SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Wissen – Manuskriptdienst Nofretete

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SÜDWESTRUNDFUNK
SWR2 Wissen – Manuskriptdienst
Nofretete unterm Scanner –
Naturwissenschaftler und Ägyptologen aus Spurensuche
Autor: Eckhard Rahlenbeck
Redaktion: Detlef Clas
Regie: Tobias Krebs
Sendung: Montag, 6. Mai 2013, 8.30 Uhr, SWR2 Wissen
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Dieses Manuskript enthält Textpassagen in [Klammern], die aus Zeitgründen in
der ausgestrahlten Sendung gekürzt wurden.
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MANUSKRIPT
Sprecher:
Nofretete, wörtlich übersetzt: „Die Schöne ist gekommen“. Die Büste einer Königin,
befreit aus dem Schutt und Sand der mittelägyptischen Wüste. Gesicht, Hautfarbe,
kleine Grübchen an den Mundwinkeln, der schlanke Hals – alles zeigt sich in
makelloser Schönheit. Seit den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts gehört die Büste
der Königin zu den am meisten bewunderten Attraktionen der Berliner Museen. So
lange treibt Museumsfachleute auch die Frage um, wie es unter dem reizenden
Äußeren aussieht. Wie ist der Zustand im Inneren? So wurde die Königin eine Patientin
und zur Diagnose in eine Klinik eingeliefert.
Cut 1: Huppertz:
Wir haben nach dem Museumsbetrieb die Untersuchung gemacht, sodass Nofretete für
den letzten Museumsbesucher noch zu sehen war und für den ersten am nächsten
Morgen auch schon wieder. [...], aber dann geht dieser Prozess dieser
Nachverarbeitung und das war eine monatelange Angelegenheit.
Ansage:
Nofretete unterm Scanner –
Naturwissenschaftler und Ägyptologen auf Spurensuche
Eine Sendung von Eckhard Rahlenbeck
Sprecher:
Als Chef des Imaging Science Institutes an der Charité hat Alexander Huppertz
Erfahrung mit alten Stücken. Sogar mit Nofretete, der Prominentesten aus dem
Ägyptischen Museum, hat der Röntgenologe engste Bekanntschaft gemacht. Wo
normalerweise Menschen ihre Gebrechen diagnostizieren lassen, durchdringen in
dieser Nacht elektromagnetische Wellen die Büste. Sie liefern Schicht für Schicht
Querschnittbilder, die als räumliche Modelle umgerechnet und dargestellt werden.
Cut 2: Huppertz:
Das kann man sich eigentlich vorstellen so wie mit klassischen Lego-Steinen. Das
heißt, das was wir in der Computertomografie aufnehmen, sind ja eigentlich Bauklötze
[...] und heutzutage sind wir bei Schichtdicken die weit unter 0,5 Millimeter liegen. Das
heißt, die räumliche Auflösung ist viel besser. Und all das, was wir kennen, diese
gedrehten Bilder von der Büste auf dem Computertomografen ist natürlich nur mit der
neuen Technik möglich.
Sprecher:
1912 in der Ruinenstadt Tell el Amarna wurde die Büste vom Ausgräber Ludwig
Borchardt und seinen Helfern aus dem Schutt einer verfallen Bildhauerwerkstatt
geborgen. Nun unter dem Scanner der Computertomografie beflügelt das die Phantasie
der Boulevardmedien. Lässt sie spekulieren, ob der Kalksteinkern nicht das eigentliche,
das wahre und ungeschönte Antlitz zeige. Doch enthüllen Schlagzeilen wie „Das zweite
geheime Gesicht der Nofretete“ Sensationen? Frage an die Direktorin des Ägyptischen
Museums Berlin, Friederike Seyfried:
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Cut 3: Seyfried
Natürlich wusste man von Anfang an, das wusste auch Borchardt schon, dass es sich
um einen Kalksteinkern handelt, der stuckiert war oder stuckiert ist. Aber die
Schichtstärken herauszubekommen, den inneren Aufbau einfach genauer zu sehen,
das ist natürlich nur mit den modernen naturwissenschaftlichen Untersuchungen
möglich gewesen.
