SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Wissen – Manuskriptdienst Nofretete unterm Scanner – Naturwissenschaftler und Ägyptologen aus Spurensuche Autor: Eckhard Rahlenbeck Redaktion: Detlef Clas Regie: Tobias Krebs Sendung: Montag, 6. Mai 2013, 8.30 Uhr, SWR2 Wissen Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Wissen/Aula (Montag bis Sonntag 8.30 bis 9.00 Uhr) sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für 12,50 € erhältlich. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-26030 SWR 2 Wissen können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR 2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/wissen.xml Manuskripte für E-Book-Reader E-Books, digitale Bücher, sind derzeit voll im Trend. Ab sofort gibt es auch die Manuskripte von SWR2 Wissen als E-Books für mobile Endgeräte im so genannten EPUB-Format. Sie benötigen ein geeignetes Endgerät und eine entsprechende "App" oder Software zum Lesen der Dokumente. Für das iPhone oder das iPad gibt es z.B. die kostenlose App "iBooks", für die Android-Plattform den in der Basisversion kostenlosen Moon-Reader. Für Webbrowser wie z.B. Firefox gibt es auch so genannte Addons oder Plugins zum Betrachten von E-Books. http://www1.swr.de/epub/swr2/wissen.xml Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de Dieses Manuskript enthält Textpassagen in [Klammern], die aus Zeitgründen in der ausgestrahlten Sendung gekürzt wurden. 1 MANUSKRIPT Sprecher: Nofretete, wörtlich übersetzt: „Die Schöne ist gekommen“. Die Büste einer Königin, befreit aus dem Schutt und Sand der mittelägyptischen Wüste. Gesicht, Hautfarbe, kleine Grübchen an den Mundwinkeln, der schlanke Hals – alles zeigt sich in makelloser Schönheit. Seit den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts gehört die Büste der Königin zu den am meisten bewunderten Attraktionen der Berliner Museen. So lange treibt Museumsfachleute auch die Frage um, wie es unter dem reizenden Äußeren aussieht. Wie ist der Zustand im Inneren? So wurde die Königin eine Patientin und zur Diagnose in eine Klinik eingeliefert. Cut 1: Huppertz: Wir haben nach dem Museumsbetrieb die Untersuchung gemacht, sodass Nofretete für den letzten Museumsbesucher noch zu sehen war und für den ersten am nächsten Morgen auch schon wieder. [...], aber dann geht dieser Prozess dieser Nachverarbeitung und das war eine monatelange Angelegenheit. Ansage: Nofretete unterm Scanner – Naturwissenschaftler und Ägyptologen auf Spurensuche Eine Sendung von Eckhard Rahlenbeck Sprecher: Als Chef des Imaging Science Institutes an der Charité hat Alexander Huppertz Erfahrung mit alten Stücken. Sogar mit Nofretete, der Prominentesten aus dem Ägyptischen Museum, hat der Röntgenologe engste Bekanntschaft gemacht. Wo normalerweise Menschen ihre Gebrechen diagnostizieren lassen, durchdringen in dieser Nacht elektromagnetische Wellen die Büste. Sie liefern Schicht für Schicht Querschnittbilder, die als räumliche Modelle umgerechnet und dargestellt werden. Cut 2: Huppertz: Das kann man sich eigentlich vorstellen so wie mit klassischen Lego-Steinen. Das heißt, das was wir in der Computertomografie aufnehmen, sind ja eigentlich Bauklötze [...] und heutzutage sind wir bei Schichtdicken die weit unter 0,5 Millimeter liegen. Das heißt, die räumliche Auflösung ist viel besser. Und all das, was wir kennen, diese gedrehten Bilder von der Büste auf dem Computertomografen ist natürlich nur mit der