MAY-Palliative Versorgung-doku - awo-obb

Werbung
15.10.13
Ethische Aspekte der palliativen Versorgung
Dr. phil. Arnd T. May
Hohenzollernstraße 76 I 45659 Recklinghausen
Telefon +49 700 BIOETHIK (24 63 84 45) I [email protected] I www.ethikzentrum.de
Entscheidungsträger
Der Patient muss die nötige Urteilskraft und Willensfreiheit besitzen,
um die Tragweite seiner Erklärung zu erkennen und das Für und Wider
verständig gegeneinander abzuwägen.
1. Der Patient/ die Patientin = erklärter Patientenwille
im Bedarfsfall vom Betreuungsgericht bestellt
2. Betreuerin/ Betreuer
oder
Bevollmächtigte/Bevollmächtigter
vom Patienten beauftragt
orientiert am
mutmaßlichen
Willen
3. Ärztin/ Arzt
(Simon, Geißendörfer in May et al. Passive Sterbehilfe: besteht gesetzlicher
Regelungsbedarf, 2002)
Dr. Arnd T. May
(c) Dr. Arnd T. May,
[email protected]
1
15.10.13
Vorsorgedokumente
Dr. Arnd T. May
Vorbemerkung: Sterbehilfe
• 
Sterbehilfe / Behandlungsabbruch / Therapiezieländerung
• 
Unterlassen, Beenden einer medizinischen Behandlung
• 
Beihilfe zum Suizid
• 
Tötung auf Verlangen
Dr. Arnd T. May
(c) Dr. Arnd T. May,
[email protected]
2
15.10.13
Vorbemerkung: Sterbehilfe
Unter dem Begriff der Sterbebegleitung werden Maßnahmen der
Pflege und Betreuung von Menschen verstanden, bei denen der
Sterbeprozess bereits begonnen hat. Zur „Sterbebegleitung“
zählen z. B. die körperliche Pflege, das Löschen von Hungerund Durstgefühlen sowie das Mindern von Übelkeit, Angst und
Atemnot. Dazu gehören ebenso menschliche Zuwendung und
seelsorgerlicher Beistand, die dem Sterbenden und seinen
Angehörigen gewährt werden.
(Stellungnahme „Selbstbestimmung und Fürsorge am Lebensende“ des
NER 2006)
Dr. Arnd T. May
Vorbemerkung: Sterbehilfe
Von Sterbenlassen statt von „passiver Sterbehilfe“ sollte man
sprechen, wenn eine lebenserhaltende medizinische
Behandlung unterlassen wird und dadurch der durch den Verlauf
der Krankheit bedingte Tod früher eintritt, als dies mit der
Behandlung aller Voraussicht nach der Fall wäre.
Das Unterlassen kann darin bestehen, dass eine
lebensverlängernde Maßnahme erst gar nicht eingeleitet wird;
es kann auch darin bestehen, dass eine bereits begonnene
Maßnahme nicht fortgeführt oder durch aktives Eingreifen
beendet wird.
Dr. Arnd T. May
(c) Dr. Arnd T. May,
[email protected]
3
15.10.13
Vorbemerkung: Sterbehilfe
Bundesgerichtshof 25.06.2010
1.  Sterbehilfe durch Unterlassen, Begrenzen oder Beenden
einer begonnenen medizinischen Behandlung
(Behandlungsabbruch) ist gerechtfertigt, wenn dies dem
tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen entspricht
(§ 1901a BGB) und dazu dient, einem ohne Behandlung
zum Tode führenden Krankheitsprozess seinen Lauf zu
lassen.
2.  Ein Behandlungsabbruch kann sowohl durch Unterlassen
als auch durch aktives Tun vorgenommen werden.
Ein „Behandlungsabbruch“ erschöpft sich nämlich nach seinem
natürlichen und sozialen Sinngehalt nicht in bloßer Untätigkeit;
er kann und wird vielmehr fast regelmäßig eine Vielzahl von
aktiven und passiven Handlungen umfassen (...).
Dr. Arnd T. May
Selbstbestimmung und Fürsorge
Grundgesetz
Artikel 1 Abs. 1 GG (Würdeschutz)
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu
schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
Artikel 2 Abs. 1 GG
Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner
Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und
nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das
Sittengesetz verstößt.
Artikel 2 Abs. 2 GG (Lebensschutz)
Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.
Die Freiheit der Person ist unverletzlich.
