August 2005 Für unsere Hörer M und RÜ-Bezieher Annette-Allee 35 - 48149 Münster Tel.: 0251-98109-0 - Fax: -98109-62 http://www.alpmann-schmidt.de AS aktuell Zivilrecht Die mündliche Prüfung im ersten Staatsexamen Allgemeine Bemerkungen zum Prüfungsgespräch im Examen und beispielhafte Darstellung einiger zivilrechtlicher Problemfelder Rechtsanwalt Tekin Polat Es ist schon erstaunlich, dass die juristische Ausbildungsliteratur einen der wichtigsten Bereiche des Staatsexamens, die mündliche Prüfung, sehr lückenhaft behandelt. Denn gerade dieser letzte Teil des Examens wird von vielen Prüflingen mit einer vehementen Angst und Nervosität verbunden. Diese kann sich beispielsweise in Schlaflosigkeit vor der Prüfung und in Unkonzentriertheit und Unsicherheit während der Prüfung ausdrücken. Auch an den Universitäten gibt es keine bzw. kaum Angebote, die den Prüfling auf diese ungewohnte Prüfungssituation vorbereiten. Allerdings mag dieses auch damit zusammenhängen, dass eine allgemeingültige und repräsentative Darstellung der typischen mündlichen Prüfung kaum gelingen kann. Der Ablauf und der Schwierigkeitsgrad der jeweiligen Prüfung hängt nämlich ganz erheblich von dem jeweiligen Prüfer ab. Und von denen gibt es einige. Realistischerweise ist der einzig effektive Weg sich auf die eigene, individuelle Prüfung vorzubereiten, das genaue Studium von bekanten Protokollen über die früheren Prüfungen der einzelnen Prüfer, deren Namen dem Prüfling mindestens 14 Tage vor dem Prüfungstermin mitgeteilt werden. Aber auch dieser Weg ist nicht immer ein sicherer. Prüfer können kurzfristig ausgetauscht werden, weil sie erkrankt sind, sodass der Prüfling über die inhaltlichen Vorlieben und die Person des „Ersatzprüfers“ keinerlei Informationen hat. Außerdem ist nicht jeder Prüfer „protokollfest“, sodass eine intensive Vorbereitung auf ein bestimmtes Themengebiet nicht ausreichend sein könnte. Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein Prüfer heute Schuldrecht und morgen Erbrecht prüft, obwohl in den bisherigen Protokollen das Familienrecht als sein bevorzugtes Thema dargestellt wird. Folglich ist das einzig Sichere an einer mündlichen Prüfung im Staatsexamen die Unvorhersehbarkeit und Unkalkulierbarkeit. Die bei den einzelnen Anbietern ausleihbaren Protokolle können also lediglich zur Minimierung dieser Ungewissheiten führen, können diese aber nicht mit 100%iger Sicherheit ausschließen. Die vorliegende Bearbeitung will zunächst ganz allgemeine Handlungsanweisungen geben, die der Prüfling AS aktuell Online: http://www.alpmann-schmidt.de in jedem Fall, d.h. vor jeder Prüfung und gegenüber jedem Prüfer, beachten sollte. Anschließend werden einige Prüfungsgespräche in Ausschnitten dargestellt, die die immer wiederkehrenden klassischen Problemfelder aus dem Zivilrecht behandeln und dementsprechend auch relativ häufig abgefragt werden. Aufgrund der Auswertung mehrerer hundert Protokolle kann dem interessierten Leser auf diese Weise ein realistischer Ausblick auf eine mündliche Prüfung im ersten Staatsexamen gegeben werden. Allgemeines zur mündlichen Prüfung Die Aufregung fängt spätestens 14 Tage vor der mündlichen Prüfung an. Der Tag, an dem die Ergebnisse der schriftlichen Arbeiten den Prüflingen bekannt gegeben werden. Nun weiß der jeweilige Kandidat, wie viele Vorpunkte er hat (Gesamtpunktzahl der schriftlichen Arbeiten multipliziert mit 0,8). Viel Zeit zum Freuen oder Ärgern bleibt aber nicht, denn in dem selben Schreiben wird man zur mündlichen Prüfung eingeladen. Die notwendigen Informationen, wann und wo diese genau stattfindet, kann man dem Schreiben entnehmen. Die für den Studenten wichtigste Information ist hierbei, von wem er oder sie in diesem mündlichen Gespräch geprüft werden wird. Nach dem man nun eine Zeit lang gebraucht hat, um das Ergebnis der schriftlichen Arbeiten richtig einzuordnen, stellt sich aber schon die nächste Frage. Was nun? Wie bereite ich mich auf meine mündliche Prüfung in den verbliebenen Tagen am effektivsten vor? Und wir erinnern uns – der einzig effektive Weg, sich auf die eigene mündliche Prüfung vorzubereiten, ist das konzentrierte Studium von bekannten Protokollen über die früheren Prüfungen der einzelnen Prüfer. Woher man diese bekommen kann? Einfach den Repetitor vor Ort fragen oder sich bei der Fachschaft der jeweiligen Fakultät erkundigen. Wichtig ist nun das zeitliche Management. Der Prüfling, der nach Durchsicht der Protokolle abschätzen kann, in welche Richtung die jeweilige Prüfung in den einzelnen Fachgebieten gehen könnte, wird sich genau auf diese konzentrieren müssen. 14 Tage können sehr kurz sein. Wenn der Prüfer im Zivilrecht noch nie Handelsrecht geprüft hat, so ist dem Prüfling dringend davon abzuraten, den Schwerpunkt seiner Vorbereitung im Zivilrecht auf das Handelsrecht zu fokussieren. Die verbleibende Zeit sollte in allen Gebieten darauf verwendet werden, dass man sich die absoluten Basics noch einmal genauestens vergegenwärtigt. Vergessen wir nicht, dass die mündliche Prüfung grds. nur zur oberflächlichen Abfrage des Systemverständnisses des Prüflings dienen kann. Für eine vertiefte Problemdiskussion in allen Gebieten wird die jeweilige Prüfungszeit (11 bis 12 Minuten je Kandidat) schon gar nicht ausreichen. Die Standardprobleme und die gesetzliche Systematik müssen aber in jeden Fall be- 57 August 2005 herrscht werden. Denn die kurze Prüfungszeit bedeutet auch, dass ein grober Fehler (Bsp.: Verkennen des Abstraktionsprinzips) kaum noch in der verbliebenen Zeit ausgebügelt