AUSLAND Endlich Estlands Präsident Neue politische Kräfte in der

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Fahne: 028
Teil: 02
Farbe: AlleFarben
Ausgabe: 27.09.01
Tag:27.09.01
02:24:53
Abs.:
Auftrag:
nzz
Kurztext:011 Ausland
Späte Anerkennung der algerischen Hilfstruppen
Erstmals seit dem Ende des Algerienkriegs hat Frankreich offiziell in einem Staatsakt
Rolle und Leistung seiner einstigen algerischen Hilfstruppen, der Harkis, gewürdigt.
Diese waren nach dem Waffenstillstand zu Zehntausenden umgebracht worden.
Ch.#M. Paris,
25.#September
Fast vierzig Jahre
nach dem Ende des
Algerienkriegs
hat
Frankreich am Dienstag erstmals offiziell
die einstige Rolle der
Harkis
genannten
Hilfstruppen nordafrikanischer Abstammung
und ihren Einsatz an
der Seite der französischen Streitkräfte gewürdigt. «Honneur aux
harkis!», rief Präsident
Chirac in einer feierlichen Ansprache im
Innenhof des Invalidendoms aus, wo über
hundert Veteranen angetreten waren, um
dann durch den Staatschef zum Dank für ihre
Treue und Opfer mit
der Ehrenlegion und
weiteren Orden ausgezeichnet zu werden.
Bunt uniformierte Detachemente ihrer einstigen Regimenter der
Spahis oder Zouaven
waren zur Zeremonie
aufmarschiert.
Tod und Vergessen
Aufbegehren
Seit ein paar Jahren veranstalteten Angehörige
vor allem der zweiten Generation Protestkundgebungen und Hungerstreiks, um auf das Los der
missachteten Harkis aufmerksam zu machen. Im
Innenhof des Invalidendoms enthüllte nun Präsident Chirac eine Gedenktafel mit einer Inschrift,
die den Text eines Parlamentsbeschlusses von
1994 wiedergibt, der den Dank Frankreichs an die
ehemaligen Hilfstruppen aussprach. Im Februar
dieses Jahres ordnete Chirac die einmalige Abhaltung des jetzigen nationalen Gedenktages an, in
dessen Rahmen an unzähligen weiteren Orten in
Frankreich ebenfalls Zeremonien stattfanden.
Ende letzten Monats erhoben neun Harkis-Veteranen Klage vor einem Gericht in Paris wegen
Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Zu einer
gleichen Demarche kam es vergangene Woche in
Marseille. Den Klägern geht es vor allem um eine
Ermittlungen wegen
Scharpings Flügen eingestellt
AU S LAND
Ehrung der Harkis in Frankreich
Vor dem Hintergrund neuer Herausforderungen durch islamistischen Terrorismus
kam diesem seit längerem
vorbereiteten
Staatsakt für französische Bürger muslimischen Glaubens jetzt
eine unvorhergesehene Präsident Chirac (Mitte
Bedeutung zu. Als
Frankreich 1962 nach dem Waffenstillstand von
Evian Algerien rasch zu räumen begann, blieb die
Mehrzahl der Harkis entwaffnet zurück und
wurde Opfer schrecklicher Massaker durch den
FLN. Wie viel genau der Rache der Sieger anheim fielen, weiss niemand – die Schätzungen
oszillieren zwischen 50000 und 150000 hingeschlachteten algerischen Hilfstruppen der Franzosen. Nur etwa 50000 gelang im Zuge der Auflösung der französischen Herrschaft in Nordafrika
die Flucht nach Frankreich. Zuweilen handelten
französische Offiziere aus Loyalität gegenüber
ihren Harkis gegen ausdrückliche Befehle und
verhalfen ihnen zur Evakuation. In Frankreich
wurden die Hilfssoldaten, welche bis heute vom
Regime in Algerien als Kollaborationisten und
schändliche Handlanger der Kolonialherren geächtet werden, zumeist in Auffanglagern zusammengepfercht. Viele fristeten dort ein kümmerliches Dasein, teilweise noch während Jahrzehnten,
und fielen dem Vergessen anheim. In den siebziger Jahren kam es zu Revolten in den Lagern.
Mittlerweile zählt diese Minderheit mitsamt
Nachkommenschaft ungefähr 400000 Personen,
die allesamt französische Staatsbürger sind.
