1 Das Ohr - Wie Hören unser Leben prägt

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Manuskript
radioWissen
Das Ohr - Wie Hören unser Leben prägt
AUTORIN:
Susanne Nessler
REDAKTION: Gerda Kuhn
O-Ton: Akustikerin mit Kind
„Das sind leise Pieps-Töne, die du da gleich hörst, und ich werde dich dann immer fragen, ob
du das Piepsen hörst… Ich mache den Ton jetzt etwas leiser, kannst du ihn jetzt immer noch
hören?“
O-Ton: Akustiker/Gräbel
„Man fängt in der Regel also bei einer mittleren Frequenz an, die für die Patienten einen hohen
Informationsgehalt hat, und auf die sie sich relativ leicht konzentrieren können, ich beginne
mal mit 1000 Hertz...“
O-Ton: Ton - und Töne zu Ende
O-Ton: Akustiker/Gräbel
„… und das wiederholt man zwei oder drei Mal, je nachdem bis man das Gefühl hat, jetzt ist
der Wert stabil, der Patient reagiert immer wieder bei der gleichen Hörschwelle.“
O-Ton: Akustikerin mit Kind
„Und der Ton hört sich jetzt ein bisschen anders an, der brummt… TON… Kannst du ihn jetzt
immer noch hören? Nee!“
Sprecherin:
Das sogenannte Tonschwellenaudiogramm ist der Klassiker unter den Hörtests. Ein
Standardprogramm, um herauszufinden, wie gut ein Mensch hört.
Das Kind, das hier getestet wurde, hat ein gutes Gehör.
Die zwei Kurven, eine für das rechte, die andere für das linke Ohr, die anzeigen, was über die
Kopfhörer wahrgenommen wurde, liegen im Normalbereich. Sie sind in rot und blau auf dem
Computerbildschirm zu sehen.
Sprecherin:
Doch wie genau funktioniert das Ohr – und warum ist das Hören unser stärkster Sinn?
Zitator:
Nicht sehen können, trennt von den Dingen, nicht hören können, trennt von
den Menschen.
Sprecher:
Dieses Zitat stammt von dem Philosophen Immanuel Kant.
Für das Sprechen brauchen wir auch die Ohren - um uns und die anderen hören zu können.
Taub geborene Menschen verständigen sich aus diesem Grund mit Gebärdensprache.
Der Mensch kann sprechen, weil er hören kann.
Sprecherin:
Bereits vor der Geburt hört der Mensch. Ab der 22. Schwangerschaftswoche ist der Hörsinn
eines Embryos so gut ausgebildet, dass das Kind wahrnehmen kann, was um seine Mutter
herum passiert. Stimmen, Musik und Geräusche dringen durch die Bauchdecke zum
Ungeborenen und vermitteln ihm einen Eindruck vom Leben seiner zukünftigen Umwelt.
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Sprecher:
Große oder kleine Ohren, anliegende, abstehende, vielleicht schmale oder eher breite Ohren grundsätzlich spielt die äußere Form keine Rolle für das Hören. Dafür benötigt wird vor allem
die Ohrmuschel, sie funktioniert als eine Art Trichter, der die Töne in unser Ohr leitet.
O-Ton: Hörtest
„Wir fangen auf dem Ohr an. Okay, los geht’s… TON …hörst du ihn immer noch?... TON… Dann
haben wir das eine Ohr schon geschafft, jetzt können wir dein linkes Ohr machen.“
Sprecherin:
„Die Ohren spitzen“ - das tut der Mensch eigentlich immer. Denn unsere Ohren sind zur Luft
hin geöffnet und versuchen rund um die Uhr, Informationen zu gewinnen. Hören ist eine
Analyse des Schalls. Feinste Druckschwankungen sorgen für Klänge, Geräusche und Stimmen.
Eine unvorstellbar komplexe Welt aus Informationen umgibt uns.
Denn wir hören vieles gleichzeitig: Straßenlärm, Sprache, Geräusche, Musik, Wind und WetterPhänomene.
Sprecherin:
Augen lassen sich schließen, doch das Hören kann man nicht einfach mal so abschalten. Das
macht diesen Sinn auch so besonders, erklärt Tobias Moser. Er ist Professor an der Hals-NasenOhren-Klinik der Universität in Göttingen und Hör-Spezialist.