Sprecher:
Nofretete ist in einem äußerst empfindlichen Zustand. Risse, Luftblasen, Löcher werden
sichtbar. Die Stuckschicht ist nur wenige Millimeter dick. An einigen Stellen, an denen
nachgebessert wurde, liegt eine zweite darüber.
Cut 4: Seyfried
Die Bildhauer damals wussten, wie man damit umgeht, aber dann kann ihnen natürlich
immer dann mal was passieren. Wenn sie an so eine Feuersteinknolle an der
Oberfläche kommen, dann können sie die eben nicht so gut bearbeiten. Und das ist
übrigens sicherlich auch einer der Gründe gewesen, warum viele der Skulpturen und
Reliefs in Amarna selbst in dieser Mischtechnik verfasst worden sind.
Sprecher:
Wie nah kam der Bildhauer der Realität? Entspricht das geformte Abbild der Nofretete
der realen Persönlichkeit? Museumsdirektorin Friederike Seyfried ist der Ansicht, dass
…
Cut 5: Seyfried
… es sicherlich idealisiert ist, aber individuelle Züge trägt. Also ich denke, das ist eine
Mischung aus beidem. Aber es ist kein Porträt, wie man das von römischen
kaiserzeitlichen Porträts kennt. Sondern das ist tatsächlich durchaus idealisiert.
Sprecher:
Nicht weit von der Fundstelle der Nofretete, noch im gleichen Raum der verfallenen
Werkstatt des Bildhauers Tuthmosis, stießen die Ausgräber auf eine weitere Büste: die
ihres Ehemanns, des Pharao Echnaton.
Cut 6: Seyfried
Als Borchardt die Büste gefunden hat, war sie zerschlagen in mehrere Fragmente. Er
spricht zuerst von fünf, es sind aber mehr. Das schreibt er dann auch später noch im
Tagebuch. Und die mussten zusammengesetzt werden. Und um da eine stabile
Konstruktion hinzubekommen, hat man sich damals nicht gescheut – wir würden das
heute doch als etwas brutal ansehen – mit richtig massiver Technik da zu Werke zu
gehen.
Sprecher:
Jahrzehntelang stand die zusammengeflickte Büste in der Museumsvitrine, wohl eher
als ein abschreckendes Werk der Restaurierungskunst. Um festzustellen, ob das noch
zu reparieren ist, soll wieder eine Computertomografie in der Charité Aufschluss geben.
Cut 7: Seyfried
Auf der Grundlage, dass Nofretete schon hier Patientin war, haben wir dann auch ihren
Ehemann hier als Patient eingeliefert. Da war die Frage, wie die Büste des Echnaton,
die ja schon zerschlagen gefunden war in Amarna, wurde Anfang des 20. Jahrhunderts
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dann wieder auch wieder zusammen gesetzt, dann nochmals in einem zweiten
Restaurierungsprozess geklebt. Und wir wollten diese Büste eigentlich
auseinandernehmen lassen und wieder vollkommen neu restaurieren. Nun hat sich
aber herausgestellt, dass aufgrund des verwendeten Epoxydharzes, mit dem damals
geklebt wurde, eine Rückrestaurierung nicht mehr möglich war. Und für die
Restauratorinnen war es nun von erheblicher Bedeutung zu wissen: Wie sieht eigentlich
diese Konstruktion im Inneren aus? Auf was müssen wir achten?
Sprecher:
Der Röntgenologe Alexander Huppertz erlebt eine Überraschung.
