Wissenschaftliches Jahrbuch der Tiroler Landesmuseen 2013 Wissenschaftliches Jahrbuch der Tiroler Landesmuseen 6/2013 ISSN 0379-0231 Das „Wissenschaftliche Jahrbuch der Tiroler Landesmuseen“ setzt die Tradition der „Veröffentlichungen des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum“ fort. Wissenschaftliches Jahrbuch der Tiroler Landesmuseen 2013 StudienVerlag Innsbruck Wien Bozen Herausgegeben von Direktor PD Dr. Wolfgang Meighörner Tiroler Landesmuseen-Betriebsges. m. b. H. Museumstraße 15 A–6020 Innsbruck Bildquellen Wenn nicht anders angegeben, werden Objekte aus den Beständen der Tiroler Landesmuseen abgebildet. © 2013 bei den Autoren und der Tiroler Landesmuseen-Betriebsges. m. b. H. Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Herausgebers urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Gestaltung büro54, Innsbruck Satz und Umschlag Studienverlag/Karin Berner Umschlagbild: Stabpuppen aus dem Bestand der Innsbrucker Puppen-Bühne, s. Beitrag von Elmar Drexel Herstellung Studienverlag Ges.m.b.H., Erlerstraße 10, A–6020 Innsbruck E-Mail: [email protected] Internet: www.studienverlag.at Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar. ISBN 978-3-7065-5330-8 INHALT VORWORT Wolfgang Meighörner ............................................................................................................................................................. 7 Musik und Nazismus Musik und Nazismus in Tirol: Einleitung Dirk Rupnow.............................................................................................................................................................................. 8 Josef Eduard Ploners Symphonie in Es-Dur im Kontext der Nachkriegszeit Christian Glanz.......................................................................................................................................................................... 14 Zum Tiroler Musikleben in der NS-Zeit Franz Gratl................................................................................................................................................................................. 24 Zur Volksmusik in Tirol während der NS-Zeit Thomas Nußbaumer................................................................................................................................................................. 42 Behemoth und die Musik Anmerkungen zum Kulturleben des „Unstaats“ und zum unterirdischen Fortwirken der Wiener Schule Gerhard Scheit.......................................................................................................................................................................... 64 „[…] bey glorreichster Vermählung Ihrer Königlichen Hoheiten […] zu Inspruck in Tyrol von Hof aus abgehaltenen Festivitaeten […] Anno 1765.“ Das musikalische Rahmenprogramm im Überblick, aus Anlass der 250. Wiederkehr der Vermählung des späteren Kaisers Leopold II. mit der Infantin Maria Luisa von Bourbon-Spanien sowie des 250. Jahrestags des Ablebens von Kaiser Franz I. Stephan von Lothringen Walther Brauneis...................................................................................................................................................................... 76 Die Innsbrucker Puppen-Bühne. Ein Nachlass Elmar Drexel.............................................................................................................................................................................. 116 Der Alpenbock in Tirol Notizen zur Verbreitung, Lebensweise und Schutz der stark gefährdeten Art Rosalia alpina (Linnaeus 1758) Andreas Eckelt.......................................................................................................................................................................... 156 Tarock: Innsbrucker Schultheater und andere Spiele Dietrich Feil............................................................................................................................................................................... 166 Beitrag zur Klimageschichte an der Südseite der östlichen Hohen Tauern Pollendiagramm Stappitzer See und Huminstoffe als Klimazeugen Adolf Fritz.................................................................................................................................................................................. 184 Der Meister des „Mädchens von Spinges“ Bildhauer Josef Parschalk (1863–1932) Karl Kummer............................................................................................................................................................................. 204 Ein „gerüst zuem spil“ des 20. Jahrhunderts Lois Eggs Bühne für die Passionsspiele in Erl Claudia Mark . .......................................................................................................................................................................... 228 Himmelsbriefe und Kettengebete Ein kulturwissenschaftlich-ethnologischer Beitrag zum Phänomen der magisch-religiösen Kettenbriefe Andreas Rauchegger................................................................................................................................................................. 244 Thomas Haffenecker (1669–1730) Ein Prager Hofmaurermeister aus dem Tannheimer Tal Daniela Štěrbová....................................................................................................................................................................... 256 Autorinnen und Autoren ................................................................................................................................................ 277 VORWORT Einmal mehr legt es Zeugnis ab von emsiger Forschungs­ lichkeit. Eine Ausstellung, die in Zusammenarbeit mit der arbeit auf breiter Basis: das Wissenschaftliche Jahrbuch Universität Innsbruck und dem Museum in Absam entstand, der Tiroler Landesmuseen. Und wieder ist die Fülle der machte das ungeliebte und verdrängte Thema für breitere vertretenen Fachdisziplinen weit gestreut. Von der interessierte Kreise greifbar; ein Symposion in Zusammen­ Geschichtsforschung über die Kunstgeschichte, von arbeit mit der Leopold-Franzens-Universität, dem Mozarteum theaterwissenschaftlichen zu naturwissenschaftlichen und den Tiroler Landesmuseen führte zu einer wissenschaft- Themen bis hin zum Phänomen religiöser Kettenbriefe lichen Auseinandersetzung. Dessen Beiträge finden hier ist der Bogen der Beiträge gespannt. Und wieder bietet Aufnahme. Dass dies zeitgleich mit der Veröffentlichung das nunmehr gut eingeführte Medium sowohl Forschern einer vom Land Tirol veranlassten wissenschaftlichen Studie aus den Häusern der Tiroler Landesmuseen wie auch geschieht, ist erfreulich und stellt die Beurteilung der The- Expertinnen und Experten von außerhalb eine arrivierte matik auf eine breitere Basis. Basis, um ihre Forschungsleistungen einem breiteren Allen Autorinnen und Autoren ist für die termingerechte und Publikum zugänglich zu machen. angenehme Zusammenarbeit herzlich Dank abzustatten. Einen Schwerpunkt hat dieses Jahr sicherlich zu Recht Dank gebührt einmal mehr auch Ellen Hastaba, die sicher die Beschäftigung mit dem noch nicht hinlänglich auf- und effizient die Schriftleitung wahrnahm und die Publikation gearbeiteten Thema von Musik und Nationalsozialismus. des nunmehr sechsten Bandes dieser Reihe im Innsbrucker Dies war sowohl Gegenstand der Beschäftigung innerhalb Studienverlag koordinierte. der Tiroler Landesmuseen als auch an den einschlägigen Hochschulen in Innsbruck und befasste überdies die Öffent- Wolfgang Meighörner 7 Cover des Programmfolders. Musik und Nazismus in Tirol: Einleitung Dirk Rupnow […] und ich versuchte, ihm zu erklären: es gehe nicht um sich mit problematischen oder schmerzhaften Kapiteln der Schuld, sondern nur darum, daß man etwas einsehen müsse, Geschichte nicht mehr beschäftigen zu müssen. schlicht und einfach, allein dem Verstand zuliebe, des Dies wird auch daran sichtbar, dass sich solche Behauptun- Anstands wegen, sozusagen. gen praktisch nur mit Bezug auf die Zeit des Nazismus und Imre Kertész, Roman eines Schicksallosen (1975) seiner Massenverbrechen (oder vergleichbar schmerzhafter Themen) finden – also kurioserweise mit Blick auf die jüngste Geschichte und nicht etwa auf die Geschichte der Abstract Antike oder des Mittelalters in Anschlag gebracht werden, wiewohl man ja viel eher annehmen könnte, dass diese nun The following focus picks up on the controversial debate mittlerweile tatsächlich „hinreichend aufgearbeitet“ seien. on the role of Tyrolean composer Josef Eduard Ploner in Gleichzeitig melden sich die NS-Zeit und die aus ihr hervor­ the Third Reich. The four contributions deal with different gegangenen Kontinuitäten regelmäßig quasi von selbst aspects of the complicity of Tyrolean “folk culture” with Nazi zurück und dementieren so alle Hoffnungen auf einen ideology as it was established between 1938 and 1945. „Schlussstrich“: Ein verdrängter Friedhof wie im Fall des Psychiatrischen Krankenhauses Hall i. T. ist freilich nur ein Extrem­beispiel. Die Vielzahl der Entdeckungen und Ereig- Dass ein Teil der Geschichte „hinreichend aufgearbeitet“ sei nisse sowie der kleinen und großen Debatten, die daran und somit nicht mehr der Aufmerksamkeit bedürfe, werden angeknüpft haben, kann ohnehin niemand mehr überblicken. HistorikerInnen immer verneinen müssen. Die wissenschaft- Die Überraschung ist in jedem Fall von neuem groß, ob liche Beschäftigung mit Geschichte ist ein unabschließbarer inszeniert oder nicht. Und dabei ist der extrem erscheinende Prozess wie die Forschung in jedem anderen Bereich. Fall des Haller Friedhofs nur ein schwacher Widerhall des Natürlich gibt es Konjunkturen, sich wandelnde Interessen „Grauens“ dieser Jahre, das von Deutschen (einschließlich und Prioritäten, aber nie einen endgültigen Abschluss. Von Österreichern) ins Werk gesetzt wurde: Ganz offenbar denkt der Gesellschaft oder bestimmten Akteuren mag ein solches niemand daran, dass andere Teile Europas mit Massen­ klares Ende vielleicht gewünscht oder herbeigesehnt wer- gräbern (mithin noch nicht einmal geordneten Friedhöfen) den, das öffentliche Interesse an Epochen und Themen mag geradezu übersät worden sind. auch erlahmen, aber dies alles bedeutet keinesfalls, dass Fraglos ist es korrekt, dass die NS-Zeit insgesamt inzwi- aus Sicht der Geschichtswissenschaft alle Fragen endgültig schen sehr gut erforscht ist. Dies gilt aber für verschiedene geklärt seien, keine neuen Fragen mehr gestellt oder keine Regionen und Teilaspekte in unterschiedlichem Maße. neuen Antworten mehr gefunden werden könnten. Eine Hinzukommt das Vergessen durch den generationellen solche Aussage verkennt mithin ganz grundsätzlich den Wechsel und – eng damit verschränkt – die Notwendigkeit Charakter und die unendliche Dynamik von Wissenschaft für jede Generation, sich die Geschichte neu zu erschließen. und Forschung. Sie artikuliert wohl eher ein verstecktes In jedem Fall wissen wir aber genug, um festhalten zu Bedürfnis, den (im besten Fall verständlichen) Wunsch, können, dass Vorstellungen von unberührten oder sauberen 9 Lebensläufen bzw. von ideologie- und kollaborationsfreien Kunst – man denke nur an Riefenstahl, viele weitere wären Zonen in der Gesellschaft ebenso unangemessen sind wie zu nennen. Eine „reine“ Kunst, jenseits und völlig unberührt von klaren und eindeutigen Brüchen und Distanzierungen von Politik und Gesellschaft, gibt es aber genauso wenig wie nach 1945 – und, dass es hier und da eben noch viele offene eine „reine“ Wissenschaft. Fragen und weiße Flecken gibt, mit dem grundsätzlichen Wissenschaft und Kunst funktionieren immer nur in einem Wissen darum, dass es nie eine Vollständigkeit oder einen gesellschaftlichen und politischen Umfeld, mit eben solchen Abschluss historischer Forschung geben wird. Positionierungen – ob diese offen gelegt sind oder nicht. Für HistorikerInnen ist die ewige Wiederkehr des Gleichen Beides wird freilich gerne idealisiert und entkontextualisiert, in den öffentlichen Diskussionen gelegentlich ermüdend, sie Wissenschaft zudem mit Aufklärung und Objektivität gleich- gibt uns andererseits aber auch regelmäßig Arbeit, selbst gesetzt, weshalb Wissenschaft und Nationalsozialismus wenn sie in dieser Form nicht immer besonders innovativ noch viel stärker als ein Gegensatzpaar gilt als National­ sein mag. Obwohl sie in der Öffentlichkeit keinesfalls das sozialismus und Kunst. Der Typus der „idealischen“ und Monopol auf die Geschichte haben, werden professionelle „heroischen“ Geschichtsschreibung ist für die Wissenschaft HistorikerInnen gebraucht, um den Schutt wegzuräumen und jedoch ebenso wenig angebracht wie für die Kunst, obwohl Absolution zu erteilen, meistens im Format von Gutachten wir uns in beiden Fällen immer noch so schwer davon lösen oder Kommissionen. Doch die Begrifflichkeiten („Historiker- können. Beide Bereiche sind immer verstrickt in Politik und kommission“) verschleiern, dass diese den Charakter von Gesellschaft. „Wissenschaft“ darf daher heute auch nicht historischer Forschung grundsätzlich verkennen und viel zur Ausrede werden, der Verweis auf sie darf nicht not­ mehr nach politischen Logiken als nach wissenschaftlichen wendige gesellschaftlich-politische Debatten und Positio­ funktionieren. Auch sie sind nur Produkt der problematischen nierungen ersetzen. HistorikerInnen können auch keinen Sehnsucht nach einer endgültigen Aufarbeitung und einem Ablass anbieten, sie können sich aber natürlich an gesell- Abschluss, gewissermaßen einer sanierten Geschichte. Wis- schaftlichen Diskussionsprozessen beteiligen, diese auch senschaft kann all dies jedoch gerade nicht, kommt nie an initiieren bzw. mit speziellen Perspektiven und Einsichten ihr Ende, wird immer neue Fragen stellen, selbst wenn keine versorgen. neuen Quellen mehr auftauchten. Wissenschaft ist auch An dieser Stelle sei übrigens nicht verschwiegen, dass die weitaus weniger planbar, als es Kommissionen mit einer so genannte „Historikerzunft“ keinesfalls mit leuchtendem Laufzeit von einigen Monaten oder selbst Jahren verlangen. Beispiel vorangegangen ist, was die Aufarbeitung proble- Vor allem aber kann sie ihren Gegenstand, die Geschichte, matischer Vergangenheiten in der NS-Zeit betrifft, ganz im nicht nachträglich reinigen. Gegenteil: Erst in den 1990er Jahren kam eine sehr lang- Nun wurde in der „Ploner-Debatte“, um die es hier ja im wierige und schmerzhafte, von vielfältigen Ausblendungen Wesentlichen geht, keine Kommission gefordert, sondern und Ausreden geprägte Diskussion über die Involvierung wiederholt „wissenschaftliche Standards“ und eine „wissen- der eigenen Disziplin und ihrer Vertreter in den Nazismus, schaftliche neutrale Annäherung“ eingemahnt. Was könnte ­dessen Ideologie und Massenverbrechen in Gang. Der Blick dagegen schon gesagt werden? Nun zumindest, dass auch auf die anderen ist immer leichter. diese Rhetorik auf einer einigermaßen problematischen Vor- Zwei Grundirrtümer sind für die Mehrzahl der einschlägigen stellung von Wissenschaft basiert, die mit Gesellschaft und öffentlichen Debatten konstitutiv. Die Debatte über die deut- Politik zunächst einmal überhaupt nichts zu tun habe. Gerade schen Historiker im Nationalsozialismus (und ihr Nachleben) die Wissenschaftler, die sich in der NS-Zeit besonders ist auch hier übrigens keine Ausnahme. Zum einen gibt es hervorgetan haben, haben diese vermeintlich klare Trenn- den falschen Glauben an die „Stunde Null“: Natürlich bedeu- linie nach 1945 zu ihrer Verteidigung beschworen. Diese tete das Jahr 1945 einen einschneidenden Bruch, etwa Strategie ist auch aus anderen Bereichen bekannt, etwa der für die zuvor europaweit systematisch und erbarmungslos 10 Links: Ausschnitt aus dem Programmfolder. Film-Still aus: 6. Landesschießen 1943 Innsbruck, Produktion: Uli Ritzer, Musik: Sepp Tanzer. Das 6. Landesschießen 1943 war eine Großveranstaltung in Innsbruck vom 4. bis 18. Juli 1943. Unten: Die von Matthias Breit, Kurt Drexel und Franz Gratl konzipierte Ausstellung im „Historischen Gang“ des Ferdinandeums wurde am 23. November 2012 eröffnet. Aufgrund des regen Publikumsinteresses war sie statt der vorgesehenen zwei Wochen bis ins Jahr 2013 zu sehen. Zahlreiche Schulklassen besuchten sie im Rahmen von Spezialführungen. Foto: Matthias Breit. 11 betriebene rassistisch-antisemitische Vernichtungspolitik der „Erfolge“ der letzten Jahre und Jahrzehnte, die in diesem Nationalsozialisten und ihrer Helfer, aber weitaus weniger Kontext so zu nennen sich ohnehin verbietet, ist unsere (vielleicht gar nicht) für rassistische und antisemitische Gesellschaft in weiten Teilen bedauerlicherweise unverän- Konzepte und Vorstellungen in der Gesellschaft. Brüche und dert weit entfernt von einer „offenen“, vorbehaltlosen und Kontinuitäten überlagern sich und sind vielfältig miteinan- kritischen Auseinandersetzung mit dieser Vergangenheit, der verzahnt: auf der Ebene von Personen, Institutionen, die so gerne ausweichend und bequem als schicksalhaft, Politiken, gesellschaftlichen Praktiken und ideologisch- tragisch, düster und umschattet bezeichnet wird. weltanschaulichen Vorstellungen. Sie werden je durch verschiedene Rahmenbedingungen bedingt und ermöglicht, von Die vorliegenden Beiträge bilden das eintägige wissen­ verschiedenen AkteurInnen hergestellt und abgesichert. Will schaftliche Symposium ab, das das Institut für Zeit­ man historisch zu verstehen versuchen, wird ein Gespür für geschichte der Universität Innsbruck im November 2012 Brüche und Kontinuitäten zugleich, vor allem aber auch für gemeinsam mit dem Institut für Musikwissenschaften Transformationen notwendig sein. (Kurt Drexel), der Musiksammlung des Tiroler Landes­- Zum anderen existiert immer noch ein verkürztes Verständnis museums Ferdinandeum (Franz Gratl), dem Abteilungs­- von Täter-, oder neutraler: Urheberschaft, das für Vorgänge bereich für Musikalische Volkskunde der Universität in komplexen modernen Gesellschaften, wie auch das ­Mozarteum (Thomas Nußbaumer) und dem Gemeinde­ „Dritte Reich“ eine war, unangemessen ist. Das heißt freilich museum Absam (Matthias Breit) im Archiv für Baukunst nicht, dass alle unterschiedslos und in gleichem Maße zu der Universität Innsbruck (Christoph Hölz) im Adambräu Tätern geworden sind oder es keinerlei Formen und Akte von veranstaltet hat, unterstützt vom Land Tirol und der Stadt Widerstand gab. Es heißt aber sehr wohl, dass man sich Innsbruck. Umrahmt wurde es von einem Hör- und Film­abend von der Vorstellung einer eingeschränkten kleinen Gruppe, in einer Innsbrucker Buchhandlung und der Eröffnung einer auf die die Verbrechen nach 1945 immer wieder gerne pro­ Ausstellung zum Tiroler Musikleben in der NS-Zeit im jiziert worden sind (Hitler und die Führungsriege des „Dritten Ferdinandeum. Zu sehen war dabei u. a. ein Farbfilm vom Reichs“, die Gestapo, die SS, „die Nazis“ etc.) verabschie- 6. Tiroler Landesschießen in Innsbruck 1943 (produziert den muss: Verdrängung, Diskriminierung, Raub, Vertreibung von Uli Ritzer, mit Musik von Sepp Tanzer). Live aufgeführt und Massenmord waren ebenso wie Verdrängen, Vergessen wurden in Innsbruck erstmals die Komposition „Wie es war“ und Beschweigen nach 1945 kollektive Projekte, in der für Streichquartett und Schlagzeug, Sandblocks, Becken und Mitte der Gesellschaft, nicht an ihrem Rande. Dabei sollte Scheren von Peter Zwetkoff (1925–2012) und die Lieder­ nicht vergessen werden, dass Ideologie und politische sammlung „Wo die Zypressen stehen“ von Franz Mair Praxis des Nazismus nie eine vollständige Übereinstim- (1910–1945), beide wichtige Exponenten des Widerstands mung und Gefolgschaft forderten, sondern vielfältige Teil- in Tirol. allianzen zuließen – nicht zuletzt deshalb, weil sie bis zu Das offensichtliche Interesse eines breiten Publikums an der einem bestimmten Grad selbst keinesfalls durchgestaltet, wissenschaftlichen Beschäftigung mit diesem Thema und kon­gruent und widerspruchsfrei waren. Gerade darin lag vor allem auch die überraschend große Resonanz auf die (mit aber nicht eine Schwäche, sondern wohl die Stärke des äußerst geringen Mitteln realisierte) Ausstellung, die von NS-Systems. Dies macht es auch notwendig, den Blick für vielen Schulklassen besucht und auch in der überregionalen vielfältige Grauzonen jenseits eines einfachen Schwarz- Presse gewürdigt wurde, dokumentiert noch einmal das Weiß zu schärfen. Desiderat. Dabei geht es natürlich nicht um einen einzelnen Es ist äußerst irritierend, dass immer wieder und immer noch Komponisten und dessen Verwicklung in den Nazismus, son- die gleichen Praktiken von Vertuschung und Verleugnung, dern vielmehr um die sehr viel weitergehende Amalgamie- Ausblendung und Umdeutung in Gebrauch sind. Trotz aller rung von Tiroler „Volkskultur“ – ein fraglos problematischer 12 Begriff, der selbst Gegenstand der Debatte sein müsste – weise Ernst Kaltenbrunner, zu dieser Zeit als Nachfolger und NS-Ideologie, wie sie zwischen 1938 und 1945 syste- Reinhard Heydrichs bereits Chef des Reichssicherheits- matisch betrieben wurde. Das Filmdokument vom 6. Tiroler hauptamts, der zentralen Verfolgungsbehörde des „Dritten Landes­schießen 1943 hat diese Verquickung äußerst Reichs“) vor der Kulisse der Innsbrucker Hofburg und natür- sinnfällig vor Augen geführt: Tiroler Schützen neben der lich der unvermeidlichen Nordkette. Wenn die Diskussion Wehrmacht, Trachten neben Hakenkreuzen, alles untermalt um Josef Eduard Ploner und die Tagung einen Impuls dazu von der Musik Sepp Tanzers, mit dem Gauleiter als gütigem gegeben haben, dieses vielschichtige Szenario weiter zu Landes­herren auf dem Podium (neben ihm interessanter- durchleuchten, dann haben sie ihre Aufgabe erfüllt. 13 Abb. 1: 1. Satz „Ahnenerbe“, Direktion, Edition Helbling, Innsbruck–Wien 1959. Josef Eduard Ploners Symphonie in Es-Dur im Kontext der Nachkriegszeit Christian Glanz Abstract Stil der sogenannten Tiroler Schule vorbestimmt habe. Streng genommen fällt die Komposition nicht mehr in den The symphony in e flat by Josef Eduard Ploner is an early Zeitraum der nationalsozialistischen Herrschaft in Tirol. Im key example for specific stilistic tendencies in Austrian band Hinblick auf die im Kontext der Erforschung des National­ music. Ploner has written programmatically about the ideals sozialismus bedeutende Frage unterschiedlicher kultureller of band music, creating the image of a new style, emphasiz­ Kontinuitäten stellt sie jedoch ein sehr wichtiges Dokument ing the aspects of polyphony and monumentalism. His sym­ dar. Die der Komposition seitens ihres Urhebers beigege­ phony for band, arranged by his follower Sepp Tanzer, can benen Satztitel stellen ja vollkommen klar, dass es sich be seen as a kind of exemplary realisation of this concept. hier keineswegs um ein L’art pour l’art-Werk handeln soll. Aesthetically the composition follows the established lines Die nun folgende Auseinandersetzung mit der Komposition of programmatic symphonic composing and demonstrates möchte zur Diskussion stellen, welche konkreten musika­ the lasting prevalence of national idiomatic writing. In the lischen Gestaltungsmittel hier zur Anwendung kommen, context of the conference Ploners symphony represents the in welchen Traditionen diese Mittel stehen und was das lasting legacy of aesthetic positions, which prevailed during schließlich für die Ästhetik und den Standort einer sich als the national socialistic phase in Tyrol. „neu“ begreifenden Bewegung innerhalb des blasmusikali­ schen Musizierens in Tirol und in Österreich bedeuten kann. Nach den mir zugänglichen Quellen dürfte die Komposition Die Behandlung gerade dieser Komposition im Kontext des der Symphonie in die Jahre um 1950 fallen (Wolfgang Sup­ Themas Musik und Nationalsozialismus in Tirol ergibt sich pan weist sie den vierziger Jahren zu). Sicher ist, dass sie für mich vor allem aus der Rolle, die Josef Eduard Ploner 1952 beim Kompositionswettbewerb des Tiroler Landesblas­ selbst und damit auch seine Symphonie für die sogenannte musikverbands mit einem sogenannten Ehrenpreis gewürdigt Tiroler Schule der österreichischen Original-Blasmusik wurde. Die postume Uraufführung der viersätzigen Kompo­ spielt. Als Lehrer von Sepp Tanzer, der in dieser Gruppe sition erfolgte erst 1956 durch die von Sepp Tanzer geleitete zweifellos die wichtigste Person ist, wird Ploner in den nach Wiltener Stadtmusikkapelle im Tiroler Landestheater in wie vor wenigen Darstellungen der historischen Entwicklung Innsbruck. Weitere frühe Aufführungen werden für St. Gal­ des Komponierens für Blasmusik hierzulande häufig als len, Stuttgart, Überlingen, Linz und Wels erwähnt.2 Auch die eine legitimierende Instanz erwähnt , seine von Sepp Tanzer Drucklegung, die Satz für Satz erfolgte, nahm geraume Zeit für Blasorchester instrumentierte Symphonie gilt mithin als in Anspruch: Der Innsbrucker Musikverlag Helbling brachte ein wichtiges Vorbildwerk, welches die Richtung und den 1959 den ersten Satz heraus, abgeschlossen war die Publi­ 1 1 2 Suppan, Wolfgang: Komponieren für Amateure. Ernest Majo und die Entwicklung der Blasorchesterkomposition (= Alta musica 10), Tutzing 1987, S. 66. Spiehs, Hermann J.: Josef Eduard Ploner. Der Tiroler Komponist (= Schöpferisches Tirol 5), Innsbruck 1965, S. 5 und S. 106. 15 kation erst 1967 mit dem vierten Satz. Eine heute auch in der Blasmusikbesetzung zu präsentieren.7 Standen Hindemiths Blasmusikpraxis bereits übliche Partitur gibt es nicht, jedoch Intentionen aber im Zusammenhang mit seinen Mitte der wird vom Verlag ein Dirigier-Particell („Direktion“) angebo­ 1920er Jahre auch in anderen Sparten relevant gewordenen ten.3 Dieser Umstand lässt sich vor allem daraus erklären, Bemühungen um eine „mittlere Musik“, die zwar neu, jedoch dass mehrsätzige Kompositionen dieses Umfangs in jenen sowohl dem Publikum als idealiter auch den Laienausführen­ Jahren im Bereich der österreichischen Blasmusik noch eine den zugänglich sein sollte, so argumentiert Ploner neben der absolute Besonderheit und damit wohl auch ein nicht unbe­ Hervorhebung aufführungspraktischer Aspekte letztlich vor trächtliches verlegerisches Risiko bedeuteten.4 allem mit dem Bedürfnis nach „Eigenart“: „Man könnte etwa In Ploners Werkverzeichnis scheinen 17 Kompositionen für Blas- folgende Formel gebrauchen: Je kleiner der Raum, desto musik auf, wobei nur vier verlegt wurden. Märsche und Fanfa­ feiner, intimer soll die Musik sein. Je größer der Raum, desto ren stehen neben wenigen umfangreicheren Werken (eine gewaltiger, majestätischer, monumentaler! […] Dagegen Choralsuite, eine Heldische Musik in vier Sätzen). Im Gesamt­ empfinde ich aber eine ausgesprochene Abneigung, wenn werk nimmt die Blasmusik auch gar keine dominierende Stel­ bei festlichen Anlässen in jeder Hinsicht ‚kleine‘ Musikwerke lung ein, man wird sie daher auch nicht als besonderen Schaf­ geboten werden, oder wenn mit wirklichen Feststimmungen fensschwerpunkt bezeichnen können. Dennoch hat sich Ploner durch Benützung von unpassenden und ganz minderwertigen vor allem in der unmittelbaren Nachkriegszeit offensichtlich Musikstücken Schindluder getrieben wird. Ich erinnere nur intensiv mit den Problemen und Möglichkeiten des Blasmusik­ an die bei kirchlichen Anlässen immer wieder gebrauchten wesens befasst. Interessant ist in diesem Zusammenhang ‚feschen‘ Profanmärsche, an die unsäglich sentimentalen besonders ein Text, der im Dezember 1948 im Mitteilungsblatt Trauermärsche bei Begräbnissen, an gewisse südländische des Verbandes der Südtiroler Musik­kapellen erschienen ist.6 Weichlichkeiten bei heimischen Volksfesten. Unter dem Titel Originalmusik oder Surrogatmusik? plädiert Können wir unserer Art nicht das geben, was ihr eigentlich Ploner hier nachdrücklich für eine in seinen Augen neuartige gebührt und wonach sie verlangt? Ist in unserem Lande wirk­ Blasmusik, die sich zwar weiterhin in der traditionellen lich nur Platz für tränendrüsenfördernde Sentimentalität und Zweckbestimmung (gemeint ist die Einbindung in lokale kommerzielle Angelegenheiten? Stilechte, zweckbestimmte kulturelle Zusammenhänge) eingebunden sehen sollte, jedoch Werke könnten diesem Übelstande abhelfen. Nicht nur der stilistisch ganz anders aussehen müsse, als die seiner Mei­ Geschmack der Masse, auch der Geschmack der Kapell­ nung nach das praktische Repertoire dominierende Musik meister könnte dadurch gehoben werden. Es gibt noch einen „aus zweiter Hand“. Dabei ist wohl nicht nur für Blasmusik­ weiteren Grund, warum unsere Kapellen Stücke monumenta­ historiker interessant, dass Ploner hier denselben Begriff, len Charakters spielen sollen. Dies ist die Besetzung unserer nämlich „Surrogat“ verwendet, der schon 1926 von Paul Kapellen überhaupt. Diese Besetzungsart und die Qualität der Hindemith vorgebracht wurde, als es darum ging, im Rahmen Instrumente schreien geradezu nach polyphoner Stückwahl. der Donaueschinger Musiktage neue Kompositionen für Zumeist hören wir jedoch ein sehr billiges homophones 5 Allerdings geschah das augenscheinlich der Anfang der 1960er Jahre noch gebräuchlichen, heute gänzlich aus der Praxis verschwundenen Notation „in B“ entsprechend! Bei einer tatsächlichen Verwendung des Particells „in B“ ergäbe sich dann die durchaus bemerkenswerte Sachlage, dass Ploners Symphonie einen Ganzton tiefer, nämlich in Des erklingen würde. In der Folge wird jedoch Ploners Originaltonart „in Es“ präferiert, meine harmoni­ schen Angaben ignorieren also die Beifügung „in B“ am gedruckten Particell! Dies vor allem deshalb, weil es sich bei der Bezeichnung „in B“ offen­ sichtlich um einen Flüchtigkeitsfehler handelt. Die von mir verwendete Einspielung des Werks erklingt jedenfalls in Ploners titelgebender Tonart Es. 4 Für die Zurverfügungstellung einer Einspielung der Komposition durch den Musikverein der ÖBB Innsbruck unter der Leitung von Florian Pedarnig sei Herbert Malzer vom Tonarchiv des Oberösterreichischen Blasmusikverbandes ausdrücklich gedankt. 