werden kann. Abgesehen vom jeweiligen Wahlfach des Prüflings kann also nur dazu geraten werden, sich nicht mit jeder Mindermeinung zu jedem Problemkreis auseinander zu setzen. Die verbliebene Zeit darf aber auch nicht dazu genutzt werden, sich seelisch und körperlich selbst zu quälen, indem man nichts anderes mehr macht als zu lernen. Natürlich wird die Vorbereitung auf diese wichtige Prüfung den Tag des Kandidaten prägen und eine Menge Zeit in Anspruch nehmen. Nur sollte es nicht so weit kommen, dass der Tagesrhythmus des Prüflings nun vollkommen durcheinander gerät. Gesunde Ernährung und ausreichender Schlaf können bei der Vorbereitung mindestens genau so wichtig sein, wie die Bearbeitung eines ganz wichtigen Themengebiets. Leider wird dies immer wieder stark unterschätzt. Die Prüfung selbst ist körperlich sehr anstrengend. Sie kann sich über mehrere Stunden hinziehen. Nur der, der auch körperlich fit ist, wird auch gegen Ende der Prüfung eine angemessene Leistung erbringen können. Also dann, wenn die Prüfer sich noch einmal ein letztes Bild von den jeweiligen Kandidaten machen. In seinem eigenen Interesse sollte der Prüfling also sorgfältig mit sich und seiner Gesundheit umgehen. Tipp: Wenn man sich schon vor der Bekanntgabe der schriftlichen Noten mit den Basics der einzelnen Fachgebiete beschäftigt, wird man innerhalb der letzten 14 Tage auch genug Zeit haben, sich mit anderen Problemfeldern tiefer auseinander zu setzen. Das Zeitmanagement beginnt also nicht erst mit der konkreten Einladung zur mündlichen Prüfung, sondern schon vorher. Die ständige Wiederholung des Stoffs, den man zu den schriftlichen Klausuren parat hatte, kann also nur wärmstens empfohlen werden. In der mündlichen Prüfung kann sich sehr viel entscheiden. Da auch die Prüfer nur Menschen sind und bei ihrer Notenvergabe natürlich auch subjektive Empfindungen eine Rolle spielen werden, kann den jeweiligen Kandidaten nur geraten werden, sich an gewisse Höflichkeitsregeln zu halten und sich angemessen zu kleiden. Es geht um eine Staatsprüfung. Insbesondere ältere Prüfer legen sehr großen Wert darauf, dass der jeweilige Kandidat sich entsprechend seiner angestrebten Stellung in der Gesellschaft kleiden und benehmen kann. Den männlichen Kandidaten wird also dringend empfohlen, mit einem Anzug bei der Prüfung zu erscheinen und eine Krawatte zu tragen. Und je klassischer desto besser. Mit einem orangefarbenen Anzug, einem grünem Hemd und gelben Schuhen wird der Kandidat also aller Wahrscheinlichkeit nach nicht unbedingt den seriösesten Eindruck hinterlassen. Die Damen sollten darauf achten, dass sie nicht „zu weiblich“ auftreten. Der extrem kurze Rock, zieht zwar eventuell Blicke auf sich, aber vielleicht doch nicht die nötigen Punkte nach sich. Sie sollten weiterhin nicht vergessen, dass es bei der Prüfung nicht um einen Modewettbewerb geht. Das dezente und damen- 58 AS aktuell hafte kommt also immer noch am Besten an. Mit einem Hosenanzug beispielsweise in klassischen Farben kann eine Kandidatin grundsätzlich nichts falsch machen. 1. Das Vorgespräch Nun ist es so weit. Der Tag der Entscheidung ist gekommen. Heute Abend ist alles endgültig vorbei. Aber bis dahin gilt es, noch einmal alles zu geben und einen so guten Eindruck wie möglich zu hinterlassen. Man ist aufgeregt, nervös und doch froh, dass es bald endlich vorbei ist. Das monatelange Lernen, die nervösen Nächte, obwohl man sich vorgenommen hatte, ganz ruhig zu bleiben. Das starke Frühstück hat ganz gut getan und beruhigt auch die Nerven, weil man weiß, dass es die beste Vorbereitung auf diesen stressigen Tag ist. Nun steht man da auf dem Gang vor dem Prüfungszimmer und wartet darauf, dass es losgeht. Die Mitprüflinge sind auch schon da. Man hat sich herzlich begrüßt und wünscht sich gegenseitig viel Glück und Erfolg. Den einen oder anderen kennt man aus der Uni oder vom Rep. Und dann geht die Tür auf. Der Vorsitzende der Prüfungskommission kommt kurz heraus und ruft einen der Kandidaten hinein. Wieso nur einen und dann die nächsten einzeln? Handelt es sich etwa um eine Einzelprüfung? Nein!! Die Prüfung selbst findet in der geschlossenen Gruppe statt. Aha! Die mündliche Prüfungstag beginnt aber mit dem sogenannten „Vorgespräch“, das allein der Vorsitzende der Prüfungskommission mit dem jeweiligen Prüfling führt. Die Länge dieses Gesprächs kann je nach Prüfer und Prüfling variieren zwischen 5 und 15 Minuten. Der Sinn dieses Gesprächs besteht vorrangig darin, den jeweiligen Kandidaten kennen zu lernen und ihn bzw. sie gegebenenfalls zu beruhigen. Die meisten Prüfungsvorsitzenden nutzen hierbei die Gelegenheit, dem Kandidaten seine bisherigen Studienleistungen und die Ergebnisse der schriftlichen Arbeiten in Erinnerung zu rufen. Hierzu kann man sich dann als Kandidat äußern und beispielsweise besonders gute bzw. besonders schlechte Leistungen kommentieren. Je nach Vorpunktezahl fragt sich der Student, ob er den Vorsitzenden während des Gesprächs von seinem Notenziel unterrichten soll oder nicht. Ob dies als kämpferische und besonders lobenswerte Einstellung eingestuft wird oder der Prüfungsvorsitzende dies als unrealistisches Ziel und damit als negativen Aspekt abspeichert (der Student könne seine eigene Leistungsfähigkeit nicht realistisch einschätzen), hängt zum einen vom Vorsitzenden selbst und natürlich von den Vorpunkten ab. Ratsam ist diese Vorgehensweise also nur dann, wenn die bisherigen Protokolle über diesen Prüfungsvorsitzenden nichts negatives diesbezüglich berichten oder diese Frage vom Prüfer selbst ausdrücklich gestellt wird. Der Vorsitzende wird gegen Ende des Vorgesprächs auf die Reihenfolge der einzelnen Prüfungsfächer eingehen und dem Kandidaten mitteilen, wann die jeweiligen Pausen eingelegt werden. Abschließend erfolgt die Frage, ob man selbst noch etwas wissen möchte und der Hinweis, dass die Prüfung halb so schlimm sei und man noch einmal alles AS aktuell August 2005 geben solle. Nach dem auch der letzte Kandidat sein Vorgespräch hinter sich gebracht, werden alle Prüflinge in den Prüfungssaal gebeten und die eigentliche Prüfung kann beginnen. 