6 Zusammenfassung - Ruhr

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6 Zusammenfassung
In der vorliegenden Arbeit wird die Wortstellung in den beiden Sprachen unter den folgenden vier Aspekten einander gegenübergestellt, und zwar der Verbstellung, dem topologischen Satzmodell im Deutschen, der Satzgliedstellung sowie der Informationsstruktur.
Aus diesen vier Bereichen ergeben sich zahlreiche syntaktische, semantische und pragmatische Faktoren, die die Wortstellung der beiden Sprachen beeinflussen. Dabei kann man
sehen, dass die Abfolgeregularitäten im Chinesischen eine zentralere Rolle beim Aufbau
syntaktischer Strukturen spielen als im Deutschen, da im Deutschen die morphologischen
Markierungen bei der Strukturerzeugung sehr aktiv mitwirken.
In Hinsicht auf die Verbstellung wird auf die folgenden vier Punkte eingegangen: die
parametrischen Unterschiede, den Einfluss der grammatischen Zeit, die Verbstellung in
resultativen Konstruktionen und die Stellungsregularitäten im kontinuierlichen Verbalkomplex.
1) Parametrische Unterschiede
Im Rahmen des Minimalistischen Programms lassen sich die Verbstellungsunterschiede auf unterschiedliche Parameter zurückführen, die die beiden Sprachen aufweisen (Abschnitt 2.1 und 2.2).
Die Linearisierung syntaktischer Objekte wird durch den Kopf-Position-Parameter festgelegt. Die Kopf-Komplement-Relation in Hauptsätzen sieht in den beiden
Sprachen wie folgt aus:
(1)
im Deutschen
im Chinesischen
Projektion
links
rechts
links
rechts
CP
Kopf
Komplement
Komplement
Kopf
TP
Komplement
Kopf
Kopf
Komplement
𝜈P
Komplement
Kopf
Kopf
Komplement
VP
Komplement
Kopf
Kopf
Komplement
Bei der oben genannten Kopf-Komplement Relation gilt die Beschränkung, dass
es sich bei dem Komplement des Verbs nicht um CP handelt. Inaba (2007) zufolge
weisen CP-Komplemente eines Verbs sprachübergreifend die Eigenschaft auf, dass
sie nur postverbal basisgeneriert werden können.
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In den beiden Sprachen unterliegt die Relation zwischen den funktionalen Kategorien und den lexikalischen Kategorien innerhalb eines minimal konstituierten
Satzes folgender Hierarchie der Projektionen:
(2)
CP > TP > 𝜈P > VP
Innerhalb dieser Hierarchie wird das Verb im Chinesischen nur einmal bewegt,
und zwar von der V-Position in die 𝜈-Position. Es gibt im Chinesischen keine overte
sukzessive Verbbewegung von V nach T bzw. nach C. Im Gegensatz dazu erfolgt im
Deutschen die Verbanhebung von V nach C bei Verbzweitstellung sowie Verberststellung sichtbar, also overt. Dies ist auf die Stärke der Merkmale der funktionalen
Kategorien zurückzuführen. Die Stärke der Merkmale ist auch parametrisch für die
Wortstellung.
Im Deutschen sind die folgenden zwei Merkmale für die Verbbewegung relevant.
Das Tempusmerkmal von 𝜈 ist für die 𝜈-nach-T-Bewegung verantwortlich. Die Tnach-C-Bewegung rekurriert auf das Satztyp-Merkmal von T. Die zwei Merkmale
im Deutschen sind beide stark. Der Merkmalstärkeparameter im Deutschen wird
wie folgt dargestellt.
(3)
Merkmal
Stärke
Satztyp von T
stark
Tempus von 𝜈
stark
Im Chinesischen wird hier wegen des unklaren Status von T offengelassen, ob es
die beiden Merkmale im Chinesischen auch gibt und welche Stärke sie aufweisen.
Die Kategorie C (Komplementierer ‘complementizer’) spielt eine wichtige Rolle
in Hinsicht auf die Verbstellung in den beiden Sprachen.
Die Frage, warum es drei Verstellungstypen im Deutschen hinsichtlich der Stellung des finiten Verbs gibt, und zwar Verberststellung (V1), Verbzweitstellung (V2)
und Verbendstellung (VE), lässt sich sowohl auf den Kopf-Position-Parameter, als
auch auf die Eigenschaften der Kategorie C zurückführen. Dabei gilt die Verbendstellung als zugrunde liegend.