Berlin, 26.#Sept. (Reuters) Die Berliner Staatsanwaltschaft hat ihre Ermittlungen gegen den
deutschen Verteidigungsminister Rudolf Scharping wegen seiner umstrittenen Mallorca-Flüge
mit der Bundeswehr eingestellt. Es seien keine
Anhaltspunkte für eine Straftat festgestellt worden, teilte eine Sprecherin am Mittwoch mit. Die
Anzeigen wegen unerlaubter Bundeswehr-Flugeinsätze seien rein spekulativer Natur. Scharping
habe ausserdem die dienstlichen Anlässe der
Flüge gegenüber dem Verteidigungsausschuss des
Bundestages belegt.
NeuöZürcörZäitung
vorn) zeichnet algerische Kämpfer aus. (Bild key)
symbolische Anerkennung des ihnen widerfahrenen Unrechts und der Tatsache, dass sie Frankreich fallen liess.
Der Parteichef der Liberaldemokraten, Madelin, kritisierte nun, dass Chirac bei aller Ehrbezeugung gegenüber den ehemaligen Waffenbrüdern
nicht auch Frankreichs Mitverantwortung für das
traurige Los der Harkis in den vom FLN verübten
Massakern anerkannt habe. Bei einem anschliessenden Empfang im Elysée für die mit Orden
ausgezeichneten Harkis erklärte der Präsident
dann immerhin, dass die Massaker, die Frankreich nicht zu verhindern verstanden habe, eine
unauslöschliche Spur der Barbarei hinterlassen
Donnerstag, 27.September 2001 Nr.22411
Arnold Rüütel
Endlich Estlands Präsident
Mt. (Stockholm) Drei Anläufe hat der estnische
Veteran Arnold Rüütel gebraucht, um Präsident
seines Landes zu werden. Bereits zweimal, 1992
und 1996, war er gegen den populären Lennart
Meri gescheitert, aber am vergangenen Freitag
schaffte es der 73-jährige Politiker endlich doch
noch, zum Staatschef gewählt zu werden. Damit
erhält ausgerechnet das für seine radikalen marktwirtschaftlichen Reformen bekannte Estland im
Oktober einen einstigen Kommunisten als Staatsoberhaupt. Der Kontrast zwischen Rüütel und
dem ungefähr gleichaltrigen Vorgänger Meri
könnte nicht grösser sein. Während Rüütel in der
Sowjetzeit Präsident des Obersten Sowjets der
Estnischen Republik war, arbeitete Meri als
Filmemacher und Autor und kam dabei immer
wieder mit dem Regime in Konflikt. Rüütel gilt
als ausgleichende und zurückhaltende Persönlichkeit, wogegen Meri Konfrontationen nie scheute
und als Präsident durch seinen scharfzüngigen
Humor im In- und Ausland ein hohes Profil erwerben konnte.
Meri, der in diesem Jahr nicht mehr antreten
durfte, sprach sich im Wahlkampf sogar indirekt
gegen seinen alten Rivalen aus, indem er die Meinung vertrat, dass die politische Vergangenheit
der Kandidaten bei der Wahl berücksichtigt werden sollte. Dass Rüütel schliesslich siegreich aus
der Ausmarchung hervorging (die durch ein
Wahlgremium von 367 Wahlpersonen entschieden wurde), kann aber nicht als Rückfall des Landes in die achtziger Jahre interpretiert werden.
Kommunisten im alten Sinn gibt es in Estland
nämlich kaum noch. Zudem spielte Rüütel eine
wichtige Rolle für die Loslösung Estlands von der
Sowjetunion. Er gehörte zwar nicht zu den Revolutionären der Volksfront, aber er befürwortete
selbst als führender Kommunist die Selbständigkeit und trug mit seinen Kontakten zum Kreml zu
einer Entspannung der Verhältnisse mit Moskau
bei. Estland habe damals beide Arten von Politikern gebraucht, sagt ein Kommentator jetzt – sowohl die Revolutionäre vom Schlag eines Savisaar
wie auch die Vertreter des alten Regimes, die den
Neuerungen nicht ablehnend gegenüber standen.
Anstand und Ehrlichkeit sind zwei Attribute,
die ihm die Öffentlichkeit seit damals zuschreibt.
Rüütels Wahlsieg ist aber nicht nur Ausdruck dieses Vertrauens, sondern auch ein Zeichen der Unzufriedenheit bei jenen, die vom Systemwechsel
nicht profitierten. Unter der ländlichen Bevölkerung, die eine Verschlechterung der Lebensbedingungen hinzunehmen hatte, geniesst Rüütel als
ehemaliger Agronom viel Unterstützung. Dies erwies sich als enormer Vorteil, denn im Wahlgremium waren die ländlichen Regionen gegenüber den Städten stark übervertreten.
