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MUSIKSTUNDE mit Trüb
Donnerstag, 25. 4. 2013
„Und Haydn schlug die Tasten: Sein Klavierwerk“ (4)
MUSIK: INDIKATIV, NACH CA. … SEC AUSBLENDEN
Ein Sonderfall, zugleich aber auch eine Art „Verlängerung“, Variation bzw. Kommentierung der
Haydn'schen Klaviersonate sind die Klavierkonzerte und -Trios des Meisters. Konzerte gibt es nicht
gar so viele, und eine Handvoll, über der sein Name prangt, „Joseph Haydn“, sind überhaupt nicht
von ihm. Aber selbst die echten kann man nicht als „Virtuosenkonzerte“ bezeichnen – eher schon
als Klaviersonaten mit Begleitung des Streichquartetts, also eigentlich sogar als „Klavierquintette“.
Dass ein komplettes Streichorchester mitspielt, tut nichts zur Sache; die Begleitung ist und bleibt
vierstimmig. Bei den Klaviertrios hingegen, den frühen sowieso, aber auch den späteren nach 1780,
sprach Haydn selbst von „Klaviersonaten mit Begleitung der Violine plus Generalbass“, das heißt,
das Cello folgt dem Bass des Klaviers und versteigt sich allenfalls mal zu einer Oktavierung, einer
Akzentuierung – oder einem beredten Schweigen, was ja ebenfalls ein Ausdrucksmittel sein kann.
So wenig der Komponist selbst von seinen Klavierkünsten hielt: Vieles von ihm ist eben doch
klavierzentriert gedacht, kreist um das Instrument, das nebst der Orgel – zumindest nach der
Erfindung des Fortepianos – ganz einfach die meisten Ausdrucksmöglichkeiten in sich barg. Und
dann kommt noch etwas hinzu, was die Sache schon wieder spannend macht: Beide Latifundien
von Haydns Arbeitgebern, den Fürsten Esterházy, lagen im heutigen Ungarn. Das war einmal
Eisenstadt, heute Hauptstadt des Burgenlandes in Österreich; zum andern Esterház, ein idyllisches
Fleckchen in der Nähe des Neusiedlersees. Und da Komponisten seit jeher begierig auf fremde,
exotische Musiksprachen waren, so wie Mozart auf die türkische Janitscharenmusik, fand auch
Haydn hier die seine: das Ongarese oder Zingarese, die authentische Kunstmusik der Zigeuner.
MUSIK: HAYDN, RONDO ALL'ONGARESE (AUS KONZERT D-DUR); TRACK 1 (4:15)
Das Rondo all'Ongarese aus Joseph Haydns Klavierkonzert D-dur von etwa 1780, ein Beweis dafür,
dass der fast zeitlebens im Ungarischen lebende und arbeitende Komponist alle „Tricks“ eines
Zigeunerprimas beherrschte: die hypnotischen Wiederholungen, die Trillerketten aus Moll, die
Synkopen und zupackenden Vorhalte … Paul Gulda und eine kleine Gruppe von
Instrumentalsolisten spielten.
Wer jetzt aber glaubt, der ungarische Tonfall in Haydns Werken habe vor allem mit schnellen,
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fetzenden Sätzen zu tun, also vorzugsweise Presti oder wenigstens Allegri, sozusagen die CsardasGulyas-Kanone des zigeunerischen Klischees, der irrt gewaltig. Es gibt ein Klaviertrio As-dur,
dessen Adagio eine ungemein tiefsinnige Betrachtung über dieses Idiom ist, zu Beginn aufgelöst in
(fast nur) Streicherfiguren, dann sinniert das Klavier zu sparsamen Pizzicati der Streicher, als würde
es den Gesang der Puszta nachahmen wollen – rhapsodisch, nachdenklich, frei in der Bewegung,
obwohl natürlich alles exakt notiert ist, quasi eine auskomponierte Kadenz. Bevor dann wieder das
Material „wohlanständig“ im Streicherkontext verarbeitet wird. Es ist dies eine der erstaunlichsten
Haydn-Kompositionen überhaupt; etwas, das über Carl Philipp Emanuel Bachs „empfindsames“
Gefühls-Auf-und-Ab weit hinausgeht, aber letztlich auch nicht mit Begriffen wie „Klassizität“ zu
fassen ist. Es ist vielmehr Musik auf dem Wege zu ihrem Ursprung: der Improvisation.