Cut 8: Huppertz
Wenn wir die ersten Bilder an dem Scanner gesehen haben, sah es natürlich ganz
anders aus als bei Nofretete, wo man wirklich den Kontrastregler ganz feinfühlig hinund her drehen musste. Hier fielen natürlich sofort diese massiven Bronzedübel auf. Für
mich eigentlich nichts Ungewöhnliches, hat man ja häufig, würde man in der
medizinischen Routine auch häufiger machen, dass man bestimmte Knochenfragmente
wieder zusammenschraubt, also nichts Ungewöhnliches. Was aber für mich sehr
interessant war, war natürlich: Durch diese hochaufgelöste Computertomografie sehen
Sie natürlich nicht nur, dass sich dort insgesamt, ich glaube es sind drei Dübel,
befinden, sondern Sie sehen natürlich genau, welche Fragmente, die miteinander
verbinden. Haben die ein Gewinde, sind es stumpfe Dübel, was für Durchmesser haben
die Gewinde? Das sind Dinge, die Sie aus so einer Computertomografie genau ablesen
können. Wir konnten genau nachvollziehen, wie diese einzelnen Fragmente zusammen
gesetzt worden sind. Wir konnten auch halbwegs verstehen, was die Logik dieser
einzelnen Platzierungen dieser Dübel war.
Sprecher:
Ohne die Skulptur zu berühren, ließen sich aus acht Millionen Messdaten die
ursprünglichen Fundstücke nun wieder originalgetreu bis auf eine Genauigkeit von 0,05
Millimetern zurückbilden, ganz so wie sie Ausgräber Borchardt im Wüstensand fand.
Am Rechner wurden die Puzzleteile zusammengefügt. Im 3D-Labor der Technischen
Universität Berlin konnte zusätzlich sogar der rekonstruierte Echnaton-Kopf plastisch
als Ausstellungsmodell im sogenannten 3D-Druck gefräst werden. – Die Büste des
Königs Echnaton: In Amarna vom Bildhauer gefertigt, in Stücke zerschlagen, nach drei
Jahrtausenden wieder aufgefunden. Von Restauratoren mehr schlecht als recht
zusammengesetzt. Im zweiten Weltkrieg als Beutekunst in die Sowjetunion verfrachtet
und zusätzlich ramponiert 1958 wieder zurückgegeben. Jetzt, mit Computertomografie
und Lasertechnologie, wieder auf ihren Urzustand zurückversetzt.
Cut 9: Seyfried
Dieses Stück hat eine Geschichte hinter sich, da gehört die Zerstörung mit dazu. Und
das wollen wir natürlich auch zeigen. Es geht also nicht darum, dass man jetzt eine platt
polierte Oberfläche hinbekommt, sondern für uns war es ganz wichtig, dass die
Restauratoren wissen, wie müssen sie mit diesem Objekt umgehen.
Cut 10: Atmo Gespräche
Sprecher:
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Aus dem Depot des Berliner Ägyptischen Museums fand auch eine altägyptische
Holzleier den Weg unter den Scanner. Das zerbrechliche Musikinstrument wurde 2011
hier genauestens untersucht. Die Daten lieferten die Grundlage für einen Nachbau.
Atmo hoch: Ich möchte ein Mal die Leier hören.
Sprecher:
Neugierig bestaunt von Instituts-Mitarbeitern in weißen Kitteln zieht Susanna Schulz
das Ergebnis ihrer Arbeit aus seiner Umhüllung. Sie hat das dreitausend Jahre alte
Saiteninstrument rekonstruiert.
Noch Cut / Kastenleier / Kastenleier wird gestimmt.
Cut 11: Schulz:
Die Maserung des Holzes, das hat uns auch überrascht, dass wir das sehen konnten
durch die CT-Aufnahmen, wie jetzt das Holz gewachsen war, also zum Beispiel hier
diese Holmaufsätze.
Sprecher:
Susanna Schulz forscht und arbeitet in der noch jungen Disziplin Musikarchäologie.
Über Harmonien und Stimmungen des Instruments muss man noch spekulieren.
Cut 12: Schulz:
Hier haben wir Saitenlöcher und Spuren der Saiten, sodass wir eventuell Rückschlüsse
auf die Saitenstärke schließen können, aber das ist noch in Arbeit, müssen eventuell
noch mal genauere CT-Aufnahmen machen mit einer höheren Auflösung.
