___________________________________________________________________ 2 MUSIKSTUNDE mit Trüb Montag, 7. 11. 2011 „Gold, Silber und Blech: Franz Lehár“ (1) MUSIK: INDIKATIV, NACH CA. ... SEC AUSBLENDEN Guten Morgen, meine Damen und Herren. Dass die Wiener Operette der JohannStrauß-Ära von jener der Franz-Lehár-Epoche unterschieden wird in eine Zeit der „goldenen Operette“ und eine der „silbernen“, ist ehrlich gesagt ziemlicher Schwachsinn. Seit wann baut Silber auf Gold auf? Und soll uns das weniger wertvolle Edelmetall signalisieren, dass auch Lehárs „Lustige Witwe“ weniger wert wäre als Straußens „Fledermaus“? Ist es nicht viel eher so, dass beide sowohl Gold als auch Silber produzierten – und Lehár gegen Ende sogar Blech? Wenn die „Fledermaus“ golden glänzt, dann schimmert der „Karneval von Venedig“ höchstens silbrig. Und da es goldener nicht ginge als „Die lustige Witwe“, muss sich die „Zigeunerliebe“ eben mit der Silbermedaille begnügen. Auf jeden Fall aber war Franz Lehár kein schlechterer Komponist als Johann Strauß junior – eher das Gegenteil. Lehár hatte von seinem Vater, einem Militärkapellmeister, nahezu alle Instrumente erlernt, Streicher wie Bläser; er hatte somit dem Geiger und Harmoniumspieler Strauß schon einmal die glänzendste Instrumentation voraus, die es im 20. Jahrhundert gab, der eines Richard Strauss absolut ebenbürtig. Und dann konnte Lehár in seiner besten Zeit Melodien erschaffen, die sich nicht nur einschmeicheln – sondern die den Hörer überwältigen! MUSIK: LEHAR, DIE LUSTIGE WITWE, TRACK 16 (6:34; ACHTUNG! BITTE ERST AB CA. 1:45 KNAPP EINBLENDEN!; CA. 4:49) Die Romanze des „Buffopaars“ Valencienne und Camille de Rosillon aus Franz Lehárs Operette „Die lustige Witwe“, gesungen von Barbara Bonney und Rainer Trost, die Wiener Philharmoniker spielten, der Dirigent war John Eliot Gardiner. Nun könnte man fragen: Wenn ein Komponist schon für das zweite Paar so viel Wohlklang und Raffinesse hervorzaubert, was bleibt dann noch übrig fürs erste? Zum Beispiel das: MUSIK: LEHAR, DIE LUSTIGE WITWE, TRACK 23 (3:00) Franz Lehár, „Die lustige Witwe“, diesmal das zentrale Paar Hanna Glawari und Graf Danilo, mit dem sogenannten „Lippenwalzer“, gesungen von Cheryl Studer und Bo Skovhus, klanggebettet wieder von den Wiener Philharmonikern, mit John Eliot Gardiner am Pult. Franz Lehár war ein wandelnder Vielvölkerstaat, typisches Kind jenes von Österreich und Ungarn dominierten „Balkanien“ gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Geboren wurde er am 30. April 1870 im heute zur Slowakei gehörigen Komárno, das damals auf ungarisch Komárom hieß und Komorn auf deutsch. Sein erster Biograf Ernst Décsey behauptete sogar, dass in Lehárs Adern französisches Adelsblut geflossen wäre, von einem Marquis Le Harde, aber das ist nicht belegbar und gehört wohl eher zu den Legenden, die man sich in „Balkanien“ gerne am Lagerfeuer erzählte. Der Vater, Franz Lehar senior (noch ohne Akzent auf dem a), war Böhme und sprach 3 deutsch, er diente als Militärkapellmeister im ungarischen Infanterieregiment Nr. 50 „Großherzog von Baden“, aber in der Armee wurde damals nur deutsch gesprochen. Lediglich weil die Mutter mit dem eigentlich sehr deutschen Namen Christine Neubrandt ausschließlich ungarisch sprach, tat es auch ihr Sohn Franz