Manuskript: Der Studienkompass 9: Soziologie

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SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Aula
Soziologie
Der Studienkompass (9/11)
Von Cornelia Koppetsch
Sendung: Sonntag, 19. Juni 2016, 8.30 Uhr
Redaktion: Ralf Caspary
Produktion: SWR 2016
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Ansage:
Mit dem Thema "Der Studienkompass 9: Soziologie".
Wir bringen in der SWR2 Aula eine Reihe, gedacht für Schülerinnen und Schüler, die
das Abitur hinter sich haben und die sich nun fragen: Was kommt jetzt? Was soll ich,
wenn es auf die Universität geht, studieren?
Wir wollen bei der Beantwortung dieser Frage helfen. Elf AULA-Autorinnen und
-Autoren geben jeweils Auskunft über ihr Fach, zeigen, was man mitbringen muss,
um es zu studieren, was man mit dem Bachelor oder Master anfangen kann, wie das
Studium genau aufgebaut ist. Es geht um Grundlagenfächer, um Chemie,
Medienwissenschaft, Mathematik, Germanistik oder um Philosophie.
Alle Vorträge sind seit Ende April auch online erhältlich. Infos dazu finden Sie der
Internetseite www.swr2.de/studienkompass.
Heute also geht es um die Soziologie, Autorin ist die Soziologin Professor Cornelia
Koppetsch von der Technischen Universität Darmstadt.
Cornelia Koppetsch:
Der eine oder andere wird sich schon einmal gefragt haben, was Soziologie
eigentlich ist. Wenn Sie sich im Bekanntenkreis umhören, dann hören Sie vielleicht:
"Soziologie ist doch klar, das ist etwas Soziales." Das ist ein ziemlich verbreitetes
Missverständnis, denn Soziologie ist nicht mit "etwas Soziales" zu verwechseln.
Soziologie befasst sich als Grundlagenwissenschaft mit grundsätzlichen, basalen
Logiken des sozialen Zusammenlebens, das heißt Fragestellungen, die in die Tiefe
gehen. Hier möchte ich gleich ein weiteres verbreitetes Missverständnis anschließen,
dass Soziologie sich in erster Linie mit sozialen Problemen wie z. B. Ausgrenzung,
Fremdenfeindlichkeit, Gewaltbereitschaft, soziale Abweichung, Delinquenz etc.
befasse.
Es ist richtig, dass Soziologie auch beansprucht, einen Beitrag zur Lösung dieser
Probleme zu leisten, sie geht aber darin nicht auf, denn sie möchte im Unterschied
zu den sozialpädagogischen oder problemorientierten Perspektiven eine ganz
andere Sichtweise einbringen. Über die Entstehung dieser Probleme hinaus
interessiert sich die Soziologie zuerst für die Frage, wie es eigentlich kommt, dass
die Gesellschaft überwiegend gewaltfrei funktioniert und die meisten Menschen die
sozialen Normen befolgen und davon eben nicht abweichen. Welche Macht oder
gesellschaftliche Kräfte wirken darauf hin, diese Normeinhaltung zu gewährleisten?
Warum halten sich die Mitglieder der Gesellschaft an soziale Normen? Wie ist
soziale Ordnung möglich und was ist die soziale Wirklichkeit? Es sind also
tiefergehende Fragen, die sich nicht so sehr mit den Problemen befassen, sondern
eher mit dem Zusammenleben an sich, wie es normalerweise funktioniert.
Warum ist die Soziologie für die Gesellschaft überhaupt wichtig? Ich möchte Ihnen
drei Anwendungsgebiete vorstellen, in denen die Soziologie Kernkompetenzen
aufweist. Dazu gehört erstens die soziologische Aufklärung. Das ist sogar ein
genuines Anwendungsgebiet der Soziologie, das auch mit den
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Grundlagenorientierungen des Faches zusammenhängt. Die Soziologie möchte das
Gewebe der sozialen Wirklichkeit entschlüsseln und dabei auch z. B. auf die
Entnaturalisierung des Sozialen hinweisen, also das, was uns so natürlich erscheint
an der sozialen Ordnung, in ihrer historischen Gewordenheit aufzeigen. Sie möchte
Gesellschaftskritik und emanzipatorisches Wissen vermitteln. Auch das ist ein Teil
soziologischer Aufklärung, d. h. die Herrschaftskritik, die Vielen vielleicht aus dem
Sachkundeunterricht in der Schule geläufig ist, wobei Herrschaftskritik nicht alles ist
an der soziologischen Aufklärung. Es gibt soziologische Aufklärung auch im Hinblick
auf die Frage, wie sich eigentlich soziale Ordnung stabilisiert, wie ist sie in ihrer
Normalität begreifbar, was ist Normalität und wie unterscheiden sich Gesellschaften
hinsichtlich der Frage, wie sich Normalität und Abweichung jeweils konstruieren.