2. Tipps für das eigentliche Prüfungsgespräch Die Prüfung wird meist mit vier bis fünf Prüflingen durchgeführt. Die Kandidaten sitzen grundsätzlich nebeneinander. Die Sitzordnung wird von dem Vorsitzenden vorgegeben. Diese kann sich nach alphabetischer Reihenfolge der jeweiligen Nachnamen richten oder aber auch nach den Vorpunkten. Schreibpapier und Bleistifte werden vom Prüfungsamt gestellt, wobei jedem Prüfling nur geraten werden kann, sein eigenes Schreibgerät mitzubringen. Denn das gestellte Umweltpapier hält es nicht immer aus, wenn hastige Kandidaten mit den spitzen Bleistiften sich Notizen machen. Auch die während der Prüfung benötigten Gesetzestexte werden vom Prüfungsamt zur Verfügung gestellt. Die Prüfer sitzen den Kandidaten gegenüber, wobei es sich der Vorsitzende der Kommission nicht nehmen lässt, sich mittig zu platzieren. Die Reihenfolge der geprüften Fächer richtet sich auch nach den jeweiligen Prüfern, wird aber schon im Vorgespräch vom Prüfungsvorsitzenden mitgeteilt. Der Prüfungsvorsitzende legt meist Wert darauf, als letzter zu prüfen. Meist wird nach den ersten beiden Prüfungsabschnitten eine Pause von bis zu einer Stunde eingelegt, die die Prüfer schon zu ersten Notenbesprechungen nutzen, damit die noch frischen Eindrücke von den einzelnen Prüflingen nicht verwischt werden und die abschließende Besprechung am Ende der gesamten Prüfung nicht zu lange dauert. Währenddessen nutzen die Studenten diese Zeit zur Erholung und zur Stärkung. Danach geht es mit dem dritten Fach weiter und die Prüfung schließt mit dem vierten und letzten Prüfungsfach. Die Prüfung beginnt meist mit der Präsentation eines kleinen Sachverhalts durch den jeweiligen Fachprüfer. Hierbei sollten sich die Prüflinge so viele Informationen wie möglich notieren. Oft wird nämlich die Prüfung nicht mit einer juristischen Fachfrage begonnen, sondern der Prüfer verlangt von einem der Kandidaten eine ausführliche Wiederholung des Sachverhalts. Dieses Vorgehen ermöglicht es allen Kandidaten, den Sachverhalt sich noch einmal zu vergegenwärtigen, damit später möglichst keine Details mehr zweifelhaft bleiben. Diese Phase der Prüfung darf nicht unterschätzt werden. Denn nur der, der den Sachverhalt richtig und vollständig erfasst, hat eine Chance an der Prüfung mit Erfolg teilzunehmen. Wenn später im Prüfungsverlauf klar wird, dass ein Kandidat nicht einmal den Sachverhalt richtig erfasst hat, macht das nicht unbedingt einen positiven Eindruck bei der gesamten Kommission. Also lieber am Anfang noch einmal nachfragen, wenn etwas unklar ist. Oft ist es einer der schwächeren Kandidaten, die den Sachverhalt wiederholen sollen. Der jeweilige Prüfer kann so einem Kandidaten, der schlecht vorbenotet ist, die Gelegenheit geben, sich am Prüfungsgespräch ohne Angst beteili- gen zu können und ihm eine gewisse Sicherheit geben. Die Besonderheit der mündlichen Prüfung besteht nun darin, dass nicht zwingend nach der Reihe die Kandidaten geprüft werden. Es ist nicht so, dass zunächst ein Kandidat abgeprüft wird und mit Beendigung dieses Abschnitts der Nächste dran ist. Vielmehr entwickelt sich mit der Zeit ein immer intensiveres Prüfungsgespräch mit allen Kandidaten gleichermaßen und gleichzeitig. Oft beginnt die Prüfung von links nach rechts oder umgekehrt. Allerdings wird meist diese eingeschlagene Reihenfolge nicht eingehalten, weil der Prüfer beabsichtigt, die einfacheren Fragen den schwächeren Kandidaten zu stellen, damit diese die Möglichkeit haben, sich positiv zu präsentieren, um ihr Ziel zu erreichen. Die etwas kniffligeren Fragen mit mehr Detailwissen werden dann eher den stärkeren Kandidaten präsentiert, die so die Chance haben sollen zu zeigen, dass die guten Noten in den schriftlichen Klausuren gerechtfertigt sind. Die Tatsache, dass keine klare Reihenfolge vorgegeben ist, führt dazu, dass alle Kandidaten über die gesamte Prüfung hinweg absolut konzentriert sein müssen. Denn es besteht jederzeit die Möglichkeit, dass der Prüfer zwei Kandidaten überspringt und genau den fragt, der eben schon einmal dran war. Kleinere Pausen, während andere geprüft werden, sollte man also in keinem Fall einlegen. Mit zunehmender Zeit wird das Niveau der Prüfung grundsätzlich steigen, sodass es häufiger vorkommen wird, dass mal ein Kandidat keine Antwort auf die ihm gestellte Frage hat. Dann wird die Frage von dem Prüfer frei gegeben. Nun hat jeder Prüfling die Möglichkeit, auf diese Frage zu antworten und die Punkte für sich zu verbuchen. Allerdings darf letztlich nur der antworten, den der Prüfer auch bestimmt. Hier gilt es eine der wichtigsten Regeln in der Prüfung zu beachten. Eine auffällige Art auf sich aufmerksam zu machen, indem man beispielsweise den Arm hebt oder irgendwelche Laute von sich gibt, ist absolut unangebracht. So eine Art wird von der Kommission sofort mit einer Missbilligung sanktioniert. Die einzig korrekte und anerkannte Art dem Prüfer zu zeigen, dass man diese