E. Baltrusch: Die Juden und das Römische Reich - H-Net

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Ernst Baltrusch. Die Juden und das Römische Reich: Geschichte einer konfliktreichen Beziehung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2002. 223 S. (gebunden), ISBN 978-3534-15585-9.
Reviewed by Wilfried Nippel
Published on H-Soz-u-Kult (October, 2002)
E. Baltrusch: Die Juden und das Römische Reich
Nirgendwo ist die römische Herrschaftstechnik,
durch die Einbindung indigener Eliten den eigenen Aufwand an Machtressourcen gering zu halten, so an ihre
Grenzen gestoßen wie gegenüber den Juden in Palästina.
Seit der Einbeziehung in den römischen Herrschaftsbereich durch Pompeius 63 v.Chr. wurde mit verschiedenen Organisationsformen experimentiert; auch die Einrichtung der Provinz Judäa 6 n.Chr. und ihre Neukonstituierung im Jahre 44 (nunmehr beinahe in den Grenzen des alten Herodes-Reiches) hat nicht zu einer dauerhaften Befriedung aus Sicht der Römer geführt, wie sich
im Jüdischen Krieg der Jahre 66 bis 70 (bzw. 73/74) und
im Bar-Kochba-Aufstand von 132 bis 135 in dramatischer
Weise zeigen sollte.
nur Martin D. Goodman, The Ruling Class of Judaea. The
Origins of the Jewish Revolt against Rome AD 66-70,
Cambridge 1987; Emilio Gabba, The Social, Economic and
Political History of Palestine 63 BCE - 70 BCE, in: William
Horbury u.a. (Hgg.), The Cambridge History of Judaism
III: The Early Roman Period, Cambridge 1999, S. 94-165.
Für sich beansprucht Baltrusch, dass er sich “ein im
Kern historisches Ziel gesetzt” habe (S. 12). Die eigentliche Ursache des römisch-jüdischen Konfliktes müsse darin gesehen werden, dass sich die römischen und jüdischen Vorstellungen von “Autonomie” nicht miteinander
vereinbaren ließen, wobei auf beiden Seiten lange historische Prägungen nachwirkten, die im Falle der Juden bis
auf die Erfahrungen mit Assyrern, Babyloniern und Persern zurückgingen. Da sich die Unlösbarkeit des Konfliktes bereits angesichts der von Pompeius getroffenen Regelungen und ihrer Weiterentwicklung durch Gabinius,
Statthalter in Syrien (57-54 v.Chr.), gezeigt habe, könne
seine Darstellung “wohlüberlegt” mit diesem “Beginn der
römischen Herrschaft über Palästina” schließen (S. 19).
Am Ende heißt es, die darauf folgende Zeit sei “zum Teil
ohnehin schon gut erforscht” (S. 157), was angesichts der
pauschalen Literaturschelte in der Einleitung überrascht.
Das Buch handelt also “von der politischen Existenz jüdischer Gemeinwesen unter Fremdherrschaften im Zeitraum von 727-55 v. Chr.” (S. 19) - nicht gerade der Gegenstand, den der Titel erwarten lässt. Auf dem Buchrücken
heißt es gar, “die Eskalation der Konflikte zwischen Juden und Römern bis zu den großen Aufständen zwischen
66 und 132 n. Chr.” stehe im “Zentrum der Darstellung”.
Beide Aufstände endeten für die Juden in der Katastrophe. Auch wegen der bis heute nachwirkenden Folgen Wie sich dabei je nach den aktuellen Konfliktlagen
im 19. und 20. Jahrhundert die Geschichtsbilder veränderten, zeigt jetzt eindrücklich Bernard Wasserstein, Jerusalem. Der Kampf um die Heilige Stadt, München 2002.
sind die Ursachen für diese Erhebungen immer wieder
untersucht worden. Für Ernst Baltrusch greifen die vorliegenden Erklärungen sämtlich zu kurz; sie konzentrierten sich jeweils auf die unmittelbare Vorgeschichte der
Aufstände, machten das Versagen der römischen Statthalter und/oder die Radikalisierung jüdischer Gruppen
verantwortlich, kämen somit kaum über die von Josephus gebotene Deutung voraus; das alles offenbare ein
“zutiefst historisches Manko” (S. 12). Ob dies dem Stand
der Forschung gerecht wird, kann man bezweifeln. Vgl.