neuen Technik möglich. Sprecher: 1912 in der Ruinenstadt Tell el Amarna wurde die Büste vom Ausgräber Ludwig Borchardt und seinen Helfern aus dem Schutt einer verfallen Bildhauerwerkstatt geborgen. Nun unter dem Scanner der Computertomografie beflügelt das die Phantasie der Boulevardmedien. Lässt sie spekulieren, ob der Kalksteinkern nicht das eigentliche, das wahre und ungeschönte Antlitz zeige. Doch enthüllen Schlagzeilen wie „Das zweite geheime Gesicht der Nofretete“ Sensationen? Frage an die Direktorin des Ägyptischen Museums Berlin, Friederike Seyfried: 2 Cut 3: Seyfried Natürlich wusste man von Anfang an, das wusste auch Borchardt schon, dass es sich um einen Kalksteinkern handelt, der stuckiert war oder stuckiert ist. Aber die Schichtstärken herauszubekommen, den inneren Aufbau einfach genauer zu sehen, das ist natürlich nur mit den modernen naturwissenschaftlichen Untersuchungen möglich gewesen. Sprecher: Nofretete ist in einem äußerst empfindlichen Zustand. Risse, Luftblasen, Löcher werden sichtbar. Die Stuckschicht ist nur wenige Millimeter dick. An einigen Stellen, an denen nachgebessert wurde, liegt eine zweite darüber. Cut 4: Seyfried Die Bildhauer damals wussten, wie man damit umgeht, aber dann kann ihnen natürlich immer dann mal was passieren. Wenn sie an so eine Feuersteinknolle an der Oberfläche kommen, dann können sie die eben nicht so gut bearbeiten. Und das ist übrigens sicherlich auch einer der Gründe gewesen, warum viele der Skulpturen und Reliefs in Amarna selbst in dieser Mischtechnik verfasst worden sind. Sprecher: Wie nah kam der Bildhauer der Realität? Entspricht das geformte Abbild der Nofretete der realen Persönlichkeit? Museumsdirektorin Friederike Seyfried ist der Ansicht, dass … Cut 5: Seyfried … es sicherlich idealisiert ist, aber individuelle Züge trägt. Also ich denke, das ist eine Mischung aus beidem. Aber es ist kein Porträt, wie man das von römischen kaiserzeitlichen Porträts kennt. Sondern das ist tatsächlich durchaus idealisiert. Sprecher: Nicht weit von der Fundstelle der Nofretete, noch im gleichen Raum der verfallenen Werkstatt des Bildhauers Tuthmosis, stießen die Ausgräber auf eine weitere Büste: die ihres Ehemanns, des Pharao Echnaton. Cut 6: Seyfried Als Borchardt die Büste gefunden hat, war sie zerschlagen in mehrere Fragmente. Er spricht zuerst von fünf, es sind aber mehr. Das schreibt er dann auch später noch im Tagebuch. Und die mussten zusammengesetzt werden. Und um da eine stabile Konstruktion hinzubekommen, hat man sich damals nicht gescheut – wir würden das heute doch als etwas brutal ansehen – mit richtig massiver Technik da zu Werke zu gehen. Sprecher: Jahrzehntelang stand die zusammengeflickte Büste in der Museumsvitrine, wohl eher als ein abschreckendes Werk der Restaurierungskunst. Um festzustellen, ob das noch zu reparieren ist, soll wieder eine Computertomografie in der Charité Aufschluss geben. Cut 7: Seyfried Auf der Grundlage, dass Nofretete schon hier Patientin war, haben wir dann auch ihren Ehemann hier als Patient eingeliefert. Da war die Frage, wie die Büste des Echnaton, die ja schon zerschlagen gefunden war in Amarna, wurde Anfang des 20. Jahrhunderts 3 dann wieder auch wieder zusammen gesetzt, dann nochmals in einem zweiten Restaurierungsprozess geklebt. Und wir wollten diese Büste eigentlich auseinandernehmen lassen und wieder vollkommen neu restaurieren. Nun hat sich aber herausgestellt, dass aufgrund