N.BORGHINI Elektrodynamik einer Punktladung Theoretische Physik IV VII. Wiederholung zum Elektromagnetismus Dieses Kapitel beginnt mit einem Überblick über die Grundlagen des Elektromagnetismus. Dann wird die relativistische Formulierung der Elektrodynamik dargelegt. VII.1 Grundlagen der klassischen Elektrodynamik Hiernach werden die Grundlagen der klassischen Elektrodynamik im Ortsraum dargelegt. VII.1.1 Dynamische Variablen Bewegte elektrisch geladene Teilchen erzeugen ein elektromagnetisches Feld, das wiederum die Bahnkurven der Teilchen beeinflusst. Zur Beschreibung eines solchen Systems sind die dynamischen Variablen X • Ladungsdichte ρ(t, ~r) = qi ni (t, ~r) mit n i der Dichte der Teilchen der Spezies i mit der elektrischen Ladung qi ; i X qi n i (t, ~r)~vi (t, ~r) mit ~vi der mittleren Geschwindigkeit der Teilchen • Stromdichte ~(t, ~r) = i der Spezies i; ~ ~r); • Elektrisches Feld E(t, ~ ~r). • Magnetisches Feld (bzw. magnetische Induktion oder magnetische Flussdichte) B(t, Bemerkung: Hier ist ~r keine dynamische Variable, sondern nur ein kontinuierlicher Parameter, der die Feldvariablen parametrisiert, genauso wie i die Teilchenvariablen kennzeichnet. VII.1.2 Maxwell–Lorentz-Gleichungen ~ B) ~ in Anwesenheit der durch die Die Maxwell-Gleichungen für das elektromagnetische Feld (E, Ladungs- bzw. Stromdichte ρ bzw. ~ beschriebenen Quellen lauten ~ · E(t, ~ ~r) = 1 ρ(t, ~r) ∇ 0 ~ · B(t, ~ ~r) = 0 ∇ ~ ~ × E(t, ~ ~r) + ∂ B(t, ~r) = ~0 ∇ ∂t ~ ~r) 1 1 ∂ E(t, ~ × B(t, ~ ~r) − ∇ = ~(t, ~r). 2 c ∂t 0 c2 (VII.1a) (VII.1b) (VII.1c) (VII.1d) Kombiniert man die Gl. (VII.1a) und (VII.1d) zusammen, so erkennt man, dass die Ladungsund Stromdichte der Kontinuitätsgleichung ∂ρ(t, ~r) ~ + ∇ · ~(t, ~r) = 0, ∂t (VII.2) genügen, welche die lokale Formulierung der Erhaltung der elektrischen Ladung darstellt. Schließlich lautet die Lorentz-Kraftdichte auf die Teilchen der Spezies i ~ ~r) +~vi (t) × B(t, ~ ~r) . f~i (t, ~r) = qi n i (t, ~r) E(t, VII. Wiederholung zum Elektromagnetismus (VII.3) 65 N.BORGHINI Elektrodynamik einer Punktladung Theoretische Physik IV Besteht das System von Teilchen aus einer einzigen Punktladung, so wird die Teilchendichte durch n i (t, ~r) = δ (3) (~r − ~xi (t)) gegeben, mit ~xi (t) der Position zur Zeit t der Ladung, so dass ρ(t, ~r) = qi δ (3) (~r − ~xi (t)), ~(t, ~r) = qi~vi (t) δ (3) (~r − ~xi (t)) mit ~vi (t) der Geschwindigkeit der Punktladung, während die Lorentz-Kraft durch Z ~ ~ ~xi (t)) + ~vi (t) × B(t, ~ ~xi (t)) Fi (t) = d3~r f~i (t, ~r) = qi E(t, (VII.4a) (VII.4b) (VII.5) gegeben ist. Die Gleichungen (VII.1), (VII.4) und (VII.5) bilden einen Satz gekoppelter Gleichungen für ~ ~r), B(t, ~ ~r), ~xi (t), ~vi (t)}, die den Zustand zur Zeit t des Systems die dynamischen Variablen {E(t, {Punktladung + elektromagnetisches Feld} bestimmen. Bemerkungen: ∗ Die Maxwell-Gleichungen (VII.1) sind partielle Differentialgleichungen, d.h. die Zeitableitungen der Felder im Punkt ~r hängen nicht nur von den Feldern in diesem Punkt ab, sondern auch von deren räumlichen Ableitungen. ∗ Um die Felder in einem Bereich festzulegen, sind auch Randbedingungen nötig. VII.1.3 Potentiale. Eichungen ~ ~r) und B(t, ~ ~r) können durch ein skalares Potential φ(t, ~r) und ein Vektorpotential Die Felder E(t, ~ A(t, ~r) ausgedrückt werden: ~ ~r) ∂ A(t, ~ ~r) = −∇φ(t, ~ E(t, ~r) − , (VII.6a) ∂t ~ ~r) = ∇ ~ × A(t, ~ ~r). B(t, (VII.6b) Dies deutet darauf hin, dass die 6 Komponenten des elektromagnetischen Felds in jedem Punkt ~r ~ ~r) nur 4 reelle Skalare darstellen. redundant sind, da die Potentialen φ(t, ~r) und A(t, Setzt man diese Identitäten in die Maxwell–Gauß- und Maxwell–Ampère-Gleichungen (VII.1a) bzw. (VII.1d) ein, so erhält man die folgenden Bewegungsgleichungen für die Potentiale 1 ∂~ ~ ρ(t, ~r) − ∇ · A(t, ~r), 0 ∂t 1 1 ∂φ(t, ~r) ~ ~ ~ ~ A(t, ~r) = ~(t, ~r) − ∇ 2 + ∇ · A(t, ~r) , 0 c2 c ∂t 4φ(t, ~r) = − (VII.7a) (VII.7b) 1 ∂2 − 4 dem d’Alembert-Operator. c2 ∂t2 Diese Gleichungen sind partielle Differentialgleichungen zweiter Ordnung, während die MaxwellGleichungen erster Ordnung sind. mit ≡ Eichinvarianz ::::::::::::: ~ B) ~ und dadurch die Elektrodynamik bleiben invariant unter der EichtransDie Maxwell-Felder (E, formation ∂χ(t, ~r) φ(t, ~r) → φ0 (t, ~r) = φ(t, ~r) + , (VII.8a) ∂t ~ ~r) → A ~ 0 (t, ~r) = A(t, ~ ~r) − ∇χ(t, ~ A(t, ~r) (VII.8b) mit χ(t, ~r) einer beliebigen skalaren Funktion von Ort und Zeit. Somit kann man χ(t, ~r) so wählen, dass die Gleichungen für die Potentiale irgendeine Symmetrie besitzen oder einfacher werden. VII. Wiederholung zum Elektromagnetismus 66 N.BORGHINI Elektrodynamik einer Punktladung Theoretische Physik IV Zwei oft benutzte Eichungen sind die (Lorentz-invariante) Lorenz-Eichung ~ · A(t, ~ ~r) + 1 ∂φ(t, ~r) = 0, ∇ c2 ∂t (VII.9) ~ · A(t, ~ ~r) = 0, ∇ (VII.10) und die Coulomb-Eichung die unter einer Lorentz-Transformation nicht erhalten ist. In der Lorenz-Eichung lässt sich Gl. (VII.7a) als φ(t, ~r) = ρ(t, ~r)/0 umschreiben, während der zweite Glied auf der rechten Seite von Gl. (VII.7b) verschwindet. Dann nehmen die zwei Gleichungen eine symmetrische Form an. ρ(t, ~r) In der Coulomb-Eichung vereinfacht sich Gl. (VII.7a) zur Poisson-Gleichung 4φ(t, ~r) = − 0 der Elektrostatik. Bemerkung: Die Lorenz-Eichung ist „unvollständig“, indem die Potentiale durch die Bedingung ~ der Bedingung (VII.9) genügen, dann erfüllen nicht völlig festgelegt werden. Wenn Potentiale (φ, A) ~ 0 ) ebenfalls die Bedingung, wenn χ eine die nach Gl. (VII.8) eichtransformierten Potentiale (φ0 , A harmonische Funktion [χ(t, ~r) = 0] ist. VII.1.4 Energieimpulstensor Die Dichte und Stromdichte der Energie bzw. des Impulses des elektromagnetischen gegeben durch i 0 h ~ ~ ~r)2 E(t, ~r)2 + c2 B(t, • Energiedichte des Felds: eem (t, ~r) = 2 ~ ~r) = 1 E(t, ~ ~r) × B(t, ~ ~r) • Energiestromdichte (Poynting-Vektor ): S(t, µ0 ~ ~r) × B(t, ~ ~r) • Impulsdichte: ~gem (t, ~r) = 0 E(t, ij • Impulsstromdichte: Tem (t, ~r) = 0 Ei (t, ~r)Ej (t, ~r) + c2 Bi (t, ~r)Bj (t, ~r) 1 ~2 2 2~ . − δij E (t, ~r) + c B(t, ~r) 2 Felds sind (VII.11a) (VII.11b) (VII.11c) (VII.11d) ij Bemerkung: Tem wird auch als Spannungstensor des elektromagnetischen Felds bezeichnet. Die hier benutzte Vorzeichenkonvention für diesen Tensor ist nicht universell. VII.1.5 Einheiten In dieser Vorlesung werden die Einheiten des