MUSIK: HAYDN, ADAGIO (AUS TRIO AS-DUR), TRACK 9 (6:29)
Haydn, das Adagio aus dem As-dur-Trio, das in der seltenen Tonart regelrecht über das
„Zigeuneridiom“ meditiert und sinniert. Paul Gulda, Alexander Hohenthal und Margarethe Deppe
spielten.
Vergleichbar mit Clara Schumann im 19. Jahrhundert, war die berühmteste Pianistin des
achtzehnten zwischen Wien und Paris die Tochter eines Wiener Hofbeamten, Maria Theresia
Paradis. Und wie Clara komponierte und sang sie auch. Allerdings war sie nie verheiratet, und noch
etwas unterschied sie von Frau Schumann: Sie war von ihrem dritten Lebensjahr an blind. Das
jedoch hielt sie nicht davon ab, Kompositionsaufträge zu vergeben – an ihren früheren Klavierlehrer
Leopold Kozeluch, aber auch mindestens zweimal an Joseph Haydn und an dessen jüngeren
Kollegen Mozart. Die neuen Werke ließ sie sich dann ein paarmal vorspielen, das reichte ihr, lange
Zeit lernte sie die Noten nur über das Gehör. Und gehört wurden sie dann auch, wenn Mlle. Paradis
sie in einem ihrer zahlreichen populären Konzerte aufs Programm setzte. Als Haydn ihr sein G-durund sein D-dur-Konzert zugeeignet hatte, war Cramers „Magazin der Musik“, ein Fachblatt jener
Tage, vergleichbar vielleicht dem „Fono Forum“ heute, erst einmal skeptisch: „Nicht alles was unter
diesem Namen erscheinet rührt wohl von Haydn. In diesen beiden Concerten entdecken wir Spuren
von Haydn's Styl, aber wir wagen nicht zu attestiren, das Gantze sey sein Werk. Dieserhalb wollen
wir keines Weges behaupten, diese Concerte seyen misslungen; sie sind vielmehr vortrefflich
componiret, erscheinen auch von dem allerneusten Zuschnitte, aber doch mehr gefertigt zum Gusto
gantz bestimmter Liebhaber.“ Will wohl heißen: Sie gingen über den Horizont der wackeren
Rezensenten beim „Magazin der Musik“ hinaus. Ich möchte jetzt wie schon in den
voraufgegangenen Sendungen zwei der drei Sätze des D-dur-Konzertes, ein Vivace und ein Poco
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Adagio, von zwei verschiedenen Pianisten spielen lassen, das finale Rondo all'Ongarese haben wir
ja bereits von Paul Gulda gehört. Beginnen wir daher mit dem ewig jungen Russen Jewgenij Kissin,
der natürlich einen modernen Konzertflügel spielt. Begleitet wird er von den Moskauer Virtuosen
unter Leitung von Vladimir Spivakov.
MUSIK: HAYDN, KONZERT D-DUR (VIVACE), CD 1, TRACK 8 (7:48)
Jewgenij Kissin und die Moskauer Virtuosen mit dem Kopfsatz, einem Vivace, des D-dur-Konzertes
von Joseph Haydn, komponiert um 1780 herum. Es wurde eines der Paradestücke der blinden
Klaviervirtuosin der Haydnzeit, der Wienerin Maria Theresia Paradis.