des verwendeten Epoxydharzes, mit dem damals geklebt wurde, eine Rückrestaurierung nicht mehr möglich war. Und für die Restauratorinnen war es nun von erheblicher Bedeutung zu wissen: Wie sieht eigentlich diese Konstruktion im Inneren aus? Auf was müssen wir achten? Sprecher: Der Röntgenologe Alexander Huppertz erlebt eine Überraschung. Cut 8: Huppertz Wenn wir die ersten Bilder an dem Scanner gesehen haben, sah es natürlich ganz anders aus als bei Nofretete, wo man wirklich den Kontrastregler ganz feinfühlig hinund her drehen musste. Hier fielen natürlich sofort diese massiven Bronzedübel auf. Für mich eigentlich nichts Ungewöhnliches, hat man ja häufig, würde man in der medizinischen Routine auch häufiger machen, dass man bestimmte Knochenfragmente wieder zusammenschraubt, also nichts Ungewöhnliches. Was aber für mich sehr interessant war, war natürlich: Durch diese hochaufgelöste Computertomografie sehen Sie natürlich nicht nur, dass sich dort insgesamt, ich glaube es sind drei Dübel, befinden, sondern Sie sehen natürlich genau, welche Fragmente, die miteinander verbinden. Haben die ein Gewinde, sind es stumpfe Dübel, was für Durchmesser haben die Gewinde? Das sind Dinge, die Sie aus so einer Computertomografie genau ablesen können. Wir konnten genau nachvollziehen, wie diese einzelnen Fragmente zusammen gesetzt worden sind. Wir konnten auch halbwegs verstehen, was die Logik dieser einzelnen Platzierungen dieser Dübel war. Sprecher: Ohne die Skulptur zu berühren, ließen sich aus acht Millionen Messdaten die ursprünglichen Fundstücke nun wieder originalgetreu bis auf eine Genauigkeit von 0,05 Millimetern zurückbilden, ganz so wie sie Ausgräber Borchardt im Wüstensand fand. Am Rechner wurden die Puzzleteile zusammengefügt. Im 3D-Labor der Technischen Universität Berlin konnte zusätzlich sogar der rekonstruierte Echnaton-Kopf plastisch als Ausstellungsmodell im sogenannten 3D-Druck gefräst werden. – Die Büste des Königs Echnaton: In Amarna vom Bildhauer gefertigt, in Stücke zerschlagen, nach drei Jahrtausenden wieder aufgefunden. Von Restauratoren mehr schlecht als recht zusammengesetzt. Im zweiten Weltkrieg als Beutekunst in die Sowjetunion verfrachtet und zusätzlich ramponiert 1958 wieder zurückgegeben. Jetzt, mit Computertomografie und Lasertechnologie, wieder auf ihren Urzustand zurückversetzt. Cut 9: Seyfried Dieses Stück hat eine Geschichte hinter sich, da gehört die Zerstörung mit dazu. Und das wollen wir natürlich auch zeigen. Es geht also nicht darum, dass man jetzt eine platt polierte Oberfläche hinbekommt, sondern für uns war es ganz wichtig, dass die Restauratoren wissen, wie müssen sie mit diesem Objekt umgehen. Cut 10: Atmo Gespräche Sprecher: 4 Aus dem Depot des Berliner Ägyptischen Museums fand auch eine altägyptische Holzleier den Weg unter den Scanner. Das zerbrechliche Musikinstrument wurde 2011 hier genauestens untersucht. Die Daten lieferten die Grundlage für einen Nachbau. Atmo hoch: Ich möchte ein Mal die Leier hören. Sprecher: Neugierig bestaunt von Instituts-Mitarbeitern in weißen Kitteln zieht Susanna Schulz das Ergebnis ihrer Arbeit aus seiner Umhüllung. Sie hat das dreitausend Jahre alte Saiteninstrument rekonstruiert. Noch Cut / Kastenleier / Kastenleier wird gestimmt. Cut 11: Schulz: Die Maserung des Holzes, das hat uns auch überrascht, dass wir das sehen konnten durch die CT-Aufnahmen, wie jetzt das Holz gewachsen war, also zum Beispiel hier diese