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Die Darstellung beginnt mit den Reformen im Südreich unter den Königen Hiskija und Josija, die mit
der ausschließlichen Bindung der Juden an den Jahwekult den Charakter der Religion als Medium der
Selbstbehauptung entscheidend geprägt hatten, wie sich
dann auch im babylonischen Exil zeigen sollte. Fraglich
scheint, ob man die Unterschiede der Funktion - Sicherung der äußeren Selbständigkeit einerseits, Bewahrung
der kulturellen Identität im Exil andererseits - , so herunterspielen sollte, wie es Baltrusch mit seiner Betonung
der Kontinuität tut.
Herrschaftsstreben wird nicht beschönigt, aber in dem
Sinne verstanden, dass die Römer zwar auf Tributzahlungen, nicht jedoch auf unmittelbare territoriale Eroberungen Wert legten. Fraglich ist, ob dies einem Text gerecht
wird, in dem auch von der Eroberung Spaniens und Griechenlands (gemeint ist wohl der Krieg gegen den Achäischen Bund) die Rede ist. Das Senatsregime bot zudem
eine Garantie für rationale Politik im Vergleich zu den
Willkürakten, die von Monarchen auszugehen pflegten
(S. 88f.). Dieser Text belege “den Kern des Mißverständnisses zwischen Juden und Römern hinsichtlich des Zusammenlebens unter einem römischen Dach …, das die
Für die jüdischen Vorstellungen von SelbstverwalBeziehungen zwischen beiden Seiten letzten Endes in die
tung im Rahmen eines Großreichs seien die Erfahrungen
Katastrophe von 66 n. Chr. führen sollte” (S. 90). Im Text
nach der Rückkehr ins Vaterland und der Neuorganisati- steht versehentlich “66 v. Chr.”. Wenn danach diese Beon unter Nehemia und Esra prägend geworden. Der Auf- ziehungen nicht mehr erneuert worden sind, hänge dies
trag von Artaxerxes I. an Esra, “das Gesetz deines Got- zumal mit der Expansionspolitik des Hasmonäerstaates
tes und das Gesetz des Königs” gleichermaßen zu beach- zusammen, der dadurch in den Augen der Römer zu eiten (Esra 7, 26), bringe (selbst wenn die Authentizität des
nem “Gefahrenherd wie andere aufstrebende hellenisEdikts bezweifelt werde) die Sichtweise der Juden auf die
tische Reiche” geworden sei (S. 113), vergleichbar dem
ihnen konzedierte Autonomie in dem Sinne zum Aus- pontischen Reich unter Mithridates VI. (S. 111). - Die Andruck, dass die Loyalität zu den Persern mit der strikten nahme einer solchen Bedrohungsanalyse bei den Römern
Verpflichtung auf das eigene Religionsgesetz verknüpft gründet auf allgemeinen Überlegungen, nicht auf Quelwurde; damit waren zugleich eine Sonderstellung der Ju- lenbelegen.
den im persischen Reich und zunehmende Spannungen
mit der nichtjüdischen Umwelt gegeben (S. 32ff.).
Auf jüdischer Seite habe allerdings weiterhin die Vorstellung geherrscht, dass die Römer in ihrer Region “keiWährend die Perser diesen Status der Juden als in ihne Herrschaftsabsichten” verfolgten (S. 113); diese Fehlrem eigenen Herrschaftsinteresse liegend erkannt hätten, einschätzung habe den Avancen der diversen jüdischen
hätten die Seleukiden nicht mehr die “jüdische Religion” Delegationen zugrunde gelegen, die sich seit dem Winter
in ihrer “Funktion als Ordnungsfaktor im Staate” akzep- 64/63 v.Chr. angesichts der Thronstreitigkeiten im Hastiert (S. 49). Versicherungen, dass die Juden nach ihrer monäerreich um die Intervention des Pompeius bemüheigenen Regeln leben könnten, waren jederzeit revozierten (S. 130ff.).
bare Wohltaten der Herrscher, wie am Kontrast zwischen
der Verleihung von Privilegien durch Antiochos III. eiDie von Pompeius getroffene Lösung habe sich an
nerseits und den Verfolgungsmaßnahmen unter Antio- jüdischen Traditionen orientiert; seine Neuordnung sei
chos IV. andererseits deutlich werde (S. 43ff.).