Diese Grenze ist eben nicht naturgegeben, sondern selbst geschichtliches Produkt
der Entwicklung und unterscheidet sich von Gesellschaft zu Gesellschaft. In
manchen Gesellschaften ist es z. B. ein Teil delinquenten Verhaltens, wenn Frauen
Auto fahren oder sich auf eine bestimmte Weise verhalten – und in unserer
Gesellschaft ist das nicht der Fall. Genauso gelten in unserer Gesellschaft Dinge als
delinquent, die in anderen Gesellschaften ganz anders gesehen werden.
Der zweite Bereich, in dem Soziologie eine Kernkompetenz hat, ist die sogenannte
Sozialberichterstattung. Dazu gehören z. B. Familienberichte, Armut- und
Reichtumberichte, Jugendberichte, Berichte über das Alter, die demographische
Entwicklung, all das, wo die Gesellschaft ihre Mitglieder informiert, wie es mit dem
Aufbau der Gesellschaft, ihrer Bevölkerung bestellt ist und wie die einzelnen
Lebensphasen jeweils ausgestaltet werden in dieser Gesellschaft. In statistischen
Instituten arbeiten sehr viele Soziologen und bemühen sich, ein möglichst
vielschichtiges Bild der Gesellschaft zu erstellen.
Ein dritter Anwendungsbereich ist das, was ich die Erarbeitung und Anwendung von
Sozialtechnologie nennen möchte. Das sind Techniken, wie man auf Menschen
einwirken kann, wie man sie zu etwas bringen kann oder wie man ihnen zu etwas
verhelfen kann, um sich besser im sozialen Zusammenleben zu behaupten. Dazu
gehört z. B. Public Relation auf dem Gebiet der Beeinflussung des Publikums.
Coaching im Sinne der Beratung, wie man gute Netzwerke bildet, oder auch
Mediation im Fall von Konflikten innerhalb der Familie oder Scheidungskonflikten
gehören dazu. Unternehmensberatung, Werbung und Marktforschung sind weitere
Anwendungsgebiete der Soziologie.
Das sind die wesentlichen Bereiche, in denen soziologisches Wissen in der
Gesellschaft nachgefragt wird und wo die Soziologie in der Lage ist, der Gesellschaft
zu helfen, indem sie ihr einen Spiegel vorhält.
Ich komme jetzt zu der Frage, welche Teilgebiete in den meisten Volluniversitäten
gelehrt werden, also welche grundsätzlichen Fachrichtungen man innerhalb des
Faches studieren kann. Die meisten Studiengänge innerhalb der Soziologie sind
anhand bestimmter Bereiche aufgebaut wie soziologische Theorie, Mikrosoziologie,
Makrosoziologie, gesellschaftliche Institutionen, Kultursoziologie, aber auch
Methodenlehre. Ich möchte zu den einzelnen Bereichen ein paar Stichworte nennen.
Die soziologische Theorie befasst sich mit den sogenannten soziologischen
Klassikern. Ihnen dürften die Namen Karl Marx oder Max Weber vertraut sein, Georg
Simmel, Norbert Elias, Anthony Giddens oder Niklas Luhmann sind weitere
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Persönlichkeiten, die als Klassiker der Soziologie in jedes Soziologie-Studium
hineingehören. Manche der Klassiker sind schon über 100 Jahre alt, bilden aber
nach wie vor das grundlegende Wissen, um soziale Ordnungen zu entschlüsseln und
basale Logiken zu erfassen. Zu nennen sind hier z. B. soziale Klassen bei Marx, das
Verhältnis von Kapital und Arbeit oder die Frage nach der religiösen Entstehung des
Kapitalismus bei Weber; die Frage, warum das Geld wie bei Simmel nicht nur eine
wirtschaftliche Bedeutung, sondern auch eine philosophische Bedeutung besitzt.
