Flyer_Autorenkino_A6_fin_web - Institut für Kunstwissenschaft

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Filmreihe
18.10. — 31.1.
Euro–
päisches
Autoren–
kino
Europäisches Autorenkino
Man kann sagen: Zur Zeit gibt es
kein Europäisches Autorenkino,
obwohl die EU viel Geld für Filmprojekte bereitstellt, um europäische Filme zu fördern. Kino ist ein
Geschäft. Es wird darin also immer die Sprache der Waren und
des Kapitals gesprochen.
Man kann aber auch sagen: Einen
Autorenfilm gibt es – wenigstens
in Rudimenten – immer, denn
ohne lebendige Arbeit lässt sich
kein Film herstellen. Autorenfilm
ist, kurz gesagt, das Bemühen,
der lebendigen Arbeitskraft (Realitätssinn, Phantasie, Achtung
des Stoffes, Reflexion der Form)
mehr
Ausdrucksmöglichkeiten
gegenüber der Warenform zu verschaffen. Die wirklichen Autoren
sind am Ende allerdings nicht allein der Regisseur, die Schauspieler, Beleuchter (also die lebendige
Arbeitskraft, die sich in der Produktion ausdrückt), sondern in
eben solchem Maße die Zuschauer, die ihren eigenen Film im Kopf
produzieren.
18.10. – 31.1.
*Alle Filme mit Einführung!
Marx spricht vom „Maulwurf“
der Geschichte, der gelegentlich
sich in Revolutionen zeige, ansonsten aber unterirdisch lebe.
Das Europäische Autorenkino
ist nach 1945 aufgetreten, zuerst
als „Italienischer Neorealismus“,
dann in Frankreich mit dem
„Cinema des auteurs“, später als
„Neuer Deutscher Film“. Viele internationale Filmschaffende und
Filmfreunde fühlen sich diesem
Projekt bis heute verbunden.
Filmreihe
Diesem Europäischen Autorenkino ist die Filmreihe gewidmet.
Winfried Pauleit &
Rainer Stollmann
Eine Kooperation von ZeMKI /
Institut für Kunstwissenschaft
– Filmwissenschaft – Kunstpädagogik der Universität Bremen
und dem CITY 46 / Kommunalkino
Bremen e.V.
18.10. / 20:00
Éric Rohmer
Sommer (F 1996)
Rohmer drehte Liebesfilme in
Gesprächen, die sich alltäglich,
dokumentarisch anhören. Aber
das ist eine Maskierung. Die Profis
und Laien, die hier zusammen
spielen, entwickeln Formen des
Redens knapp neben dem Alltag:
immer etwas zu frech, subjektiv so
dass anthropologische oder philosophische Tiefe zu ahnen ist. Sommer spielt in den Ferien in Dinard:
Ein Student kann sich nicht zwischen drei Mädchen entscheiden.
Am Schluß kehrt er heim, zu seiner Mutter, und man kann darüber
ins Grübeln geraten, ob das ÜberIch der Mutter ihm die erste große
Liebe verdorben oder ihn vor Unglück gerettet hat.
(Conte d’été) F 1996, Regie: Éric
Rohmer, mit Melvil Poupaud,
Amanda Langlet, 113 Min., OmU,
DVD
25.10. / 20:00
Thomas Arslan
Der schöne Tag (D 2001)
In Thomas Arslans Der schöne
Tag wird Eric Rohmers Sommer
deutsch
synchronisiert.
Eine Rolle wird von Deniz, einer
deutsch-türkischen Schauspielerin eingesprochen (gespielt von der
Schauspielerin und Filmemacherin Serpil Turhan). Deniz streift
einen Tag lang durch Berlin und
begegnet dabei sehr unterschiedlichen Menschen.
Die Schriftstellerin Elke Schmitter spricht als Soziologin über die
Liebe und der Schauspieler Hanns
Zischler spielt einen Regisseur.