Wahrscheinlich hätte es aber noch immer nicht
für einen Sieg gereicht, wenn die Parteien der
regierenden Mitte-Rechts-Koalition nicht so heil-
los zerstritten gewesen wären. Bis zuletzt konnten
sich die Liberalen und die konservative Partei
«Pro Patria» nämlich nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen. Nicht einmal im letzten
Wahlgang, als der konservative Kandidat Peeter
Tulviste bereits aus dem Rennen war, stellten sich
die Konservativen einheitlich hinter den liberalen
Parlamentspräsidenten Toomas Savi, als dieser
gegen Rüütel antreten musste. Offensichtlich spe-
hätten. Den nach Frankreich geflohenen Harkis
und ihren Familien sei ein Leben in schwierigen
Umständen zugemutet worden, und nun gelte es,
zumindest einen Teil der ihnen gegenüber begangenen Fehler auszugleichen.
Widerstand angemeldet hatte, scheint innerhalb
der Regierung ein Kompromiss zustande gekommen zu sein. Dass die SDL, sonst das linke
Enfant terrible der Koalition, zurückhaltender geworden ist, hat nach Meinungen in Bratislava
auch mit dem Konkurs der Devin Bank zu tun,
eines Geldinstituts, das als die Hausbank der
SDL und ihres unternehmerischen Umfelds galt.
Neue politische Kräfte in der Slowakei
Fortbestand der Koalition nach überwundener Krise
Die vielfarbige und darum oft Spannungen ausgesetzte slowakische Regierungskoalition wird, nachdem eine Krise wegen der Regionalisierung hat bewältigt werden können, ihre noch ein Jahr dauernde Amtszeit wohl zu Ende führen. Der Auftritt neuer
Parteien kompliziert Überlegungen darüber, wie es im Land danach weitergehen soll.
A.#O. Bratislava, im September
Alle auf Regierungsseite geben sich überzeugt:
Nach der Überwindung der in den Sommermonaten ausgebrochenen Krise wird nun die Koalition
die ihr bis zu den nächsten Wahlen verbleibenden
zwölf Monate geeint überstehen. Die Gefahr,
dass ein Partner, diesmal die Partei der ungarischen Minderheit (MKP), die Regierung verlassen könnte, war wegen der Reform der Regionalverwaltung ausgebrochen. Die MKP empfand sowohl die Abgrenzung der Verwaltungseinheiten
als auch Bestimmungen über deren politische
Funktionsweise als gegen sich gerichtet. Nach langem Zögern machte sie ihre weitere Zugehörigkeit
zur Regierungskoalition davon abhängig, ob das
Parlament die Kompetenzen und die finanzielle
Grundlage der neuen regionalen Selbstverwaltungen bis Ende September regelt. Bereits nach der
fristgerechten Verabschiedung des Gesetzes über
die Befugnisse der Regionen teilte dann die MKP
mit, dass sie in der Regierung verbleibt.
Das Reformwerk als Hauptziel
Der MKP, in deren Führung wegen des angedrohten Austritts auch Gegensätze bestanden,
wurde allgemein zugute gehalten, dass sich die
von ihr gestellte letzte Bedingung darauf gerichtet
hatte, dem Reformwerk zum zügigen Durchbruch
zu verhelfen, und nicht auf ein spezifisches Anliegen der magyarischen Minderheit. Die Schaffung
von Regionen war eine dringende Forderung der
EU und damit unerlässlich für die Stärkung der
slowakischen Position bei den Beitrittsverhandlungen. Die Haltung der MKP scheint eine gewisse Anerkennung gefunden zu haben. Die
Werte der Partei in den Meinungsumfragen zei-
gen zurzeit eine leicht erhöhte Tendenz und übersteigen bemerkenswerterweise den zehn- bis elfprozentigen Anteil der ethnischen Ungarn an der
Gesamtbevölkerung. Politiker des Regierungslagers verweisen gleichzeitig allerdings auf ihre
schwierige Position während der Krise, da sie sich
in der Öffentlichkeit mit der häufigen Forderung
konfrontiert sahen, der «Erpressung der Ungarn»
nicht nachzugeben.