Dr. Arnd T. May
(c) Dr. Arnd T. May,
[email protected]
4
15.10.13
Selbstbestimmung und Fürsorge
Bundesärztekammer
Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung (2011)
Präambel
Aufgabe des Arztes ist es, unter Beachtung des
Selbstbestimmungsrechtes des Patienten Leben zu erhalten,
Gesundheit zu schützen und wieder herzustellen sowie Leiden
zu lindern und Sterbenden bis zum Tod beizustehen. Die
ärztliche Verpflichtung zur Lebenserhaltung besteht daher nicht
unter allen Umständen.
So gibt es Situationen, in denen sonst angemessene Diagnostik
und Therapieverfahren nicht mehr angezeigt und
Begrenzungen geboten sein können. Dann tritt palliativmedizinische Versorgung in den Vordergrund.
Dr. Arnd T. May
Selbstbestimmung und Fürsorge
Autonomie
Fundamentalausstattung des Menschen
Selbstbestimmung
Manifestation der Autonomie als Entscheidung
Volker Gerhardt
Selbstbestimmung ist „das Grundprinzip des menschlichen Lebens“
„In ihr verwandelt der Mensch den Grundimpuls des Lebendigen
überhaupt, nämlich die Selbstorganisation,
in einen bewussten Umgang mit seinem eigenen
Dasein“.
„In der Selbstbestimmung kommt die Freiheit
des Menschen zu ihrem praktischen Ausdruck“.
Gerhardt V: Selbstbestimmung in der Biopolitik, vorgänge 2006, Heft 3, 38
Dr. Arnd T. May
(c) Dr. Arnd T. May,
[email protected]
5
15.10.13
Selbstbestimmung und Fürsorge
Die Kriterien für die individuelle Bewertung einer
Handlung, Entscheidung oder allgemein von
Einstellungen sind unterschiedlich!
Menschen besitzen die Freiheit zu „unvernünftigen“
Entscheidungen.
Dr. Arnd T. May
Ein Problem haben
Ein Moralproblem
Akteure finden, etwas läuft schlecht,
und sind darüber/davon betroffen,
dass jemandem Unrecht geschieht;
und finden, es sollte besser laufen,
wissen aber nicht, was zu tun ist,
damit niemandem (oder: möglichst wenig) Unrecht geschieht.
Dr. Arnd T. May
(c) Dr. Arnd T. May,
[email protected]
6
15.10.13
Dilemma
Wie soll ich mich entscheiden?
Es gibt gute Gründe für zwei oder mehrere Optionen
und dann ???
Dr. Arnd T. May
Dilemma
• 
Künstliche Ernährung
• 
Freiheitsentziehende Maßnahmen
• 
???
Dr. Arnd T. May
(c) Dr. Arnd T. May,
[email protected]
7
15.10.13
Fachliche Aufgabe: Essen und
Trinken unterstützen
•  Beobachten
des Umgangs mit Essen und Trinken:
Kalorien-, Flüssigkeitsmenge (Bilanzierung)
•  Expertenstandard Ernährungsmanagement zur
Sicherstellung und Förderung der oralen Ernährung in
der Pflege (2010)
• 
• 
• 
„Kompetenz zur Entscheidungsfindung bei ethisch komplexen
Fragestellungen“ (S. 31) „sensible
Aushandlungsprozesse“ (Pflegefachkraft S. 39)
„Maßnahmen sind ... gegebenenfalls ethisch begründet“ (S. 31)
„Selbstbestimmung und Autonomie des Patienten ... haben
stets Vorrang vor Bedarfszielsetzungen“ (S. 51)
Dr. Arnd T. May
Raffael
Die Schule von Athen, 1511
Dr. Arnd T. May
(c) Dr. Arnd T. May,
[email protected]
8
15.10.13
Moral / Ethik
Unter Moral versteht man die moralischen Normen, Prinzipien
oder Werte und moralischen Dispositionen, Haltungen oder
Charakterzüge, die wir als richtig und wichtig anerkennen bzw.
die in einer Gesellschaft gelten.
Ethik ist die theoretische Beschäftigung mit dem Phänomen der
Moral. Ethik lässt sich dann verstehen als eine Theorie der
Moral. Sie ist eine philosophische oder auch theologische
(theologische Ethik) Disziplin. Als wissenschaftliche Disziplin
beschäftigt sich unter anderem mit der theoretischen Reflexion
der gelebten Moral.
Dr. Arnd T. May
Selbstbestimmung und Fürsorge
•  Ethik
in der professionellen Pflege
•  ICN (2005):
„Die grundlegende berufliche Verantwortung der
Pflegenden gilt dem pflegebedürftigen Menschen.
