmonisierung sich gegenseitig einengen […]; daß die
niemals überzeugen, daß Schönberg kein Jude ist?“ Und
imitatorischen Ansätze nicht immer ganz ausgetragen sind“.
Webern darauf: „Nein, aber daß er trotzdem ein anständiger
Selbst im Nationalsozialismus scheint Adorno noch irgend-
Mensch ist!“38 Eduard Steuermann, der wichtigste Pianist
welche Hoffnungen damit zu verbinden, dass „bei fortschrei-
aus dem Kreis Schönbergs, der wie Schönberg im amerika-
tender kompositorischer Konsequenz eben doch die roman-
nischen Exil Zuflucht fand, hat nach dem Krieg keine Werke
tische Harmonik gesprengt“ werde, „freilich dann nicht um
von Webern mehr aufgeführt: „Er konnte es Webern nicht
einer archaistischen, sondern einer neuen zu weichen, die
verzeihen, daß es ihm im Laufe eines Gesprächs über die
die kontrapunktischen Energien in sich“ aufnehme.35 Kurz
Möglichkeit eines Anschlusses nicht einfiel hinzuzufügen:
danach musste er aber schon die ganze Aussichtslosigkeit
‚aber was wird dann aus Dir?‘“39 Andererseits unterrichtete
seines Unterfangens einsehen: Er ging zunächst ins engli-
Webern jahrelang privat und ohne Honorar zu verlangen den
sche Exil, dann in die USA, während sein Name folgerichtig
aus einer jüdisch-rumänischen Familie stammenden Philip
ins Lexikon der Juden in der Musik aufgenommen wurde:
Herschkowitz bis zu dessen Flucht aus Österreich einige Zeit
„Wiesengrund-Adorno, Theodor“ wird darin mit einem „H“
nach dem „Anschluß“. Und er war schließlich auch als Leh-
als Halbjude gekennzeichnet und als „einer der betriebsams-
rer im Umkreis von Erwin Ratz tätig, der, selber ein Schüler
ten Wortführer der jüdischen Neutöner“ charakterisiert.
Schönbergs, zwischen 1938 und 1945 ein Netz von Verste-
Rätselhafter erscheinen die Sympathien von Anton von
cken für die Verfolgten des Naziregimes schuf. Wie Webern
Webern für das Nazi-Regime, die offenbar bis zu den
nicht betroffen von den „Nürnberger Gesetzen“ hat er in
ersten Niederlagen der Deutschen im Zweiten Weltkrieg
seiner kleinen Wohnung in der Oberen Bahngasse 6 (unweit
­andauerten. Webern war nach Schönbergs Weggang aus
des Aspangbahnhofs, wo die Deportationen stattfanden),
Wien und Alban Bergs Tod mehr und mehr vereinsamt – und
und im Haus der Bäckerei in der Favoritenstraße, die er
damit hing wohl auch die politische Verirrung zusammen,
einst von seinem Vater nolens volens übernommen hatte,
wobei er zugleich auch von der Nazi-Begeisterung bei
mehrere Personen versteckt und versorgt. „Nahrungsmittel
den eigenen Kindern beeinflusst worden sein dürfte. Was
konnten direkt durch die Bäckerei oder im Tausch gegen
Schönberg bereits kurz nach 1933 bei ihm und Berg, seinen
Mehl beschafft werden. Insgesamt 9 Personen brachte Erwin
frühesten Schülern, befürchtet hatte, die Annäherung an
Ratz so durch diese Zeit. In seiner eigenen kleinen Wohnung
das neue Regime in Deutschland, trat nun bei Webern
versteckte er, wie seine Tochter Brigitte berichtet, eine
wirklich ein, obwohl doch der Nationalsozialismus, was
jüdische Bekannte, die sich durch Ungarn nach Rumänien zu
die Aufführung seiner Werke betraf, nichts Gutes hoffen
Verwandten durchschlagen wollte; den Wiener Kinobesitzer
ließ. Im Oktober 1937 soll Webern zu dem Pianisten Peter
Hans Sidon und Hans Buchwald, den Lonny Ratz, seine erste
Stadlen gesagt haben, wenn „die Nazis kommen, werde ich
Frau, zuvor in Berlin versteckt hatte. Weitere Personen, die
zum Goebbels gehen und ihm sagen, daß er falsch beraten
Ratz woanders untergebracht wusste, wurden durch die
ist und daß Zwölftonmusik kein Kultur-Bolschewismus ist.“
Bäckerei mit Essen versorgt, über die es auch möglich war,
36
37
Adorno: Müntzel (wie Anm. 33), S. 332.
