LÄNDERBERICHT Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. ITALIEN Parteikongress der italienischen Christdemokraten in Chianciano MARKUS GOLLER September 2010 www.kas.de www.kas.de/italien UDC möchte deutsches Wahlsystem in Italien einführen Die christdemokratische Partei „Unione Schulung von politischem Nachwuchs di Centro“ (UDC – Einheit des Zent- Die UDC hat am 9. September, einen Tag rums) hat vom 10. bis 12. September vor Beginn des Parteikongresses, ihre neue auf einem dreitätigen Parteikongress in Schule zur Ausbildung von jungen Partei- Chianciano die Diskussion um eine in- funktionären vorgestellt. Ziel dieses Projek- haltliche Partei tes sei – so Anna Paola Sabatini, Verant- Christdemokraten wortliche für die Parteischule – einen Bei- sprachen dabei in einem offenen Dialog trag für die Veränderung der politischen mit Vertretern anderer Parteien, der Kultur des Landes zu leisten. Diese müsse Zivilgesellschaft und der Universitäten sich wieder stärker an Themen und weniger über denen an Personen orientieren. Gleichzeitig sollten sich Italien heute gegenübersieht und die jungen UDC-Funktionäre in wichtigen über Lösungskonzepte zu deren Über- Themenbereichen wie Integration, Bioethik, windung. Der Kongress stellte einen Familienpolitik und Reform des Schulsys- Erfolg für die UDC dar, der Reformpro- tems inhaltlich geschult werden. Aber auch zess „Verso il partito della Nazione“ praktische Kenntnisse, wie etwa effektive (Hin zur Partei der Nation), der im Mai Medienarbeit, sollten durch die neue Schule dieses Jahres in Todi begonnen worden vermittelt werden. Der Schulungstag in Chi- war (die KAS berichtete), konnte er- anciano bilde den Auftakt für eine Reihe von folgreich fortgeführt und konkretisiert Bildungsseminaren im gesamten Land. Neuausrichtung fortgesetzt. die Die der Herausforderungen, werden. Rocco Buttiglione und Pier Ferdinando Casini hoben in ihren Grußworten an die Jugendlichen die Bedeutung einer festen Wertebasis Zielsetzung für junge Politiker hervor und betonten, Der Parteikongress von Chianciano stand dass die UDC mit einer neuen Parteischule unter dem Motto „Ricostruiamo l’Italia. 1. gezielt in den politischen Nachwuchs des Laboratorio delle idee“ (Wir bauen Italien Landes investieren möchte. Casini unter- wieder auf. 1. Laboratorium der Ideen). In strich, dass die Parteischule der UDC auch diesem Sinne sollten Ideen für die neue Par- der Intensivierung des Dialogs zwischen der tei, welche die UDC gründen möchte, ge- Jugendorganisation sammelt werden. Antonio De Poli, Abgeord- Mandataren dienen sollte. und den politischen neter der UDC und Organisator des Kongresses von Chianciano, betonte, dass so- Im wohl über die politische Orientierung wie sechs runde Tische Anschluss wurden teilweise parallel auch über inhaltliche Vorschläge mit der sche Kommunikation, Familienpolitik in den Parteibasis, Vertretern der Zivilgesellschaft Kommunen, Bioethik, Reform des Wahlsys- und Politikern anderer Parteien offen disku- tems, Föderalismus und Selektion von poli- tiert werde. Die Ergebnisse des Kongresses tischem Nachwuchs durchgeführt. Die Mo- sollten in das Programm der neuen Partei deration übernahm dabei jeweils ein Parla- mit einfließen. mentarier der UDC, die übrigen Teilnehmer zu den Themen Politi- 2 waren Vertreter der Zivilgesellschaft (Ärzte, dass weder