8. O-Ton:
„Die Empfindlichkeit, mit der wir hören, und auch die zeitliche Präzision, mit der wir hören, die
fordern den Tribut, dass wir eigentlich unser Ohr im Dauerbetrieb haben. Wir haben also das
Ohr immer an. Ob wir schlafen, ob wir am Tag unterwegs sind, es ist immer an und es ist
eigentlich wirklich ein neurophysiologisches Phänomen, dass unser Gehirn diese Aktivität nicht
als Geräusch interpretiert.“
Sprecher:
Für die Wissenschaft ist der Dauerbetrieb des Gehörs eine Folge der erfolgreichen Evolution der
Säugetiere. Vor 70 Millionen Jahren versteckten sich die frühen Säugetiere oft im Urwald und
lauschten dabei mit ihrem empfindlichen Gehör auf jedes verdächtige Rascheln im Laub.
Sprecher:
Nur aufgrund dieser ständigen Aufmerksamkeit konnten sie ihren Feinden entkommen und
überlebten so sogar die großen Saurier, die man für gewöhnlich zur Gruppe der Reptilien zählt.
Es war also unter anderem das feine und ständig empfangsbereite Gehör, das die Säugetiere
im Lauf der Evolution so erfolgreich machte, dass sie heute eine der größten Gruppen von
Lebewesen bilden.
Sprecherin:
Der adäquate Reiz für das Hören ist der Schall. Wie er entsteht, lässt sich anhand eines
Schusses gut erklären:
Sprecherin:
Schießpulver explodiert im Lauf eines Gewehrs und beschleunigt eine Kugel.
Luft ist im Gegensatz zu Wasser ein elastisches Medium. Luft kann man zusammendrücken und
Luft kann sich von selbst wieder ausdehnen.
Schallwellen entstehen.
Vor der Kugel wird die Luft zusammengedrückt, hinter der Kugel entspannt sich die Luft wieder
– es entsteht eine Druckwelle. Diese Druckwelle breitet sich aus, und zwar dadurch, dass die
Luftteilchen dort, wo der Druck besonders hoch ist, in starke Schwingungen versetzt werden.
Sprecher:
Die Schwingungen stoßen wiederum weitere Luftteilchen an, und so breitet sich die Schallwelle
aus. Sie erreicht das Ohr, durchläuft den Gehörgang und prallt auf das Trommelfell.
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Sprecherin:
Das Trommelfell befindet sich am Ende des äußeren Gehörgangs. Eine dünne Haut, die das
Mittel- und Innenohr schützt. Die Schallwellen, die das Trommelfell zum Schwingen bringen,
werden auf die dahinter liegenden Gehörknöchelchen übertragen. Hammer, Amboss und
Steigbügel, die drei kleinsten Knochen des Menschen, leiten die Schwingungen weiter an das
eigentliche Hörorgan, die Cochlea - auch Hörschnecke genannt. Und hier vollzieht sich jetzt ein
besonderer Transformationsprozess, erklärt Heidi Olze, Professorin an der Charité in Berlin und
Leiterin der dortigen HNO-Klinik.
O-Ton: Olze
„Wir haben ja, wenn wir normal hören, ein akustisches Signal, das geht über den Gehörgang,
Trommelfell, Gehörknöchelchen, die Strukturen verstärken das praktisch. Und dann der letzte
Teil der Gehörknöchelchen, also der Steigbügel, der macht eine mechanische Schwingung
sozusagen, die auf das Innenohr übertragen wird. Im Innenohr ist Flüssigkeit. Das heißt, es
bewegt sich dann diese Flüssigkeit im Innenohr. Und diese Bewegung der Flüssigkeit schert die
Sinneszellen, diese Haarzellen ab und dadurch entsteht ein elektrischer Impuls, und je
nachdem, wo sozusagen der entsteht, wird dann im Bereich tiefer oder hoher Töne, das an die
Nerven weitergeleitet.“
Sprecher:
Heidi Olze behandelt Menschen, die unter Hörschädigungen wie Hörverlust oder
Schwerhörigkeit leiden. Für die richtige Diagnose muss sie zunächst wissen, wo und was im
Ohr nicht mehr funktioniert. Sehr häufig ist die Hörschnecke im Innenohr betroffen.