Oder Norbert Elias, der sich mit zivilisatorischen Fragen befasst. All das sind
grundsätzliche Fragen, die bis heute Gültigkeit haben.
Das Gebiet der Mikrosoziologie, das beispielsweise auch ich an der TU Darmstadt
vertrete, interessiert sich für Fragen der Biographie, Persönlichkeitsstruktur und der
Lebensführung, was – so denkt man zunächst – sehr psychologisch wirkende Fragen
sind. Der Unterschied zwischen einem gesellschaftstheoretischen Zugriff auf
Biographie und Lebensführung und einer psychologischen Sichtweise ist z. B., dass
die Soziologie sich regelmäßig mit historischen Veränderungen der
Persönlichkeitsstruktur oder der historischen Wandelbarkeit von Lebenslaufmustern
und der Biografie befasst oder auch mit der Frage, wie der psychische Apparat, den
wir heute kennen, den Freud beispielsweise analysiert hat mit seiner Aufteilung von
Ich, Es, Über-Ich, historisch entstanden. Dazu gehört auch die Feststellung von
Norbert Elias, der gezeigt hat, dass der Mensch des Mittelalters ein komplett anderes
Wesen war als wir heute. Denn er verfügte viel weniger über eine Über-Ich-Funktion,
sondern er war deutlich durch seine Triebe gesteuert. Er hat sehr viel weniger diesen
komplexen Abdruck der Gesellschaft in sich aufgegriffen, der im Über-Ich als
Internalisierung von Werten und Normen zum Ausdruck kommt.
In der Makrosoziologie zeigen sich im Wesentlichen zwei Teilbereiche. Das ist der
Bereich der Theorien funktionaler Differenzierungen. Er hat gezeigt, dass
Gesellschaften in verschiedene horizontale Subsysteme aufgeteilt sind, die
gleichrangig nebeneinander stehen, beispielsweise das Wirtschaftssystem, das
politische System, Gesundheitssystem, Wissenschaftssystem, Erziehung und
Bildung. Das sind Funktionen, die bestimmte gesellschaftliche Aufgaben erfüllen für
die Gesellschaft im Ganzen, die aber in Teilbereichen organisiert sind. Die
Sozialstrukturanalyse beschäftigt sich dagegen eher mit der Frage, wie
Gesellschaften in Klassenschichten und Milieus aufgeteilt sind.
Die Kultursoziologie befasst sich mit den Themen, die ich anfangs erwähnt habe,
also: Wie ist soziale Wirklichkeit, aus welchen kulturellen Grundüberzeugungen
besteht sie und wie ist die Relativität dieser Grundüberzeugungen. Die
Kultursoziologie befasst sich auch mit anthropologischen Fragen, z. B. mit der Frage
was ist der Mensch im Unterschied zum Tier. Ein zentraler Anthropologe ist Arnold
Gehlen. Er hat behauptet, der Mensch sei ein fundamental gesellschaftliches Wesen,
weil er ein Mängelwesen ist und aufgrund einer Unterausstattung an Instinkten
notwendigerweise auf gesellschaftliche Institutionen angewiesen ist, die die
mangelnde Triebausstattung kompensieren. Einfach ausgedrückt könnte man sagen,
dass andere Tiere, evolutionstheoretisch betrachtet, in ihrem Verhalten eher über
Instinkte gesteuert werden, während der Mensch über diese Instinkte nicht in gleicher
Weise verfügt, an deren Stelle treten gesellschaftliche Institutionen, die den
Menschen von Grund auf in seinem Verhalten steuern. Der Mensch ohne
Vergesellschaftung ist also nicht denkbar.