die UDC noch Teile der Partei Unternehmer, Anwälte, Journalisten) und über einen Eintritt in die Regierung nach- ITALIEN Politiker anderer Parteien. Die jungen Zuhö- dächten. Solange Ministerpräsident Berlus- MARKUS GOLLER rer der Diskussionsrunden – insgesamt wa- coni nicht ein neues politisches Konzept ren rund 350 junge UDC-Funktionäre anwe- präsentiere, in dem sich die UDC wiederfin- send – hatten auch die Möglichkeit, den Re- den könne, sei eine Regierungsbeteiligung ferenten Fragen zu stellen und ihre persön- völlig unmöglich. Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. September 2010 www.kas.de lichen Ansichten einzubringen. Am Ende des www.kas.de/italien Tages wurden den jungen Funktionären die Wie Cesa kritisierten auch Dario Franceschi- Diplome für die Teilnahme überreicht. ni (PD) und der ehemalige Ministerpräsident Ciriaco De Mita (UDC) die Situation des ita- Lorenzo Cesa: Überwindung des Bipola- lienischen Parteiensystems. Seit sechzehn rismus als Ziel Jahren, so Franceschini, befinde sich Italien Der erste Tag des Parteikongresses stand in einer Transitionsphase. Diese führe weg unter dem Motto „Italien von der Ersten Re- von der Ersten Republik, habe jedoch noch publik zum Bipolarismus: Radiografie einer keinen Endpunkt gefunden. Stattdessen er- Krise“. Lorenzo Cesa, Generalsekretär der lebe das Land eine Dauerkrise, welche ins- UDC, ging in seinem Eröffnungsreferat auf besondere der italienischen Wirtschaft und die Haltung der UDC zu den beiden Groß- den Bürgern des Landes schade. De Mita parteien PDL und PD ein. Dabei betonte er, ging gar noch weiter und erklärte, dass der dass die UDC aktuell mit keiner der beiden Bipolarismus grausam sei und den demo- großen Parteien zusammenarbeiten werde. kratischen Prinzipien widerspreche. Die PDL von Ministerpräsident Silvio Berlusconi mache sich derzeit von der Lega Nord Reform des Wahlgesetzes und die PD des Oppositionsführers Pier Luigi Zahlreiche Redner übten heftige Kritik am Bersani von der Bewegung „Italia dei Valori“ italienischen Wahlsystem.1 Dieses habe – so abhängig. Mit den Äußerungen dieser ext- etwa Ciriaco De Mita – ein bipolares Partei- remistischen Parteien habe die Politik der ensystem erzwungen, die Mitbestimmung UDC und deren Ziele nichts zu tun. Die UDC der Bürger eingeschränkt und das politische stehe für eine gemäßigte Politik, die am System Italiens weiter destabilisiert. Das Gemeinwohl interessiert sei und auf christli- geltende Wahlgesetz müsse endlich refor- chen Werten aufbaue. Somit sei es das Ziel miert werden, so der Grundtenor. Dabei der UDC das bipolare Parteiensystem, wel- sprachen sich hochrangige Vertreter der ches Italien nicht die nötigen Reformen ge- Partei, wie Pier Ferdinando Casini, Rocco bracht habe, zu überwinden. Die Christde- Buttiglione oder Lorenzo Cesa, einhellig für mokraten möchten einen dritten Pol bilden, die Einführung des deutschen Wahlsystems der sich das Gemeinwohl des Landes zum – der personalisierten Verhältniswahl – aus. Ziel setze. Mit großem Interesse betrachte Casini betonte, dass das deutsche Wahlsys- die UDC aus diesem Grund die Entscheidun- tem ein idealer Kompromiss zwischen den gen von Gianfranco Fini und Francesco Rut- Prinzipien „politische Vertretung der Bevöl- elli, welche die großen Parteien verlassen kerung“ und hätten, um ein neues politisches Projekt