Cut 13: Kastenleier / Kastenleier wird gespielt
Sprecher:
Mehr denn je sind Ägyptologen auf naturwissenschaftliche Hilfe angewiesen. Physiker
machen Hoffnung, die Unmengen antiker Dokumente untersuchen zu können. Allein in
der Papyrussammlung des Ägyptischen Museums lagern einige zehntausend Papyri,
viele im gerollten und gefalteten Zustand, einige sogar als Verschluss von Gefäßen. Es
ist nicht daran zu denken, sie auszurollen oder zu entfalten. Das würde sie zu sehr
beschädigen, wenn nicht sogar vernichten. Die Lösung versprechen neue
Computertomografen, die mit hoher Röntgenstrahlenergie Auflösungen bis in den
Bereich eines Tausendstel Millimeter und darüber hinaus ermöglichen.
Cut 14: Mahnke:
Diese Technologie ist in der Anwendung.
Sprecher:
Was den Kernphysiker Heinz-Eberhard Mahnke so optimistisch stimmt, ist der bereits
geglückte Versuch, ein Keilschrift-Dokument von einer Bleirolle zu entziffern.
Cut 15: Mahnke
Eine derartige Bleirolle zu entrollen, ist ein ähnliches Problem wie ein Papyrus zu
entrollen, die würde auch zerbröseln. Und hier war es in der Tat gelungen, mit dieser
Submikrometer-Auflösung diese Bleirolle virtuell zu entrollen, ohne sie mechanisch zu
entrollen und auch die Schriftzeichen sichtbar werden zu lassen.
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Sprecher:
Techniken der berührungslosen Analyse wirken wie eine Zauberformel. Heinz-Eberhard
Mahnke hat in seinem Institut an der FU Berlin bereits nachgewiesen, dass es sogar
möglich ist, Näheres über die unbekannten Inhalte der vielen Krüge, Vasen, Gefäße
aus Stein, Ton und Glas zu erfahren, die bis heute noch niemand zu öffnen wagte. Zum
Beispiel die Substanz in einem Fläschchen aus einem altägyptischen Frauengrab.
Cut 16: Mahnke
Das Fläschchen war nicht komplett gefüllt bis oben hin, sondern nur bis zur Hälfte und
das Glas, was die Gefäßwand ausmachte, war etwas durchscheinend, sodass man in
der Tat erkennen konnte, dass dieses Fläschchen nicht vollgefüllt war. Es war aber
wunderbar versiegelt abgeschlossen.
Sprecher:
Die Physiker wenden ein besonderes Verfahren der Röntgenstrahlung oder der
Bestrahlung mit Protonen oder Neutronen an. An der Art, wie eine bestimmte Strahlung
beim Durchdringen eines Stoffes sich verändert, können spezifische chemische
Substanzen erkannt werden. Im konkreten Laborversuch ließ sich mithilfe dieser
Fluoreszenzstrahlung ein bleihaltiger Inhalt im Fläschchen nachweisen.
Cut 17: Mahnke
Derartige Bleiverbindungen, Bleisubstanzen sind in Ägypten, im ägyptischen Raum
auch im spätägyptischen, bis hin zu arabischen Zeiten bekannt als Schminke. Die
schwarze Form des Bleisulfids mit dem geologischen Namen, wenn man so will,
mineralischen Namen Galena. Bekannt ist eine schwarze Substanz, die als Tusche, als
Schminke für Augenbrauen Verwendung findet. Und dann im Arabischen Kol genannt
wird.
Sprecher:
Das Verhältnis zwischen Ägyptologen und Naturwissenschaftlern ist nicht ohne
Widersprüche. Das zeigt sich beispielhaft in der akademischen Auseinandersetzung
über ein kleines Relief im Ägyptischen Museum. Es ist eine kolorierte Kalksteinplatte,
die unter der Bezeichnung „Spaziergang im Garten“ viele Besucher anzieht. Sie zeigt
ein jugendliches Paar, nach übereinstimmender Auffassung König Tutenchamun und
seine Gattin Anchesenamun. Beide sind einander zugewandt. Während sie ihm
liebevoll eine Lotosknospe und zwei Alraunen-Früchte reicht, steht er anmutig, seine
rechte Achsel auf einen langen Stock gestützt. Doch diese Körperhaltung gilt bei
einigen Experten als Bestätigung des schlimmen Verdachts von einem gebrechlichen
Tutenchamun. Sie interpretieren den Stock als eine Krücke und berufen sich auf
medizinische Gutachten.