Sprecherin:
Die Hörschnecke ist ungefähr so groß wie eine Erbse und voll mit Tausenden von
Sinneshaarzellen. Die Haarzellen heißen so, weil sie tatsächlich aussehen wie kleine Härchen.
Wenn alles in Ordnung ist, dann verwandeln die Haarzellen die Schwingungen in elektrische
Impulse, und die gelangen dann über den am Ende der Hörschnecke liegenden Hörnerv in das
Hörzentrum im Gehirn.
O-Ton:
„Und dann denken wir, wir haben was gehört...“
Sprecher:
…sagt Tobias Moser. Denn wie genau das Gehirn - in diesem Fall die Hörrinde - das Signal in
Bedeutungen übersetzt, kann von Person zu Person unterschiedlich sein.
Unser Gehirn wird mit bis zu 20 einzelnen akustischen Signalen pro Sekunde versorgt.
Ungefähr 400.000 verschiedene Töne kann der Mensch unterscheiden.
Sprecher:
Klingt beeindruckend, und ist es auch. Allerdings ist das Rätsel des Hörens bis heute noch nicht
vollständig gelöst, so der Wissenschaftler Tobias Moser. Als Forscher will er natürlich ganz
genau wissen,…
O-Ton:
„…wie an der Kontaktstelle zwischen unseren Sinneszellen und den Nervenzellen die
Information übertragen wird. Da haben wir, wenn man es mal ganz einfach erklären will,
bislang herausgefunden, was die Währung dieses Informationsaustausches ist, aber wir haben
noch lange nicht geklärt, wie Hören funktioniert.“
Sprecherin:
Diese „Währung“ sind kleinste Bläschen, sogenannte Vesikel, die den Botenstoff Glutamat
enthalten. Glutamat ist der wichtigste Transmitter im zentralen Nervensystem.
Was die Forscher aber immer noch rätseln lässt, sind die unglaubliche Präzision und
Schnelligkeit des Hörens. Kein anderer unserer Sinne ist so genau und so schnell wie der
Hörsinn. Innerhalb von Millisekunden wird aus verschiedensten Geräuschen eine Information.
Das funktioniert, so wissen die Forscher jetzt, weil die Beziehung zwischen einer Nervenzelle
und einer Haarsinneszelle eine sehr intime und äußerst exklusive ist.
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O-Ton:
„Also jede Hörnervenzelle hat, so glauben wir, im Säugetier tatsächlich nur eine Haarzelle, mit
der sie in Kontakt steht, und dort wird halt alles Gehörte elektrisch in der Haarzelle umgesetzt.
Und dann treibt dieses elektrische Signal der Haarzelle halt die Botenstoff-, die
Glutamatfreisetzung, die dann die Hörnervenzelle erregt.“
Sprecher:
Geringste Mengen des Botenstoffes Glutamat reichen aus, damit eine Haarzelle eine
Nervenzelle anregen kann und so eine Hörinformation auf den Hörnerv schickt.
Diese Erkenntnis aus der Grundlagenforschung - so das Ziel der Forscher - soll Menschen
weiterhelfen, die nicht oder nur noch sehr schlecht hören.
Und das sind bundesweit nicht wenige.
Sprecherin:
Mindesten 15 Millionen Menschen in Deutschland hören schlecht, schätzen Ärzte. Davon tragen
nur zehn bis zwanzig Prozent ein Hörgerät. Von tausend Neugeborenen ist ein Kind taub. Und
immer häufiger finden sich heute Schwerhörige bereits in der Altersgruppe zwischen 18 und 20
Jahren. Einer der Gründe dafür: Was vor Jahrmillionen im Urwald der Kreidezeit ein großer
Überlebensvorteil war, ist heute, in einer Welt mit vielen großen und lauten Städten, eher
schädlich. Das bedeutet konkret:
Sprecherin:
Das hochsensible und stets aufnahmebereite Gehör wird durch zu viel Lärm und zu laute
Dauerbelastung überstrapaziert. Das führt häufig schon zu Hörverlusten auch bei jungen
Menschen.
