13 Klinische Psychologie: Psychische Störungen erkennen und verstehen Lesen Sie bitte den folgenden Brief einer jungen Frau: »Ich möchte Ihnen mitteilen, was es in der heutigen Zeit bedeutet, an einer funktionalen Schizophrenie erkrankt zu sein und welchen Problemen sich jemand mit dieser psychischen Störung gegenübersieht. . . . Sowohl die Patienten als auch die Öffentlichkeit sollten meiner Meinung nach über psychische Störungen ± manchmal sagt man dazu immer noch `Geisteskrankheiten' ± aufgeklärt werden, denn ich muû immer wieder erleben, daû die Menschen jemanden wie mich verspotten und falsch behandeln und gerade dann, wenn es darauf ankäme, überhaupt nicht verstehen. Die eigene Familie, der eigene Ehemann und Freunde, aber auch die professionellen Helfer miûverstehen uns, weil sie nichts über uns wissen. Ich weiû, was der Unterschied ist zwischen einem Geräusch, das ich aufgrund meiner Krankheit erlebe und einem echten Geräusch, weil ich selbst darüber nachgelesen habe. Mit folgender Regel versuche ich mir zu helfen: Ich strenge mich sehr an, mich daran zu erinnern, wie die Welt und die Menschen wirklich sind. Die Krankheit greift sich irgendwelchen Unsinn auf und verwirrt damit meinen Verstand. Aber die Medikamente haben eine sehr starke Wirkung auf mich und die chemischen Prozesse in meinem Körper, deshalb habe ich nicht so viele körperliche Symptome, die mich belasten. . . . Jede Person, die durch die Krankheit runtergezogen wird, hat ihren eigenen Weg, damit umzugehen. Die Dinge, die für alle gleich sind, sind die üblichen Symptome, die mit der Krankheit einhergehen. Jeder, der im Leben weiterhin zurechtkommen möchte, braucht Gelegenheiten, seinen eigenen Weg zu finden und zu erproben. Auch wenn ich eine Person mit dieser Krankheit bin, so bin ich doch immer noch eine Person.« Wie reagieren Sie auf diesen Brief? Welche Empfindungen löst er bei Ihnen aus? Wenn es Ihnen ähnlich geht wie uns, dann empfinden Sie eine Mischung aus Trauer über das Elend der jungen Frau, aus Freude über ihre Bereitschaft, alles zu unternehmen, um die Probleme, die mit der Krankheit verbunden sind, zu bewältigen, aus ¾rger über diejenigen, die sie stigmatisieren, weil sie sich manchmal anders verhält als normal, und aus Hoffnung, daû sich ± unterstützt durch medizinische Behandlung und psychologische Therapie ± ihr Zustand bessern wird. Diese Gefühle, so komplex ihre Verbindung bereits sein mag, sind aber nur einige der Emotionen, die Psychologen und Psychiater erleben, wenn sie bei dem Versuch, psychische Störungen zu verstehen und zu behandeln, mit »Klienten« ± psychisch gestörten, therapiebedürftigen Menschen ± zu tun haben. In diesem Kapitel befassen wir uns mit der Natur und den Ursachen psychischer Störungen: wie sie sich beschreiben lassen, welchen Verlauf sie nehmen, und was wir über die Ursachen sagen können. Im nächsten Kapitel werden wir auf diesem Wissen aufbauen und Strategien beschreiben, die verwendet werden, um diese Störungen zu behandeln oder ihnen sogar vorzubeugen. Einer aktuellen Studie zufolge waren etwa 50% der USAmerikaner im jungen und mittleren Erwachsenenalter irgendwann in ihrem Leben schon einmal an einer psychischen Störung erkrankt (Kessler et al. 1994). Die Daten dürften in Europa nicht grundlegend verschieden sein. Es kann also sein, daû Sie persönliche Erfahrungen mit den Phänomenen haben, über die wir in diesem Kapitel berichten werden. Das wird Ihr Verständnis erweitern, denn Fakten allein können nur wenig an- " 602 13 Klinische Psychologie: Psychische Störungen erkennen schaulich machen, wie sehr psychische Störungen das Alltagsleben der betroffenen Menschen und ihrer Familien beeinträchtigen. Mehr noch als bei anderen Themen werden wir uns bei der Darstellung von psychischen Störungen darum bemühen, die Sachverhalte aus der Sicht der Betroffenen darzustellen. Wir beginnen mit der Diskussion der Begriffe »Störung« und »Normalität«. chischer Störung beziehen, das dem DSM-IV, einem verbreiteten wissenschaftlichen Klassifikationssystem, zugrunde liegt (s. ausführlich in Abschn. 