Lexikon der Juden in der Musik. Zusammengestellt im Auftrag der Reichsleitung der NSDAP auf Grund behördlicher, parteiamtlich geprüfter Unterlagen, bearbeitet von Dr. Theo Stengel, Referent in der Reichsmusikkammer, in Verbindung mit Dr. habil. Herbert Gerigk, Leiter der Hauptstelle
Musik beim Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP,
Berlin 1940, S. 292.
37
Vgl. hierzu Moldenhauer, Hans/Moldenhauer, Rosaleen: Anton von Webern. A Chronicle of His Life and Work, New York 1979, S. 391, 395, 473.
38
Stadlen, Peter: 50 Jahre danach, in: Österreichische Musikzeitschrift 43, 1988, S. 195.
39
Stadlen: 50 Jahre (wie Anm. 38), S. 195.
35
36
74
Kontakte herzustellen und Post zu vermitteln. So konnte er
er auch, was das politische Urteilsvermögen betrifft, wieder
Josef Polnauer, der – bei seiner späteren Frau – ebenfalls
einen gewissen Halt gefunden haben.
als ‚U-Boot‘ lebte, mit Nahrungsmittel versorgen, ebenso
Am 4. Juni 1946, in dem ersten Brief, den Ratz nach dem
Arnold Schönbergs Sohn Georg und dessen Familie.40
„Tausendjährigen Reich“ an seinen Lehrer Arnold Schön-
Die Bäckerei belieferte nicht nur Polnauer und andere Ver-
berg schreiben konnte, berichtet er eindringlich von einem
folgte illegal mit Brot, in ihr wurden nicht nur Manuskripte
„Zustand schwerster Erschöpfung und Beklommenheit“, in
und Noten versteckt, über ihr fand auch der letzte in Wien
dem er nun seit über einem Jahr lebe. „Auch dieser Brief
verbliebene Rest der Wiener Schule eine Heimstatt, zu
soll nur ein kurzes Lebenszeichen sein, fast wie ein Klopf-
dem neben Webern die Schönberg-Schülerin, Pianistin
zeichen eines, der verschüttet ist.“ Man gewinne den Ein-
und Klavierlehrerin Olga Novakovic und der Komponist und
druck, so Ratz weiter, „daß die Menschen nichts gelernt
Widerstandskämpfer Friedrich Wildgans zu zählen sind.
haben aus der furchtbarsten Zeit, die je über sie herein-
Ratz nämlich organisierte es, dass Webern in der Wohnung
gebrochen ist.“ Von ihm „persönlich“ sei „nicht viel“ zu
seiner Mutter, die über der Backstube lag, vom Herbst 1940
berichten: „Es war mir vergönnt, in den furchtbaren Jahren
bis in die letzten Kriegsmonate jeden Freitagabend Unter-
einer Reihe von Menschen helfen zu können. Aber wie
richt in Formenlehre und Komposition geben konnte, an dem
wenig ist dies gegen alles Entsetzliche das geschehen ist.“
etwa 20 Personen, darunter auch die junge Herta Blaukopf,
Zugleich berichtet Ratz jedoch von dem, was ihn die furcht-
teilnahmen. Diese Kurse, die Ratz organisierte, haben
barste Zeit hindurch stützen konnte: „Ich habe in den Jahren
nicht nur das „unterirdische Fortleben“ der Zweiten Wiener
des Grauens ständig mit Dr. Webern gearbeitet, wir haben
Schule ermöglicht, sie sicherten ein Auskommen für Webern
Beethoven analysiert und ständig waren unsere Gedanken
selbst und durch diese Lehrtätigkeit im ‚Untergrund‘ dürfte
bei Ihnen.“42
41
Kretz, Johannes: Erwin Ratz – Leben und Wirken, Frankfurt am Main u. a. 1996, S. 48f.
Vgl. hierzu Scheit, Gerhard/Svoboda, Wilhelm: Treffpunkt der Moderne. Gustav Mahler, Theodor W. Adorno, Wiener Traditionen, Wien 2010,
S. 77–90. In diesem Buch findet sich auch das Interview, das Renate Göllner mit Herta Blaukopf über das „unterirdische Fortwirken der Wiener
Schule“ geführt hat: S. 166–182.
