bordell ballade - Hochschule Mainz

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Rosl
Kirschgarten
Zuckergoscherl
Ferkel
BORDELL BALLADE
Ein Dreigoscherlstück mit Spelunkenliedern
Komposition: Moritz Eggert // Text: Franzobel
PROGRAMMHEFT
Zuckergoscherl
Ferkel
GRUSSWORT
PRÄSIDENT
Wer hätte gedacht, dass in der Aula der Fachhochschule Mainz einmal die Oper eines zeitgenössischen Komponisten aufgeführt werden
würde – ein „Songspiel mit Spelunkenliedern“,
um genau zu sein, in dem es, in der Tradition von
Brecht und Weill, um nichts Geringeres als die
Auswüchse des modernen Turbokapitalismus
geht?
Dass die „Bordellballade“ von Moritz Eggert am
1. Oktober bei uns Premiere hat – die Uraufführung fand 2010 in Dessau statt – , verdankt sich
dem Zusammenspiel glücklicher Umstände. Der
Mainzer Musiker Andreas Arneke konnte seinen
ehemaligen Kommilitonen Moritz Eggert für eine
Aufführung an unserer Hochschule gewinnen.
Der Rektor der Hochschule für Musik Mainz,
Prof. Dr. Ludwig Striegel, bot seine Kooperation
an und stellte das Instrumentalensemble. Und
zwei studentische Teams aus den Studiengängen
Innenarchitektur und Kommunikationsdesign der
FH Mainz entwarfen und realisierten unter der
Leitung der beiden Vertretungsprofessorinnen
Susanne Maier-Staufen und Sophie Dobrigkeit
das Bühnenbild, die Kostüme, Flyer und Plakate.
Ihnen allen sei an dieser Stelle ganz herzlich
gedankt. Vorhang auf für die „Bordellballade“!
Prof. Dr. Gerhard Muth
Präsident der Fachhochschule Mainz
BESETZUNG
ENSEMBLE
REGIE
Musikalische Leitung
Tobias Heyder
Andreas Arneke
Kostüme und Bühnenbild
Katharina Bahne, Ella Freitag, Lara Keischgens, Tania-Maria Klein,
Jessica Müller, Eva Spangler, Katharina Woll
(Studierende der Lehreinheit Innenarchitektur der FH Mainz)
Projektleitung
Vertr.-Prof. Susanne Maier-Staufen
Rosl
Zuckergoscherl
Barbara Arneke
Christina Bock
FERKEL
Alfred
Laura Demjan
Christian Palm
Kirschgarten
Bussibär
Richard Logiewa
Marc Megele
Instrumentalensemble der Hochschule für Musik Mainz
Synopse
DES STÜCKES
Tobias Heyder
Der einsame Metzger Alfred ist auf der Suche
nach Liebe und geht in ein Bordell. Doch die
Erfüllung der großen Liebe will sich dort nicht
einstellen. Denn im streng launisch geführten
Bordell der Puffmutter Rosl ist wenig los und für
Liebe nicht der wahre Platz. Einzig der traurige
Fliesenleger Bussibär vergnügt sich dort. Doch
von seiner Anwesenheit allein können Rosl und
ihre beiden Mitarbeiterinnen Zuckergoscherl
und Ferkel nicht überleben.
Gerade erst angekommen, verliebt sich Alfred
ausgerechnet in Zuckergoscherl. Und verspricht
ihr tägliches Fleisch. Doch sie will nichts von seinen Würsten und Schnitzeln wissen. Sie ist jene
selbstbewusste junge Frau, die in der Enge des
Bordells an der Grenze ihre Freiheit sucht und
ihr Ende finden wird. Sie überlässt Alfred der
irgendwo menschenunwürdig gekauften Hure
Ferkel. Diese erkennt sofort Alfreds Potenzial als
liebevollen Kümmerer, Versorger und Befreier.
Doch ihre plumpen Anmachversuche laufen ins
Leere. Alfred bietet seine Steaks nur für Zuckergoscherl.
Das Bordell wird so zum Tummelplatz der
Gestrandeten, die sich einander nichts geben
können. Das Gegenteil von Win-Win und Best
Practice. Alfred kündigt an, sich aus nicht erwiderter Liebe das Leben zu nehmen, doch auch
damit scheitert er.
Zu allem Überfluss wird das Bordell von dem
Mafiosi Kirschgarten heimgesucht, der gegen
Bares jenen Schutz bietet, den man eigentlich nur
vor ihm selber braucht. Die Geschäftsführerin
Rosl steht vor einer unlösbaren Aufgabe, denn
der Verkehr läuft schlecht und dementsprechend
fließt kein Bares. Den vermeintlichen Gentleman
Kirschgarten kann sie von der ökonomischen
Flaute nicht überzeugen. Brutal macht er ihr
deutlich, dass sie zahlen muss, und wirbt ihr auch
noch den einzigen Kunden ab. Bussibär soll sein
Handlanger und später einmal Nachfolger werden. Drohend ziehen beide von dannen.