13.2). Wir verwenden 7 Kriterien, um psychische Funktionen oder Verhaltensweisen als »gestört« (oder »anormal«) zu kategorisieren (DSM-IV 1994; Rosenhan u. Seligman 1989): · 13.1 Was sind psychische Störungen? Haben Sie sich jemals sehr groûe Sorgen gemacht oder sich depressiv und niedergeschlagen gefühlt, ohne zu wissen, warum? Furcht vor etwas empfunden, obwohl sie vom Verstand her wuûten, daû Ihnen nichts passieren kann? Dachten Sie irgendwann einmal an Selbstmord? Und haben Sie zu Alkohol oder Drogen gegriffen, um all diesen Schwierigkeiten zu entkommen? In unserer Gesellschaft wird fast jeder auf wenigstens eine dieser Fragen mit »Ja« antworten, was bedeutet, daû fast jeder schon einmal Symptome einer psychischen Störung erlebt hat. In diesem Kapitel lernen wir die ganze Breite von psychischen Erscheinungen kennen, die umgangssprachlich als »krank« oder »anormal« und in Fachkreisen als psychische Störungen bezeichnet werden. Gebräuchlich ist auch, wenn man insbesondere an schwerwiegende Störungen der normalen psychischen Funktionen denkt, der Begriff der Psychopathologie. ! Psychische Störungen liegen dann vor, wenn die normale Funktionsweise der kognitiven und emotionalen Prozesse und des Verhaltens ernsthaft beeinträchtigt ist, so daû die betroffene Person darunter leidet und bei der Erreichung wichtiger Ziele behindert wird. Psychische Störungen führen, mit anderen Worten, zu einer subjektiven und objektiven Einschränkung der Lebensqualität. Das Teilgebiet der Psychologie, das sich mit der Klassifikation, der Erklärung und dem Verständnis von psychischen Störungen befaût, wird häufig als die Psychologie des abweichenden Verhaltens bezeichnet. Was aber ist »abweichend«, »anormal« oder »gestört«? Im Laufe der Geschichte der Psychologie und der Psychiatrie haben sehr unterschiedliche Definitionen einander abgelöst, aber auch heute noch existieren verschiedene Begriffe von psychischer Störung nebeneinander. Wir werden uns in diesem Buch auf das Konzept von psy- · · · · Leiden oder Behinderung. Eine Person erlebt einen Leidensdruck oder eine Einschränkung ihrer normalen psychischen Funktionen, wodurch das Risiko der Verschlechterung ihres körperlichen oder psychischen Zustands und der Einschränkung ihrer Handlungsfreiheit entsteht. Beispielsweise wird ein Mann, der sein Haus nicht verlassen kann, ohne zu weinen, nicht in der Lage sein, seine alltäglichen Lebensaufgaben zu bewältigen. Unangepaûtheit. Eine Person verhält sich in einer Art und Weise, die sie an der Erreichung ihrer Ziele hindert, die nicht zu ihrem Wohlergehen beiträgt oder die mit den Zielen anderer Menschen oder den Bedürfnissen der Gemeinschaft in Konflikt steht. Jemand, der so viel trinkt, daû er seinen Beruf nicht ausfüllen kann oder andere im Zustand der Trunkenheit bedroht, veranschaulicht unangepaûtes Verhalten. Irrationalität. Eine Person handelt oder äuûert sich in einer Weise, die für andere Menschen irrational oder unverständlich ist. Zum Beispiel handelt jemand, der auf Stimmen antwortet, die objektiv nicht existieren, irrational. Unvorhersehbarkeit. Eine Person verhält sich von Situation zu Situation unvorhersehbar oder unberechenbar, wie wenn sie die Kontrolle über sich selbst verloren hätte. Ein Kind, das mit seiner Faust ohne erkennbaren Grund eine Fensterscheibe einschlägt, verhält sich unvorhersehbar. Unkonventionalität und statistische Seltenheit. Das Verhalten der Person ist sehr unüblich (»statistisch gesehen selten«) und verletzt soziale Standards für das, was akzeptabel oder erwünscht ist. Unüblichkeit oder Seltenheit allein reicht jedoch für das Urteil »gestört« in keiner Weise aus. Beispielsweise sind auûergewöhnliche Intelligenz und Genialität sehr selten, aber sie sind in unserer Gesellschaft sehr erwünscht. Auf der anderen Seite ist auch sehr niedrige Intelligenz ein seltenes Phänomen; aber weil sie unerwünscht ist, wird sie oftmals auch als »anormal« oder als »Intelligenzbehinderung« bezeichnet. 