Der Preis der sprachlichen Emanzipierung

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POLITIK & GESELLSCHAFT
Luxemburger Wort
Samstag und Sonntag, den 1./2. August 2015
Kleine Sprachen in der Europäischen Union
Der Preis der sprachlichen Emanzipierung
Irland will „Gaolainn“ 2022 zur vollwertigen EU-Amtssprache machen
von neuem Selbstvertrauen in die
eigene Sprache“, kommentiert
eine EU-Kommissions-Quelle. Die
gleiche Quelle schätzt, dass es
„wenigstens
60
Übersetzer“
braucht, um eine Sprache auf EUEbene am Leben zu halten.
VON DIEGO VELAZQUEZ (BRÜSSEL)
„Gaolainn“, die traditionelle Sprache
Irlands, könnte bereits 2022 zur
vollwertigen Amtssprache der Europäischen Union werden, was die
Debatte über die Rolle der „kleinen“
Sprachen im europäischen Institutionsgewebe wieder öffnet.
„Es ist ein Schande, dass katalanische EU-Abgeordnete kein Recht
haben, sich in ihrer Muttersprache im Europaparlament auszudrücken“, monierte der flämische
EU-Abgeordnete Mark Demesmaeker bei der Parlamentssitzung
zu den Prioritäten der luxemburgischen Ratspräsidentschaft im
Juli. Die katalanische Sprache wird
von ungefähr zehn Millionen
Menschen gesprochen, hauptsächlich im Nordosten Spaniens,
und ist keine EU Amtssprache.
Was nach einer typischen
Straßburg-Anekdote klingt, wo
manchmal überraschende Angelegenheiten ihren Weg, auf die Tagesordnung finden, ist jedoch ein
ewiges Diskussionsthema in EUKreisen. Sprachen und die damit
verbundenen Identifikationselemente sind keine unbedeutenden
Themen für eine EU, die noch auf
der Suche nach einer gemeinsamen Identität ist.
Das jüngste Beispiel dafür sind
die neuesten Entwicklungen der
irischen Sprache in Brüssel. Irisch,
oder „Gaolainn“, ist seit 2007 eine
der 24 Amtssprachen der EU. Damals hatte die irische Regierung
einen pragmatischen und geschickten Kompromiss in Brüssel
ausgehandelt. Irisch wurde zur offiziellen Amtssprache der Europäischen Union, allerdings mit einer Derogation, was in diesem Zusammenhang mit einer Verwässerung der Regelung vergleichbar
ist. Die EU-Institutionen waren
Im Brüsseler Europaviertel gibt es viele Irish Pubs, doch Irisch wird dort reichlich wenig gesprochen.
nicht dazu verpflichtet, jedes Dokument und jede Rede auf Irisch
zu übersetzen. Politisch gesehen
war die Lösung ideal. Die irische
Regierung konnte in Dublin behaupten, sie hätte die Förderung
der irischen Sprache in Brüssel
durchgesetzt und die EU erweckte den Eindruck, sie würde traditionelle Sprachen schätzen, ohne
sich dabei sonderlich anstrengen
zu müssen.
„Folklore“
Doch aus Irland kam nun Bewegung in diese Akte. Die Derogation hätte 2017 aufgehoben werden
sollen, doch es sah so aus, als würde diese Ausnahmeregelung auf
ewig verlängert werden, um den
Status quo zu bewahren. Jetzt will
Irland die Derogation 2022 jedoch
endgültig auslaufen lassen und
Irisch zur vollwertigen Amtssprache der EU machen.
Dies bedeutet, dass sämtliche
Debatten und Dokumente der EU
künftig auf Irisch übersetzt werden. Was außerhalb von Irland
gerne als Verschwendung von
Steuergeldern abgestempelt wird,
da alle Iren auch Englisch verstehen, sieht man in Dublin jedoch
nuancierter. Die irisch-republikanische und linksnationalistische
Partei „Sinn Féin“ sagt zwar, dass
es ein kurzfristiges Ziel sei, dadurch Arbeitsplätze für Übersetzer aus Irland zu schaffen. Gleichzeitig argumentiert man jedoch,
dass dies die einzige Möglichkeit
sei, dieser Sprache ein professio-
(FOTO: AFP)
nelles Rückgrat zu geben. Mit
Übersetzer, Linguisten und Juristen kann die manchmal als „Folklore“ beschimpfte Sprache an Legitimität gewinnen. Nach Angaben des irischen Kulturministeriums ist „Gaolainn“ ständig im
Aufwind. Bei der letzten Volkszählung im Jahre 2011 hatten 1,8
Millionen Menschen „Ja“ auf die
Frage geantwortet, ob sie Irisch
sprechen können.
„Außerdem gibt es immer mehr
politischen Druck für die Förderung dieser Sprache“, verrät eine
EU-Quelle aus Irland. Die EUKommission soll nun die Kosten
dieser Entscheidung überprüfen.
„Dass Irland nun bereit ist, einen
solchen Schritt zu gehen und die
Kosten in Kauf zu nehmen, zeugt
Und Luxemburgisch?