42
Erwin Ratz an Arnold Schönberg, Brief vom 4.6.1946, Typoskript, Kopie im Arnold Schönberg-Center in Wien.
40
41
75
Autorinnen und Autoren
Commendatore RegRat ADir iR Ing. Walther Brauneis
Dr. phil. Elmar Drexel
Pfenninggeldgasse 18/3/19, A–1160 Wien
Iglerstr. 59, A–6080 Igls
E-Mail: [email protected]
E-Mail: [email protected]
Geboren 1942 in Wien. Studium an der Technischen Hoch-
Geboren 1958. Innsbruck – Wien/München – Innsbruck:
schule in Wien (Studienrichtung Architektur). Von 1968 bis
Schauspieler, Regisseur, Autor. Promovierter Literatur- und
2002 im Bundesdenkmalamt tätig, wo er ab 1984 die Abtei-
Kulturwissenschaftler. 1979 Mitbegründer des Innsbrucker
lung für Klangdenkmale leitete. Von 1970 bis 2012 war er als
Kellertheaters, Leitung von 1981–1989; Zahlreiche Regien
Generalsekretär der Wiener Beethoven-Gesellschaft tätig.
und Engagements, u. a. am Tiroler Landestheater, am
Mehrere historisch-topographische Buchpublikationen sowie
Münchner Volkstheater, am Wiener Volkstheater und bei
zahlreiche Einzelveröffentlichungen zu Gluck, Dittersdorf,
den Telfer Volksschauspielen, zuletzt Dramatisierungen
Beethoven und vor allem Mozart. Zu Letzterem konnte er
von Händl Klaus „Legenden“, Kathrin Röggla „Wir schlafen
1991 auf einen bislang unbekannten, die materielle Existenz
nicht“ und Felicitas Hoppe „Johanna“. Zahlreiche Filmrollen,
Mozarts bedrohenden Schuldenprozess während seiner
u. a.: „Tatort – Elvis lebt!“, „Andreas Hofer – die Freiheit
letzten Lebensmonate hinweisen sowie erstmals den Nach-
des Adlers“, „Vier Frauen und ein Todesfall“, „copstories“.
weis über die Abhaltung einer Seelenmesse für Mozart am
Buchveröffentlichungen: „Die silberne Gasse“ (2007), Lanser
10. Dezember 1791 in der Wiener Michaelerkirche erbringen.
See (2008).
Weiters konnte er das Datum der Innsbrucker Erstaufführung von Mozarts „Die Zauberflöte“ in einem Beitrag zum
„Wissenschaftlichen Jahrbuch der Tiroler Landesmuseen
Mag. Andreas Eckelt
2009“ mit 26. Juli 1794 dokumentieren. Wissenschaftliche
Tiroler Landesmuseen-Betriebsgesellschaft m. b. H.
Mitarbeit bei den Ausstellungen „Zaubertöne – Mozart in
Naturwissenschaftliche Sammlungen
Wien“ (1990), „Mozart – Bilder und Klänge“ (1991), „Die
Feldstraße 11a, A–6020 Innsbruck
Botschaft der Musik – 1000 Jahre Musik in Österreich“
E-Mail: [email protected]
(1996) sowie „Mozart – Experiment Aufklärung“ (2006). Für
seine Forschungsergebnisse erhielt er 1992 den „Preis des
Geboren 1982 in Steyr (Oberösterreich), 2005–2012 Stu-
Landes Niederösterreich für Mozartforschung“ und 1997 die
dium der Biologie an der Universität Innsbruck, Abschluss
„Theodor-von-Karajan-Medaille“ des Vereins für Geschichte
mit einem zoologischen Thema über Coleopterenzönosen
der Stadt Wien.
in Primärwaldstandorten im Nationalpark Kalkalpen Oberösterreich, ab 2010 Tätigkeiten als freiberuflicher Biologe,
seit Februar 2012 auch als Angestellter für die Tiroler
Landesmuseen tätig. Seit 2010 mehrere Arbeiten und Veröffentlichungen zu naturschutzfachlichen Themen mit dem
Schwerpunkt Coleopterologie.
277
Dr. Dietrich Feil
Kustos Mag. Dr. Franz Gratl
Institut für Archäologie/FB Klassische Archäologie
Tiroler Landesmuseen-Betriebsges. m. b. H.