13.2 Die Klassifikation psychischer Störungen · · Unbehagen beim Beobachter. Eine Person ruft bei anderen Menschen Unbehagen hervor, weil sich diese durch die Person in irgendeiner Weise bedroht oder beunruhigt fühlen. Eine Frau, die mitten auf der Straûe geht und sich dabei laut mit sich selbst unterhält, ruft nicht nur bei den Autofahrern, denen sie den Weg versperrt, Unbehagen hervor. Verletzung der gesellschaftlichen Standards, insbesondere moralischer Normen. Eine Person verletzt die Erwartungen daran, wie man sich angesichts gesellschaftlicher Normen verhalten sollte. Nach diesem Kriterium können Menschen, die keiner Arbeit nachgehen wollen oder nicht an Gott glauben, als gestört oder anormal gelten. Ist Ihnen klar, warum die meisten dieser Anzeichen von Störungen nicht für jeden Beobachter unmittelbar einsichtig sind? Nehmen wir nur einmal das letztgenannte Kriterium. Sind Sie krank oder gestört, weil Sie nicht arbeiten wollen, selbst wenn diese Haltung nicht den Optimale psychische Gesundheit Innere und äußere Einflüsse wirken in der Weise zusammen, daß • die Person sich wohl fühlt, • sich optimal entwickelt, • von ihren Fähigkeiten Gebrauch macht, • durch faires und gerechtes Handeln ihre Ziele erreicht, • unter Bedingungen der Chancengleichheit lebt. Normen der Gesellschaft entspricht? Oder betrachten wir ein ernsthafteres Symptom: In unserer Kultur gelten Halluzinationen als etwas Schlechtes, weil sie als Zeichen für Geistesstörungen angesehen werden, dagegen gelten sie in einer Kultur, in der sie als mystische Visionen und Ausdruck besonderer spiritueller Kräfte interpretiert werden, als etwas Gutes. Welches Urteil ist richtig? In Abschn. 13.5 werden wir näher auf die Gefahren und negativen Konsequenzen eingehen, die mit der Anwendung von sozialen Normen auf die Beurteilung von Verhalten als »gestört« zusammenhängen. Wir können eine Verhaltensweise mit gröûerer Sicherheit als »gestört« einstufen, wenn mehr als einer der oben genannten 7 Indikatoren vorliegt. Je extremer und häufiger ein Indikator (Kriterium) auftritt, um so sicherer können wir uns sein, daû eine psychische Störung vorliegt. Keines der Kriterien ist jedoch eine notwendige Bedingung, die von allen Störungsbildern geteilt wird. Gleichermaûen ist kein einzelnes Kriterium für sich genommen eine hinreichende Bedingung, um Störungen von Normalität abzugrenzen. ! Die Unterscheidung zwischen »gestört« und »normal« (oder: »nicht gestört«) ist weniger eine Frage der Abgrenzung von 2 voneinander unabhängigen Verhaltensweisen; vielmehr geht es darum, in welchem Maûe die Verhaltensweisen einer Person dem Katalog von Störungskriterien entsprechen. Man kann sich das Konzept psychischer Störungen also am besten als Ausprägung auf einem Kontinuum vorstellen, das zwischen »psychischer Gesundheit« und »psychischer Krankheit« variiert. Abb. 13.1 veranschaulicht diese Idee. 13.2 Die Klassifikation psychischer Störungen Minimale psychische Gesundheit Innere und äußere Einflüsse stehen im Konflikt miteinander, das führt bei der Person zu • Unbehagen, • eingeschränkter oder fehlender Entwicklung der geistigen Fähigkeiten, • Nichterreichen der persönlichen Ziele, • destruktivem Verhalten, • Verfestigung der Erfahrung von Ungleichheit. Abb. 13.1. Das Kontinuum psychischer Gesundheit. Was »psychisch gestört« bedeutet, läût sich am besten anhand eines Kontinuums verdeutlichen, das von »optimaler« bis zu »minimaler psychischer Gesundheit« variiert Warum kann es hilfreich sein, über ein Klassifikationssystem für psychische Störungen zu verfügen? Was gewinnt man, wenn man über die globale Feststellung, daû eine Abweichung existiert, hinausgeht und differentiell diagnostiziert, um welche Störung es sich handelt? ! Eine psychologische Diagnose führt zu einer präzisen Benennung der psychischen Störung, indem sie das beobachtbare Verhaltensmuster in ein differenziertes und fundiertes diagnostisches System einordnet. Es existieren für psychische Störungen 2 weltweit gebräuchliche und anerkannte Diagnosesysteme, das DSM-IV (»Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders«) und die ICD-10 (»International Classification of Diseases«). 