D 2001, Regie: Thomas Arslan,
mit Serpil Turhan, Florian Stetter,
Hanns Zischler, 74 Min., 35 mm
1.11. / 20:00
Aki Kaurismäki
Wolken ziehen vorüber (FIN 1996)
Kaurismäki
erzählt
proletarische Märchen. Außerdem ist er
der Meinung, dass in Filmen viel
zu viel geredet wird. (Was wohl
herausgekommen wäre, wenn
er zusammen mit Rohmer einen
Film produziert hätte?) Getrunken
wird schon, so dass K. in Finnland
bei weitem nicht so beliebt ist wie
im übrigen Europa. „Die Kneipentheke ist ein poetisches Element,
eine Bühne zufälliger Begegnungen – oder zumindest war es so, bis
man verboten hat, an der Theke
zu rauchen.“ „Es handelt sich um
einen Film über Solidarität. Ein
Begriff, der aus dem allgemeinen
Sprachgebrauch allmählich verschwindet.“ (A. Kaurismäki)
(Kauas pilvet karkaavat) F 1996,
Regie: Aki Kaurismäki, mit Kati
Outinen, Kari Väänänen, 96 Min.,
OmU, DCP
8.11. / 20:00
Jean-Pierre & Luc Dardenne
Das Kind (F 2005)
Zunächst wird nur die Wohnung
der Freundin vermietet – ohne
ihr Wissen. Dann wird das ökonomische Handeln ausgeweitet. Ein
junger Vater trägt sein gerade geborenes Kind zu Markte. Er handelt einen Preis für das Kind aus.
Geld wird gegen Kind getauscht.
Das banal Alltägliche wird ins Monströse getrieben und dann in eine
Tragödie überführt. Der Vater erkennt seine Schuld, versucht den
Handel rückgängig zu machen,
verstrickt sich bei illegalen
Geschäften und landet im Gefängnis. Das Kind ist eine Versuchsanordnung, in der die Ökonomisierung menschlicher Beziehungen
ausgestellt wird.
(L’enfant) F 2005, Regie: Jean-Pierre
& Luc Dardenne, mit Jérémie Renier, Déborah François, 95 Min.,
OmU, 35 mm
15.11. / 20:00
Jafar Panahi
Taxi Teheran (IRAN 2015)
Der Regisseur fährt ein Taxi. Unterschiedliche Menschen steigen
ein und aus. Sie verkaufen kopierte Filme auf Datenträgern, transportieren Goldfische oder wollen
nach einem Verkehrsunfall – verletzt auf der Rückbank des Taxis
liegend – ihr Testament mit einem Smartphone aufnehmen. Die
Kamera zeichnet alles auf. Oder
ist alles inszeniert? Jafar Panahi
dreht unter erschwerten Bedingungen. Die Regierung seines
Landes hat ein langjähriges
Berufsverbot verhängt. Seine
Filme werden außer Landes
geschmuggelt und sind nur im
Ausland zu sehen. Sie werden zur
Neuen Welle des iranischen Kinos
gerechnet.
(Taxi) IRAN 2015, Regie: Jafar Panahi, mit Jafar Panahi, Hana Saeidi,
82 Min., OmU, DCP
22.11. / 20:00
François Truffaut
Sie küßten und sie schlugen ihn (F 1959)
Die erste Einstellung beginnt auf
einem namenlosen Schüler. Man
sieht, wie er schreibt, und man
hört den kratzenden Schriftzug
seiner Feder. Dann holt der
Schüler aus der Lade seiner Bank
ein Kalenderblatt mit einem PinUp darauf und reicht es durch die
Reihen. Ein anderer Schüler legt
sein Heft beiseite und nimmt sich
stattdessen das Pin-Up vor. Man
kann vermuten, dass der Schüler
dem Pin-Up einen Bart anmalt.
Wir erleben die Geburtsstunde
des „Cinéma des Auteurs“ und
die erste Filmperformance des
gerade entdeckten Schauspielers
Jean-Pierre Léaud, der das französische Autorenkino wie kein anderer verkörperte.