Bei ihrer beruflichen Tätigkeit fördert die Pflegende ein
Umfeld, in dem die Menschenrechte, die
Wertvorstellungen, die Sitten und Gewohnheiten sowie
der Glaube des Einzelnen, der Familie und der sozialen
Gemeinschaft respektiert werden.“
Dr. Arnd T. May
(c) Dr. Arnd T. May,
[email protected]
9
15.10.13
Selbstbestimmung und Fürsorge
•  „Pflegetheorien
thematisieren sowohl anthropologische
als auch ethische Dimensionen des Menschseins und
der Pflege und nehmen diesbezügliche Setzungen
vor“ (Riedel 2011, 45)
•  Ethik der Fürsorge
•  Care-Ethik (Gilligan)
•  Advokatorische Funktion der Pflege (Körtner 2012) in
einem asymmetrischen Patienten-Arzt-Verhältnis
Dr. Arnd T. May
O D I P (Dr. May, Version 2.0
2013)
Orientierung zur Durchsetzung des individuellen Patientenwillens
(Patientenverfügung, Behandlungswünsche, mutmaßlicher Wille)
Ausgangspunkt:
medizinische Indikation? Therapieziel? (kurativ/ palliativ?)
(Arzt berücksichtigt Gesamtzustand und Prognose
des Pat. § 1901b I 2)
Entscheidungsbefugter Vertreter
vorhanden? (Bevollmächtigter
§ 1904 V alternativ Betreuer)
Ist Patient
einwilligungsfähig,
entscheidungsfähig?
Ärztliches
Aufklärungsgespräch zu Chancen
und Risiken
(§ 630e BGB)
Aktuelle
Entscheidung des
Patienten
(Entscheidung des
Vertreters nicht zulässig)
I. Patientenverfügung (PV)
gemäß § 1901a I vorhanden?
(=Einw. o. Untersagung von Untersuchungen des Gesundheitszustandes,
Heilbehandlungen oder ärztl. Eingriffe)
Anhörung
Trifft PV auf akt. Lebens- u.
Behandlungssituation zu?
(Prüfung der Passgenauigkeit § 1901a I)
= festgestellter Patientenwille
Vertreter hat Ausdruck und
Geltung zu verschaffen (§ 1901a I 2)
Beendigung/ Nichteinleitung der infrage stehenden Maßnahmen
In jeder Lebensphase erlaubt und ethisch geboten; vgl. Bundesärztekammer.
Behandlungsabbruch ist durch Unterlassen o. aktives Tun erlaubt (BGH 2010).
Regelfall: Betreuung bei Gericht anregen, wenn PV nicht eindeutig
Ausnahme: Eindeutige PV greift auch im Notfall auf den Arzt durch (§ 630d I 2 BGB)
II. a) Übertragung der nicht passgenauen
PV auf die aktuelle Situation oder
b) konkrete Wünsche des Patienten
= Behandlungswünsche
(§ 1901a II 1 Alternative 1)
Anhörung naher Angehöriger/
sonstiger Vertrauenspersonen
Gelegenheit zur Äußerung (§ 1901 b II)
Behandlungswünsche
ermittelbar?
(c) Dr. Arnd T. May,
[email protected]
Patientenwille
(situationsgenaue PV = Stufe 1)
Bed. nicht erfüllt,
weiterer Verlauf
3. BtÄndG vom
29.07.2009
III. Ermittlung des individuellen
mutmaßlichen Willens
(§ 1901a II 1 Alt. 2) durch konkrete
Anhaltspunkte (§ 1901a II 3)
Anhörung
IV. Feststellung der
optimalen Versorgung
nach Bewertung von
Nutzen und Risiken zum
Wohl des Patienten
Individueller mutmaßlicher Wille
ermittelbar?
Dialog (Erörterung) zw. Stellvertreter und
Arzt, welche Entscheidung (Zustimmung,
Widerruf der Einw., Nichteinwilligung) dem
Patientenwillen entspricht (§ 1901b I 2)
Einvernehmen zw. Bevollm./ Betr. und
Arzt über Patientenwillen? (§ 1904 IV)
Dokumentation und Behandlung gem.
Dokumentation und
Behandlung gem. dem
aktuell erklärten
Patientenwillen
Bedingung erfüllt,
weiterer Verlauf
Patientenwille
(Behandlungswünsche = Stufe 2)
Antrag durch Vertreter an
BetrG zur Genehmigung
der geplanten Entscheidung
(§ 1904 I, II i.V.m. § 1904 III)
Einvernehmen zw.
