SWR2 OPER Moderationsmanuskript von Reinhard Ermen Emil Nikolaus von Reznicek: „Holofernes“ Sonntag, 10.07.2016, 20.03 Uhr Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. 1 Wir senden heute Abend eine echte Rarität, nämlich „Holofernes“ von Emil Nikolaus von Reznicek. Oper in zwei Akten. Text vom Komponisten, frei nach Friedrich Hebbels Drama. Das Stück würde am 27. Oktober 1923 im Deutschen Opernhaus in Berlin Charlottenburg uraufgeführt. Dort wurde es auch 1926, also vor 90 Jahren, zuletzt gespielt. Unsere Aufnahme entstand zusammen mit dem Westdeutschen Rundfunk und Deutschlandradio Kultur am 29. Mai dieses Jahres im Opernhaus Bonn. Emil Nikolaus Joseph, Freiherr von Reznicek wurde 1860 in Wien geboren. Er war im wahrsten Sinne des Wortes ein Kind der k. und k. Donaumonarchie. Sein Vater war ein General (später sogar Feldmarschall), die Mutter eine Prinzessin. Das Handwerk des Komponierens lernte er freilich in Leipzig bei Carl Reinecke und Salomon Jadassohn. Bald macht er als Kapellmeister Karriere; von der Pieke auf geht es im Schnelldurchgang nach Zürich, Stettin, Jena, Bochum Berlin und Mainz. Er kommt im wahrsten Sinne des Wortes ‚rum‘. In Prag, am Deutschen Theater bei Angelo Neumann, ist er etwa ein Jahr, auch in Weimar bleibt er nicht länger. Zwischendurch ist er auch Militärkapellmeister. Seine letzte, bedeutendere Festanstellung von 1909 bis 1911 war an der Komischen Oper in Berlin. Zuvor war er knapp drei Jahre in Warschau. Das Komponieren wird für ihn immer wichtiger. Die erste von insgesamt 12 Opern kommt 1886 in Prag heraus, frei nach Schillers „Die Jungfrau von Orleans“. Drei weitere Uraufführungen finden in Prag statt, darunter auch seine bekannteste, „Donna Diana“ 1894. Reznicek ist ein vielseitiger, glaubt man seinen Zeitgenossen, auch ein „vielgesichtiger“ Meister, dem das Komponieren leicht fällt. Er gilt als einer, der sich stilistisch nicht festlegen will. Obwohl die Oper mit immerhin 12 Beiträgen zur Gattung im Mittelpunkt seines Werks steht, lässt er sich darauf auch nicht festlegen. Es gibt von ihm Kammermusik, großbesetzte Chororchesterwerke, hochambitionierte sinfonische Dichtungen. Doch zuallererst war er wohl Musikdramatiker, denn auch einige Schauspielmusiken wird man in diesem Sinne dazu zählen, sowie ein Ballett und zwei Operetten. Mehr über Emil Nikolaus von Reznicek nach dem ersten Akt im Gespräch mit dem Bonner Operndirektor und Opernarchäologen Andres K.W. Meyer. Nur das sei noch hinzugefügt, der Komponist starb 1945 in Berlin. – Die Mitwirkenden: Osias, Oberpriester von Bethulien: Daniel Pannermayr Judith: Johanni van Oostrum Abra, ihre Magd: Ceri Williams Holofernes: Mark Morouse Achio, Hauptmann des Holofernes: Johannes Mertes 1. Hauptmann: Jonghoon You 2. Hauptmann: Nicholas Probst 3. Hauptmann: Sven Bakin Assad, ein Bürger: Martin Tzonev Daniel, sein Bruder: Josef Michael Linnek Gesandter von Mesopotamien: Martin Tzonev Ein Trabant: Egbert Herold Eine weibliche Stimme: Nina Unden Der Chor des Theater Bonn Das Beethoven Orchester Bonn Leitung: Jacques Lacombe Der Komponist hat aus Friedrich Hebbels dramatischem Erstling von 1841 eine konzentrierte Textfassung hergestellt, das heißt aus fünf wurden drei Akte. Das sind etwa 90 Minuten in dicht geballten musikalischen Setzungen. Ursprünglich begann die Oper mit einer kurzen Orchesterblende. Für die Wiederaufnahme 1926 in der Charlottenburger Oper hat Reznicek ein wehmütiges Vorspiel hinzugefügt, nach der Melodie des Kol Nidre, also den Einleitungsworten zum jüdischen Abendgebet des Versöhnungstags Jom Kippur. 