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Es gibt also diese grundlegenden Bereiche der Soziologie, von denen ich gerade
gesprochen habe. Aber die meisten Studiengänge in Deutschland bieten auch
Spezialisierungen an, die man in fortgeschrittenen Semestern belegen kann. Das
sind z. B. Organisations-, Wirtschafts-, Techniksoziologie, Stadtsoziologie, Familienund Geschlechterverhältnisse oder Bildungssoziologie. All das sind
Schwerpunktthemen, die man nutzen kann, um sich auf bestimmte Berufe hin zu
qualifizieren und die dann dem Einzelnen auch anheimgestellt werden als seine
persönlichen Schwerpunkte. Dazu komme ich später noch einmal.
Gründe oder Anlässe, Soziologie zu studieren, gibt es viele. Ich persönlich kam zur
Soziologie durch eine Pubertätskrise, als sich in mir ein ganz grundsätzlicher
Wertekonflikt auftat. Ich bin in einem traditionellen Milieu in einer deutschen
Kleinstadt aufgewachsen, in dem einerseits klassische Werte wie Disziplin, Leistung,
Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit vermittelt worden sind, in dem aber andererseits auch
traditionelle Hierarchien wie etwa zwischen Männern und Frauen, Chefs und
Untergebenen, Eltern und Kindern unhinterfragbare Geltung beanspruchten. Ich
durfte aufs Gymnasium gehen, obwohl oder vielleicht auch gerade weil ich ein
Mädchen war. Dort lernte ich völlig andere kulturelle Selbstverständlichkeiten und
Werte kennen wie z. B. eine vollkommen andere Form des Umgangs mit Normen
oder der Begründungsbedürftigkeit von Normen. Es wurde argumentiert, es wurde
mir eine Diskurswahl beigebracht, die ich ganz stolz zuhause üben wollte, indem ich
meine Eltern fragte, wenn sie mir Anweisungen gaben, wie sie denn das begründen.
Das fanden sie natürlich nicht besonders lustig, sondern sie haben sich darauf
verständigt, dass das Gymnasium uns Flausen in den Kopf setzen würde, weil meine
Nachfragen aus ihrer Sicht einfach Widerworte waren. Wenn man Normen in Frage
gestellt hat und fragte, warum man immer um 18.30 Uhr zum Abendessen kommen
müsse, dann wurde das nicht als Aufforderung verstanden, das zu begründen,
sondern das war ein Widerstand gegen die elterliche Autorität.
Ich erzähle dieses Beispiel, weil es charakteristisch ist für eine bestimmte
Grunderfahrung des Soziologisierens, nämlich einen Bruch zu erleben mit
selbstverständlichen Werten und Ordnungen, in die man hineingewachsen ist.
Analoge Erfahrungen machen auch Schüler, die durch einen längeren
Auslandsaufenthalt ein fremdes Land kennengelernt haben, und zwar nicht als
Tourist, sondern mit der Aufgabe, sich dort zurechtzufinden, sich dort einzuleben. Sie
können dort einen Kulturschock erleiden und feststellen, dass das, was sie für
selbstverständlich halten, die Art und Weise, wie man sich zuhause benimmt, die
Etikette, die Art und Weise, Kontakte zu schließen und mit anderen Menschen
umzugehen, in diesem Land so keine Gültigkeit mehr hat, vielleicht sogar auf
Unverständnis oder Ablehnung stößt, und dass es ganz andere Regeln sind, die dort
herrschen, die man erst mühsam erlernen muss.
So ging es mir auch, als ich merkte, dass ich jetzt zwar mit dem intellektuellen
Rüstzeug ausgestattet war, das Herkunftsmilieu zu verlassen und in eine neue
Ordnung vorzustoßen, dass es aber noch keineswegs gesagt ist, dass ich diese Welt
auch praktisch beherrsche und mich darin bewegen kann. Ich musste die eine oder
andere schmerzliche Erfahrung machen, dass ich zwar in der Lage war, mich von
meinem Herkunftsmilieu zu lösen, weswegen ich aber noch nicht in dem Milieu
angekommen bin, in das ich hineinwollte, nämlich in das universitäre
wissenschaftliche Milieu, in dem es bestimmte Regeln der Reputation und
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Selbstdarstellung gibt, die man beherrschen muss und die ich erst entwickeln
musste. In diesen Momenten wurde mir Gesellschaft ganz hautnah bewusst, nämlich
in der Form, dass ich nicht mithalten konnte und Schamgefühle hatte, weil ich die
Spielregeln nicht konnte.