darstelle. Aus diesem Grund werde er einen entstehen zu lassen. Im Übrigen bestehe – Gesetzesentwurf zur Einführung dieses Sys- so Cesa – bereits ein dritter Pol, wenn man tems im Parlament einbringen. „Regierbarkeit des Landes“ bedenke, dass bei den letzten Wahlen insgesamt 35 Prozent der Wähler nicht einer Francesco Rutelli, vormals Mitglied der PD der beiden großen Parteien ihre Stimme ge- und nun Vorsitzender der neuen politischen geben hatten. Die aktuelle Krise sowohl des Bewegung „Alleanza per l’Italia“ (API – Alli- Mitte-Rechts- wie auch des Mitte-Links- anz für Italien), unterstützte in seinem Vor- Lagers zeige im Übrigen, dass die UDC mit trag den Vorschlag von Pier Ferdinando Ca- ihrer Vorgehensweise und ihrer skeptischen Haltung gegenüber dem bipolaren Parteiensystem völlig richtig gelegen sei. Cesa unterstrich in seinem Referat auch mehrmals, 1 Das aktuelle italienische Wahlgesetz aus dem Jahr 2005 sieht ein Verhältniswahlsystem mit Mehrheitsbonus und starren Listen vor. 3 sini. Ein neues Wahlgesetz sei unausweich- Auch Italo Bocchino, Fraktionsvorsitzender lich für eine positive Wende in Italien. Das der Bewegung „Futuro e Libertà“ (FLI – ITALIEN deutsche Wahlgesetz könnte zur Versöh- Freiheit und Zukunft)3, sprach sich gegen MARKUS GOLLER nung des Landes mit sich selbst und zu eine Auflösung des bipolaren Parteiensys- mehr Stabilität beitragen. tems aus. Die Wähler hätten dieses mittler- Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. weile internalisiert. Seiner Bewegung gehe September 2010 es eine Reform des Mitte-Rechts- Blockes, nicht um eine Zerstörung des Bipo- www.kas.de www.kas.de/italien um Verantwortung für Italien larismus. Daran könne sich die UDC gerne Am 11. September, dem zweiten Tag des beteiligen. Seine Gruppierung werde aber Parteikongresses in Chianciano, stand das nicht die Regierung stürzen – trotz des Thema „Al centro della responsabilità nazio- Streites mit Ministerpräsident Silvio Berlus- nale“ (Im Zentrum der nationalen Verant- coni. wortung) im Mittelpunkt. Der ehemalige Bürgermeister von Venedig, Massimo Cacci- Die Senatoren Giuseppe Pisanu (PDL), Prä- ari (PD) betonte dabei, dass sich die politi- sident der Anti-Mafia-Kommission und Gi- schen Verantwortungsträger weg von den anpiero D’Alia (UDC) gingen auf die Not- politischen Grabenkämpfen und hin zu den wendigkeit einer effektiven Bekämpfung des notwendigen Reformen bewegen müssten. organisierten Verbrechens in Italien ein. Die Die aktuelle Situation sei beispielhaft: Mit- letzten ten in der Wirtschaftskrise leiste sich die Kommission zeigten, dass es zu Beginn der Regierung einen internen Streit und eine Neunziger Jahre Verhandlungen zwischen Diskussion um Neuwahlen. Die wirtschaftli- Staat und Mafia gegeben habe. Die Partei chen Reformen und die notwendigen Anrei- der Nation – so D’Alia – müsse immer auf ze für einen wirtschaftlichen Aufschwung der Seite der Bürger stehen und der Be- würden nicht gesetzt. Das Industrieministe- kämpfung der organisierten Kriminalität ei- rium stehe seit vier Monaten ohne Minister nen wichtigen Stellenwert in ihrem Pro- 2 da. In Italien – so Cacciari weiter – regiere die Verantwortungslosigkeit. Aus Erkenntnisse der Anti-Mafia- gramm und ihrer Arbeit einräumen. diesem Grund erachte er den Prozess, mit welchem die UDC begonnen habe, für richtig, solange