Lieselotte von der Pfalz und der Hof von Versailles

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Wolf Birkenbihl
Lieselotte von der Pfalz und der Hof von
Versailles - "Madame sein ist ein ellendes
Handwerck"
Drehbuch
Skript
Liselotte von der Pfalz und der Hof von Versailles
„Madame sein ist ein ellendes Handwerck“
Ganz London ist in ein Meer von Fahnen und Blumenschmuck getaucht. Seit nahezu 70
Jahren hat England keine königliche Hochzeit mehr gefeiert. So ist es nicht
verwunderlich, dass der Hof von Whitehall und die Stadt in freudige Erregung geraten,
als der Stuart Jakob I. Ende des Jahres 1612 die Hand seiner einzigen Tochter,
Elisabeth, der „Perle Großbritanniens“ und späteren „Winter Queen“*, dem Kurfürsten
Friedrich V. von Wittelsbach gibt. Die beiden Brautleute sind kaum 16 Jahre alt, und alle
Welt ist begeistert von ihrer Schönheit. Prinzessin Elisabeth ist gertenschlank, hat
blonde Haare und blaue Augen. Sie ist von heiterem Wesen, liebt die Jagd, Pferde und
Hunde. Sie spricht Französisch und Italienisch.
Der junge Kurfürst hat einen dunklen Teint und ist recht geistreich; die Mittelmäßigkeit
seines Charakters verbirgt sich noch hinter seiner Jugendlichkeit. Außer seiner
Muttersprache und Latein spricht er ein elegantes Französisch. In dieser Sprache
verkehren die Eheleute ihr Leben lang miteinander. Friedrich, ein vollendeter Kavalier,
verkörpert das Ideal eines Fürsten. Zur Vermählung mit Elisabeth reist er mit einem
zweihundertköpfigen Gefolge an.
Szene 1
Am Sonntag, dem 14. Februar 1613, einem klaren sonnigen Tag, kurz vor Mittag,
kommt Elisabeth mit ihrem Gefolge und inmitten einer großen Menschenmenge in
Whitehall an. Ihre Virgin-Robe ist aus Silberbrokat gefertigt, die Schleppe wird von
vierzehn in weißen Atlas gekleideten Jungfrauen getragen. Das bernsteinfarbene Haar
fällt der Prinzessin lose auf die Schultern und reicht nahezu bis zu ihrer Taille. Eine mit
Perlen und Diamanten besetzte Krone aus Gold schmückt ihr Haupt. Die Prinzessin
funkelt, wie William Camden, der Verfasser der Annales rerum anglicarum, festhält, wie
„ein Sternbild“. Auch die Jungfrauen ihres Gefolges, in weißen Atlas und Silber
gekleidet, sind so reich mit Perlen und Edelsteinen geschmückt, dass ihr Zug „der
Milchstraße“ gleicht. Ebenso glänzt Friedrich in einem Gewand mit Umhang aus
Silberlamé.
*Elisabeth wird am 7. November 1619, 3 Tage nach der Inthronisation ihres Gemahls, zur Königin von
Böhmen gekrönt. Friedrich V. hatte die ihm vom Kaiser angebotene Krone von Böhmen angenommen.
Bereits am 8. November 1620 muss das Paar, nachdem Böhmen in der Schlacht am Weißen Berg durch
die Katholische Liga nieder geworfen worden war, das Land wieder verlassen (von daher die Assoziation
„Winter Queen“).
2
Gemeinsam betreten die beiden die von Kerzenschein
erhellte
Kapelle
von
Whitehall, geschmückt mit von Gold- und Silberfäden durchwirkten Wandteppichen, auf
denen das Wirken der Apostel dargestellt ist. Es erklingt das feierliche Wedding Anthem,
God the Father, God the Son von John Bull. Der Bischof von Bath – and – Wells tritt vor
die Hoheiten, um die Hochzeit von „Themse und Rhein“ zu beschließen. Entsprechend
dem Book of Common Prayer wird der Gottesdienst in englischer Sprache abgehalten.
Die Bibeltexte werden in der neuesten „autorisierten Fassung“ (King James Bible)
verlesen. Friedrich hat seine Antworten auswendig gelernt.
Szene 2
Den frisch Vermählten wird vor dem Palast von Whitehall eine besondere Attraktion
geboten – ein heiliger Georg in goldenem Harnisch, weinrotem Umhang und
prachtvollem goldenem Helm mit rotem Federbusch auf einem Schimmel sitzend zwingt
einen Drachen nieder. Eine ganze Viertelstunde ist diese Kunstfigur unter reger
Anteilnahme des Volkes zu bewundern. Der „Siegreiche“ übergibt dem jungen Paar in
einer mit duftendem rotem Brokat ausgeschlagenen Schatulle Perlen und Diamanten.