Wie so oft haben große Bewegungen
einen kleinen Anlass: Rosl erkennt in
Ferkels Feststellung, immer nur das „Faulige der Banane abzubekommen“, was
ihr aber das „Liebste und Leckerste“ sei, die
Lösung für ihr betriebswirtschaftliches Dilemma.
Sie glaubt durch die inflationäre Gewährung
ihrer Ware zum Nulltarif – zuzüglich einer freiwilligen Spende in Sachform – das Geld abschaffen
zu können. Ihr Plan funktioniert. Die Freier
kommen in Scharen, das Bordell kann sich vor
Verkehr kaum retten. Der Berg der Geschenke
wächst und wächst. Wie schön kann die Welt
ohne Geld sein!
Doch leider hat Rosl ihre Wette ohne die
gemacht, die das Geld besitzen und ihre darauf bauende Macht nicht verlieren wollen. Als
deren Anwalt treten Kirschgarten und Bussibär
auf den Plan: Sie wollen keine Bügeleisen,
Stöckelschuhe, Unterwäsche oder Schinken,
sondern nur Bares. Um ihrer Forderung Nach-
druck zu verleihen, entführen sie
Zuckergoscherl und drohen mit ihrer
Ermordung. Alfred stellt sich ihnen in den
Weg und wird verprügelt. Rosl bleibt hart. Wie
jeder Anführer einer ideologischen Bewegung
muss sie Opfer zugunsten des großen Ganzen in
Kauf nehmen.
So kommt es zum schlimmsten möglichen
Szenario. Keine Seite gibt nach und das ökonomische Drama setzt sich im Privaten fort: Ferkel
versucht noch einmal, Alfreds Liebe mit aller
Kraft auf sich zu lenken und scheitert. Zuckergoscherl nimmt ihr Schicksal als Märtyrerin für
die gute Sache an und findet den Tod. Alfred
wird ihr folgen. Kirschgarten versucht aus den
Trümmern des Bordells noch den größten
Gewinn herauszuschlagen. Zurück bleibt Rosl
mit ihrer tollen Idee: einer Welt ohne Geld!
Tobias Heyder, Regisseur an der Oper Frankfurt
ÜBER DAS WERK
ÜBER DAS WERK
Moritz Eggert
LARS REICHOW
Wir brauchen ein Songspiel fürs 21. Jahrhundert!
Von den Spielarten der Oper ist das Singspiel
heute am unterrepräsentiertesten. Es entwickelte sich aus Madrigalen der Kirchenmusik
und wurde zu einer Form der Opera Comique.
Typisch für das Singspiel sind politische Kritik,
Humor und Parodie. Brecht-Weills Neuerfindung
des Singspiels als Songspiel überrascht daher
nicht, denn das Mahagonny-Songspiel und die
Dreigroschenoper entstanden während der
Weltwirtschaftskrise. Weills Musik klingt auch
heute frisch, aktuell und überzeugend. Warum?
Eben weil zu seiner Musik Humor und Eingängigkeit gehören. Ausdrucksformen, die Komponisten scheuen, weil sie entweder vom Publikum
oder von der Fachkritik missverstanden werden.
Zur Bordellballade
Ich hatte das Ziel, Besetzung und Ausführbarkeit
so einfach wie möglich zu halten, denn „kleine
und dreckige“ Stücke wie das Mahagonny-Songspiel eroberten die Bühnen, gerade weil sie mit
kleinen Ensembles machbar sind. Bei den ersten
Gesprächen mit Franzobel begann die aktuelle
Wirtschaftskrise, also wollten wir thematisch
darauf reagieren. Er schrieb mir „Lassen Sie uns
ein antikapitalistisches Stück machen!“ – dies ist
die Gelegenheit, sich auf die Verantwortung von
Kunst zu besinnen, ohne in Betroffenheitspathos
zu verfallen. Ob es uns gelingen würde, wussten
wir nicht. Wir wollten es aber auf jeden Fall
versuchen!
Gedanken eines Bad Boys
Wenn ich über Komponisten zeitgenössischer
Musik spreche, vergleiche ich sie mit Kühen.
Eine Kuh findet eine besonders saftige Stelle
auf der Weide – und schon grasen alle Kühe an
derselben Stelle, grasen bis kein Halm mehr
übrig ist. Entschlossen, nur an dieser Stelle zu
grasen, nehmen sie in Kauf, immer häufiger in
nackte Erde zu beißen. Was sie wiederkäuen,
ist zunehmend Kies und eigener Abfall. So steht
es mit der Neuen Musik. Alle grasen auf ihren
Fleckchen, immer genau dort, wo sie es sich
gemütlich eingerichtet haben.