5 Spiehs: Ploner (wie Anm. 2), S. 178ff. 6 Abgedruckt bei Spiehs: Ploner (wie Anm. 2), S. 169–172. 7 Suppan, Wolfgang: Donaueschingen 1926: Paul Hindemiths Bemühungen um eine amateurgerechte Blasmusik, in: Lipp, Wolfgang (Hg.): Gesell­ schaft und Musik (= Sociologia Internationalis, Beiheft 1), Berlin 1992, S. 279–288. 3 16 Ge­klingel; wenn es hochgeht, eine an und für sich gut gebaute Ouverture für Symphonieorchester, wobei sämtliche Strei­ cherstimmen eben wiederum durch Bläser ersetzt sind – also wieder Surrogatmusik!“8 Die „zweckbestimmte“ Orientierung Ploners geht in diesem Konzept auch daraus hervor, dass er hauptsächlich von „Freiluftmusik“ spricht, um die es hier gehe. „Monumentalität und Größe“ ist auch von daher eine zentrale Forderung. Allerdings sei damit nicht simple „Kraft­ meierei“ gemeint, sondern eine dem „Inneren“ der Musik angepasste Stilistik. Mit dem Begriff des „Inneren“ ist wohl eine inhaltliche Bestimmung, letztlich also ein Programm, möglicherweise aber auch eine erwünschte ethische Haltung gemeint. Im Hinblick auf die anzustrebende Machart orientiert er sich ausdrücklich musikgeschichtlich: Konkret nennt Ploner die Beschäftigung mit den Mitteln des Chorals und besonders der Kontrapunktik (ausdrücklich erwähnt er dabei Kanon, Abb. 2: Josef Eduard Ploner (Reproduktion aus: Spiehs, Hermann Josef: Josef Eduard Ploner, Innsbruck: Universitätsverlag Wagner 1965). Passacaglia und Fuge), auch die Form der Suite ist für ihn ein historisch relevanter und tragfähiger Orientierungspunkt. Die Benützung von Volksliedern und Volkstänzen wird ebenfalls von Ludwig van Beethovens Pastorale muss hier genügen. gefordert, und zwar als symphonisch durchzuarbeitendes, Programmatisch konzipierte viersätzige symphonische Kompo- nicht bloß aneinanderzureihendes Material, das natürlich in sitionen – Vladimir Karbusicky hat dafür das Schlagwort von besonderer Weise der geforderten „Eigenart“ entspräche. Eine der „Vier-Akte-Dramaturgie“ geprägt10 – finden sich übrigens derartig orientierte Stilistik wäre seitens der Öffentlichkeit von zeitgleich vor allem in den von der Shdanow-Doktrin reglemen- dazu fähigen Komponisten durch Aufträge einzufordern. tierten Musikproduktionen in den Ländern des sowjetischen Die Symphonie in Es scheint mir nun ganz deutlich auf diese Machtbereichs, allerdings trotz ihrer populären Erscheinungs- selbst gestellten Forderungen zu reagieren, und es ist wohl form zumeist in stilistisch doch aufwändigerer Form umgesetzt. sinnvoll, sie nun auch tatsächlich in erster Linie an diesen Kri­ Die zwei Binnensätze, ein langsamer und ein Scherzo-Satz, terien zu messen. Dass es nicht ertragreich ist, anhand Ploners werden bei Ploner wie im etablierten und pädagogisch Komposition eine Standortdiskussion der allgemeinen Sym­ geradezu gebetsmühlenartig vermittelten Formmodell der phonik um 1950 zu führen, dürfte sich von selbst verstehen. Symphonie üblich, von zwei bewegteren, hier auch drama­ tisch akzentuierten Rahmensätzen umfasst. Die harmonischen Zunächst zu den allgemeinen Merkmalen:9 Verhältnisse zeigen sowohl im Satzübergreifenden als auch Die viersätzige Gesamtanlage entspricht vollkommen der im innerhalb der einzelnen Sätze eine ganz klare Orientierung Lauf des 19. Jahrhunderts entwickelten symphonischen Norm, an der Hierarchie der drei traditionellen Grundstufen her­ auch die Verwendung illustrierender Satztitel ist an sich absolut kömmlicher Tonalität (Tonika – Subdominante – Dominante). nichts Neues, ein kurzer Hinweis auf die Wirkungsgeschichte Gelegentliche Erweiterungen in den Bereich der jeweils Zit. nach Spiehs: Ploner (wie Anm. 2), S. 171. Eine ausführliche Verlaufsanalyse der Komposition bringt Söllinger, Heide Maria: Die Entwicklung der Österreichischen Original-Blasmusikliteratur, ungedruckte Diplomarbeit, Wien 2011, S. 102–114. 10 Karbusicky, Vladimir: Empirische Musiksoziologie, Wiesbaden 1975, S. 268–445. – Berg, Michael: „LTI“ und Siegersprache, in: Tischer, Mathias (Hg.): Musik in der DDR (= musicologica berolinensia 13), Berlin 2005, S. 66ff. 8 9 17 parallelen Moll- bzw. Durtonarten dürfen ebenfalls als absolut dung von bekannten Melodien (als Volkslieder bezeichnet): üblich bezeichnet werden, selten aber doch erscheinen auch Zentral ist dabei der Choral Wach auf, du deutsches Land Ausweichungen in terzverwandte Tonarten und – an beson­ (Johann Walter zugeschrieben und 1561 erstmals in einem ders dramatisch akzentuierten Stellen – übermäßige bezie­ fliegenden Blatt verbreitet). Das Material des Chorals hungsweise verminderte Akkorde. Es wird nicht überraschen, bestimmt die Substanz des fugierten Hauptthemas im ersten dass die Geltung der traditionellen hierarchischen Harmonik Satz ebenso wie die des triumphal angelegten Finales. Im nirgends auch nur andeutungsweise in Frage gestellt wird. zweiten Satz erscheint das ebenfalls historisch bewährte, Vor allem im ersten und zweiten Satz erscheinen kontrapunk­ nach dem Ersten Weltkrieg vor allem in Jugendbewegung tische Mittel, nämlich ein Fugato und eine Passacaglia. Die und Schule verbreitete Lied Es geht eine dunkle Wolk’ h­ erein Vortragsanweisungen beschränken sich nicht auf Tempo und in ähnlich substanzbestimmender Weise. Das Scherzo Lautstärke, sondern sprechen vereinzelt auch gestische Cha­ konfrontiert ein historisches Tiroler Lied (Auf, ös Tiroler und rakteristik an (Vorwärts stürmend, wild vorwärts stürmend).11 spannt’s enkre Büchs)13 mit dem allgemein bekannten Tanz­ Im Gesamtverlauf ist eine klare Orientierung an dem aus der lied vom Lieben Augustin. Diese Liedmaterialien charakte­ symphonischen Entwicklungslinie des 19. Jahrhunderts allge­ risieren nicht nur die jeweiligen Sätze, sondern finden auch mein bekannten Modell eines Wegs „durch Dunkel zum Licht“ Eingang in das resümierende Finale. Ferner werden musikali­ festzustellen, inklusive triumphalem Finale, das sich auch als sche Typen eingesetzt, die aus der traditio­nellen Blasmusik- zusammenfassendes Resumé des Vorangegangenen versteht. Zweckbestimmung bekannt sind: ein Trauer­marsch im zwei­ Die inhaltliche Seite der Komposition wird schon an der Ober­ ten Satz, ein Ländler im Scherzo und ein Marsch im Finale. fläche durch die erwähnten Satztitel vollkommen klargestellt, wobei bereits der erste Titel „Ahnenerbe“12 auffällt. Der Titel Kurz zu Gestaltung und Charakteristik der einzelnen Sätze: des ersten Satzes ist identisch mit einem in der NS-Phraseo­ Erster Satz (Titel „Ahnenerbe“), Es-Dur14, 4/4, Maestoso logie sowohl für Erbanlagen als auch für kulturelle Traditionen energico / Moderato energico verwendeten Begriff, der im National­sozialismus aber auch Formal handelt es sich um einen durch Fermaten geglieder­ institutionell eine bedeutende Rolle gespielt hat: Das 1935 ten Sonatenhauptsatz. Nach der Einleitung mit der Charak­ gegründete „Institut für wehr­wissenschaftliche Zweck­ teristik einer dramatischen Toccata beginnt der Hauptteil mit forschung der Studiengesellschaft für Geistesurgeschichte einem Fugato über den Choral Wach auf, du deutsches Land. Deutsches Ahnenerbe“ war eine SS-Stiftung, die seit 1942 als Die Fortführung erfolgt unter begleitender Anreicherung „Amt Ahnenerbe“ im unmittelbaren Machtbereich Heinrich des Choralthemas durch Triolierung. Das Seitenthema des Himmlers angesiedelt war. Die weiteren Satztitel, „Helden- Satzes (vorwärts stürmend, g-Moll, ab Takt 62) hat deutliche friedhof“ (zweiter Satz) und „Heimat-Lobgesang“ (vierter Anklänge an historische Tänze, möglicherweise soll hier die Satz) unterstreichen die offensichtlich angestrebte heroisch- „Landsknechtzeit“ oder die Zeit der Bauernkriege im frühen patriotische Grundhaltung. Dazu kommt die von Ploner im 16. Jahrhunderts herbeiassoziiert werden. In den dramati­ zitierten Originalmusik-Text ausdrücklich verlangte Verwen­ schen Höhepunkten findet man Mediantik und verminderte Erster Satz, Takt 62 bzw. Takt 102. Schmitz-Berning, Cornelia: Vokabular des Nationalsozialismus, Berlin 2007, S. 17f. – Kater, Michael H.: Das „Ahnenerbe“ der SS 1935–1945. Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches, München 2006. 13 Im gedruckten Particell mit 1790 datiert, jedoch möglicherweise auf 1796 oder 1797 zu datieren und dem Schwazer Regens Chori Staudacher zuzuschreiben, vgl. Feder, J.: Über die tirolischen Kriegslieder der Jahre 1796 und 1797, in: Programm des k. k. (vereinigten) Staatsgymnasiums in Teschen für das Schuljahr 1881/82, Teschen 1882. Zur Geschichte und Bedeutung des Walther-Chorals vgl. Brenner, Helmut: Wach auf, wach auf, du deutsches Land. Metamorphosen eines Liedes im politisch-historischen Kontext, in: Habla, Bernhard (Hg.): Festschrift zum 60. Geburtstag von Wolfgang Suppan, Tutzing 1993, S. 83–106. 14 Zur Tonartenproblematik siehe Anm. 3. 11 12 18 Abb. 3: 3. Satz „Scherzo“, Direktion, Edition Helbling 3333-B, Innsbruck 1966. 19 Abb. 4: 4. Satz „Heimat-Lobgesang“, Direktion, Edition Helbling 3336-B, Innsbruck 1967. 20 21 Akkorde. Die kurze Durchführung basiert hauptsächlich melodik und durchgehenden Begleitachteln, was insgesamt auf dem Choralmaterial. Die Reprise bringt zunächst das einen „Brio-Charakter“ ergibt. Die Materialien der vorange­ unveränderte Choralfugato, das Seitenthema erscheint nun gangenen Sätze erscheinen als Rondo-Episoden in jeweils jedoch in c-Moll (Parallele zur Tonika). Die abschließende veränderter Form: der Walter-Choral in den choraltypischen Maestoso-Coda (das Material stammt vor allem aus dem langen Notenwerten, ergänzt durch Figurationen im Triumph­ zweiten Teil des Chorals) wird von der variierten Einleitungs- gestus15, das Trauermarschmaterial aus dem zweiten Satz Toccata (zunächst in Ces) eingeleitet, der feierliche erscheint im Sechsachteltakt und führt zu einer hervorgehobe­ Ausklang zur Tonika wird von Glocken flankiert. nen „aufrufenden“ Soloepisode im Tenorhorn. Das Lied vom Lieben Augustin erscheint als kurze Andante-Episode. Im Aus­ Zweiter Satz (Titel „Heldenfriedhof“), g-Moll, 3/4, Adagio klang dominiert wieder das Material des Wach auf-Chorals.16 Formmodell A – B – A’, mit einem Trauermarsch als B-Teil Die Rahmenteile A und A’ basieren auf dem Lied Es geht Die Symphonie in Es realisiert die von Ploner im Text Original­- eine dunkle Wolk’ herein, verarbeitet in der Tradition der musik oder Surrogatmusik aufgestellten Forderungen geradezu Passacaglia (stete Präsenz der Melodie in wechselnden beispielhaft: Der Drang zur Monumentalität und Größe ist Stimmen, dazu Varianten bzw. Gegenstimmen). Der Trauer­ vor allem in den Rahmensätzen manifest, die Blasorchester­ marsch in c-Moll im Kontrastteil B orientiert sich in seinem besetzung und die Instrumentation durch Sepp Tanzer unter­ Material eindeutig am ländlichen Typus, wird im Verlauf ver­ streicht dieses Bemühen: Viel Orchestertutti, im Verlauf domi­- dichtet und mit skalenartigem Laufwerk toccatenartig ange­ niert eine blockartige Instrumentation nach dem Muster der reichert. Die Reprise (A’) ist verkürzt, klar ist die Tendenz zur Registrierung der Orgelpraxis. Deutlich ist ein fast durchgän­ harmonischen Aufhellung in der Tradition der picardischen giges klangliches Vorherrschen des weitmensurierten Blechs Terz (Schluss in G-Dur). (also der Flügelhörner, Tenorhörner bzw. Euphonien) in der Melodieführung. Dagegen werden den Holzbläsern selten wirk- Dritter Satz (Titel „Scherzo“), B-Dur, Allegro lich solistische Funktionen zugewiesen (zweiter Satz, Trio des Trio – Scherzo – Trio’ Scherzos), die Klarinetten werden oft stimmenweise mit den Grundlegend ist eine ausgedehnte dynamische Steigerung Flügelhörnern gekoppelt. Trompeten und Posaunen fungieren beginnend im pp. Das Scherzomaterial basiert einerseits vor allem für im weitesten Sinn signalartige Aufgaben, die auf dem Tiroler Lied Auf, auf, ös Tiroler und spannt’s enkre Saxophone lediglich als Füllinstrumente. Diese Instrumentation Büchs, andererseits auf ein sich daran anschließendes typi­ entsprach ganz den damaligen praktischen Normen und Mög­ sches Ländlermotiv. Im Trioteil (unüblicherweise in As-Dur) lichkeiten, ist aber mittlerweile zum österreichischen Phäno­ erscheint das Lied O Du lieber Augustin, zunächst dem Kli­ men geworden. Die blockartige Instrumentation, die Vernach­ schee entsprechend im Rahmen von Dudelsackquinten. lässigung des inzwischen emanzipierten und differenzierten Holzsatzes und das bis auf das übliche Schlagzeug inklusive Vierter Satz (Titel „Heimat-Lobgesang“), Es-Dur, Allegro vivo Glocken weitgehend fehlende Instrumentarium im perkussiven Entspricht dem Formtypus des Rondos mit dem Charakter der Bereich lassen das Werk für heutige Blasorchester nicht mehr Zusammenfassung: A – B (Choral) – A – C (Trauermarsch) – attraktiv erscheinen, von Stil und Gehalt ganz zu schweigen. A – D (Tirolerlied und O Du lieber Augustin) – A – Coda Der wiederkehrende A-Teil hat eine ganz deutliche Sechsach­ Die Verwendung von bereits vorhandenem Material (Choral, telmarschcharakteristik bei genretypischer Terz-Sextparallel­ Tirolerlied, Volkslied, Tanzlied) steht in engem Zusammenhang 15 16 Entsprechend der feierlichen Tradition der „Flourishes“, vgl. Sepp Tanzer: Tirol 1809, Sieg (3. Satz). Ebenfalls in Tirol 1809 zitiert (1. Satz). 22 mit den illustrierenden Satztiteln und unterstreicht die inten- mir nicht zu, die Tiroler Zeitgeschichtsforschung wird dazu dierte Charakteristik der Sätze und des Gesamtverlaufs: Der Fundiertes zu sagen wissen. erste Satz steht für Appell und Aufruf, der zweite Satz für heroi- Faktum ist aber auch – ich komme damit schlussendlich sches Gedenken und Geltung der Vergangenheit, der dritte auch direkt zum engeren Thema der Tagung! – dass Ploners Satz für Eigenart, der vierte Satz für Zuversicht und Wille. Symphonie in Inhalt und Stil auch vollkommen mit den Erwar­ Besonders der Choral Wach auf, du deutsches Land wird in tungen nationalsozialistischer Musikpolitik korrelieren würde. durch zahlreiche historische Vorbilder etablierter und im Hin­ Gesten des „Aufrufs“ und des „Appells“, die stete Präsenz blick auf das Publikum bewährter Weise zum Trägermedium des heroisierenden Heldenkults, die Feier des „Volkhaften“ des Affirmativen. Dabei ist sein Gestus wahrscheinlich wichti­ und der „völkischen Eigenart“, schließlich der „monumentale ger als die historische Konnotation des protestantischen Cho­ Triumph“ und die Forderung nach allgemein verständlicher rals. Die Verwendung kontrapunktischer Techniken erscheint Fortschreibung vermeintlich „deutscher“ kontrapunktischer vor allem im ersten und im zweiten Satz substanziell. Fugato Tradition waren ja fixe Bestandteile nationalsozialistischer, und Passacaglia erscheinen nicht als Selbstzweck, sondern auf Massenwirkung hinzielender Musikprodukte. Wie gesagt: funktionieren in Übereinstimmung mit den durch das jeweilige Ploners Symphonie stammt aus der Nachkriegszeit, sie orien­ Liedmaterial symbolisierten Gehalten. Trotz der viersätzigen tiert sich aber eindeutig an Prämissen, die schon geraume Anlage der Komposition ist eine Aufführung als Freiluftmusik Zeit in Geltung waren. Es wäre daher viel zu kurz gedacht, durchaus denkbar, auch die Einbindung einzelner Sätze in würde man den ästhetischen Standort der Kompositionen funktionelle Zusammenhänge ist unschwer vorstellbar. nur aus dem nationalsozialistischen Diskurs heraus deuten. An seinen eigenen Maßstäben gemessen – noch einmal sei Ploner schreibt mit dieser Symphonie vielmehr eine Linie fort, gesagt, dass die Diskussion der Komposition vor dem Hinter­ die sich abseits der Auseinandersetzung mit den Umwälzun­ grund der in der zeitgenössischen Musik damals erreichten gen des ausgehenden 19. Jahrhunderts18 und unter völliger Standards meiner Ansicht nach sinnlos ist – hat Ploner mit Ablehnung sämtlicher moderner und gar avantgardistischer der Symphonie in Es also so etwas wie ein Modellwerk vor­ Strömungen entwickelt hat und die sich in zahlreichen gelegt. Die verwendeten kompositorischen Mittel korrelieren musikalischen Hervorbringungen vergleichbar strukturierter zur gleichsam programmatisch mitgeteilten inhaltlichen Umgebungen in Mitteleuropa auffinden lässt. Dass jedoch Ebene, die rein technischen Anforderungen machen das die Realisierung dieser Prämissen zum Ausgangspunkt Stück engagierten Laien relativ leicht zugänglich. einer „neuen“ Strömung in der Tiroler und damit in der Und tatsächlich hat Ploner – ob vor allem mit diesem Werk österreichischen Blasmusik wurde, dürfte auch im Lichte der oder schon mit seinen zitierten Forderungen – Nachfolge zeitgeschicht­lichen Forschung eine interessante Feststellung gefunden: Sepp Tanzers auch außerhalb Tirols bis heute sein. In Ploners Symphonie manifestiert sich eine Kontinuität, vielgespielte dreisätzige Programmsuite Tirol 1809 ist dafür die – obwohl den Standards und Forderungen des National­ wahrscheinlich nur das bekannteste Beispiel. Die Einschät­ sozialismus bestens entsprechend – weit vor die NS-Jahre zung der zweifellos zentralen Frage, wie weit die Inhalte zurückreicht. Das zumindest die Originalblasmusikproduktion sowohl von Ploners Symphonie wie von Tanzers Suite in über die „Tiroler Schule“ hinaus geraume Zeit prägende direkter Beziehung zur Südtirol-Problematik stehen und wie Aufgreifen dieser Stilistik ist somit ein Stein im Mosaik des stark die Tiroler Rezeption davon bestimmt war, traue ich österreichischen Umgangs mit der eigenen Vergangenheit. 17 Die Repräsentanz des Themas in Ploners Schaffen ist aus dem Werkverzeichnis deutlich abzulesen, ich verweise lediglich auf Kompositionen wie Trauernd Land, Das Land im Gebirge, Mahnung (Ein Südtiroler Chor). 18 Obwohl Suppan (vgl. Ders.: Komponieren für Amateure [wie Anm. 1], S. 68) Ploner und die sogenannte „Tiroler Schule“ „in der Tradition österreichi­ scher Symphonik zwischen Anton Bruckner einerseits und Joseph Marx und Franz Schmidt andererseits“ einordnet. 17 23 Abb. 1: Programm zu einem Konzert des Reichsgausymphonieorchesters im Rahmen des 7. Landesschießens 1944. Zum Tiroler Musikleben in der NS-Zeit Franz Gratl Abstract Man will von der Vergangenheit loskommen: mit Recht, weil unter ihrem Schatten gar nicht sich leben läßt, und weil des The paper presents a general overview of Tyrolean musical Schreckens kein Ende ist, wenn immer nur wieder Schuld life from 1938 to 1945. A “music letter” by an anonymous und Gewalt mit Schuld und Gewalt bezahlt werden soll; mit author, published in the South German newspaper “Dolo- Unrecht, weil die Vergangenheit, der man entrinnen möchte, miten” in 1945, is taken as a starting point; it provides noch höchst lebendig ist. valuable insight on the development of the local music Theodor W. Adorno1 scene. The bourgeois concert circuit became less important and its promoters came under the influence of NS organisa- Der folgende Abriss des Tiroler Musiklebens in der NS- tions, while the regime in general and especially the local Zeit kann und will keinem Anspruch auf Vollständigkeit Gauleiter Franz Hofer favoured “folk culture” as a proper genügen. Angestrebt wird vielmehr eine Darstellung, die instrument for Nazi propaganda. The “Landestheater” was dem Leser in konziser Form einen Einblick in die Entwick- transformed into the “Reichsgautheater” and received lungen und Organisationsstrukturen bietet, die Institutionen special appreciation; theatre director Max Alexander und handelnde Personen benennt. Gerade die Organisa- Pflugmacher occupied important positions in the local tionsstrukturen waren in der NS-Zeit bekanntlich verworren cultural policy. The leading figures of the “Arbeitsgemein- und oft genug schwer durchschaubar in ihrem konkreten schaft Tiroler Komponisten” (1934–1938), Karl Senn and Handlungsspielraum; ebenso standen die Institutionen Josef Eduard Ploner, committed themselves to several von Staat und Partei vielfach in Konkurrenz zueinander, NS cultural projects. The regime reorganized musical educa- was wiederum die Effi­zienz der einzelnen Dienststellen tion and instrumentalised it for propagandistic purposes, erheblich verminderte. Viele MusikerInnen nutzten die connecting the educational system directly with sub-organi- Konkurrenzsituation geschickt zu ihrem Vorteil. Michael H. zations of the NSDAP. One of the most ambitious projects of Kater formulierte es in seinem immer noch fundamentalen Gauleiter Hofer was the installation of the Standschützen- Werk „Die mißbrauchte Muse. Musiker im Dritten Reich“ verband, a mass organisation to promote “folk culture” – so: „Die Gründe, warum es überhaupt zu einem Kompromiß and ideological indoctrination. The Standschützenverband zwischen Unterdrückung und Duldung kommen konnte, also comprised the traditional wind bands, which were waren das relative Unvermögen der Dienststellen, die completely restructured under the rule of “Musikreferent” zur Verwaltung der Musik im Regime eingerichtet wurden, Sepp Tanzer. und die fehlende Zusammenarbeit.“2 Viele Charakteristika Adorno, Theodor W.: Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit, Radiovortrag 1959, schriftliche Fassung in: Adorno, Theodor W.: Eingriffe. Neun kritische Modelle, Frankfurt am Main 1963, S. 125–146, S. 125. Mit der öffentlichen Sendung dieses Radiovortrages wurde die Ausstellung „Tiroler Musikleben in der NS-Zeit“ im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum (23.11.2012–13.1.2013) beschlossen. 2 Kater, Michael H.: Die mißbrauchte Muse. Musiker im Dritten Reich, aus dem Amerikanischen von Maurus Pacher, München–Wien 1998, S. 34 [amerikanische Originalfassung: The Twisted Muse, New York 1997]. 1 25 des Musiklebens im Gau Tirol-Vorarlberg zwischen 1938 ren Zug der Begeisterung und freudigen Stolzes. Dies alles, und 1945 sind nicht spezifisch, sondern gelten für das dieser Inbegriff idealer und auch realer Werte umschließt ganze „Dritte Reich“; dennoch zeichnen sich hier, an der das Tiroler Landesgefühl; durch den Frieden von 1919 aus Südgrenze des Reiches, nicht wenige Besonderheiten ab, seiner selbstzufriedenen, keinen Nachbarn bedrohenden die einerseits dem besonderen Ehrgeiz einzelner handelnder Beschaulichkeit aufgestört, in seinen Wurzeln bedroht, wird Personen geschuldet sind, andererseits der spezifischen es sich gleichwohl nicht mit jener Leichtigkeit in den Herzen historischen Problematik: Südtirol betreffend gab es zum seiner natürlichen Träger ertöten lassen, wie die Urheber Beispiel eine frappierende Diskrepanz zwischen den Hoff- rücksichtloser, natur- und kulturwidriger Eroberungspolitik nungen der Bevölkerung und der Realpolitik des national- wünschen mögen.3 sozialistischen Regimes. Dabei war die Südtirolproblematik seit 1919 der Stachel im Fleisch national gesinnter Tiroler. Die Nationalsozialisten instrumentalisierten genau dieses Im „Tiroler Kalender 1934“, der vom Lehrer Hans Bator idealisierte Bild Tirols und seiner eigensinnigen, stolzen (Gründer und Obmann der „Ostmärkischen Sturmscharen“) und wehrbereiten Bewohner, das hier in einem von natio- und dem Komponisten Karl Senn, führenden Köpfen nalem Pathos durchdrungenen Text aus der Zeit der austro- des „Bruder-Willram-Bundes“, herausgegeben wurde, faschistischen Diktatur (des „Ständestaates“) entworfen finden sich auf Seite 19 in Fettdruck von Otto Stolz for- wird. mulierte „Merksätze für jeden Tiroler“, die ein beredtes Zeugnis von der Bedeutung der Südtirolfrage geben und zugleich das geistige Klima der 20er und 30er Jahre wider- Ein aufschlussreicher „Musikbrief“ spiegeln: Einige Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges Tirol hat als Land und geschichtliche Gemeinschaft einen und dem katastrophalen Untergang des „Dritten Reiches“ ganz besonderen Namen. Seit sieben Jahrhunderten auf der erschien in der Südtiroler Tageszeitung Dolomiten am Grenzscheide zweier großer Nationen aufgerichtet, ist das 16. Oktober 1945 ein „Innsbrucker Musikbrief“ eines noch zu Land in allen Schicksalsstürmen des Erdteiles in besonderer identifizierenden Verfassers „J. R.“. Innsbrucks Musikleben Weise in Mitleidenschaft gezogen worden, es hat sich aber wird darin ein neuer Aufschwung attestiert; in der Folge da und sonst immer durch starken Eigenwillen und selbstän- skizziert der Verfasser die Entwicklung der Innsbrucker diges Handeln in Ehren behauptet. Die politische und soziale Musikszene in der NS-Zeit mit dem Fokus auf das bürger­ Entwicklung Tirols geht unbeirrt durch das Beispiel der liche Konzertwesen: Nachbarn ihren besonderen Weg bodenständiger, urwüchsiger Volksfreiheit, gelangt zu gesunder Ausgleichung der Wie auf vielen Gebieten des geistigen und kulturellen Rechte und Pflichten zwischen den Ständen und Einzelnen. Lebens der mittleren und kleinen Städte haben auch hier Stammesart und Kultur nahmen hier auf dem eigenartigen Dilettanten mit Parteiabzeichen die Führung an sich gerissen Boden des Gebirgslandes ein besonderes Gepräge an. Reich und die einst so angesehene Schule [Anm: des Musik­ an Gegensätzen erwuchs das Land dennoch zu einem Wirt- vereins] […] herabgewirtschaftet. Damit entsprachen schaftskörper von natürlicher Einheit. Und Naturschönheiten die neuen Männer durchaus dem Wunsch des Gauleiters einziger Art verleihen der Tiroler Heimatliebe einen besonde- Hofer, der in einer Versammlung von Erziehern im Großen 3 Stolz, Otto: Land und Volk von Tirol im Werden des eigenen Bewußtseins und im Urteil älterer Zeitgenossen, in: Tiroler Heimat, Heft 3/4, 1923, S. 5–38, hier zitiert nach Bator, Hans/Senn, Karl (Hg.): Tiroler Kalender 1934, S. 19. 26 Stadtsaal in Innsbruck auch über die Musikerziehung staltung mit Freikarten herabgedrückt. Das Stammpublikum, das Wort ergriff und öffentlich erklärte, er sei gegen die das jahrzehntelang ständig die Symphonie- und Kammer­ klassische Musik und dagegen, dass die jungen Leute konzerte besuchte, trat völlig in den Hintergrund oder war Klavier, Cello, Geige, Harfe usw. lernten, sie sollten ge- überhaupt nicht mehr zu sehen. Es war dies ein stiller Pro- scheiter Blockflöte blasen, Ziehharmonika und ‘s Raffele test gegen die Diktatur des Parteidilettantismus. spielen lernen! Das allgemeine Musikniveau in Tirol J. R.: Innsbrucker Musikbrief, sollte nun von der H. J. bestimmt werden und nicht von in: Dolomiten, 16. Oktober 1945, S. 2–3. der „Unsterblichen Musik Deutscher Meister“. Daß unter solchen Umständen ein pflichtbewusster Lehrkörper eines Der Autor konstatiert hier – aus einem gewiss sehr subjek- Konservatoriums einen schwierigen Stand hatte, war ein- tiven Blickwinkel – einige Grundzüge des NS-Musiklebens zusehen. Und so blieb dem letzten Direktor Fritz Weidlich, in Tirol: einem erprobten und vielseitigen Musiker, dessen Tätigkeit und Einfluß man systematisch zu untergraben suchte, nichts anderes übrig, als zurückzutreten, um wenigstens 1) Die Schlüsselpositionen übernahmen willfährige Parteisoldaten mit oft geringem Können. seine Standesehre als Musiker zu retten. In der Leitung des 2) Die finanzielle Ausstattung war unmittelbar nach dem Musikvereinsorchesters folgte ihm ein aus Süddeutschland Anschluss üppig, wenn die Musik den Zweck erfüllte, herbeigeeilter „alter Kämpfer“, ein blutiger Dilettant, der von seiner Aufgabe im besten Falle nur eine blasse Ahnung hatte. Herr und Meister des Theater- und Konzertlebens aber wurde ein Intimus des Gauleiters, der auch in Bozen hinlänglich bekannte I. M. Pflugmacher, der zum Intendanten des Gautheaters bestellt wurde. Da anfänglich zur den Nationalsozialismus zu verherrlichen. 3) Die „ernste Musik“, d. h. in diesem Fall der bürgerliche Konzertbetrieb, verlor an Bedeutung. 4) Die Kirchenmusikpflege wurde starken Beschränkungen unterworfen. 