Update zur Tuberkulose im Kindesalter

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Pulmologie
© Schattauer 2012
Update zur Tuberkulose
im Kindesalter
Alte Krankheit − neue Herausforderungen
F. Brinkmann1; S. Thee2, 3; K. Magdorf3
1Klinik
für Pädiatrische Pneumologie, Allergologie und Neonatologie, Medizinische Hochschule Hannover; 2Kinderklinik, DRK Kliniken Berlin/Westend; 3Klinik für Pädiatrie m. S. Pädiatrische Pneumologie und Immunologie, Charité −
Campus Virchow Klinikum, Berlin
Schlüsselwörter
Keywords
Tuberkulose, Resistenzen
Tuberculosis, drug resistance
Zusammenfassung
Summary
Die Tuberkulose ist eine der am längsten bekannten Infektionskrankheiten. Nichtsdestotrotz stellen Diagnostik und adäquate Therapie im Kindesalter immer noch eine Herausforderung dar. Aufgrund der speziellen immunologischen Situation sind Kinder, insbesondere Kleinkinder, in höherem Maße als Erwachsene gefährdet an Tuberkulose zu erkranken. Neue Diagnostikmethoden wie die
Interferon Gamma Release Assays sind zwar
spezifischer als der Tuberkulin-Hauttest, im
Säuglingsalter und bei disseminierter Erkrankung sind jedoch beide Tests nicht immer ausreichend sensitiv. Eine resistogrammgerechte
Therapie wird durch seltenen Erregernachweis bei meist paucibacillärer Erkrankung erschwert. Ein zunehmender Anteil resistenter
Erreger bereitet zusätzliche Probleme. Aufgrund der im Vergleich zu Erwachsenen variablen Metabolisierung verschiedener Antituberkulotika in verschiedenen Altergruppen
sind diese in der Therapie der Tuberkulose im
Kindesalter häufig nicht ausreichend effizient.
Außerdem können unerwünschte Nebenwirkungen die Therapie komplizieren. Neue Impfstoffe sind in der Erprobung, jedoch momentan noch nicht verfügbar.
Childhood tuberculosis has been described for
centuries. Nevertheless correct and timely diagnosis as well as adequate treatment remain
a challenge. Due to the special immunological
conditions in childhood especially young
children are at much higher risk of infection
with tuberculosis than adults. New diagnostic
tests like interferon release assays are more
specific but show a lack of sensitivity in infants or miliary disease. Targeted therapeutic
intervention is difficult due to often negative
cultures in paucibacilliary disease. Increasing
numbers of resistant strains cause multiple
problems. In addition to this, children metabolize drugs differently and therefore require
child specific dosages. Otherwise either sub
therapeutic levels or increased side effects
can occur. New vaccination strategies are
under investigation but have not been approved for clinical use yet.
Korrespondenzadresse
Dr. med. Folke Brinkmann
Klinik für Pädiatrische Pneumologie,
Allergologie und Neonatologie
Medizinische Hochschule Hannover
Carl-Neuberg-Straße 1, 30625 Hannover
Tel.: 0511 532–3220, Fax: –9474
E-Mail: [email protected]
Update on childhood tuberculosis
Old disease − new challenges
Kinder- und Jugendmedizin 2012; 12: 87–94
Eingereicht am: 3. Januar 2012;
angenommen am: 23. Januar 2012
Einleitung
Die Tuberkulose ist eine der weltweit am
längsten bekannten Infektionserkrankungen. Schon im Zeitalter der ägyptischen
Hochkulturen waren Infektionen durch
Mycobacterium tuberculosis (M. tb.) verbreitet und führten zu einer erheblichen
Morbidität und Mortalität. In der heutigen
Zeit gehört die Tuberkulose weltweit weiterhin zu den häufigsten Infektionserkrankungen. In Deutschland ist sie jedoch aufgrund deutlich verbesserter hygienischer
Verhältnisse, besserer Gesundheitsversorgung und besserer Therapiemöglichkeiten
in weiten Teilen der Bevölkerung sehr selten geworden – und dadurch weniger präsent. Dies verzögert manchmal vor allem
auch bei Kindern eine zeitnahe Diagnostik
und Therapie.
Epidemiologie
Weltweit traten im Jahr 2010 laut WHO ca.
8,8 Millionen Neuerkrankungen auf, von
denen 10–15 % Kinder sind (ca. 5 % in
Niedriginzidenz-Ländern, ca. 40 % in
Hochinzidenz-Ländern) (19, 21).
Deutschland wird mit 4444 Erkrankten
im Jahr 2009 (Inzidenz 5,4/100 000) zu den
Ländern mit niedriger Inzidenz gezählt
(씰Abb. 1) (10).
Im Jahr 2010 wurde in Deutschland bei
160 Kindern (Inzidenz: 1,3/100 000 Kinder) eine Tuberkulose diagnostiziert. Zumeist sind Kinder unter 5 Jahren betroffen.