Cut 18: Carsten Pusch
Ich muss gestehen, ich war selber überrascht, wo ich die diese überlange Liste der
vorgeschlagenen Erkrankungen gesehen habe.
Sprecher:
Wenn einer über den Gesundheitszustand des Tutenchamun etwas aussagen kann,
dann ist es Carsten Pusch. Der Humangenetiker von der Universität Tübingen, ist seit
2008 Mitglied eines kleinen Teams von Wissenschaftlern, die in zwei High-TechLaboren in Kairo altägyptische Königsmumien erstmals auf ihr Erbgut untersuchen und
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feingerasterte dreidimensionale Röntgenaufnahmen erstellen. Trotz modernstem
Technikeinsatz können die Untersuchungen nicht vollständig sein.
Cut 19: Carsten Pusch:
Im Falle von Tutenchamun fehlt das Herz. Wenn der praktisch einen Herzinfarkt erlitten
hat oder sonstige Fehler an den Herzklappen hätte, könnten wir das nicht
nachvollziehen, weil, dieses Organ ist nicht mehr da. Wir können auch nicht über
Todesursachen spekulieren, weil dafür müsste man eine Sektion machen, wies es der
Mediziner normalerweise macht, um die Todesursache zu beleuchten. Dafür müsste
man ein komplettes Individuum haben und eine Mumie ist eben halt nun mal ein Teil
einer Person, zwar mit Weichteilerhaltung, aber in der Regel fehlen die inneren Organe.
Sprecher:
Am Leichnam Tutenchamuns finden die Mediziner zunächst die Spuren, die die
Einbalsamierer des Pharaos vor Jahrtausenden hinterlassen haben.
Cut 20: Carsten Pusch
Es muss eine wirkliche Metzgerarbeit gewesen sein. Allein schon für Tutenchamun
wissen wir, dass er zwei Mal balsamiert wurde. Einmal im Liegen auf dem Rücken, was
noch nachvollziehbar ist, wenn man zum Beispiel auf irgendeiner horizontalen
Unterlage liegt. Aber denn auch irgendwie so, dass er praktisch Harz im oberen
Kopfbereich hat. Das heißt, er muss während dieser Prozedur gehangen sein, also an
den Beinen aufgehangen und mit dem Kopf nach unten. Also das ist eine brachiale
Arbeit, wenn man sich vorstellt, dass es an einer Leiche durchgeführt wird, das hat
schon mehr was von einem Horrormovie.
Sprecher:
Harze, Öle und andere bisher nicht definierte Natursubstanzen bewahrten die
königlichen Leichen vor dem Verfall. Die Zusammensetzung ist heute noch weitgehend
unbekannt. Die Prozedur der Einbalsamierer lässt sich allerdings nachvollziehen.
Zunächst wurde …
Cut 21: Carsten Pusch
… ein Loch [...] durch die Nase gestoßen. Und das war die Möglichkeit, das Gehirn zu
entfernen zu bestimmten Dynastien und dann auszutauschen durch
Balsamierungsharz.
Sprecher:
Ohne die Kunst der Balsamierer wären die Könige so verrottet wie ihre Sklaven und
Pyramidenarbeiter, die im Wüstensand verscharrt, in Massengräbern noch zu finden
sind. Aber ihre Knochen zerfallen sofort, wenn man sie nur anrührt. Alles, was einmal
an Biomasse da war, ist verflogen. Individuelles Leben nicht mehr nachweisbar. Keine
Spur von Proteinen, keine DNA.
Anders bei den Mumien: Unter höchsten Reinraumbedingungen können im Kairoer
Labor die Proben für die genetische Analyse gewonnen werden. Da jeder Kontakt mit
der Haut, offenen Geweben oder Muskelstellen die DNA verfälschen würde, ziehen die
Forscher aus dem Inneren der balsamierten Körper, direkt aus den Langknochen, die
Erbsubstanz. Per Hand mit einem kleinen sterilen Drillbohrer nehmen sie pro Leichnam
etwa 20 Proben. Zurück bleiben winzige Bohrlöcher von eineinhalb Millimeter
Durchmesser.