2 Der Assyrische Herrscher Nebukadnezer lässt durch seinen Feldherrn Holofernes die Stadt Bethulien belagern. Den Bewohnern droht der Hungertod, wenn sie sich nicht ergeben. Einige sind zum Kniefall bereit auch gegen den Willen der Priester. Der unumstößliche Glaube an den einen Gott der Kinder Israel beginnt zu wanken. Ein Aufstand der Verzweifelten braut sich zusammen. Doch es geschehen seltsame Dinge. Assads Bruder Daniel, der 30 Jahre lang stumm war, beginnt zu sprechen und Judith eine schöne, junge, auch unberührte Witwe tritt auf. In einer großen Innenschau kurz zuvor hat sie sich auf eine Mission vorbereitet. Sie fordert Zeit bis zum kommenden Morgenrot. Sie will zu Holofernes in sein Lager gehen. Der Unterdrücker soll sterben. Mit ihrer Verführungskunst will sie das erreichen. Gott hat sie dafür noch schöner gemacht. Judith tritt zum Tor hinaus. Die Dienerin Abra folgt ihr … „Holofernes“, 1. Akt = 31‘24“ SWR2 Opernabend. Sie hören „Holofernes“. Oper in zwei Akten von Emil Nikolaus von Reznicek. Text vom Komponisten, frei nach Friedrich Hebbels Drama. In der Titelpartie Mark Morouse. Judith ist Johanni van Oostrum. Der Chor des Theater Bonn, das Beethoven Orchester Bonn. Die Leitung hat Jacques Lacombe. Wir senden einen Mitschnitt, der Ende Mai dieses Jahres mit dem WDR und Deutschlandradio im Theater Bonn entstand. Operndirektor und stellvertretender Intendant ist dort Andreas K.W. Meyer. 1958 in Bielefeld geboren ist der Musik- und Literaturwissenschaftler seit 1987 als Musikpublizist und seit 1993 als Operndramaturg unterwegs. Von Anfang an betätigt er sich als Ausgräber vergessener Opern aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es ist ja erstaunlich, was an Opern, nicht nur in dieser Zeit uraufgeführt und später vergessen wurde. Dramaturgen wie Mayer befragen dieses untergegangene Repertoire erneut und haben Komponisten wie Franz Schreker, Gian Francesco Malipiero, Franco Alfano, Walter Braunfels oder Alexander von Zemlinsky wieder zur Diskussion gestellt. Die Wiederentdeckten werden zu Novitäten der Gegenwart. Einer dieser weitgehend Unbekannten ist auch Emil Nikolaus von Reznicek. Reinhard Ermen hat Andreas K.W. Meyer dazu befragt. Das Gespräch dauert etwas mehr als 20 Minuten. Interview Ermen/Meyer: „Herr Meyer, Sie sind ein ambitionierter …. für mehrere Generationen von Opernzuschauern.“ Länge: 20‘45“ Soweit Andreas K.W. Meyer, Operndirektor und Stellvertreter des Intendanten am Theater Bonn über Emil Nikolaus von Reznicek und die Möglichkeiten seiner Wiederentdeckung. Die Fragen stellte Reinhard Ermen. Der zweite Akt dürfte mit seinen annährend 60 Minuten das Hauptstück dieses Operndramas sein. Er spielt im Lager der Assyrer. Holofernes, der Heerführer, ist als starker Machtmensch zu erleben, der die Unterwerfung der Männer von Mesopotamien mit einer geringschätzigen Geste entgegennimmt. Er hat geschworen, dass er das letzte Volk, das er erobert, vernichten wird. Jetzt wo Mesopotamien sich ergeben hat, soll die ganze Wucht des Schwurs, die Kinder Israel treffen. Dann erscheint Judith. Es gelingt ihr, den Unmenschen zu bezaubern, doch bald muss sie feststellen, dass der Mann sie zu faszinieren beginnt. In einem entsprechenden Monolog verschafft sie sich Klarheit über den Zwiespalt zwischen Mission und Empfinden. Nach einem Gelage kehrt er zu ihr zurück. Er ist von ihr, auch von ihrem Widerstand fasziniert. Es kommt zum Beischlaf und dann zum Tyrannenmord. Mit dem abgeschlagenen Haupt des Holofernes eilt Judith ins Lager der Israeliten. Der Jubel dort ist unbeschreiblich. Die