Frage gerne beantworten würde, ist das Aufnehmen von intensivem Blickkontakt. Nur so wird der Prüfer sich beeinflussen lassen, wen er auswählen soll. Genau in diesem Bereich haben dann auch wieder die Kandidaten mit den schlechteren Vorpunkten die Möglichkeit, positiv auf sich aufmerksam zu machen und dem Prüfer zu zeigen, dass man eigentlich viel stärker ist, als es die Vornoten vermuten lassen. So gibt es immer wieder Kandidaten mit schwachen Vorpunkten, die nach einer grandiosen Leistung in der mündlichen Prüfung, noch den Notensprung nach oben schaffen. Auch sollte es tunlichst vermieden werden, einen Mitprüfling zu verbessern oder auf einen Fehler des Vorredners hinzuweisen, ohne dazu vom Prüfer aufgefordert zu werden. „So etwas gehört sich unter Juristen nicht“. (Beitrag wird in der nächsten Ausgabe fortgesetzt; dort werden dann auch repräsentative Auszüge aus Prüfungsgesprächen dargestellt.) 59 August 2005 Strafrecht Allgemeiner Teil „Der Lösegeldbote“ – Täter- oder Opfergehilfe bei der Erpressung? Rönnau JuS 2006, 481 Im Zusammenhang mit Erpressungen und Geiselnahmen werden auf Veranlassung der Täter oder des Opfers häufig Dritte als Vermittler beispielsweise zur Überbringung von Lösegeld eingeschaltet. Wie in diesen Fällen strafloses von als Beihilfe strafbarem Unterstützungsverhalten abzugrenzen ist, ist umstritten. In der Literatur wird die Lösung der Frage zum Teil auf Tatbestandsebene nach bekannten Grundsätzen der Teilnahmelehre gesucht. Z.T. (SK-Rudolphi vor § 22 Rdnr. 9) wird als Hilfeleistung i.S.d. § 27 StGB lediglich die Förderung der tatbestandsmäßigen Handlung des Täters angesehen. Danach kann die bloße Vermittlung einer Lösegeldzahlung nach Abschluss der Nötigungshandlung nicht tatbestandsmäßig sein. Dies wird überwiegend abgelehnt, da nach dem Strafgrund der Beihilfe jede Mitverursachung des tatbestandsmäßigen Erfolges – hier des Vermögensschadens – tatbestandsmäßig ist. Andere versuchen die Frage nach den Grundsätzen über die notwendige Teilnahme zu lösen. Davon spricht man, wenn ein Straftatbestand (z.B. Wucher) notwendig die Beteiligung mehrerer Personen erfordert. Dabei besteht Konsens darüber, dass das durch den Tatbestand geschützte Opfer sich wegen einer Tatbeteiligung nicht strafbar macht. Insoweit käme in Betracht, auch Handlungen Dritter als straflose Teilnahmeakte einzustufen. Wird der Lösegeldbote auf Opferseite eingeschaltet und sieht man die Kettenteilnahme als Teilnahme zur Teilnahme an, so folgt aus der Straflosigkeit des Handelns des Opfers auch die Straflosigkeit des Lösegeldboten. Dagegen spricht jedoch, dass nach h.M. in der Kettenteilnahme eine Teilnahme an der Haupttat zu sehen ist und der Lösegeldbote selbst regelmäßig weder Opfer noch sonst notwendig Beteiligter einer Erpressung ist. Andere (Roxin AT II § 26 Rdnr. 56) wollen nach einer Art „Lagertheorie“ eine bloße Unterstützung des Opfers und seiner Interessen nicht als tatbestandsmäßige Hilfeleistung ansehen. Die nur mittelbare Förderung der Tat könne nach dem Sinn des § 253 StGB nicht als Beihilfe zur Erpressung strafbar sein. Gegen diese Lösungen sprechen die Unbestimmtheit und Vagheit der Kriterien, nach denen eine Zuordnung des Unterstützers zum Lager des Täters oder des Opfers vorgenommen wird. Zudem bleibt unklar, wie neutrale Vermittler zu behandeln sind, die sich nicht einem der beiden Lager zuordnen lassen, sondern sich aus eigenem Interesse beteiligen. Hiernach sieht Rönnau auf der Basis der 60 AS aktuell Teilnahmedogmatik keine überzeugende Grundlinie zur Behandlung der problematischen Fälle. Erfüllt der Vermittler oder Lösegeldbote danach den Tatbestand der Beihilfe, so könnte man an eine Rechtfertigung aus Notwehr oder Notstand denken. Eine Notwehr scheidet jedoch aus, da es sich bei der Beteiligung an der Tat nicht um eine Verteidigungshandlung handelt. Gegen die Anwendung von Notstandsregeln spricht, dass diesen die Regeln über Einwilligung und mutmaßliche Einwilligung vorgehen und im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung nicht immer eindeutig das geschützte, das beeinträchtigte Interesse überwiegen wird. Rönnau plädiert deshalb für eine Lösung des Problems nach den Regeln über Einwilligung und mutmaßliche Einwilligung. Dabei stellt sich allerdings die Frage, wie sich die Zwangslage des Erpressungsopfers für die Wirksamkeit der von ihm erteilten oder als mutmaßlich zu unterstellenden Einwilligung auswirkt. Z.T. wird in der Literatur die in einer Zwangslage i.S.d. Nötigungstatbestandes erteilte Einwilligung immer für absolut unwirksam gehalten. Andere gehen von der Unwirksamkeit der einem Dritten erteilten Einwilligung zumindest dann aus, wenn der Dritte selbst Kenntnis von der Zwangslage des Einwilligenden hatte. Hiernach wäre das Handeln eines Lösegeldboten nicht durch eine Einwilligung zu legitimieren. Dies hält Rönnau weder für im Grundsatz noch für im Ergebnis überzeugend. Der Mangel der genannten Ansichten liege darin, dass sie der Ursache der Zwangslage keinerlei Beachtung schenkten. Dabei stehe außer Frage, dass reine Sachzwänge die Wirksamkeit einer Einwilligung unberührt lassen. Anderenfalls gebe es keine Einwilligung in medizinisch indizierte Operationen. Die Zwangslage des Erpressungsopfers sei aber im Verhältnis zum Dritten, der für die Zwangslage nicht verantwortlich sei, ein reiner Sachzwang. Auch in dieser Zwangslage verblieben dem Dritten Handlungsspielräume, die er in seinem Sinne nutzen könne. Die Einschaltung eines Dritten als verlängerter Arm des Opfers bedeute für