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Wie bei dem Relief „Spaziergang im Garten“ des Ägyptischen Museums gaben allein
die Abbildungen der Könige und ihrer Angehörigen auf Fresken, Plastiken oder Büsten
reichlich Anlass, um über eine Reihe von Gebrechen lebhaft zu spekulieren.
Cut 22: Carsten Pusch
Für Echnaton und für Tutenchamun war es tatsächlich so, dass man weiß, es gibt
diverse Abbildungen, wo die mit Brüsten gezeigt werden, also wirklich weiblich
ausgeformte Brüsten. Echnaton selbst sieht sehr bizarr aus. Von seiner Erscheinung
allein schon das Gesicht, das er hat. Einen unheimlich schmalen Kopf, hoch, ein weit
ausladendes Hinterhaupt, das aber generell in der späten 18. Dynastie sehr
prädominant ist. Also alles das, was man gut verbinden kann mit: Da ist irgendwas nicht
richtig in der Familie. Ist es jetzt die Inzucht irgendwie? Ist es vielleicht die Familien-, die
Verwandtenehen, die dazu geführt haben, oder wirklich eine Krankheit separat, die da
weitergeben wurde? Und das war allein schon deswegen ein spektakuläres Feld und
hat ja auch die Gemüter über Jahrzehnte erregt, um diese ganzen Hypothesen zu
generieren.
Sprecher:
Waren die seltsamen Schädelausformungen wirklich pathologisch? Ließ sich eine
medizinische Ursache finden? Mediziner vermuteten die …
Cut 23: Carsten Pusch
… Krankheit Dolychozephalie, die diese schmalen langen ausladenden Hinterhäupter
generiert. Wir können so was untersuchen. Wir finden aber tatsächlich keinen Hinweis
darauf. Und so war auch diese Pharaonengeneration Tutenchamun extrem grazil,
extrem elegant und extrem klein. Das muss man einfach so hinnehmen. Das ist keine
Krankheit, das ist der normale Habitus zu dieser Zeit.
Sprecher:
Die auffallend schmalen Gliedmaßen und Spinnenfinger der Mumie ließen eine weitere
Hypothese aufkommen, die des Marfan-Syndroms.
Cut 24: Carsten Pusch
Marfan-Syndrom ist eine Erkrankung, die hat was damit zu tun, dass das Bindegewebe
eine falsche Ausprägung hat. Diese Menschen sind insgesamt sehr hoch
aufgeschossen, sehr schlank, haben überlange Arme, deswegen auch diese
Spinnenfinger. Wir haben diese Analysen gemacht, ob ein Marfan-Syndrom
diagnostiziert werden kann. [...] und es war sehr aufwändig. Wir können feststellen: Es
ist kein Marfan-Syndrom in dieser Familie.
Sprecher:
Bestätigt wurde die DNA eines Erregers der schlimmsten Form von Malaria bei
Tutenchamun. Das reicht aber nicht, um darin eine Todesursache zu sehen. Denn es
gibt Gebiete in Afrika, in denen die Krankheit endemisch ist. Die Menschen dort können,
obwohl sie infiziert sind, ohne Beschwerden leben. Wirklich bedrohlich erwies sich
jedoch der Zustand des linken Fußes.
Cut 25: Carsten Pusch
Er hat einmal einen Klumpfuß, der bis heute übersehen wurde. Er hat ein fehlendes
Zehenglied, was angeboren ist bei ihm, aus welchen Gründen auch immer. Und er hat
eine schmerzvolle Osteonekrose im zweiten und dritten Metaphasalgelenk des linken
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Fußes. Das heißt, er hat dort totes Gewebe. Das ist mit Blut nicht versorgt worden, sehr
schmerzhaft, und Sie können damit einfach nicht mehr auftreten mit dem Fuß.