SI-Systems benutzt. Dann gelten • Lichtgeschwindigkeit c = 299792458 m·s−1 1 ≈ 8, 854 · 10−12 F·m−1 µ0 c2 • Vakuumpermeabilität µ0 = 4π × 10−7 N·A−2 • Permittivität des Vakuums 0 = (VII.12) µ0 wird auch magnetische Feldkonstante genannt. Im Gauß’schen Einheitensystem wird die Einheit der elektrischen Ladung so definiert, dass die Coulomb-Kraft durch qq 0 /r2 gegeben wird. Damit erhalten elektrisches und magnetisches Feld identische Einheiten und die Maxwell-Gleichungen lauten [der Kürze halber wird die (t, ~r)Abhängigkeit der Felder nicht geschrieben] ~ ·E ~ = 4πρ, ∇ ~ ·B ~ = 0, ∇ VII. Wiederholung zum Elektromagnetismus 67 N.BORGHINI Elektrodynamik einer Punktladung Theoretische Physik IV ~ ~ ×E ~ + 1 ∂ B = 0, ∇ c ∂t ~ ~ ×B ~ − 1 ∂ E = 4π ~. ∇ c ∂t c Die Kontinuitätsgleichung bleibt der Form (VII.2) und die Lorentz-Kraft auf eine Punktladung qi ist gegeben durch ~vi ~ ~ ~ Fi = qi E + ×B . c Eine Formulierung der Maxwell-Gleichungen unabhängig vom Einheitensystem wird in Ref. [1] dargelegt. VII.2 Kovariante Formulierung der Elektrodynamik Hiernach bezeichnet x einen Punkt der Raumzeit mit kontravarianten Koordinaten xµ . Die Einsteinsche Summenkonvention über doppelt auftretende Lorentz-Indizes wird benutzt. VII.2.1 Viererstrom Die Ladungs- und Stromdichte bilden einen Viererstrom mit kontravarianten Koordinaten j µ (x) = cρ(x), ~(x) . (VII.13) Damit lässt sich die Kontinuitätsgleichung (VII.2) umschreiben als ∂µ j µ (x) = 0. (VII.14) Bemerkung: In Gl. (VII.13) bezeichnen ρ(x) und ~(x) die Größen in einem festen Bezugssystem, das sich möglicherweise relativ zu den Ladungen bewegt. Für eine Punktladung mit der Vierergeschwindigkeit uµ lautet der Viererstrom j µ (x) = ρ0 (x) uµ (x), mit ρ0 (x) der Ladungsdichte im Ruhesystem der Ladung. VII.2.2 Feldstärketensor Um eine relativistisch kovariante Größe zu erhalten, werden das elektrische und das magnetische Feld zum elektromagnetischen Feldstärketensor kombiniert. Letzterer wird durch • F 00 (x) = F ii (x) = 0, Ei (x) , c 3 X • F ij (x) = −F ji (x) ≡ − ijk Bk (x) • F i0 (x) = −F 0i (x) ≡ (VII.15) k=1 ijk definiert, mit = ijk dem völlig antisymmetrischen Levi-Civita-Tensor dritter Stufe. F µν (x) ist deutlich antisymmetrisch. In Matrixdarstellung gilt E1 (x) E2 (x) E3 (x) − − − 0 c c c E1 (x) 0 −B3 (x) B2 (x) c µν F (x) = (VII.16) . E2 (x) B3 (x) 0 −B1 (x) c E3 (x) −B2 (x) B1 (x) 0 c VII. Wiederholung zum Elektromagnetismus 68 N.BORGHINI Elektrodynamik einer Punktladung Theoretische Physik IV Mit dem Viererstrom (VII.13) und dem elektromagnetischen Feldstärketensor (VII.15) lauten die Maxwell-Gleichungen 1 ν j (x) ∀ν, 0 c2 ∂ µ F νρ (x) + ∂ ν F ρµ (x) + ∂ ρ F µν (x) = 0 ∀µ, ν, ρ. ∂µ F µν (x) = (VII.17a) (VII.17b) Die Lorentz-Kraft auf eine Punktladung q mit der Vierergeschwindigkeit uµ (x) = (γc, γ~v (x)) im elektromagnetischen Feld ist gegeben durch dpµ (x) = qF µν (x)uν (x), (VII.18) dτ mit τ = t/γ der Eigenzeit der Ladung. Der völlig antisymmetrische Levi-Civita-Tensor 4. Stufe wird definiert durch26 +1 falls (α, β, γ, δ) eine gerade Permutation von (0,1,2,3) ist, αβγδ = −1 falls (α, β, γ, δ) eine ungerade Permutation von (0,1,2,3) ist, 0 