603 604 13 Klinische Psychologie: Psychische Störungen erkennen Auf das DSM-IV werden wir in diesem Kapitel ausführlich eingehen, die ICD-10 wird in diesem Abschnitt kurz vorgestellt. Wie schon aus der Darstellung diagnostischer Probleme und Methoden in Kap. 11 deutlich geworden sein sollte, sind psychologische Diagnosen ungleich schwieriger als medizinische Diagnosen zu stellen. Bei medizinischen Fragen kann man auf relativ objektive Befunde, wie etwa Röntgenbilder, Bluttestergebnisse und Biopsien, zurückgreifen. Bei psychischen Störungen hingegen ist man auf die Interpretation der Verhaltensweisen einer Person angewiesen. Die genannten Diagnosesysteme sind entworfen worden (und werden ständig weiterentwickelt), um eine gröûere Übereinstimmung zwischen den Diagnosen verschiedener Fachleute zu erreichen. 13.2.1 Ziele der Klassifikation Ein Diagnosesystem ist dann besonders wertvoll, wenn es die 3 folgenden Eigenschaften aufweist: · · Weitverbreitete, knappe Sprache. Um die schnelle und klare Verständigung zwischen den Psychologen und Psychiatern zu erreichen, die sich mit psychischen Störungen befassen, braucht man einen Grundbestand an Bezeichnungen, über deren Bedeutung Übereinstimmung besteht. Eine diagnostische Kategorie, wie beispielsweise »Depression«, faût eine umfangreiche und komplexe Sammlung von Informationen zusammen, einschlieûlich der charakteristischen Symptome und des Verlaufs der Störung. Denjenigen, die in Kliniken mit psychisch gestörten Menschen zu tun haben ± wir werden in der Folge von »Klinikern« sprechen ± hilft ein eingeführtes und klares Diagnosesystem dabei, sich über die Patienten eindeutig und präzise zu verständigen. Gleichermaûen ist es unabdingbar, daû Forscher sich darüber einig sind, welche Erscheinungsformen von Störungen in der einen oder anderen Theorie, Untersuchung und Beobachtung gemeint sind. Klärung der ¾tiologie. Idealerweise sollte die Diagnose einer spezifischen Störung auch Klarheit über die Ursachen der Symptome bringen, also die ¾tiologie der Störung klären. Da über die Entstehungsgeschichte vieler psychischer Störungen noch immer viel Unklarheit besteht, ist diese Eigenschaft von Diagnosesystemen eher ein Ideal als Realität. · Behandlungsplan. Eine vorbildliche Diagnose sollte auch einen Vorschlag für die angemessene Behandlung enthalten. Forscher und Kliniker haben herausgefunden, daû bestimmte Behandlungen oder Therapien bei manchen Störungen besser wirken als bei anderen (vgl. Abschn. 14.6). Beispielsweise können Medikamente, die sich bei der Behandlung schizophrener Patienten als sehr wirksam erwiesen haben, sich bei Personen mit Depressionen als unwirksam oder sogar schädlich erweisen. Weitere Fortschritte in unserem Wissen über die Wirksamkeit und Spezifität von Behandlungen werden schnelleren und zuverlässigeren Diagnosen ein noch gröûeres Gewicht geben. 13.2.2 DSM-IV und ICD-10 Die weltweit gebräuchlichsten und fundiertesten Klassifikationssysteme für psychische Erkrankungen sind das von der American Psychiatric Association entwikkelte Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM) und die von der Weltgesundheitsorganisation WHO entwickelte International Classification of Diseases (ICD). Das DSM ist 1994 in der 4. Ausgabe erschienen ± deshalb trägt es jetzt den Kurztitel DSM-IV. Mittlerweile liegt auch eine deutsche Bearbeitung vor (Saû et al. 1996). Das DSM-IV klassifiziert, definiert und beschreibt mehr als 200 psychische Störungen. Um die Schwierigkeiten zu verringern, die sich daraus ergeben, daû sich die einzelnen Ansätze zum Verständnis psychischer Störungen sehr unterscheiden, konzentriert sich das DSM-IV auf die Beschreibung von Symptomen und Störungsverläufen und läût Theorien zu ¾tiologien und Behandlungsvorschläge in den Hintergrund treten. Rein deskriptive Begriffe erlauben es Klinikern und Forschern eher, eine gemeinsame Sprache für die Problembeschreibung zu finden und dennoch genügend Raum für unterschiedliche theoretische Interpretationen und Modelle zu lassen. Um Kliniker zu ermutigen, die psychologischen, sozialen und physischen Faktoren, die