Gestärkt wird der Zusammenhalt der regierenden Koalition auf paradoxe Art durch die Schwäche jedes einzelnen ihrer Mitglieder. Die von
Ministerpräsident Dzurinda geführte Demokratische Union (SDKU) steckt in einem Popularitätstief. Die SDKU hätte nach der ursprünglichen
Vorstellung in neuer Form die Christlichdemokraten und die Liberalen einen und eine Sammelbewegung ergeben müssen, mit der Dzurinda die
Wahlen von 2002 zu gewinnen gedachte. Es
scheint aber anders zu kommen. Die ebenfalls zur
Regierung gehörende, aber schmollend abseits
stehende Christlichdemokratische Bewegung
(KDH), die 1998 noch zur bürgerlichen Einheitsfront gehört hatte, gab nun bekannt, dass sie bei
den Wahlen nächstes Jahr allein antreten wird;
sie bestätigte damit die endgültige Spaltung der
Christlichdemokraten. Signale, welche die KDH
und Meciar, der Führer der Opposition, austauschen, sorgen für weitere Unruhe.
Unter den Linkskräften, die zur Regierung gehören, droht die einst vom heutigen Präsidenten
der Republik, Schuster, ins Leben gerufene Partei
der bürgerlichen Verständigung ganz zu verschwinden, während die Demokratische Linke
(SDL) ums politische Überleben kämpft. In der
Frage von Steuersenkungen, bei der die SDL
Bild ap
kulierten einige Wahlpersonen darauf, dass Rüütel das absolute Mehr nicht erreichen werde, worauf die Aufgabe, den Präsidenten zu bestimmen,
wieder an das Parlament übertragen worden wäre.
Eine politische Einschätzung Rüütels fällt den
Kommentatoren heute nicht leicht. Zum einen hat
Rüütel nämlich keine wirklich bedeutende Rolle
für die Politik der neunziger Jahre gespielt. Obwohl seine Partei Mitte der letzten Dekade der
Regierungskoalition unter Tiit Vähi angehörte,
bekleidete Rüütel zum Beispiel nie ein Ministeramt. Zum anderen waren die von ihm ausgesandten Signale in den letzten Monaten widersprüchlich. So erklärte er zwar nach seiner Wahl, dass er
die aussenpolitischen Ziele eines Beitritts zu EU
und Nato unterstütze, aber zu Beginn des Wahlkampfs war er immer wieder durch europaskeptische Äusserungen aufgefallen. Eine Änderung des
politischen Kurses von Estland ist aber ohnehin
nicht zu erwarten, denn dazu sind die Befugnisse
des Präsidenten viel zu begrenzt.
Unbekannte Faktoren
Während die Regierungskoalition kränkelt,
bleibt der frühere Ministerpräsident Meciar nach
wie vor der populärste Politiker im Land, und
ebenso behauptet seine Partei, die Bewegung für
eine demokratische Slowakei (HZDS), in den
Umfragen mit Abstand den ersten Platz. Der in
den letzten Monaten von EU-Ländern und auch
den Vereinigten Staaten in Bratislava ausgeübte
Druck, die Koalition beisammenzuhalten, bestätigt allerdings, dass man im Westen kein kurzes
Gedächtnis hat und nicht zuletzt im Hinblick auf
die Chancen des slowakischen Nato- und EUKandidaten vermeiden will, dass der Autokrat
Meciar an die Macht zurückkehrt. Manche Kommentatoren meinen indessen, Meciar strebe das
Amt des Regierungschefs nicht mehr an, sondern
rechne sich eher Chancen aus, 2004 zum Staatspräsidenten gewählt zu werden.
Bleibt es bei der Grössenordnung der seit einiger Zeit ziemlich stabil ausgewiesenen Kräfteverhältnisse, dann wird die Entscheidung über die
Regierungsbildung von zwei neugebildeten Parteien abhängen. Beide Kräfte, die vom jungen
SDL-Dissidenten Robert Fico gegründete Smer
(Richtung) und die von Pavol Rusko geschaffene
Formation Ano (Ja), sind populistische und darum populäre, schwer bestimmbare, letztlich in der
linken Mitte stehende Parteien. Namentlich Ficos
Smer scheint sich dank dem unbestreitbaren Geschick ihres Führers zu einer bestimmenden Kraft
zu entwickeln, und hier und dort schliesst man
auch nicht mehr aus, dass der nächste Ministerpräsident der Slowakei Fico heissen wird. Zu
rechnen ist auch mit der Partei Ano, da deren
Chef Mitbesitzer der beliebten Fernsehstation
Markiza ist und sich vom eigenen Sender kräftig
unterstützen lässt. Fico, der in Westeuropa politische Kontakte unterhält, scheint sich über die ausländische Einschätzung Meciars im Klaren zu
sein und hat mehrmals schon erklärt, dass er zwar
zu einer Zusammenarbeit mit der HZDS, nicht
aber mit deren Vorsitzenden bereit wäre. Die
Frage bleibt, ob es eine HZDS ohne Meciar überhaupt geben kann.
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