dieses eine Entlastung und stelle keine Chancenverschlechterung seiner Rechtsgüter dar. Schließt danach die Zwangslage des Opfers die Wirksamkeit seiner Einwilligung nicht aus, so verbleibt die Anschlussfrage, wie weit diese reicht. Der dem Vermittler oder Lösegeldboten eröffnete Handlungsrahmen lasse sich durch Auslegung der Einwilligung hinreichend sicher bestimmen. Die Opferinteressen seien durch eine Koppelung der Einwilligung an Bedingungen absicherbar. Danach komme es weder darauf an, in wessen Lager der Gehilfe stehe oder mit welcher Motivation er handele, noch sei in subjektiver Hinsicht ein Handeln im Interesse des Einwilligenden oder aufgrund der Einwilligung zu fordern, da ein derartiges Kriterium allenfalls zu einer unzulässigen Gesinnungsstrafbarkeit führen könne. AS aktuell August 2005 Ist danach eine Vermittler- oder Botentätigkeit im Rahmen der Einwilligungsregeln zulässig, so ließe sich das Verbot einer Mitwirkung dieser Art allenfalls auf den Schutz überindividueller Interessen stützen, etwa auf den Schutz künftiger potentieller Erpressungsoder Entführungsopfer. Ein derartiges Verbot besteht nicht generell, was jedoch nicht ausschließt, dass zum Schutz von allgemeinen Interessen im Einzelfall durch polizeirechtliche Verfügung die Erfüllung von Lösegeldforderungen verboten werden könnte. Wegen der sich daraus gegebenenfalls ergebenden objektiven Einwilligungsschranke würde sich der Vermittler oder Lösegeldbote in einem solchen Fall wegen Beihilfe strafbar machen. Ergänzung zu: AS-Skript StrafR AT 2 (2004), S. 64 ff. Die Abstiftung Kudlich JuS 2005, 592 Der Begriff der Abstiftung wird in der Literatur bisweilen für den Fall der Anstiftung zum Unterlassungsdelikt verwendet. Im vorliegenden Beitrag geht es dagegen um Fälle, in denen der Teilnehmer den Täter veranlasst, eine weniger schwerwiegende Tat zu begehen im Vergleich zu derjenigen, die der Täter ohnehin geplant hatte. Der Begriff des „Bestimmens“ in § 26 StGB setzt nach allgemeiner Ansicht das Hervorrufen des deliktischen Tatentschlusses beim Täter voraus. § 26 StGB geht danach davon aus, dass der Täter vor der Einflussnahme durch den Teilnehmer noch nicht zur Begehung der Tat entschlossen (omnimodo facturus) ist. Zweifelhaft bleibt danach die rechtliche Behandlung der Fälle der „Umstiftung“. Darum handelt es sich, wenn der Täter durch die Beeinflussung seitens des Teilnehmers lediglich zu einer anderen Art der Ausführung der geplanten Tat veranlasst wird. Im Hinblick auf die Teilnahmehaftung ist insoweit danach zu unterscheiden, ob der Täter zu einer rechtlich gleichwertigen, qualifizierten oder einer weniger schwerwiegenden Begehungsweise veranlasst wird, beispielsweise zur Verwirklichung lediglich des Grundtatbestandes an Stelle der ursprünglich geplanten Qualifikation. In dem zuletzt genannten Fall besteht Einigkeit darüber, dass eine Anstiftung ausscheidet. Denn der ursprüngliche Entschluss, das qualifizierte Delikt zu begehen, umfasst auch die Begehung des Grunddelikts, sodass der Täter zur Begehung der Tat bereits entschlossen war. In Betracht kommt jedoch eine Strafbarkeit des Teilnehmers wegen psychischer Beihilfe gem. § 27 StGB. Deren Strafbarkeit wird zwar bisweilen prinzipiell infrage gestellt, von der h.M. jedoch wegen des weitgehenden Wortlauts des § 27 StGB und des Strafgrundes der Teilnahme (Förderungstheorie) bejaht. Über die Reichweite der Gehilfenhaftung im vorliegenden Zusammenhang der Abstiftung gehen die Ansichten aber auseinander. Zum Teil wird sie für den Regelfall bejaht. Nach anderer Ansicht soll unter dem Gesichtspunkt der Risikoverringerung die Tatbestandsmäßigkeit ausgeschlossen sein, es sei denn, dass die Abstiftung von der Verwirklichung qualifizierender Umstände auf Kosten einer Bestärkung des Tatentschlusses an sich erreicht wird. In diesen Fällen soll eine Rechtfertigung wegen Notstandes gem. § 34 StGB in Betracht kommen, wenn die Gefahr der Begehung der schwerwiegenderen Variante auf andere Art und Weise nicht abzuwenden war. Kudlich plädiert demgegenüber für eine weitergehende Berücksichtigung des Risikoverringerungsgedankens, indem er weitergehend differenziert. In denjenigen Fällen der Einflussnahme, in denen es zu einer psychischen Bestärkung des Tatentschlusses nicht kommt, fehle es bereits jenseits der Anforderungen der objektiven Zurechnung an jeder Form des „Hilfeleistens“ i.S.d. § 27 StGB, sodass eine Beihilfe in jedem Fall ausscheiden müsse. Der Begriff des Hilfeleistens setze nach der Förderungstheorie bereits eine Gefahrsteigerung voraus, an der es in derartigen Fällen fehle. Rät danach der Beteiligte dem Täter von der Verwirklichung straferschwerender Umstände ab, ohne ihn in seinem Tatentschluss zu bestärken, entfällt bereits der Tatbestand. Anders seien die Fälle zu behandeln, in denen durch die Abstiftung das Begehungsrisiko als solches erhöht worden ist. Gehe das Abraten von der Verwirklichung qualifizierender Umstände auf Kosten einer Bestärkung des grundsätzlichen Handlungsentschlusses, so werde die Tat hierdurch psychisch gefördert und damit Beihilfe geleistet. Dennoch sei auch in diesen Fällen die objektive Zurechnung wegen des Gedankens der Risikoverringerung zu verneinen. Diese Lösung habe den Vorteil, dass es auf eine Rechtfertigung gem. § 34 und die dort vorausgesetzte fehlende anderweitige Abwendungsmöglichkeit nicht ankommt. Allerdings beschränkt sich die Anwendung des Risikoverringerungsgedankens auf Fälle der Verletzung desselben Rechtsguts bzw. auf die Herabstufung von einem