Rund 40 Jahre später erblickt Elisabeth-Charlotte, die Enkelin der „Winter-Queen“, am
27. Mai 1652 im Schloss von Heidelberg das Licht der Welt. Sie sieht so klein und
schmächtig aus, dass man um ihr Leben besorgt ist und sie so schnell wie möglich
taufen lässt. Man gibt dem Mädchen die Vornamen ihrer Großmutter väterlicherseits,
der Königin von Böhmen, und ihrer Mutter. Liselotte wird im Englischen Flügel des
Schlosses untergebracht. Sie ist von ganz anderem Kaliber als ihr ängstlicher Bruder
und hat ein äußerst ausgelassenes Wesen, das ihre Gouvernanten und Diener immer
wieder aus der Fassung bringt. Sie beachtet ihre Puppen wenig und spielt bevorzugt mit
den Holzschwertern und –gewehren ihres Bruders.
Nach 30 Jahren Ehe gesteht sie in einem Brief an ihre Halbschwester Louise: „Den es
ist mir all mein leben leydt gewesen, ein weibsmensch zu sein, und churfürst zu sein,
wehre mir, die wahrheit zu sagen, beßer ahngestanden, alß Madame zu sein; aber
weillen es gottes willen nicht geweßen, ist es ohnnötig, dran zu gedenken...“
Szene 3
Liselotte spielt mit Holzschwertern und Holzgewehren ihres Bruders in einer in
Eichenholz getäfelten Galerie des sogenannten Englischen Flügels des Heidelberger
Schlosses. Ihre Gouvernante, Els von Quaadt („verbittertes altes Mädchen“) hebt das
kleine Mädchen hoch und möchte es wegtragen – Liselotte zappelt wild und schlägt
ihrer Gouvernante mit den Füßen in die Beine, so dass diese mit ihr auf dem Arm
vornüber zu Boden fällt. Sofort ist Liselotte wieder auf den Beinen, vollführt wilde
Purzelbäume und rast davon. Els von Quaadt stöhnt vor sich hin: „O fuy fuy c’n’est pas
a souffrir [oh, das ist unerträglich] ...“
3
Szene 4
Die etwa 7 Jahre alte Liselotte schleicht früh morgens („... um 5 Uhr mit ein gutt stück
brot“) mit einem Stück trockenem Brot in der Tasche aus dem Schloss und klettert im
großen Obstgarten auf einen Kirschbaum, um sich mit den saftigen Früchten voll zu
stopfen. In der Ferne ist bereits ein kräftiges Morgenrot zu sehen.
Wenig später tritt Liselotte samt Gouvernante Anna Katharina von Offeln („herzliebe
Jungfer Offeln“) und Angehörigen des väterlichen Hofes unter großem
Abschiedsschmerz ihre erste Reise zur Verwandtschaft nach Hannover an. Sie sollten
drei Wochen unterwegs sein. Die insgesamt 4 Jahre, die Liselotte am Hof von Hannover
verbringt, sind die wohl glücklichsten ihres Lebens.
Szene 5
Liselotte sitzt neben der „Jungfer Offeln“ in der Kutsche und umklammert fest mit beiden
Händen eine Zitrone, während das Gefährt laut ratternd den Neckar überquert. Weitere
Fuhrwerke und Kutschen folgen mit Edelleuten des Vaters, Dienerinnen und Gepäck.
Die Gouvernante von Offeln beugt sich zu Liselotte: „Hertzallerliebst Liselotten, mich
deucht ihr betrübnus ist fürüber gangen.“ Liselotte nicht und blickt aus dem Fenster.
59 Jahre später (ca. 1718) erinnert sich die nun alt gewordene Madame in ihrem
Kabinett in Saint-Cloud am Schreibtisch* mit Hirschkuh-Füßen sitzend in einem Brief an
ihre erste Reise: „Wie ich nach Hannover ging, wendt ich 3 tag, umb nach Franckfort zu
kommen; erstlich schlieff ich zu Weinheim, die andre nacht zu Bensheim undt die 3
nacht, deucht mich, schlieffen wir ahn ein ort nahe bey Franckfort, aber nicht zu
Franckfort selber, undt hernach ein ort in Heßen undt darnach nach Cassel, von Cassel
nach Minden undt von Minden nach Hannover. Ich erinere es mich, alß wens heutte
wehre.“ Anschließend steckt sie den Brief in einen Umschlag, drückt ihr Siegel mit dem
Doppelwappen – die Lilien auf dem einen und das Wittelsbacher Wappen auf dem
anderen – hinten auf.
Während eines Aufenthalts Liselottes bei ihrer Großmutter, der Königin von Böhmen
(„The Winter Queen“), in Den Haag im selben Jahr (ca. 1659), äußert diese in einem
Brief an ihren Sohn, Liselottes Vater: „There was last night a sad business betwixt your
sister and Lisslotte. She saide in English, that her brother had a better face than she
had. which she understood and manie a teare was shed for it, but I maintained that she
had the better face, which must [=most] ioyed her. She is extreme good natured, which
makes her to be beloved heere of everie bodie. You cannot imagine how well she
dances.”
*Boulle Technik, bedeckt mit einem grünen Tuch
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