Kinder mit Migrationshintergrund haben
ein ca. siebenfach erhöhtes Risiko an Tuberkulose zu erkranken (10).
In den letzten Jahren ist die Zahl der Tuberkuloseinfektionen mit multiresistenten
Erregern, d. h. Resistenz gegen Isoniazid
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F. Brinkmann; S. Thee; K. Magdorf: Update zur Tuberkulose im Kindesalter
Abb. 1
Bericht zur Epidemiologie der Tuberkulose in
Deutschland 2009:
Inzidenz der Tuberkulose getrennt nach
Kindern und Erwachsenen 2001–2009
(10) (Abbildung mit
freundlicher Genehmigung des RKI)
(INH) und Rifampicin (RMP), weltweit
stetig angestiegen (650 000 aller Fälle im
Jahr 2010) (10). In Deutschland sind es
2,1 % aller Fälle. Im Jahr 2009 wurde dem
RKI auch ein Fall einer bakteriologisch
nachgewiesenen MDR-Tuberkulose bei einem Kind gemeldet.
Klinisches Krankheitsbild
Eine Übertragung der langsam wachsenden Erreger des M. tb. findet hauptsächlich
aerogen von Mensch zu Mensch statt. Die
Erreger werden zumeist beim Aushusten
kleinster Aerosolpartikel auf eine Kontaktperson übertragen. Es kommt dann zunächst zur Aufnahme des Erregers in die
Alveolarmakrophagen mit nachfolgender
spezifischer T-Zell-Aktivierung. Dieses erste Infektionsstadium verläuft zumeist ohne
klinische Symptome und wird als latente
Tuberkuloseinfektion (LTBI) bezeichnet,
d. h. es handelt sich um eine tuberkulöse
Primärinfektion ohne nachweisbaren Organbefund.
Bei den meisten Infizierten persistieren
die Erreger in den Endosomen der Alveolarmakrophagen. Es entwickelt sich ein nur
schwer nachweisbarer kleinster granulomatöser Herd, der eine Balance zwischen
Replikation des Erregers und spezifischer
T- Zell-Antwort darstellt.
Im Laufe der einer Primärinfektion folgenden zwei Jahre ist das Risiko der Pro-
gression zu einer aktiven Primärtuberkulose am höchsten. Bei Säuglingen und
Kleinkindern liegt es bei 30–40 %, bei älteren Kindern bei ca. 10 % (3). Auch Kinder
mit Immundefekten oder unter immunsuppressiver Therapie, z. B. mit TNF-alpha-Antagonisten, haben ein erhöhtes Erkrankungsrisiko (15).
Tuberkuloseerkrankungen im Kindesalter sind oft symptomarm oder gehen mit
unspezifischen Zeichen einher. Bei persistierendem Husten über einen Zeitraum
von mehr als 2 Wochen, Abgeschlagenheit,
Gewichtsverlust und vermehrtem nächtlichem Schwitzen sollte vor allem bei Kindern aus Hochrisikoländern oder mit Immundefekten neben anderen Differenzialdiagnosen auch an eine Tuberkulose gedacht werden (8). Die häufigste Manifestationsform ist eine unkomlizierte Primärtuberkulose mit Befall eines lokalen
Lymphknotens und einem pulmonalen Parenchymherd (Ghon'scher Herd).
Lokale Komplikationen wie durch
Lymphknoteneinbruch verursachte Belüftungsstörungen, Pleuritis (in bis zu 40 %
der Fälle) oder selten Perikarditis (1–2 %
der Fälle) definieren eine komplizierte Primärtuberkulose.
Durch lymphogene oder hämatogene
Streuung können extrapulmonale Erkrankungsformen bei bis zu 20 % aller Kinder
auftreten (10). Am häufigsten ist die periphere Lymphknotentuberkulose. Die Lymphadenopathie zeigt sich klinisch meist als
einseitige, langsam progrediente weiche
und schmerzlose Schwellung. Interferon
Gamma Release Assays (IGRAs) erlauben
eine Abgrenzung zur Mehrzahl der hierzulande viel häufigeren Infektionen mit
nicht
tuberkulösen
Mykobakterien
(NTM). Ein mikrobiologischer Nachweis
von M. tb. aus einem betroffenen Lymphknoten sichert im Zweifels fall die Diagnose. Deutlich seltener ist der Befall abdomineller Organe oder der Haut.
Schwere primäre Erkrankungsformen
infolge einer hämatogenen Streuung sind
die vor allem im Säuglingsalter und bei Immunsupprimierten auftretende Miliartuberkulose und die tuberkulöse Meningitits.
Bei diesen schweren Erkrankungsformen ist der Tuberkulintest in bis zu 40 %
negativ, auch eine radiologische Diagnostik
erbringt bei ca. 50 % der Kinder mit Meningitis keinen pathologischen Befund
(14).
Tuberkulöse Meningitis
Diese tritt in 1–2 % aller unbehandelten
Tuberkulosen bei Kindern auf (11). Die Erkrankung beginnt oft schleichend mit Fieber und Kopfschmerzen über 1–2 Wochen.