qualifizierten Delikt auf den Grundtatbestand. Danach verbleiben solche Fälle, in denen der Täter durch die Einflussnahme zu weniger schwerwiegendem Unrecht veranlasst wird, das allerdings einen anderen als den ursprünglich geplanten Tatbestand erfüllt. Da hier für den Risikoverringerungsgedanken als Zurechnungskriterium kein Raum bleibt, kommt in derartigen Fällen lediglich eine Rechtfertigung wegen Notstandes gem. § 34 StGB in Betracht. Wenn also der zum Raubmord entschlossene Täter durch die Einflussnahme des Teilnehmers dazu veranlasst wird, das Opfer stattdessen zu fesseln und zu berauben, so könnte die Anstiftung zur Freiheitsberaubung gem. §§ 239, 26 StGB allenfalls gem. § 34 StGB gerechtfertigt sein, falls das Risiko der Begehung des Raubmordes anderweitig nicht abwendbar war. Ergänzung zu: AS-Skript StrafR AT 2 (2004), S. 62 61 August 2005 Öffentliches Recht Verfassungsrecht Vorzeitige Auflösung des Bundestages Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen der Vertrauensabstimmung im Bundestag Die Ankündigung des Bundeskanzlers Schröder am Abend der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen vom 22. Mai 2005, „darauf hinzuwirken, dass der Herr Bundespräsident von den Möglichkeiten des Grundgesetzes Gebrauch machen kann, um so rasch wie möglich (...) Neuwahlen zum Deutschen Bundestag herbeizuführen“, kam für die meisten politischen Beobachter überraschend. Der nachfolgende Beitrag skizziert die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen einer vorzeitigen Auflösung des Bundestages. I. Verfassungsrechtliche Instrumente zur vorzeitigen Beendigung einer Wahlperiode Das GG erhebt hohe Hürden an eine vorzeitige Auflösung des Bundestages, da dieser gem. Art. 39 Abs. 1 GG grds. auf vier Jahre gewählt wird. Um diese sowohl als Höchst- wie Mindestdauer konzipierte Wahlperiode sicherzustellen, kommt nur in zwei besonderen Sachlagen eine vorzeitige Auflösung des Bundestages in Betracht: (1) wenn zu Beginn der Wahlperiode oder nach Rücktritt des Bundeskanzlers während der Wahlperiode kein Kanzlerkandidat die absolute Mehrheit erhält (Art. 63 Abs. 4 GG) oder (2) wenn der Bundeskanzler den Antrag stellt, ihm das Vertrauen auszusprechen, dieser jedoch nicht die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages erhält und daraufhin der Bundeskanzler den Bundespräsidenten ersucht, den Bundestag aufzulösen (Art. 68 Abs. 1 GG). II. Die Anforderungen an das Verfahren gemäß Art. 68 GG im Einzelnen 1. Geschichtlicher Hintergrund der Vorschrift Die hohen Anforderungen an die Vertrauensfrage gem. Art. 68 GG werden oft vor dem geschichtlichen Hintergrund der Weimarer Reichsverfassung begründet. Wesentlich für diese war die Verknüpfung des parlamentarischen Systems einerseits mit Ausprägungen des Präsidialsystems andererseits (Maurer DÖV 1982, 1001, 1003 m.w.N.). Nach dem Modell der WRV existierten zwei Verfassungsorgane mit unmittelbarer demokratischer Legitimation: Reichstag und Reichspräsident. Letzterer ernannte und entließ Reichskanzler und Reichsminister; gleichzeitig bedurften sie jedoch 62 AS aktuell auch des Vertauens des Reichstages und mussten zurücktreten, wenn ihnen das Misstrauen ausgesprochen wurde (Art. 53, 54 WRV). Theoretisch sollte dieses Modell eine Machtbalance zwischen Reichstag einerseits und Reichspräsident andererseits sicherstellen. Im Konfliktfall konnte jedoch der Reichspräsident gem. Art. 25 WRV den Reichstag auflösen. Begrenzt war dessen Kompetenz lediglich insoweit, als die Auflösung „nur einmal aus dem gleichen Anlass“ erfolgen durfte (Art. 25 Abs. 1, 2. Halbs. WRV). Andererseits konnte auch der Reichstag gegen den Reichspräsidenten vorgehen und gem. Art. 43 WRV dessen Absetzung durch Volksentscheid beantragen. Dieses System, das zudem starke plebiszitäre Elemente aufwies, führte dazu, dass stabile politische Verhältnisse kaum möglich waren. Wegen dieser Erfahrungen sollte eine vorzeitige Auflösung des Bundestages im GG nur unter strengen Maßstäben möglich sein. 2. Voraussetzungen an das Verfahren gem. Art. 68 GG Das Verfahren einer Auflösung des Parlaments nach verlorener Vertrauensfrage setzt sich aus verschiedenen Stufen zusammen: Der Vertauensfrage des Bundeskanzlers, der Abstimmung im Bundestag, dem Antrag des Bundeskanzlers auf Parlamentsauflösung und der nachfolgenden Entscheidung des Bundespräsidenten. a. Die Vertrauensfrage des Bundeskanzlers und ihre Anforderungen Die Befugnis, die Vertrauensfrage zu stellen, steht ausschließlich dem Bundeskanzler zu. Weitgehend unproblematisch ist eine solche in den Fällen, in denen die Vertrauensfrage darauf abzielt, die politische Stabilität des Bundeskanzlers zu sichern. Verfassungsrechtlich außerordentlich problematisch ist demgegenüber die Frage, ob auch eine „negative Vertrauensfrage“ zulässig ist. Eine solche liegt vor, wenn der Bundeskanzler im Bundestag eine Vertrauensfrage gerade mit dem Ziel stellt, ihm nicht das Vertrauen auszusprechen und über diesen Weg die Auflösung des Bundestages anstrebt. a. Einerseits wird aus dem Wortlaut des Art. 68 GG („Vertrauen“) der Schluss gezogen, dass der Bundeskanzler die Vertrauensfrage nur mit dem Ziel stellen dürfe, ihm das Vertrauen auch tatsächlich auszusprechen (z.B. Delbrück/Wolfrum JuS 1983, 758, 761; Schultz MDR 1972, 926, 927). Damit dürfe der Bundeskanzler mit Hilfe der Vertrauensfrage die Auflösung des Bundestages nicht anstreben. Besonders plastisch wurde diese Position in dem Sondervotum von Rinck formuliert (BVerfGE 62, 70, 71 f.): „Schon der Wortlaut des Art. 68 GG schließt es aus, dass ein Bundeskanzler, der ersichtlich das Vertrauen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages hat, nach dieser Norm die Auflösung des Bundestages anstrebt, einleitet und erreicht.