O-Ton:
„Also, da gibt es Untersuchungen dazu, wo tatsächlich einfach Menschen im Feld getestet
worden sind in ländlichen Gebieten oder eben in Afrika, und verglichen worden sind mit, sagen
wir mal Industriestaaten. Und da sieht man ganz klar, dass wenn Menschen in Afrika älter
werden, deren Hörvermögen deutlich besser ist, als es das etwa in Industriestaaten ist.“
Sprecher:
Mit dem menschlichen Ohr können wir Lautstärken von 10 bis 140 Dezibel wahrnehmen.
Eine Kreissäge liegt bei 100 Dezibel. Bereits ab 120 Dezibel tut es in den Ohren weh, ein
Flugzeugstart erzeugt rund 130 Dezibel, wer auf einem Flugfeld arbeitet, hat deshalb immer
einen Gehörschutz auf. Ein Raketenstart aus unmittelbarer Nähe kommt auf
180 Dezibel und würde das Ohr schädigen.
Durch Lärm kann man je nach Intensität vorübergehend oder aber auch für immer schwerhörig
werden.
Sehr starker Lärm kann in kurzer Zeit denselben Schaden auslösen wie schwächere, aber
dauerhafte Geräusche. Die Konsequenz ist dann, dass die Haarsinneszellen einfach nicht mehr
funktionieren. Die Übersetzung des Schalls bleibt aus und der Mensch ist taub.
O-Ton: Patientin
„Ich hab immer alles gut gehört bis zu meinem 24. Lebensjahr. Und dann durch einen Hörsturz
alles verloren, also einen Hörrest gab‘s noch, und dieser Hörrest ist dann auch weg gewesen.
Ich hab auch voll gearbeitet. Ich war Lehrer von Beruf für Deutsch und Geschichte, und
musste den Beruf dann aufgeben, schon mit 24.“
Sprecherin:
Sigrid Ernst hat eine lange Zeit der völligen Stille hinter sich. Heute trägt sie CochleaImplantate, das sind künstliche Hörprothesen. Sie helfen Menschen, die kaum oder gar nichts
mehr hören können. Diese Technologie kann den menschlichen Hörsinn ersetzen und sorgt
dafür, dass heute niemand mehr taub durchs Leben gehen muss. Das Cochlea-Implantat, kurz
CI genannt, ist aktuell die einzige wirklich gut funktionierende Sinnesprothese.
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O-Ton: Patientin
„Und ich sag, das was ich jetzt höre, das ist sehr naturnah schon. Also, da bin ich sehr erfreut
fast, was ich alles so wahrnehme, bis hin zum Regentropfen auf dem Fensterbrett, das habe
ich ganz lange vermisst, diesen Ton. Also wie schön sich Regen anhört, weiß ich eigentlich erst
jetzt.“
Sprecher:
Das Implantat bringt die akustischen Signale über eine Elektrode als elektrische Impulse direkt
in das Ohr hinein. Die elektrischen Impulse werden dann auf den Hörnerv geschickt, der hinter
der Hörschnecke liegt, und gehen von dort aus dann weiter an das Gehirn. Das CochleaImplantat ersetzt den gesamten Übersetzungsweg der Schallwellen, die bei normal Hörenden
über Trommelfell und Haarsinneszellen laufen.
O-Ton: Sprachtraining im Labor (Charité). Sprachverstehen – Einsilber-Verständnis-Test
„Schnee, Wurst, Zahn, Pest, Laub…“
Sprecher:
Nach einer Cochlea-Implantation muss das Hören mit der Prothese wieder neu gelernt und
trainiert werden.
Sprecher:
Die elektrischen Impulse, die im Gehirn ankommen, müssen den jeweiligen Geräuschen
zugeordnet werden. Das braucht Zeit und Ausdauer, sagt Sigrid Ernst, die regelmäßig zum
Hörtraining geht.
O-Ton: Patientin
„Also, ich habe zum Beispiel meine Kaffeemaschine nicht mehr wiedererkannt vom Ton, das
hörte sich extrem bedrohlich an dieses Geräusch, wie ein Maschinengewehr in der Ecke. Also
ich habe wirklich Angst gekriegt, in die Küche zu gehen. Ich dachte, was ist jetzt dort los. Und
dann fiel mir ein: Mein Gott, ich habe ja die Kaffeemaschine angeschaltet.“
Sprecherin:
Die Plastizität des menschlichen Gehirns hilft Sigrid Ernst und allen anderen Implantat-Trägern
dabei, das Hören gewissermaßen wieder neu zu lernen. Eine ungeheure Leistung.