grundsätzlich “dazu angetan [gewesen], die Juden zur Bewahrung ihrer Identität und zur Ausübung ihrer Religion
Mit dem Makkabäeraufstand begannen die Vertrags- zu ermutigen”; aber die Römer hätten “unter der Gewähbeziehungen zwischen dem sich neu etablierenden jüdi- rung von Religionsfreiheit etwas anderes als die Schafschen Staat und Rom; Baltrusch geht von der Echtheit
fung einer herrschaftsfreien Zone” verstanden (S. 139).
der aus der Zeit zwischen 161 und 104 v.Chr. überlie(Rätselhaft ist die gleich folgende Feststellung, die Röferten Verträge aus, die ausführlich vorgestellt werden mer hätten Religion als “zentrales Element der Integrati(S. 90-113). Die Römer hatten zwar keinerlei konkrete on von Regionen in das Reich” verstanden). Dass PompeiVerpflichtungen übernommen, doch bestand für die Ju- us nach der Einnahme von Jerusalem das Allerheiligste
den die Bedeutung dieser diplomatischen Beziehungen des Tempels betrat, erkläre sich damit, dass er sich einerdarin, dass mit ihnen von Anfang an die sozusagen völseits im Interesse der geplanten Neuordnung Gewißheit
kerrechtliche Anerkennung der Selbständigkeit des jüdiüber die Arcana dieser Religion habe verschaffen, andeschen Staates durch die Römer verbunden gewesen war. rerseits bewußt ein “Zeichen römischer Allmacht” habe
Als Schlüsseldokument für die jüdische Sicht gilt Bal- setzen wollen (S. 141). Es handelt sich letztlich um eine
trusch die Darstellung von römischer Außenpolitik und Paraphrase von Tacitus, Historien 5, 9, 1. Was er damit
Verfassung im 8. Kapitel des 1. Makkabäerbuches: Roms angerichtet hatte, begriff er ebensowenig wie die römi2
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schen Autoren, die allein hervorhoben, dass Pompeius
den Tempelschatz unangetastet gelassen hatte.
überlassen soll, die bei der Aufgabe, “eine historisch argumentierende Erforschung des jüdisch-römischen Verhältnisses” (S. 14) zu leisten, bisher so kläglich versagt
haben.
Für Baltrusch steht damit fest, dass die römische
Herrschaft von Anfang an mit dem jüdischen Selbstverständnis kollidierte, das sich am Modell der Autonomie
unter den Persern orientierte (S. 156). Der Weg in die
Katastrophe sei unausweichlich gewesen, die römischen
Bürgerkriege einerseits, die Herrschaft des Herodes andererseits seien nur “retardierende Momente” gewesen
(S. 147). Den jüdischen Eliten ist in der Folgezeit demnach
verborgen geblieben, dass es überhaupt keine Chance für
einen modus vivendi mit den Römern geben konnte, sie
gaben sich einer “Illusion” hin (S. 140).
Die Frage nach den Auswirkungen kulturell geprägter Wahrnehmungsmuster ist gewiss zentral für eine
Analyse der jüdisch-römischen Beziehungen, nur dass
Baltrusch durchweg die Unterschiede von Positionen innerhalb des Judentums als letztlich unerheblich abtut.
So wird z. B. die auf Bickerman zurückgehende These,
der Konflikt mit Antiochos IV. sei auf innerjüdische Gegensätze zurückzuführen, erwähnt, aber zusammen mit
anderen Erklärungsversuchen als zu kurzschlüssig abgetan (S. 46). Man kann aus seiner auf großer Gelehrsamkeit gründenden Darstellung Der kleingedruckte Apparat (Endnoten) umfaßt 40 Seiten. im Einzelnen viel lernen - seine deterministische Konzeption, die Veränderungen von Perzeptionen auf Grund von Erfahrungen ausschließt, keinen Raum für Entscheidungen von Akteuren
lässt und den kontingenten Ausgang von Handlungsketten ignoriert, kann aber nicht überzeugen.
In bewusster Anlehnung an Thukydides meint Baltrusch, damit die wahre “Ursache” der “großen Kriege der
Juden gegen Rom im 1. und zu Beginn des 2. Jahrhunderts
… hinreichend dargelegt” zu haben, die ganze weitere Geschichte bis zum Ausbruch des Jüdischen Kriegs - mehr
als 120 Jahre - zu den “Anlässen” rechnen zu können
(S. 156), die man offenbar getrost denjenigen Historikern
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Citation: Wilfried Nippel. Review of Baltrusch, Ernst, Die Juden und das Römische Reich: Geschichte einer konfliktreichen Beziehung. H-Soz-u-Kult, H-Net Reviews. October, 2002.
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