18.12.2014 Schizophrenie und andere psychotische Störungen 18.12.2014 Holger Schmitte, M.Sc. 1 Schizophrenie Begriffe und Definition Schizophrenie (von altgriechisch σχίζειν s’chizein „abspalten“ und φρήν phrēn „Seele, Zwerchfell“) ist eine schwere psychische Erkrankung. Schizophrene, wahnhafte und verwandte psychotische Störungen umfassen eine Gruppe von klinischen Syndromen mit klinischen Symptomen, die Abweichungen des inhaltlichen und formalen Denkens, der Wahrnehmung, des Affektes, der persönlichen Identität, des Willens, des psychomotorischen Verhaltens und der Fähigkeit, zufriedenstellende zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen, beinhalten. (Townsend 2012) Prävalenz Die Erkrankungshäufigkeit liegt bei ca. 1% der Weltbevölkerung. Das Erstmanifestationsalter liegt primär zwischen dem 20.-30. Lebensjahr. 18.12.2014 Holger Schmitte, M.Sc. 2 1 18.12.2014 Schizophrenie Ätiologie Als Ursache wird eine multifaktorielle Entstehung angenommen: -genetische Faktoren; in Form der Vererbung einer Veranlagung -neurochemische Faktoren; Störung in der Informationsverarbeitung im Gehirn durch eine Veränderung im Neurotransmitterhaushalt (Dopamin und Noradrenalin) -psychodynamische Faktoren; Ich-Störung mit aufgehobenen Grenzen zwischen dem Ich und der Umwelt -entwicklungspsychologische Faktoren; überfürsorgliche / verwahrloste Beziehung zu Primärobjekten -psychoreaktive Auslösung der Erkrankung durch belastende Lebensereignisse Das Vulnerabilitäts-Stress-Modell ist ein zusammenfassendes Bild zur Darstellung der multifaktoriellen Entstehung der Schizophrenie. Bei Überschreitung der Verletzlichkeitsschwelle durch Belastungen kommt es zur Erkrankung / Wiedererkrankung. 18.12.2014 Holger Schmitte, M.Sc. 3 Schizophrenie Einteilung Die Schizophrenie ist im ICD-10 in der Gruppe der Schizophrenien, schizotypen und wahnhaften Störungen ( F 2 ) zu finden. Die Erkrankung Schizophrenie ( F 20 ) lässt sich in weitere Unterformen klassifizieren: -paranoid-halluzinatorische Schizophrenie F20.0 -hebephrene Schizophrenie F20.1 -katatone Schizophrenie F20.2 -Schizophrenia Simplex F20.6 Symptomatik Es gibt eine Vielzahl von Symptomen, die nicht alle bei einem Patienten und gleichzeitig auftreten müssen. Im Vordergrund steht eine Veränderung in der Einheit des Ich-Erlebens; Die Grenze zwischen Ich und Umwelt kann durchlässig werden oder zerbrechen, so dass der Kranke die eigenen Denk- und Willensprozesse nicht mehr als eigene erkennt, sondern als von außen gemacht empfindet. Denkstörungen können sich auf den Denkablauf (formale Denkstörungen) und/oder auf den Inhalt (inhaltliche Denkstörung) beziehen. 18.12.2014 Holger Schmitte, M.Sc. 4 2 18.12.2014 Symptomatik Schizophrenie • • • • • • • • • Autismus Emotionale Ambivalenz Unangemessener Affekt Assoziative Auflockerung Echolalie Echopraxie Neologismen Konkretes Denken Laut-Assoziationen • • • • • • • • • Wortsalat Mutismus Weitschweifigkeit Verlieren in Nebensächlichkeiten Perseverationen Wahnvorstellungen (Größe, Verfolgung, Beziehung, Kontrolle oder Beeinflussung) Halluzinationen Regression Religiösität (Townsend 2012) 18.12.2014 Holger Schmitte, M.Sc. 5 Schizophrenie Formale Denkstörungen Denkzerfahrenheit, Ideenflucht, Neologismen, Perseveration, Gedankenabreissen Inhaltliche Denkstörung Wahnartige oder überwertige Ideen, Zwangs- und Wahnideen Das Denken des Betroffenen wird verschwommen und spiegelt die Wirklichkeit wieder, in der der kranke Mensch lebt. Oft werden Symbole magisch-mystisch verarbeitet, in Verbindung mit Wahrnehmungsstörungen entsteht ein Wahn. 18.12.2014 Holger Schmitte, M.Sc. 6 3 18.12.2014 Schizophrenie Wahn Unter