Nachfolgend treten im zweiten Stadium
Zeichen einer akuten Meningitis z. T. auch
schon mit fokaler Symptomatik und
Krampfanfällen auf. Unbehandelt kommt
es dann im finalen Stadium zu Bewusst-
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seinsverlust, progressiven Paresen und Koma.
Durch einen Befall der basalen zerebralen Regionen treten bei dieser Form der
Meningitis häufig Hirnnervenausfälle auf.
Außerdem kann sich infolge einer endokrinen Störung (ADH) eine ausgeprägte Hyponatriämie und nachfolgend ein Hirnödem entwickeln. Eine vemehrte Liquorbildung durch eine Chorioiditis oder auch
eine Abflussstörung kann zur Entwicklung
eines Hydrozephalus beitragen (11).
Miliartuberkulose
Eine Miliartuberkulose geht mit einem
sepsisartigen generalisierten Organbefall
und disseminierter Bildung kleinster Granulome im gesamten Körper einher. Diese
sind z. B. im Röntgenbild des Thorax gut zu
sehen und können sowohl in den ersten
Wochen nach einer Infektion als auch im
weiteren Verlauf auftreten. Der Verlauf ist
variabel, aber mit einer deutlich erhöhten
Letalität von 20–40 % behaftet (4). Bei ca.
einem Drittel liegt im Rahmen der disseminierten Erkrankung zusätzlich eine tuberkulöse Meningitits vor.
Zumeist durch Reaktivierung einer Tuberkuloseerkrankung kann es zu den im
Kindesalter seltenen postprimären Krankheitsbildern wie einer parenchymatösen
Lungentuberkulose, Knochen- oder Urogenitaltuberkulose kommen.
Eine seltene Variante ist die konnatale
Tuberkulose, die über die Plazenta oder
den Urogenitaltrakt der Mutter übertragen
wird und zumeist mit einem Primärkomplex in der Leber des Neugeborenen einhergeht.
Fragen zur Infektionsanamnese (mod. nach [6])
1. Hat Ihr Kind Kontakt zu Tuberkulose gehabt?
2. Ist jemand aus Ihrer Familie, Ihr Kind
eingeschlossen, in einem Land mit hoher Tbc-Häufigkeit geboren oder hat
sich (innerhalb der letzten 2 Jahre) für
längere Zeit in einem solchen Land aufgehalten?
3. Hat Ihr Kind regelmäßig Kontakt mit Erwachsenen, die ein hohes Tbc-Risiko haben (z. B. Obdachlose, Drogenkonsumenten)?
4. Hat Ihr Kind einen Immundefekt/eine
HIV-Infektion?
Raum als cut-off für ein relevantes Infektionsrisiko angesehen (3). Bei Kindern reicht
sicher eine geringere Zeit für eine Übertragung von einem Erwachsenen aus.
Bei Kindern liegt hingegen häufig eine
paucibacilläre Erkrankung vor, sodass die
Erreger im Direktpräparat nicht nachgewiesen werden können. Außerdem ist im
Alter unter 10 Jahren der Hustenstoß zur
Übertragung des Erregers oft nicht ausreichend stark. Nur bei ca.15 % der an pulmonaler Tuberkulose erkrankten Kinder unter
10 Jahren wird M. tb. mikroskopisch aus
Sputum oder Magensaft nachgewiesen
(2, 3, 10, 12). Eine kulturelle Anzüchtung
von M. tb aus Sputum oder Magensaft gelang in 30–40 %, bei Jugendlichen mit ka-
Tab. 1
Infektiosität und Erkrankungsrisiko
Erwachsene Erkrankte stellen das Reservoir
für Tuberkuloseinfektionen dar. Bei ca.
60 % der an pulmonaler Tuberkulose erkrankten Erwachsenen liegt eine offene Tuberkulose (d. h. mit mikroskopischem Erregernachweis aus dem Atemwegssekret)
vor. Für eine Umgebungsuntersuchung
wird für Erwachsene eine Kontaktzeit von 8
Stunden und mehr in einem geschlossenen
●
●
●
●
●
●
Diagnostik
Gezielte Anamnese
Zusätzlich zur Infektionsanamnese zeigt
ein standardisierter Fragenkatalog eine
sehr gute Sensitivität und Spezifität von
über 85 % hinsichtlich einer weiteren Abklärung einer Tuberkulose (씰Kasten: „Fragen zur Infektionsanamnese“) (9). Ein Tuberkulintest sollte erfolgen, wenn eine oder
mehrere Fragen positiv beantwortet werden (negativ prädiktiver Wert 99 %)
Bei Kindern, die Kontakt zu einer an Tuberkulose erkrankten Person hatten, ist eine gezielte weitere Diagnostik erforderlich.
Momentan unterscheidet jedoch keiner der
verfügbaren Tests zwischen einer latenten
und einer aktiven Tuberkulose. Die Diagnostik sollte zeitnah durchgeführt und bei
initial unauffälligem Ergebnis nach drei
Monaten wiederholt werden.