sonst. (VII.19) Für diesen Tensor gilt 0123 = −0123 . Mithilfe des Levi-Civita-Tensors definiert man den dualen Feldstärketensor für das elektromagnetische Feld, dessen kovariante Komponenten lauten 0 B1 (x) B2 (x) B3 (x) E2 (x) E3 (x) −B1 (x) − 0 1 c c ρσ , F̃µν (x) = µνρσ F (x) = (VII.20) E (x) E (x) 1 2 −B2 (x) − 3 0 c c E2 (x) E1 (x) −B3 (x) − 0 c c entsprechend dem Austausch von Ei /c und −Bi bezüglich F µν . Unter Verwendung des dualen Feldstärketensors lassen sich die homogenen Maxwell-Gleichungen (VII.17b) umschreiben als ∂µ F̃ µν (x) = 0 ∀ν. (VII.21) Bemerkungen: ∗ Der duale Feldstärketensor ist deutlich antisymmetrisch. ∗ Invarianten des elektromagnetischen Felds :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Durch Kontraktionen lassen sich zwei Größen finden, die sich unter Lorentz-Transformationen nicht ändern: ~ ~ ~ 2 E(x) E(x) · B(x) µν 2 ~ und F̃µν (x)F µν (x) = −4 . (VII.22) Fµν (x)F (x) = 2 B(x) − 2 c c VII.2.3 Viererpotential ~ bilden einen Potential-Vierervektor mit den Das skalare Potential φ und das Vektorpotential A kontravarianten Komponenten φ(x) ~ µ A (x) = , A(x) . (VII.23) c 26 Die Vorzeichenkonvention ist hier auch nicht universell: manchmal wird 0123 = +1 genommen. VII. Wiederholung zum Elektromagnetismus 69 N.BORGHINI Elektrodynamik einer Punktladung Theoretische Physik IV Der elektromagnetische Feldstärketensor (VII.15) wird dann gegeben durch F µν (x) = ∂ µ Aν (x) − ∂ ν Aµ (x). (VII.24) Dementsprechend stellen Ei = F i0 = ∂ i A0 − ∂ 0 Ai = −∂i A0 − ∂0 Ai c 1 X ijk jk Bi = − F = −ijk ∂ j Ak = ijk ∂j Ak 2 j,k jeweils die i-Komponente der Gleichung (VII.6a) und (VII.6b) dar. Setzt man Gl. (VII.24) in die inhomogenen Maxwell-Gleichungen (VII.17a) ein, so findet man die Bewegungsgleichung für die Potentiale lauten ∂µ ∂ µ Aν (x) ≡ Aν (x) = 1 ν j (x) + ∂ ν ∂µ Aµ (x) ∀ν, 0 c2 (VII.25) in Übereinstimmung mit den Gleichungen (VII.7). Bemerkung: Die Beziehung (VII.24) gibt F̃µν (x) = 21 µνρσ F ρσ (x) = µνρσ ∂ ρ Aσ (x), woraus die homogene Gleichung ∂ µ F̃µν (x) = µνρσ ∂ µ ∂ ρ Aσ (x) = 0 sofort folgt. VII.2.4 Eichtransformation In kovarianter Schreibweise lautet die Eichtransformation (VII.8) µ Aµ (x) → A0 (x) = Aµ (x) + ∂ µ χ(x), (VII.26) mit χ(x) einer skalaren Funktion. Die Lorenz-Eichung-Bedingung (VII.9) lässt sich dann einfach umschreiben als ∂µ Aµ (x) = 0, (VII.27) woraus ihre Lorentz-Kovarianz deutlich ist. In dieser Eichung vereinfachen sich die Bewegungsgleichungen (VII.25) für das Viererpotential zu Aν (x) = 1 ν j (x) ∀ν. 0 c2 (VII.28) Bemerkung: Die Beziehung (VII.24) zeigt sofort, dass der elektromagnetische Feldstärketensor F µν eichinvariant ist. VII.2.5 Energieimpulstensor ij ~ ~gem und Tem Zusammen bilden die Größen eem , S, in Gl. (VII.11) den Energieimpulstensor T µν des elektromagnetischen Felds. In Matrixdarstellung wird dieser gegeben durch eem (x) c~gem (x) µν . T (x) = S(x) (VII.29) ~ ij −Tem (x) c Der Energieimpulstensor lässt sich durch den Feldstärketensor ausdrücken: 1 1 µν µν µ ρν ρσ T (x) = F ρ (x)F (x) + η Fρσ (x)F (x) . µ0 4 (VII.30) In dieser Form prüft man einfach, dass dieser Tensor symmetrisch ist. VII. Wiederholung zum Elektromagnetismus 70