“ AS aktuell August 2005 b. Neben diesem engen Textverständnis wird auch eine weniger strenge Auslegung des Art. 68 GG befürwortet. Danach soll eine Vertrauensfrage mit dem Ziel der Auflösung des Bundestages ausnahmsweise auch dann zulässig sein, wenn diese von einem Minderheitskanzler gestellt wird und eine parlamentarische Krise anders nicht behoben werden kann. Diese Position wird insbesondere auf historische und systematische Argumente gestützt. So ergebe sich aus der Gesamtschau der Art. 63, 67 und 81 GG das Ziel des Verfassungsgebers, Parlament und Regierung möglichst lange in Funktion zu halten. Hieraus folge, dass die Auflösung des Bundestages lediglich als ultima ratio zulässig sei. Eine solche Interpretation dränge sich auch deswegen auf, da andernfalls Art. 68 GG die Funktion eines Selbstauflösungsrechts erhalte, was vom Verfassungsgeber aufgrund der Erfahrungen in der Weimarer Republik gerade nicht gewollt war (zuletzt in diesem Sinne Schenke NJW 2005, 1844, 1845). c. Eine „offene“ Interpretation des Art. 68 GG hat jedoch bereits die Senatsmehrheit des BVerfG in der Leitentscheidung vom 16.02.1983 (BVerfGE 62, 1 ff.) befürwortet. Der Begriff des „Vertrauens“ im Sinne von Art. 68 GG sei nicht etwa in einer moralischen Kategorie zu verstehen und folglich nicht final auf eine positive Bestätigung des Vertrauens ausgerichtet. Vertrauen im Sinne des Art. 68 GG bedeute „gemäß der deutschen verfassungsgerichtlichen Tradition [vielmehr] die im Akt der Stimmabgabe förmlich bekundete gegenwärtige Zustimmung der Abgeordneten zu Person und Sachprogramm des Bundeskanzlers“ (BVerfGE 62, 1, 2 – Ls. 5). Zudem stellt das BVerfG ausdrücklich klar, dass der Bundeskanzler die Auflösung des Bundestages auf dem Weg des Art. 68 GG anstreben kann (BVerfGE 62, 1, 2 – Ls. 6). Er soll dieses Verfahren jedoch nur anwenden dürfen, wenn es politisch für ihn nicht mehr gewährleistet ist, mit den im Bundestag bestehenden Kräfteverhältnissen weiterzuregieren. Die politischen Kräfteverhältnisse, so das BVerfG, müssen die Handlungsfähigkeit des Bundeskanzlers so beeinträchtigen oder lähmen, dass er eine vom stetigen Vertrauen der Mehrheit getragene Politik nicht sinnvoll zu verfolgen vermag. Dies ist ungeschriebenes sachliches Tatbestandsmerkmal des Art. 68 Abs. 1 GG, welches der Bundeskanzler bereits bei der Entscheidung über die Stellung der Vertrauensfrage zu prüfen hat. Insoweit steht dem Bundeskanzler jedoch ein Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum zu (BVerfGE 62, 1, 50). Damit stellt sich die Frage, ob Bundeskanzler Schröder im Rahmen einer gerichtlich nur begrenzt überprüfbaren Prognoseentscheidung tatsächlich von einer solchen Sachlage ausgehen durfte. Diese Frage dürfte Anlass zu sehr unterschiedlichen Bewertungen bieten. Wir möchten Ihnen an dieser Stelle nur die wesentli- chen Eckpunkte darlegen, ohne einer abschließenden Entscheidung vorgreifen zu wollen. aa. Angekündigt wurde das Vorgehen noch am Wahlabend der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 22.05.2005. Bundeskanzler Schröder wörtlich, dass „mit dem bitteren Wahlergebnis für meine Partei die politische Grundlage für die Fortsetzung unserer Arbeit in Frage gestellt sei.“ Diese Argumentation allein dürfte die Annahme einer materiellen Auflösungslage kaum rechtfertigen, da der Verlust einer Landtagswahl zunächst keinerlei Auswirkungen auf die Kräfteverhältnisse im Bundestag hat. Zudem ist zu berücksichtigen, dass divergierende politische Kräfteverhältnisse zwischen Landtagen einerseits und dem Bundestag andererseits in förderalistischen Systemen wie dem der Bundesrepublik Deutschland schon von Verfassungs wegen typisch sind. Unabhängig von diesen Überlegungen wird die Frage zu beantworten sein, ob Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass die politische Handlungsfähigkeit der Regierung wegen veränderter Kräfteverhältnisse im Bundestag in absehbarer Zeit in Frage gestellt war. Schenke (NJW 2005, 1844, 1846) ist der Ansicht, dass der Verlust der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen die Aufgabe des Regierens für die Bundesregierung jedenfalls nicht erschwert habe. Die potenzielle Möglichkeit einer Blockade wichtiger Gesetze im Bundesrat bestand nämlich auch schon vorher, sodass dieser Umstand keine hinreichende Legitimation für die Stellung der Vertrauensfrage bilde. Zudem würde eine mögliche vorgezogene Bundestagswahl auch an den dortigen Mehrheitsverhältnissen nichts ändern. b. Die Abstimmung im Bundestag Die Vertrauensfrage des Bundeskanzlers ist verneint, wenn er nicht die in Art. 121 GG definierte absolute Mehrheit der Stimmen erlangt. c. Anschließender Antrag des Bundeskanzlers Falls der Bundeskanzler das Vertrauen der Bundestages nicht erlangt, stehen ihm drei Möglichkeiten offen: Er kann dem Bundespräsidenten die Auflösung des Bundestages vorschlagen, er kann seinen Rücktritt erklären oder schließlich beides unterlassen und als Minderheitskanzler weiterregieren. Welche Handlungsalternative der Bundeskanzler tatsächlich wählt, hängt allein von seinem Ermessen ab (Herzog in Maunz/Dürig, GG, Stand Februar 2005, Art. 68 Rdnr. 42). d. Die Entscheidung des Bundespräsidenten Nachdem Bundeskanzler Schröder den Bundespräsidenten ersucht hat, den Bundestag aufzulösen, stellt sich die Frage nach