Holmaufsätze. Sprecher: Susanna Schulz forscht und arbeitet in der noch jungen Disziplin Musikarchäologie. Über Harmonien und Stimmungen des Instruments muss man noch spekulieren. Cut 12: Schulz: Hier haben wir Saitenlöcher und Spuren der Saiten, sodass wir eventuell Rückschlüsse auf die Saitenstärke schließen können, aber das ist noch in Arbeit, müssen eventuell noch mal genauere CT-Aufnahmen machen mit einer höheren Auflösung. Cut 13: Kastenleier / Kastenleier wird gespielt Sprecher: Mehr denn je sind Ägyptologen auf naturwissenschaftliche Hilfe angewiesen. Physiker machen Hoffnung, die Unmengen antiker Dokumente untersuchen zu können. Allein in der Papyrussammlung des Ägyptischen Museums lagern einige zehntausend Papyri, viele im gerollten und gefalteten Zustand, einige sogar als Verschluss von Gefäßen. Es ist nicht daran zu denken, sie auszurollen oder zu entfalten. Das würde sie zu sehr beschädigen, wenn nicht sogar vernichten. Die Lösung versprechen neue Computertomografen, die mit hoher Röntgenstrahlenergie Auflösungen bis in den Bereich eines Tausendstel Millimeter und darüber hinaus ermöglichen. Cut 14: Mahnke: Diese Technologie ist in der Anwendung. Sprecher: Was den Kernphysiker Heinz-Eberhard Mahnke so optimistisch stimmt, ist der bereits geglückte Versuch, ein Keilschrift-Dokument von einer Bleirolle zu entziffern. Cut 15: Mahnke Eine derartige Bleirolle zu entrollen, ist ein ähnliches Problem wie ein Papyrus zu entrollen, die würde auch zerbröseln. Und hier war es in der Tat gelungen, mit dieser Submikrometer-Auflösung diese Bleirolle virtuell zu entrollen, ohne sie mechanisch zu entrollen und auch die Schriftzeichen sichtbar werden zu lassen. 5 Sprecher: Techniken der berührungslosen Analyse wirken wie eine Zauberformel. Heinz-Eberhard Mahnke hat in seinem Institut an der FU Berlin bereits nachgewiesen, dass es sogar möglich ist, Näheres über die unbekannten Inhalte der vielen Krüge, Vasen, Gefäße aus Stein, Ton und Glas zu erfahren, die bis heute noch niemand zu öffnen wagte. Zum Beispiel die Substanz in einem Fläschchen aus einem altägyptischen Frauengrab. Cut 16: Mahnke Das Fläschchen war nicht komplett gefüllt bis oben hin, sondern nur bis zur Hälfte und das Glas, was die Gefäßwand ausmachte, war etwas durchscheinend, sodass man in der Tat erkennen konnte, dass dieses Fläschchen nicht vollgefüllt war. Es war aber wunderbar versiegelt abgeschlossen. Sprecher: Die Physiker wenden ein besonderes Verfahren der Röntgenstrahlung oder der Bestrahlung mit Protonen oder Neutronen an. An der Art, wie eine bestimmte Strahlung beim Durchdringen eines Stoffes sich verändert, können spezifische chemische Substanzen erkannt werden. Im konkreten Laborversuch ließ sich mithilfe dieser Fluoreszenzstrahlung ein bleihaltiger Inhalt im Fläschchen nachweisen. Cut 17: Mahnke Derartige Bleiverbindungen, Bleisubstanzen sind in Ägypten, im ägyptischen Raum auch im spätägyptischen, bis hin zu arabischen Zeiten bekannt als Schminke. Die schwarze Form des Bleisulfids mit dem geologischen Namen, wenn man so will, mineralischen Namen Galena. Bekannt ist eine schwarze Substanz, die als Tusche, als Schminke für Augenbrauen Verwendung findet. Und dann im Arabischen Kol genannt wird. Sprecher: Das Verhältnis zwischen Ägyptologen und Naturwissenschaftlern ist nicht ohne Widersprüche. Das zeigt sich beispielhaft in der akademischen Auseinandersetzung über ein kleines Relief im Ägyptischen