Süddeutsche Zeitung STIL Samstag, 10. Dezember 2016 Bayern, Deutschland, München Seite 62 Auf die Linie achten Für die Weihnachtspost oder als Geschenk unterm Baum: Eine Kalligrafin testet edle klassische Füller E Der Seriöse „Der Tank ist hinten, ganz klassisch. Das Design gefällt mir, der Schaft hat eine schöne Nadelstreifenoptik wie ein guter Anzug. Der Füller ist ziemlich schwer, besonders hinten, macht mit der zarten Feder aber ein sehr schmales, schlankes Schriftbild, das mir von allen Modellen am besten gefällt. Das sieht auf dem Papier sehr edel und zurückhaltend aus. Abzüge gibt es nur für den Ring zwischen Schaft und Feder, der eine Kante hat, an der sich der Füller wieder verbreitert, das stört mich. Sonst ist das aber ein tolles Schreibgerät. Ziemlich männlich, ein Modell für Bankdirektoren oder Manager. Wenn ich den aus der Tasche ziehe, sieht das vielleicht für viele etwas lächerlich aus.“ ILL US TR AT IO N: DI RK SC HM ID T s klingt wie aus dem Tagebuch eines Kulturpessimisten, aber es stimmt wahrscheinlich: Die Handschrift stirbt aus. Von Kugelschreibern verstümmelt, von Tastaturen und Touchscreens vernichtet. Schüler schreiben immer schlechter, und viele Erwachsene krakeln wie Viertklässler. Der Einzige, der die Handschrift noch retten könnte, ist, wie jeder Feingeist weiß, der Füller. Wer mit ihm schreiben kann, heißt es, dessen Gedanken und Gefühle, ja dessen Seele, fließen direkt von der Hand aufs Blatt. Blöd nur, dass viele die Lust daran schon in der Grundschule verlieren. Weil sie nicht lernen, den Füller locker genug und nicht zu steil zu führen. Weil die Füller zu billig sind und klecksen. Oder weil die Zahnbürstenregel nicht beachtet wird: Einen Füller darf man niemals verleihen! Die Feder verbiegt in fremden Händen. Viele Schüler steigen auf Kugelschreiber um, sobald Füller nicht mehr obligatorisch sind – und das war’s dann mit der Handschrift. Der Füller hat aber zum Glück eine Nische jenseits des Schulalltags gefunden: als Luxusgegenstand, mit dem sich gleichzeitig leidenschaftlich schreiben und prahlen lässt – und dann vielleicht auch noch die Handschrift retten. Für unseren Test haben wir bekannte Hersteller gebeten, uns ein möglichst klassisches Modell zu schicken, Preislimit 600 Euro. Eine Kalligrafin hat dann mit jedem Füllfederhalter einige Zeilen geschrieben und Optik, Handling, Schreibgeräusche und Schriftbild beurteilt. christoph farkas Modell: Souverän M805 Stresemann Hersteller: Pelikan Material: Schaft aus Zellulose-Azetat und Kunstharz, rhodinierte 18-KGoldfeder Preis: 470 Euro Bewertung: 9 von 10 Punkten Die Expertin: Kerstin Carbow, 52, arbeitet als Kalligrafin, Illustratorin und Malerin in Hamburg. Carbow war eine der letzten Schülerinnen des Schriftkünstlers Martin Andersch. Seit 30 Jahren lehrt sie selbst an Hochschulen und in Workshops, wie man kunstvoll schönschreibt. Dafür braucht sie nur einen Holzfederhalter mit Bandzugfeder für zwei Euro: „Ein Werkzeug, keine stiftgewordene Rolex.“ Zu Weihnachten schreibt Kerstin Carbow jedes Jahr 120 Briefe. Der Schwere Der Protzige Der Natürliche Der Schlichte Der Butterweiche Der Zwitter „Ein Füller wie eine kleine Marmorsäule. Der ist gut für jemanden, der richtig was aus der Tasche ziehen und damit beeindrucken möchte. Der Füller hat ein ordentliches Gewicht in der Hand, er schreibt auch erst mal klasse und macht nur leichte Kratzgeräusche. Allerdings habe ich nach dem Schreiben Tinte an den Fingern. Das heißt, es ist mehr Farbe rausgekommen, als eigentlich sollte. Für mich als Kalligrafin ist das normal – für einen Geschäftsmann ist das aber sicher nicht so günstig. Beim längeren Schreiben zeigt der Füller einige Aussetzer, er gehorcht mir auch nicht immer bei feinen Strichen und Abstrichen. Für längere Briefe wäre er mir zu schwer, für eine Unterschrift aber: ganz chic.“ „Dieses Modell schreit geradezu: ‚Hallo, guck mich an.