Universität Innsbruck
Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum
Langer Weg 11, A–6020 Innsbruck
Musiksammlung
E-Mail: [email protected]
Museumstraße 15, A–6020 Innsbruck
E-Mail: [email protected]
Geboren 1958, tätig am Institut für Archäologie der Universität Innsbruck. Hauptinteressengebiete in Forschung und
Geboren 1973 in Innsbruck. Studium Musikwissenschaft
Lehre: antike Kunst und Architektur, antike und mittelalter­
und Geschichte in Innsbruck, Mag. phil. 1997 (Diplomarbeit
liche Numismatik. Zusätzlich Arbeiten zur Lokalgeschichte
„Kirchenmusik im höfischen Kontext: Musik bei Exequien
von Arzl (Innsbruck). Praktizierender Tarockspieler.
am Hof Kaiser Leopolds I.“, ausgezeichnet mit dem „Würdigungspreis des Bundesministers für Wissenschaft und Verkehr“), Dr. phil. 2002 (Dissertation zur Kirchenmusik Johann
Univ.-Prof. Dr. Adolf Fritz
Zachs (1713–1773)); Mitarbeit an diversen Projekten (u. a.
Koschatstraße 99, A–9020 Klagenfurt
EU-cultura 2000-Projekt „Images of Music – a Cultural Heritage“), ab 2002 freier Mitarbeiter von RISM Westösterreich
Geboren 1929 in Klagenfurt. Reifeprüfung, Bundes-Real-
mit Referat Südtirol (seit 2007 RISM Tirol-Südtirol & OFM
schule in Klagenfurt (1947). Lehramtsprüfung für Mittel­
Austria), Katalogisierung historischer Musikalienbestände
schulen aus Naturgeschichte und Physik, Universität Inns-
in Nord- und Südtirol, Forschungen und Publikationen zur
bruck (1953). Promotion Universität Granz (1968).
Kirchenmusik und zur Musikgeschichte Tirols, seit 2006
Habilitation und Lehrbefugnis für Paläobotanik mit beson-
wissenschaftlicher Mitarbeiter und seit 2007 Kustos der
derer Berücksichtigung der Pollenanalyse, Universität
Musiksammlung des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum,
Graz (1971). Pollenanalytische Arbeiten aus dem Quartär
inhaltliche Konzeption und organisatorische Betreuung der
Kärntens.
Konzert-, CD- und Noteneditionsreihe „musikmuseum“.
Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Christian Glanz
Karl Kummer
Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien
Schwarzspanierstraße 15/7/6, A–1090 Wien
Seilerstätte 26, A–1010 Wien
E-Mail: [email protected]
E-Mail: [email protected]
Geboren 1942 in Wien. Nach meiner Pensionierung als
Geboren 1960 in Bruck/Mur (Steiermark). Studium an
Bankangestellter begann ich mich mit der Geschichte meiner
der Karl-Franzens-Universität Graz (Musikwissenschaft,
Familie zu beschäftigen. Josef Parschalk ist der Großvater
Geschichte), Sponsion 1985, Promotion 1988, Habilitation
meiner Frau Marianne. Überzeugt davon, dass sein Leben
im Fach Historische Musikwissenschaft 2007. Dzt. ao. Univ.-
und Werk auch für einen breiteren Kreis von Interesse ist,
Prof. am Institut für Analyse, Theorie und Geschichte
übergab ich meine Aufzeichnungen und die noch in Fami-
der Musik der Universität für Musik und Darstellende
lienbesitz befindlichen handschriftlichen Dokumente und
Kunst in Wien. Publikationen zu den Themen Musik und
Werkfotos dem Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum. Diese
Politik, historische Aspekte österreichischer Popularmusik,
Schenkung wird durch das Modell der maßgeblichen Arbeit
Monographien zu Gustav Mahler (2001) und Hanns Eisler
Parschalks, das Denkmal für das Mädchen von Spinges in
(2008).
Buchenstein, sowie zwei Holzplastiken aus Familienbesitz
278
komplettiert. Meinen Beitrag ergänzte Ellen Hastaba durch
Direktor PD Dr. Wolfgang Meighörner
Hinweise zu Parschalk aus der von der Ferdinandeumsbiblio-
Tiroler Landesmuseen-Betriebsges. m. b. H.
thek geführten Tiroldokumentation.