Tuberkulinhauttest (THT)
Der Tuberkulinhauttest wird mit 0,1 ml
(entsprechend 2 Tuberkulin-Einheiten)
des Präparates RT 23 (Statens Serum Institut, Kopenhagen) streng intrakutan an der
volaren Seite des Unterarms durchgeführt
und nach 72 Stunden abgelesen. Dabei ist
der Durchmesser der Induration, nicht der
Diagnostik der Tuberkulose mittels Tuberkulinhauttest (THT) (modifiziert nach [1])
Population
●
vernösen Veränderungen jedoch in bis zu
70 % der Fälle (2, 3, 10, 12).
Interventions-Cut-Off Auswertung
aktueller Kontakt zu Induration >5 mm
infektiöser Tbc
Immunsupression oder
Immundefekt
Induration >10 mm
häufiger Kontakt zu
Risikopopulationen
dokumentierte Konversion <2 Jahren
Kinder <4 Jahre ohne
Kontakt zu Tbc
richtig: Induration
falsch: Erythem
BCG-geimpfte Kinder Induration >15 mm
Kinder >4 Jahre ohne
Kontakt zu Tbc
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und Belüftungsstörungen durch Bronchuskompression dar. Größere Infiltrate
und nachfolgende Kavernenbildung v. a. in
den Oberlappen spielen erst im Jugendalter
eine Rolle.
Kulturelle Untersuchung
Abb. 2 Rechtsseitige hiläre Lymphadenopathie bei Primärtuberkulose
umgebenden Hautrötung ausschlaggebend
(씰Tab. 1).
Interferon Gamma Release Assays
(IGRA)
Momentan sind zwei Assays kommerziell
verfügbar: Quantiferon Gold in Tube®
(Cellestis) und T-Spot®.TB (Oxford Immunotec).
Diese Tests messen im Vollblut die Interferon-Gamma-Antwort von T-Lymphozyten nach „over night“-Stimulation durch
M. tb.-spezifische Proteine (ESAT 6,
CFP-10, TB 7.7), die auf der RD-1-Region
des M. tb.-Genoms kodiert sind. Diese Proteine kommen außer im M. tb.-Komplex
nur in wenigen der nicht tuberkulösen Mykobakterien vor (M. kansaii, M. marinum,
M. flavescens und M. szulgai). Hingegen
fehlt M.bovis-BCG diese genetische Region. Daher ist es mit IGRAs möglich, einen
nach BCG-Impfung (M. bovis-BCG) positiven Hauttest zu differenzieren.
Aus dem gleichen Grunde helfen die
IGRAs bei der Diskriminierung einer Infektion mit fast allen nicht tuberkulösen
Mykobakterien und einer Infektion mit M.
tb. Der Hauttest ist bei dieser Fragestellung
aufgrund der möglichen Kreuzreaktivität
zu unspezifisch.
Ein aktueller Review vergleicht in 32
Studien Sensitivität und Spezifität beider
Tests mit der des Tuberkulinhauttests
(THT) bei Kindern mit aktiver Tuberkulose. Im Mittel wurde eine Sensitivität von ca.
85 % für den THT und Quantiferon- und
75 % für den T-Spot-Test ermittelt. Die
Spezifität der IGRAs liegt bei über 95 %, die
des THT je nach Impfstatus und Exposition gegenüber nicht tuberkulösen Mykobakterien (NTMs) bei 14–100 % (7).
Die aktuellen Leitlinien des deutschen
Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose empfehlen bei Kindern unter 5
Jahren beide Tests, bei ungeimpften Kindern über 5 Jahre zunächst den THT, bei
positivem Ergebnis ist dann der IGRA als
Bestätigungstest durchzuführen (3).
Sowohl die IGRAs als auch der THT können bei Kinder mit primären oder sekundären Immundefekten, unter immunsuppressiver Therapie, nach schweren oder akuten Virusinfekten und einige Wochen nach Lebendimpfungen falsch negativ ausfallen. Bei klinischem Verdacht sollte ungeachtet der Testergebnisse eine weitere Diagnostik erfolgen.
Radiologische Untersuchung
Bei positivem THT und/oder IGRA oder
bei Kindern unter 5 Jahren sollte immer
eine Röntgenaufnahme des Thorax
durchgeführt werden. Eine weitere seitliche Aufnahme kann in bestimmten Fällen erforderlich sein. Aufgrund des oft
fehlenden
kulturellen
Nachweises
kommt dem Röntgenbild des Thorax in
der Diagnostik der Tuberkulose eine große Bedeutung zu (씰Abb. 2).
Eine Computertomographie- oder
Magnetresonanztomographie-Untersuchung wird momentan nur bei besonderen Fragestellungen empfohlen.