5) Die kulturpolitische Ausrichtung wurde von Gauleiter Verherrlichung des Nationalsozialismus Geld überhaupt Hofer vorgegeben und war sehr stark von seiner Intention keine Rolle spielte, ließ es sich Herr Pflugmacher nicht geprägt, Tirol-Vorarlberg zu einer Musterregion innerhalb zweimal sagen, um von dieser These überreichen Gebrauch des Deutschen Reiches zu machen. zu machen. Unter solchen Voraussetzungen war es nicht schwierig, Erfolge zu erringen und so läßt sich auch nicht leugnen, dass im Stadttheater oder Gautheater, wie es nun Das bürgerliche Konzertwesen hieß, eine Reihe beachtlicher Aufführungen über die Bretter gingen. Auch in Bezug auf die Ausstattung ließ man sich’s Gauleiter Franz Hofer verfolgte mit großem Eifer das Ziel etwas kosten. Pflugmacher war übrigens der Mann, der die einer Neuausrichtung des gesamten kulturellen Lebens Messkleider und Ornate aufgehobener Klöster zu Kostü- mit besonderer, auch seinem persönlichen Geschmack men von Operettendivas „umbauen“ ließ und als oberster entsprechender Betonung der „Volkskultur“. So lässt sich Musikdiktator im Gau den Orchestermusikern die Teilnahme der vom Autor des „Musikbriefes“ konstatierte Niedergang an kirchenmusikalischen Diensten verbot, wodurch die des traditionellen bürgerlichen Konzertbetriebes erklären: Aufführung einer großen Zahl berühmter Meisterwerke, die Speziell gefördert wurden nun Veranstaltungen und Werke, der Innsbrucker Pfarrkirchenchor in seinem Repertoir hatte, in denen vordergründig Heimatliches, Tirolisches in den unmöglich gemacht wurde. Mittelpunkt gerückt wurde. Die Hinwendung vieler Tiroler Das Konzertleben aber, der wahre Prüfstein für das Musik­ Komponisten zu Themen aus der Tiroler Geschichte, von leben einer Stadt, verlor fast vollständig seine traditionelle Oswald von Wolkenstein bis zu Andreas Hofer, steht damit Basis und wurde mehr oder minder zu einer K. d. F.-Veran- in Zusammenhang und darf keineswegs als Ausdruck 27 bloßer Heimatverbundenheit missverstanden werden4 – Innsbruck 1974) 1939 nach Innsbruck berufen. Pflugmacher die Komponisten ordneten sich damit dem kulturpoliti- war im Gegensatz zu Ratjen als Musiker wenig bedeutend schen Programm unter, das letztlich auf eine umfassende und trat primär als Operetten- und Filmmusikkomponist „Umformung“ im Sinne des Nationalsozialismus und einen hervor, verfügte aber über ein besonderes Naheverhältnis chauvinistischen, von völkischer Ideologie und Rassentheorie zu Gauleiter Hofer. Der willfährige Partei­genosse Pflug- beeinflussten Tirolkult hinauslief. Nach dem „Anschluss“ macher sicherte sich mit den Posten des „Lande­leiters gab es in Bezug auf den bürgerlichen Konzertbetrieb der Reichsmusikkammer Gau Tirol-Vorarlberg“ und des zunächst keinen wirklichen Bruch – sieht man von den Gaubeauftragten für Musik mit vielfältigen Aufgaben6 eine offenbar nicht als Bruch erlebten „Säuberungen“ im Zuge herausragende Position im regionalen NS-Kulturleben. des „Anschlusses“ ab: Das Orchester des Musikvereins Die vom Verfasser des „Musikbriefes“ an die Dolomiten stand weiterhin unter der Leitung von Fritz Weidlich (Wien konstatierten Entwicklungen in Bezug auf das Konzertleben 1898 – Innsbruck 1952). Aber schon unmittelbar nach dem lassen sich tatsächlich aus den vorhandenen Konzert- Anschluss wurden Pläne entwickelt, die auf die Auflösung programmen ablesen: Als Veranstalter der traditionsreichen des Musikvereins zielten. 1939 löste eine Konzertgemeinde Symphoniekonzerte wurde der Musikverein zunächst von den Musikverein als Träger der Symphonie- und Kammer- der „Konzertgemeinde der Stadt Innsbruck“ und schließ- konzerte ab, was zusammen mit der Einrichtung der lich ganz von der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ „Musikschule für Jugend und Volk“ und der Umwandlung (einer Unterorganisation der „Deutschen Arbeitsfront“) der Schule des Musikvereins in die „Musikschule der Gau- abgelöst. hauptstadt Innsbruck“ faktisch einem Ende der traditions­ „Meisterkonzerte“ organisierte die „Konzertunternehmung reichen Institution Innsbrucker Musikverein (gegründet Johann Groß“ – hier fand also die Leitung der führenden 1818) gleichkam, das durch einen Erlass des Gauleiters Innsbrucker Musikalienhandlung ein weiteres Betätigungs- 1941 besiegelt wurde.5 Der Dirigent des Opernorchesters feld (nebst dem Handel mit Noten und Instrumenten, dem Hans-Georg Ratjen leitete 1939 erstmals das Musikvereins­ Betrieb eines eigenen Musikverlages und einer Reparatur- orchester, Weidlich fungierte bei diesem Konzert als Klavier­ werkstätte für Instrumente). solist. Ratjen sollte wohl als bereits profilierter Musiker Fritz Weidlich sah sein Betätigungsfeld zunehmend einge- Weidlich Konkurrenz machen und wurde auf Betreiben des schränkt und ging daher zunächst 1942 nach Lemberg, dann zunächst stellvertretenden und später leitenden Theater- 1943 nach Pressburg. Pflugmacher als „graue Eminenz“ intendanten Max Alexander Pflugmacher (Innsbruck 1903 – und Ratjen als dessen Schützling verdrängten Weidlich Hermann Josef Spiehs etwa sieht in der Hinwendung zu tirolischen Themen bei Josef Eduard Ploner eine Reaktion auf dessen zunehmende Enttäuschung in der NS-Zeit: „Ja er vertiefte und versteifte sich nach dem kulturellen Debakel nur noch mehr auf sein Tirolertum […]“; vgl. Spiehs, Hermann Josef: Josef Eduard Ploner – Ein Tiroler Komponist (Schöpferisches Tirol, 5. Folge), Innsbruck 1965, S. 65. Manfred Schneider folgt in den drei Auflagen des Booklets zur CD-Produktion „Klingende Kostbarkeiten aus Tirol 74“ (Institut für Tiroler Musikforschung 2011) mit Werken von Josef Eduard Ploner in historischen Aufnahmen aus dem ORF Tirol vielfach unkritisch den Ausführungen von Spiehs; auch er sieht in der kompromisslosen „Heimatliebe“ Ploners den primären Grund für die Wahl von Themen aus der Tiroler Geschichte, selbst wenn es sich um (Auftrags-) Werke aus der NS-Zeit handelt; ähnliche Tendenzen finden sich auch in: Herrmann-Schneider, Hildegard: Die klangliche Inszenierung des Mythos Tirol. Tiroler Komponisten des 20. Jahrhunderts und ihre Hommage an das Land im Gebirge, Vortrag vom 3. Dezember 2011 in Wien auf der Jahrestagung Synthese Österreich der Österreichischen Gesellschaft für Musikwissenschaft in Kooperation mit der Kommission für Musikforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, im Internet unter http://www.musikland-tirol.at/musikgeschichten/die-klangliche-inszenierungdes-mythos-tirol.php (Zugriff 8/2013). 5 Steiner, Wolfgang: Musikverein / Konservatorium / Musikschule 1938–1945, in: Steiner, Wolfgang im Auftrag des Tiroler Landeskonservatoriums (Hg.): 175 Jahre Musikverein – Musikschule – Konservatorium in Innsbruck, S. 87–91, S. 87. 6 Pflugmacher war 1939 Inhaber eines Flüchtlingspasses und SA Obertruppenführer; folgende Funktionen übte er aus: „Leitung Gaupropaganda, Musik-Beauftragter, Leiter der R[eichs]M[usik]K[ammer]-Stelle, Dienst in der Gauleitung“ (Tiroler Landesarchiv, Parteistatistisches Erhebungsblatt vom 6.9.1939). 4 28 zunehmend aus seinen Betätigungsfeldern. Es waren also eher Konkurrenz und Intrigen unter Kollegen, keineswegs politische Gründe, die zu diesem Abgang führten. Weidlich verfügte vielmehr über erstklassige Kontakte zu Parteifunktionären, die er zum Beispiel in Lemberg glänzend zu nutzen verstand, wo er im Übrigen die Wohnung vertriebener Juden bezog, wie er dem Komponisten Emil Berlanda in Innsbruck stolz berichtete: Dafür erzählte er [Weidlich] mir [Berlanda], der sich als durch Pflugmacher aus Innsbruck hinausgeworfen betrachtete, dass er in Lemberg ausgezeichnet lebe und mit ausreichenden Lebensmittelzulagen versorgt wäre, in der Villa eines vertriebenen Juden komfortable wohne und dass er bereits einen einflussreichen Kreis von Freunden und Bewunderern seiner Kunst versammle, der bis über Krakau hinaus reiche, wo er sich öfters zeige und dort ein gerngesehener Gast bei höchsten Funktionären der Partei sei …7 Nach Weidlichs Abgang wirkten vor allem Pflugmacher selbst und Ratjen als Dirigenten, das Repertoire umfasste primär den klassisch-romantischen Kanon – bis zum Ende des regulären Konzertbetriebes 1944. Ein neues, national- Abb. 2: Programm zu einem „Meisterkonzert“, veranstaltet von der „Konzertunternehmung Johann Groß“. sozialistischen Vorstellungen konformes Repertoire, neue Formen der Konzert- und Feiergestaltung entwickelten sich primär abseits des herkömmlichen bürgerlichen Konzert­ schießen“. In dessen Rahmen fanden vielfältige kulturelle betriebes im Kontext etwa von Parteiveranstaltungen und Veranstaltungen statt, so auch Konzerte. 1943 fanden der Musikausbildung. 1942 wird Josef Eduard Ploners Kan- im Rahmen des vierzehntägigen „6. Landesschießens“ tate „Das Land im Gebirge“ op. 109 über einen von Blut- und (3.–18. Juli) „NS-Kulturtage“ und ein Wertungsspiel der Boden-Ideologie durchdrungenen Text von Josef Georg Ober- Hitlerjugend statt, die Veranstaltung war weiters mit einer kofler im Rahmen einer „Feierstunde der Heimat“ im Inns- Schulungs­woche für Musiklehrer verbunden (mit den Refe- brucker Stadtsaal unter dem Ehrenschutz des Gauleiters (und renten Wilhelm Ehmann, Professor für Musikwissenschaft Widmungsträgers von „Das Land im Gebirge“) aufgeführt. an der „Alpenuniversität“ Innsbruck, und Toni Grad, Leiter Es war mit großer Wahrscheinlichkeit Ploner selbst, der der Gaumusikschule), das „Reichssymphonieorchester“ diese Feierstunde, eine Form der Konzertgestaltung ganz im konzertierte in Innsbruck; im Rahmen des 6. und 7. Landes­ Sinne der Machthaber mit „volkskultureller“ Ausrichtung, schießens fanden Brauchtumsabende und Feierstunden konzipierte. Zur zentralen Partei-Propagandaveranstaltung statt, in denen Ploners Konzept der „Feierstunden der im Gau Tirol-Vorarlberg entwickelte sich das „Tiroler Landes- Heimat“ aufgegriffen und weiterentwickelt wurde. 7 Berlanda, Emil: Autobiographie, Typoskript (Kopien in TLMF, Bibliothek), S. 274. 29 Abb. 3: Programm zu einer „Feierstunde der Heimat“ im Rahmen des 6. Landesschießens 1943. 30 Die Rolle der Protagonisten der allen Kunstarten ist die Tonkunst die blutbedingteste. Wenn „Arbeitsgemeinschaft Tiroler Komponisten“ Politik werdende Geschichte ist und Geschichte letzten Endes in der NS-Zeit die durch die Politik in die Tat umgesetzte Welt­anschauung, so stehen auch die echte und wahre Kunst als aus einer Die „Arbeitsgemeinschaft Tiroler Komponisten“ (ATK) for- Weltanschauung geboren mit der Geschichte in ständiger mierte sich 1934. Vordergründig ging es den Protagonisten Wechselwirkung, d. h., die Geschichte als tatgewordene darum, den heimischen Komponisten eine stärkere Position Weltanschauung bedingt die Kunst und nicht umgekehrt. im Musikleben zu verschaffen. Obwohl laut Statut angeblich Die demokratisch-liberalische Formel, daß die Kunst mit der unpolitisch, waren führende Mitglieder der ATK schon in der Politik in keinem Zusammenhang stehe oder zu stehen habe, Verbotszeit der NSDAP beigetreten, etwa Karl Senn und Josef ist genau dieselbe Heuchelei und Tat­sachen­verdrehung wie Eduard Ploner. Vor allem letzterer trat im Rahmen von ATK- die Formel von der „absoluten Musik“ an sich: denn Musik Sitzungen immer wieder mit antisemitischer Agitation hervor. für sich allein gibt es in der Auswirkung auf die Menschheit Die ATK organisierte oder initiierte eine Reihe von Aufführun- ebenso wenig, als eine Kunst, eine Welt­anschauung, eine gen der Kompositionen ihrer Mitglieder in Tirol, knüpfte aber Politik, eine Geschichte für sich selbst gibt. Diese Tatsachen darüber hinaus intensive Kontakte zum Deutschen Reich. Als stehen auf dem Boden der Natur­gesetze und damit auf dem der „Anschluss“ kam, entwickelten die Mitglieder der ATK und gottgeschaffenen Grundsatz von „Blut und Boden“, da ja auch wiederum allen voran Ploner eine hektische Aktivität. Ploner die Naturgesetze göttlichen Ursprungs sind. Die blutleeren und Senn verfassten im Kontext der inszenierten Anschluss- und naturwidrigen Formeln der demokratisch-liberalistischen Volksabstimmung vom 9. April 1938 propagandistische Zeit stammen alle von Juden oder Judenknechten. In der Schriften bzw. Kompositionen; Berlanda schrieb ein Lied zum Tonkunst schaffte besonders die vom einst allmächtigen Geburtstag des Führers, das er an die Reichskanzlei sandte. Wiener Musikpapst Eduard Hanslick geschaffene Formel der Offenbar waren die drei bis dahin „zu kurz Gekommenen“ „absoluten Musik“ – also einer Musik um ihrer selbst willen hektisch darum bemüht, nun jene Positionen zu besetzen, die – viel Verwirrung. („Vom musikalisch Schönen. Ein Beitrag ihnen vorher vorenthalten worden waren. Die ATK wurde von zur Revision der Aesthetik der Tonkunst.“ Erschienen 1854.) den Nationalsozialisten aufgelöst. Nicht, weil sie etwa nicht Hand in Hand damit ging dann die Vernebelungslehre „keine regimekonform agiert hätte, sondern im Zuge der Auflösung Politik in der Kunst“! Somit leisteten alle diese Verdrehungen aller nach österreichischem Recht bestehenden Vereine. Eine und Unwahrheiten der aus dem Judenblute stammenden Neugründung wurde nicht erwogen – die Voraussetzungen demokratisch-liberalistischen Weltanschauung die zugedach- hatten sich ja grundlegend geändert, nun war endlich der ten Handlangerdienste, womit also auf die scheinheiligste politische Wechsel gekommen, den man so sehr erhofft hatte. Weise gerade die Kunst für die Politik ausgenützt werden Ploners begeisterte Reaktion auf den „Anschluss“ ist ein poli- konnte. Daß der deutsche Mensch in seinem Fühlen, Denken tisches Pamphlet, in dem sein völkischer Antisemitismus und und Handeln sich nun wieder von diesen trugvollen Lehren sein Antimodernismus Ausdruck finden: befreit und zu seinem artgemäßen Leben und seiner Kultur zurück­gefunden hat, verdankt er der Tat Adolf Hitlers. Diese Weltanschauung und Tonkunst. Befreiung verlangt als Dankabstattung die letzte Hingabe Zum Wirken des „Innsbrucker Kammerchores“ von jedem volksbewußten Deutschen innerhalb seines Wirkungskreises; von dem musikalisch begabten und tätigen Jede echte und wahre Kunst ist weltanschaulich bedingt. Volksgenossen daher sein bestes Wirken im Dienste der Weltanschauungen gründen sich nicht nur auf das Denken natio­nalsozialistischen Weltanschauung. und die Vernunft, sondern auch auf das Gefühl. Dieses ist Der „Innsbrucker Kammerchor“ hat seit seiner Gründung wieder in einem besonderen Maße rassisch bedingt. Von immer volksverbundenen Zielen gedient. Sein Eintreten für 31 die alten deutschen Meister in den Nachkriegsjahren war schaft der Komponisten“ in der Reichskulturkammer für Tirol schließlich nichts anderes als ein kulturelles Kämpfen gegen aus – eine Funktion, die nur Sinn ergibt, wenn Österreichs die verschiedensten jüdischen Ismen (Atonalismus, Inter- Souveränität negiert und der „Anschluss“ angestrebt wird – nationalismus, Dadaismus, Bolschewismus, Primitivismus, und wurde daher in der NS-Zeit als „alter Kämpfer“ aner- Jazz-Bandismus und wie sie alle hießen und im geheimen kannt. Ploner war nicht nur Mitglied zahlreicher NS-Partei­ auch bei uns noch heißen). organisationen, sondern stand auch in der persönlichen Gunst Das bewusste Sichhinwenden zu einer immer planmäßig­eren des Gauleiters. Er brachte sich in der NS-Zeit ideologisch Pflege der zeitgenössischen und heimischen Tonkunst ver- engagiert als Komponist, Organisator und Pädagoge außer­ schiedener Zeiten geschah aus der Erkenntnis der alleinigen ordentlich vielfältig ein. Im Gegensatz zu Karl Senn bekleidete Wertigkeit der nationalsozialistischen Welt­anschauung. Mit er kein hohes Amt im kulturpolitischen System, war aber treuer Hingabe und vielen Opfern wurde für diese Zielsetzung nichtsdestotrotz das bei weitem aktivste Ex-Mitglied der gearbeitet. Die Zeiten der Drosselung und Knebelung sind Arbeitsgemeinschaft Tiroler Komponisten – und bis zum Ende nun gottlob vorbei. Nun will sich der „Kammerchor“ mit neuer (und darüber hinaus9) linientreu, wie seine ohne Auftrag und Tatkraft der Erreichung seines Zieles widmen und will seine in einem privaten Rahmen geschriebenen „Aufmunterungs- durch Abwanderung und Flucht gelichteten Reihen auffüllen, Lieder“ für den „Volkssturm“ von Ende 1944 belegen. um damit auf seinem Gebiet mitzuhelfen an der seelischen Karl Senn (Innsbruck 1878 – Innsbruck 1964) war eine Gene- Untermauerung unseres Volkes. Er will mit erneuter Arbeits- ration älter als die meisten Mitglieder der ATK, deren Grand- freude das gemischtchörige Musikgut weiterpflegen, einge- seigneur und wohl profiliertester Komponist. Im gleichen denk der Tatsache, daß auch die Kunst der Weltanschauung Maß, wie Senns weltanschauliche Positionierung um 1930 zu dienen hat, den: „Kein Volk lebt länger als die Dokumente eine Radikalisierung erfuhr, wandte er sich kompositorisch seiner Kultur.“ Um dieses Wort Hitlers auch für unsere Zeit von seiner vergleichsweise progressiven Haltung ab. Senn wahr machen zu können, richtet der Kammerchor an alle intensivierte zunächst seine Kontakte zum konservativ- kulturell verantwortungsbewußten und sangeskundigen klerikalen, tiroltümelnden, antisemitischen Bruder-Willram- Volks­genossen die Aufforderung zur ernsten und freudigen Bund und wandte sich früh dem Nationalsozialismus zu. Am Mitarbeit, damit schon der für den Sommer geplanten Werbe- 1. Mai 1933 wurde er Mitglied der NSDAP. Senn trug zwar fahrt ins Altreich ein voller Erfolg beschieden sei. die Aktivitäten der ATK mit, tat sich aber nicht selber mit Die Singabende finden derzeit sowohl für Frauen- als auch Pamphleten oder programmatischen Schriften hervor. Nach für Männerstimmen jeden Donnerstag ab 20 Uhr im Zimmer dem „Anschluss“ ließ er als seinen Beitrag zur NS-Volks- 18 des Musikvereinsgebäudes statt. Neuanmeldungen abstimmungs-Propaganda ein Lied „Ein Volk, ein Reich, ein können dort und außer dieser Zeit bei den Chormitgliedern Führer“ abdrucken; an der vom „Stellvertretenden General- gemacht werden. kommando XVIII AK“ herausgegebenen Publikation „Im gleichen Schritt und Tritt – Liederbuch ostmärkischer Soldaten“ Josef Eduard Ploner (Sterzing 1894 – Innsbruck 1955) war (München 1941) arbeitete er mit und steuerte einschlägige schon am 17. Mai 1933 der NSDAP beigetreten.8 1937, in der Lieder bei. Seit 1940 ist er als „Leiter der Fachschaft Kom- Verbotszeit, übte er das Amt des „Schulungsleiters der Fach- ponisten in der Reichsmusikkammer, Gau Tirol/Vorarlberg“ Die folgenden biographischen Angaben zu Josef Eduard Ploner beruhen zum Teil auf Ausführungen des Historikers Michael Wedekind, die wohl als „Vorausversion“ des Gutachtens zu sehen sind, das von der Kulturabteilung des Landes Tirol in Auftrag gegeben wurde und derzeit (8/2013) noch nicht zur Gänze vorliegt; hier zitiert nach http://www.musikland-tirol.at/ARGE-NS-Zeit/ploner/index.html (Zugriff 8/2013). 9 Vgl. die nazistischen Chiffren in der „Symphonie in Es“ (1951), siehe dazu: Brenner, Helmut: Wach auf, wach auf, du deutsches Land. Metamorphosen eines Liedes im politisch-historischen Kontext, in: Habla, Bernhard (Hg.): Festschrift zum 60. Geburtstag von Wolfgang Suppan, Tutzing 1993, S. 83–106, insbesondere S. 101–103. 8 32 Abb. 4: Josef Eduard Ploner, Tiroler Volkssturm 1944, Autograph Tarrenz, Oktober 1944, TLMF, Musiksammlung. 33 nachweisbar. Obwohl er dieses hohe kulturpolitische Partei- „Sängervereinigung Wolkensteiner“ hatte er bereits vielfäl- amt ausübte, schuf er keine Werke für NS-Feiern. tige Kontakte zu Ploner und Senn geknüpft. Auch ideologisch Emil Berlanda (Kufstein 1905 – Innsbruck 1960) war weder war man sich einig – Kanetscheider trat schon im April 1933 ideologisch besonders engagiert, noch bekleidete er ein der NSDAP bei; in der ATK gab es allerdings immer wieder bedeutendes musikpolitisches Amt. Berlanda bemühte sich Differenzen, die im Austritt Kanetscheiders 1937 gipfelten. schon in den 30er Jahren intensiv um Aufführungen seiner In der NS-Zeit entfaltete Kanetscheider ein vielfältiges Werke – auch mit Hilfe der ATK, deren loyales Mitglied und Wirken: Er engagierte sich in der NSV (Nationalsozialistische Schriftführer er wurde. Aber Berlanda legte zum Beispiel im Volkswohlfahrt), war Mitglied im Reichsluftschutzbund, in Gegensatz zu Ploner und Senn nicht 1937 in der Ordination der Reichskulturkammer (Gaureferent beim Gaukulturwart) des Arztes, Lyrikers und Kritikers und „Beauftragten des und im Nationalsozialistischen Lehrerbund, dem er als Nationalsozialistischen Kulturbundes“ Dr. Siegfried Ost­ Stützpunktleiter diente.11 Als Gausachbearbeiter für Musik­ heimer den Eid auf Hitler ab, sondern berichtet darüber nur erziehung arbeitete er führend an der ideologisch ausgerich- in seiner Autobiographie: teten Neugestaltung des Musikunterrichtes. Ein weiteres Mitglied der ATK, Peter Marini (Brixen 1878 – Die Anwesenheit Dr. O s t h e i m e r s als Beauftragter des Hall in Tirol 1954), war mit seinen kirchlichen Vokalwerken, Nationalsozialistischen Kulturbundes bei der Sitzung vom komischen Bühnenwerken, Chor- und Sololiedern nur mäßig 1. Juli 1937 brachte die erste Bindung der ATK und einiger erfolgreich, muss aber über gute Kontakte zur Gauleitung ihrer Mitglieder (Senn, Ploner, Marini, Kanetscheider Riester verfügt haben, sodass ihm nach dem Anschluss die Leitung u. mir) an die NSDAP. Dies besonders deshalb, weil eine der Fachschaft Komponisten in der Reichsmusikkammer des Verbindung mit der Reichskultur(Reichsmusik)kammer für Gaus Tirol-Vorarlberg übertragen wurde, eine Funktion, die Aufführungen im Reich unerläßlich geworden war. Senn und später – wann genau und warum, ist noch ungeklärt – Karl Ploner als besonders völkisch-orientierte Mitglieder der ATK Senn übertragen wurde. wurden noch im Juli in der Ordination Dr. Ostheimers auf Albert Riester (Innsbruck 1905 – Innsbruck 1975) war als den Führer Adolf Hitler vereidigt.10 Komponist weniger erfolgreich, umso mehr als Musiker (Harfenist) und Kritiker für zahlreiche Zeitungen, in der NS-Zeit Das Drängen in die musikalische Öffentlichkeit war wohl Ber- zum Beispiel immer wieder für das Parteiorgan der NSDAP, landas primärer Impetus, auch in der NS-Zeit. Er komponierte den „Völkischen Beobachter“. 1937 unternahm er eine Kon- in dieser Zeit besonders viele, auch großangelegte Werke, die zertreise nach Deutschland, in deren Verlauf er für die ATK erfolgreich aufgeführt wurden. Sein Lied zum Geburtstag des wichtige Kontakte im Reich knüpfte. In der NS-Zeit entfaltete Führers, das er an die Reichskanzlei sandte, blieb allerdings Riester eine umfangreiche Konzerttätigkeit, die auch Kamerad­ ein Einzelfall als Versuch einer Anbiederung, ansonsten kom- schaftsabende des NS-Lehrerbundes, Schulungsabende für promittierte er sich weit weniger als beispielsweise Ploner. Musikerzieher und Konzerte an der Westfront umfasste.12 Artur Kanetscheider (Innsbruck 1898 – Kramsach 1977) war Der Chordirektor der Innsbrucker Stadtpfarrkirche, Karl Koch bereits ein anerkannter Chorleiter und machte sich zuneh- (Biberwier 1887 – Innsbruck 1971), war ebenso Mitglied der mend als Komponist einen Namen, als er der ATK beitrat. ATK wie der Leiter des Chores des Augustiner-Chorherren- Als Leiter des „Deutschen Männergesangsvereins“ und der stiftes Neustift, Josef Gasser (Lienz 1873 – Neustift 1957). Berlanda: Autobiographie (wie Anm. 7), S. 206. Tiroler Landesarchiv, Parteistatistisches Erhebungsblatt 28.06.1939. 12 Eine umfangreiche Sammlung von Programmzetteln, Fotografien und Zeitungsberichten aus dem Nachlass von Albert Riester befindet sich in TLMF, Bibliothek, FB 137591 (vormals TLMF, Musiksammlung, ohne Signatur). 10 11 34 Abb. 5: Karl Senn: „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“, Anschluss-Lied, aus: Neueste Zeitung, 2.4.1938, Beilage „Lebendiges Tirol“, S. 8. 35 Beide Komponisten wirkten primär im kirchlichen Umfeld; Geld – 150.000 Reichsmark, floss in eine großzügige Erwei- Koch erhoffte sich durch die ATK sicher Aufführungen seiner terung der Kapazität des Hauses durch Umbaumaßnahmen Werke, engagierte sich aber viel weniger im Verein und und eine erhebliche personelle Vergrößerung des Orchesters. wurde daher sogar mehrfach ermahnt. Gasser war mit Plo- Mit der Saison 1939/40 wurde das Theater direkt der Gau- ner befreundet und hoffte wahrscheinlich ebenso auf eine leitung unterstellt und in „Tiroler Landestheater Innsbruck“ verstärkte Rezeption seiner Werke. Kochs Wirken erfuhr in umbenannt. Der bisherige stellvertretende Intendant Max der NS-Zeit empfindliche Einschränkungen, eine Nähe zur Alexander Pflugmacher übernahm von Hellwig die Leitung. NS-Ideologie ist bei ihm nicht festzustellen und bei seiner Begeistert kündigt er im Vorwort zum Spielzeitheft 1939/40 katholischen Prägung nicht anzunehmen. Ähnliches gilt für die Umbenennung und Neuausrichtung des Landestheaters Gasser, der allerdings von Ploners Engagement immer wie- an, das 1942 noch einmal einen neuen Namen (Reichsgau- der brieflich informiert, auch quasi indoktriniert wurde und theater des Reichsgaues Tirol-Vorarlberg) erhalten sollte: den Kontakt aufrecht erhielt.13 Im zweiten Jahr nach der Wieder-Vereinigung der Ostmark mit dem Altreich tritt die Bühne der Tiroler Gauhauptstadt Musiktheater als T i r o l e r L a n d e s t h e a t e r I n n s b r u c k ins Leben. Damit kennzeichnet sich der mit der allgemeinen Auf- Unmittelbar nach dem Anschluss – bis zur Saison 1940/41 – wärtsentwicklung Hand in Hand gehende Fortschritt einer unterstand das Theater noch der Stadt Innsbruck, die als arteigenen und volksgemäßen Kunstpflege, die nach dem Ersatz für den angeblich politisch nicht „zuverlässigen“ Fer- Willen des Führers durchgeführt wird.17 dinand Skuhra den gebürtigen Wiener Robert Hellwig nach 14 Innsbruck berief. Es gab wohl auch hier einen persönlichen Bis zur Schließung 1944 prägten in Hinblick auf das Musik­ Konflikt oder eine Konkurrenzsituation, denn Skuhra war ein theater zwei Schwerpunkte den beeindruckend vollen Spiel- überzeugter Nationalsozialist, wie er in seiner Bewerbung plan des Landestheaters: Die leichte Muse, die Operette auf für die Intendantenstelle in Klagenfurt vom 23.6.1938 klar- der einen Seite und die Pflege großer klassisch-romantischer stellte. Hellwig war ausgebildeter Sänger und vor seiner deutscher und italienischer Opern von Mozart über Beet­hoven, Innsbrucker Zeit länger in Wilhelmshaven als Theaterleiter Weber, Verdi und Puccini bis Strauss (der einer Salome- tätig. Gemeinsam mit seinem Stellvertreter Max Alexan- Aufführung im Oktober 1940 persönlich beiwohnte) auf der der Pflugmacher machte er sich daran, „eine der ältesten anderen Seite. Dazu kamen Historiendramen, in denen Bühnen des deutschen Kulturraumes vor dem drohenden Themen aufgegriffen wurden, die in das Kultur­programm Verfall zu bewahren und den Wiederaufbau in die Wege zu des Regimes passten und durch Schauspiel­musiken The- 15 leiten“ , ausgestattet mit einer außerordentlich hohen finan- men­relevanz erhielten, etwa Josef Wenters „Michel Geis- ziellen Zuwendung des Reichspropagandaministeriums. Das meir“ [sic] mit Musik von Josef Eduard Ploner (1940); 16 Vgl. die profunde Arbeit zu Gasser von Michael Chizzali: „Ich bin 100 Jahre zu spät geboren“: Studien zum weltlichen Musikschaffen des Tiroler Komponisten Josef Gasser (1873–1957), Diss., Innsbruck 2012. Auf S. 37 zitiert Chizzali aus Briefen Ploners an Gasser, die Ploners fanatischen Antisemitismus und seine überzeugte nationalsozialistische Haltung belegen. 14 „Skuhra war dem neuen Regime nicht genehm.“ Siehe Höller-Herzog, Theresia: Musiktheater im Tiroler Landestheater in Innsbruck im 20. Jahrhundert, in: Drexel, Kurt / Fink, Monika (Hg.): Musikgeschichte Tirols II (= Schlern-Schriften 344), Innsbruck 2008, S. 467–479, S. 472, Fußnote 16. 15 Siehe Sienčnik, Nataša: Theater an der Grenze. Kulturpolitik im Nationalsozialismus – Funktion und Aufgabe des Kärntner Grenzlandtheaters als „Träger und Künder deutscher Kultur“ (1938–45), Seminararbeit WS 2011/12, im Internet unter http://www.natasasiencnik.com/updata/Siencnik, %20N.%20Theater%20an%20der%20Grenze%20[2012]%20web.pdf (Zugriff 8/2013). 16 Deutsche Volkszeitung, 28. Juni 1938, S. 8. 17 Tiroler Landestheater Innsbruck, Spielzeitheft 1939/40, Vorwort. 13 36 Abb. 6: Aus einem Programmheft des „Reichsgautheaters“. 37 dieses Drama eröffnete 1940 das „3. Tiroler Landesschießen“, (Stammführer), der nach Gründung des Standschützenverban- eine vom Standschützenverband getragene NS-Propaganda- des für diesen als Kompanieführer tätig war und zahlreichen veranstaltung. Noch 1944 war eine Aufführung von Richard Parteiorganisationen angehörte (Deutsche Arbeitsfront, Strauss’ „Rosenkavalier“ möglich. Die Erweiterung des Nationalsozialistische Volkswohlfahrt, Reichsluftschutzbund, Fassungs­vermögens des Landestheaters zielte nicht zuletzt Reichskulturkammer, Volksbund für das Deutschtum im Aus- darauf ab, breitere Schichten der Bevölkerung ins Theater zu land).18 Fritz Engel war weiters Gaukulturhauptstellenleiter19, bringen, in erster Linie im Rahmen von Aktionen der Gemein- Mitglied im Gauausschuss für Volksmusik im Gau Tirol-Vorarl- schaft „Kraft durch Freude“. Dem Theater maß Gauleiter berg und Kulturreferent des Reichspropagandaministeriums, Hofer große Bedeutung als Propagandainstrument zu; in Inten- Sektion Tirol. Das „Musikschulwerk“ wurde 1938 auch im Gau dant Pflugmacher hatte er einen willfährigen und zielstrebigen Tirol-Vorarlberg institutionalisiert. Gottfried Huber charakte- Gefolgsmann als Intendanten zur Verfügung. Nicht nur Fritz risiert Funktion, Organisationsstruktur und Bedeutung dieser Weidlichs Abgang aus Innsbruck war ein „Verdienst“ Pflug- neu geschaffenen Institution: machers, sondern auch Max Köhlers Abschied als Operettendirigent 1940. Nach und nach schaffte es Pflugmacher, alle Das Musikschulwerk trägt den Charakter einer Arbeitsgemein- potenziellen Konkurrenten zu beseitigen, sich selber wichtige schaft, in der alle an der Musikarbeit tätig oder fördernd betei- Positionen zu sichern und andere mit Günstlingen zu besetzen ligten Dienststellen von Partei und Staat sich vereinigen, und (z. B. Ratjen). Darüber hinaus konnte er sich aufgrund seiner zwar: 1. die Reichsmusikkammer (gleichzeitig Verbindungs- hohen Position der Förderung junger Talente widmen, zum stelle zum Landeskulturverwalter); 2. das Deutsche Volks­ Beispiel Emil Berlandas, der Kompositionsaufträge bekam und bildungswerk in der NS.