einem Wahn versteht man die krankhaft verfälschte, unkorrigierbare Überzeugung objektiv nicht realer Inhalte. Der Patient erkennt die Symptomatik nicht als krankheitsbedingt, er erlebt sie als absolute Wirklichkeit. In der innerlichen Auseinandersetzung mit diesem Erleben sowie mögl. Wahrnehmungsstörungen entwickeln sich Erklärungsversuche zu einzelnen aufeinander aufbauenden Wahnelementen aus und werden schließlich zu einem geschlossenen Wahngebilde. Beispiele: Verfolgungswahn, Vergiftungswahn, Beziehungswahn, Beeinflussungswahn, Liebeswahn, Größenwahn, Eifersuchtswahn, Dermatozoenwahn…. Autismus beschreibt die Ich-Versunkenheit und Abkapselung von der Realität als Schutzmechanismus eines Ich-gestörten Menschens. 18.12.2014 Holger Schmitte, M.Sc. 7 Schizophrenie Störung der Wahrnehmung Jede Sinnesmodalität kann gestört sein; so genannte Halluzinationen werden typischerweise als ´von außen gemacht´ empfunden. -akustische Halluzinationen werden unterteilt in dialogische Stimmen, die sich unterhalten, kommentierende Stimmen, die das Verhalten des Pat. mit Bemerkungen begleiten, Gedankenlautwerden, der Betroffene hört seinen eigenen Gedankengang von außen, imperative Stimmen, geben dem Betroffenen Befehle, z.T. mit gefährlichen Inhalten -optische Halluzinationen; das Sehen von real nicht existierenden Dingen -olfaktorische Halluzinationen; das Riechen von real nicht vorhandenen Gerüchen -gustatorische Halluzinationen; das Schmecken von real nicht existierenden Geschmäcken -taktile Halluzinationen; vielgestaltige leibliche Beeinflussungserlebnisse oder halluzinatorische Körpermissempfindungen z.B. brennen, stechen, zerren… 18.12.2014 Holger Schmitte, M.Sc. 8 4 18.12.2014 Schizophrenie Affektstörungen Krankhafte Störung von Emotionen und Gefühlen. Der Betroffene erlebt sich in Affekt und Stimmung uneinheitlich; er ist gleichzeitig widersprüchlichen Gefühlen und Impulsen ausgesetzt (Ambivalenz im Sinne einer inneren Zerrissenheit). Die Zusammengehörigkeit von Erlebnis und Affekt ist zerbrochen, so werden Stimmungslage und Affekte des Betroffenen als nicht situationsgerecht auffällig (inadäquate Affekte). Mimik und Gestik des Betroffenen passen nicht mit den sprachlichen Ausführungen überein (Parathymie). Störungen des Antriebs und Psychomotorik -Zu Beginn der Erkrankung meist Antriebssteigerung, Beschleunigung des Gedankengangs, innere Unruhe bis zum Erregungszustand. Im Verlauf rasch wechselnde Veränderungen mit Verminderung des Antriebs. -Störung der Ausdrucksbewegungen, die Gefühlslage und Antrieb begleiten (Bsp. Mimik, Gestik, Gang), bis zum katatonen Erscheinungsbild mit starker innerer Anspannung und psychomotorischer Erstarrung (bizarre Haltungen, Automatismen, Manierismen) Plus- u. Minussymptomatik Oft verwendete Einteilung der Symptombereiche in Störungen, die mit einer Beschleunigung oder Reduktion einhergehen. Plussymptome in der akuten Phase: Wahn, Halluzinationen, Denkzerfahrenheit Minussymptome im Verlauf: Affekt-, Antriebs- und Sprachverarmung, sozialer Rückzug 18.12.2014 Holger Schmitte, M.Sc. 9 Schizophrenie Diagnostik Leitlinie nach K. Schneider Zur Diagnose der Schizophrenie muss mindestens ein eindeutiges Symptom des ersten Ranges oder zwei des zweiten Ranges für mindestens einen Monat vorliegen. 