‘ Es hat ein sehr ausgefallenes Design, das irritiert mich beim Schreiben. Der Füller fühlt sich kühl an und er sieht spacig aus – wie eine Rakete. Vorne ist er mir zu glatt, zu rutschig, außerdem finde ich ihn dort zu leicht. Dafür zieht das Gewicht am hinteren Ende die Hand runter. Während des Schreibens rutscht mir der Füller weg. Es fühlt sich ein bisschen so an, als ob er ein Eigenleben führen würde. Dieser Füller scheint mir wirklich ein reines Prestigeobjekt zu sein und ist nur für eine kurze Unterschrift geeignet. Zwei Worte sind damit in Ordnung, das bekommt man hin. Aber einen Brief würde ich mit dieser Rakete wirklich nicht schreiben wollen.“ „Ein Füller für Naturverbundene. Er ist sehr sinnlich gestaltet, mit dem Holzschaft fühlt er sich warm an. Das Holz ist leicht geriffelt, das fasst sich gut an und verhindert, dass der Füller aus den Fingern rutscht – die Handhabung ist deshalb super. Die Feder ist etwas breiter als bei den anderen Modellen, dadurch bekommt man ein kraftvolles, ausdrucksstarkes Schriftbild. Die Tinte kommt gut aus der Feder heraus. Leider quietscht der Füller beim Schreiben, das klingt fast wie früher die Kreide an der Tafel. Da bekomme ich Zahnschmerzen. Vielleicht geht das irgendwann weg, wenn er eingeschrieben ist, vielleicht wird es noch lauter. Sonst ist das ein tolles Gerät.“ „Angenehm funktional und modern, schnickschnackfrei, fast könnte man sagen: ein unscheinbares Modell. Dieser Füller ist auffällig kurz, aber für meine kleinen Hände ist das genau richtig. Der Schwerpunkt liegt sehr gut in der Mitte, das ist angenehm für das Gefühl in der Hand und natürlich auch wichtig fürs Schreiben. Ich mag das leise Geräusch beim Schreiben. Das ist ein Füller, der mir gehorcht. Die Feder ist sehr gut, sie macht auch außergewöhnliche Striche mit. Da setzt nichts aus, kratzt nichts, kleckst auch nichts. Dieser Füller passt mit seinem schlichten Design gut zu jüngeren Leuten, zu minimalistischen Kreativen. Einem Art Director zum Beispiel würde er gut stehen.“ „Hier ist der Tank hinten untergebracht. Das wirkt ein bisschen nostalgisch, wie bei Großvater. Das Material ist schön leicht, nobel, aber nicht kalt. Wow, der ist toll. Vom Handling her der Beste in unserem Test. Der Füller liegt butterweich in der Hand und beim Schreiben macht er alles, was ich will. Sogar Gegenstriche, also Striche gegen die Schreibrichtung schafft er ohne Probleme, ohne jedes Kratzen. Der Schwerpunkt ist ideal, er liegt perfekt in der Hand, das Schreiben fällt sehr leicht. Durch die Rillen des Drehverschlusses rutsche ich vorne am Füller auch nicht ab. Einfach toll. Die einzige kleine Kritik: Das Schriftbild ist mir minimal zu dick.“ „Das Kunststoff-Material fühlt sich rau und warm an, fast wie Holz, es hat eine dezente Struktur. Der Schaft ist fantastisch verarbeitet, der Drehverschluss des Tanks hinten praktisch unsichtbar. Ein Füller für Designer. Ich bin mir aber nicht sicher, ob mir die extravagante, in den Schaft eingefasste Federspitze gefällt, sie kann nämlich nicht schwingen. Dadurch schreibt es sich mit ihr wie mit einem Zwitter aus Füller und Kuli. Die Feder scheint auch im Gegensatz zu den meisten anderen Testfüllern nicht eingeschrieben zu sein, sie hat noch einige Aussetzer. Vermutlich passt sich das nach ein paar Tagen an. Trotzdem ist das ein guter Füller für den Alltag.“ Modell: TecFlex P3110 Steel Fountain Pen Hersteller: Porsche Design Material: Elastisches Edelstahlgewebe, versilberte, mit Palladium überzogene Metallteile, rhodinierte 18-K-Goldfeder Preis: 435 Euro Bewertung: 3 von 10 Punkten Modell: Classic Pernambuk Hersteller: Graf von Faber-Castell Material: Kannelierter Schaft aus Pernambukholz, 18-K-Goldfeder mit Iridiumspitze Preis: 515 Euro Bewertung: 8 von 10 Punkten Modell: Meisterstück Gold-Coated LeGrand Hersteller: Montblanc Material: Edelharz mit vergoldeten Elementen, 14-K-Goldfeder mit rhodinierter Intarsie Preis: 570 Euro Bewertung: 9 von 10 Punkten Modell: Lamy 2000 Hersteller: Lamy Material: Glasfaserverstärktes Polycarbonat und rostfreier Edelstahl, platinveredelte 14-K-Goldfeder Preis: 190 Euro Bewertung: 6 von 10 Punkten (Bonuspunkt für das Design) Modell: Italia Hersteller: Montegrappa Material: Edelharz mit gelbvergoldeten Beschlägen, 18-K-Goldfeder Preis: 550 Euro Bewertung: 5 von 10 Punkten DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de Modell: Entwurf 04 Hersteller: Otto Hutt Material: Guillochierung in Karodesign, poliert, 18-K-Goldfeder Preis: 220 Euro Bewertung: 8 von 10 Punkten A69409938 syndication