-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ Werke Pflugmachers instrumentieren durfte. der Deutschen Arbeitsfront; 3. die Gebietsführung der Hitlerjugend für die musikalische Betreuung der Jungen und Mädel; 4. der Direktor der Landesmusikschule (Konservatorium); 5. der Musikschulwesen nationalsozialistische Lehrerbund; 6. das Gauamt für Kommunalpolitik der NSDAP; 7. der Deutsche Gemeindetag. Die Musikausbildung bildete innerhalb des kulturpolitischen Das Musikschulwerk setzt sich zum Ziel, mit seiner Arbeit Programms der Nationalsozialisten einen Schwerpunkt. Sie den Grundstein für Volksmusikkultur und berufskünstlerische wurde mit einer der wichtigsten Unterorganisationen der Fachbildung zu legen. In seinen Arbeitsbereich gehören im Partei direkt verknüpft, nämlich der Hitlerjugend (HJ) bzw. besonderen: a) Jugendmusikerziehung; b) Volksmusikerzie- ihrem weiblichen Pendant, dem Bund deutscher Mädel (BdM). hung; c) Berufsmusikerziehung. Diese Aufteilung bedeutet In Innsbruck lässt sich die Umstrukturierung des Musikschul- jedoch ausschließlich die logische Gliederung einer zu ver- wesens beispielhaft zeigen: Das Konservatorium des Musik- wirklichenden lebendigen erzieherischen Einheit.20 vereins wurde unter städtische Verwaltung gestellt. Neu eingerichtet wurde eine Abteilung „Musikschule für Jugend Am 1. Oktober 1939 übernahm Otto Engelmaier das Amt des und Volk“, die zunächst Fritz Engel (Berlin 1904 – Reutte Leiters der „Musikschule für Jugend und Volk“, der einen 2004) gemeinsam mit dem Musikreferenten der Hitlerjugend grundlegend neuen Lehrplan erarbeitete.21 Drei Abteilungen Gottfried Huber leitete. Engel war ebenfalls ein HJ-Funktionär wurden eingerichtet: Die Singschule, die sich besonders der Tiroler Landesarchiv, Bundespolizeidirektion Innsbruck, NS-Dokumentationsmaterial 3/93, Personalkarte Gaustandschützenkommando Tirol-Vorarlberg, Fritz Engel, und Tiroler Landesarchiv, Parteistatistisches Erhebungsblatt vom 30.6.1939, Fritz Engel. 19 Innsbrucker Nachrichten 20.10.1942, S. 3. 20 Innsbrucker Nachrichten, 8.10.1938, S. 7–8. 21 Steiner: Musikverein / Konservatorium / Musikschule (wie Anm. 5), S. 87. 18 38 Abb. 7: Aus einem Runderlass des Gaubeauftragten für Musikerziehung Artur Kanetscheider, NS-konforme Weihnachtslieder betreffend. 39 Volksliedpflege widmete, die Instrumentalschule, in der neben und Volkstanzgruppen (inklusive Schuhplattler) sowie meh- dem „klassischen“ Instrumentarium nun auch massentaugliche rere Partei-Unterorganisationen vom Fliegerkorps bis zur Instrumente wie Blockflöte, Mandoline und Handharmonika Hitlerjugend in den Verband eingegliedert, der als ein zentra- unterrichtet wurden, und schließlich die „Musizierabteilung les Instrument der NS-Propaganda im Gau und als Massen- der Staatsjugend“ zur gezielten Schulung der Parteiformatio­ organisation institutionalisiert wurde. Oberstschützenmeister nen (Bannorchester, Spielmannszüge, Fanfarenzüge, Spiel- und damit Vorsitzender des Standschützenverbandes war scharen). Das Konservatorium als Erbe des Musikvereins Gauleiter Hofer selbst. Der Standschützenverband wurde hatte im Vergleich zur „Musikschule für Jugend und Volk“ finanziell großzügig ausgestattet, sodass auch das Blasmusik- viel weniger Zulauf. 1940 wurde als drittes Standbein der wesen einen enormen Aufschwung erfuhr. Als Musikreferent Musikausbildung im Gau ein „Seminar für Musikerziehung“ des Standschützenverbandes wirkte Sepp Tanzer (Matrei am geschaffen, 1942 eine Opernschule. Der Musikschule stand Brenner 1907 – Kramsach 1983), der zusammen mit Josef bis 1942 Musikdirektor Fritz Weidlich vor, nach dessen Abgang Eduard Ploner und dessen Schüler Sepp Thaler (Auer 1901 in Richtung Lemberg versah Engelmaier die kommissarische – Auer 1982) an der straffen Durchorganisation und Profes­ Leitung, ehe Toni Grad mit 1. Februar 1943 die Leitung über- sio­nalisierung der Tiroler Blasmusik arbeitete – ein Bemühen, nahm. Entsprechend der Organisationsstruktur von Konserva- das nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges fast bruchlos torium und Musikschule gestalteten sich die Schülerkonzerte fortgesetzt wurde. Sepp Tanzer leitete die Wiltener Musik- äußerst bunt, mit Darbietungen der HJ, dem Absingen von kapelle, die eine Aufwertung erfuhr, indem sie schon unter deutschen Volksliedern und klassischen Elementen.22 Die NS- Hofers Vorgänger Edmund Christoph zum SA-Gaumusikzug Kulturpolitik zielte darauf ab, Musikerziehung für ein Massen- (der bei Parteifeiern und anderen öffentlichen Anlässen in publikum zu öffnen und ideologisch zu instrumentalisieren. Mit SA-Uniformen auftrat) umgewandelt und 1941 zur Gaumusik der Gründung der „Musikschule für Jugend und Volk“ und dem erhoben wurde. Beim Empfang von Goebbels in Innsbruck24, Bedeutungsverlust des Konservatoriums wurden diese Ziele zum 36. Geburtstag des Gauleiters im November 193825 im Gau Tirol-Vorarlberg erfolgreich verwirklicht. (um hier nur zwei Beispiele zu nennen) – stets waren es die Wiltener, die diese Anlässe gewissermaßen „landesüblich“ umrahmten, oft mit neu komponierten Märschen Tanzers Blasmusik („Gauleiter-Hofer-Marsch“ 1938, Standschützen-Marsch ca. 1942, „Dem Landesoberstschützenmeister im Standschüt- Die Tiroler Blasmusik erfuhr in der NS-Zeit eine enorme Auf- zenverband Tirol-Vorarlberg Gauleiter und Reichsstatthalter wertung. Die traditionellen Trachtenmusikkapellen (also die P[artei]g[enossen] Franz Hofer in Dankbarkeit gewidmet“26). Nicht-Militärkapellen) wurden in den Standschützenverband Die Massenveranstaltungen des Standschützenverbandes eingegliedert, der 1938 auf Betreiben von Gauleiter Franz wurden gezielt für umfassende NS-Propaganda genutzt, Hofer gegründet wurde. Neben den Musikkapellen wurden besonders das alljährliche Landesschießen, das immer grö- die Schützenkompanien und -gilden, alle Trachtenvereine ßere Dimensionen annahm. Bei einer Rede vor Standschützen, 23 Steiner: Musikverein / Konservatorium / Musikschule (wie Anm. 5), S. 88. Zum Thema siehe Gratl, Franz: Die Tiroler Blasmusik in der NS-Zeit … und wie wir heute mit diesem Kapitel der Blasmusikgeschichte umgehen könnten, in: Blasmusik in Tirol 3/2012, S. 34–35; ferner Sammer, Gerhard: Sepp Tanzer (1907–1983). Leben – Werk – Umfeld: Eine Monographie, Diplomarbeit, Innsbruck 1995. 24 „Zwischen den beiden Hangars hatte sich die Wiltener Musik in ihrer schmucken Tracht aufgestellt, die dann später den Minister mit flotten Marschweisen begrüßen sollte.“ Neueste Zeitung, 18.7.1938, S. 1. 25 Vgl. [ohne Autor]: „Der Gauleiter herzlichst beglückwünscht. Erstaufführung des ‚Gauleiter-Hofer-Marsches‘ zum 36. Geburtstag“, Neueste Zeitung, 28.11.1938, S. 3–4. 26 Widmung in der Druckausgabe Innsbruck: Johann Gross [ca. 1942], Exemplar in TLMF, Musiksammlung, M 9252. 22 23 40 Abb. 8: Sepp Tanzer an der Spitze des „SA-Musikzuges“. Foto: Archiv Markus Wilhelm. die an einer Ausbildung zum „Führer“ bzw. „Unterführer“ und somit steht der Gau Tirol-Vorarlberg mit über 300 Kapel- teilnahmen, schwor Gauleiter Hofer 3000 Verbandsmitglieder len an der S p i t z e aller Gaue. Die Musizierfreudigkeit darauf ein, dass nun „in dem großen, vom Weltjudentum unserer Bergheimat ist ebenso dem Wehrwillen verbunden.28 angestifteten Ringen die Zeit der Entscheidung gekommen“ 27 sei und dass die Standschützen zum Kampf bereit zu stehen hätten. Den Wehrwillen, die Wehrhaftigkeit der Tiroler betont Anstatt eines Resümees auch Sepp Tanzer in seiner Beschreibung der Tiroler Blasmusik aus dem letzten Kriegsjahr: Dieser Beitrag versteht sich als Mosaikstein zu einer kritischen Aufarbeitung der NS-Zeit in Tirol, gemäß den 2012 Der W e h r w i l l e n und die Wehrhaftigkeit unserer Heimat formulierten Grundsätzen: drücken sich nicht nur in der Waffenbeherrschung und im Schießwesen aus, sondern auch in der Pflege der Blasmusik. Wenn eine Gesellschaft sich ein kollektives Gedächtnis leis- Seit dem Mittelalter hat sich die Blasmusik im Rahmen der tet, also Museen, Bibliotheken und Archive anlegt, so muss Wehrhaftigkeit langsam zu jener heldisch tönenden Harmo- die Bearbeitung und Präsentation dieser Materialien unter nie entwickelt, wie sie in den klangvollen Kapellen der heuti- besonderen, wissenschaftlichen Kriterien erfolgen – will gen Zeit Ausdruck findet … Von den etwa 6000 Blaskapellen man den Missbrauch durch Ideologien vermeiden. Schön­ des Großdeutschen Reiches befinden sich ungefähr 1250, färberei von Biografien, Geschichtsfälschung und Ausblen- das ist über ein Fünftel, allein in den Alpen- und Donau- dung von Tatsachen sind nicht dazu angetan, für künftige gauen. Davon entfallen auf unseren Gau ungefähr ein Viertel; Generationen Identität zu stiften.29 Tiroler Volksblatt, 9.11.1944, S. 3. Tanzer, Sepp: Der Aufbau der Standschützenkapellen, in: Alpenheimat 1945. Familienkalender für Stadt und Land, Innsbruck 1945, S. 43–44. 29 Aus dem offenen Brief vom 15.6.2011 betreffend CD-Produktion „Klingende Kostbarkeiten aus Tirol 74“ des Instituts für Tiroler Musikforschung, unterzeichnet von Dr. Kurt Drexel, Institut für Musikwissenschaft der Universität Innsbruck, PD Dr. Wolfgang Meighörner, Direktor der Tiroler Landes­museen, Mag. Kurt Rammerstorfer, Landesdirektor ORF Tirol und dem Autor. Der komplette offene Brief ist im Internet abrufbar unter http:// www.uibk.ac.at/musikwissenschaft/aktuelles/files/offenerbrief.pdf (Zugriff 8/2013). 27 28 41 Abb. 1: „Liederblätter des Reichsgaues Tirol-Vorarlberg“, Folge 1: Oktober 1940, S. 1. Zur Volksmusik in Tirol während der NS-Zeit Thomas Nußbaumer Abstract (1938–1945) und in Südtirol während der Option und Umsiedlung (1939–1943) aufzuzeigen. Es sei ausdrücklich The contribution on hand deals with the misusage of folk darauf hingewiesen, dass das Thema Volksmusik in Tirol music for ideological and political aims in the “Gau Tirol- während der NS-Zeit derzeit keinesfalls als ausreichend Vorarlberg” from 1938–1945 (the phase of the Third Reich in erforscht gilt. Viele Quellen liegen noch im Dunkeln. Eine Austria). The National Socialists generally enhanced the wichtige Materialsammlung zur Aufarbeitung des Themas status of folk music for ideological and propagandistic stellen die von Manfred Schneider auf „www.musikland- reasons. Folk music played a strong role in the following tirol.at“ veröffentlichten Abschriften von NS-Zeitungs­ contexts: a) as an object of research, e. g. carried out by the artikeln, vorwiegend aus den „Innsbrucker Nachrichten“, German musicologist Alfred Quellmalz in the framework of dem Zentralorgan der NSDAP im Gau Tirol-Vorarlberg, the field research of the SS-“Ahnenerbe” in South Tyrol, dar. Sie vermitteln allerdings nur eine Sichtweise, nämlich b) in printed folk song collections (e. g. the “Liederblätter des die offizielle, parteikonforme, erlauben aber immerhin Reichsgaues Tirol-Vorarlberg” and the songbook “Hellau!” einen Überblick über volksmusikbezogene Aktivitäten by Josef Eduard Ploner) to spread National Socialist ideology im genannten Zeitraum. Schneider konnte auf „www. by songs, c) in the framework of political and propagandistic musikland-tirol.at“ auch bis dato nicht zugängliche volks­ events like the “Landesschießen” of the “Standschützen­ musikalisch relevante Schriftdokumente aus Nachlässen verband” (association of the riflemen – the main Nazi culture der „Arbeitsgemeinschaft Tiroler Komponisten“ veröffent­ organization of the “Gau Tirol-Vorarlberg”) or the “Flurritt” in lichen. the Brixen valley, d) in the context of social events (like the Viele unbekannte Quellen dürften hingegen noch in ande- street collections for the soldiers and poor people in winter, ren Zeitschriften und Zeitungen der NS-Zeit, in Archiven, or of singings for injured soldiers, e) in music education and etwa der Blasmusik- und Schützenvereine, und ganz f) in musical composition. Generally said, the Nazis tried to besonders in Privatbesitz zu finden sein. Da bei volks­ construct a Tyrolean identity based on the riflemen customs, musikalischen Feldforschungen, wie sie etwa vom „Tiroler traditional folk music and music for wind. Musicians like Volksliedarchiv“ oder vom „Abteilungsbereich Musikalische Josef Eduard Ploner, Norbert Wallner, Karl Horak, Sepp Volkskunde“ am Mozarteum in Innsbruck durchgeführt Tanzer and others acted as compliant supporters of the Nazi werden, das Thema Volksmusik in der NS-Zeit bislang nur ideology, anti-Semitism and war celebration. am Rande angeschnitten wurde, liegen in den Volksliedarchiven Zeitzeugenaussagen (auf Tonbändern) und Dokumente aus dem Privatbesitz der Gewährsleute nur in Ziel des vorliegenden Beitrages ist es, Strömungen und geringem Ausmaß vor. Aspekte der Volksmusikpflege, -erforschung und -instrumen- Alpenländische Volksmusik, verstanden als ursprünglich talisierung während der NS-Zeit im Gau Tirol-Vorarlberg vorwiegend mündlich tradierte, funktional gebundene 43 „traditional music“ mit bestimmten regionalspezifischen stilistischen Merkmalen, spielt in Tirol während der NS-Zeit laut dem derzeitigen Quellenstand in folgenden Kontexten eine Rolle: halb der „Hitlerjugend“ (HJ) und des „Bundes deutscher Mädel“ (BdM), aber auch der Musikerziehung an den Pflichtschulen, f) im Hinblick auf volksmusikalische Themen, Motive und Techniken in Kompositionen der Kunstmusik. a) als Gegenstand musikalisch-volkskundlicher Forschung, vor allem bei den Feldforschungen des SS-„Ahnenerbes“ Ich werde in diesem Beitrag insbesondere auf Aspekte in Südtirol und im Archiv des „Gauausschusses für Volks- der drei erstgenannten Bereiche eingehen und verweise, musik im Gau Tirol-Vorarlberg“, was die drei übrigen Punkte anbelangt, vorläufig auf die b) in Volkslied-Publikationen (z. B. den Liederblättern des „Reichsgaues Tirol-Vorarlberg“ oder im Liederbuch erwähnte Quellensammlung auf der Internetseite www. musikland-tirol.at und andere Literatur.2 „Hellau!“ von Josef Eduard Ploner); ein gesondert zu untersuchendes Thema wäre die Entstehungsgeschichte des Vorarlberger Dialektliedes1, die ebenfalls zum Teil in 1. Die Feldforschungen von Alfred der NS-Zeit wurzelt; Quellmalz in Südtirol (1940–1942) im Auftrag c) im Rahmen politisch-propagandistischer Veranstaltungen, etwa der jährlich stattfindenden „Landesschießen“ der „Südtiroler Kulturkommission“ des SS-„Ahnenerbes“ und „Kreisschießen“ des „Standschützenverbandes“, der Brixentaler „Flurritte“, der ideologisch-bildenden Zunächst sei darauf hingewiesen, dass auch zwischen „Dorfgemeinschaftsabende“, an Hitlers Geburtstag, am 1938 und 1945 in Tirol eine sehr vielfältige „traditional Muttertag und an anderen Fest- und Feiertagen, music“ existierte, nämlich eine funktional gebundene, d) im Rahmen der Sammlungen für das Winterhilfswerk, teilweise alte und primär mündlich überlieferte Volksmusik der Kriegsverwundetenbetreuung und anderer sozialer im alpenländischen Stil3, die auf unterschiedliche Weise Einsätze, auch unter dem Nationalsozialismus in privaten und halb- e) im Rahmen der Musikausbildung an der „Gaumusikschule für Jugend und Volk“ in Innsbruck sowie inner- öffentlichen Kontexten weiter betrieben wurde und als so genannte Stammesmusik nicht nur in der Musikpflege, Siehe Fink-Mennel, Evelyn: Einwanderer-Musikkulturen in Vorarlberg. Musik, Tanz und Vorarlberger Dialektlied zwischen interner Praxis, öffent­ licher Präsentation und interkultureller Kommunikation, in: Nußbaumer, Thomas (Hg.): Volksmusik in den Alpen – Standortbestimmungen. Festschrift für Josef Sulz zum 80. Geburtstag (= Schriften zur musikalischen Ethnologie 1), Innsbruck 2011, S. 197–215. 2 Zur Verwendung von Musik und auch traditioneller Volksmusik im Rahmen sozialer Einsätze wie Benefizveranstaltungen und Sammlungen für das Winterhilfswerk oder das Singen in Kriegslazaretten siehe Schneider, Manfred: Musik im sozialen Einsatz, http://www.musikland-tirol.at/ARGENS-Zeit/ploner/musik-im-sozialen-einsatz.html (Zugriff 29.8.2013). – Quellen zur Volksmusikausbildung an der 1938 gegründeten „Gaumusikschule für Jugend und Volk“ in Innsbruck als „Erweiterung des Städtischen Konservatoriums“ und in enger Verzahnung mit der Hitlerjugend (HJ) und dem „Bund deutscher Mädel“ (BdM), insbesondere Unterrichtskonzepte und Notizen über Auftritte der HJ, finden sich in Schneider, Manfred: Musik­ ausbildung in der NS-Zeit, http://www.musikland-tirol.at/ARGE-NS-Zeit/ploner/musikausbildung-in-der-ns-zeit.html (Zugriff 29.8.2013). – Zur Rolle der Musik im Schulunterricht siehe Wolf, Christian: Musikerziehung unterm Hakenkreuz. Die Rolle der Musik am Beispiel der Oberschulen im Gau Tirol-Vorarlberg (= Innsbrucker Hochschulschriften. Serie A: Musikpädagogik 3), Anif/Salzburg 1998. – Noch weitestgehend unbearbeitet ist das Thema der Verarbeitung volksmusikalischen Materials in Werken der Kunstmusik während der NS-Zeit in Tirol. Einen Überblick in Bezug auf die „Arbeitsgemeinschaft Tiroler Komponisten“, insbesondere auf das Schaffen von Karl Senn, Josef Eduard Ploner, Artur Kanetscheider und Karl Koch in der NS-Zeit, vermittelt Herrmann-Schneider, Hildegard: Die klangliche Inszenierung des Mythos Tirol. Tiroler Komponisten des 20. Jahrhunderts und ihre Hommage an das Land im Gebirge, http://www.musikland-tirol.at/musikgeschichten/die-klangliche-inszenierung-des-mythos-tirol.php (Zugriff 29.8.2013). 3 Zum Volksmusikbegriff in Tirol im 20. Jahrhundert siehe Nußbaumer, Thomas: Volksmusik in Tirol und Südtirol seit 1900. Von „echten“ Tiroler­ liedern, landschaftlichen Musizierstilen, „gepflegter Volksmusik“, Folklore und anderen Erscheinungen der Volkskultur, Innsbruck–Wien–Bozen 2008, S. 13–27. 1 44 sondern auch in der musikalischen Rassenforschung 4 größte Wahl gestellt worden, entweder im faschistischen Italien zu Beachtung erfuhr.5 verbleiben oder ins Deutsche Reich auszuwandern.9 Diese Diese Form der Musik wird in Tirol seit ungefähr 1900 Entscheidung auf der Grundlage der Berliner Vereinbarungen mit den Methoden der sich allmählich entwickelnden vom Juli 1939 bezeichnete man als Option, wobei jedes musikalisch-volkskundlichen (heute: ethnomusikologischen) Familienoberhaupt individuell entscheiden durfte, ob die Feldforschung gesammelt und dokumentiert. Hervorzuheben Familie auswanderte (für Deutschland optierte) oder nicht. sind die Sammelfahrten und -aufrufe des in St. Valentin Bis Jahresende hatten sich rund 85% der Südtiroler für die auf der Haide (Obervinschgau, Südtirol) geborenen und in Option für Deutschland entschieden. Aus diesem Grunde Wien lebenden Naturwissenschaftlers Franz Friedrich Kohl wurde neben Umsiedlungsämtern und Wertfestsetzungs- (1851–1924), dessen Publikation „Echte Tiroler-Lieder“ von kommissionen für den von den Italienern abzulösenden 1899 für ein völkisch geprägtes Volksliedverständnis in Tirol materiellen Besitz der Optanten auch die „Südtiroler Kultur­ richtungsweisend wurde6, und die vom k. k. Kultusministe- kommission“ der SS-„Forschungs- und Lehrgemeinschaft rium und vom Musikverlag Universaledition in Wien initiierte ‚Das Ahnenerbe‘“, die direkt Heinrich Himmler unterstand, Sammelaktion „Das Volkslied in Österreich“ zur Erfassung eingerichtet, und zwar mit dem Ziel der Erfassung und Doku- und Publikation der in den k. k. Kronländern überlieferten mentation der immateriellen („unbeweglichen“) Kulturwerte Volksmusik.7 Aus den Arbeitsgruppen dieses von 1904 bis der Südtiroler Optanten. Die „Südtiroler Kulturkommission“, 1918 durchgeführten, jedoch nie abgeschlossenen Projekts überwiegend besetzt mit universitär ausgebildeten reichs- gingen die heutigen österreichischen Volksliedarchive, deutschen Wissenschaftlern aus einschlägigen deutschen ­darunter auch das „Tiroler Volksliedarchiv“, hervor. Forschungsinstitutionen, untergliederte sich in ca. 15 Ein- Im Zusammenhang mit unserem Thema nehmen die Süd- heiten, genannt „Arbeitsgruppen“. Von Juli 1940 bis Mitte tiroler Feldforschungen des SS-„Ahnenerbes“ eine heraus­ 1943 zeichnete man in Südtirol, dem Hauptgebiet des so ragende Stellung ein. Bekanntlich war die Südtiroler genannten „Umsiedlungsgebietes“, unter anderem Volks- Bevölkerung in der zweiten Hälfte des Jahres 1939 vor die trachten, Volkssagen, bäuerliche Architektur, Sinnbilder und 8 Zur musikalischen Rassenforschung siehe Eichenauer, Richard: Musik und Rasse, München 1932. – Günther, Siegfried: Musikalische Begabung und Rassenforschung im Schrifttum der Gegenwart, in: Archiv für Musikforschung 2, 1937, S. 308–339. – Heinitz, Wilhelm: Die Erforschung rassischer Merkmale aus der Musik, Hamburg 1938. – Seifert, Adolf: Von Art und Wesen deutscher Musik. Eine deutsche Musikkunde auf der Grundlage des Volksliedes. 1. Teil: Die musikalischen Grunderlebnisse. 2. Teil: Volkslied und Rasse. Ein Beitrag zur Rassenkunde, Berlin-Lichterfelde 1943. – Erste wichtige Ansätze zu einer Gesamtdarstellung des Themas Volksliedforschung und NS-Rassenideologie liefert Probst-Effah, Gisela: Der Einfluß der nationalsozialistischen Rassenideologie auf die deutsche Volksliedforschung, in: Noll, Günther (Hg.): Musikalische Volkskultur und die politische Macht. Tagungsbericht Weimar 1992 der Kommission für Lied-, Musik- und Tanzforschung in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde e. V. (= Musikalische Volkskunde. Materialien und Analysen 11), Essen 1994, S. 382–401. 5 Die Behauptung, die Nationalsozialisten hätten regionale Musikkulturen unterdrückt und eine Vereinheitlichung des deutschen Volksliedrepertoires angestrebt, und das Singen regionaler Volkslieder sei demnach ein symbolischer Akt des Widerstandes gewesen, ist ein Mythos. Genau das Gegenteil war der Fall: Regionaltypische Stile wurden unter dem Nationalsozialismus im Sinne der Förderung deutscher Stammeskulturen, wie es damals hieß, ungemein aufgewertet. Vgl. Bruckbauer, Maria: Verordnete Kultur – Überlegungen zur Volksmusik in Bayern während der NS-Zeit, in: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 1989, S. 82–91. 6 Zu Franz Friedrich Kohls Volksliedideologie siehe Nußbaumer, Thomas: Anmerkungen zur vorliegenden Edition und ihren Quellen, in: Tiroler Volksmusikverein/Südtiroler Volksmusikkreis (Hg.): Echte Tiroler Lieder. Ergänzte und kommentierte Neuausgabe der Tiroler Liedersammlungen von Franz Friedrich Kohl, 3. Band, Innsbruck–Wien 1999, S. 663–675. 7 Siehe Deutsch, Walter/Hois, Eva Maria (Hg.): Das Volkslied in Österreich. Volkspoesie und Volksmusik der in Österreich lebenden Völker heraus­ gegeben vom k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht 1918 [bearbeiteter und kommentierter Nachdruck] (= Corpus Musicae Popularis Austriacae, Sonderband), Wien 2004. 8 Grundlegend über das „Ahnenerbe“ schrieb Kater, Michael H.: Das „Ahnenerbe“ der SS 1939–1945. Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches (= Studien zur Zeitgeschichte 6), München 21997 [11974]. 9 Über viele Aspekte der Option und Umsiedlung informieren ausführlich beispielsweise Stuhlpfarrer, Karl: Umsiedlung Südtirol. 1939–1940, 2 Teile [durchgehend], Wien 1985, und Erhard, Benedikt: Option – Heimat – Opzioni. Eine Geschichte Südtirols vom Gehen und vom Bleiben, Wien 1989. 4 45 Der Leiter der „Arbeitsgruppe Volksmusik“ war der in Berlin am „Staatlichen Institut für Deutsche Musikforschung“ als Vorstand der „Abteilung II (Volksmusik)“ angestellte Musikwissenschaftler Alfred Quellmalz (1899–1979) (siehe Abb. 2).11 Mit ihm arbeiteten der Berliner Musikethnologe Fritz Bose (1906–1975), der Tiroler Gymnasialprofessor und Volksmusikforscher Karl Horak (1908–1992), zugleich auch Archivleiter im „Gauausschuss für Volksmusik“ in Tirol-Vorarlberg, und später auch der Innsbrucker Musikwissenschaftler Walter Senn (1904–1982). Quellmalz und Bose verwendeten das damals hochmoderne Magnetophon-Aufnahmegerät der Type K 4 der AEG Berlin (siehe Abb. 3) und erstellten zusammen rund 3.000 Tonaufnahmen von überwiegend alter, bäuerlicher Volksmusik (siehe Abb. 4 und 5). Die heute noch sehr gut erhaltene Tondokumentesammlung befindet sich an der Universitätsbibliothek Regensburg und umfasst beispielsweise Aufnahmen von Tanzmusikbesetzungen unterschiedlichster Prägungen, Zeugnisse des Repertoires und der Abb. 2: Alfred Quellmalz in Südtirol, mit aufgestecktem Parteiabzeichen (Nachlass Quellmalz, Fotosammlung, Datensatz-Nr. 41 37A). Mit freundlicher Erlaubnis von: Bereich deutsche und ladinische Musikschulen, Referat Volksmusik, Bozen. Mehrstimmigkeit der Kirchensingerfamilien, alpenländische Volkslieder aller Gattungen, Volksballaden, Lieder zu Bräuchen wie Neujahr und Klöckeln, weihnachtliche Lieder und auch einige, wenn auch nur sehr wenige, Belege für zeitgenössisches, aktuelle Situationen verarbeitendes Singen, Heilszeichen, Dialekte usw. auf. Es handelte sich um die z. B. so genannte „Optantenlieder“.12 Der Schwerpunkt der größte volkskundliche Forschungsaktion der Geschichte, die Sammlung lag eindeutig auf alter, mündlich überlieferter noch lange nach dem Krieg Lehrmeinungen prägte.10 Volksmusik. Zur „Südtiroler Kulturkommission“ siehe beispielsweise Kater: Das „Ahnenerbe“ der SS (wie Anm. 8), S. 159–170. – Stuhlpfarrer: Umsiedlung Südtirol (wie Anm. 9), S. 390–413. – Lixfeld, Gisela: Das „Ahnenerbe“ Heinrich Himmlers und die ideologisch-politische Funktion seiner Volkskunde, in: Jacobeit, Wolfgang/Lixfeld, Hannjost/Bockhorn, Olaf (Hg.): Völkische Wissenschaft. Gestalten und Tendenzen der deutschen und österreichischen Volkskunde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Wien 1994, S. 238–255. – Wedekind, Michael: „Völkische Grenzlandwissenschaft“ in Tirol (1918–1945). Vom wissenschaftlichen „Abwehrkampf“ zur Flankierung der NS-Expansionspolitik, in: Geschichte und Region/Storia e regione. Jahrbuch der Arbeitsgruppe Regionalgeschichte, Bozen/Annuario del Gruppo di ricerca per la storia regionale, Bolzano 5, 1996, S. 227–265. 11 Über die „Gruppe Volksmusik“ und insbesondere Alfred Quellmalz siehe Nußbaumer, Thomas: Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940–42). Eine Studie zur musikalischen Volkskunde unter dem Nationalsozialismus (= Bibliotheca Musicologica VI), Innsbruck–Wien–München–Lucca 2001. – Ders.: Bäuerliche Volksmusik aus Südtirol 1940–1942. Originalaufnahmen zwischen NS-Ideologie und Heimatkultur, Innsbruck– Wien–Bozen 2008 [Doppel-CD mit Begleitbuch]. 12 Zur Auswertung der Sammlung Quellmalz siehe Kofler, Franz/Deutsch, Walter (Hg.): Tänze und Spielstücke aus der Tonbandsammlung Dr. Alfred Quellmalz 1940–42 (= Corpus Musicae Popularis Austriacae 10: Volksmusik in Südtirol), Wien 1999. – Nußbaumer, Thomas: Die Südtirolsammlung Quellmalz als Quelle für das geistliche Lied um 1940, in: Sulz, Josef/Nußbaumer, Thomas (Hg.): Religiöse Volksmusik in den Alpen. Musikalisch volkskundliche und theologische Aspekte (= Innsbrucker Hochschulschriften. Serie B: Musikalische Volkskunde 4), Anif/Salzburg 2002, S. 127– 177. – Ders.: Zu den Blasmusik-Magnetophonaufnahmen (1940 bis 1942) in der Südtiroler Volksmusiksammlung von Alfred Quellmalz, in: Habla, Bernhard (Hg.): Kongressberichte Bad Waltersdorf/Steiermark 2000, Lana/Südtirol 2002 (= Alta Musica 24), Tutzing 2003, S. 429–448. – Ders.: Politische Lieder aus Südtirol zur Zeit der Option und Umsiedlung (1939–43). Lieder der „Optanten“ und „Dableiber“, in: Probst-Effah, Gisela/ Schepping, Wilhelm/Schneider, Reinhard (Hg.): Musikalische Volkskunde und Musikpädagogik. Annäherungen und Schnittmengen. Festschrift für Günther Noll zum 75. Geburtstag (= Musikalische Volkskunde. Materialien und Analysen 15), Essen 2002, S. 306–346. 10 46 Abb. 3: Werbefoto der Firma AEG für das Magnetophonmodell K 4 (Lautsprecher, Magnetophon, Vorverstärker) (Nachlass Quellmalz). Mit freundlicher Erlaubnis von: Bereich deutsche und ladinische Musikschulen, Referat Volksmusik, Bozen. Abb. 4: Aufnahmeszene aus Unser Frau in Schnals, 21. November 1941, mit Felicitas Gamper, Rosa Santer, Theresia Grüner und Karoline Santer. Am rechten Bildrand ist das Kondensatormikrophon zu erkennen (Nachlass Quellmalz, Fotosammlung, Nr. 638). Mit freundlicher Erlaubnis von: Bereich deutsche und ladinische Musikschulen, Referat Volksmusik, Bozen. 