Die Kategorie C ist im Chinesischen in allen Hauptsätzen präsent. Sie triggert
keine Verbanhebung. Die C-Position eines Hauptsatzes kann entweder durch eine
Null-Form oder durch verschiedene Intonationswörter besetzt werden. Solche Intonationswörter sind mit verschiedenen Satztypen sowie der durch die Äußerung des
Satzes vollzogenen Illokution eng verbunden.
Die Kategorie C in Hauptsätzen im Deutschen gilt nur als eine reine Positionskategorie. In Hauptsätzen wird die C-Position nicht durch einleitende Elemente besetzt. Sie ist die Landeposition des finiten Verbs in der Derivation. Die Kategorie
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C ist in Hauptsätzen im Deutschen nicht mit morphosyntaktischen Merkmalen assoziiert. Aus diesen zwei Gründen erscheint der Vorschlag von Lohnstein (2000)
sinnvoll, die CP in Hauptsätzen im Deutschen durch eine andere funktionale Kategorie zu ersetzen, und zwar die MP (Modusphrase).
2) Der Einfluss der grammatischen Zeit
Die Frage, wie die grammatische Zeit zum Ausdruck gebracht werden kann, ist auch
mit der Wortstellung assoziiert (Abschnitt 2.1 und 2.3).
Im Deutschen besteht ein grammatischer Zwang, Tempus obligatorisch zu realisieren, auch wenn sich eine Aussage atemporal ist. So muss das finite Verb in die
T-Position wandern, um sein Tempusmerkmal zu überprüfen.
Eine durch 𝜈P repräsentierte tempusneutrale Struktur kann als tempusloser Satzrest im Sinne von Zifonun et al. (1997, Bd 3, S. 1690) angesehen werden. Diese
Struktur liegt Sätzen in verschiedenen Tempora zugrunde.
Wenn der Verbalkomplex nur eine Verbform enthält, dann wird das Verb von
V nach T bewegt. Wenn der Verbalkomplex mindestens zwei Verbformen enthält
und eine der vier zusammengesetzten Tempusformen in (5) realisiert werden muss,
dann müssen andere funktionale Kategorien herangezogen werden, nämlich Perf
(Perfekt) und Fut (Futur).
(4)
synthetische Tempusformen im Deutschen
Präsens:
TP[Präs]
Präteritum: TP[Prät]
(5)
analytische Tempusformen im Deutschen
Präsensperfekt:
TP[Präs] > PerfP
Präteritumperfekt: TP[Prät] > PerfP
Futur:
TP[Präs] > FutP
Futurperfekt:
TP[Präs] > FutP > PerfP
Um die grammatische Zeit auszudrücken, wird im Chinesischen die Kategorisierung des Aspekts gebraucht.
Wenn sich eine Aussage auf die interne Zeitstruktur eines Sachverhaltes bezieht,
dann soll die funktionale Kategorie Asp (Aspekt) in der Baumstruktur realisiert werden. AspP befindet sich zwischen TP und 𝜈P. Ist Asp in der Baumstruktur vorhanden, so muss das Verb zweimal bewegt werden, und zwar von der V-Position über
die 𝜈-Position in die Asp-Position.
Die Kategorisierung Aspekt wird im Chinesischen so realisiert, dass eine Aspektpartikel direkt dem Verb nachfolgt.
Um Transformativität und Telizität auszudrücken, werden unterschiedliche Mittel in den beiden Sprachen Gebrauch gemacht. Im Deutschen werden Verben mit
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modifizierenden Präfixen, Suffixen u. ä. verwendet. Im Chinesischen wird dies durch
separate Elemente wie Partikeln und komplementäre Verben realisiert:
3) Verbstellung in resultativen Konstruktionen
Eine minimal resultative Transitivierungskonstruktion im Deutschen kann minimal
wie (6) konstituiert werden (Abschnitt 2.4.6):
(6)
a. Subjekt + Verb + Objekt + resultatives Prädikat(iv)
b. (dass) Subjekt + Objekt + resultatives Prädikat(iv) + Verb
Die verbalen Komplementkonstruktionen im Chinesischen können minimal wie
(7) konstituiert werden (Abschnitt 2.5.2):
(7)
a. NP + V1 + V2 K + (Asp)
b. NP1 + V1 + V2 K + (Asp) + NP2
Die resultativen Transitivierungskonstruktionen im Deutschen entsprechen also
(7b) im Chinesischen, da in (7a) überhaupt kein Objekt vorhanden ist.