Museum. Es ist eine kolorierte Kalksteinplatte, die unter der Bezeichnung „Spaziergang im Garten“ viele Besucher anzieht. Sie zeigt ein jugendliches Paar, nach übereinstimmender Auffassung König Tutenchamun und seine Gattin Anchesenamun. Beide sind einander zugewandt. Während sie ihm liebevoll eine Lotosknospe und zwei Alraunen-Früchte reicht, steht er anmutig, seine rechte Achsel auf einen langen Stock gestützt. Doch diese Körperhaltung gilt bei einigen Experten als Bestätigung des schlimmen Verdachts von einem gebrechlichen Tutenchamun. Sie interpretieren den Stock als eine Krücke und berufen sich auf medizinische Gutachten. Cut 18: Carsten Pusch Ich muss gestehen, ich war selber überrascht, wo ich die diese überlange Liste der vorgeschlagenen Erkrankungen gesehen habe. Sprecher: Wenn einer über den Gesundheitszustand des Tutenchamun etwas aussagen kann, dann ist es Carsten Pusch. Der Humangenetiker von der Universität Tübingen, ist seit 2008 Mitglied eines kleinen Teams von Wissenschaftlern, die in zwei High-TechLaboren in Kairo altägyptische Königsmumien erstmals auf ihr Erbgut untersuchen und 6 feingerasterte dreidimensionale Röntgenaufnahmen erstellen. Trotz modernstem Technikeinsatz können die Untersuchungen nicht vollständig sein. Cut 19: Carsten Pusch: Im Falle von Tutenchamun fehlt das Herz. Wenn der praktisch einen Herzinfarkt erlitten hat oder sonstige Fehler an den Herzklappen hätte, könnten wir das nicht nachvollziehen, weil, dieses Organ ist nicht mehr da. Wir können auch nicht über Todesursachen spekulieren, weil dafür müsste man eine Sektion machen, wies es der Mediziner normalerweise macht, um die Todesursache zu beleuchten. Dafür müsste man ein komplettes Individuum haben und eine Mumie ist eben halt nun mal ein Teil einer Person, zwar mit Weichteilerhaltung, aber in der Regel fehlen die inneren Organe. Sprecher: Am Leichnam Tutenchamuns finden die Mediziner zunächst die Spuren, die die Einbalsamierer des Pharaos vor Jahrtausenden hinterlassen haben. Cut 20: Carsten Pusch Es muss eine wirkliche Metzgerarbeit gewesen sein. Allein schon für Tutenchamun wissen wir, dass er zwei Mal balsamiert wurde. Einmal im Liegen auf dem Rücken, was noch nachvollziehbar ist, wenn man zum Beispiel auf irgendeiner horizontalen Unterlage liegt. Aber denn auch irgendwie so, dass er praktisch Harz im oberen Kopfbereich hat. Das heißt, er muss während dieser Prozedur gehangen sein, also an den Beinen aufgehangen und mit dem Kopf nach unten. Also das ist eine brachiale Arbeit, wenn man sich vorstellt, dass es an einer Leiche durchgeführt wird, das hat schon mehr was von einem Horrormovie. Sprecher: Harze, Öle und andere bisher nicht definierte Natursubstanzen bewahrten die königlichen Leichen vor dem Verfall. Die Zusammensetzung ist heute noch weitgehend unbekannt. Die Prozedur der Einbalsamierer lässt sich allerdings nachvollziehen. Zunächst wurde … Cut 21: Carsten Pusch … ein Loch [...] durch die Nase gestoßen. Und das war die Möglichkeit, das Gehirn zu entfernen zu bestimmten Dynastien und dann auszutauschen durch Balsamierungsharz. Sprecher: Ohne die Kunst der Balsamierer wären die Könige so verrottet wie ihre Sklaven und Pyramidenarbeiter, die im Wüstensand verscharrt, in Massengräbern noch zu finden sind. Aber ihre Knochen zerfallen sofort, wenn man sie nur anrührt. Alles, was einmal an Biomasse da war, ist verflogen. Individuelles Leben nicht mehr nachweisbar. Keine Spur von