Museumstraße 15, A–6020 Innsbruck
E-Mail: [email protected]
Mag. Claudia Mark
Geboren 1958 in Luzern/CH. Studium der Mittelalterlichen
Tiroler Landesmuseen-Betriebsges. m. b. H.
sowie Neuerern und Neuesten Geschichte und der Klas-
Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum
sischen Archäologie in München. M. A. 1984, Promotion
Kunstgeschichtliche Sammlungen
1991, Habilitation an der Universität Oldenburg 2005, Venia
Museumstraße 15, A–6020 Innsbruck
legendi für Neuere und Neueste Geschichte und Technik­
E-Mail: [email protected]
geschichte. Direktor des Zeppelin Museums Friedrichshafen
1991–2006. Seit 2007 Direktor der Tiroler Landesmuseen.
Geboren 1981 in Zams. Studium der Kunstgeschichte in Inns-
Zahlreiche Publikationen zu technikgeschichtlichen und
bruck, Mag. phil. 2013 (Diplomarbeit „Lois Egg – zwischen
militär­geschichtlichen Themen.
Theater und bildender Kunst. Ausgewählte Werke aus dem
Nachlass des Bühnenbildners und Malers“); während des
Studiums Praktika für Restaurierung und Konservierung u. a.
Ao. Univ.-Prof. Dr. Thomas Nußbaumer
in Wien; 2005 Assistentin im Künstlerhaus Büchsenhausen
Univ.-Doz. für Volksmusikforschung
in Innsbruck; 2005−2010 wissenschaftliche Aufarbeitung und
Universität Mozarteum Innsbruck
Inventarisierung von Nachlässen und Sammlungsbeständen
Innrain 15, A–6020 Innsbruck
im Auftrag der Tiroler Landesmuseen (Bereiche: Graphische
E-Mail: [email protected]
Sammlungen, Bibliothek), u. a. Lois Egg (mit Veröffent­
lichung eines kompletten Werkverzeichnisses aller büh-
Geboren 1966 in Hall in Tirol. Studium der Musikwissen-
nenbezogenen und freikünstlerischen Werke), Josef Prantl
schaft und Germanistik an der Universität Innsbruck, Pro-
(Druckgrafiken, Zeichnungen und Gemälde); 2007−2010
motion 1998. Veröffentlichung der Dissertation unter dem
freiberufliche Kuratorin und Autorin im Bereich der modernen
Titel Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen
und zeitgenössischen Kunst, u. a. in Zusammenarbeit mit
(1940–42). Eine Studie zur musikalischen Volkskunde unter
Günther Dankl: „Lois Egg – Theater Bilder“ (2007), Neuauf-
dem Nationalsozialismus (Innsbruck u. a. 2001). Habilitation
stellung der Modernen Galerie I + II im Ferdinandeum (2008),
im Fach Volksmusikforschung 2011 an der Universität für
„Netzwerke mit Seele. Eine Hommage an den Radierer
Musik und darstellende Kunst Wien. Seit 1995 wissen-
Peter Willburger“ (2010), „Max Weiler. Die großen Werke“
schaftlicher Mitarbeiter (seit 2011: Dozent) am Innsbrucker
(2010); redaktionelle Betreuung von Ausstellungskatalogen,
Sitz der Universität Mozarteum Salzburg und Leiter des
(z. B. arttirol – Kunstankäufe des Landes Tirol 2004–2006);
Abteilungsbereichs Musikalische Volkskunde innerhalb der
Texte für diverse Ausstellungskataloge und Zeitschriften
Abteilung für Musikwissenschaft. Forschungs- und Publika­
sowie Beiträge für das AKL (Allgemeines Künstlerlexikon);
tionsschwerpunkte: Musik und Brauch, Fasnacht, Volksmusik
seit Oktober 2010 wissenschaftliche Mitarbeiterin in den
und NS, Volksmusiküberlieferung im Alpenraum, insbeson-
Älteren Kunstgeschichtlichen Sammlungen des Tiroler
dere in Westösterreich und Südtirol (Italien), Musik der Old
Landes­museums Ferdinandeum, u. a. Mitarbeit bei der
Order Amish.
monografischen Präsentation „Johann Evangelist Holzer.
Maler des Lichts“ (2010/2011), Cokuratorin der Ausstellung
„Kunstschätze des Mittelalters“ (2011/2012).