Die häufigsten radiologischen Veränderungen stellen hiläre Lymphadenopathien
Der kulturelle Nachweis von M.tb. sichert
die Diagnose einer manifesten Tuberkulose
und ist daher nach wie vor der Goldstandard der Diagnostik (2, 3).
Bei Kleinkindern und Säuglingen wird
zur Gewinnung des Magensaftes eine morgendliche Entnahme an drei Tagen durchgeführt. Die Proben müssen vor Versand
gepuffert werden. Bei größeren Kindern
wird an drei aufeinanderfolgenden Tagen
morgendlich entnommenes induziertes
Sputum nach Inhalation von Salbutamol
und nachfolgend hypertoner Kochsalzlösung (5,85 %) gewonnen. Im Ausnahmefall
kommt eine bronchoalveoläre Lavage in
Betracht.
Bei Kindern mit Verdacht auf eine tuberkulöse Meningitis sollte, nach Ausschluss von Hirndruckzeichen, eine Lumbalpunktion durchgeführt werden. Hier
zeigt sich typischerweise eine lymphozytäre Pleozytose mit erhöhten Liquoreiweisskonzentrationen und erniedrigten Liquorglukosewerten. M. tb. kann sehr selten im
Liquor im Direktpräparat, durch eine spezifische PCR oder in der Kultur nachgewiesen werden.
Ein Direktnachweis von M. tb. aus verschiedenen Materialien (Blut, Liquor,
Punktat, Biopsien) kann auch mit einer
spezifischen PCR erfolgen. Traditionelle
Kulturmethoden benötigen ca. 8 Wochen
für die Anzucht und weitere 4 Wochen
zur Resistenzbestimmung des Erregers.
Flüssigkulturmedien (z. B. Bactec, MGIT
960) können die Zeit zumindest auf 14
Tage verkürzen. Noch schneller sind sogenannte Nukleinsäure-Amplifikationsmethoden (NAT) mit Chiptechniken, die
innerhalb von Stunden bei vergleichbarer Sensitivität durch Amplifikation
spezifischer erregertypischer Sequenzen
eine Identifizierung und gleichzeitig Resistenztestung z. B. gegenüber INH und
RMP erlauben (u. a. auch z. B. mittels
GeneXpert®).
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Abb. 3 Diagnostik der Tuberkulose (modifiziert nach [3]; rote Pfeile: pathologisches Testergebnis, blaue Pfeile: unauffälliges Testergebnis, *bei pathologischem
Röntgenbild aktive Tuberkuloseinfektion möglich; weitere Diagnostik u. ggf. Rücksprache mit einem pädiatrisch infektiologischen Zentrum empfohlen)
Prävention
Isolierung und Meldepflicht
Expositionschemoprophylaxe
Impfung
Eine Isolierung ist bei Kindern ohne offene
Tuberkulose (d. h. ohne mikroskopischen
Nachweis von M. tb.) nicht notwendig.
Wenn mikroskopisch säurefeste Stäbchen in
Sputum oder Magensaft nachgewiesen werden können, sollte eine Isolierung 2–3 Wochen nach Beginn einer resistogrammgerechten Therapie durchgeführt werden.
Jugendliche, bei denen sich postprimäre Tuberkuloseformen z. B. mit pulmonaler Kavernenbildung entwickeln können, sind ggf.
länger infektiös. In Deutschland sind behandlungsbedürftige Tuberkuloseerkrankungen, der Tod an Tuberkulose oder ein
Abbruch der Behandlung nach dem Infektionsschutzgesetz meldepflichtig (3).
Bei gesicherter Tuberkulose-Exposition
sollten Kinder unter 5 Jahren in jedem Fall
eine chemoprophylaktische Therapie mit
INH erhalten, auch wenn der initiale THT
oder der IGRA negativ ausfallen (3, 6). Bei
Kindern zwischen 5 und 15 Jahren kann eine Expositionsprophylaxe je nach Risikoprofil in Erwägung gezogen werden.
Nach 3 Monaten sollten der THT/IGRA
wiederholt werden, um eine Infektion mit
M. tb. auszuschließen. Fallen diese negativ
aus, so kann die INH-Gabe beendet werden.
Sollten diese jedoch positiv sein (Konversion), ist die INH-Gabe nach Ausschluss einer aktiven Tuberkulose entsprechend der
Chemoprävention der LTBI für weitere 6
Monate fortzuführen (insgesamt 9 Monate).
Eine wirksame Impfung zum Infektionsschutz vor Tuberkulose gibt es bislang
nicht. Seit 1998 ist die BCG-Impfung in
Deutschland aufgrund der ungünstigen
Nutzen-Risiko-Analyse gänzlich ausgesetzt
worden (STIKO) (17). Die postnatale Impfung wird jedoch für Länder mit hoher Tuberkuloseinzidenz von der WHO empfohlen (2, 3). Neue Impfstoffe u. a. mit viralen
Vektoren sind weltweit in klinischer Erprobung, jedoch noch nicht zugelassen.