Den langsamen Satz dieses Konzerts, Un poco Adagio überschrieben, stellen wir uns von Frau
Paradis besonders eindringlich gespielt vor. Ihre Blindheit seit dem dritten Lebensjahr war
vermutlich eh ein Ausdruck ihrer sensiblen Seele, war also psychosomatisch. Der Vater, ein Wiener
Hofbeamter, triezte die Tochter – ein Einzelkind – in jeder freien Minute. Ein Wunderkind wollte er
in die Welt gesetzt haben, das es mit den Größten aufnähme. Später traf Paradis den Arzt und
„Magnetheiler“ Franz Anton Mesmer, dessen Geliebte sie wurde und der es schaffte, sie partiell
wieder sehend zu machen. Da er aber in Wien als „Scharlatan“ galt, zwang der alte Paradis seine
Tochter, Mesmer zu verlassen – woraufhin die wieder ihr Augenlicht verlor, diesmal für immer.
Wenn das kein Indiz ist! Aber sie soll, in ihrer lichtlosen Welt, wunderbar innig Klavier gespielt
haben. Über diesen langsamen Haydn-Satz, Un poco Adagio, schreibt H. C. Robbins Landon: „(Er
ist) besonders schön, und während er die Bläser beibehält (eine Seltenheit damals, in Werken dieser
Art, auch bei Haydn), erklimmt er Höhen der Poesie in diesen durchbrochenen Sextolen-Ketten zu
lang ausgehaltener Begleitung der Streicher … Diese erstaunliche Passage (…) kehrt wieder in
Durchführung und Reprise, und nach der Kadenz gibt es einen gewaltigen Orgelpunkt in den
Hörnern, der bis zum piano abfällt und den Schluss dieses originellen und tiefempfundenen Satzes
markiert.“ Ich habe eine period-style-Aufnahme für sie ausgesucht, Jos van Immerseel leitet vom
Fortepiano aus sein Ensemble Anima Eterna. Und genau so könnte es geklungen haben, so sensibel
und zart, als die blinde Maria Theresia Paradis dieses Stück spielte, im Wien oder Paris des 18.
Jahrhunderts …
MUSIK: HAYDN, KONZERT D-DUR (UN POCO ADAGIO), TRACK 6 (7:11)
Hat er so geklungen in den Achtzigerjahren des 18. Jahrhunderts, der langsame Satz des D-durKonzertes von Joseph Haydn, etwa wenn Maria Theresia Paradis ihn spielte? Wir wissen es nicht
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und werden es nie erfahren; deshalb wissen wir diese Annäherung durch Jos van Immerseel und
sein Ensemble Anima Eterna zu schätzen.
Das Klaviertrio ist eine der instabilsten Verbindungen in der Kammermusik, ständig gibt es
Balanceprobleme zwischen den beiden Streichern und dem „Schlagzeug“ Klavier. Trotzdem hat
Haydn davon annähernd so viele komponiert wie von der stabilsten, dem Streichquartett. Und
manchmal in den abenteuerlichsten Tonarten, etwa As-dur oder fis-moll. Allerdings unterscheiden
sich die frühen doch gewaltig von den späteren; zwar verläuft hier die Cellostimme (und oft auch
die Violine) immer noch mit der linken Hand des Pianisten, aber mehr und mehr wird’s ein echtes
Gewebe, kommen auch kontrapunktische Elemente ins Spiel, wird aus der „Klaviersonate mit
Generalbass und Begleitung der Violine“ ein echtes Musizieren, wie wir's beim Streichquartett
längst haben. Mehr und mehr werden auch die Balanceprobleme ausgestellt, indem um sie
gekämpft wird. Auch hier führt der Weg eigentlich, unter Umgehung Mozarts, direkt zum jungen
Beethoven.