Sprecher:
Der medizinische Befund findet ein schnelles Echo. Die Diagnose vom kranken Fuß
scheint auch eine eingängige und logische Erklärung zu liefern, warum dem toten König
so viele Stöcke und Stäbe beigegeben wurden. Allein 130 davon findet der Brite
Howard Carter, als er 1922 die voll bepackte Grabkammer freilegt. Der König als ein
Krüppel ist der Stoff für die Medien. Dafür sorgt der US-amerikanische TV-Konzern
Discovery Channel, der hauptsächlich die CT-Untersuchungen und Genom-Analysen
finanziert und im Gegenzug die Exklusivrechte erworben hat. Unterhaltungsindustrie
und naturwissenschaftliche Altertumsforschung gehen eine fragwürdige Allianz ein. Oft
haben die Wissenschaftler den Eindruck, sie müssten Untersuchungsergebnisse nach
Drehbuch abliefern.
Cut 26: Carsten Pusch
Das Team von Discovery Channel war davon ausgegangen, dass dieses Projekt ein
halbes Jahr in Anspruch nimmt. Das Problem war tatsächlich, dass die versucht haben,
das Zepter zu übernehmen und uns den Zeitraum und auch Tagesplan zu diktieren,
was natürlich Null funktioniert.
Sprecher:
Wenn das Labor zum Fernsehstudio wird, noch dazu ein TV-Konzern die Analysen
weitgehend bezahlt, sind Zweifel berechtigt, ob die Berichterstattung ausschließlich
wissenschaftlichen Kriterien dient. Auch die Ägyptologin Marianne Eaton-Krauss
musste sich schon einmal bei einer Fernsehproduktion der Regie widersetzen.
Cut 27: Eaton-Krauss
Die bestanden darauf, dass ich das mit einem Vergrößerungsglas machen soll. Und ich
habe gesagt: Das ist absolut nicht nötig, man sieht das ohne Vergrößerungsglas. Ja,
und dann haben sie gesagt: Das Publikum erwartet das.
Sprecher:
Die Zusammenarbeit von Naturwissenschaftlern und Ägyptologen ist ein mühsames
Geschäft. Erfolge, geschweige denn Sensationen sind rar, auch wenn FernsehDokumentationen wie die mit dem Titel „Tutenchamun – das letzte Geheimnis der
Grabkammer“ das gerne suggerieren. Damit es in die Story vom sterbenskranken König
passt, werden die Pflanzenbeigaben im Grab ausschließlich als Medizin gedeutet.
Experten über altägyptische Heilpflanzen kommen nicht zu Wort. Und sind die vielen
Stöcke nichts anderes als Krücken und Gehhilfen eines lahmen Königs?
Cut 28: Eaton-Krauss
Ja, aber das ist natürlich nicht richtig. Das sind Stäbe und Stöcke, die mit bestimmten
Tätigkeiten verbunden sind.
Sprecher:
Die Ägyptologin Marianne Eaton-Krauss schaut genauer hin.
Cut 29: Eaton-Krauss
Da ist zum Beispiel eine Reitpeitsche da. Und das ist sehr interessant, weil die Inschrift
auf dieser Reitpeitsche impliziert wenigstens oder sagt, dass Tutenchamun geritten ist.
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Oder dass er auch einen Stock selber geschnitzt hat. Dass sind Sachen, die nicht einen
theologischen oder ideologischen Hintergrund haben. Das sind richtig – ja, man könnte
sagen – biografische Daten. Man kann natürlich fragen, ob die stimmen oder ob man
das erfunden hat. Aber auf jeden Fall, da ist nichts in diesem Grab unter diesen
Stöcken und Stäben, die man als Krücke betrachten kann.
Sprecher:
Auch Museumsdirektorin Friederike Seyfried warnt vor schnellen Rückschlüssen.
Cut 30: Seyfried
Das sind einfach in einer ganz großen Varianz und Breite Grabbeigaben, die der König
gebraucht hat. Und dann kommt noch dazu, dass dieses Stöcke und Stäbe zu besitzen,
auch mit im Grabschatz zu haben, das ist eine ganz, ganz lange altägyptische Tradition
und zwar auch immer in mehrfacher Ausführung, also nicht nur einen Stab.