47 Abb. 5: Aufnahmeszene aus Dorf Tirol, 28. Juli 1940. Quellmalz instruiert seine Assistentin Gertraud Wittmann resp. Simon, die meist als Aufnahmeleiterin fungierte (Nachlass Quellmalz, Fotosammlung, Nr. 7). Mit freundlicher Erlaubnis von: Bereich deutsche und ladinische Musikschulen, Referat Volksmusik, Bozen. Bei aller Wissenschaftlichkeit der Leistungen einzelner mittelfristig verwertbarer Belege für die deutsche Identität Mitarbeiter ist die „Südtiroler Kulturkommission“ ein Produkt Südtirols. nationalsozialistischer Kulturauffassung. Das endgültige Auch für Quellmalz waren derartige Prämissen verbind- Ziel bestand nicht allein darin, die Südtiroler Kultur zu lich. „Die Arbeiten“, berichtet er im Februar 1941 seinem dokumentieren und zu erforschen, sondern in der Schaffung Institutsleiter Max Seiffert in Berlin, „gehen nicht nur im einer ideologisch ausgerichteten Kulturpflege im Hinblick auf allgemeinen wohlverstandenen Interesse der Volksmusik­ das versprochene, militärisch allerdings noch zu erobernde forschung und damit auch der Abteilung Volksmusik vor sich, Siedlungsgebiet für rund 200.000 Südtiroler Auswanderer. sondern sie sind eine volkspolitische Notwendigkeit. Sie Die Forschungsideologie der „Südtiroler Kulturkommission“, beweisen gegenüber den anders lautenden Behauptungen wie überhaupt der „Forschungs- und Lehrgemeinschaft ‚Das der Italiener auch für das musikalische Gebiet die rein Ahnenerbe‘“, kann mit dem Begriff der germanischen Kon- deutsche Herkunft der Südtiroler“.13 tinuitätsforschung charakterisiert werden. In Südtirol ging Das Dogma der „germanischen Kontinuität“, nach Hermann es nicht nur darum, die angeblichen germanischen Wurzeln Bausinger „ein jeglicher wissenschaftlicher Untersuchung Südtirols nachzuweisen, sondern auch um die Erbringung vorgeschalteter Glaubenssatz“ der älteren deutschen Volks- 13 Bundesarchiv Berlin, PU A. Quellmalz: Alfred Quellmalz an Max Seiffert [Direktor des „Staatlichen Instituts für Deutsche Musikforschung“], 20.2.1941, S. 6. 48 kunde14, war keine nationalsozialistische Erfindung, denn bildungsdienstes“ der Südtiroler „Arbeitsgemeinschaft der die Rückführung volkskultureller Phänomene auf angebliche Optanten für Deutschland“ (AdO) eingebunden. Quellmalz germanische Vorläufer, oder, wie im Falle der „Südtiroler verbreitete in diesem Zusammenhang in Südtirol die „reichs- Kulturkommission“, die willkürliche Aufdeckung kultureller deutsche“, auch mit Liedern der NS-Bewegung ausgestat- Parallelen „vom Nordmeer bis in die Südalpen“ , entspra- tete Ausgabe seiner gemeinsam mit dem Germanisten Hugo chen schon vor der NS-Zeit den gängigen Lehrmeinungen. Moser und Hermann Peter Gericke, dem Musikreferenten In Südtirol gewann diese Denkweise unter dem Einfluss des „Volksbundes für das Deutschtum im Ausland“, heraus­ des Nationalsozialismus und vor dem Hintergrund einer gegebenen Sammlung „Lieder unseres Volkes“ (Kassel, für Tirol spezifischen Grenzlandideologie an politischer Bärenreiter-Verlag 1938)21 und wirkte an der Planung und Bedeutung , zumal es auf italienischer Seite publizistische Realisierung eines ideologisch-schulenden „Musiklagers“ in Anstrengungen gab, die angebliche Italienischstämmigkeit Seis am Schlern im April 1941 mit. Den daran teilnehmenden der Süd­tiroler nachzuweisen.17 Anlässlich seines Vortrages 82 jungen Südtiroler Sing- und Spielgruppenleitern beiderlei vor der „Alpenländischen Forschungsgemeinschaft“ in Inns- Geschlechts brachte man dabei durch weltanschauliche bruck im Juli 1943, also kurz vor dem Einmarsch der Wehr- und volkskundliche Vorträge von Alfred Quellmalz, Karl macht in Südtirol und der Einsetzung der „Operationszone Horak, dem Volkskundler Richard Wolfram, Hermann Peter Alpenvorland“, hob Quellmalz, der im Februar 1943 aufgrund Gericke und dem Südtiroler Heimatforscher Karl Theodor der „systematischen Bearbeitung des gesamten Vertrags- Hoeniger den „grossdeutschen Gedanken“ näher. Zugleich gebietes […] trotz schwierigster Arbeitsverhältnisse“ mit lehrte man sie in Singkursen „einen Stamm von gemein- dem Kriegsverdienstkreuz der zweiten Klasse ausgezeichnet deutschen Liedern (auch der Bewegung)“ und führte sie in worden war18, einmal mehr den „ohne jede Einschränkung „das Wesen ihres südtiroler Heimatliedes“ ein.22 Wie diese deutschen Charakter“ der Südtiroler Volksmusik hervor.19 Identitäts­vermittlung im Bereich der Volkstanzschulung Interkulturelle Fragestellungen spielten für ihn so gut wie aussah, verdeutlichen Karl Horaks „Richtlinien, gemäß der keine Rolle. Volks­tanzarbeit beim Musiklager in Seis“. Darin wurden 15 16 20 Da die Musikwissenschaft nach nationalsozialistischem zehn im Zuge der Feldforschung aufgezeichnete lokale Verständnis stets Zweckwissenschaft zu sein hatte, wurde Tanzformen als für alle Südtiroler Tanzgruppen verbindlich die „Gruppe Volksmusik“ auch in den Aufbau der ideologisch festgeschrieben. Dass diese „Pflichttänze“, die zu lernen ausgerichteten Südtiroler Volksmusikpflege des „Volks­ „selbstverständliche Pflicht der gesamten Südtiroler Jugend“ Bausinger, Hermann: Volkskunde. Von der Altertumskunde zur Kulturanalyse, unveränderter Nachdruck der Ausgabe 1971 (= Untersuchungen des Ludwig-Uhland-Instituts der Universität Tübingen. Sonderband), Tübingen 1987, S. 78. 15 Bundesarchiv Koblenz, Kleine Erwerbungen 27/4, fol. 119f.: Hoeniger, Karl Theodor [Mitarbeiter der „Südtiroler Kulturkommission“ und des „AdO-Volksbildungsdienstes“], Arbeitsbericht, 28. Februar 1941. 16 Grundlegend über die völkische Grenzlandwissenschaft in Tirol schrieb Wedekind: „Völkische Grenzlandwissenschaft“ in Tirol (wie Anm. 10). 17 Vgl. Podestà, Agostino (Hg.): Alto Adige. Alcuni documenti del passato, Bergamo 1942. 18 Bundesarchiv Berlin, PU A. Quellmalz: Vorschlagsliste Nr. 416 für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes II. Klasse (ohne Schwerter) der Kriegsverdienstmedaille, 3.12.1942. 19 Bereich deutsche und ladinische Musikschulen, Referat Volksmusik, Bozen, Nachlass Quellmalz: Quellmalz, Alfred: Vortragsmanuskript, undatiert [Juli 1943], 15 Seiten. 20 Vgl. Nußbaumer, Thomas: La raccolta di musica popolare altoatesina di Alfred Quellmalz: confini nazionali e punti di contatto interetnici sulla base dell’Italienerlied, in: Dalmonte, Rossana/Macchiarella, Ignazio (Hg.): Tutti i lunedì di primavera. Seconda rassegna europea di musica etnica dell’Arco Alpino, Trient 2000, S. 115–136. 21 Gericke, Hermann Peter/Moser, Hugo/Quellmalz, Alfred (Hg.): Lieder unseres Volkes. Reichsdeutsche Ausgabe, Kassel 1938. Die „Reichsdeutsche Ausgabe“ enthält im Gegensatz zur „Ausgabe für das Ausland“ die damals wichtigsten Nazilieder. 22 Bundesarchiv Berlin, PU A. Quellmalz: Quellmalz, Alfred: Bericht über die musikalische Schulungswoche vom 3.–8.4.1941 in Seis, 24.4.1941, S. 4. – Über das Seiser Musiklager siehe Nußbaumer: Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (wie Anm. 11), S. 259–277. 14 49 sei, damit bei der Fest- und Feiergestaltung „unser eigenes Die National­sozialisten, grundsätzlich am propagandisti­ Tanzgut alles Fremde verdräng[e]“23, den Lehrgangsteil- schen Potential der Volksmusikpflege interessiert, ver- nehmern „meistens unbekannt“ waren , kennzeichnet die folgten mit diesen Einrichtungen große Pläne. Zunächst vermittelte Identität als willkürlich festgelegt. Der Südtiroler wurde das „Österreichische Volksliedunternehmen“ der Karl Aukenthaler (1909–2000), Quellmalz’ wichtigster Infor- Zwischenkriegszeit (als Dachverband der Bundesländer- mant und organisatorischer Leiter des Musiklagers, brachte Volksliedwerke) in „Ostmärkisches Volksliedunternehmen“ bereits während der Planungsphase den Sinn derartiger umbenannt.26 Der schon genannte Karl Horak scheint im Kulturpflege auf den Punkt, wenn er formulierte: „Es ist „Ostmärkischen Volksliedunternehmen“ als ein Mitarbeiter kein Zweifel, daß die Erziehung zur nationalsozialistischen der ersten Stunde auf. Er war von Karl Haiding, dem führen­ Weltanschauung dem Volke gerade zum grössten Teil durch den Volkskundler des „Amtes Rosenberg“, als „politisch, die verschiedensten kulturellen Veranstaltungen beigebracht weltanschaulich und wissenschaftlich“ geeignet empfohlen und vorgelegt wird“.25 worden27, wobei Horaks politische Qualifikation u. a. darauf Obwohl in der „Südtiroler Kulturkommission“ zahlreiche zurückging, dass er laut Aussage der Gauleitung Tirol-Vorarl- Fachkräfte aus dem Gau Tirol-Vorarlberg mitwirkten, ver- berg „bereits in der Verbotszeit aktiv für die Bewegung“ ein- liefen die Aktivitäten des Ahnenerbes unabhängig von der getreten war und bei der Hitlerjugend einen Rang einnahm.28 Innsbrucker Gauregierung, die das Ahnenerbe als Berliner Schon im Juli 1939 wurde das „Ostmärkische Volksliedunter- Organisation eher misstrauisch beäugte und mit dem Gau- nehmen“ wieder aufgelöst, da seine Bezeichnung und Struk- archiv für Volksmusik eine eigene wissenschaftliche und tur zu sehr an die österreichische Vorgängerstruktur erin- volksliedpflegerische Stelle installiert hatte. nerte.29 Stattdessen gerieten die einzelnen ostmärkischen 24 Gauarchive in die Abhängigkeit der jeweiligen Gauselbstverwaltungen (Gauregierungen). Die wissenschaftlich-fachliche 2. Der „Gauausschuss für Volksmusik“ Kontrolle wurde Alfred Quellmalz bzw. der von ihm geleite- im Gau Tirol-Vorarlberg ten „Abteilung II (Volksmusik)“ des „Staatlichen Instituts für Deutsche Musikforschung“ in Berlin übertragen – und zwar Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich unter Einbindung weiterer musikforschender und parteinaher änderte sich die Situation der aus dem Volksmusikfor- Institutionen, wie etwa des „Deutschen Volksliedarchivs“ schungsunternehmen der Monarchie hervorgegangenen oder der „Mittelstelle für Spielforschung“ im Amt Rosen- Bundesländer-Archive, die in der Zwischenkriegszeit ein berg –, doch die Belange der praktischen Volksmusikpflege eher kümmerliches Dasein gefristet hatten, schlagartig. galten explizit als Angelegenheit der NSDAP und ihrer Bereich deutsche und ladinische Musikschulen, Referat Volksmusik, Bozen, Nachlass Quellmalz: Horak, Karl: Richtlinien, gemäß der Volkstanzarbeit beim Musiklager in Seis, 1. Teil, April 1941, Vorwort. 24 Bundesarchiv Berlin, PU A. Quellmalz: Quellmalz, Alfred: Bericht über die musikalische Schulungswoche vom 3.–8.4.1941 in Seis, 24.4.1941, S. 4. 25 Bundesarchiv Berlin, NS 21/219: Aukenthaler, Karl: Vermerk betreffend Lehrgang für Volkskultur an alle Kreis- und Gebietsbeauftragten des Volksbildungsdienstes u. a., 18.3.1941. 26 Siehe Nußbaumer, Thomas: Das Ostmärkische Volksliedunternehmen und die ostmärkischen Gauausschüsse für Volksmusik. Ein Beitrag zur Geschichte des Österreichischen Volkliedwerkes, in: Haid, Gerlinde/Hemetek, Ursula/Pietsch, Rudolf (Hg.): Volksmusik – Wandel und Deutung. Festschrift Walter Deutsch zum 75. Geburtstag (= Schriften zur Volksmusik 19), Wien–Köln–Weimar 2000, S. 152–156. 27 Universitätsbibliothek Regensburg, Nachlass der Abteilung II (Volksmusik) des Staatlichen Instituts für Deutsche Musikforschung, Ordner Volksmusikausschuss. Verwaltung und Organisation: Karl Haiding an Abteilung II (Volksmusik) des Staatlichen Instituts für Deutsche Musikforschung, 8.11.1939. 28 Bundesarchiv Berlin, PU K. Horak, RKK: 2101, Box: 0538, File: 04: NSDAP-Gauleitung Tirol-Vorarlberg an den Präsidenten der Reichsschrift­ tumskammer, 30.8.1940, und Fragebogen zur Bearbeitung des Aufnahmeantrages für die Reichsschrifttumskammer, Gruppe Schriftsteller, Eingang: 6.8.1940. Horak war seit dem 1. Mai 1938 Mitglied der NSDAP (Mitgliedsnummer 6248151). 29 Nußbaumer: Das Ostmärkische Volksliedunternehmen (wie Anm. 26), S. 156–162. 23 50 Gliederungen. Jedes Volksmusikarchiv erhielt einen Archiv- tätigkeit in alles eingeweiht. Es gehen daher auch alle Arbei- leiter und einen aus Funktionären unterschiedlicher Partei- ten im Archiv, die aus der Übernahme des ehemaligen Tiroler gliederungen besetzten „Gauausschuss für Volksmusik“. Volkslied-Ausschusses erwachsen sind, ohne Unterbrechung Dies hatte zur Folge, dass die einzelnen Gauarchive für weiter. Die umfangreiche, aber ungepflegte Sammlung wird Volksmusik im ehemaligen Österreich in unterschiedlichem reingeschrieben, geordnet und nach den von Ihnen ausge- Ausmaß entweder in den Dienst der Musikpflege oder der gebenen Richtlinien verzettelt. Ich weiß nicht, wie lange der wissenschaft­lichen Archivarbeit gestellt wurden. Krieg dauern wird und ich bei der Wehrmacht bleiben muß. Dank dem Umstand, dass der Nachlass der „Abteilung II Ich wünsche trotzdem die Arbeit des Gauausschusses ohne (Volksmusik)“ des „Staatlichen Instituts für Deutsche Musik- Unterbrechung weitergeführt. Es ist nun in Tirol niemand, forschung“ erhalten blieb, wissen wir auch über die Tätig- dem die Archive in Freiburg und Berlin bekannt sind und der 30 keiten des Gauausschusses für Tirol-Vorarlberg Bescheid. deren Arbeitsweise kennt. Da Sie nun Vorgesetzter für die Zunächst wurden die beiden nach dem Ende des Ersten Gauausschüsse für Volksmusik sind, bitte ich Sie, meine Weltkriegs getrennten Archive in Bregenz und Innsbruck wie- Frau Margarete Horak auch förmlich mit meiner Vertretung der zusammengeführt und dem Standschützenverband unter- zu betrauen. […] Ich stehe von hier aus mit Prof. John Meier stellt. Die Leitung übertrug man umgehend Karl Horak, der [Gründer und Leiter des „Deutschen Volksliedarchivs“ in die Tiroler Sammlung von Josef Schatz, dem letzten Obmann Freiburg i. Br., Anm.] in Briefwechsel, um in der Reihe der des „Tiroler Volksliedausschusses“ der Zwischenkriegszeit, landschaftlichen Volkslieder ein Heft deutscher Volkslieder übernommen hatte. Horak berichtete darüber Quellmalz: aus Mittelpolen herauszubringen. Ein solches Heft hat jetzt „Als ich das Tiroler Volksliedarchiv übernahm, war es in auch eine politische Bedeutung.“33 einem schauderhaften Zustand. Die Aufzeichnungen und Damit Horak, nach dem Polenfeldzug bald wieder nach Einsendungen sind in den verschiedensten Formaten zu 99% Hause zurückgekehrt und für den Rest des Krieges „unab- handschriftlich, teilweise noch in bäuerlicher Urschrift. Es ist kömmlich“, also in vom Kriegsdienst befreiter u. k.-Stellung, daher notwendig, das ganze Archiv reinzuschreiben.“ die Sammlung bequemer bearbeiten konnte, waren die Sehr kennzeichnend für den Aufbruchsgeist der Volksmusik- Bestände zwischenzeitlich nach Kufstein, wo er lebte und forschung noch in der ersten Kriegsphase ist Horaks Brief an als Mittelschulprofessor arbeitete, überbracht worden. Erst Quellmalz vom 25. Oktober 1939, geschrieben an der Front später wurde das Archiv nach Innsbruck rücküberführt. Hilf- in Polen: „Ich bin im Augenblick auf der Wacht im Osten. Ich reiche Unterstützung bei der Archivarbeit erfuhr Horak durch habe den Polenfeldzug mitgemacht, bin durch Galizien bis in seine Frau Grete Horak (1908–1996). Bis März 1940 hatte die Nähe von Rawa Ruska, dort mußten wir zurück über den das Ehepaar rund tausend Aufzeichnungen (von insgesamt San und spielen jetzt Besatzungstruppe im Gebiet zwischen rund 10.700) reingeschrieben und verzettelt sowie die Biblio­ Weichsel und Bug. theksbestände vermehrt.34 Ebenso wie seine Kollegen im Indessen führt meine Frau daheim die Geschäfte im Volks- Gauausschuss Fritz Engel (1904–2004), Josef Eduard Ploner liedarchiv weiter. Sie ist als meine ständig hilfsbereite (1894–1955) und Sepp Thaler (1901–1982) hielt auch Horak Mitarbeiterin bei meiner Volkslied-Sammel- und Forschungs- Vorträge über Volksmusik, und zwar, wie es im letzten, von 31 32 Nußbaumer: Das Ostmärkische Volksliedunternehmen (wie Anm. 26), S. 162–168. Universitätsbibliothek Regensburg, Nachlass Abteilung Volksmusik (wie Anm. 27): Ordner Volksmusik-Ausschuss. Verwaltung und Organisation und Ordner Volksmusik-Ausschuss. Schriftverkehr mit den einzelnen Gauausschüssen. 32 Universitätsbibliothek Regensburg, Nachlass Abteilung Volksmusik (wie Anm. 27), Ordner Volksmusik-Ausschuss. Schriftverkehr mit den einzelnen Gauausschüssen: Karl Horak an Alfred Quellmalz, 24.11.1939. 33 Universitätsbibliothek Regensburg, Nachlass Abteilung Volksmusik (wie Anm. 27), Ordner Volksmusik-Ausschuss. Schriftverkehr mit den einzelnen Gauausschüssen: Karl Horak an Alfred Quellmalz, 25.10.1939. 34 Nußbaumer: Das Ostmärkische Volksliedunternehmen (wie Anm. 26), S. 167–168. 30 31 51 Fritz Engel verfassten Tätigkeitsbericht des Gauausschusses Zu den wichtigsten Aktivitäten des Gremiums zählte die für das Jahr 1943 heißt, „vor allem vor politischen Leitern von Josef Eduard Ploner verantwortete Publikation so und Lehrern“, um „aufklärend und wegweisend“ zu wirken. genannter „Liederblätter des Reichsgaues Tirol-Vorarlberg“, Auch wurden laut Engel zahlreiche praktische Lehrgänge herausgegeben in Zusammenarbeit mit Karl Horak im Ludwig für Volkslied und Volkstanz abgehalten, die zum Teil in den Voggenreiter-Verlag in Potsdam44 (siehe Abb. 1). „Innsbrucker Nachrichten“ Erwähnung finden. So führte Ploner war eine führende Kraft der Volksmusikpflege im Gau Engel beispielsweise „Volkslieder-Singabende“ im Claudia- Tirol-Vorarlberg und auch einer ihrer Hauptideologen. Seine saal in Innsbruck durch37, sang Volkslieder mit Teilnehmern Liederblätter erschienen in den Jahren 1940 und 1941 in ideologisch bildender Tagungen (z. B. auf einer „Brauchtums- zehn Folgen und umfassen insgesamt 87 Lieder. Sie waren tagung“ in Umhausen38) und hielt bei ähnlichen Veranstal- als Beitrag zur Liedpflege beispielsweise bei den noch näher tungen mitunter Vorträge über Volkslied und Volkstanz (z. B. darzustellenden „Dorfgemeinschaftsabenden“ der NSDAP- auf einer Kreisarbeitstagung in Dornbirn39). Auch Karl Horak Gliederungen oder innerhalb der Hitlerjugend gedacht und tat sich in diesem Bereich hervor, z. B. im September 1942 sind in ihrer Zusammenstellung als dezidiert NS-ideologisch bei einer Brauchtumstagung in Landeck.40 zu bezeichnen. Die nachfolgende Auflistung bietet einen 35 36 Überblick über die Themen der Liederblätter: 3. Volkslied-Publikationen: „Liederblätter Folgen 1–4: kein Thema des Reichsgaues Tirol-Vorarlberg“ und Folge 5: Kinder- und Wiegenlieder Ploners Liederbuch „Hellau!“ Folge 6: „Aber heunt sein miar kreuzfidell“ Folge 7: „Im Felde, da ist der Mann noch was wert“ Dem Volksmusikausschuss des Gaues Tirol-Vorarlberg gehör- Folge 8: „Alte Meister“ ten neben Horak, Ploner, Thaler und Engel auch Hermann Folge 9: „Maienzeit bannet Leid“ Josef Spiehs (1893–1964) vom NS-Lehrerbund an, der nach Folge 10: Norbert Wallner-Lieder. dem Krieg eine huldigende Ploner-Biographie schrieb.41 Fritz Engel trug zudem den Titel eines „Kulturreferenten Die 87 Lieder sind einstimmig und zweistimmig, seltener des Reichspropagandaministeriums, Sektion Tirol“42 und drei- und vierstimmig gesetzt und enthalten gelegentlich war einer der Hauptorganisatoren der „Gaumusikschule für Angaben zur instrumentalen Begleitung. 37 Lieder ent- Jugend und Volk“ in Innsbruck.43 stammen dem Bereich des traditionellen alpenländischen Universitätsbibliothek Regensburg, Nachlass Abteilung Volksmusik (wie Anm. 27), Ordner Volksmusik-Ausschuss. Schriftverkehr mit den einzelnen Gauausschüssen: Engel, Fritz: Tätigkeitsbericht des Volksliedarchives, 5.10.1943. 36 Siehe Schneider, Manfred: Gauleiter Hofer als Förderer des Brauchtums, http://www.musikland-tirol.at/ARGE-NS-Zeit/ploner/gauleiter-hofer-alsfoerderer-des-brauchtums.html (Zugriff 30.8.2013). 37 [ohne Verf.]: Allgemeines Volksliedersingen der „Kraft durch Freude“, in: Innsbrucker Nachrichten, 8.10.1938, S. 8. 38 [ohne Verf.]: Brauchtumstagung in Umhausen, in: Innsbrucker Nachrichten, 20.10.1942, S. 4. 39 hf.: Dornbirn. Kreisarbeitstagung, in: Innsbrucker Nachrichten, 14.10.1942, S. 3. 40 hf.: Brauchtumstagung in Landeck, in: Innsbrucker Nachrichten, 14.9.1942, S. 4. 41 Spiehs, Hermann Josef [†]: Josef Eduard Ploner. Der Tiroler Komponist (= Schöpferisches Tirol 5, hg. v. Hermann Holzmann), Innsbruck 1965. 42 Siehe Drexel, Kurt: Musikwissenschaft und NS-Ideologie. Dargestellt am Beispiel der Universität Innsbruck von 1938 bis 1945 (= Veröffentlichungen der Universität Innsbruck 202), Innsbruck 1994, S. 192. 43 Schneider, Manfred: Musikausbildung in der NS-Zeit, http://www.musikland-tirol.at/ARGE-NS-Zeit/ploner/musikausbildung-in-der-ns-zeit.html (Zugriff 29.8.2013). 44 Ploner, Josef Eduard, in Zusammenarbeit mit Karl Horak (Hg.): Liederblätter des Reichsgaues Tirol-Vorarlberg, Potsdam: Folgen 1 und 2: Oktober 1940, Folge 3: November 1940, Folge 4: Dezember 1940, Folge 5: Jänner 1941, Folge 6: Februar 1941, Folge 7: März 1941, Folge 8: April 1941, Folge 9: Mai 1941, Folge 10: Juni 1941. 35 52 Volksliedes, wobei Ploner mit einer Ausnahme nur in Tirol Umdichtung“) vor, um einerseits Begriffe wie „Gott“, und Südtirol aufgezeichnete Lieder veröffentlichte. 15 Lieder „Vater“, „Buß‘“ und „Gnade“ zu vermeiden, und anderer- sind deutschnational mit mehr oder weniger deutlicher NS- seits dem Lied einen kämpferischen Schluss zu verpassen ideologischer Orientierung. Groß ist der Anteil kriegerischer (die Hervorhebungen beziehen sich auf die umgedichte- Lieder aus diversen historischen „Kampfzeiten“ in Tirol. So ten Stellen): finden sich acht historisch-politische Lieder überwiegend aus der Zeit der Tiroler Landesverteidigung von 1796/97 und des 1. Original:50 Tiroler Aufstandes von 1809, zwei jüngere Lieder, die den „Gleich wie beim letzten Hammerschlag das alte Jahr vergangen, angeblich wehrhaften Charakter des Tirolers hervorheben, und ein Soldatenlied. Lieder so genannter „alter Meister“ so hat im selben Augenblick das neue angefangen. sowie jahreszeitliche Lieder, darunter Weihnachtslieder, Wir danken dir, o großer Gott, für das verfloss’ne Jahr: Kanons belehrenden Inhaltes und ein gebetartiges Lied mit Wohl daß du uns behütet hast vor Unglück und Gefahr!“ einem Text des in der NS-Zeit gefeierten Südtiroler Dichters Josef Georg Oberkofler (1889–1962)45 vervollständigen die 1. Ploners Umtextierung: Sammlung. „Gleich wie beim letzten Hammerschlag das alte Jahr Dass Ploner Weihnachtslieder aus ideologischen Gründen vergangen, als problematisch empfand und nicht ihre originalen Texte so hat im selben Augenblick das neue angefangen. wiedergeben wollte, ist für die NS-Zeit durchaus typisch.46 Wir danken fürs empfangne Gut in dem verflossnen Jahr, Das Tiroler Weihnachtslied „Es håt sich hålt aufton das wie oft sind wir behütet worden vor Unglück und himmlische Tor“ enthält einen „Alleluja“-Refrain (siehe Gefahr!“ Abb. 6). Um den christlichen Bezug des Liedes abzuweisen, behauptet Ploner: „Dieser ‚liturgische‘ Jodler ist als Protest 2. Original: gegen den volksmusikdrosselnden Cäcilianismus zu verste- „Bei vielen hat in diesem Jahr die Uhr geschlagen aus, hen“.47 sie sind jetzt nicht mehr hier, sie sind im Bretterhaus. Beim Neujahrslied „Gleichwie beim letzten Hammer- Vielleicht kann es mit mir und dir im neuen Jahr so geh’n? schlag“48 nahm er, wie Manfred Schneider aufzeigen Wie werden wir, o großer Gott, vor’m Richterstuhl konnte , Umtextierungen (Ploner spricht von „teilweiser 49 besteh’n?“ Josef Georg Oberkofler schrieb auch den Text zu Josef Eduard Ploners Kantate Das Land im Gebirge (op. 109), die dem Gauleiter Franz Hofer gewidmet war und am 11. Dezember 1942 im Großen Stadtsaal in Innsbruck in einer „Feierstunde der Heimat“ unter dem Ehrenschutz des Gau­ leiters uraufgeführt wurde; siehe Herrmann-Schneider, Hildegard: Werkverzeichnis. Kompositionen von Josef Eduard Ploner kurz vor, während und kurz nach der NS-Zeit: Opus 76 (vor 1938?) bzw. Opus 77 (1935) − Opus 147 (Dezember 1945), http://www.musikland-tirol.at/ARGE-NS-Zeit/ploner/ werkverzeichnis/index.html (Zugriff 30.8.2013). 46 Siehe Benzig-Vogt, Irmgard: Vom Kind in der Krippe zum Kind in der Wiege. Das Weihnachtslied der NS-Zeit, in: neue musikzeitung 46, 1997, Ausgabe 12, http://www.nmz.de/artikel/vom-kind-in-der-krippe-zum-kind-in-der-wiege (Zugriff 30.8.2013). 47 Ploner, Josef Eduard: Kommentar zum Lied „Es håt sich hålt aufton das himmlische Tor“, in: Ders., in Zusammenarbeit mit Karl Horak (Hg.): Lieder­blätter des Reichsgaues Tirol-Vorarlberg, Potsdam 1940, Folge 4, Nr. 23. – Der Cäcilianismus, benannt nach der Heiligen Cäcilia, Patronin der Musik, ist eine katholische kirchenmusikalische Restaurationsbewegung des 19. Jahrhunderts mit dem Ziel der Rückbesinnung auf einen an ­Palestrina angelehnten A-cappella-Stil. 48 „Gleichwie beim letzten Hammerschlag“, in Ploner, Josef Eduard, in Zusammenarbeit mit Karl Horak (Hg.): Liederblätter des Reichsgaues TirolVorarlberg, Potsdam 1940, Folge 4, Nr. 32. 49 Schneider, Manfred: Josef Eduard Ploner (1894–1955). 1938/39/40, http://www.musikland-tirol.at/ARGE-NS-Zeit/ploner/1938-39-40/index.html (Zugriff 30.8.2013). 50 Aufzeichnung von Hermann Josef Spiehs aus Fließ vom 24. November 1937 und von ihm für vierstimmigen Männerchor gesetzt, in: Arbeits­ gemeinschaft Tiroler Komponisten (Hg.): Hirten- und Krippenlieder aus Nord- & Südtirol für verschiedene Chor- u. Instrumentalbesetzung, 1. Folge, Innsbruck 1937, S. 19. 45 53 Abb. 6: „Es håt sich hålt aufton das himmlische Tor“, in: Ploner, Josef Eduard, in Zusammenarbeit mit Karl Horak (Hg.): Liederblätter des Reichsgaues Tirol-Vorarlberg, Potsdam 1940, Folge 4, Nr. 23. 54 2. Ploners Umtextierung: Funktion des Kulturreferenten im Reichspropagandaamt. „Bei vielen hat in diesem Jahr die Uhr geschlagen aus, Anschließend kehrte er in den Schuldienst zurück und sie sind jetzt nicht mehr hier bei uns, sie sind im Bretterhaus. wurde im Oktober 1938 nach Kitzbühel versetzt, wo er Vielleicht kann es mit mir und dir im neuen Jahr so gehn? als Bezirksschulinspektor für den dortigen Landkreis tätig Wir aber wolln auch Not und Tod im neuen Jahr bestehn!“ war.51 Wallner war ein überzeugter Nationalsozialist, der seiner 3. Original: politischen Überzeugung durch Lieder und Texte Ausdruck „Gib, Vater, uns die große Gnad, daß wir zu dir uns wenden, verlieh sowie des Öfteren in kulturideologischen Kontexten die wahre Buß’ ergreifen g’schwind vor unserm Lebensende. an die Öffentlichkeit trat, beispielsweise als Gestalter von Es kommt für uns ein neues Jahr und wir sein jetzt „Tirolerabenden“, um seinem Publikum „den Geist unse- außer G’fahr. Das wünschen wir, und alle gleich, wohl zu dem neuen Jahr!“ res echten, urdeutschen Volkslebens, seiner Sitten und Bräuche, Tänze und Lieder zu erschließen.“52 Im Jahr 1944 komponierte er gar ein „Brixentaler Flurrittlied“, das beim Flurritt, dieser bereits erwähnten massenwirksamen, jährlich 3. Ploners Umtextierung: stattfindenden Propagandaveranstaltung der NSDAP im Gau „So kämpfen wir mit allem Mut, daß unsre Kraft es wende Tirol-Vorarlberg, vorgetragen wurde.53 Und wir all Mühn bestehen gut vor unserm Lebensende. Im Jahr 1938 hatte Wallner im Ludwig Voggenreiter Verlag Und kommt für uns das neue Jahr mit Freud und Leid seine nationalsozialistische Liedersammlung „Wir stehn im und viel Gefahr. Wir kämpfen mit viel Mut und Kraft auch in dem neuen Jahr!“ Morgenrot. Lieder der kämpfenden Ostmark“54 publiziert. Die 18 Lieder und Texte sind nach den Themen „Aufbruch“, „Kampf“ und „Reise“ geordnet. Dass Josef Eduard Ploner dem ihm gut bekannten Norbert Wallner eine Folge seiner Ab der Folge 5 stehen die Blätter jeweils unter einem Liederblätter zueignete und insgesamt sechs Lieder aus des- bestimmten Motto, die Folge 10 beispielsweise ist den sen Sammlung von 1938 abdruckte, ist eine deutlich erkenn- Liedern Norbert Wallners gewidmet. Wallner (1907–1976) bare ideologische Einfärbung der Liederblättersammlung. war bereits in der NS-Zeit ein führender Mann der Volksliedpflege in Tirol und blieb dies bis zu seinem Tode. Von Ploners umfangreichstes Liederbuch ist jedoch die Samm- Beruf Lehrer, war er schon 1936 der damals in Österreich lung „Hellau! Liederbuch für Front und Heimat des Gaues verbotenen NSDAP beigetreten. Nach dem so genannten Tirol-Vorarlberg“, 1942 herausgegeben im Auftrag des „Anschluss“ übte er zunächst drei Monate lang das Amt Gauleiters Franz Hofer55 und, was die Auswahl der Lieder eines Volksbildungsreferenten für den Gau Tirol-Vorarlberg und Zusammenstellung anbelangt, ein nationalsozialisti- aus, dann vom 1. August bis 21. September 1938 die sches Werk (siehe Abb. 7). Ploners Volksliedbegriff steht Über Norbert Wallner in der NS-Zeit siehe Bundesarchiv Berlin, R 43/4571: Dokumente aus der NSDAP-Gaukartei u. a. Ich danke Kurt Drexel, Universität Innsbruck, für den Hinweis auf diese Dokumente. – Siehe auch Schneider, Manfred: Weitere Informationen zu Norbert Wallner, http://www.musikland-tirol.at/ARGE-NS-Zeit/ploner/weitere-informationen-zu-norbert-wallner.html (Zugriff 30.8.2013). 52 p.: Tirol in Lied und Tanz. Die erste große Feierabend-Gestaltung der NS.-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“, in: Innsbrucker Nachrichten, 12.8.1938, S. 6. 53 [ohne Verf.]: „Wehrbauernstamm im Süden des Reiches“. Der Brixentaler Flurritt, ein Bekenntnis zu Heimattreue und Einsatzbereitschaft, in: Innsbrucker Nachrichten, 13.6.1944, S. 3. 54 Wallner, Norbert: Wir stehn im Morgenrot. Lieder der kämpfenden Ostmark, Potsdam 1938. 