II. bis zu seinem zwölften Lebensjahr. Ob all das nicht eine gute Voraussetzung für Identitätskrise ist? Gut möglich. Aber Franz Lehár hatte als Identität ja schon sehr früh eine der stärksten an der Hand, die es gibt: die Musik. Er beerbte den Vater, der einst der jüngste Militärkapellmeister Österreich-Ungarns war, und wurde ein noch jüngerer Militärkapellmeister: 24 Jahre war der Vater alt gewesen, Franz packte es Anfang 20. Mit Hingabe dirigierte er die Märsche von Strauß Vater und Sohn, Carl Michael Ziehrer und Josef Franz Wagner. Und er komponierte auch schon selber welche, einer der frühesten war ihm wohl Programm; er trägt den Titel „Jetzt geht’s los!“. MUSIK: LEHAR, JETZT GEHT'S LOS!, TRACK 4 (2:36) Einer der ersten Märsche des blutjungen Militärkapellmeisters Franz Lehár, genannt „Jetzt geht’s los!“ und in unserer Aufnahme stilecht gespielt von der Original Tiroler Kaiserjägermusik. Dennoch, den Vater Lehar plagten Zweifel, ob die Begabung seines Sohnes sich in der Militärmusik bereits erschöpft hätte; wie viele Väter hatte er die Vorstellung, das Kind solle „etwas Besseres“ werden als er. Und so schickte er Franz junior nach Prag ans Konservatorium, um dort Violine bei Direktor Anton Bennewitz zu studieren, Musiktheorie bei Josef Foerster – und Komposition bei Anton Dvorák. Dvorák erkannte in dem jungen Mann sofort den ihm wesensverwandten Klangsensualisten. Er gab ihm den Rat: „Hängen Sie die Geige an die Wand und komponieren Sie lieber ausschließlich!“ Zum Beispiel Musik wie diese ... MUSIK: DVORAK, SLAWISCHER TANZ OP. 72/2, TRACK 10 (4:50) Anton Dvorák, vermutlich wichtigster Lehrer von Franz Lehár, mit dem Slawischen Tanz Nr. 2 aus Opus 72, gespielt vom Cleveland Orchestra unter George Szell. Ansonsten ist der junge Franz Lehár, und nicht erst seitdem ihm der Vater zu Weihnachten die Partitur des „Lohengrin“ schenkt, glühender Wagnerianer. In Bayreuth erlebt er, auf Einladung eines großbürgerlichen Freundes, „Die Walküre“ und ist hin und weg. Er versteht auch gar nicht, wieso die Wiener Presse behauptet, man müsse sich entweder für Richard Wagner oder für Johannes Brahms entscheiden. Warum diese beiden also Antigonen sein sollen. Der Tenor Richard Tauber, den Lehár später im Leben kennenlernt, amüsiert sich darüber, dass der Komponist das Wort falsch ausspricht, wenn er auf Brahms und Wagner zu sprechen kommt, nämlich griechisch wie den Namen der Tochter des Ödipus bei Sophokles: Wagner sei doch nicht „der Antígone“ von Brahms! Berichtet Tauber: „Ich wollte ihn darin nicht korrigieren; schließlich war es ja auch ein Ausweis humanistischer Bildung, den Antigonen nicht fad auf deutsch auszusprechen, sondern wie die gottesfürchtige, aber tragische Prinzessin des Sophokles!“ Auf jeden Fall, Jung-Lehár machte da nicht mit, entweder Brahmane oder Wagnerianer zu sein. Wagner liebte er, Brahms verehrte er, so einfach. Er holte sich Rat über seine Laufbahn aber nicht von Wagner, nur von Brahms; er zeigte ihm seine Kompositionen für Klavier. Stolz 4 schreibt er der Mutter: „(Der Meister) äußerte sich wohlwollend über mich und gab mir eine Empfehlungskarte an Professor Mandyczewski!