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Tab. 2
Therapie verschiedener Manifestationsformen der Tuberkulose bei pansensiblem Erreger (modifiziert nach [2, 5, 23])
Erkrankungsform
Therapie- Medikamente Ini- Medikamente Er- Zusätzliche
dauer
tialphase (Monate) haltungsphase
Therapie
(Monate)
Unkomplizierte Primärtuberkulose
6 Monate
Komplizierte Primärtuberkulose
9 Monate 2 INH/RMP/PZA
7 INH/RMP
(alternativ (2 INH/RMP/PZA/EMB) 4 INH/RMP
6 Monate)
Periphere Lymphknoten- 6 Monate
Tbc
2 INH/RMP/PZA
2 INH/RMP/PZA
4 INH/RMP
4 INH/RMP
Extrapulmonale Tuberkulose,
Knochen- und
Gelenkstuberkulose
7 INH/RMP
9 Monate 2 INH/RMP/PZA
(alternativ
6 Monate) (2 INH/RMP/PZA/EMB) 4 INH/RMP
Miliartuberkulose
9 Monate
2 INH/RMP/PZA/EMB
7 INH/RMP
Tuberkulöse Meningitis
9–12
Monate
2–3 INH/RMP/PZA/
EMB
(statt EMB auch PTH
möglich: bessere Liquorgängigkeit)
7–9 INH/RMP
Konnatale Tbc
9–12
Monate
2–3 INH/RMP/PZA/
EMB
in seltenen
Fällen Prednisolon 2mg/kg
KG/d über 2–4
Wochen , bei
tuberkulöser
Perikarditis
obligat über
8–12 Wochen
bei Abszessen
ggf. chirurgische Drainage
Dexamethason
0,6 mg/kg
KG/d;
Prednisolon
2mg/kg KG/d
über mindestens 6 Wochen
Hydrozephalus: Therapieversuch mit
Furesemid
oder Acetoazolamid sinnvoll
7–9 INH/RMP
EMB = Ethambutol, INH = Isoniazid, PTH = Prothionamid, PZA = Pyrazinamid, RMP = Rifampicin
Therapie
Allgemeine Therapieempfehlungen
Therapie der latenten TuberkuloseInfektion (LTBI): Chemoprävention
Die Therapie der LTBI (Chemoprävention)
soll nach Infektion das Voranschreiten zur
Erkrankung verhindern. In Industrieländern wird die Gabe von INH über 9 Monate empfohlen (6). Alternativ können auch
INH und RMP über 3–4 Monate gegeben
werden (16). Folgeuntersuchungen, inklu-
sive einer Thoraxröntgenaufnahme, sollten
nach 3 Monaten, zum Ende der Chemoprävention sowie 1 und 2 Jahre nach Beendigung der Chemoprävention stattfinden
(씰Abb. 3).
Chemotherapie der Tuberkulose
Die sogenannten „first-line“ Medikamente
INH, RMP, Pyrazinamid (PZA) und
Ethambutol (EMB) sowie Streptomycin
(SM) stehen zur Therapie der medikamentensensiblen Tuberkulose zur Verfügung.
Gelingt ein kultureller Nachweis bei Kin-
dern nicht und dementsprechend auch keine Resistenztestung, muss gewiss sein, dass
der Indexfall an einer Tuberkulose mit pansensiblen Erregern erkrankt ist (bei Medikamentenresistenz verändert und verlängert sich die Therapie). Dauer und Anzahl
der Medikamente richten sich nach der Art
und Schwere der Erkrankung. Die Therapiedauer verlängert sich auch bei Immundefizienz, z. B. HIV-Koinfektion.
Die Therapie besteht bei voll sensiblen
Keimen aus einer zweimonatigen Initialphase mit INH, RMP und PZA und bei
komplizierten Formen oder bei hoher Bakterienlast zusätzlich mit EMB oder SM (nur
parenterale Gabe möglich). In der Fortsetzungsphase wird mit INH und RMP weiterbehandelt. Die Empfehlungen zur Dauer der Anschlussbehandlung unterscheiden
sich in den nationalen und internationalen
Empfehlungen. In Deutschland lauten die
Empfehlungen, die unkomplizierte pulmonale Tuberkulose für weitere 4 Monate zu
therapieren (씰Tab. 2).
Spezifische Therapie verschiedener
klinischer Tuberkulosemanifestationen
Komplizierte Primärtuberkulose
Bei Atemwegsobstruktion durch vergrößerte mediastinale Lymphknoten verlängert sich die Anschlussbehandlung auf 7
Monate (Therapiedauer insgesamt 9 Monate). Zusätzlich kann initial in seltenen
Fällen mit Prednisolon behandelt werden.
Die Effektivität ist in Studien jedoch nur
unzureichend belegt (4). Bei unzureichendem Therapieerfolg oder schwerer Obstruktion ist eine bronchoskopische Intervention zur mechanischen Entfernung des
Granulomgewebes notwendig.
Bei der tuberkulösen Perikarditis ist obligat eine systemische Therapie mit
Kortikosteroiden über 6–12 Wochen empfohlen (18).