Bevollm./ Betr. u. Arzt
über med. Behandlung?
Patientenwille
(mutmaßlicher Wille = Stufe 3)
Behandlung gem. dem
Wohl des Patienten
10
15.10.13
Selbstbestimmung und Fürsorge
•  Veatch,
Fry: Leitende Grundsätze für die
pflegerische Berufsausübung
•  Wohltätigkeit
•  Gerechtigkeit
•  Autonomie
•  Aufrichtigkeit
•  Loyalität
• 
Was ist meine eigene Rolle?
•  „Ich muss diese Entscheidung exekutieren“
Dr. Arnd T. May
Selbstbestimmung und Fürsorge
•  Zahlreiche
Begründungsansätze der Ethik
•  Pflichtenethik
•  Utilitarismus
•  ...
•  Pastor
Fritz Jahr (Halle/S.): Bio-Ethik (1926)
•  Bioethischer
Imperativ:
Achte jedes Lebewesen grundsätzlich als einen
Selbstzweck, und behandle es nach Möglichkeit als
solchen!
Bio-Ethik. Eine Umschau über die ethischen Beziehungen des Menschen zu
Tier und Pflanze. Kosmos. Handweiser für Naturfreunde 1927, 24(1): 2-4
Dr. Arnd T. May
(c) Dr. Arnd T. May,
[email protected]
11
15.10.13
Selbstbestimmung und Fürsorge
Vier medizinethische Prinzipien
Prinzipien-Ansatz von Beauchamp-/ Childress:
Kohärentistisches Modell mit vier Prinzipien „mittlerer
Reichweite“:
Ø  autonomy – Respekt vor Autonomie
Ø  non-maleficience – Schadensvermeidung
Ø  beneficence – Fürsorge
Ø  justice – Gerechtigkeit
Dr. Arnd T. May
Selbstbestimmung und Fürsorge
Kann ich heute wissen, was ich morgen will?
Willensäußerungen als einwilligungsfähiger Mensch (t1)
und Äußerungen in der Krankheitsphase (t2)?
Person in t1
=
Zeitpunkt t1
Person in t1
Person in t2 Kontinuitätstheorie
Zeitpunkt t2
≠
Person in t2 Diskontinuitätstheorie
Krankheitsphase = neue Person P2
à  Sagt
ein Blick mehr als tausend Worte?
Patientenverfügung als Mittel der Verlängerung der Selbstbestimmung oder
Instrument der Selbstversklavung?
Dr. Arnd T. May
(c) Dr. Arnd T. May,
[email protected]
12
15.10.13
Ethikberatung als Lösungsweg
Dr. Arnd T. May
Ethikberatung als Lösungsweg
Ethikberatung
in der Altenhilfe
Dr. Arnd T. May
(c) Dr. Arnd T. May,
[email protected]
13
15.10.13
Grundpositionen für eine Sterbe- und
Abschiedskultur in der Altenpflege der AWO
2010
AWO versteht sich als wertegebundener
Wohlfahrtsverband
• 
Jeder Mensch hat seinen Zweck in sich selbst und darf
nicht für die Zwecke anderer missbraucht werden.
• 
Forderung nach Einrichtung von Ethikberatung in
Einrichtungen der AWO -> Ethikteam
• 
Inhalte – Struktur
Dr. Arnd T. May
Fazit
• 
Bewußtwerdung der eigenen Werte nötig
• 
Werterfassung der Bewohner
• 
Besprechung der Folgen für die Einrichtung
• 
Abschiedskultur als verbindliche Qualitätskriterien der
AWO
• 
Aus dem Leitbild der AWO:
„Wir bestimmen unser Handeln durch die Werte des
freiheitlich-demokratischen Sozialismus: Solidarität,
Toleranz, Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit.
Wir unterstützen Menschen, ihr Leben eigenständig und
verantwortlich zu gestalten und fördern alternative
Lebenskonzepte.
• 
• 
Dr. Arnd T. May
(c) Dr. Arnd T. May,
[email protected]
14
15.10.13
Fragen ? Fragen !
Dr. phil. Arnd T. May
Hohenzollernstraße 76 I 45659 Recklinghausen
Telefon +49 700 BIOETHIK (24 63 84 45) I [email protected] I www.ethikzentrum.de
(c) Dr. Arnd T. May,
[email protected]
15
Herunterladen