Seit über 150 Jahren interessieren sich Neurobiologen übrigens schon für die Frage, welche
Teile des Gehirns für die Sprache zuständig sind. Wo werden beim Zuhören die einzelnen Laute
auseinandergehalten und wie werden die Wörter verstanden? Es waren der deutsche Arzt Carl
Wernicke und der französische Anatom Paul Broca, die erkannten, das Verstehen und Sprechen
in unterschiedlichen Gehirnregionen stattfinden. Ihre Namen bezeichnen heute die beiden HirnAreale.
Sprecher:
Das Wernicke-Areal spielt eine Schlüsselrolle beim Sprachverständnis. Hier werden die
Phoneme erkannt - also die kleinsten akustischen Einheiten, die Bedeutungs-Unterschiede
ermöglichen. Von ihnen werden auch die Sinnzusammenhänge von Wörtern abgeleitet.
Sprecherin:
Für das Sprechen ist dann ein anderer Bereich, nämlich das Broca-Areal, zuständig. Es befindet
sich in der Großhirnrinde vorne, etwas oberhalb des linken Schläfenlappens. Für eine
Unterhaltung müssen beide Areale, also Broca und Wernicke, aktiv sein. Eine Leistung, zu der
nur der Mensch fähig ist.
Sprecher:
Wie sehr wir auf die Erkennung der Phoneme für eine gute Kommunikation angewiesen sind,
zeigt sich an der Altersschwerhörigkeit. Bei den meisten Menschen über 50 Jahren lässt die
Empfindlichkeit des Hörens vor allem für hohe Frequenzen nach.
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Sprecherin:
Der Grund dafür: Die Haarsinneszellen im Innenohr, die für die hohen Frequenzen zuständig
sind, stellen im Alter ihre Funktion ein. Einfach, weil sie lebenslang die höchste Leistung
erbringen mussten. Fallen diese Frequenzen aus, fehlen vor allem die Zisch- und Klicklaute
vieler Konsonanten: d, t, k, z oder s. Das Verstehen vieler Wörter funktioniert dann nicht mehr,
erklärt Professor Arne Ernst, HNO-Arzt und Leiter der Unfallklinik Berlin.
O-Ton: Ernst
„Das Hören besteht im besten Fall aus tieffrequenten Informationen - Brummen, aus
Mittelfrequenzen - das ist die Sprache, und aus höheren Frequenzen - das ist vor allem Musik
und sind Alarmsignale. Und wenn die Altersschwerhörigkeit kommt, gehen als erstes die hohen
Frequenzen verloren, als physiologischer Alterungsprozess, dann geht die Sprache verloren im
Mittelfrequenzbereich, aber der tieffrequente Bereich, der zum Beispiel sehr wichtig ist für die
Satzmelodie, bleibt fast immer erhalten.“
Sprecher:
Was daran liegt, dass die hohen Frequenzen auf der Hörschnecke ganz vorne liegen und die
tiefen weiter hinter. Und was dazu führt, dass die meisten Menschen erst sehr spät bemerken,
dass ihr Gehör nicht gut funktioniert.
Nicht selten wird Schwerhörigkeit im Alter deshalb auch schon mal mit Demenz verwechselt.
Sprecherin:
Hörgeräte helfen hier - aber seit einigen Jahren werden auch Cochlea-Implantate bei
ausgeprägter Altersschwerhörigkeit eingesetzt, da der Verlust der Haarsinneszellen nicht
umkehrbar ist.