Das Objektsprädikat im Deutschen ist ein sekundäres Prädikat, das keine Tempusund Modusmarkierung und keine Kongruenzkennzeichnung trägt.
Die zweite Verbform in einer chinesischen verbalen Komplementkonstruktion
ist die Kernverbform. Nur diese Verbform kann durch eine außenperspektivierende
Aspektpartikel markiert werden.
Das Matrixverb in (6) und das V1 in (7) können sowohl transitiv als auch intransitiv sein.
Im Deutschen können adjektivische Phrasen oder präpositionale Phrasen als resultatives Prädikat(iv) fungieren. Partizipien können die Rolle als resultatives Prädikat(iv) nicht übernehmen. Das Verb soll kursiv sein.
Im Chinesischen kann V2 K ein Verb oder ein Adjektiv sein. Es ist immer intransitiv. Fast alle einsilbigen Adjektive können an der Stelle von V2 K auftreten. Zweisilbige Adjektive und Verben sind an dieser Stelle viel weniger zu beobachten.
In Verbletztstellung oder wenn die linke Satzklammer durch ein finites Hilfsverb
besetzt wird, darf im Deutschen keine lexikalische Einheit zwischen dem resultativen Prädikat(iv) und dem Matrixverb stehen. Aber wenn das Matrixverb in der linken Satzklammer steht, dann sind das resultative Prädikat(iv) und das Matrixverb
getrennt.
Zwischen V1 und V2 K gilt nur eine einzige Reihenfolge, und zwar V1 + V2 K . Keine
lexikalische Einheit darf zwischen V1 und V2 K intervenieren. Auf keinen Fall stehen
V1 und V2 K diskontinuierlich.
Das resultative Prädikat(iv) im Deutschen kann allein oder zusammen mit dem
Matrixverb topikalisiert werden.
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Im Chinesischen ist es dagegen unmöglich, V2 K allein oder zusammen mit V1 zu
topikalisieren.
4) Stellungsregularitäten im kontinuierlichen Verbalkomplex
Die lineare Abfolge in einem kontinuierlichen Verbalkomplex im Deutschen (Abschnitt 2.4.3) lässt sich wie folgt darstellen:
a) Wenn kein Oberfeld (im Sinne von Bech (1955/1957)) eröffnet wird, sieht die
lineare Abfolge in einem kontinuierlichen Verbalkomplex wie in (8) aus:
(8) Vn Vn – 1 Vn − 2 . . . V2 V1
b) Bei einer Oberfelderöffnung wird die lineare Abfolge in einem kontinuierlichen Verbalkomplex dahingehend darstellen:
(9) . . . V1 V2 . . . Vi X Vn Vn − 1 . . . Vi + 1 , mit 𝑖 ≥ 1 und 𝑛 − 1 ≥ 𝑖 + 1.
(Sternefeld 2 2006:649)
Ágel (2001:322f.) zufolge weisen die Stellungsregularitäten in einem Verbalkomplex im Deutschen drei konstante Tendenzen auf (Abschnitt 2.4.5).
(10)
a. das Nachstellungsprinzip
b. das Rechts-determiniert-links-Prinzip
c. das Äquivalenzprinzip
Unabhängig davon, wie viele Verbformen ein Verbalkomplex innehat, tritt in einem deutschen Satz im kanonischen Fall nur ein Vollverb auf. Die anderen Verben
sind Hilfsverben oder Modalverben. Im Chinesischen ist dies nicht der Fall. Bei den
verbalen Komplementkonstruktionen (Abschnitt 2.5.2), bei den Konstruktionen mit
Verbreduplikation (Abschnitt 2.5.3) und bei dem Verb Copying (Abschnitt 2.5.4)
treten immer zwei Vollverben auf, wobei nur eins davon als Kernverb des Satzes
fungiert.