Sprecher:
Ägyptologen wollen sich nicht durch naturwissenschaftliche Befunde dominieren lassen.
Sie können sie nicht abstreiten. Aber sie wehren sich dagegen, wenn kunsthistorische
Schätze wie das berühmte Relief aus dem Ägyptischen Museum als Darstellung
orthopädischer Fehlhaltung, als bildhafte Bestätigung medizinischer Befunde, gedeutet
werden. Die Museumsdirektorin sieht auf dem „Spaziergang im Garten“ einen
gesunden, keinen kranken Pharao.
Cut 31: Seyfried
Und gerade man kennt seit dem späten alten Reich auch die Darstellungen, wie der
Grabherr sich richtig relaxed und ganz entspannt über so einen Stab stützt und auch
dann das eine Bein angewinkelt hat. Aber es ist wirklich so eine entspannte Haltung
und der Grabinhaber schaut dann auf seinen ganzen Hausrat. Und keiner dieser
Grabherren aus dem späten alten Reich, würden wir jetzt sagen, hat einen verletzten
Fuß, nur weil er den Fuß leicht anwinkelt.
Sprecher:
Trotz humangenetischer Forschung bleibt noch vieles in den
Verwandtschaftsbeziehungen altägyptischer Dynastien umstritten. Das gilt auch für
Tutenchamun, obwohl seine sterblichen Überreste zu einer Handvoll Mumien gezählt
werden können, die unter Ägyptologen als wirklich „gesetzt“ gelten. Das heißt, der
balsamierte Leichnam und der Zustand des Grabes lassen so gut wie keinen Zweifel an
der historischen Identität.
Cut 32: Seyfried
Tutenchamun hat einen königlichen Vater, aber wer diese Person ist, wissen wir nicht,
weil wir es einfach nicht schriftlich belegt haben.
Cut 33: Eaton-Krauss
Tutenchamun war der Sohn eines Königs. Aber wer seine Mutter war? Ich habe früher
auch gedacht, dass er ein Kind ist von Echnaton, aber jetzt habe ich das nochmals
überlegt und ich bin absolut nicht mehr so sicher, wie ich früher war. Also ich lass das
jetzt offen.
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Sprecher:
Berühmte Leichen aus dem Tal der Könige bleiben anonym. Einige sind wie der
vermeintliche Leichnam des Echnaton ohne Sarkophage, nackt, ohne Beigaben, stark
beschädigt und noch dazu stark skelettiert. Humangenetiker finden trotzdem
Chromosomensätze, mit denen es gelingt, Verwandtschaftsbeziehungen festzustellen.
Als Tutenchamuns Mutter wird laut DNA-Analyse die unverhüllte Frauenleiche erkannt,
die als sogenannte Younger Lady schon seit langem die Wissenschaftler beschäftigt.
Aber wer war die Younger Lady? Die Experten sind uneins. Die einen meinen, es sei
Nofretete, die anderen Kija, die Nebenfrau Echnatons.
Cut 34: Eaton-Krauss
Die Ägyptologen erwarten zu viel von den Naturwissenschaftlern. Wir tendieren alle
dazu, wenn irgendwas aus der Naturwissenschaft kommt, das irgendwie anders zu
beurteilen, als wenn das aus der Geisteswissenschaft kommt.
Sprecher:
Während TV-Dokus bereits Stammbäume präsentieren, werden schnelle Zuweisungen
zu historisch überlieferten Mitgliedern der Pharaonendynastien in Fachkreisen schon
mal als „Heiteres Mumienraten“ belächelt. – Noch geben die Grabkammern die letzten
Geheimnisse nicht preis.
Cut 35: Seyfried
Wir haben in dieser Königsfamilie bisher nur ganz wenige Mumien, von denen wir
einfach aufgrund der Fundsituation sagen können, das ist die Person X und jene die
Person Y. Und andere bleiben zunächst mal bestenfalls Familienmitglieder, die man in
Beziehung setzen kann auch auf humangenetischer Basis, aber nirgendwo steht das
Label dran: Es ist die Person X.
*****
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