Tuberkulöse Meningitis
Bei der Meningitis tuberculosa ist ein möglichst frühzeitiger Therapiebeginn entscheidend. Aufgrund der besseren Liquorgängigkeit sollte EMB durch Prothionamid
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F. Brinkmann; S. Thee; K. Magdorf: Update zur Tuberkulose im Kindesalter
Tab. 3
Dosierung der first-line Antituberkulotika
im Kindesalter
(WHO-Dosierung z. T.
höher)
Wirkstoff
Dosis
Isoniazid (INH)
200 mg/2m KO
entspricht ca.:
● 0–5 Jahre
● 6–9 Jahre
● 10–14 Jahre
● 15–18 Jahre
Rifampicin (RMP)
Pyrazinamid (PZA)
Ethambutol (EMB)
Streptomycin (SM)
ersetzt werden. Liegt ein nicht kommunizierender Hydrozephalus vor, ist notfallmäßig ein ventrikuloperitonealer Shunt
einzulegen. Bei kommunizierendem Hydrozephalus kann eine medikamentöse diuretische Therapie den intrakraniellen
Druck innerhalb von 2 Wochen normalisieren, ansonsten sollte ebenfalls ein ventrikuloperitonealer Shunt eingelegt werden.
Als Immunmodulatoren sollten zusätzlich
zur Chemotherapie von Anfang an Steroide
gegeben werden, deren Nutzen in der Initialphase der Meningitis tuberculosa belegt
ist. Aufgrund der guten Liquorgängigkeit
empfiehlt sich die Gabe von Dexamethason, ansonsten auch Prednisolon.
Die empfohlene Behandlungsdauer unterschiedlicher Manifestationsformen der
Tuberkulose im Kindesalter ist in 씰Tabelle 2 zusammengefasst.
Dosierung der Antituberkulotika
im Kindesalter
Während des Wachstums machen Kinder
eine ganze Reihe von Veränderungen
durch: Sie nehmen an Größe und Gewicht
zu und die Verhältnisse ihrer Körperkompartimente zueinander verändern sich. Außerdem unterliegen die Metabolisierung
und die Exkretion Reifungsprozessen. Dies
Tab. 4
Medikamentengruppen für die Behandlung der resistenten Tuberkulose (22)
max. TD 300 mg
8–10 mg/kg KG
7–8 mg/kg KG
6–7 mg/kg KG
5–6 mg/kg KG
350 mg/m2 KO
entspricht ca.:
● 0–5 Jahre
● 6–9 Jahre
● 10–14 Jahre
● 15–18 Jahre
max. TD 600 mg
30 mg/kg KG/Tag
max. TD 2,0 g (>70 kg)
Gruppenname
first-line Antituberkulotika
1
15 mg/kg KG
12 mg/kg KG
10 mg/kg KG
10 mg/kg KG
850 mg/m2 KO
entspricht ca.:
● 0–5Jahre
● >5 Jahre
max. TD 1,75 g
20 mg/kg KG/Tag
i. m. oder i. v.
max. TD 0,75 g
Medikament
First-line orale
Antituberkulotika
Injizierbare
Medikamente
●
Isoniazid
Rifampicin
Ethambutol
Pyrazinamid
●
Streptomycin*
●
●
●
second-line Medikamente
2
Injizierbare
Medikamente
●
●
●
30 mg/kg KG
25 mg/kg KG
führt dazu, dass eine gleiche mg/kg KGDosierung vieler Antituberkulotika bei
Kindern zu niedrigeren Serumspiegeln
führt als bei Erwachsenen(13, 20). Eine Dosierung anhand der Körperoberfläche ist
häufig exakter (씰Tab. 3), wird jedoch aus
Praktikabilitätsgründen leider kaum verwendet. Für die first-line Medikamente liegen wenige Daten zur Pharmakokinetik
und damit zur Dosisfindung bei Kindern
vor, für die second-line Medikamente fehlen diese Studien größtenteils und man
lehnt sich entsprechend an die Erwachsenendosen an.
Die wichtigsten Nebenwirkungen
Im Allgemeinen vertragen Kinder die Antituberkulotika viel besser als Erwachsene
und Nebenwirkungen treten deutlich seltener auf. Sowohl INH, RMP als auch PZA
können hepatotoxische Nebenwirkungen
haben, die am häufigsten in den ersten 2–6
Wochen auftreten. Ein engmaschiges Monitoring der Transaminasen ist notwendig.
Bei Anstieg der Transaminasen über das
3-Fache der Norm müssen INH, RMP und
PZA bis zur Normalisierung der Leberfunktion abgesetzt werden. Danach ist ein
langsames Einschleichen von einem Medikament nach dem anderen möglich. INH
3
Fluorchinolone
●
●
●
4
5
Orale, bakteriostatisch wirkende secondline Medikamente
●
Medikamente
mit unklarer Effektivität
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
Kanamycin**
Amikacin
Capreomycin
Moxifloxacin
Levofloxacin
Ofloxacin
Ethionamid**
Prothionamid
Cycloserine
Terizidone
Para-Aminosalicylsäure
Clofazemin
Linezolid
Amoxicillin-Clavulansäure
Thiacetazon**
Imipenem/Cilastatin
Isoniazid in hoher Dosis
(20 mg/kg KG)
Clarithromycin
*Bei WHO/ATS/IDSA zählt Streptomycin zu den
second-line Medikamenten.