Linien der Assyrer geraten in Verwirrung. Den Siegestaumel ihrer Leute mag Judith nicht teilen. Sie trägt in sich den Samen des Gewaltmenschen. Sie bittet die 3 Umstehenden, sie zu töten. In der biblischen Überlieferung gibt es diese Schlusswendung nicht. Da stirbt sie irgendwann hochbetagt und vom Volk verehrt. In Hebbels Original gibt es indessen diese finale Zuspitzung, aber mit einer Relativierung. Judith betet, dass ihr Schoß unfruchtbar sein möge. Bei Reznicek ersticht die Heldin sich schlussendlich mit den Worten: „So tu ich’s selbst! Ich will dem Holofernes keinen Sohn gebären.“ „Holofernes“, 2. Akt = (Musik und 30“Beifall) = 56‘30“ SWR2 Opernabend, auf dem Spielplan stand heute: „Holofernes“ von Emil Nikolaus von Reznicek. Oper in zwei Akten. Text vom Komponisten, frei nach Friedrich Hebbels Drama. Die Ausführenden waren: Osias, Oberpriester von Bethulien: Daniel Pannermayr Judith: Johanni van Oostrum Abra, ihre Magd: Ceri Williams Holofernes: Mark Morouse Achio, Hauptmann des Holofernes: Johannes Mertes 1. Hauptmann: Jonghoon You 2. Hauptmann: Nicholas Probst 3. Hauptmann: Sven Bakin Assad, ein Bürger: Martin Tzonev Daniel, sein Bruder: Josef Michael Linnek Gesandter von Mesopotamien: Martin Tzonev Ein Trabant: Egbert Herold Eine weibliche Stimme: Nina Unden Chor des Theater Bonn Beethoven Orchester Bonn Leitung: Jacques Lacombe Unsere Aufnahme entstand zusammen mit dem Deutschlandradio Kultur und dem Westdeutschen Rundfunk am 29. Mai dieses Jahres im Opernhaus Bonn. Ton und Technik: Sebastian Stein und Rainer Kühl. Redaktion: Reinhard Ermen. Es geht weiter mit Musik von Emil Nikolaus von Reznicek. Bevor ein symphonisches Hauptwerk von ihm, das Tongemälde „Schlemihl“ erklingt, die Ouvertüre zur „Donna Diana“. Das ist gedacht als Kontrastmontage, bzw. als Hommage an den Komponisten mit den vielen Gesichtern, der eben auch von Andreas K.W. Meyer angesprochen wurde. Das SWR Rundfunkorchester Kaiserslautern spielt unter der Leitung von Emmerich Smola. Ouvertüre „Donna Diana“ = 5‘45“ Die Ouvertüre zur Oper „Donna Diana“ von Emil Nikolaus von Reznicek in einer Aufnahme mit dem SWR Rundfunkorchester Kaiserslautern unter Emmerich Smola. Es folgt, wie eben schon angekündigt: „Schlemihl, ein sinfonisches Lebensbild für Orchester und Tenor“. Diese fünfsätzige Tondichtung entstand in den Jahren 1911/12, in einer Krisenzeit. Rezniceks Frau Bertha war schwer erkrankt. Die Verlustängste bestimmen das tragisch düstere Orchesterstück. Die glückliche Genesung der Gattin wird in der vokalen Apotheose 4 des letzten Satzes hörbar. Als Tenorsolo erklingt ein Gedicht von Goethe „Wanderers Nachtlied“, das mit den berühmten Zeilen beginnt: „Der du vom Himmel bist, / Alles Leid und Schmerzen stillest“ … Gemeint ist also weniger eine Hommage an den Mann ohne Schatten „Peter Schlemihl“ von Adalbert von Chamisso, sondern (wortwörtlich) der Pechvogel, der vom Missgeschick verfolgte Mensch. Der Komponist ist in der Lage, so ein Szenario mit den Mitteln seiner Zeit auszumalen. Einflüsse sind hörbar, doch hat er sie in eine individuelle Sprache umgeformt. Der Musikwissenschaftler Eckhardt van den Hoogen schlägt als ironische Positionierung mit und gegen Richard Strauss „Kein Heldenleben“ vor. Die Satzbezeichnungen des annährend 44 Minuten langen Werks lauten: „Der Mann (Belebt mit stolzem Schwung) / Orgie (Scherzo) / Die Frau (Adagio) / Belebt, mit stolzem Schwung / sehr breit und feierlich. Das WDR Sinfonieorchester Köln spielt unter der Leitung von Michail Jurowski, Nobuaki Yamamasu singt das Tenorsolo. „Schlemihl“ = 44‘00“ 5