1. Rang -Gedankenlautwerden, -eingebung, -entzug. -Gefühl des Gemachten bezogen auf Körperempfindungen oder Gedanken (Beeinflussung) -akustische Halluzinationen in Form von kommentierende oder dialogischen Stimmen -anhaltender, kulturell unangemessener und völlig unrealistischer Wahn 2. Rang -anhaltende Halluzinationen weiterer Sinnesmodalitäten mit Ausbildung von Wahninhalten -zerfahrener Gedankengang, Neologismen -katatone Symptome wie Haltungsstereotypien, Mutismus, Stupor -Negativ-Symptome wie Apathie, Sprachverarmung, inadäquate od. verflachte Affekte 18.12.2014 Holger Schmitte, M.Sc. 10 5 18.12.2014 Schizophrenie Verlauf und Prognose Schizophrenien können akut und chronisch verlaufen. Die durchschnittliche Phasendauer liegt bei mehreren Monaten. Nach Abklingen der akuten Symptomatik meist postremissive Erschöpfungsphase. 1/3 heilt nach rascher Behandlung folgenlos aus 1/3 rezidivierender Verlauf mit ´gesunden und kranken´ Phasen 1/3 Entwicklung eines Residuums mit chronischer Erkrankung 18.12.2014 Holger Schmitte, M.Sc. 11 Schizophrenie Therapie In den meisten Fällen ist eine stationäre Behandlung angezeigt. Bei Eigen- und/oder Fremdgefährdung kann eine gerichtliche Unterbringung notwendig werden. Medikamentöse Therapie Zur Behandlung der Plussymptome primär hochpotente klassische oder atypische Neuroleptika. Bei starker begleitender Angst oder Unruhe auch in Kombination mit einem schwach potenten Neuroleptikum oder Benzodiazepin. Nach Entaktualisierung der akuten Symptome Weiterbehandlung und Rezidivprophylaxe mit einem atypischen Neuroleptikum. Bei sehr eingeschränkt kooperativen Patienten kann eine Langzeitmedikation mit einem DepotNeuroleptikum sinnvoll sein. Psychotherapeutische Verfahren Stufenweise Eingliederung in das Therapieprogramm mit einer stützenden Psychotherapie und Verhaltenstherapie, im weiteren Verlauf, zur Stabilisierung und Stärkung der Persönlichkeit und IchFunktionen des Betroffenen. Psychoedukation und Angehörigenarbeit zur Rezidivprophylaxe. Soziotherapie, Ergo- und Mototherapie Je nach Intensität der Erkrankung und aktueller Befindlichkeit sollte die stufenweise Eingliederung in die Tagesstruktur mit Teilnahme an der Ergotherapie, zur Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten, sowie an der Mototherapie, zur Bewegung und Schulung der Körperwahrnehmung, erfolgen. 18.12.2014 Holger Schmitte, M.Sc. 12 6 18.12.2014 Pflegediagnosen Schizophrenie (NANDA) • Gefahr einer selbstgefährdenden Gewalttätigkeit / Gefahr der fremdgefährdenden Gewalttätigkeit • Soziale Isolation • Unwirksames Coping • Wahrnehmungsstörung (auditiv/visuell) • Gestörte Denkprozesse • Beeinträchtigte verbale Kommunikation • Selbstversorgungsdefizit (spezifischen Bereich benennen) • Schlafstörung 18.12.2014 Holger Schmitte, M.Sc. 13 Wochenplan eines Patienten mit Paranoider Schizophrenie (Grundgerüst 2014) Uhrzeit Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag 07:00 Uhr Wecken Wecken Wecken Wecken Wecken 07:30 Uhr Frühstück Frühstück Frühstück Frühstück Frühstück 08:00 Uhr Medikamente/ RR/P Medikamente/ RR/P Medikamente/ RR/P Medikamente/ RR/P Medikamente/ RR/P 09:00 Uhr Morgenrunde Morgenrunde Morgenrunde Morgenrunde Morgenrunde 09:15 Uhr Visite Einzeltherapie Mototherapie Einzeltherapie Visite Ergotherapie Alltagstraining Ergotherapie 10:30 Uhr 12:00 Uhr Mittagessen Mittagessen Mittagessen Mittagessen Mittagessen 12:30 Uhr Medikamente/ RR/P Medikamente/ RR/P Medikamente/ RR/P Medikamente/ RR/P Medikamente/ RR/P 14:00 Uhr Psy.edukation Adherence-Th. Musiktherapie Mototherapie Musiktherapie 15:30 Uhr Bezugspflege GSK Kochgruppe Bezugspflege Kaffeetrinken 18:00 Uhr Abendessen Abendessen Abendessen Abendessen Abendessen 18:30 Uhr Medikamente/ RR/P Medikamente/ RR/P Medikamente/ RR/P Medikamente/ RR/P Medikamente/ RR/P 22:00 Uhr Medikamente Medikamente Medikamente Medikamente Medikamente Besuchszeiten üblicherweise nach Ende der Therapieangebote; Sa/So keine bzw. kaum Therapieangebote 18.12.2014 Holger Schmitte, M.Sc. 14 7