**
in Deutschland nicht zugelassen
kann des Weiteren eine periphere Neuropathie hervorrufen, vorwiegend bei Erwachsenen, der durch Gabe von Pyridoxin
(Vit B6) entgegengewirkt werden kann.
RMP verfärbt Körperflüssigkeiten orange,
worauf die Patienten und Eltern hingewiesen werden sollten. Bei der Therapie mit
PZA treten relativ häufig eine asymptomatische, nicht behandlungsbedürftige Hyperurikämie und gelegentlich Gelenkschmerzen zu Beginn der Behandlung auf.
Regelmäßige augenärztliche Untersuchungen, mit besonderem Augenmerk auf das
Rot-Gün-Sehen und die Sehschärfe, müssen bei der Anwendung von EMB durchgeführt werden, da EMB in sehr seltenen Fällen (0,05 %) zu einer Optikusneuritis füh-
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Kinder- und Jugendmedizin 2/2012
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F. Brinkmann; S. Thee; K. Magdorf: Update zur Tuberkulose im Kindesalter
Fazit für die Praxis
Tuberkulose im Kindesalter ist eine seltene, jedoch diagnostisch und therapeutisch oft anspruchsvolle Erkrankung. Eine Impfung zum
sicheren Schutz vor einer Erkrankung ist momentan nicht verfügbar. Bei Exposition sollte
aufgrund des hohen Infektionsrisikos die Diagnostik gerade bei jungen Kindern unverzüglich und umfassend (THT, IGRA und ggf.
Röntgen) erfolgen. Eine prophylaktische Therapie (Chemoprophylaxe) sollte auch bei negativer Initialdiagnostik über mindestens 3
Monate mit INH durchgeführt werden. Eine
latente Tuberkuloseinfektion (LTBI) liegt vor,
wenn THT und IGRA positiv ausfallen, Röntgen und Klinik aber unauffällig sind. In solchen Fällen wird eine Chemoprävention mit
INH über 9 Monate empfohlen. Bei aktiver Tuberkulose ist es wichtig, einen Erregernachweis des Kindes und/oder der Indexperson zu
erhalten, um eine antibiogrammgerechte Therapie zu ermöglichen. Kinder sind selbst selten
infektiös und müssen nur bei positivem mikroskopischem Nachweis des Erregers aus
Magensaft oder Sputum isoliert werden. Alterspezifische Dosierungen sind für die effektive Behandlung entscheidend und sollten,
soweit evaluiert, unbedingt verwendet werden. Die Behandlung multiresistenter Erreger,
extrapulmonaler oder disseminierter Erkrankungen ist komplex und sollte daher an einem
Zentrum erfolgen.
ren kann. Aufgrund der potenziellen Ototoxizität von SM ist eine audiologische Testung vor, während und nach der Therapie
notwendig.
Therapie bei resistenten Erregern
Für die Therapie und Chemoprävention
der resistenten Tuberkulose im Kindesalter
gibt es wenig valide Daten. Generell sollte
sich die Therapie nach dem Resistogramm
des Kindes oder nach dem des Indexfalles
richten. Als Faustregel gilt, dass mindestens
(3-)4 Medikamente, gegen die die Myko-
bakterien sicher sensibel sind, genutzt werden sollen. Drei dieser Medikamente sollten vorher nicht zur Therapie verwendet
worden sein. Außerdem wird international
empfohlen, dass die Therapie ein injizierbares Antituberkulotikum und ein Fluorochinolon enthalten sollte sowie 2 Medikamente mit bakterizider Aktivität. Meist
müssen second-line Medikamente appliziert werden, die eine geringere Effektivität und meist ein deutlich höheres Nebenwirkungsrisiko als die first-line Medikamente haben. Ein Teil dieser Medikamente
ist für Kinder in Deutschland nicht zugelassen (씰Tab. 4). Eine tägliche Gabe der Medikamente sowie eine ausführliche Beratung der Eltern/Sorgeberechtigten sind unbedingt notwendig, um eine ausreichende
Therapiecompliance zu gewährleisten. Ein
regelmäßiges Follow-up zur Therapieevaluation sowie zur Überwachung möglicher Nebenwirkungen ist notwendig. Die
Dauer der Therapie hängt u. a. vom Ausmaß der Erkrankung ab, beträgt jedoch
mind. 12–18 Monate nach Erhalt der ersten
negativen Kultur. Die Therapie einer multiresistenten Tuberkulose sollte auf jeden
Fall einem entsprechenden Zentrum überlassen werden.
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