Bei den verbalen Komplementkonstruktionen und dem Verb Copying ist immer die zweite Verbform die Kernverbform des Satzes, obwohl die beiden Namen
„Komplement“ sowie „Copying“ suggerieren könnten, dass die zweite Verbform
nur auf einer niedrigeren Rangstufe steht. Wenn eine außenperspektivierende Aspektpartikel von le oder guo im Satz vorhanden ist, kann diese Aspektpartikel nur
der zweiten Verbform nachfolgen.
Bei Konstruktionen mit Verbreduplikation ist die erste Verbform die Kernverbform, die nur durch die Aspektpartikel le (falls vorhanden) markiert werden kann.
Das topologische Satzmodell (Kapitel 3) im Deutschen hat sich zur Beschreibung der
linearen Wortstellung als sehr nützlich erwiesen. Die gespaltenen Klammern weisen ein
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Spezifikum des Deutschen auf. Die sehr flexible Wortstellung im Deutschen kann mit
Hilfe der Stellungsfelder effizient erfasst werden.
Bei der Satzgliedstellung (Kapitel 4) wird das Verhältnis zwischen Wortarten und Wortstellung diskutiert, wobei die Nähe von Wortart und syntaktischer Funktion im Chinesischen deutlicher als im Deutschen zu beobachten ist. Die verschiedenen Satzglieder verhalten sich in den beiden Sprachen auch unterschiedlich. Dabei kann man sehen, dass das
Deutsche mithilfe der morphologischen Markierungen eine viel flexiblere Satzgliedstellung aufweist.
Bei der Behandlung der Informationsstruktur (Kapitel 5) wird auf die Ebenen der TopikKommentar-Gliederung und Fokus-Hintergrund-Gliederung eingegangen.
Topiks im Deutschen weisen die Tendenz auf, am Anfang des Satzes zu stehen. Jedoch
können viele Vorfeldelemente aufgrund fehlender Referentialität nicht als Topiks gewertet
werden. Im Chinesischen können Topiks in der Spezifikatorposition von subordinierten
Sätzen, d.h. vor der Konjunktion auftreten.
Es besteht enge Zusammenhänge zwischen Fokus und Akzent in den beiden Sprachen:
Bei normaler Betonung trägt die fokussierte Konstituente den Satzakzent. Im Deutschen
tendiert die fokussierte Konstituente dazu, möglichst spät im Mittelfeld aufzutreten. Im
Chinesischen gilt „end focus“ als unmarkierter Fokus. Um eine Konstituente in einem
chinesischen Satz zu fokussieren, deren Grundposition nicht am Satzende liegt, wird Umstellung der Satzgliedabfolge erfordert. Dies entspricht dem Prinzip, dass im Chinesischen
möglichst nur eine wichtige Informationseinheit postverbal steht.
In dieser Arbeit konnten einige grundlegende Unterschiede der Wortstellung im Deutschen und Chinesischen aufgezeigt werden, die den Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen darstellen können. Zu den Fragen, die hierbei noch offen geblieben sind und die
mir für eine weitere Untersuchung interessant erscheinen, gehören:
– Wie kann das gesamte topologische Satzmodell im Deutschen in eine generative
Satzanalyse übersetzt bzw. integriert werden?
– Wie werden die verbalen Kategorisierungen Aspekt, Genus verbi, Tempus und Modus in den beiden Sprachen im Verlaufe der Derivation eines Satzes realisiert?
– Wie lassen sich die Stellungsregularitäten im mehrteiligen Verbalkomplex unter diachronischer Berücksichtigung im generativen Sinne in den beiden Sprachen analysieren?
– Wie ist die ganze Bandbreite der Positionierung aller syntaktischen Funktionen in
den beiden Sprachen zu erfassen?
– Welche Merkmale bzw. funktionale Phrasen werden in der linken Peripherie eines
Satzes in den beiden Sprachen involviert?
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– Welche Elemente können als Kennzeichnung von Topik und Fokus im Satz in den
beiden Sprachen auftreten?
– Welche Topikpositionen gibt es in den beiden Sprachen?
– Wie kann man gespaltene Topikalisierung in den beiden Sprachen analysieren?
– Wie interagieren Topik und Fokus in einem Satz in den beiden Sprachen?
– Welche unterschiedlichen Eigenschaften weisen die beiden Sprachen bei den subordinierten und koordinierten Strukturen auf?
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