(Les 400 coups) F 1959, Regie:
François Truffaut, mit Jean-Pierre
Léaud, Claire Maurier, 99 Min.,
OmU, 35 mm
29.11. / 20:00
Jean-Luc Godard
Außer Atem (F 1960)
Von Walter Benjamin gibt es
den schönen Aufsatz: „Was die
Deutschen lasen, als Goethe
schrieb“. Diesen Titel kann man
aktualisieren: Was die Europäer
in den Kinos sahen, als Godard
Filme drehte. Jahr für Jahr bringt
dieser Meister nämlich einen
Film heraus, aber selbst in Paris
ist es schwer, das Kino zu finden,
das diese Filme zeigt. Stattdessen
schmückt sich Hollywood mit
seinem Namen und verleiht ihm
den Oscar für sein Lebenswerk.
- Sehen Sie diesen Klassiker der
Nouvelle Vague einmal anders:
Patricia (Jean Seberg) sucht einen
Vater für ihr ungeborenes Kind,
findet aber keinen. Hat sie nicht
recht, wenn sie Michel (Jean-Paul
Belmondo) wegen seiner romantischen Verantwortungslosigkeit
erschießt?
(À bout de souffle) F 1960, Regie:
Jean-Luc Godard, mit Jean Seberg,
Jean-Paul Belmondo, 87 Min., OmU,
BluRay
6.12. / 20:00
Helke Sander
Die allseitig reduzierte Persönlichkeit
– REDUPERS (D 1978)
West-Berlin im Jahr 1977. Das erste Bild zeigt die Berliner Mauer,
die man so heute nur noch in Filmen oder auf Fotos sehen kann.
Die Stadt mit ihren Straßenzügen, Hausfassaden, Schildern,
Schriften und Graffities wird als
Bewegungsbild in Szene gesetzt.
Edda (Helke Sander) ist Pressefotografin zu einer Zeit, als man
noch analog fotografierte. Die
verschiedenen Arbeitsgänge – Fototermin, Aufnahme, Entwicklung des Negativs, Abzüge in der
Dunkelkammer, Trockenpresse,
Gespräch über den Preis des Fotopapiers – werden vorgeführt. Und
dies geschieht ähnlich konkret wie
in Antonionis Film Blow Up, allerdings ist Edda nicht mit karrierewitternden Groupies, sondern mit
ihrer Frauengruppe in der Fotosession.
D 1978, Regie: Helke Sander, mit
Helke Sander, Joachim Baumann,
98 Min., 35 mm
13.12. / 20:00
Agnès Varda
Die Strände von Agnès (F 2008)
Vardas
autobiografische
Erzählung beginnt mit akustischen
und haptisch-materiellen Erinnerungsspuren: die Möbel im
Schlafzimmer der Eltern, das
Quietschen der Schranktür, das
handbetriebene
Grammophon
auf dem die Mutter manchmal
Schuberts Unvollendete hörte. Die
Regisseurin versucht ein Re-enactment, in dem sie zur unvollendeten Symphonie das Quietschen eines Scharniers montiert:
eine Tonmontage aus klassischer
Musik und musique concrète.
Dieses Arrangement ist ein Vorspiel innerhalb der Titelsequenz,
die die Erinnerungsspuren aus
der Kindheit in eine Installation
transformieren: ein Bettgestell als
Perspektivrahmen am Strand.
(Les plages d’ Agnès) F 1960, Regie: Agnès Varda, mit Agnès Varda,
Blaise Fournier, 108 Min., OmU,
35mm
20.12. / 20:00
Ken Loach
Just a Kiss (GB 2004)
Eine pakistanische Familie, die
schon 40 Jahre in London lebt.
Wie schwer ist es trotzdem,
wenn sich einer aus der kulturellen Zwangsjacke lösen will. Ken
Loach, der den Thatcherismus mit
proletarischen Solidaritätskomödien bekämpfte, erzählt hier eine
zeitgenössische Romeo-und-JuliaGeschichte, in der nicht nur mächtige Familien, sondern staatliche
Instanzen äußere Hindernisse
bilden.