Proteinen, keine DNA. Anders bei den Mumien: Unter höchsten Reinraumbedingungen können im Kairoer Labor die Proben für die genetische Analyse gewonnen werden. Da jeder Kontakt mit der Haut, offenen Geweben oder Muskelstellen die DNA verfälschen würde, ziehen die Forscher aus dem Inneren der balsamierten Körper, direkt aus den Langknochen, die Erbsubstanz. Per Hand mit einem kleinen sterilen Drillbohrer nehmen sie pro Leichnam etwa 20 Proben. Zurück bleiben winzige Bohrlöcher von eineinhalb Millimeter Durchmesser. 7 Wie bei dem Relief „Spaziergang im Garten“ des Ägyptischen Museums gaben allein die Abbildungen der Könige und ihrer Angehörigen auf Fresken, Plastiken oder Büsten reichlich Anlass, um über eine Reihe von Gebrechen lebhaft zu spekulieren. Cut 22: Carsten Pusch Für Echnaton und für Tutenchamun war es tatsächlich so, dass man weiß, es gibt diverse Abbildungen, wo die mit Brüsten gezeigt werden, also wirklich weiblich ausgeformte Brüsten. Echnaton selbst sieht sehr bizarr aus. Von seiner Erscheinung allein schon das Gesicht, das er hat. Einen unheimlich schmalen Kopf, hoch, ein weit ausladendes Hinterhaupt, das aber generell in der späten 18. Dynastie sehr prädominant ist. Also alles das, was man gut verbinden kann mit: Da ist irgendwas nicht richtig in der Familie. Ist es jetzt die Inzucht irgendwie? Ist es vielleicht die Familien-, die Verwandtenehen, die dazu geführt haben, oder wirklich eine Krankheit separat, die da weitergeben wurde? Und das war allein schon deswegen ein spektakuläres Feld und hat ja auch die Gemüter über Jahrzehnte erregt, um diese ganzen Hypothesen zu generieren. Sprecher: Waren die seltsamen Schädelausformungen wirklich pathologisch? Ließ sich eine medizinische Ursache finden? Mediziner vermuteten die … Cut 23: Carsten Pusch … Krankheit Dolychozephalie, die diese schmalen langen ausladenden Hinterhäupter generiert. Wir können so was untersuchen. Wir finden aber tatsächlich keinen Hinweis darauf. Und so war auch diese Pharaonengeneration Tutenchamun extrem grazil, extrem elegant und extrem klein. Das muss man einfach so hinnehmen. Das ist keine Krankheit, das ist der normale Habitus zu dieser Zeit. Sprecher: Die auffallend schmalen Gliedmaßen und Spinnenfinger der Mumie ließen eine weitere Hypothese aufkommen, die des Marfan-Syndroms. Cut 24: Carsten Pusch Marfan-Syndrom ist eine Erkrankung, die hat was damit zu tun, dass das Bindegewebe eine falsche Ausprägung hat. Diese Menschen sind insgesamt sehr hoch aufgeschossen, sehr schlank, haben überlange Arme, deswegen auch diese Spinnenfinger. Wir haben diese Analysen gemacht, ob ein Marfan-Syndrom diagnostiziert werden kann. [...] und es war sehr aufwändig. Wir können feststellen: Es ist kein Marfan-Syndrom in dieser Familie. Sprecher: Bestätigt wurde die DNA eines Erregers der schlimmsten Form von Malaria bei Tutenchamun. Das reicht aber nicht, um darin eine Todesursache zu sehen. Denn es gibt Gebiete in Afrika, in denen die Krankheit endemisch ist. Die Menschen dort können, obwohl sie infiziert sind, ohne Beschwerden leben. Wirklich bedrohlich erwies sich jedoch der Zustand des linken Fußes. Cut 25: Carsten Pusch Er hat einmal einen Klumpfuß, der bis heute übersehen wurde. Er hat ein fehlendes Zehenglied, was angeboren ist bei ihm, aus welchen Gründen auch immer. Und er hat eine schmerzvolle Osteonekrose im zweiten und dritten Metaphasalgelenk des linken 8 Fußes. Das heißt, er hat dort totes