55 Ploner, Josef Eduard (Hg.): Hellau! Liederbuch für Front und Heimat des Gaues Tirol-Vorarlberg. Herausgegeben im Auftrage des Gauleiters und Reichsstatthalters Franz Hofer, Potsdam 1942. 51 55 Abb. 7: Umschlagbild und Vorwort zu: Ploner, Josef Eduard (Hg.): Hellau! Liederbuch für Front und Heimat des Gaues Tirol-Vorarlberg. Herausgegeben im Auftrage des Gauleiters und Reichsstatthalters Franz Hofer, Potsdam 1942. in der Tradition des völkisch bestimmten Volksliedbegriffs skript mit dem Titel „Vom echten und unechten Tiroler Volks- eines Josef Pommer (1845–1918)56 und Franz Friedrich Kohl lied“. Darin heißt es: „Die bewusste Brauchtumspflege (1851–1924). Beide waren deutschnationale Vertreter der des Natio­nalsozialismus hat auch in unserem Gau das hei- so genannten „Produktionstheorie“ und Pioniere der Volks- mische Lied aus seinem Sonder- und Schattendasein heraus­ liedforschung in Österreich zur Wende zum 20. Jahrhundert. geführt. Wenn es bisher in Sammlungen und Archiven, in Ploner formulierte seinen Volksliedbegriff in einem um bestimmten Vereinen und bei einzelnen Idealisten und Lieb- 1942/43 verfassten, unveröffentlicht gebliebenen Typo- habern noch ein etwas blutleeres Dasein geführt hat, 57 Zu Josef Pommers Wirken und Volksliedbegriff siehe Mochar-Kircher, Iris: Das echte deutsche Volkslied. Josef Pommer (1845–1918) – Politik und nationale Kultur (= Musikkontext. Studien zur Kultur, Geschichte und Theorie der Musik 3), Frankfurt a. M.–Berlin–Bern–Bruxelles–New York– Oxford–Wien 2004. 57 Franz Friedrich Kohl, trotz seiner späteren Feindschaft mit Josef Pommer stets ein Anhänger von dessen Gedankenwelt, formulierte sein Volksliedverständnis in seiner programmatischen, seiner Sammlung „Echte Tiroler-Lieder“ (Wien 1899) vorangestellten Abhandlung. Kohl, Franz Friedrich: Das Tiroler-Volkslied. Ein Wort zum Verständnis und zur Würdigung des echten deutschen Volksliedes in Tirol, in: Tiroler Volksmusikverein/Süd­ tiroler Volksmusikkreis (Hg.): Echte Tiroler Lieder. Ergänzte und kommentierte Neuausgabe der Tiroler Liedersammlungen von Franz Friedrich Kohl, 3. Band, Innsbruck–Wien 1999, S. 470–502. 56 56 so soll es jetzt nach dem Willen des Gauleiters und Reichs- gegenwärtige musikalische Rassenforschung der NS-Zeit statthalters wieder lebendiges Eigentum des Volkes werden. Bezug nimmt. Er ist durchaus vereinbar mit dem Brauchtums- Die Herausgabe des ‚Hellau‘-Liederbuches, die Liederheft- begriff des Gauleiters Franz Hofer, der sich anlässlich der chen bei einer der letzten Straßensammlungen, das geplante „Volkskulturtage der Hitler-Jugend“ im Rahmen des „6. Lan- Schulliederbuch des Gaues, die allseitige Volksmusik- desschießens“ des Standschützenverbandes 1943 über seine pflege innerhalb des Standschützenverbandes und die in Kulturpolitik äußerte: „Dann nahm Gauleiter H o f e r das vielen Ortsgruppen schon durchgeführten Heim- und Dorf- Wort zu grundsätzlichen Ausführungen über den Sinn und abende zeugen von diesem Erneuerungswillen. Erstrebens- das Ziel der gesamten Brauchtumsarbeit. […] Eindringlich wertes Höchstziel wäre es, wenn durch Partei und Schule wies der Gauleiter darauf hin, daß Volkslied, Volkstanz, die Aufklärung über echte und unechte Volksmusik soweit Volkmusik, Volkstracht, Laienspiel und alles, was sonst noch gediehe, dass überhaupt nur mehr echte Volkskunst ertönte. zur Brauchtumspflege gehört, keine Nervenreizmittel und Meine heutigen Ausführungen über das echte und unechte keine oberflächlichen Vergnügungen sind, sondern wich- Tiroler Lied soll man als kleinen Beitrag der Aufklärung tigste Arbeit an der Gemeinschaft und ein Zurückfinden zu werten“.58 unserer Urkraft. In diesem Zusammenhang ging der Gauleiter „Echte“ Tiroler Volkslieder sind laut Ploner – und hier folgt besonders auch auf die Fragen der Musikerziehung ein und er den Definitionen Franz Friedrich Kohls von 1899 – Lieder betonte die feststehende und richtungweisende Tatsache, „heiterer Art“ mit „tänzerisch-beschwingter Weise“. Im daß alle hohe Kunst aus der Volkskunst hervorgegangen sei „echten“ Tiroler Lied finde man nie „eine weltschmerzliche und ihr nur von dieser her immer wieder frische Kräfte zuge- oder gar sentimentale Wendung oder Betrachtung“, das führt werden können. Alles höher Entwickelte ist der Gefahr „echte“ Tiroler Lied sei „fast immer lebensbejahend, kämp- des Verfalles und der Entartung ausgesetzt: Verfeinerte ferisch, daseinsfroh, ja geradezu daseinsüberschwenglich“. Obstsorten, hochgezüchtete Getreidearten sind anfälliger für Vehement wendet sich Ploner gegen die in der Bevölkerung Schädlinge und für ungünstige Witterungseinflüsse als die auch zu seiner Zeit populären sentimentalen Lieder – sie einfachen ‚groben‘ Gewächse; genau dasselbe gilt für die seien „unecht“. „Alle diese tränendrüsenbewegenden Güter der Kultur und auch für die Menschen. Modische Klei- Lieder“, behauptet er, „sind die Erzeugnisse entarteter der entarten leicht, das Berufstheater und die Kunstmusik Seelenhaltung und haben mit den echten Liedern unseres können verderblichen Kultureinflüssen nur zu leicht verfallen, Alpenvolkes nur […] Äußerlichkeiten gemein.“ Die einzige was wir ja in der Systemzeit [unter den österreichischen Möglichkeit, diese Lieder zu bekämpfen, liege in der natio- Kanzlern Engelbert Dollfuß und Kurt Schuschnigg, Anm.] zur nalsozialistischen Kulturarbeit. Genüge erlebt haben, der verstädterte Mensch ist immer Ideen dieser Art korrelieren mit der Absicht, einer ganz spe- in Gefahr, nachteiligen Umwelteinflüssen zu erliegen. Blei- zifischen, in der völkischen Ideologie wurzelnden Vorstellung bend und unveränderlich sind dagegen die Kulturwerte des von tirolischer Identität Bahn zu brechen. Der idealtypische bäuerl­ichen Lebenskreises: die Tracht, das Laienspiel und die Tiroler (er ist auch bei Kohl schon deutsch) sei heiter, natur- Volksmusik. Ewige Lebenskraft, Beharrlichkeit und Sicherung verbunden, männlich, wehrhaft. Ploners Volksliedbegriff der Art ruht im bäuerlichen Menschen. Aller Musikaus­ ist, genauso wie jener von Kohl, antimodernistisch, kultur­ bildung fehlt daher die sichere Grundlage, wenn sie nicht pessimistisch und sogar rassistisch, wenn er auf die damals aus der Volksmusik und ihrer Pflege herauswächst. […] 59 Ploner, Josef Eduard: Vom echten und unechten Tiroler Volkslied (Typoskript), 1942/43 verfasst; Original im Besitz von Gilbert Ploner, Innsbruck. Vollständig wiedergegeben in: Schneider, Manfred: Josef Eduard Ploner (1894–1955). 1941/42, http://www.musikland-tirol.at/ARGE-NS-Zeit/ ploner/1941-42/index.html (Zugriff 29.8.2013). 59 Ploner: Vom echten und unechten Tiroler Volkslied (wie Anm. 58). 58 57 Daher muß die Pflege der Volksmusik durch eine umfas- Die 239 Lieder in Ploners Sammlung sind in vier Gruppen sende Breitenarbeit bis in das letzte Dorf getragen werden, unterteilt: „I. [nationalsozialistische] Kampf- und Feier­- wobei nicht nur ihre gemeinschaftsbildende Wirkung zum lieder“, „II. Soldatenlieder“, „III. Heimatlieder“ und Tragen gebracht wird, sondern auch in der großen Masse „IV. ‚Kraut und Ruabn‘ [i. e. alpenländische Lieder ver- der Musikbeflissenheit die großen Begabungen auf dem schiedenen Inhaltes]“. Das Liederbuch sollte nach Ploners Wege der natürlichen Auslese herausgefunden werden Wunsch „viel Freude bereiten! Und Freude schafft […].“ wiederum Kraft. Diese seelische Kraft aber soll mithelfen, Ploners „Hellau!“-Sammlung präsentiert sich als Spiegelbild unserem kämpfenden Volke den Endsieg zu erringen.“63 derartiger Konzepte. Das titelgebende Lied „Hellau! Miar Abgesehen von den 32 bekenntnishaften NS-Liedern, sein Tirolerbuam“, von Ploner wohl fälschlich als ein „altes von denen sechs von Ploner stammen, überwiegen die Schützenlied“ bezeichnet, scheint erstmals in einer Lied- alpenländischen bzw. Tiroler und Südtiroler Volkslieder broschüre, herausgegeben nach 1926 von der Innsbrucker bei weitem.64 Doch der Titel, die im Vorwort geäußerte Inten- „Arbeitsstelle für Südtirol“ auf. Diese Arbeitsstelle, die dem tion und die Auswahl verleihen der Sammlung eine klare 1919 gegründeten „Andreas-Hofer-Bund“ angegliedert war, NS-ideologische Prägung, die durch den Aspekt des Anti- zeichnete für die Herausgabe politisch-propagandistischer semitismus massiv verstärkt wird, indem Ploner gegen Schriften im Rahmen des Abwehrkampfes gegen die vom Ende des Buchs eine gegen die Juden gerichtete „Litanei“, Mussolini-Regime betriebenen Italianisierungsmaßnahmen die er dem Liederbuch „Der kleine Kilometerstein. Eine in Südtirol verantwortlich.61 Das Lied war also bereits ideo- lustige Sammlung“ (Potsdam, viele Ausgaben besonders logisch determiniert, ehe es Sepp Tanzer (1907–1983), „Gau- ab 1933) entnommen hat, sowie ein antisemitisches Gstanzl musikleiter von Tirol und Vorarlberg“, für den Trioteil seiner wiedergibt65 (siehe Abb. 8). dem Gauleiter Hofer gewidmeten Komposition „Standschüt- In der alpenländischen Volksliedüberlieferung gibt es einige zenmarsch“ (1942) verwendete und Ploner sein Liederbuch wenige Beispiele für den religiös motivierten Antisemitis- danach benannte. „Hellau! Miar sein Tirolerbuam“ war quasi mus, in denen die Juden als Mörder von Jesus Christus die Hymne der Standschützen, angeblich ein Lieblingslied beschimpft werden. Der Antisemitismus bei Ploner hin- des Gauleiters, und wurde gegen Kriegsende immer häufiger gegen ist nicht religiös, sondern rassistisch motiviert und bei den Landes- und Kreisschießen in bekenntnishafter Atti- unterstreicht die nationalsozialistische Ausrichtung seines tüde gesungen. Liederbuchs. Aus diesem Grund ist die Aufnahme der 60 62 [ohne Verf.]: Volkskulturtage der Hitler-Jugend abgeschlossen, in: Innsbrucker Nachrichten, 16.7.1943, S. 3. – Über Franz Hofers Brauchtumsbegriff siehe die Materialsammlung in Schneider, Manfred: Gauleiter Hofer als Förderer des Brauchtums, http://www.musikland-tirol.at/ARGE-NS-Zeit/ ploner/gauleiter-hofer-als-foerderer-des-brauchtums.html (Zugriff 30.8.2013). 61 Für den Hinweis auf den ersten bekannten Druck des Liedes „Hellau! Miar sein Tirolerbuam“, in: Arbeitsstelle für Südtirol (Hg.): Tiroler Heimat­ lieder, Innsbruck o. J., S. 11, danke ich Kurt Drexel, Universität Innsbruck. 62 Z. B. beim „Brauchtumsabend“ zum Abschluss der „Volkskulturtage“ der Hitlerjugend im Rahmen des „6. Landesschießens“ im Juli 1943: „Daß aber nicht nur die Mitwirkenden untereinander, sondern mit ihnen auch die Zuhörer eine große Kameradschaft darstellten, wurde dadurch versinnbildlicht, daß zu wiederholtem Mal alle Anwesenden gemeinsam in die vertrauten Heimatlieder einstimmten, wie es besonders am Schluß des Abends beim Gesang des ‚Hellau‘ geschah“ ([ohne Verf.]: Großer Brauchtumsabend der Hitler-Jugend, in: Innsbrucker Nachrichten, 17.7.1943, S. 3). – Oder bei der Eröffnung des Kreisschießens in Schwaz am 18. Juni 1944: „Nach einem Schwertertanz einer Jungengruppe, dessen Schildspruch ‚Vor keinem stocken, vor keinem weichen, Schwert und Pflugschar blank weiterreichen!‘ mit kurzen Worten Haltung und Verpflichtung im Sinne unserer überlieferten wehrgeistigen Auffassung umriß, bildete das Hellau-Lied den Abschluß der Feier“ ([ohne Verf.]: Gewaltiger Aufschwung der Pflege wehrhaften Brauchtums. Gauleiter Hofer besuchte die Kreisschießen in Kufstein und Schwaz – Großartiger Leistungsbericht der Brauchtumsarbeit im Standschützenverband und in der Hitler-Jugend, in: Tiroler Volksblatt, 19.6.1944, S. 3). 63 Ploner, Josef Eduard: [Vorwort], in: Ders.: Hellau (wie Anm. 55), S. 5. 64 Die in Südtirol aufgezeichneten Volkslieder hatte ihm der schon genannte Südtiroler Quellmalz-Mitarbeiter Karl Aukenthaler übermittelt. 65 Ploner: Hellau (wie Anm. 55), S. 246: „Litanei“ und „Und der Jud hat den Brauch“. 60 58 Abb. 8: „Litanei“ und „Und der Jud hat den Brauch“, in: Ploner, Josef Eduard (Hg.): Hellau! Liederbuch für Front und Heimat des Gaues Tirol-Vorarlberg. Herausgegeben im Auftrage des Gauleiters und Reichsstatthalters Franz Hofer, Potsdam 1942, S. 246. 59 beiden judenfeindlichen Lieder in das Werk nicht als quasi Hofer veranlasste bald nach seiner Machtübernahme die beiläufige Anbiederung an die herrschende politische Gründung des so genannten „Standschützenverbandes“, 66 Situation zu werten, wie Manfred Schneider glaubt , dem sämtliche Traditionsvereine des Gaues beizutreten sondern als eine von Ploner beabsichtigte, pointierte hatten. Der Standschützenverband sollte zwar ideell an Zuspitzung der ideologischen Linie seiner Sammlung. die Schützentradition des Landes anknüpfen, aber nicht Erwähnenswert ist, dass Ploner in seinem „Tirol-Vorarlberg allein auf das sportliche Schießen beschränkt bleiben, Chorbuch für drei gleiche oder gemischte Stimmen“ (Wien sondern durch öffentlichkeitswirksame Brauchtumsveran- 1943), gedacht für den Schulunterricht und die Volkslied- staltungen unter Einbezug von Blasmusik, Volksmusik, pflege im Chor, auf Ideologie weitgehend verzichtete, also Volkstanz und Gesang ein Abbild einer neuen Volksgemein- auch durchaus anders agieren konnte. schaft darstellen. „Der Standschützenverband“, betonte Hofer immer wieder, beispielsweise 1942, „soll der große Brauchtums- und Heimatverband sein. Er will nicht nur 4. Volksmusik zur Fest- und das Schießen pflegen, besonders die Jugend zur Schuss- Feiergestaltung und bei diversen fertigkeit und zum wehrhaften Geist heranziehen, sondern öffentlichen Veranstaltungen auch das Volksleben, den Volkstanz, das Volkslied, die Trachten, die Musik und vor allem auch die Laienspiele Bloß zusammenfassend seien hier weitere Bereiche des erhalten und fördern.“67 Gegen Ende des Krieges und beson- politischen und sozialen Lebens genannt, in denen Volksmu- ders ab der Mobilisierung des so genannten „Volkssturms“ sik eine Rolle spielte. Geradezu überraschend ist das sich ist immer öfter auch von „wehrhafter Brauchtumspflege“ in den Zeitungen spiegelnde ungeheuer große Ausmaß an die Rede.68 brauchtumspflegerischen Aktivitäten in Tirol während der Die propagandistischen Großveranstaltungen der NS-Dikta- NS-Zeit und die immense Funktionalisierung von Volksmusik, tur in Tirol waren die jährlich stattfindenden Landesschießen Volkstanz und Blasmusik für ideologische Zwecke. Über­ in Innsbruck sowie die so genannten „Flurritte“ im Brixental raschend ist auch die teilweise sehr ausführliche Darstellung mit tausenden Mitwirkenden und Zuschauern. Bei den sich von volkskulturellen Ereignissen in den Zeitungen, insbeson- über mehrere Tage erstreckenden Landesschießen wurden, dere in den „Innsbrucker Nachrichten“. Höchst offenkundig abgesehen von den Schießübungen am Landesschießplatz in zählte die Volkskulturpflege, bzw. „Brauchtumspflege“, wie Innsbruck und stundenlangen Paraden der Schützenkompa- es damals zumeist hieß, zu den Säulen der Kulturpolitik nien und Musikkapellen, zahlreiche Volkstanzveranstaltungen, Gauleiter Hofers. Musikkapellenwettbewerbe, sogar „Volkskulturtage der Manfred Schneiders Materialsammlung ist zwar sehr verdienstvoll, doch einige seiner Deutungen und Kommentare sind nicht nachvollziehbar und auch polemisch, wie etwa im gegenständlichen Fall: „Dass ein antijüdisches Schnaderhüpfel wie Nr. 238 und besonders die Litanei Nr. 237 in einem Liederbuch aus der Zeit des Nationalsozialismus aus heutiger Sicht, wo wir von der Verfolgung und Vernichtung unzähliger Juden durch den nationalsozialistischen Terror wissen und diese unverzeihlichen Verbrechen niemals aus unserem Gedächtnis streichen dürfen, aus dem ursprünglich intendierten Zusammenhang gerissen, eine schreckliche, ja unerträgliche Optik ergeben, ist evident. Umso mehr muss man bei der wissenschaftlichen Beurteilung solcher Quellen sich aber nicht von verständlicher moralischer Empörung leiten lassen, sondern den Sachverhalt in seinem ursprünglichen Kontext erkennen und auch akzeptieren. Dass man mit einem Beispiel wie der Litanei, vom originären Hintergrund isoliert, indem das für sich stehende grauenvolle Liedzitat gewissermaßen mit Leben und Werk Ploners subsumiert wird, obwohl die Worte und die Melodie gar nicht von ihm stammen, öffentliche Verunsicherung und gezielte Polemik erzeugen kann, haben jüngste Vorgänge seitens des Musik­ wissenschaftlichen Instituts der Universität Innsbruck eindringlich wie hinlänglich vor Augen geführt“; siehe Schneider, Manfred: Josef Eduard Ploner (1894–1955). 1941/42, http://www.musikland-tirol.at/ARGE-NS-Zeit/ploner/1941-42/index.html (Zugriff 29.8.2013). 67 gd.: „Der große Brauchtums- und Heimatabend“. Grundsätzliche Rede des Gauleiters in Dornbirn, in: Tiroler Volksblatt, 20.5.1942, S. 3. 68 Z. B. beim „7. Landesschießen“ am 2. Juli 1944: „In seinen folgenden Ausführungen ging der Gauleiter sodann auf die wehrhafte Brauchtumspflege in unserer Heimat ein […].“ (kth.: Demonstration des Wehrwillens und der Siegesgewißheit. Zehntausende bei der Großkundgebung und dem Vorbeimarsch auf dem Adolf-Hitler-Platz – Ein einzigartiges Bekenntnis zum Führer, in: Innsbrucker Nachrichten, 3.7.1944, S. 3). 66 60 Hitlerjugend“69, veranstaltet. Der Flurritt als nationalsozia­ ler, Brauchtumsgruppen (Anklöpfler, Perchten usw.), begleitet listische Umformung des katholischen Brauches des Ant- von der Alpbacher Trachtenmusik, boten Hervorragendes“ lassreitens bot, abgesehen von der üblichen Pferdeschau, (Dorfgemeinschaftsabend im Alpbachtal74); „[…] außerdem ebenfalls Anlass zu gemeinschaftsbildender Ausübung von waren volkstümliche Lieder im Viergesang zu hören“ (Walch- Volksmusik, Volkstanz und Blasmusik. Diese Art der Volks- see75); „Die Darbietungen der Musikkapelle, die bunten Lied- musikpflege war darbietungsorientiert und unterschied sich vorträge und Volkstänze der Brauchtumsgruppe und die von beträchtlich von den funktional geprägten Musiktraditionen Pg. [Parteigenosse] Primus vorgetragenen Knittelverse nach in den Dörfern. der Art der ‚Schnitzelbank‘ wurden mit ungeteiltem Beifall 70 71 Eine Besonderheit des NS-Systems waren die so genannten aufgenommen“ (Kitzbühel76); „Besonderen Beifall fand der 72 „Dorfgemeinschaftsabende“. Sie wurden von den ört­ beste Jodler des Dorfes, Pg. Josef Bader“ (Lermoos77); „Die lichen NSDAP-Gliederungen (z. B. von der HJ, dem BdM, der kleine Sängerschar und das Wolf-Quartett sangen sich mit NS-Frauenschaft) gestaltet, dienten der Identitätsstiftung, ihren Liedern und Jodlern in die Herzen der Zuschauer. Rei- Gemeinschafts- und ideologischen Bildung und waren der chen Beifall fanden die Mädchen des Reichsarbeitsdienstes, nationalsozialistischen Volksgemeinschaftsideologie ver- die unter Leitung der Lagerführerin Pg. Hesse alte Volkstänze pflichtet. Meist wurden dabei im Rahmen festgelegter Pro- zeigten und ansprechende Volkslieder brachten. […] Zum grammfolgen historische, politische oder volkskundliche Vor- Schluß ergriff der Kreisleiter, Gauinspektor [Klaus] Mahnert träge gehalten und im Anschluss daran Lieder, Musik­stücke das Wort und führte u. a. aus: Wenn wir heute im dritten und Tänze dargeboten oder gemeinsam ausgeführt. Der Kriegsjahr einen Dorfgemeinschaftsabend durchführen, dann erste Dorfgemeinschaftsabend im Gau Tirol-Vorarlberg fand tun wir dies nicht, um das Kriegsgeschehen zu vergessen, laut den „Innsbrucker Nachrichten“ am 29. Jänner 1940 in sondern um zu erkennen, daß wir uns noch enger als bisher Rum bei Innsbruck statt. In den „Innsbrucker Nachrichten“ zusammenfinden müssen, um auch in der Heimat bestehen sind für den Zeitraum 1940–1944 zahlreiche Dorfgemein- zu können“ (Tarrenz78). Gerade die letzte Passage – hier ging schaftsabende belegt, in denen Volksmusikdarbietungen es bereits um Durchhalteparolen in einem immer schlimmer eine wesentliche Rolle spielten. Dazu bloß einige wenige werdenden Krieg – offenbart die doch sehr strikte politische Beispiele: „[…] denn die einheimischen Sänger, Schuhplatt- Orientierung dieser Dorfgemeinschaftsabende. 73 Im Rahmen des „6. Landesschießens“ in Innsbruck im Juli 1943. In zeitlicher Nähe zum „7. Landesschießen“ fanden im Juli 1944 „Volkskulturtage der Hitler-Jugend“ in Landeck statt; siehe die entsprechenden Zeitungsberichte in der Materialsammlung bei Schneider, Manfred: Standschützenverband – Landesschießen – Kreisschießen, http://www.musikland-tirol.at/ARGE-NS-Zeit/ploner/1938-39-40/standschuetzenverband--landesschieen---kreisschie.html (Zugriff 30.8.2013). 70 Siehe Bundesarchiv Berlin, NS 8/245, fol. 23–24: Thiele, Otto: Umwandlung kirchlichen Brauchtums [Schreiben an Wolfram Sievers, Reichs­ geschäftsführer des SS-Ahnenerbes]. Thiele war ein Volkskundler innerhalb des SS-Ahnenerbes, der die Umformung des Brixentaler Antlassrittes zum Flurritt genau beobachtete und als besonders vorbildlich beurteilte: „Ich habe dabei den Eindruck gewonnen, daß die Durchführung dieses Brauches für unsere künftige Brauchtumsarbeit von wegweisender Bedeutung sein kann, da hier erstmalig der Versuch unternommen wird, die Kirche am Fronleichnamstag auszuschalten und die Gestaltung dieses Tages selbst zu übernehmen“ (fol. 23). 71 Siehe die Zeitungsberichte in Schneider, Manfred: Brixentaler Flurritt 1939–44, http://www.musikland-tirol.at/ARGE-NS-Zeit/ploner/brixentalerflurritt-1939-44.html (Zugriff 30.8.2013). 72 Siehe die Zeitungsberichte in Schneider, Manfred: Anmerkungen, http://www.musikland-tirol.at/ARGE-NS-Zeit/ploner/anmerkungen.html (Zugriff 30.8.2013). 73 f. o.: Fester Zusammenhalt in der Dorfgemeinschaft. Der erste Dorfgemeinschaftsabend in unserem Gau – Kulturarbeit im Dorf auch in der Kriegszeit, in: Innsbrucker Nachrichten, 30.1.1940, S. 4. 74 G.: Der erste Dorfgemeinschaftsabend im Alpbachtal. Altes Brauchtum in lebendiger Ueberlieferung – Gäste aus allen deutschen Gauen – Ein ­farbenfrohes Bild alter Trachten, in: Innsbrucker Nachrichten, 2.4.1941, S. 5. 75 gd.: Walchsee. Dorfgemeinschaftsabend [der lokalen NSDAP-Ortsgruppe], in: Innsbrucker Nachrichten, 27.3.1941, S. 6. 76 gd.: Kitzbühel. Dorfgemeinschaftsabend [der lokalen NSDAP-Ortsgruppe], Innsbrucker Nachrichten, 17.9.1941, S. 4. 77 gd.: Lermoos. Dorfgemeinschaftsabend [der lokalen NSDAP-Ortsgruppe], in: Innsbrucker Nachrichten, 18.11.1941, S. 4. 78 [ohne Verf.]: Dorfgemeinschaftsabend in Tarrenz, Innsbrucker Nachrichten, 3.2.1942, S. 3. 69 61 5. Anmerkungen zur Funktionalität Kapellen schwerwiegende Verluste und Ausfälle hinnehmen, der Blasmusik im Gau Tirol-Vorarlberg doch Franz Hofer irrte wohl nicht, als er am 7. Juli 1942 anlässlich des „5. Landesschießens“ öffentlich äußerte: Die Blasmusikpflege wird aufgrund des Blasmusikreper- „Trotz der durch den Krieg bedingten Erschwerungen ist das toires, das neben „traditional music“ und Popularmusik Landesschießen in Innsbruck heute eindeutig das größte auch komponierte Märsche, Arrangements von kunst­ Schützentreffen, das Deutschland kennt und trotz Krieg und musikalischen Werken und Originalkompositionen für Blas- aller Schwierigkeiten sind im Gau fast 200 Standschüt- instrumente umfasst, gewöhnlich nicht zu den Bereichen der zenmusikkapellen noch spielfähig. Wo die waffenfähigen Volksmusik gezählt. Da die Blasmusikforschung überwiegend Männer fehlen, finden sich überall Alte und Junge, die in die andere Themen bearbeitet als die Volksmusikforschung, Lücken einspringen. In dieser Bereitschaft, sich für andere wäre die Frage der Funktionalisierung der Blasmusik im zur Verfügung zu stellen, offenbart sich aber das Gemein- Gau Tirol-Vorarlberg somit ein eigenes und übrigens drin- schaftsgefühl, das in wenigen Jahren in unserem Volke gend zu behandelndes Thema. Aufgrund der thematischen wieder geweckt und in ungeahntem Maße vertieft wurde. Nähe der Blasmusikpflege zur Volksmusikpflege gerade Auch hier offenbart sich der große Wandel, den wir einem in der NS-Zeit in Tirol seien an dieser Stelle trotzdem einige einzigen Manne verdanken, von dem eine wunderbare Kraft Anmerkungen gestattet. ausgeht, die uns zu Leistungen befähigt, die wir ohne Adolf Als Betreuer zahlreicher studentischer Arbeiten an der Hitler niemals hätten schaffen können.“79 Universität Mozarteum über Tiroler Dorfmusikkapellen Ähnlich äußerte sich noch knapp vor Kriegsende Sepp konnte ich immer wieder feststellen, dass die Tiroler Tanzer, Gaumusikleiter, Musikreferent des Standschützenver- Musikkapellenchroniken für die Jahre 1938–1945 meist bandes und Leiter der „Fachschaft Volksmusik in der Reichs- keine Aufzeichnungen (mehr) enthalten. Fast in jeder Tiroler musikkammer für den Gau Tirol-Vorarlberg“: „Der Wehrwil- Musikkapellenchronik ist zu lesen, die Kapelle habe infolge len [sic] und die Wehrhaftigkeit unserer Heimat drücken sich des Krieges und der Einziehung ihrer Mitglieder zur Wehr- nicht nur in der Waffenbeherrschung und im Schießwesen macht ihr Wirken einstellen müssen. Die Eingliederung aus, sondern auch in der Pflege der Blasmusik. Seit dem der Musikkapellen in den Standschützenverband, wo sie in Mittelalter hat sich die Blasmusik im Rahmen der Wehrhaf- Wahrheit fortbestanden, wird heute fälschlich als Auflösung tigkeit langsam zu jener heldisch tönenden Harmonie entwi- der Kapellen bezeichnet. ckelt, wie sie in den klangvollen Kapellen der heutigen Zeit Folgt man jedoch den Berichten in den Zeitungen der NS- Ausdruck findet. […] Von den etwa 6000 Blaskapellen des Zeit, bietet sich ein Bild höchster Aktivität im blasmusika- Großdeutschen Reiches befinden sich ungefähr 1250, das lischen Sektor. Bei jedem Landesschießen, Kreisschießen, ist über ein Fünftel, allein in den Alpen- und Donaugauen. bei jeder Sammlung für das Winterhilfswerk, bei jedem Fest Davon entfallen [sic] auf unseren Gau ungefähr ein Viertel; zum Führergeburtstag usw. zeigten sich marschierende, und somit steht der Gau Tirol-Vorarlberg mit über 300 Kapel- Wertungsspiele austragende, Kameradschaftsabende len an der Spitze aller Gaue.“80 Tirol-Vorarlberg ein Gau der und Dorfgemeinschaftsabende gestaltende Standschüt- Blasmusik – eine damals wohl nicht uninteressante Perspek- zenmusikkapellen, und man entnimmt den Medien oft tive für die kulturelle Identitätskonstruktion im Vergleich zu detaillierte Beschreibungen von Musikkapellenkonzerten. den anderen Gauen, von denen sich der Gau Tirol-Vorarlberg Zwar mussten mit Fortschritt des Krieges tatsächlich viele ja abheben wollte. kth.: Großdeutschlands größtes Schützentreffen. Der Großappell „Heimat in Waffen“ auf dem Adolf-Hitler-Platz – Ein machtvolles Bekenntnis zum Führer und zum großdeutschen Freiheitskampf, in: Innsbrucker Nachrichten, 7.7.1942, S. 6. 80 Tanzer, Sepp: Der Aufbau der Standschützenkapellen, in: Alpenheimat. Familienkalender für Stadt und Land 1945, S. 43. 79 62 Diese Aussagen sind angesichts der bisher schlechten For- unternahmen, manchmal eklatant ist. Eine detailliertere schungslage bemerkenswert, und die Quellen sind geeignet, Kenntnis der historischen Fakten, das Wissen um die politi- das Märchen vom Untergang der Tiroler Blasmusik während sche Instrumentalisierbarkeit der Volks- und Gebrauchsmusik der NS-Zeit zu widerlegen, zumal – und ich spreche hier aus während der NS-Zeit, auch ein Gespür für Fragen der Ideolo- meiner Erfahrung als Universitätslehrer – der Mangel an gie bzw. Ideologisierung von Musik, all dies könnte zu einer historischer Sensibilität bei jungen Musikstudierenden, die Bewusstseinsbildung besonders innerhalb der Blas­musik- sich mit der Entwicklungsgeschichte jener Kapellen befas- und Volkmusikszene, sowohl bei den Musikantinnen und sen wollen, in denen sie ihre ersten musikalischen Schritte Musikanten als auch bei ihrem Publikum, beitragen. 63 Abb. 1: Film-Still aus: 6. Landesschießen 1943 Innsbruck, Produktion: Uli Ritzer, Musik: Sepp Tanzer, Österreich (1943) Ton, Farbe. Das 6. Landesschießen 1943 war eine Großveranstaltung in Innsbruck vom 4. bis 18. Juli 1943. Behemoth und die Musik Anmerkungen zum Kulturleben des „Unstaats“ und zum unterirdischen Fortwirken der Wiener Schule Gerhard Scheit Abstract gen, zu bejahenden Ungeheuer, nämlich dem Souverän als anerkanntem Gewaltmonopol; bei Neumann ist der moderne In the analysis of the musical culture in the Nazi state, this Behemoth der Nationalsozialismus, den zu bekämpfen der article refers to findings that Franz L. Neumann presented Autor selber in die Dienste des US-amerikanischen Souve- in his study on National Socialism. Therefore, the focus lies räns trat. Schon dieser Titel und diese Anspielung – vom on the correlation between the “utmost lack of shape”, a Engagement beim US-Geheimdienst ganz zu schweigen – sort of gang culture that characterised the musical policies, müssen irritierend wirken für Faschismustheoretiker, die and the fact that everything concerning them – even musical mehr oder weniger von einer „Diktatur des Finanzkapitals“ aesthetics – was directed at the persecution and eradication ausgehen, um sich nationalsozialistische Herrschaft zu of the Jews. erklären. Dabei wollte auch Neumann eigentlich beweisen, dass der Nationalsozialismus seinem Wesen nach als ein kapitalistischer Staat zu betrachten sei, nicht unterschieden I von dem des 19. Jahrhunderts, wenn auch in seinen Erscheinungsformen geprägt von den neuen Tendenzen der „mono- Es gibt ein Buch über den Nationalsozialismus, dessen polkapitalistischen“ Phase. Aber wie es so geht mit dem Bedeutung für die Analyse der Kulturpolitik und des Musik­ Beweisen in der Kritischen Theorie, der sich der einstige lebens im NS-Staat noch kaum begriffen wurde. Kein Wun- Anwalt für Arbeitsrecht seit seiner Flucht aus Deutschland der, denn dieses Buch, obwohl es schon 1942 zum ersten angenähert hatte, die Durchführung bringt zugleich anderes Mal erschien und einige Berühmtheit erlangte, ist doch noch zutage als das zu Beweisende: So gelangte er, gegen seine immer so gut wie unbekannt. Die Linke vor allem hat es nie Intention, zu der Erkenntnis, dass der Nationalsozialismus wirklich rezipiert, denn sonst wäre ihr das Erklärungsmodell „kapitalistisch und antikapitalistisch zugleich“ sei: „Er ist ihrer Faschismustheorien abhandengekommen. Dabei ist autoritär und antiautoritär […] er ist für und gegen das der Autor dieses Buchs durchaus als ein Linker zu verstehen: Privateigentum.