Außerdem schlägt alles, anders
als bei Shakespeare, auf die Binnenbeziehung durch. Bewundernswert, wie Loach diesen Realismus mit Heiterkeit und Komik
verbindet, ohne zu lügen.
GB 2004, Regie: Ken Loach, mit
Atta Yaqub, Eva Birthistle, 100
Min., OmU, DCP
10.1. / 20:00
Nanni Moretti
Liebes Tagebuch (I 1993)
35 Jahre nach Sie küSSten und
sie schlugen ihn inszeniert
sich der italienische Autorenfilmer Nanni Moretti als Tagebuchschreiber und zeigt in seiner ersten Einstellung eine schreibende
Hand. Auch bei Moretti wird das
Schreiben mit einem Bild des Begehrens konfrontiert. Die Hand
schreibt (in englischer Übersetzung): „Dear Diary, there’s one thing,
I like most!“, und dann wechselt
die Szene ohne Kommentar in
das audio-visuelle Bild einer Vespa-Fahrt durch Rom. Man kann
nur raten, was Moretti das Liebste ist: das Vespa-Fahren, das Filmemachen, das ins Kinogehen
oder alles zusammen.
(Caro Diario) I 1993, Regie: Nanni
Moretti, mit Nanni Moretti, Jennifer Beals, 100 Min., OmU, 35mm
17.1. / 20:00
Rainer Werner Fassbinder
Katzelmacher (D 1969)
Eine Gruppe junger Erwachsener, die wenig mit sich anzufangen weiß, wird in statischen Einstellungen und in grobkörnigem
Schwarzweiß porträtiert. Die
Ordnung wird gestört, als ein
griechischer Gastarbeiter (ein Katzelmacher) dazu kommt, gespielt
von Fassbinder selbst. Die Dialoge
erinnern an Brecht’sches Theater.
Der Ausländer wird schließlich
von den deutschen Männern verprügelt.
Trotzdem hat er eine deutsche
Freundin (Hanna Schygulla), die
von ihm schwärmt, „im Sommer
nimmt er mich mit nach Griechenland“ und „in Griechenland ist
alles anders“.
D 1969, Regie: Rainer Werner Fassbinder, mit Hanna Schygulla, Lilith
Ungerer, 88 Min., 35mm
24.1. / 20:00
Quentin Tarantino
Inglourious Basterds (USA/D 2009)
In einer Szene dieses Films drückt
ein hoher Nazi seinem Opfer den
Daumen auf eine blutende Stelle
seines Körpers. Als der auferstandene Jesus vor den Jüngern
erschien, legte der ungläubige
Thomas den Finger in dessen
Wunde. Man kann den gesamten
Film von dieser Metapher her deuten: Er legt den Finger in die offene
Wunde des Faschismus am Körper
der Geschichte. Tarantino verfilmt
nicht (wie es etwa Spielberg will)
den historischen Faschismus, sondern unsere Gefühle, wenn wir
uns diesem Thema zuwenden.
USA/D 2009, Regie: Quentin Tarantino, mit Brad Pitt, Christoph
Waltz, Mélanie Laurent, 154 Min.,
OmU, DCP
31.1. / 20:00
*Uraufführung: Alexander Kluge
Der mit den Bildern tanzt (D 2017)
Alexander Kluge und Anselm Kiefer haben sich angefreundet. In
seinem gigangtischen „Arsenal“
in Croissy-Beauburg bei Paris,
umgeben von großen Bildern, Installationen und Materialien unterhalten sie sich u.a. über Anteile
von Kopf und Dickdarm an künstlerischer Arbeit, über Vorbilder,
Tunnelgraben, „Sieben Himmels-
paläste“, die Relativität der Zeit.
Außerdem projiziert Kluge Filmbilder auf von Kiefer behandelte
Leinwand („Elefantenhaut“).
Der Film wird in Bremen uraufgeführt.
D 2017, Regie: Alexander Kluge, mit
Alexander Kluge, Anselm Kiefer, ca.
90 Min., DCP
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