In Luxemburg hingegen hat es traditionell nur selten Initiativen gegeben zur Einführung der luxemburgischen Sprache als EU-Amtssprache. Auf politischer Ebene ist
die ADR die einzige Partei, die das
verlangt. Ein nicht unbedeutendes
Element in dieser Debatte ist die
Tatsache, dass in Irland weitgehende Teile der Gesetzgebung bereits auf „Gaolainn“ übersetzt
werden. In Luxemburg wird die
Gesetzgebung nur auf Französisch
veröffentlicht. Die Anstrengungen
Irlands, Rechtsgebung aus Brüssel
dem nationalem Recht anzupassen, wären dementsprechend kleiner als es für Luxemburg der Fall
wäre, falls Luxemburgisch einmal
zur Amtssprache der EU wird.
„Luxemburg sieht die Sprachdebatte sehr pragmatisch“, lassen
EU-Quellen aus dem Großherzogtum verlauten, „die Kosten wären
einfach zu hoch“. „Als die Europäische Gemeinschaft von Italien,
Belgien, Frankreich, den Niederlanden, Deutschland und Luxemburg gegründet wurde“, so die
gleiche Quelle, „beherrschten die
Luxemburger zwei der vier damaligen Sprachen Europas“. „Außerdem hatte Luxemburgisch in
den 50er-Jahren nicht den gleichen identitären Stellenwert wie
heute.“
„Sprachlich unkompliziert sein,
ermöglicht auch, als Vermittler
wahrgenommen zu werden“, erklärt dazu der CSV-EU-Abgeordnete Georges Bach, „das verschafft einem Respekt“ in Brüssel.
„Es war ein schwieriges Jahr“
Künftig sollen auch kleinere Parteien im Staatsrat vertreten sein – Neue Sondersteuer belastet Autofahrer
In ihrer letzten Sitzung vor der
Sommerpause beschloss die Regierung gestern, den Gesetzentwurf zur Reform des Staatsrats auf
den Instanzenweg zu schicken. Eine der wesentlichen Neuerungen
besteht darin, dass künftig auch
kleinere Parteien die Möglichkeit
erhalten sollen, einen Kandidaten
für die Hohe Körperschaft vorzuschlagen. Die Voraussetzung dafür ist, dass die Partei während
mindestens zehn Jahren in Folge
im Parlament vertreten ist. Außerdem muss sie mindestens fünf
Prozent der Stimmen erhalten haben oder über drei Sitze im Abgeordnetenhaus verfügen. Die Zusammensetzung des Staatsrats
wäre somit ausgewogener und
stünde im Einklang mit der Regierungserklärung, meinte Premierminister Bettel. Demnach
würde ein langjähriger Wunsch
der ADR in Erfüllung gehen. Die
Partei hatte die bisherigen Regeln
stets als undemokratisch bezeichnet. Des Weiteren schlägt die Regierung vor, die Amtszeit der
Staatsräte von 15 auf zwölf Jahre
zu verkürzen. Das Gremium soll
für jeden vakanten Posten ein genaues Profil erstellen. Derzeit
schreibt die Satzung nur vor, dass
elf der insgesamt 21 Mitglieder
über juristische Kenntnisse verfügen müssen. Zu Änderungen soll
es auch bei der Ernennung der
Staatsräte kommen. Bisher haben
das Parlament, die Regierung oder
der Staatsrat die Kandidaten für
die Hohe Körperschaft vorgeschlagen. Dem Großherzog wurde
eine Liste mit drei Kandidaten
vorgelegt. In Zukunft soll nur noch
ein Kandidat benannt werden.
Die Konventionen mit den
Glaubensgemeinschaften werden
seit Wochen in Texte umgesetzt.
Gestern standen die staatlichen
Aufwendungen für die interkonfessionelle Kirchenfinanzierung
im Mittelpunkt. Derzeit steuert der
Staat jährlich mehr als 24 Millionen Euro bei. Langfristig sollen es
lediglich 8,3 Millionen sein.
Die Autofahrer müssen sich darauf einstellen, dass sie noch mehr
zur Kasse gebeten werden als bis
jetzt. Im Ministerrat wurde ein
Gesetzentwurf angenommen, der
die Einführung einer Sondersteuer von drei Prozent auf Kfz-Haft-
pflichtversicherungen zur Mitfinanzierung des Rettungswesens
vorsieht. Die Steuer, die jeden Autofahrer, dessen Fahrzeug in Luxemburg angemeldet ist, treffen
Premierminister Xavier Bettel auf dem Weg zu seinem letzten Pressebriefing vor den Sommerferien.
(FOTO: CHRIS KARABA)
wird, soll jährlich 5,8 Millionen
Euro einbringen. Bettel betonte,
dass sich die Reform der Rettungsdienste keineswegs gegen die
Freiwilligen richte. Außerdem
nahm hat das Kabinett gestern
eine Personalentscheidung getroffen. Monique Stirn wurde zur Generalinspektorin der Polizei ernannt. Der Premier nutzte das
gestrige Treffen mit den Medienvertretern, um eine Bilanz der vergangenen zwölf Monaten zu ziehen. Es gab 29 Sitzungen des Ministerrats. Angenommen wurden
105 Gesetzentwürfe und 175 großherzogliche Verordnungen. „Es
war ein schwieriges Jahr und dennoch haben wir einiges erreicht“,
so Bettel. Der Regierung sei es gelungen, die Steigerung der Arbeitslosenrate zu brechen. Trotzdem bleibe die Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit eine Priorität der
Regierung. Im August sind keine
Ministerratsitzungen geplant. „Wir
werden dennoch per Mail in den
Sommerferien weiter arbeiten“,
sagte Bettel.
(ml)
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