“1 So sehr Neumann sich auch mühte, diesen Franz Leopold Neumann. Er gab ihm den Titel Behemoth und Doppelcharakter direkt aus der Ablösung des Konkurrenz­ spielte mit dem Namen des biblischen Ungeheuers auf die kapitalismus durch den Monopolkapitalismus abzuleiten, der Schrift von Thomas Hobbes über den englischen Bürgerkrieg Blick auf die politischen Strukturen in Hitlerdeutschland, die an. Bei dem englischen Philosophen firmierte Behemoth von allen anderen politischen Formen kapitalistischer Krisen­ damit als negatives Gegenbild zu Leviathan, dem notwendi- bewältigung, wie sie sich etwa in den USA entwickelten, 1 Neumann, Franz: Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933–1944, hg. von Gert Schäfer, Frankfurt am Main 1998, S. 506f. 65 abwichen, ließ eine solche Deduktion im Grunde nicht zu und Ganz ähnlich wie Neumann, aber ohne auf ihn Bezug zu erforderte, das Ineinander kapitalistischer und antikapita- nehmen, beschrieb schließlich Hannah Arendt die Elemente listischer Formation zu verdeutlichen, und das hieß letztlich: und Ursprünge totaler Herrschaft. Wie breit und nachhaltig die innere Dynamik des Vernichtungskriegs aufzuschließen. dieses in den 1950er Jahren erschienene Buch auch rezipiert Neumann konstatiert nicht nur, dass es im Nationalsozia- wurde, gerade das, was es mit Neumanns Behemoth und lismus „ein Reich von Recht und Gesetz nicht gibt, obwohl Fraenkels Doppelstaat gemeinsam hat, blieb weitgehend Tausende von berechenbaren technischen Regeln vorhanden unbeachtet. Dabei ist es offenkundig, dass Arendt „totale sind“2, er kommt zu dem frappierenden Resultat, dass selbst Herrschaft“ ebenso – wenn auch jenseits der Marxschen Kri- von einem Staat gar nicht mehr gesprochen werden kann, tik der politischen Ökonomie – als eine durchgehende Bewe- soweit ein solcher „begrifflich durch die Einheit der von gung analysiert, die der herkömmlichen staatlichen Ordnung ihm ausgeübten politischen Gewalt definiert“ werde. „Viel geradezu entgegengesetzt ist: „Rein technisch bewegt sich eher handelt es sich um eine Bande, deren Anführer ständig die Bewegung innerhalb des totalen Herrschaftsapparats gezwungen sind, sich nach Streitigkeiten wieder zu ver- dadurch, daß die Führung das eigentliche Machtzentrum tragen.“3 Die verschiedenen Gruppen, die im Dritten Reich dauernd verschiebt, in andere Organisationen verlegt, ohne Macht ausüben, einigen „sich informell auf eine bestimmte doch darum die so entmachteten Gruppen aufzulösen […].“6 Politik“: Sodann bringen sie diese Politik „mit den ihnen zur Demnach stellt diese Bewegung im Unterschied etwa zur Verfügung stehenden Apparaten zur Durchführung. Nach faschistischen Partei in Italien im Staat selber und gegen einem über allen Gruppen stehenden Staat besteht kein dessen Einheit gerichtet „Strukturlosigkeit“ her. Dafür konnte Bedürfnis […].“ Keine der ‚Institutionen‘ besitzt die Macht die bloße „Verdoppelung aller Ämter und Instanzen in Partei- schlechthin, „jede ist nur in dem Maße mächtig, wie sie sich und Staatsinstanzen nicht genügen“ – Arendt spricht von mit einer großen Zahl anderer Institutionen im Gleichklang „Multiplikation“ und gibt dafür prägnante Beispiele.7 Weder befindet. Das gestattet dem Führer auch, eine Gruppe gegen der einfache Volksgenosse noch der Funktionär oder Beamte 4 eine andere auszuspielen.“ vermochte bei den ständig rivalisierenden Instanzen von Par- Eben dieses Nebeneinander von Partei und Staat, die Koexis- tei und Staat, von SA und SS, von SS und Sicherheitsdienst tenz der verschiedenen Instanzen und die Überschneidung usw. zu wissen, wo sich gerade die Macht befand und wel- der unterschiedlichsten Kompetenzen, die bereits Ernst che Position er selber in dem Gefüge eigentlich einnahm, da Fraenkel in seiner Studie über den Doppelstaat zum Thema es doch keine eindeutig strukturierte Hierarchie mehr gab, an gemacht hatte, konstituierten den Nationalsozialismus der man sich hätte orientieren können. Es gab im Zweifelsfall als Herrschaftspraxis und bestimmten seine Verlaufsform. immer nur den Führer und die Volksgemeinschaft. Arendt 5 4 5 6 7 2 3 66 Neumann: Behemoth (wie Anm.1), S. 541. Neumann: Behemoth (wie Anm.1), S. 554. Neumann: Behemoth (wie Anm.1), S. 542. Neumann: Behemoth (wie Anm.1), S. 556. Arendt, Hannah: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, München–Zürich 1986, S. 621–623. „So gingen die Nazis, nachdem sie erst einmal durch die Gaue die territorialen Zuständigkeiten dupliziert hatten, sofort daran, eine ganze Reihe anderer geographischer Einteilungen durchzuführen, die bestimmten innerparteilichen Divisionen entsprachen: So fiel die territoriale Zuständigkeit der SA weder mit den Gauen noch mit den Provinzen zusammen und war außerdem nochmals von derjenigen der SS geschieden; zu den SA- und SS-Territorien trat dann noch die Zone, die für die Hitlerjugend maßgebend war und die mit keiner der erwähnten Einteilungen zusammenfiel.“ Unmittelbar nach dem Reichstagsbrand lag „alle Macht bei der SA, mit der verglichen Gauleiter und andere Parteifunktionäre nur scheinbare Macht besaßen. Die Verschiebung der Macht von der SA auf die SS vollzog sich im Anschluß an die Liquidierung der Röhm-Fraktion im Sommer 1934, und zwar dadurch, daß die SS mit der Erschießung der SA-Truppen betraut wurde. […] Innerhalb der SS begann dann natürlich wieder das gleiche Spiel. Gegen die Allgemeine SS wurden die Verfügungstruppen und dann die Totenkopfverbände gegründet, denen gegenüber wieder die Allgemeine SS die Fassade bildete.“ Arendt: Elemente (wie Anm. 6), S. 623f. spricht darum von „einer Art sechster Sinn“, der ihnen allein aggressiven Expansion den „totalen Feind“ (Carl Schmitt) sagen konnte, wessen Befehl sie wirklich zu gehorchen ebenso bedingt als voraussetzt, den Feind, den man sich in hatten und um wen sie sich nicht mehr zu kümmern brauch- der „Gegenrasse“ (Alfred Rosenberg) geschaffen hat. Erst in ten. „Andererseits waren diejenigen, welche die Befehle einer Bemerkung der zweiten Auflage von 1944 tastet sich durchzuführen hatten, welche die Führung im Interesse der Neumann vor zu der Erkenntnis, wonach die „Teilnahme an Bewegung für wirklich notwendig hielt – und solche Befehle einem so ungeheuren Verbrechen wie der Ausrottung der wurden natürlich im Unterschied zu staatlichen Maßnah- Ostjuden […] die deutsche Wehrmacht, das deutsche Beam- men nur den Eliteformationen der Partei anvertraut –, nicht tentum und breite Massen zu Mittätern und Helfern dieses wesentlich besser daran. Solche Befehle wurden zu­meist Verbrechens“ mache und „es ihnen daher unmöglich“ sei, ‚absichtlich unklar gegeben in der Erwartung, der Befehls- „das Naziboot zu verlassen“.11 empfänger werde den Willen des Befehlsgebers erkennen Die zeitgeschichtliche Forschung über den NS-Staat hat und danach handeln‘; denn die Eliteformationen waren in den letzten Jahrzehnten zwar Erkenntnisse Neumanns keineswegs daran gehalten, in jedem Fall dem Befehl des (wie auch Fraenkels und Arendts) durchaus adaptiert, aber Führers zu gehorchen (dies galt ohnehin für alle Instanzen), gerade diesen Zusammenhang, der sich zwingend aus der sondern den ‚Willen der Führung zu vollziehen‘, und dies Dynamik des Behemoth ergibt, ins positivistische Streitge- war, wie man sich in den langwierigen Verhandlungen über spräch zwischen „Intentionalisten“ und „Funktionalisten“ ‚Ausschweifungen‘ vor den Parteigerichten überzeugen kann, aufgelöst. Das war nur möglich, weil sie sich die Frage der keineswegs immer dasselbe. Der Unterschied war nur, daß Einheit des Prozesses, die Frage des Staats, mithin des die Eliteformationen in einer für solche Zwecke bestimmten Verhältnisses von Staat und Kapital, weder auf der einen Schulung gelernt hatten, aus ‚Andeutungen‘ ‚mehr herauszu- noch auf der anderen Seite stellte. Dagegen wäre auf die lesen, als wörtlich gesagt ist‘.“ radikale Fragestellung jener Studie zurückzugreifen, die Soweit Franz Neumann nun in dieser Strukturlosigkeit, ausgesprochen oder unausgesprochen einen Begriff des die er „äußerste Formlosigkeit“ nennt, keine Schwäche, Ganzen als des Unwahren voraussetzt – wie insbesondere sondern „eine Stärke des Systems“ erkennen kann, wird an Theodor W. Adornos später Würdigung Franz Neumanns auch erkennbar, dass „das ganze System die unaufhörliche deutlich wird: Dessen Idee des Behemoth sei den „Ober­ aggressive Expansion notwendig bedingt“.9 Diese Expansion flächenvorstellungen vom monolithischen Faschismus schroff ist ihrerseits ebenso kapitalistisch wie antikapitalistisch: entgegengesetzt“, indem es nämlich offenlegte, dass „der Denn die Mittel für sie können unmöglich durch Handel mit nationalsozialistische Staat, der sich als total-einheitlich anderen Staaten auf dem Weltmarkt erworben werden, propagierte, in Wahrheit pluralistisch war. Die politische „das läßt sich nicht mehr durch rein ökonomischen Tausch Willensbildung stellte sich her durch die planlose Konkurrenz bewerkstelligen, sondern nur noch mit Hilfe politischer mächtigster sozialer Cliquen […] Die Gesellschaft, unfähig, Beherrschung, die jene Staaten in das deutsche Währungs- in freier Bewegung länger sich zu reproduzieren, bricht 8 system eingliedert“. Es lag allerdings noch außerhalb des auseinander in diffuse barbarische Vielheit, das Gegenteil Horizonts dieser wohl wichtigsten Studie über den Natio- jener versöhnten Vielfalt, die allein ein menschenwürdiger nalsozialismus, dass jenes „ganze System“ der unaufhörlich Zustand wäre.“12 10 Arendt: Elemente (wie Anm. 6), S. 623. Neumann: Behemoth (wie Anm. 1), S. 546. 10 Neumann: Behemoth (wie Anm.1), S. 338. 11 Neumann: Behemoth (wie Anm.1), S. 583. 12 Neumann: Behemoth (wie Anm.1), S. 702. 8 9 67 II solchen Vernichtungskriegs bildeten. Dass sie dabei selbst noch autonom blieben, gehört aber zum Wesen dieser, auf Für diese barbarische Vielheit bietet nun das Musikleben die unbedingte Vernichtung ausgerichteten Herrschaft und des Dritten Reichs reiches Anschauungsmaterial. Form- zeigt sich auf besonders eklatante Weise bei den Wiener losigkeit und Bandenwesen wurden generiert durch den Philharmonikern. systematischen Abbau institutioneller Regelung, bzw. Es überrascht zunächst nicht, dass der Orchestervorstand durch die Überlagerung ständig neuer technischer Regeln Hugo Burghauser, der den Nazis wegen seiner Nähe und Zuständigkeiten, so dass die eine die andere jeder- zur österreichischen Regierung verhasst war, schon am zeit unwirksam machen konnte, der harmlose Ausdruck 12. März 1938, also noch vor der eigentlichen Proklamation dafür lautet Kompetenzwirrwarr. Dadurch steigerte sich des Gesetzes zur Wiedervereinigung Österreichs mit dem die Rivalität, also der Konkurrenzkampf der einzelnen Deutschen Reich, aus dem Amt gedrängt wurde. Der Kontra­ Institutionen des Musiklebens, der ohne regulierende Ver- bassist Wilhelm Jerger präsentierte kurzerhand ein Schrei- mittlungsformen ablief. Jeder versuchte zu erraten, was ben der Parteileitung, das ihn als kommissarischen Leiter der Nationalsozialismus in der Musik bedeutete, was der des Orchesters auswies. Jerger war seit 1932 Parteimitglied, Führerbefehl auf diesem Gebiet hieß, niemand konnte es seit 1938 bei der SS, 1939 sollte er zum Ratsherrn der Stadt eindeutig wissen – und doch wussten alle, dass es gegen Wien aufsteigen. die Juden ging. Dieses permanente Hauen und Stechen, um Signifikant ist jedoch, dass es in der Folge zu keiner Ver- sich im nächsten Moment ohne Verträge wieder zu vertra- einsauflösung kam. Kurzzeitig war zwar die Löschung und gen, dieses wechselseitige Denunzieren und Arrangieren Eingliederung des Vereins der Wiener Philharmoniker in zwischen Dirigenten, Orchestermusikern, Musikkritikern, die Staatstheater und Bühnenakademie vorgesehen, doch Intendanten, Parteifunktionären und Staatsbeamten konnte Goebbels entschied sich wohlweislich für die Beibehaltung der Film Taking Sides – Der Fall Furtwängler (2001) von der vereinsrechtlichen Selbständigkeit der Wiener Philhar- István Szabó auf erstaunliche Weise sichtbar machen. Was moniker, jedoch unter der Voraussetzung, dass die Satzungen die wissenschaftliche Dokumentation betrifft, gibt die erste nationalsozialistischen Grundsätzen entsprechend geän- grundlegende Studie über die Musik im NS-Staat, die Fred dert werden und der Verein seiner unmittelbaren Aufsicht K. Prieberg 1982 vorlegte, gerade in ihrer völlig unsystemati- subordiniert wird. So hieß es dann auch ganz im Sinne des schen, ja willkürlichen Darstellungsweise wohl noch immer Behemoth: „Die Organisation behält ihre Selbständigkeit und den besten Einblick in das Chaos des Musikbetriebs und der wird der Aufsicht des Reichsministers für Volksaufklärung ästhetischen Debatten, das sich notwendig aus der „äußers- und Propaganda, Berlin, unterstellt.“14 Dass das eine das ten Formlosigkeit“ des NS-Staats ergab. andere notwendig ausschließt, dieses Gesetz des logischen So verwandelten sich etwa Orchesterapparate in „Rackets“ Denkens und des Leviathan gilt im Dritten Reich eben nicht. (Max Horkheimer), und das ist in bestimmter Hinsicht noch Im Gegenteil: die Unterstellung unter die Aufsicht des Pro- zu wohlmeinend ausgedrückt. Schlimmer als kriminelle pagandaministers musste selbst noch konterkariert werden: Organisationen, die wenigsten rationale Ziele haben, Schon Seyß-Inquart äußerte in einem Schreiben von Anfang nämlich Beute und nicht Vernichtung um der Vernichtung 1939 an den Chef der Reichskanzlei Lammers, der Führer willen, waren die NS-Orchester tatsächlich insofern, als sie habe betont, dass die Selbständigkeit der Wiener Kultur- Hilfs-Apparate zur Vorbereitung und Unterstützung eines und Kunsteinrichtungen das Hauptziel der Regelung sein 13 13 14 Prieberg, Fred K.: Musik im NS-Staat, Frankfurt am Main 1982. Zit. nach Trümpi, Fritz: Politisierte Orchester. Die Wiener Philharmoniker und das Berliner Philharmonische Orchester im Nationalsozialismus, Wien–Köln–Weimar 2011, S. 136. 68 müsse, und er habe Bedenken, diese Einrichtungen, wozu die „hohe Kunst“ zum Eigentum der Volksgemeinschaft zu ausdrücklich die Wiener Philharmoniker gezählt werden, ins machen, sogar eine wesentliche Rolle. Vom Bezugspunkt des Reichseigentum zu übernehmen. Lammers seinerseits ließ gemeinsamen Standortes „Groß-Wien“ aus, den es gegen ebenso mitteilen, dass der Führer tatsächlich beabsichtige, andere Standorte des Dritten Reichs im inner-national­ die gesamten ostmärkischen Kunst- und Kultureinrichtungen sozialistischen Konkurrenzkampf der Länder und Gemeinden, einem selbständigen Referat mit Sitz in Wien unter Los­ Organisationen und Instanzen zu verteidigen galt, gelang es lösung von dem Geschäftsbereich des Reichsministeriums erst, die verschiedenen disparaten Musik- und Kunstformen für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung zu unterstel- so zu verschmelzen, dass sie nicht mehr die Einheit der len. Doch auch dieser Entscheid beließ, wie Fritz Trümpi Volksgemeinschaft gefährden konnten und jeder einzelne schreibt, „genügend Spielraum, um die involvierten Instan- „Volksgenosse“ in die Lage versetzt wurde, über dieses zen weiterhin um die Zuständigkeit für die ‚Wiener Kunst Eigentum mit dem nationalsozialistischen Staat sich zu und Kulturinstitute‘ ringen zu lassen“.15 Es rief Goebbels auf identifizieren. Dazu war es eben nötig, auch im Kleinen, den Plan, der dem Reichsinnenminister mitteilte, dass nach Regionalen, gewisse lokalpatriotische Identitäten aufzu- der Entscheidung des Führers die Theater des früheren Lan- greifen, weiter auszubilden und anzubieten. Besonders die des Österreich als Reichstheater zu führen seien. Daraufhin Organisation „Kraft durch Freude“ (KdF) war der Schauplatz sprach der Reichsinnenminister Frick beim Führer vor, der für solchen Identitäts-Wettstreit. Das Spektrum reichte vom dann in Gegenwart des Reichsleiters Bormann erklärt hat, Festkonzert der KdF im Konzerthaus bis zum Auftritt promi- dass zur Erzielung höchster Kulturleistungen die Leitung der nenter Künstler in der Fabrik. Wiener Kunstinstitute möglichst unabhängig von Berlin in Der Musik-Standort Wien wird zu einer ganze besonderen Wien liegen solle. Goebbels gab natürlich nicht auf – und Qualität innerhalb der Volksgemeinschaft erhoben: Wien übte nun Druck aus über die Frage der Haushaltsausgaben allein bedeute neben dem Nationalen eine eigene Kategorie der Wiener Theater. Die ‚Kompetenzstreitigkeiten‘ hielten von Musik: Es gebe „wohl eine Musik der Nationen, aber demnach unvermindert an, trotz Hitlers scheinbar definitiver es gibt keine Musik der Städte, es gibt einzig und allein Entscheidung, denn sie bildeten ja die Bewegungsform der eine Wiener Musik“. Auffällig ist der dabei angeschlagene NS-Kultur. Der Antagonismus zwischen Berlin und Wien war Ton, die Rede ist nämlich von „dieser fraulichen, ein wenig geradezu intendiert, er wurde als Mittel zur Herrschaftssi- in sich selbst verliebten Stadt“17. Bekanntlich hat Adolf cherung erkannt und ausgebaut. Und unterhalb solcher domi- Hitler immer wieder den Massen weibliche Eigenschaften nierender Polaritäten waren schließlich die kleineren, etwa zugeordnet. Wien aber präsentiert sich in den Kommentaren zwischen der Tiroler und der Wiener Musikpolitik, wirksam. des gleichgeschalteten Musikfeuilletons als eine Art Essenz Ideologisch bedeutete dies, dass die Eigenart des Wieneri- der Massen. (Die Gestalt Schuberts, von der entsprechende schen oder Österreichischen bzw. Ostmärkischen geradezu Klischees vorgeprägt sind, wird dabei übrigens besonders forciert, ja bisweilen neu erfunden wurde – ganz im Gegen- gerne verwendet, diese ideologische Form zu personifizie- satz zu der nach 1945 gepflegten Imagination von der Aus­ ren.) löschung oder Verneinung einer österreichischen Eigenart im Der Standpunkt dieser Art „Musikbetrachtung“ ist hier Nationalsozialismus. Die Berufung auf solche spezifischen überhaupt der des überraschend nahegerückten „Führers“, Traditionen spielt in dem nationalsozialistischen Projekt, der das Wiener Publikum als weibliches Subjekt anspricht 16 Trümpi: Politisierte Orchester (wie Anm. 14), S. 165. Vgl. hierzu Scheit, Gerhard: Musik-Standort Wien im Dritten Reich, in: Ilja Dürhammer/Pia Janke (Hg.): Die „österreichische“ nationalsozialistische Ästhetik, Wien–Köln–Weimar 2003, S. 221–234. 17 Meinl, Johanna: Musik aus Wien, in: Völkischer Beobachter, 14.12.1943. 15 16 69 und gerade in der Hervorhebung der tadelnswerten Eigen- Instanzen sich zu behaupten, und auch hier jenen „sechsten schaft des In-sich-selbst-Verliebtseins seine exklusive Nähe Sinn“ zu entwickeln, von dem Hannah Arendt spricht, zeigt und intime Kenntnis artikuliert. Die Musik dient nicht dazu, das Schicksal des Wiener Kulturfunktionärs Aurel Wolfram. Differenzen regionaler oder sozialer Art innerhalb der Gesell- Er wurde nach dem „Anschluß“ als Referent der Kultur­ schaft des Nationalsozialismus einfach zum Verschwinden abteilung im Reichspropagandaamt eingesetzt und mit der zu bringen, vielmehr Distinktionen zu befestigen und zu Sonderaufgabe betraut, die Verbindung mit Berlin herzustel- schaffen, an deren Überwindung sich dann die Einheit der len. Er war auch der einzige externe Vertreter im Komitee Volksgemeinschaft bewährt. der Wiener Philharmoniker, nahm also an dessen Sitzungen Eines der besten Beispiele hierfür ist die Etablierung der teil. Dies wurde offenkundig nicht oktroyiert, der Referent Strauß-Walzer Tradition der Wiener Philharmoniker, die im vielmehr einstimmig von den Mitgliedern in das Leitungs­ Konzept der regelmäßigen Konzerte zum Jahreswechsel gremium gewählt.20 Wolfram schrieb nun im September gipfelte: Zu Silvester 1939 fand sozusagen das erste Neu- 1940 einen Artikel fürs Neue Wiener Tagblatt unter dem jahrskonzert statt. (Es ist einigermaßen bezeichnend, dass Titel: „Wien – Refugium der deutschen Seele. Vom wachen es eines Schweizer Autors, Fritz Trümpi, bedurfte, den Öster- und vom weisen Blut“, worin er die Wiener Eigenart, wie reichern dieses Faktum wieder in Erinnerung zu rufen. ) Der sich herausstellen sollte, dann doch viel zu scharf gegenüber Gauleiter von Niederdonau drückte in einem Schreiben an der Berliner betonte: „Berlin ist der Kopf des deutschen Kör- den Staatssekretär für Inneres und kulturelle Angelegenhei- pers und morgen – der des Kontinents. […] Berlin hat vieles ten die gleichsam ‚multikulturelle‘ Konzeption des Behemoth gemeinsam mit dem Amerikanismus. Es gleicht tatsächlich in dieser Hinsicht sehr prägnant aus, wenn er sagt, „daß einem Selfmademan, ganz aus sich selbst gewachsen. […] wir unser spezifisches ostmärkisches Kunstprofil erhalten Doch unwillkürlich stellt man die Frage: Wird das immer müssen, weil nur aus der Bipolarität Berlin Wien heraus die so gehen? […] Für alles was Innigkeit, Gemüt, Seele heißt, Mobilisierung aller seelischen und künstlerischen Kräfte des besteht da auch nicht der kleinste Schlupfwinkel mehr? […] 18 deutschen Volkes erfolgen kann“. So reisten zum Zweck Mögen kühner Unternehmungsgeist, straffe Zusammenfas- dieser Mobilisierung die Wiener Philharmoniker wenige sung aller Kräfte nach außen jetzt und fürderhin Vorrecht Monate nach ihrem ersten ‚Neujahrskonzert‘ zum Wehr- Berlins sein – Wiens Ziel und Weg liegen in andrer Richtung, machts-Konzert nach Krakau, das gerade zur Hauptstadt des vorzusorgen und sich bereit zu halten für jenen Tag, um zu Generalgouvernements Polen geworden war und wo nun die werden, wozu es urbestimmt: zum Hort wesenhafter Bewäh- Vernichtung der Juden in Gang gesetzt wurde. rung, zur Hauptstadt des inneren Reiches, zum Refugium der 19 deutschen Seele.“21 Das ging zu weit. Schon allein, dass der Autor Berlin in die III Nähe des Amerikanismus rückte, war untragbar, denn hier wurde die Grenze dessen überschritten, was als Rivalität Wie schwierig es aber für den Einzelnen sein konnte, in der möglich war; hier fand sich, indem das Feindbild berührt Bipolarität des „Unstaats“ (Neumann), in dem ‚Hick Hack‘ wurde, wie es sich gerade in diesen ersten Kriegsjahren zwischen den „Rackets“ und der Rivalität der einzelnen konkretisierte – das von ‚den Juden‘ unterwanderte und Vgl. Trümpi: Politisierte Orchester (wie Anm. 14), S. 256. Trümpis Buch löste bei den Wiener Philharmonikern geradezu einen Schub an Vergangenheitsbewältigung aus, über deren Resultate allerdings Zweifel angebracht sind. Denn dass sie zu spät kommen, prägt zwangsläufig auch ihre Inhalte, wenn gerade die Tatsache, dass etwas unwiederbringlich versäumt wurde, nicht reflektiert wird, nicht Eingang ins Resultat findet. 19 Zit. nach Rathkolb, Oliver: „Führertreu und Gottbegnadet“. Künstlereliten im Dritten Reich, Wien 1991, S. 52. 20 Vgl. hierzu Trümpi: Politisierte Orchester (wie Anm. 14), S. 169f. 21 Wolfram, Aurel: Wien – Refugium der deutschen Seele. ‚Vom wachen und vom weisen Blut‘, in: Neues Wiener Tagblatt, 29.9.1940. 18 70 beherrschte Amerika –, die tatsächliche Einheit des Dritten ‚Abstammung‘ publik geworden, Wien hätte schlagartig Reichs in Frage gestellt. Goebbels gab Schirach sofort Voll- sein Markenzeichen verloren: Das schier unübersehbare und macht, Wolfram seines Amtes zu entheben und ihn sogar in überaus wirkungsmächtige Schaffen jenes Heros von Wiener Gewahrsam zu nehmen. Er schrieb damals in sein Tagebuch: Innigkeit, Gemüt und Seele wäre – samt dem von Vater und „Das fehlte noch, daß nun meine eigenen Dienstorgane in Bruder – plötzlich als „verjudet“ ruchbar gewesen und die Wien anfangen, gegen das Reich und gegen Berlin öffentlich Wiener Philharmoniker hätten etwa kaum noch genügend zu stänkern.“ Das heißt natürlich nicht, dass Goebbels damit Programme für ihre Neujahrskonzerterfindung zusammen- grundsätzlich als Gegner der Forcierung ostmärkischer und stellen können, um identitätsbildend zu wirken. So gesehen Wiener Eigenart zu betrachten wäre. Ganz im Gegenteil: im erscheint der Antisemitismus wie ein taktisches Kalkül: März 1942 notierte er anlässlich des Schwerpunkts, den Furt- als ob man selbst nicht daran glaubte, dass die Musik von wängler mittlerweile auf seine Arbeit in Wien gelegt hatte: Strauß durch die Tatsache der jüdischen Vorfahren des „Ich begrüße das sehr, denn Wien hat es nötig. Überhaupt Komponisten geprägt sein könnte. Aber ein Deutscher, so halte ich es für richtig, daß der künstlerische Charakter Wiens Adorno, ist eben „ein Mensch, der keine Lüge aussprechen mit der Zeit stärker und stärker zum Ausdruck kommt. Diese kann, ohne sie selbst zu glauben“.27 Stadt hat politisch so viel aufgeben müssen, daß man ver- Um solche Deutschheit handelt es sich auch bei dem Kampf- suchen muß, ihr dafür künstlerisch und kulturell Äquivalente begriff der „entarteten Musik“: Man benötigte innerhalb zu bieten.“ Wolfram selbst fand nach der Affäre um seinen der Musik selbst ein Äquivalent des Judentums, etwas Artikel auch bald wieder einen Platz im ständig wachsenden Benennbares, das mit der Abstammung zu tun hat, das sich Dickicht der Rackets, als Archivar bei der Stadt Wien wurde letztlich aus dem Verhältnis zum Judentum ergeben sollte, er im April 1941 Vorstand des neu gegründeten „Sonderrefe- aber zugleich mit der Abstammung nicht völlig identisch rats für Wiener Theatergeschichte“ , er konnte schließlich war, sodass also prinzipiell auch nichtjüdische Komponisten 22 23 24 einen Aufsatz über die Geschichte der Wiener Philharmoniker dafür haftbar gemacht werden konnten, „verjudete“ Musik für den Jubiläumsband des Orchesters von 1942 beisteuern zu ­schreiben. Auch hier herrschte keine verbindliche Regel. und gab 1943 das Buch Glaube an Wien heraus, in dem man Werke von Berg- und Schönberg-Schülern, soweit diese sogar eine Fortführung seines Artikel von 1940 sehen kann: nicht dem Judentum eindeutig zugeordnet werden konnten, „Ein ehrliches Bemühen, sich in Wesens- und Sinnesart der wurden von Aufführungen durchaus nicht grundsätzlich anderen hineinzuversetzen,“ erscheint dem gebeutelten Wie- ausgeschlossen. So waren ab und zu einzelne Stücke von ner Volksgenossen „als wichtigste Voraussetzung, einander Hans Erich Apostel und Winfried Zillig bei öffentlichen näherzukommen. Wir Wiener haben es daran wohl nie fehlen Konzerten zu hören. Wie also die „Nürnberger Gesetze“ lassen.“26 gewissermaßen ins rein ‚Ästhetische‘ zu übertragen wären, Das Prekäre der Bipolarität von Berlin und Wien im NS-Kul- darüber gab es immer wieder mehr oder weniger deutliche turleben zeigt sich umgekehrt auch am eminenten Interesse, Auseinandersetzungen, nicht nur zwischen den Vertretern die Dokumente, die auf die jüdischen Vorfahren der Familie der Goebbels-, Schirach- und Rosenberg-Lager, sondern Strauß verweisen, verschwinden zu lassen. Wäre diese innerhalb dieser Lager selbst. Der Grad, in welchem Musik 25 24 25 26 Fröhlich, Elke (Hg.): Die Tagebücher von Joseph Goebbels, Teil I, Aufzeichnungen 1924–1941, Bd. 4, München u. a. 1987, S. 353. Fröhlich, Elke (Hg.): Die Tagebücher von Joseph Goebbels, Teil II, Diktate 1941–1945, Bd. 2, München u. a. 1996, S. 469. Vgl. Trümpi: Politisierte Orchester (wie Anm. 14), S. 170. Wolfram, Aurel: Wien und die Philharmoniker, in: Wiener Philharmoniker (Hg.): Wiener Philharmoniker 1842–1942, Wien–Leipzig 1942, S. 28–47. Wolfram, Aurel: Glaube an Wien, zit. nach Rebhann, Fritz H.: Wien war die Schule, in: Das einsame Gewissen. Beiträge zur Geschichte Österreichs 1938 bis 1945, Band VIII, Wien–München 1978, S. 38. 27 Adorno, Theodor W.: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hg. von Rolf Tiedemann, Bd. 4, Frankfurt am Main 1997, S. 124. 22 23 71 als „entartet“ und damit „verjudet“ gelten sollte, war nicht möglich, sich zu neueren polyphonen Tendenzen in der Musik festzulegen, auch nicht die Art und Weise, wie es nach- zu bekennen, nicht ohne dies aber unmittelbar mit der Rasse zuweisen wäre – all das musste in den Rivalitätskämpfen zu begründen: „In großen Zusammenhängen gesehen, scheint verschiedener Rackets des Musikbetriebs sich erweisen, sich aber heute in der Hinwendung zur polyphonen Schreib- gleichsam ermittelt werden, ohne dass es dafür Regeln weise der Urtrieb nach einer Ornamentik zu äußern, wie sie oder Gesetze gegeben hätte, außer eben die „Nürnberger nach neuesten Feststellungen der Kunstgeschichte […] für Gesetze“. Die Linie der Argumentation war also keineswegs die nordische Rasse kennzeichnend schon lange eine ihr vorgegeben, sondern ergab sich aus den Bandenkämpfen. angemessene Form des musikalischen Schaffens ist.