Welche Fähigkeiten und Talente sollte man mitbringen, wenn man Soziologie
studieren möchte? Ich kann Ihnen jetzt sagen, dass Sie auf jeden Fall intellektuelle
Neugierde haben sollten, dass Sie analytisches Denken und eine gewisse Fähigkeit
zur Abstraktion beherrschen sollten. Ganz sicher sollten Sie den Willen mitbringen,
Gegebenes nicht einfach hinzunehmen, sondern hinter die Strukturen zu blicken.
Das sind aber gleichzeitig Fähigkeiten, die Sie innerhalb des Studiums lernen
können. Ein Ziel des Studiums ist ja analytisches Denken, die Fähigkeit zur
Problemlösung und die Fähigkeit zur Abstraktion. Sie sollten aber beachten, dass
auch in der Soziologie nicht nur gelesen wird, sondern harte Fächer beherrscht
werden müssen. Jedes Soziologie-Studium beinhaltet die Methodenausbildung, vor
allem die quantitativen Methoden der empirischen Forschung. Und das heißt
Statistik, Mathematik, dazu gehören vielerlei Formen von Rechenarten, die Sie aus
dem Abitur kennen. Das ist für viele Studierende eine Hürde, die sie nicht nehmen.
Deswegen machen Sie sich darauf gefasst, Sie müssen mit diesen Methoden in
ihrem Studium lernen und dann beherrschen.
Es gibt mehrere Wege, durch das Studium der Soziologie zu gehen. Das hängt
immer davon ab, welche Fähigkeiten Sie erwerben und wohin Sie später gelangen
wollen. Sie können sehr stark aus der theoretischen Perspektive studieren und sich
auf eine wissenschaftliche Tätigkeit vorbereiten. Dann ist das Studium sehr
textorientiert, Sie lesen die theoretischen Klassiker. Sie können aber auch sagen, ich
möchte nicht in die ganz tiefen Grundlagen einsteigen, sondern ich lerne, sozusagen
eine Forscherpersönlichkeit auszubilden, die es schafft, Probleme zu lösen. Sie
können aber auch Soziologie so studieren, dass Sie sich möglichst viele
Wissensgebiete und Fachwissen über die Gesellschaft aneignen, in der Hoffnung,
später eine Grundlage zu schaffen für bestimmte Berufsfelder.
Beispielsweise gibt es Möglichkeiten als politischer Referent oder in der Verwaltung,
in der Marktforschung, in statistischen Institutionen, als Journalist oder im Bereich
von Kultur und Sozialmanagement. Die Soziologie ist kein Fach, mit dem man über
ein spezialisiertes Berufsfeld exklusiv verfügt, sondern die meisten Berufsfelder, die
für Sie in Frage kommen, sind nicht auf Soziologie kapriziert, d. h. Sie sind nicht die
einzigen Fachanwärter, die Anspruch auf dieses Gebiet erheben, sondern wenn Sie
beispielsweise Journalist werden wollen, dann konkurrieren Sie natürlich mit anderen
Fachgebieten, mit Absolventen der Studiengänge Journalistik, Geschichte oder
anderer Sozialwissenschaften. Es ist wichtig, sich darauf einzustellen, dass Sie mit
Ausnahme der Forschung und Lehre keinen sehr spezialisierten Arbeitsmarkt
vorfinden, der nur auf Sie zugeschnitten ist. Sie müssen selber sehen, wie Sie sich
mit Ihrem spezialisierten Wissen ein bestimmtes Berufsfeld erobern und es dort
gewinnbringend einbringen.
Die Soziologie im Hauptfach zu studieren und das im Hinblick auf ein bestimmtes
Berufsfeld erfordert auch eine Auswahl aus verschiedenen Nebenfächern zu treffen.
In der Regel handelt es sich um Nebenfächer wie Anglistik, Germanistik, Geschichte,
Politikwissenschaften, Informatik und Wirtschaftswissenschaften. Es empfiehlt sich,
die Wahl des Nebenfachs an den Berufsfeldern auszurichten, die Sie für sich in
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Betracht ziehen für Ihre spätere Berufstätigkeit. Z. B. kann es sinnvoll sein, Informatik
und Soziologie zu kombinieren, wenn Sie vorhaben, im Bereich Kulturmanagement
oder Online-Journalismus tätig zu werden. Es kann sinnvoll sein, Geschichte oder
Philosophie mit der Soziologie zu verbinden, wenn Sie im Bereich Forschung und
Lehre verbleiben wollen, weil historisches Wissen in der Soziologie unabdingbar ist.