279
Mag. Dr. Andreas Rauchegger
Dr. phil. Gerhard Scheit
A–9913 Abfaltersbach 74
Wickenburggasse 16/5, A–1080 Wien
E-Mail: [email protected]
E-Mail: [email protected]
Geboren 1977 in Lienz. Ausbildung und mehrjährige
Geboren 1959. Studium: Wiener Musikhochschule, Univer-
Berufstätigkeit im Bereich Kunsthandwerk und Design. Ab
sität Wien, FU Berlin; lebt als freier Autor in Wien. Arbeiten
2004 Studium der Europäischen Ethnologie/Volkskunde
zur Kritischen Theorie, über den Souverän und die Ästhetik
in Innsbruck. 2012 promoviert zum Thema „Der Homo
in der Moderne; Mitherausgeber der Jean Améry Werkaus-
Aquamportans – Wasserträger, Wasserverkäufer, Wasser-
gabe (2002–2008) und der Zeitschrift sans phrase (ab 2012).
schenker. Historische Trink- und Nutzwasserversorgung im
Bücher: Dramaturgie der Geschlechter. Über die gemeinsame
europäischen Kulturraum.“ Parallel berufliche Tätigkeit im
Geschichte von Drama und Oper (Frankfurt am Main 1995);
Kunst- und Kulturbereich (Ausstellungswesen). Forschungs-
Hanswurst und der Staat. Eine kleine Geschichte der Komik
schwerpunkt: alpine Kultur(en).
(Wien 1995); Mülltrennung. Beiträge zu Politik, Literatur und
Musik (Hamburg 1998); Verborgener Staat, lebendiges Geld.
Zur Dramaturgie des Antisemitismus (Freiburg 1999, 2003);
Ass.-Prof. Priv.-Doz. Mag. Dr. Dirk Rupnow
Feindbild Gustav Mahler: Zur antisemitischen Abwehr der
Institut für Zeitgeschichte
Moderne (Wien 2002; Koautor: Wilhelm Svoboda); Suicide
Leopold-Franzens-Universität Innsbruck
Attack. Zur Kritik der politischen Gewalt (Freiburg 2004);
Innrain 52d, A–6020 Innsbruck
Treffpunkt der Moderne. Gustav Mahler, Theodor W. Adorno,
E-Mail: [email protected]
Wiener Traditionen (Wien 2010, Koautor: Wilhelm Svoboda);
Quälbarer Leib. Kritik der Gesellschaft nach Adorno (Freiburg
Geboren 1972 in Berlin. Studium der Geschichte, Germa-
2011).
nistik, Philosophie und Kunstgeschichte an der FU Berlin
und in Wien. Mag. phil. 1999 (Wien), Dr. phil. 2002 (Klagenfurt), Habilitation 2009 (Wien). 1999/2000 Mitarbeiter der
Mag. Dipl.-Ing. Daniela Štěrbová
Historikerkommission der Republik Österreich. Zahlreiche
Vrázova 6, CZ–150 00 Praha 5
Gastaufenthalte an Forschungseinrichtungen in Österreich,
E-Mail: [email protected]
Deutschland, Frankreich, Israel und den USA. Seit 2008 Mitglied der Jungen Kurie der Österreichischen Akademie der
Seit dem Abschluss des Doppelstudiums (Kunstgeschichte,
Wissenschaften, 2009 Fraenkel Prize in Contemporary His-
Bauingenieurwesen) in der praktischen Denkmalpflege tätig
tory der Wiener Library, London. Seit 2009 an der Universität
(Sanierungsprojekte, Bauaufnahmen, Baugeschichtliche
Innsbruck, seit 2010 Leiter des Instituts für Zeitgeschichte.
Forschung, Inventarisierung der Baudenkmäler), seit 2009
Forschungsschwerpunkte: Holocaust- und Jüdische Studien,
Leitung der Vorbereitungsarbeiten und folgenden Konser-
Erinnerungskulturen und Geschichtspolitik, Wissenschafts-
vierung der spätgotischen Probsteikirche in Melnik an der
und Migrationsgeschichte.
Elbe. Externe Mitarbeiterin am Institut für Kunstgeschichte
der Tschechischen Akademie der Wissenschaften und Promotionsprojekt über Barockarchitektur Mitteleuropas an der
Karlsuniversität in Prag.
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