Gewebe. Das ist mit Blut nicht versorgt worden, sehr schmerzhaft, und Sie können damit einfach nicht mehr auftreten mit dem Fuß. Sprecher: Der medizinische Befund findet ein schnelles Echo. Die Diagnose vom kranken Fuß scheint auch eine eingängige und logische Erklärung zu liefern, warum dem toten König so viele Stöcke und Stäbe beigegeben wurden. Allein 130 davon findet der Brite Howard Carter, als er 1922 die voll bepackte Grabkammer freilegt. Der König als ein Krüppel ist der Stoff für die Medien. Dafür sorgt der US-amerikanische TV-Konzern Discovery Channel, der hauptsächlich die CT-Untersuchungen und Genom-Analysen finanziert und im Gegenzug die Exklusivrechte erworben hat. Unterhaltungsindustrie und naturwissenschaftliche Altertumsforschung gehen eine fragwürdige Allianz ein. Oft haben die Wissenschaftler den Eindruck, sie müssten Untersuchungsergebnisse nach Drehbuch abliefern. Cut 26: Carsten Pusch Das Team von Discovery Channel war davon ausgegangen, dass dieses Projekt ein halbes Jahr in Anspruch nimmt. Das Problem war tatsächlich, dass die versucht haben, das Zepter zu übernehmen und uns den Zeitraum und auch Tagesplan zu diktieren, was natürlich Null funktioniert. Sprecher: Wenn das Labor zum Fernsehstudio wird, noch dazu ein TV-Konzern die Analysen weitgehend bezahlt, sind Zweifel berechtigt, ob die Berichterstattung ausschließlich wissenschaftlichen Kriterien dient. Auch die Ägyptologin Marianne Eaton-Krauss musste sich schon einmal bei einer Fernsehproduktion der Regie widersetzen. Cut 27: Eaton-Krauss Die bestanden darauf, dass ich das mit einem Vergrößerungsglas machen soll. Und ich habe gesagt: Das ist absolut nicht nötig, man sieht das ohne Vergrößerungsglas. Ja, und dann haben sie gesagt: Das Publikum erwartet das. Sprecher: Die Zusammenarbeit von Naturwissenschaftlern und Ägyptologen ist ein mühsames Geschäft. Erfolge, geschweige denn Sensationen sind rar, auch wenn FernsehDokumentationen wie die mit dem Titel „Tutenchamun – das letzte Geheimnis der Grabkammer“ das gerne suggerieren. Damit es in die Story vom sterbenskranken König passt, werden die Pflanzenbeigaben im Grab ausschließlich als Medizin gedeutet. Experten über altägyptische Heilpflanzen kommen nicht zu Wort. Und sind die vielen Stöcke nichts anderes als Krücken und Gehhilfen eines lahmen Königs? Cut 28: Eaton-Krauss Ja, aber das ist natürlich nicht richtig. Das sind Stäbe und Stöcke, die mit bestimmten Tätigkeiten verbunden sind. Sprecher: Die Ägyptologin Marianne Eaton-Krauss schaut genauer hin. Cut 29: Eaton-Krauss Da ist zum Beispiel eine Reitpeitsche da. Und das ist sehr interessant, weil die Inschrift auf dieser Reitpeitsche impliziert wenigstens oder sagt, dass Tutenchamun geritten ist. 9 Oder dass er auch einen Stock selber geschnitzt hat. Dass sind Sachen, die nicht einen theologischen oder ideologischen Hintergrund haben. Das sind richtig – ja, man könnte sagen – biografische Daten. Man kann natürlich fragen, ob die stimmen oder ob man das erfunden hat. Aber auf jeden Fall, da ist nichts in diesem Grab unter diesen Stöcken und Stäben, die man als Krücke betrachten kann. Sprecher: Auch Museumsdirektorin Friederike Seyfried warnt vor schnellen Rückschlüssen. Cut 30: Seyfried Das sind einfach in einer ganz großen Varianz und Breite Grabbeigaben, die der König gebraucht hat. Und dann kommt noch dazu, dass dieses Stöcke und Stäbe zu besitzen, auch mit im Grabschatz zu haben, das ist eine