Wirtschaftswissenschaften mit Soziologie zu kombinieren, so dass Sie über
ökonomische Fähigkeiten verfügen, ist für die Bereiche Kultur- und
Sozialmanagement von Vorteil. Die TU Darmstadt bietet beispielsweise an,
stadtbauliche oder infrastrukturelle Nebenfächer zu kombinieren, wenn Sie sich auf
Stadtsoziologie spezialisieren und im Bereich Städtemarketing, in der
Stadtverwaltung oder in der Stadtplanung tätig werden wollen.
Die Soziologie hat einen schlechten Ruf im Hinblick auf Arbeitsmarktchancen. Es
kursieren Gerüchte, Soziologie-Studierende würden zu Taxifahrern ausgebildet
werden. Das stimmt so natürlich nicht. Die Aussichten der Soziologie-Absolventen
sind besser als ihr Ruf, die meisten haben eine Arbeit gefunden, die Arbeitslosenzahl
ist relativ gering. Im Jahr 2005 lag sie bei 7 %, heute ist sie niedriger, allerdings – das
muss man auch sagen – ist sie immer noch höher als die anderer Akademiker.
Natürlich haben Sie mit einem Studium der Ingenieurwissenschaft oder der
Informatik klarere Berufsperspektiven. Gleichwohl kommen Soziologie-Absolventen
besser unter als die nicht-universitär ausgebildete Bevölkerung. Ihre
Arbeitsmarktchancen sind also sehr gut.
Nicht zuletzt hängt es auch von Ihren Nebenqualifikationen, die Sie während Ihres
Studiums erworben haben, ab, ob sich der Übergang in den Beruf glatt gestaltet.
Wichtige Schlüsselqualifikationen sind z. B. die Wahl eines Praktikums, das Sie
befähigt, schon während des Studiums in dem Berufsfeld, das Ihnen vorschwebt,
Kontakte zu knüpfen. Sie müssen Ihr Studium ernst nehmen und sich auf die
gestellten Fragen einlassen, Sie müssen die methodische Ausbildung ernst nehmen,
weil hier beispielsweise innerhalb der Forschung oder innerhalb der statistischen
Grundkompetenzen sehr viel anschlussfähige Berufsfelder sind. Die methodische
Ausbildung ist z. B. wichtig für eine Berufstätigkeit in den Statistischen Bundesämtern
oder bei der Sozialberichterstattung. Qualitative Methoden sind wichtig, um
qualitative Interviews zu führen. Damit könnten Sie sehr gut in die Marktforschung
oder in die Zukunftsforschung gehen. Das alles sind Qualifikationen, die Sie später
nutzen können, die direkt anschlussfähig sind an Ihre Berufsfelder.
Sie fragen sich sicher auch, wie ein typischer Übergang in den Beruf ist. Typisch ist
tatsächlich eine Zeit der Berufssuch-Arbeitslosigkeit, meistens dauert sie zwischen
zwei und zwölf Monaten. Nur 40 % schaffen den direkten Berufseinstieg. In den
letzten zehn bis 15 Jahren gab es eine enorme Zunahme von Teilzeitstellen und
befristeten Arbeitsverhältnissen, die am Anfang der beruflichen Laufbahn stehen und
dafür sorgen, so dass Sie einen, wie wir sagen, ausgefransten Übergang in den
Beruf durchstehen müssen, wo Sie sich eine Weile von Praktikumsplätzen hin zu
befristeten Arbeitsverhältnissen hangeln, bis Sie – in der Regel nach zwei Jahren –
ein festes Arbeitsverhältnis antreten können.