dessen Entscheidungskompetenz. Dieser hat nach dem GG die Rolle einer neutralen Entscheidungsinstanz. Bei der Ausübung dieser Funk- 63 August 2005 AS aktuell tion hat der Bundespräsident nicht nur zu prüfen, ob das angestrengte Verfahren auf den vorangegangenen Stufen verfassungskonform erfolgt ist, sondern im Rahmen einer für dieses Amt ungewöhnlichen echten Ermessensentscheidung zu beurteilen, „ob die Auflösung des Bundestages und damit die Verkürzung der laufenden Wahlperiode des Art. 39 Abs. 1 GG mit ihren politischen Folgen sinnvoll ist und von ihm politisch vertreten werden kann“ (BVerfGE 62, 1, 49). Bei der Ausfüllung dieses Entscheidungsrahmens hat der Bundespräsident jedoch die Einschätzungs- und Beurteilungskompetenz des Bundeskanzlers zu beachten. Dies hat das BVerfG in der Leitentscheidung aus dem Jahr 1983 ausdrücklich betont. Kommt der Bundeskanzler zu der Auffassung, dass seine politischen Gestaltungsmöglichkeiten bei den gegebenen politischen Kräfteverhältnissen erschöpft sind, so kann der Bundespräsident nicht seine eigene Beurteilung der politischen Situation an die Stelle der Auffassung des Bundeskanzlers setzen (BVerfGE 62, 1, 50). ten verletzt werde. Folglich besteht ein Streit über den Umfang der Rechte und Pflichten des Bundespräsidenten aus Art. 68 Abs. 1 GG einerseits und aus dem Abgeordnetenstatus gem. Art. 38 Abs. 1 S. 2 i.V.m. Art. 39 Abs. 1 S. 1 GG andererseits. Entsprechende Organstreitverfahren einzelner Abgeordneter dürften damit zulässig sein. Durch die Auflösungsentscheidung endet die Amtszeit des Bundestages nicht unmittelbar, sondern erst mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestages (Art. 39 Abs. 1 S. 2 GG). Gem. Art. 39 Abs. 1 S. 4 GG muss im Fall der Auflösung die Neuwahl innerhalb von sechzig Tagen stattfinden. Die Bestimmung des Wahltermins selbst erfolgt auf der einfachgesetzlichen Grundlage des § 16 S. 1 BWG und teilt als Annexentscheidung zur Bundestagsauflösung deren rechtliches Schicksal. a. Als Partei i.S.d. Art. 21 GG sind diese Organisationen kein Teil des Bundestages, so dass deren Beteiligtenfähigkeit nicht außer Frage steht. Allerdings sind Parteien „am Verfassungsleben Beteiligte“ i.S.d. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG. Aus diesem Grund sind Parteien nach h. M. auch im Rahmen eines Organstreits beteiligtenfähig. III. Verfassungsprozessuale Instrumente etwaiger Gegner einer vorzeitigen Bundestagsauflösung Auch wenn über die Parteigrenzen hinweg vorgezogene Neuwahlen begrüßt werden und Vorbereitungen hierfür bereits in vollem Gange sind, haben einzelne Abgeordnete und Parteien angekündigt, gegen dieses Verfahren juristisch vorzugehen. Als mögliches verfassungsprozessuales Instrument hierfür kommt ein Organstreitverfahren gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 13 Nr. 5 BVerfGG in Betracht. 1. Organstreitverfahren einzelner Abgeordneter Im Rahmen des Organstreitverfahrens sind gem. § 63 BVerfGG u.a. Teile des Bundestages beteiligtenfähig, die entweder im GG oder durch die GeschO des Bundestages mit eigenen Rechten ausgestattet sind. Hierzu gehören auch die Abgeordneten des Bundestages. Auch deren Antragsbefugnis zu bejahen ist. Gem. § 64 Abs. 1 BVerfGG setzt diese nämlich voraus, dass die Beteiligten geltend machen können, in einem durch das GG verliehenen Recht verletzt oder unmittelbar gefährdet zu sein. Nach den derzeitigen Verlautbarungen einzelner Abgeordneter machen diese geltend, vom Wähler ein parlamentarisches Mandatsrecht bis zum Herbst 2006 erhalten zu haben, welches durch eine vorzeitige Auflösung des Bundestages durch den Bundespräsiden- 64 2. Organstreitverfahren einzelner Parteien Daneben haben auch kleinere Parteien angekündigt, sich gegen eine vorzeitige Neuwahl des Bundestages zur Wehr setzen zu wollen. Diese berufen sich darauf, dass ihnen bei einer vorgezogenen Neuwahl nicht die gleichen Erfolgschancen eingeräumt werden wie den etablierten Parteien. In der verkürzten Frist bis zu den geplanten Neuwahlen im September könnten sie den notwendigen Wahlkampf nicht organisieren. Im Hinblick auf ein Organstreitverfahren ist ein Vorgehen kleinerer Parteien jedoch in zweierlei Hinsicht problematisch: b. Darüber hinaus stellt sich die Frage der notwendigen Antragsbefugnis. Diese setzt voraus, dass der Antragsteller geltend machen kann, in einem durch das GG verliehenen Recht verletzt zu sein. Eine mögliche Rechtsverletzung einfachgesetzlicher Vorschriften reicht hierzu nach einhelliger Ansicht nicht aus. Soweit sich kleinere Parteien gegen eine Auflösungsentscheidung des Bundestages wenden, scheidet eine Antragsbefugnis jedenfalls bei solchen Parteien aus, die nicht im Bundestag vertreten sind. Dies sind nämlich von einer Auflösung zunächst nicht betroffen. Fraglich ist damit, ob die Bestimmung des (vorgezogenen) Wahltermins eine Antragsbefugnis begründen kann. Dagegen spricht zunächst, dass diese Entscheidung ihre Grundlage in der einfachgesetzlichen Regelung des § 16 S. 1 BWG findet (s.o.). Auf der anderen Seite begründet auch die Bestimmung des Wahltages als Annexentscheidung zur Bundestagsauflösung ein verfassungsrechtliches Verhältnis. Mit diesen Überlegungen dürfte somit auch die Entscheidung hinsichtlich des Wahltermins Gegenstand eines Organstreitverfahrens sein können (so auch Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 1991, § 7 Rdnr. 8). Ggf. käme darüber hinaus jedoch auch eine Verfassungsbeschwerde der Parteien in Betracht. Ergänzung zu AS-Skript Verfassungsrecht (2004), S. 129 ff.