Am weitesten in diese Richtung bewegt sich das Es-dur-Trio Hob.XV:30. Es ist das letzte Werk
Haydns in dieser schwierigen Disziplin, aber er lässt sich gerade hierin nichts anmerken: Der erste
Satz, ein Allegro moderato, ist einer der heitersten, gelöstesten, im klassischen Sinne serensten, also
ganz und gar mit sich im Reinen. Wie ein Bauchladenverkäufer breitet der Komponist eine
geradezu verschwenderische Fülle von Themen aus, als wolle er sagen: Woher das kommt, gäbe es
noch viel, viel mehr, aber ich will ja nicht die Form sprengen! Ich selbst, also Thomas Rübenacker,
hatte in meiner Jugend das Vergnügen, dieses Es-dur-Trio zu spielen, die Cellostimme, die gar nicht
so schwer ist, mit meiner Schwester im schon schwierigeren Geigenpart und meinem Vater am
Klavier, der gottlob Pianist war, denn der Klavierpart ist immer noch der anspruchsvollste. Aber
obwohl dem Cello nicht allzuviel abverlangt wird, entsteht doch ein ganz herrlicher Mischklang, an
dem jeder der drei Spieler in gleichem Maße beteiligt scheint. Es bleibt das Geheimnis des
Komponisten, wie er das schaffte, obwohl er doch ganz offensichtlich für drei unterschiedlich
begabte Instrumentalisten schrieb. In der folgenden Aufnahme sind das allerdings die kongenialen
Drei des Hamburger Fontenay Trios, Wolf Harden, Michael Mücke und Niklas Schmidt.
MUSIK: HAYDN, KLAVIERTRIO ES-DUR, TRACK 10 (9:28)
Joseph Haydn, Klaviertrio Es-dur Hob.XV:30, der Kopfsatz, ein Allegro moderato, mit dem Trio
Fontenay.
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Haydn liebte das Klaviertrio so sehr, dass er es auch zur Begleitung von weit über hundert
schottischen Volksliedern heranzog. Und das kam so. 1791, als der Komponist auf Einladung des
Impresarios Johann Peter Salomon in London weilte, erfuhr er vom Bankrott des
Musikalienhändlers William Napier, der schottische Volkslieder, wie sie in ganz Großbritannien
populär waren, in leider völlig unzureichenden Bearbeitungen veröffentlichen wollte. Das dauerte
Haydn, wie wir in Griesingers „Biographischen Notizen“ lesen: „(Napier), ein englischer
Musikhändler, hatte zwölf Kinder und sollte schuldenhalber in Arrest kommen. Haydn richtete für
ihn ein volles Hundert schottischer Lieder auf moderne Art, in Begleitung eines Basses und einer
Violine ein. Diese Lieder fanden so guten Absatz, dass (Napier) aus seiner Geldverlegenheit
gerissen wurde.“ Griesinger denkt hier noch ganz: barocke Triosonate, „in Begleitung eines Basses
und einer Violine“ nämlich heißt: „mit Klavier und Cello sowie Violine“, also mit Klaviertrio. Ich
habe eines der – für Haydn – weniger charakteristischen Lieder für Sie ausgewählt, „The Blossom
of the Thorns“, eine sehr melancholische Klage über das Verwehen des Sommers, ein Herbstgedicht
also – das aber natürlich mit dem damaligen Lebensherbst des Komponisten korrespondierte. James
Taylor singt, das Münchner Klaviertrio begleitet ihn.
MUSIK: HAYDN, BLODAU'R DRAIN, TRACK 20 (3:01; ACHTUNG! BEI BEDARF
BITTE AUF ZEIT FAHREN!)
Absage:
Das war … Zuletzt hörten Sie das schottische Volkslied „Das Sprießen der Dornen“ in der
Bearbeitung Haydns für Singstimme und Klaviertrio, mit James Taylor und dem Münchner
Klaviertrio.
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MUSIKLAUFPLAN
1) HAYDN ALLA ZINGARESE; Paul Gulda u. a.; Musica classic 780014-2 (KEIN LC!)
2) HAYDN, Klavierkonzert D-dur Hob.XVIII:11; Kissin, Moscow Virtuosi, Spivakov;
RCA/BMG RD60567 (LC 0316)
3) HAYDN, Klavierkonzert D-dur (Un poco adagio); van Immerseel, Anima Eterna; Zig-Zag
Territoires 040203 (KEIN LC!)
4) HAYDN, Klaviertrio Es-dur Hob.XV:30; Trio Fontenay; Teldec 0630-15857-2 (LC 6019)
5) HAYDN, The Blossom of the Thorns; James Taylor, Münchner Klaviertrio; Orfeo 117 051
(LC 8175)
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