ganz, ganz lange altägyptische Tradition und zwar auch immer in mehrfacher Ausführung, also nicht nur einen Stab. Sprecher: Ägyptologen wollen sich nicht durch naturwissenschaftliche Befunde dominieren lassen. Sie können sie nicht abstreiten. Aber sie wehren sich dagegen, wenn kunsthistorische Schätze wie das berühmte Relief aus dem Ägyptischen Museum als Darstellung orthopädischer Fehlhaltung, als bildhafte Bestätigung medizinischer Befunde, gedeutet werden. Die Museumsdirektorin sieht auf dem „Spaziergang im Garten“ einen gesunden, keinen kranken Pharao. Cut 31: Seyfried Und gerade man kennt seit dem späten alten Reich auch die Darstellungen, wie der Grabherr sich richtig relaxed und ganz entspannt über so einen Stab stützt und auch dann das eine Bein angewinkelt hat. Aber es ist wirklich so eine entspannte Haltung und der Grabinhaber schaut dann auf seinen ganzen Hausrat. Und keiner dieser Grabherren aus dem späten alten Reich, würden wir jetzt sagen, hat einen verletzten Fuß, nur weil er den Fuß leicht anwinkelt. Sprecher: Trotz humangenetischer Forschung bleibt noch vieles in den Verwandtschaftsbeziehungen altägyptischer Dynastien umstritten. Das gilt auch für Tutenchamun, obwohl seine sterblichen Überreste zu einer Handvoll Mumien gezählt werden können, die unter Ägyptologen als wirklich „gesetzt“ gelten. Das heißt, der balsamierte Leichnam und der Zustand des Grabes lassen so gut wie keinen Zweifel an der historischen Identität. Cut 32: Seyfried Tutenchamun hat einen königlichen Vater, aber wer diese Person ist, wissen wir nicht, weil wir es einfach nicht schriftlich belegt haben. Cut 33: Eaton-Krauss Tutenchamun war der Sohn eines Königs. Aber wer seine Mutter war? Ich habe früher auch gedacht, dass er ein Kind ist von Echnaton, aber jetzt habe ich das nochmals überlegt und ich bin absolut nicht mehr so sicher, wie ich früher war. Also ich lass das jetzt offen. 10 Sprecher: Berühmte Leichen aus dem Tal der Könige bleiben anonym. Einige sind wie der vermeintliche Leichnam des Echnaton ohne Sarkophage, nackt, ohne Beigaben, stark beschädigt und noch dazu stark skelettiert. Humangenetiker finden trotzdem Chromosomensätze, mit denen es gelingt, Verwandtschaftsbeziehungen festzustellen. Als Tutenchamuns Mutter wird laut DNA-Analyse die unverhüllte Frauenleiche erkannt, die als sogenannte Younger Lady schon seit langem die Wissenschaftler beschäftigt. Aber wer war die Younger Lady? Die Experten sind uneins. Die einen meinen, es sei Nofretete, die anderen Kija, die Nebenfrau Echnatons. Cut 34: Eaton-Krauss Die Ägyptologen erwarten zu viel von den Naturwissenschaftlern. Wir tendieren alle dazu, wenn irgendwas aus der Naturwissenschaft kommt, das irgendwie anders zu beurteilen, als wenn das aus der Geisteswissenschaft kommt. Sprecher: Während TV-Dokus bereits Stammbäume präsentieren, werden schnelle Zuweisungen zu historisch überlieferten Mitgliedern der Pharaonendynastien in Fachkreisen schon mal als „Heiteres Mumienraten“ belächelt. – Noch geben die Grabkammern die letzten Geheimnisse nicht preis. Cut 35: Seyfried Wir haben in dieser Königsfamilie bisher nur ganz wenige Mumien, von denen wir einfach aufgrund der Fundsituation sagen können, das ist die Person X und jene die Person Y. Und andere bleiben zunächst mal bestenfalls Familienmitglieder, die man in Beziehung setzen kann auch auf humangenetischer Basis, aber nirgendwo steht das Label dran: Es ist die Person X. ***** 11