Wie finde ich meinen ersten Job? Über 60 % der Absolventen finden ihre erste Stelle
über Netzwerke und Kontakte, die sie während des Studiums geknüpft haben, oder
über Bekannte, Familienangehörige usw., 33 % über Bewerbungen und ein kleiner
Prozentsatz von 11 % über Initiativbewerbungen. Hilfreich bei der Jobsuche sind
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Praktika, Berufserfahrung, persönliches Marketing und Auftreten, EDV-Kenntnisse,
ein zügiges Studium, Auslandsaufenthalte und ein relativ vollgepackter Lebenslauf.
Wie ist es eigentlich, wenn ich an der Uni bleiben will? Das spezifische Berufsfeld ist
immer die Forschung und Lehre. Dort finden Sie die beste Passung zwischen dem,
was Sie im Studium gelernt haben, und dem, was Sie im Beruf machen, nämlich
Soziologin bzw. Soziologe sein. Dazu müssen Sie entweder an einer Universität oder
an außeruniversitären Einrichtungen zunächst arbeiten. Aber wenn Sie eine
Lebensstellung anstreben, bleibt oft nur der Weg in die Professur und das bedeutet
meistens eine relativ langwierige wissenschaftliche Laufbahn, eine Ochsentour.
Wenn Sie also vorhaben, an der Universität zu bleiben, dann ist die erste
Qualifikationsstufe nach dem Master die Promotion, die aus einer eigenständigen
umfangreichen Forschungsarbeit besteht und einer sogenannten Disputation, einer
mündlichen Prüfung. Diese Forschungsarbeit beinhaltet eine genuine
Forschungsfragestellung und dauert ungefähr drei bis fünf Jahre. Nach der
Promotion haben Sie eigentlich die letzte Möglichkeit, sich nochmal für einen
anderen Berufsweg zu entscheiden. Oder Sie treten in die nächste Phase ein, die
Phase der Juniorprofessur, der Habilitation, die mit einer weiteren Buchpublikation
endet, die eine weitere Forschungsarbeit von drei bis fünf Jahren bedeutet.
Danach ist es oftmals schwierig, dann nochmal in eine andere Berufslaufbahn
einzumünden. Denn Sie sind dann schon etwas älter und oft ist es nach einer so
langen Zeit der Spezialisierung auf soziologische Forschungsarbeit unbefriedigend,
nochmal ein gänzlich neues Kapitel aufzuschlagen. Das heißt, es bleibt nur der Weg
in die Professur. Hier fangen die Probleme für den Einzelnen oft an, denn trotz
hervorragender Qualifikation und hervorragender Forschungsarbeit können Sie nicht
sicher sein, die ersehnte Professur zu bekommen, weil der Wettbewerb sehr sehr
hart ist. Häufig bewerben sich 80 bis 90 Personen auf eine Professur, so dass Sie
einfach damit rechnen müssen, dieses Ziel nicht zu erreichen, unabhängig davon,
wie gut Sie qualifiziert sind.
Selbst wenn Sie zu dem Schluss kommen, dass die Hochschullaufbahn nach der
Promotion doch nicht das Richtige ist, gibt es sehr viele andere attraktive
Möglichkeiten, als Soziologe berufstätig sein zu können. Ich habe es bis heute nicht
bereut, Soziologin zu sein.
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Cornelia Koppetsch studierte Soziologie, Psychologie und Philosophie in Gießen,
Hamburg und Berlin. Sie habilitierte sich im Fachbereich Sozialwissenschaften und
ist seit 2009 Professorin für Soziologie an der Technischen Universität Darmstadt, wo
sie die Professur für Geschlechterverhältnisse, Bildung und Lebensführung innehat.
Ihre Arbeitsschwerpunkte sind: Bildung und Beruf, Sozialer Wandel, Ökonomie und
Lebensführung, Familie, Geschlechterverhältnisse und Sozialstruktur.
Bücher (Auswahl):
– Wenn der Mann kein Ernährer mehr ist – Geschlechterkonflikte in Krisenzeiten.
(zus. mit Sarah Speck). Suhrkamp-Verlag, 2015.
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– Sexuelle Vielfalt und die UnOrdnung der Geschlechter: Beiträge zur Soziologie der
Sexualität (KörperKulturen) (zus. mit Sven Lewandowski). transcript-Verlag. 2015.
– Die Wiederkehr der Konformität – Streifzüge durch die gefährdete Mitte. CampusVerlag, 2013.
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