Moritz Eggert, Komponist und Pianist,
Verfasser der Kolumne „Neues vom Bad Boy“
in der Neuen Musikzeitung (NMZ)
Warum braucht es eine Bordellballade? Warum
gibt Mahagonny keine Ruhe? Die Antwort ist
ganz einfach: Wir haben zwar heute die höchste
Bildschirmauflösung seit Jesu Geburt, aber auf
anderen Gebieten haben wir uns leider gar nicht
weiterentwickelt! In einer Gesellschaft, in der alles
erlaubt ist, wirken Begriffe wie „Würde, Ethik,
Kultur, Liebe oder Religion“ fast schon altbacken
und zeitraubend. Im schnellsten Kapitalismus
der Erde ist keine Zeit mehr, um die Dinge zu
überdenken, „eine Nacht drüber zu schlafen“,
sich etwas „in Ruhe zu überlegen“. Wir sind die
Kinder vom ICE-Bahnhof-Zoo. Unser Credo
ist der Star, wahlweise auf der virtuellen
Pop-Bühne oder im Kakerlaken-Sumpf eines
Dschungelcamps.
Die Bordellballade trifft den Nerv einer
kaputten Zeit. Sie transportiert mehr als nur
das Scheitern, sie zeigt die Wunden unter der
Lupe. Vordergründig kämpfen hier Huren, Freier
und Zuhälter – Menschen und Berufsgruppen,
deren Moralvorstellungen nur noch von Investmentbankern, Mappussen und Massenmördern
unterboten werden. Die Huren suchen Kunden,
die Freier suchen Befriedigung und die Zuhälter schlagen beide zusammen. Weil alle einen
Grund suchen, für den es sich lohnt zu leben,
weiter zu leben.
Im Hintergrund spielt noch eine andere Melodie. Eine süße, giftige Weise aus Machtversessenheit und – wie so oft, im Unterirdischen – der
Sehnsucht. Sehnsucht nach Wärme und einem
kleinen Stück vom Glück.
Lars Reichow, Mainzer Musikkabarettist
INTERDISZIPLINÄRE
ZUSAMMENARBEIT
DANKSAGUNG
Susanne Maier-Staufen
Interdisziplinäres Arbeiten heißt unentwegtes
Kommunizieren, unter vielerlei Einflüssen die
gemeinsame Richtung fokussieren, voneinander
lernen, geben und nehmen und stets auch an
die Belange der Partner zu denken.
Das Theater ist in dieser Beziehung eine gute
Schule: Ohne Musiker, Sänger und Darsteller
fände nichts statt; Bühne, Kostüme und Maske
heben die Wirkung ihres Tuns und bilden die
Basis der durch die Regie ausformulierten
Weltbeschreibung; die Beleuchtung stärkt die
dramatische Wirkung; die Kommunikationsmittel
verführen und leiten das Publikum in die Aufführung, und die fotografische Dokumentation der
Veranstaltung hält ein klein wenig den flüchtigen
Augenblick des Theaterglückes fest, für alle, die
hier zusammen wirken, für Akteure und Publikum.
Alles hängt voneinander ab, wurde viel diskutiert
und führt nun gemeinsam zu einem sehr besonderen Ereignis.
DANKE an sieben unermüdlich kreative
Studentinnen der Innenarchitektur (FH Mainz),
für die „Bühnenwelt“, die sie mit ihren Ideen
geschaffen und mit ihren Händen ausgeführt
haben, an die Musiker der Hochschule für Musik
für den vollen Klang, an Sophie Dobrigkeit und
ihren engagierten Kurs für das sehr besondere
Kommunikationsdesign (FH Mainz) und an
Martina Pipprich und ihre Studenten in Fotografie (FH Mainz) für das Festhalten des dahinschwindenden Augenblicks.
Susanne Maier-Staufen, Bühnen- und Kostümbildnerin, Vertretungsprofessorin für szenischen
Raum, Fachrichtung Innenarchitektur FH Mainz
Für ihr Engagement und ihre Unterstützung danken wir dem AStA der FH Mainz, Bettina Augustin,
Britta Dutz-Jäger, Mathias Ewald, Ute Kessy, Margarethe und Gerd Krämmer, Dr. Gabriele Lochhas,
Chris Maier, Nils Maier, Prof. Dr. Gerhard Muth, Prof. Dr. Ludwig Striegel, Dr. h.c. Hans Urrigshardt,
Judith Voss, Uwe Zentgraf und allen Studierenden aus den Lehreinheiten Innenarchitektur und
Kommunikationsdesign, die an dem Projekt mitgewirkt haben.
Impressum
Redaktion: Bettina Augustin
Gestaltung: Chris Maier | www.krizm.de
Mainz, Oktober 2012
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