mit einer Störung verbunden sein können, zu berücksichtigen, verwendet das DSM-IV sog. Dimensionen oder Achsen, auf denen diese Arten von Informationen beschrieben werden (vgl. Tabelle 13.1). · Die wichtigsten klinischen Störungen befinden sich auf Achse I. Darunter fallen auch alle Störungen, 13.2.2 DSM-IV und ICD-10 Tabelle 13.1. Die 5 Achsen des DSM-IV. (Beschreibungen aus der amerikanischen Ausgabe, eig. Übers.) · · Achse Art der Information Beschreibung Achse I Klinische Störungen Diese Störungen repräsentieren Symptome oder Muster von Verhaltensauffälligkeiten oder psychischen Problemen, die typischerweise schmerzhaft sind oder einen Funktionsbereich der Person beeinträchtigen. Darunter fallen auch Störungen, die im Säuglingsalter, in der Kindheit oder im Jugendalter in Erscheinung treten. Achse II a. Persönlichkeitsstörungen b. Geistige Behinderung Es handelt sich um unangemessene Wahrnehmungsmuster und Verhaltensweisen. Achse III Allgemeiner medizinischer Zustand Auf dieser Achse werden organische Probleme aufgeführt, die für das Verständnis oder die Behandlung der psychischen Störungen auf den Achsen I und II bedeutsam sein könnten. Achse IV Psychosoziale Schwierigkeiten und Belastungen durch die Umwelt Auf dieser Achse werden psychosoziale Belastungen und Umweltbelastungen beschrieben, die die Diagnose und Behandlung der psychischen Störung und die Wahrscheinlichkeit der Genesung beeinflussen könnten. Achse V Erfassung des generellen Funktionszustands der Person Hier geht es um das allgemeine Funktionsniveau (Angepaûtheit) der Person in psychologischer und sozialer Hinsicht und im beruflichen Bereich. die in der Kindheit entstehen, abgesehen von geistiger Behinderung. Auf Achse II werden geistige Behinderung und Persönlichkeitsstörungen aufgeführt ± also Probleme, die mit Störungen der Achse I verbunden sein können. Auf Achse III sind generelle medizinische Informationen (z. B. über Diabetes) angesiedelt, die wichtig sein können, um die Störungen der Achsen I und II verstehen und behandeln zu können. Auf den Achsen IV und V befinden sich Zusatzinformationen für die Planung der Behandlung und vor allem für die Erstellung einer Prognose, also einer Voraussage über den weiteren Verlauf der Störung. · · Achse IV erfaût die psychosozialen Schwierigkeiten und Probleme, die sich aus der Umwelt des Patienten ergeben und die erklären können, warum er Streûreaktionen zeigt und welche Ressourcen er zur Streûbewältigung einsetzen kann. Auf Achse V wird eine globale Einschätzung des Funktionsniveaus der Person vorgenommen. Eine vollständige individuelle Diagnose im Sinne des DSM-IV verlangt, daû die Person auf allen 5 Dimensionen eingestuft worden ist. ! Das DSM-IV ist nach Angaben der Autoren vollständig kompatibel mit dem zweiten groûen Diagnosesystem für psychische Störungen, der ICD-10. Die Kompatibilität (Vereinbarkeit) wurde dadurch erreicht, daû die jeweiligen Autorengruppen eng zusammengeareitet haben. Das DSMIV enthält einen Anhang (Anhang H der amerikanischen Ausgabe), in dem die beiden Diagnosesysteme in der Art einer Synopse einander gegenübergestellt werden. In der ICD-10 werden neben einer Beschreibung der wesentlichen klinischen Charakteristika für jede Störung auch wichtige weitere, aber weniger spezifische Merkmale angegeben. Diagnostische Leitlinien geben dann die Anzahl und Gewichtung der Symptome an, die zur Erstellung einer sicheren Diagnose erforderlich sind. Sie wurden so formuliert, daû dem Diagnostiker ein gewisser Spielraum bei seiner Entscheidung verbleibt. Die deutsche Ausgabe der ICD-10 enthält das Kapitel V der ICD-10 und »stellt im wesentlichen eine Übersetzung und keine Bearbeitung« der amerikanischen Ausgabe dar (Dilling et al. 1993, S. 9). Im Vorwort findet sich folgende kritische Anmerkung: »Die Herausgeber stimmen nicht in allen Einzelheiten mit dem neuen Klassifikationskonzept überein. Es bildet einen Kompromiû zwischen den Erfordernissen verschiedener Sprachund Kulturräume, der zwar durchaus kontrovers diskutiert wurde, aber auch im deutschen Sprachraum voll zu 605