O-Ton: Patientin
„Also, ich habe das zweite Ohr operieren lassen, schlicht und einfach, weil ich in Autos
gelaufen bin. Ich wusste nie, woher kommt dieses Autogeräusch, und bin dann, ja, auf die
Straße gelaufen und dann kam es doch von hinten und um die Kurve herum. Und seit dem
Moment wusste ich, ich brauche ein zweites CI. Ich habe so lange gekämpft mit mir, habe
gesagt, ein Ohr reicht, ein Ohr macht‘s auch und im normalen Gespräch kann man es auch mit
einem Ohr alles bewältigen, aber nicht draußen im Straßenverkehr.“
Sprecher:
Wer sich einfach einmal ein Ohr zuhält und versucht, eine Geräuschquelle, zum Beispiel sein
klingelndes Handy, zu lokalisieren, wird vermutlich scheitern. Auch zur Unterscheidung
verschiedener Geräusche, wie beispielsweise bei einem Gespräch auf einer lauten Party oder in
der U-Bahn, brauchen wir beide Ohren. Hören im Störgeräusch nennt sich dieses Phänomen,
erläutert Stefan Gräbel, Leiter der Audiologie an der Berliner Charité.
O-Ton: Audio/Gräbel
„Das geht vor allem nur mit zwei Ohren, weil das Gehirn dann einfach in der Lage ist, aus
diesen beiden Signalen etwas herauszurechnen.“
Sprecherin:
Minimale Laufzeitunterschiede der Schallwellen sind der Grund dafür. Unsere Ohren hören ein
Geräusch zweimal - einmal links, einmal rechts - das aber nicht gleichzeitig.
Das Geräusch kommt an einem Ohr zum Beispiel etwas früher als an dem anderen. Der
Unterschied liegt bei etwa 30 Millionstel Sekunden. Für unser Gehirn ist das die entscheidende
Information, woher der Ton kommt.
Sprecher:
Die Haarzellen registrieren hier selbst die schwächsten Reize. Im Laufe der Evolution haben sie
einen enormen Grad an Perfektion erlangt. Ihre Entstehung reicht übrigens zurück in die Urzeit
der Entwicklung der Wirbeltiere. Es gibt sogar Hinweise, dass sich schon vor rund 470 Millionen
Jahren bestimmte Fischarten mit Hilfe von Haarsinneszellen orientiert haben.
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Sprecherin:
Ein weiteres wichtiges Stadium im Laufe der Evolution des Ohrs ist die Erfindung von
Musikinstrumenten. Schon vor 35.000 Jahren, so beweisen Flöten-Funde auf der Schwäbischen
Alb, gab es eine etablierte musikalische Tradition.
Sprecher:
Die Wirkung von Musik auf den Menschen unterscheidet sich grundsätzlich von der Wirkung
der Sprache. Musik hat einen unmittelbaren Zugang zum Gefühlsleben. Klar ist heute, dass
Musik im Gehirn getrennt von Sprache verarbeitet wird. Die neurologischen Verschaltungen
weisen darauf hin, dass es beim Musikhören weniger um die Entschlüsselung von codierten
Informationen geht, als vielmehr um eine emotionale Reaktion.
Sprecherin:
Das Sprachverstehen hat seinen Schwerpunkt in der linken Gehirnhälfte, beim Musikhören
kommt dagegen überwiegend die rechte Gehirnhälfte zum Einsatz.
Sprecher:
Musikinstrumente erschließen uns Klänge, die die eigene Kehle nicht hervorbringen kann.
Sprecherin:
Der Sprachbereich des Menschen liegt zwischen 200 und 6.000 Hertz.
O-Ton: Ton anschwellend (Hörtest) Frequenz 200 aufsteigend zu 6.000 Hertz und zu Ende
Sprecherin:
Musikinstrumente füllen ein Frequenzspektrum von 16 bis 10.000 Hertz.
Die Obertöne einer Piccoloflöte oder einer Geige reichen sogar in den Frequenzbereich von
über 10.000 Hertz.
Sprecher:
Im Tieftonbereich reichen die Basspfeifen einer großen Kirchenorgel bis an unsere Hörgrenze,
die bei 16 Hertz liegt. Solche tiefen Töne werden nicht mehr im eigentlichen Sinne gehört. Sie
werde auf andere Art empfunden – durch Resonanzschwingungen im Knochengerüst. Damit
verleihen sie der Musik im wahrsten Sinne des Wortes eine sehr eindringliche Note.
Sprecherin:
Wir hören unser gesamtes Leben lang, ständig, 24 Stunden am Tag. Jeden Tag, ohne Pause.
Auch wenn sich der Mensch dessen nicht bewusst ist: Stille gibt es für unsere Ohren eigentlich
nicht. Der Mensch ist immer auf Empfang.
stopp
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