“28 Das Zu diesem Zweck wurde – entgegen der üblichen Auffas- Zeitgenössische also ist hier das Ursprüngliche, das Neue nur sungen, die bis heute vom Nationalsozialismus kursieren – das Immergleiche: Urtrieb der nordischen Rasse. dem „Zeitgenössischen“ in der Kunst durchaus besonderes Franz Neumann spricht von der „äußersten Formlosigkeit“ in Augenmerk geschenkt und ausgesprochene Förderung der NS-Politik, die aber keine Schwäche, sondern „eine Stärke zuteil. So ist etwa im Mai 1942 in Wien eine vielbeachtete des Systems“ sei, dazu geschaffen, die Erde mit einem Ver- „Woche der zeitgenössischen Musik“ veranstaltet worden, nichtungsfeldzug zu überziehen. Diese äußerste Formlosigkeit bei der auch die Wiener Philharmoniker mitwirkten. ist auch die ideale Bewegungsform in der Eliminierung des- Anlässlich dieses Festivals sah sich ein Protagonist jener Ban- sen, was die Propaganda „entartete Musik“ bezeichnet. Von denkämpfe des Musiklebens herausgefordert, für bestimmte der Stärke des Systems profitiert die entfesselte Mittelmäßig- Elemente innerhalb der neuen Musik eine Lanze zu brechen. keit – mit Folgen, die bis in die 1960er Jahre reichen. Im Rah- Um aber an einem neuralgischen Punkt der Moderne – der men jener Woche zeitgenössischer Musik wurde Joseph Marx Kontrapunktik – das Zeitgenössische vom Entarteten zu tren- besondere Aufmerksamkeit zuteil. Im Völkischen Beobachter nen, musste der Fürsprecher einer gemäßigten Moderne zu- findet sich dazu der Artikel zum 60. Geburtstag des Kompo- nächst einmal die Juden attackieren: „In den letzten Jahrzehn- nisten, geschrieben von Erich Schenk, der zum Rosenberg- ten vor dem Umbruch schufen allerdings die gar zu bedenklich Lager der Kulturpolitik zählte, an dessen Rauborganisation aufgenommene lineare Schreibweise, die Poly­tonalität und „Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg“ und der zugehörigen die Atonalität, unter jüdischer Führung mißbraucht und bis zur Zeitschrift Musik im Kriege mitwirkte sowie als Professor ödesten Notenmathematik getrieben, starke Verwirrung. Es am Wiener Institut für Musikwissenschaft lehrte. Schenk war gar zu bequem, sich in der Stimmführung durch keinerlei war insofern auch Mitarbeiter des Lexikons der Juden in der Regeln und harmonische Rücksichten eingeengt zu fühlen Musik, als er beflissen Auskunft über Studenten jüdischer und lustig draufloszuschreiben, ohne darauf zu achten, wie Herkunft an seinem Institut gab. Herbert Gerigk, der Heraus- das Ganze klingen, vom menschlichen Ohr aufgenommen geber dieser Deportationsliste des Musiklebens und „Leiter und inhaltlich verstanden werden sollte. Was herauskam, der Hauptstelle Musik beim Beauftragten des Führers für die war oft ein bloßer Blender. Weniger Schöpferische kranken Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen noch heute daran, daß sie mangels eigener Erfindung stofflich Schulung und Erziehung der NSDAP“, bedankte sich herzlich zu thematischen Kopien aus Regers und Bachs Werken, zu dafür und ermunterte Schenk zu einer noch genaueren Durch- ganzen Themen aus alten Werken und zu Volksweisen ihre sicht, denn eine solche würde „wahrscheinlich noch manchen Zuflucht nehmen müssen und der Kontrapunktik selbst keine fetten Juden zu Tage fördern“29. Schenk, der bereits als Autor Ausdruckswerte ent­locken.“ Im nächsten Schritt erst war es eines Buchs über Johann Strauß hervorgetreten war, das als 28 29 Repp, Otto: Die Woche der Zeitgenössischen Musik: Konzert der Wiener Philharmoniker, in: Völkischer Beobachter, 10.5.1942. Zit. nach Potter, Pamela M.: Die deutscheste der Künste. Musikwissenschaft und Gesellschaft von der Weimarer Republik bis zum Ende des Dritten Reichs, Stuttgart 2000, S. 187. 72 eine Art erweiterter Ariernachweis verfasst ist30, bezeichnet über das „Zeitgenössische“ beteiligen wollten, um etwa nun im Völkischen Beobachter Joseph Marx als den heute im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten neben einem „repräsentativen Komponisten des donau-alpenländischen „repräsentativen Komponisten“ wie Joseph Marx gewisse Raumes“, der schon „vor vielen Jahren in den ersten Reihen Wirkungsmöglichkeiten für die eigene Musik zu bewahren. der musikalischen ‚Moderne‘ gestanden“ habe, wobei hier im Einige Zeit nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten, Kleinen wiederum die Entwicklungslosigkeit als völkisches allerdings ehe die „Nürnberger Gesetze“ in Kraft traten, Ideal erscheint: „In solchem Streben ist nun Josef Marx hatte offenkundig auch Adorno noch Möglichkeiten gesehen, unbeirrbar seinen eigenen Weg gegangen – er blieb sich treu, in Deutschland weiterhin für die Moderne einzutreten, ihr verzichtete auf hochtrabende Fanfaren und programmatische gleichsam zum ‚Überwintern‘ zu verhelfen. Eine Rezension Manifeste, die Zeitalter künstlerischen Umsturzes kennzeich- von Herbert Müntzels Vertonung eines Gedichtzyklus von nen, deren Verkünder allerdings – so geflissentlich sie die Baldur von Schirach aus der Zeitschrift Die Musik vom Juni Geschichte für sich sprechen lassen – nur in seltenen Fällen 1934 zeigt, dass er es sogar irgendwie für möglich hielt, die den Beweis der Wert- und Dauerhaftigkeit ihrer Leistungen Wiener Schule bei den Nationalsozialisten durchzusetzen, zu erbringen vermögen.“31 Von „Tiefe und Innigkeit“ ist des um dadurch den Nationalsozialismus von innen her aufzu- Weiteren die Rede und davon, dass „jedes wirkliche große brechen – obwohl er etwas von der Aussichtslosigkeit des Kunstwerk“ „einer ganz bestimmten seelischen Seinslage“ Unterfangens schon geahnt haben muss: Er spricht davon, entspringe. Solche „Musikbetrachtung“ hat den Jargon der dass im Hintergrund der Bemühungen, die er bei dem Nachkriegszeit bereits bis ins Detail vorweggenommen – als Komponisten Müntzel unterstellt, „die tödliche Auseinander­ diskretere Weise, an die nationalsozialistische Ideologie anzu- setzung zwischen dem Drang, verständlich und ‚unmittelbar‘ knüpfen; und sie hat den Boden für das Wiener Musik­leben, zu werden und den Anforderungen an rein innerkomposito- das diesem Jargon gemäß war, bereitet, als die Zahl der rische Legitimität“ stehe.33 In einem früheren Artikel hatte Aufführungen Marxscher Kompositionen die der Symphonien Adorno bereits gegen den ab 1933 praktizierten Ausschluss Mahlers übertraf und der Wiener Ordinarius für Musikwissen- der Werke jüdischer Komponisten eingewandt, es wäre schaft, bald auch Dekan und Rektor der Wiener Universität, vielleicht doch wichtiger, Operetten wie die von Kálmán Erich Schenk es nunmehr so unauffällig wie nur möglich zu „auszumerzen, als von den Programmen Mahlersymphonien verhindern wusste, dass man an seinem Institut über „einen abzusetzen“.34 Er beharrt darauf, dass die Entwicklung, die Juden“ dissertieren konnte.32 von Mahler zu Schönberg führte, nachzuvollziehen ist, nur dass er die Zweite Wiener Schule nicht beim Namen nennt, sondern als „neue Romantik“, ja mit dem Goebbels’schen IV Begriff des „romantischen Realismus“ schmackhaft zu machen sucht und dafür bereits erste Anzeichen bei einer Für die nichtjüdischen Musiker, die sich der Wiener Schule Musik zu Baldur von Schirach’schen Versen sieht. Er möchte zugehörig fühlten, stellte sich damit zwingend die Frage, offenkundig den Konflikt zuspitzen, den er in einer von inwieweit sie sich selbst an jenen Auseinandersetzungen ­Goebbels und Schirach inspirierten Produktion wahrzuneh- Schenk, Erich: Johann Strauß, Potsdam 1940. Schenk, Erich: Der Sechziger Josef Marx, in: Völkischer Beobachter, 10.5.1942. 32 Vgl. hierzu Gösta Neuwirths Erinnerungen an sein Studium in Wien, in: Scheit, Gerhard/Svoboda, Wilhelm: Feindbild Gustav Mahler, Wien 2002, S. 281–285. 33 Adorno, Theodor W.: Müntzel. Die Fahne der Verfolgten u. a., in: Die Musik 26, 1933/34, S. 712; wiederabgedruckt in: Ders.: Gesammelte Schriften. hg. von Rolf Tiedemann, Bd. 19, Frankfurt am Main 1997, S. 331f. 34 Adorno, Theodor W. in: Die Musik 25, 1932/33, S. 622; wiederabgedruckt in: Ders.: Gesammelte Schriften, Bd. 19, Frankfurt am Main 1997, S. 243. 30 31 73 men glaubt. Es sei kein Zufall, dass die Lieder Müntzels die „Davon werden Sie ihn vielleicht überzeugen, Herr Dok- Spuren eines „Kampfes“ tragen: dass „zuweilen Linie und tor“, habe da Stadlen erwidert, „aber Sie können ihn doch Harmonisierung sich gegenseitig einengen […]; daß die niemals überzeugen, daß Schönberg kein Jude ist?“ Und imitatorischen Ansätze nicht immer ganz ausgetragen sind“. Webern darauf: „Nein, aber daß er trotzdem ein anständiger Selbst im Nationalsozialismus scheint Adorno noch irgend- Mensch ist!“38 Eduard Steuermann, der wichtigste Pianist welche Hoffnungen damit zu verbinden, dass „bei fortschrei- aus dem Kreis Schönbergs, der wie Schönberg im amerika- tender kompositorischer Konsequenz eben doch die roman- nischen Exil Zuflucht fand, hat nach dem Krieg keine Werke tische Harmonik gesprengt“ werde, „freilich dann nicht um von Webern mehr aufgeführt: „Er konnte es Webern nicht einer archaistischen, sondern einer neuen zu weichen, die verzeihen, daß es ihm im Laufe eines Gesprächs über die die kontrapunktischen Energien in sich“ aufnehme.35 Kurz Möglichkeit eines Anschlusses nicht einfiel hinzuzufügen: danach musste er aber schon die ganze Aussichtslosigkeit ‚aber was wird dann aus Dir?‘“39 Andererseits unterrichtete seines Unterfangens einsehen: Er ging zunächst ins engli- Webern jahrelang privat und ohne Honorar zu verlangen den sche Exil, dann in die USA, während sein Name folgerichtig aus einer jüdisch-rumänischen Familie stammenden Philip ins Lexikon der Juden in der Musik aufgenommen wurde: Herschkowitz bis zu dessen Flucht aus Österreich einige Zeit „Wiesengrund-Adorno, Theodor“ wird darin mit einem „H“ nach dem „Anschluß“. Und er war schließlich auch als Leh- als Halbjude gekennzeichnet und als „einer der betriebsams- rer im Umkreis von Erwin Ratz tätig, der, selber ein Schüler ten Wortführer der jüdischen Neutöner“ charakterisiert. Schönbergs, zwischen 1938 und 1945 ein Netz von Verste- Rätselhafter erscheinen die Sympathien von Anton von cken für die Verfolgten des Naziregimes schuf. Wie Webern Webern für das Nazi-Regime, die offenbar bis zu den nicht betroffen von den „Nürnberger Gesetzen“ hat er in ersten Niederlagen der Deutschen im Zweiten Weltkrieg seiner kleinen Wohnung in der Oberen Bahngasse 6 (unweit ­andauerten. Webern war nach Schönbergs Weggang aus des Aspangbahnhofs, wo die Deportationen stattfanden), Wien und Alban Bergs Tod mehr und mehr vereinsamt – und und im Haus der Bäckerei in der Favoritenstraße, die er damit hing wohl auch die politische Verirrung zusammen, einst von seinem Vater nolens volens übernommen hatte, wobei er zugleich auch von der Nazi-Begeisterung bei mehrere Personen versteckt und versorgt. „Nahrungsmittel den eigenen Kindern beeinflusst worden sein dürfte. Was konnten direkt durch die Bäckerei oder im Tausch gegen Schönberg bereits kurz nach 1933 bei ihm und Berg, seinen Mehl beschafft werden. Insgesamt 9 Personen brachte Erwin frühesten Schülern, befürchtet hatte, die Annäherung an Ratz so durch diese Zeit. In seiner eigenen kleinen Wohnung das neue Regime in Deutschland, trat nun bei Webern versteckte er, wie seine Tochter Brigitte berichtet, eine wirklich ein, obwohl doch der Nationalsozialismus, was jüdische Bekannte, die sich durch Ungarn nach Rumänien zu die Aufführung seiner Werke betraf, nichts Gutes hoffen Verwandten durchschlagen wollte; den Wiener Kinobesitzer ließ. Im Oktober 1937 soll Webern zu dem Pianisten Peter Hans Sidon und Hans Buchwald, den Lonny Ratz, seine erste Stadlen gesagt haben, wenn „die Nazis kommen, werde ich Frau, zuvor in Berlin versteckt hatte. Weitere Personen, die zum Goebbels gehen und ihm sagen, daß er falsch beraten Ratz woanders untergebracht wusste, wurden durch die ist und daß Zwölftonmusik kein Kultur-Bolschewismus ist.“ Bäckerei mit Essen versorgt, über die es auch möglich war, 36 37 Adorno: Müntzel (wie Anm. 33), S. 332. Lexikon der Juden in der Musik. Zusammengestellt im Auftrag der Reichsleitung der NSDAP auf Grund behördlicher, parteiamtlich geprüfter Unterlagen, bearbeitet von Dr. Theo Stengel, Referent in der Reichsmusikkammer, in Verbindung mit Dr. habil. Herbert Gerigk, Leiter der Hauptstelle Musik beim Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP, Berlin 1940, S. 292. 37 Vgl. hierzu Moldenhauer, Hans/Moldenhauer, Rosaleen: Anton von Webern. A Chronicle of His Life and Work, New York 1979, S. 391, 395, 473. 38 Stadlen, Peter: 50 Jahre danach, in: Österreichische Musikzeitschrift 43, 1988, S. 195. 39 Stadlen: 50 Jahre (wie Anm. 38), S. 195. 35 36 74 Kontakte herzustellen und Post zu vermitteln. So konnte er er auch, was das politische Urteilsvermögen betrifft, wieder Josef Polnauer, der – bei seiner späteren Frau – ebenfalls einen gewissen Halt gefunden haben. als ‚U-Boot‘ lebte, mit Nahrungsmittel versorgen, ebenso Am 4. Juni 1946, in dem ersten Brief, den Ratz nach dem Arnold Schönbergs Sohn Georg und dessen Familie.40 „Tausendjährigen Reich“ an seinen Lehrer Arnold Schön- Die Bäckerei belieferte nicht nur Polnauer und andere Ver- berg schreiben konnte, berichtet er eindringlich von einem folgte illegal mit Brot, in ihr wurden nicht nur Manuskripte „Zustand schwerster Erschöpfung und Beklommenheit“, in und Noten versteckt, über ihr fand auch der letzte in Wien dem er nun seit über einem Jahr lebe. „Auch dieser Brief verbliebene Rest der Wiener Schule eine Heimstatt, zu soll nur ein kurzes Lebenszeichen sein, fast wie ein Klopf- dem neben Webern die Schönberg-Schülerin, Pianistin zeichen eines, der verschüttet ist.“ Man gewinne den Ein- und Klavierlehrerin Olga Novakovic und der Komponist und druck, so Ratz weiter, „daß die Menschen nichts gelernt Widerstandskämpfer Friedrich Wildgans zu zählen sind. haben aus der furchtbarsten Zeit, die je über sie herein- Ratz nämlich organisierte es, dass Webern in der Wohnung gebrochen ist.“ Von ihm „persönlich“ sei „nicht viel“ zu seiner Mutter, die über der Backstube lag, vom Herbst 1940 berichten: „Es war mir vergönnt, in den furchtbaren Jahren bis in die letzten Kriegsmonate jeden Freitagabend Unter- einer Reihe von Menschen helfen zu können. Aber wie richt in Formenlehre und Komposition geben konnte, an dem wenig ist dies gegen alles Entsetzliche das geschehen ist.“ etwa 20 Personen, darunter auch die junge Herta Blaukopf, Zugleich berichtet Ratz jedoch von dem, was ihn die furcht- teilnahmen. Diese Kurse, die Ratz organisierte, haben barste Zeit hindurch stützen konnte: „Ich habe in den Jahren nicht nur das „unterirdische Fortleben“ der Zweiten Wiener des Grauens ständig mit Dr. Webern gearbeitet, wir haben Schule ermöglicht, sie sicherten ein Auskommen für Webern Beethoven analysiert und ständig waren unsere Gedanken selbst und durch diese Lehrtätigkeit im ‚Untergrund‘ dürfte bei Ihnen.“42 41 Kretz, Johannes: Erwin Ratz – Leben und Wirken, Frankfurt am Main u. a. 1996, S. 48f. Vgl. hierzu Scheit, Gerhard/Svoboda, Wilhelm: Treffpunkt der Moderne. Gustav Mahler, Theodor W. Adorno, Wiener Traditionen, Wien 2010, S. 77–90. In diesem Buch findet sich auch das Interview, das Renate Göllner mit Herta Blaukopf über das „unterirdische Fortwirken der Wiener Schule“ geführt hat: S. 166–182. 42 Erwin Ratz an Arnold Schönberg, Brief vom 4.6.1946, Typoskript, Kopie im Arnold Schönberg-Center in Wien. 40 41 75 Autorinnen und Autoren Commendatore RegRat ADir iR Ing. Walther Brauneis Dr. phil. Elmar Drexel Pfenninggeldgasse 18/3/19, A–1160 Wien Iglerstr. 59, A–6080 Igls E-Mail: [email protected] E-Mail: [email protected] Geboren 1942 in Wien. Studium an der Technischen Hoch- Geboren 1958. Innsbruck – Wien/München – Innsbruck: schule in Wien (Studienrichtung Architektur). Von 1968 bis Schauspieler, Regisseur, Autor. Promovierter Literatur- und 2002 im Bundesdenkmalamt tätig, wo er ab 1984 die Abtei- Kulturwissenschaftler. 1979 Mitbegründer des Innsbrucker lung für Klangdenkmale leitete. Von 1970 bis 2012 war er als Kellertheaters, Leitung von 1981–1989; Zahlreiche Regien Generalsekretär der Wiener Beethoven-Gesellschaft tätig. und Engagements, u. a. am Tiroler Landestheater, am Mehrere historisch-topographische Buchpublikationen sowie Münchner Volkstheater, am Wiener Volkstheater und bei zahlreiche Einzelveröffentlichungen zu Gluck, Dittersdorf, den Telfer Volksschauspielen, zuletzt Dramatisierungen Beethoven und vor allem Mozart. Zu Letzterem konnte er von Händl Klaus „Legenden“, Kathrin Röggla „Wir schlafen 1991 auf einen bislang unbekannten, die materielle Existenz nicht“ und Felicitas Hoppe „Johanna“. Zahlreiche Filmrollen, Mozarts bedrohenden Schuldenprozess während seiner u. a.: „Tatort – Elvis lebt!“, „Andreas Hofer – die Freiheit letzten Lebensmonate hinweisen sowie erstmals den Nach- des Adlers“, „Vier Frauen und ein Todesfall“, „copstories“. weis über die Abhaltung einer Seelenmesse für Mozart am Buchveröffentlichungen: „Die silberne Gasse“ (2007), Lanser 10. Dezember 1791 in der Wiener Michaelerkirche erbringen. See (2008). Weiters konnte er das Datum der Innsbrucker Erstaufführung von Mozarts „Die Zauberflöte“ in einem Beitrag zum „Wissenschaftlichen Jahrbuch der Tiroler Landesmuseen Mag. Andreas Eckelt 2009“ mit 26. Juli 1794 dokumentieren. Wissenschaftliche Tiroler Landesmuseen-Betriebsgesellschaft m. b. H. Mitarbeit bei den Ausstellungen „Zaubertöne – Mozart in Naturwissenschaftliche Sammlungen Wien“ (1990), „Mozart – Bilder und Klänge“ (1991), „Die Feldstraße 11a, A–6020 Innsbruck Botschaft der Musik – 1000 Jahre Musik in Österreich“ E-Mail: [email protected] (1996) sowie „Mozart – Experiment Aufklärung“ (2006). Für seine Forschungsergebnisse erhielt er 1992 den „Preis des Geboren 1982 in Steyr (Oberösterreich), 2005–2012 Stu- Landes Niederösterreich für Mozartforschung“ und 1997 die dium der Biologie an der Universität Innsbruck, Abschluss „Theodor-von-Karajan-Medaille“ des Vereins für Geschichte mit einem zoologischen Thema über Coleopterenzönosen der Stadt Wien. in Primärwaldstandorten im Nationalpark Kalkalpen Oberösterreich, ab 2010 Tätigkeiten als freiberuflicher Biologe, seit Februar 2012 auch als Angestellter für die Tiroler Landesmuseen tätig. Seit 2010 mehrere Arbeiten und Veröffentlichungen zu naturschutzfachlichen Themen mit dem Schwerpunkt Coleopterologie. 277 Dr. Dietrich Feil Kustos Mag. Dr. Franz Gratl Institut für Archäologie/FB Klassische Archäologie Tiroler Landesmuseen-Betriebsges. m. b. H. Universität Innsbruck Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum Langer Weg 11, A–6020 Innsbruck Musiksammlung E-Mail: [email protected] Museumstraße 15, A–6020 Innsbruck E-Mail: [email protected] Geboren 1958, tätig am Institut für Archäologie der Universität Innsbruck. Hauptinteressengebiete in Forschung und Geboren 1973 in Innsbruck. Studium Musikwissenschaft Lehre: antike Kunst und Architektur, antike und mittelalter­ und Geschichte in Innsbruck, Mag. phil. 1997 (Diplomarbeit liche Numismatik. Zusätzlich Arbeiten zur Lokalgeschichte „Kirchenmusik im höfischen Kontext: Musik bei Exequien von Arzl (Innsbruck). Praktizierender Tarockspieler. am Hof Kaiser Leopolds I.“, ausgezeichnet mit dem „Würdigungspreis des Bundesministers für Wissenschaft und Verkehr“), Dr. phil. 2002 (Dissertation zur Kirchenmusik Johann Univ.-Prof. Dr. Adolf Fritz Zachs (1713–1773)); Mitarbeit an diversen Projekten (u. a. Koschatstraße 99, A–9020 Klagenfurt EU-cultura 2000-Projekt „Images of Music – a Cultural Heritage“), ab 2002 freier Mitarbeiter von RISM Westösterreich Geboren 1929 in Klagenfurt. Reifeprüfung, Bundes-Real- mit Referat Südtirol (seit 2007 RISM Tirol-Südtirol & OFM schule in Klagenfurt (1947). Lehramtsprüfung für Mittel­ Austria), Katalogisierung historischer Musikalienbestände schulen aus Naturgeschichte und Physik, Universität Inns- in Nord- und Südtirol, Forschungen und Publikationen zur bruck (1953). Promotion Universität Granz (1968). Kirchenmusik und zur Musikgeschichte Tirols, seit 2006 Habilitation und Lehrbefugnis für Paläobotanik mit beson- wissenschaftlicher Mitarbeiter und seit 2007 Kustos der derer Berücksichtigung der Pollenanalyse, Universität Musiksammlung des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum, Graz (1971). Pollenanalytische Arbeiten aus dem Quartär inhaltliche Konzeption und organisatorische Betreuung der Kärntens. Konzert-, CD- und Noteneditionsreihe „musikmuseum“. Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Christian Glanz Karl Kummer Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien Schwarzspanierstraße 15/7/6, A–1090 Wien Seilerstätte 26, A–1010 Wien E-Mail: [email protected] E-Mail: [email protected] Geboren 1942 in Wien. Nach meiner Pensionierung als Geboren 1960 in Bruck/Mur (Steiermark). Studium an Bankangestellter begann ich mich mit der Geschichte meiner der Karl-Franzens-Universität Graz (Musikwissenschaft, Familie zu beschäftigen. Josef Parschalk ist der Großvater Geschichte), Sponsion 1985, Promotion 1988, Habilitation meiner Frau Marianne. Überzeugt davon, dass sein Leben im Fach Historische Musikwissenschaft 2007. Dzt. ao. Univ.- und Werk auch für einen breiteren Kreis von Interesse ist, Prof. am Institut für Analyse, Theorie und Geschichte übergab ich meine Aufzeichnungen und die noch in Fami- der Musik der Universität für Musik und Darstellende lienbesitz befindlichen handschriftlichen Dokumente und Kunst in Wien. Publikationen zu den Themen Musik und Werkfotos dem Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum. Diese Politik, historische Aspekte österreichischer Popularmusik, Schenkung wird durch das Modell der maßgeblichen Arbeit Monographien zu Gustav Mahler (2001) und Hanns Eisler Parschalks, das Denkmal für das Mädchen von Spinges in (2008). Buchenstein, sowie zwei Holzplastiken aus Familienbesitz 278 komplettiert. Meinen Beitrag ergänzte Ellen Hastaba durch Direktor PD Dr. Wolfgang Meighörner Hinweise zu Parschalk aus der von der Ferdinandeumsbiblio- Tiroler Landesmuseen-Betriebsges. m. b. H. thek geführten Tiroldokumentation. Museumstraße 15, A–6020 Innsbruck E-Mail: [email protected] Mag. Claudia Mark Geboren 1958 in Luzern/CH. Studium der Mittelalterlichen Tiroler Landesmuseen-Betriebsges. m. b. H. sowie Neuerern und Neuesten Geschichte und der Klas- Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum sischen Archäologie in München. M. A. 1984, Promotion Kunstgeschichtliche Sammlungen 1991, Habilitation an der Universität Oldenburg 2005, Venia Museumstraße 15, A–6020 Innsbruck legendi für Neuere und Neueste Geschichte und Technik­ E-Mail: [email protected] geschichte. Direktor des Zeppelin Museums Friedrichshafen 1991–2006. Seit 2007 Direktor der Tiroler Landesmuseen. Geboren 1981 in Zams. Studium der Kunstgeschichte in Inns- Zahlreiche Publikationen zu technikgeschichtlichen und bruck, Mag. phil. 2013 (Diplomarbeit „Lois Egg – zwischen militär­geschichtlichen Themen. Theater und bildender Kunst. Ausgewählte Werke aus dem Nachlass des Bühnenbildners und Malers“); während des Studiums Praktika für Restaurierung und Konservierung u. a. Ao. Univ.-Prof. Dr. Thomas Nußbaumer in Wien; 2005 Assistentin im Künstlerhaus Büchsenhausen Univ.-Doz. für Volksmusikforschung in Innsbruck; 2005−2010 wissenschaftliche Aufarbeitung und Universität Mozarteum Innsbruck Inventarisierung von Nachlässen und Sammlungsbeständen Innrain 15, A–6020 Innsbruck im Auftrag der Tiroler Landesmuseen (Bereiche: Graphische E-Mail: [email protected] Sammlungen, Bibliothek), u. a. Lois Egg (mit Veröffent­ lichung eines kompletten Werkverzeichnisses aller büh- Geboren 1966 in Hall in Tirol. Studium der Musikwissen- nenbezogenen und freikünstlerischen Werke), Josef Prantl schaft und Germanistik an der Universität Innsbruck, Pro- (Druckgrafiken, Zeichnungen und Gemälde); 2007−2010 motion 1998. Veröffentlichung der Dissertation unter dem freiberufliche Kuratorin und Autorin im Bereich der modernen Titel Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen und zeitgenössischen Kunst, u. a. in Zusammenarbeit mit (1940–42). Eine Studie zur musikalischen Volkskunde unter Günther Dankl: „Lois Egg – Theater Bilder“ (2007), Neuauf- dem Nationalsozialismus (Innsbruck u. a. 2001). Habilitation stellung der Modernen Galerie I + II im Ferdinandeum (2008), im Fach Volksmusikforschung 2011 an der Universität für „Netzwerke mit Seele. Eine Hommage an den Radierer Musik und darstellende Kunst Wien. Seit 1995 wissen- Peter Willburger“ (2010), „Max Weiler. Die großen Werke“ schaftlicher Mitarbeiter (seit 2011: Dozent) am Innsbrucker (2010); redaktionelle Betreuung von Ausstellungskatalogen, Sitz der Universität Mozarteum Salzburg und Leiter des (z. B. arttirol – Kunstankäufe des Landes Tirol 2004–2006); Abteilungsbereichs Musikalische Volkskunde innerhalb der Texte für diverse Ausstellungskataloge und Zeitschriften Abteilung für Musikwissenschaft. Forschungs- und Publika­ sowie Beiträge für das AKL (Allgemeines Künstlerlexikon); tionsschwerpunkte: Musik und Brauch, Fasnacht, Volksmusik seit Oktober 2010 wissenschaftliche Mitarbeiterin in den und NS, Volksmusiküberlieferung im Alpenraum, insbeson- Älteren Kunstgeschichtlichen Sammlungen des Tiroler dere in Westösterreich und Südtirol (Italien), Musik der Old Landes­museums Ferdinandeum, u. a. Mitarbeit bei der Order Amish. monografischen Präsentation „Johann Evangelist Holzer. Maler des Lichts“ (2010/2011), Cokuratorin der Ausstellung „Kunstschätze des Mittelalters“ (2011/2012). 279 Mag. Dr. Andreas Rauchegger Dr. phil. Gerhard Scheit A–9913 Abfaltersbach 74 Wickenburggasse 16/5, A–1080 Wien E-Mail: [email protected] E-Mail: [email protected] Geboren 1977 in Lienz. Ausbildung und mehrjährige Geboren 1959. Studium: Wiener Musikhochschule, Univer- Berufstätigkeit im Bereich Kunsthandwerk und Design. Ab sität Wien, FU Berlin; lebt als freier Autor in Wien. Arbeiten 2004 Studium der Europäischen Ethnologie/Volkskunde zur Kritischen Theorie, über den Souverän und die Ästhetik in Innsbruck. 2012 promoviert zum Thema „Der Homo in der Moderne; Mitherausgeber der Jean Améry Werkaus- Aquamportans – Wasserträger, Wasserverkäufer, Wasser- gabe (2002–2008) und der Zeitschrift sans phrase (ab 2012). schenker. Historische Trink- und Nutzwasserversorgung im Bücher: Dramaturgie der Geschlechter. Über die gemeinsame europäischen Kulturraum.“ Parallel berufliche Tätigkeit im Geschichte von Drama und Oper (Frankfurt am Main 1995); Kunst- und Kulturbereich (Ausstellungswesen). Forschungs- Hanswurst und der Staat. Eine kleine Geschichte der Komik schwerpunkt: alpine Kultur(en). (Wien 1995); Mülltrennung. Beiträge zu Politik, Literatur und Musik (Hamburg 1998); Verborgener Staat, lebendiges Geld. Zur Dramaturgie des Antisemitismus (Freiburg 1999, 2003); Ass.-Prof. Priv.-Doz. Mag. Dr. Dirk Rupnow Feindbild Gustav Mahler: Zur antisemitischen Abwehr der Institut für Zeitgeschichte Moderne (Wien 2002; Koautor: Wilhelm Svoboda); Suicide Leopold-Franzens-Universität Innsbruck Attack. Zur Kritik der politischen Gewalt (Freiburg 2004); Innrain 52d, A–6020 Innsbruck Treffpunkt der Moderne. Gustav Mahler, Theodor W. Adorno, E-Mail: [email protected] Wiener Traditionen (Wien 2010, Koautor: Wilhelm Svoboda); Quälbarer Leib. Kritik der Gesellschaft nach Adorno (Freiburg Geboren 1972 in Berlin. Studium der Geschichte, Germa- 2011). nistik, Philosophie und Kunstgeschichte an der FU Berlin und in Wien. Mag. phil. 1999 (Wien), Dr. phil. 2002 (Klagenfurt), Habilitation 2009 (Wien). 1999/2000 Mitarbeiter der Mag. Dipl.-Ing. Daniela Štěrbová Historikerkommission der Republik Österreich. Zahlreiche Vrázova 6, CZ–150 00 Praha 5 Gastaufenthalte an Forschungseinrichtungen in Österreich, E-Mail: [email protected] Deutschland, Frankreich, Israel und den USA. Seit 2008 Mitglied der Jungen Kurie der Österreichischen Akademie der Seit dem Abschluss des Doppelstudiums (Kunstgeschichte, Wissenschaften, 2009 Fraenkel Prize in Contemporary His- Bauingenieurwesen) in der praktischen Denkmalpflege tätig tory der Wiener Library, London. Seit 2009 an der Universität (Sanierungsprojekte, Bauaufnahmen, Baugeschichtliche Innsbruck, seit 2010 Leiter des Instituts für Zeitgeschichte. Forschung, Inventarisierung der Baudenkmäler), seit 2009 Forschungsschwerpunkte: Holocaust- und Jüdische Studien, Leitung der Vorbereitungsarbeiten und folgenden Konser- Erinnerungskulturen und Geschichtspolitik, Wissenschafts- vierung der spätgotischen Probsteikirche in Melnik an der und Migrationsgeschichte. Elbe. Externe Mitarbeiterin am Institut für Kunstgeschichte der Tschechischen Akademie der Wissenschaften und Promotionsprojekt über Barockarchitektur Mitteleuropas an der Karlsuniversität in Prag. 280