“ - den damals regional berühmten österreichischen Musikwissenschaftler, Komponisten, Lehrer und Brahmsfreund. Den suchte Lehár aber gar nicht auf, er war ihm zu orthodox; die „Empfehlungskarte“ von Brahms sah er dagegen zeitlebens als eines seiner wichtigsten Souvenirs. MUSIK: LEHAR, SONATE F-DUR (ALLEGRO CON BRIO), TRACK 1 (8:16) Franz Lehár, die frühe Klaviersonate F-dur, die er Brahms gezeigt haben mag; den Kopfsatz, ein Allegro con brio, spielte Wolf Harden. In den Jahren 1895-96 komponiert Lehár seine erste Operette, die er aber noch Oper nennt: „Kukuschka“, ein Werk mit reichlich Wolga-Schmus, wird in Leipzig uraufgeführt und ist einigermaßen erfolgreich, wenn auch nur sieben Vorstellungen lang. (Heute vergessen, gibt es auch keine Aufnahme davon.) Franz allerdings jubilierte. „Eine Premiere in Leipzig! Denken Sie sich, ich komme als blutjunger Mensch in die Stadt, sehe alles bei den Proben beschäftigt und höre meine Musik, sehe das Werk leben, von dem ich bis dahin nur geträumt hatte!“ Im Taumel schreibt er an seine Eltern: „Ich tauge nicht zum Militärkapellmeister, ich habe zuviel Ehrgefühl dazu.“ Tatsächlich will er jetzt sein Glück als Komponist versuchen. So einfach ist das aber auch für einen Lehár nicht. „Kukuschka“ bringt nicht viel ein, und der Wiener Verleger Hofbauer geht pleite, allerdings nicht nur wegen „Kukuschka“. Franz kehrt zurück, ganz der verlorene Sohn, zu seinen Eltern nach Budapest. Und der Senior macht sich Sorgen. Er „möchte in Pension gehen. Er wartet nur, bis Franz ein sicheres Brot hat“. Oh, Vater Lehar liebt die „Kukuschka“-Partitur; gleichzeitig fragt er sich aber, „ob (...) der Franzi das Zeug hat, um seinen Erfolg auszunützen, (das) ist eine andere Sache ... Jetzt muss erst der Geschäftsmann anfangen, und als solcher ist er der ungeschickteste Mensch, der mir je vorgekommen“. Das gab sich übrigens: Später scheffelte Franz Lehár über seinen Eigenverlag Glocken die Tantiemengelder wie noch kein Komponist vor ihm und wenige nachher – vielleicht Andrew Lloyd Webber, falls man den einen Komponisten nennen kann. Aber damals, gegen Ende des 19. Jahrhunderts, werfen die Eltern ihrem Franz wohl zu Recht „leichtsinnigen Umgang mit dem Geld“ und auch „Arroganz“ vor – und schmeißen ihn raus. Jetzt hat er erstmal gar nichts mehr. Auch in Wien sieht es nicht besser aus. Johann Strauß ist tot, Carl Millöcker stirbt; das Strauß-Pasticcio „Wiener Blut“, posthum mit seinen Melodien zusammengeflickt, wird im Carl-Theater ein Riesenflop, Direktor Franz von Jauner erschießt sich. Und was macht Lehár? „In dieser ziemlich prekären Situation“, schreibt er, „blieb mir nichts übrig, als wieder Militärkapellmeister zu werden. Diesmal, das war im Jahr 1900, hatte ich das Glück, nach Wien zu kommen, zum Infanterieregiment Nr. 26. Ich hatte ein sehr gutes Orchester und habe mir in diesen zwei Jahren in Wien als Kapellmeister einen guten Namen gemacht.“ Das neue Ensemble hatte zwischen 45 und 50 Mann, so wie ein Opernorchester auch, Bläser, Streicher und Schlagzeug, sogar zwei Harfen. Die Aufgaben der Truppe umfassten „Ausrückungen, Burgwachen, Hoffestlichkeiten, Bälle, Konzerte, Eisfeste, Kondukte“, das sind: Leichenbegängnisse. Da ging es nicht nur um Märsche, Quadrillen oder Walzer, da konnte praktisch alles aufgeführt werden, auch Richard Wagner. Trotzdem war das häufigst gespielte Stück im Programm der Infanteriekapelle Nr. 26 wiederum ein 5 Marsch: Der „Kriegsmarsch der Priester“ aus Felix Mendelssohns Schauspielmusik zu Racines Drama „Athalie“. MUSIK: MENDELSSOHN, KRIEGSMARSCH DER PRIESTER, TRACK 16 (5:26) Felix Mendelssohn Bartholdy, „Kriegsmarsch der Priester“ aus der Schauspielmusik zu Jean Racines Drama „Athalie“, das von Franz Lehár für seine letzte Militärkapelle am häufigsten programmierte Stück. In unserer Aufnahme dirigierte Arthur Fiedler die Boston Pops. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat Franz Lehár seinen „Opern“einstand „Kukuschka“ schon selber wieder vergessen, und der bunte Rock des Militärkapellmeisters hängt endgültig am Nagel. Für neue Operetten war die Zeit noch nicht reif – wohl aber für neue Walzer. Lehár wurde, ganz einfach, der Walzerkönig von Wien, nach dem Tod von Johann und Josef Strauß. Schreibt der Kritiker Max Schönherr über den ganz eigenen Typus Lehár-Walzer: „Vorherrschen der LEGATO-MODELLE, weitestgehende Anpassung an Puccinische (...), gelegentlich auch Richard Strauss'sche Harmonik (...), durchflochten mit dem Zauber östlich-slawischer Mollakkorde und in brillanter Instrumentation ... Lehár ist der vorerst letzte Meister des großformatigen Wiener Walzers.“ Der berühmteste davon dürfte sein Opus 76 sein, genannt „Gold und Silber“, weil die Fürstin Pauline von Metternich-Sándor damit am 27. Januar 1902 die Wiener Faschingssaison eröffnen wollte, unter diesem Motto. Die Sofiensäle waren ganz in den beiden Farben gehalten, mit silbern bemalter Decke, worauf goldene Sterne prangten, sowie goldenen Palmen mit silbrigem Stamm. Auch die Gäste sollten sich kostümieren und maskieren – in Gold und Silber. Eine typisch dekadente Veranstaltung der schon vom Untergang gezeichneten Donaumonarchie. Die Fürstin orderte bei Lehár „etwas ganz Besonderes“ mit diesem Titel, in der großen Wiener Tradition des „Namenswalzers“, die noch von Josef Lanner und dem älteren Johann Strauß herrührte. Das heißt, der Walzer war identisch mit dem Ereignis, wozu er uraufgeführt wurde. Zwar handelte es sich um eine Ballgala, aber es war der Brauch, den neuen Walzer erst einmal konzertant zu genießen, nicht-tanzend, um „in Stimmung zu kommen“. Danach erst ging das Gekreisel los. Als ich vorhin erwähnte, Papa Lehar habe seinen Sohn für geschäftsuntüchtig gehalten, und der habe dann später seinen eminent profitablen Glocken Verlag gegründet – nun, der letzte Anstoß dazu war vermutlich der Walzer „Gold und Silber“. Denn der wurde ein bis heute anhaltender Welterfolg, der dem Verlag Julius Chmel immer noch Tantiemen beschert. „Aber mir“, greinte sogar noch der greise und längst schon schwerreiche Komponist, „hot er grod mol 50 Gulden brocht!“ MUSIK: LEHAR, GOLD UND SILBER, TRACK 6 (8:55) 6 MUSIKLAUFPLAN 1) LEHAR, Die lustige Witwe; Studer, Skovhus, Bonney, Trost, Wiener Philharmoniker, Gardiner; DG 439 911-2 (LC 0173) 2) LEHAR, Jetzt geht’s los! (Marsch); Orig. Tiroler Kaisermusikjäger; Koch Int'l 323 412 (LC 5680) 3) DVORAK, Slawischer Tanz op. 72/2; Cleveland Orchestra, Szell; CBS/Odyssey 44802 (LC 0149) 4) LEHAR, Sonate F-dur für Klavier; Wolf Harden; SWR-Eigenproduktion 350-5049 5) MENDELSSOHN, Kriegsmarsch der Priester; Boston Pops, Fiedler; RCA/BMG 09026 61249 2 (LC 0316) 6) LEHAR, Gold und Silber (Walzer); Wiener Philharmoniker, Gardiner; DG 463 185-2 (LC 0173)