sie sich nicht in die endlosen destruktiven Neue politische Allianzen Auseinadersetzungen zwischen den beiden Höhepunkt des zweiten Kongresstages bil- großen Blöcken hineinziehen lasse. dete die Rede von Senator Francesco Rutelli, Präsident der Bewegung API. Rutelli be- Auch Roberto Formigoni, Präsident der Re- tonte, dass er bereit sei, gemeinsam mit der gion Lombardei (PDL), sprach sich gegen UDC am Aufbau eines dritten Pols zu arbei- Neuwahlen aus. Die Lega Nord, welche die- ten. Gemeinsam könne man – so Rutelli – se fordere, sei keine verantwortungsbe- zur Umsetzung einiger Projekte beitragen. wusste Bewegung. Zur Frage, ob ein dritter Zu diesen gehörten die Reform des Wahlge- Pol in der italienischen Parteienlandschaft setzes bzw. die Einführung des deutschen Platz habe, äußerte sich Formigoni skep- Wahlsystems und die Investition in Zu- tisch. Dieser sei aktuell voller Gegensätze kunftsbereiche wie Bildung und Forschung. und werde nicht genügend Unterstützung Ein weiterer wichtiger Punkt sei die Födera- bei den Wählern finden. Die katholischen lisierung des Landes. Sowohl UDC wie auch Wähler fänden sich großteils – so Formigoni API stünden für eine weitere Föderalisie- abschließend – im Mitte-Rechts-Lager wider. rung, allerdings müsste hierbei auf die Kosten geachtet werden. Eine Übertragung von Kompetenzen im Gesundheits- und Bil- 2 Claudio Scajola, der das Industrieministerium bis zum 4.Mai 2010 geleitet hat, musste aufgrund eines Korruptionsskandals, in welchem er laut Mitteilungen der Medien verwickelt gewesen sei, zurücktreten. Ministerpräsident Silvio Berlusconi hat bislang den Namen seines Nachfolgers nicht genannt und führt das Ministerium interimistisch. 3 Hierbei handelt es sich um jene Abgeordneten rund um Kammerpräsident Gianfranco Fini, welche sich im Juli aus der Fraktion der PDL ausgetreten sind. 4 dungsbereich dürfte nicht zu einem Anstieg de. Aktuell werde an einem neuen Pro- der Kosten führen, wie dies bislang der Fall gramm, Namen4 und Symbol für die Partei ITALIEN gewesen sei. Beim Thema Föderalismus gearbeitet. Bis 30. November könnten dazu MARKUS GOLLER könne man aber – wie beim Wahlgesetz – noch Vorschläge eingebracht werden, auch nach Deutschland blicken und vom dortigen die Einschreibungen für eine Mitgliedschaft System lernen. Ein weiteres wichtiges Pro- in der neuen Bewegung würden bis dahin jekt sei die Erarbeitung eines Konzeptes laufen. Ab Januar 2011 werden auf kommu- www.kas.de zum Schuldenabbau. Der neue dritte Pol – naler und regionaler Ebene vorbereitende www.kas.de/italien so Rutelli abschließend – werde als letzter Parteikongresse starten, aber er werde als erster ankom- werde dann auf einem großen Gründungs- men. parteitag die neue Partei aus der Taufe ge- Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. September 2010 stattfinden. Im Frühjahr hoben werden. Casini: Berlusconi soll zurücktreten Am 12. September wurde der Parteikon- Fazit gress durch die Abschlussrede von Pier Fer- Die UDC hat ihren internen Reformprozess dinando UDC- in Chianciano fortgesetzt. Dabei wurden die Fraktion in der Abgeordnetenkammer, be- Zielsetzung des Projektes der Parteineu- endet. Casini unterstrich, dass die UDC gründung und die nun folgenden Schritte nicht die Regierung Berlusconi unterstützen näher definiert. Die neue Partei der Nation, werde. Berlusconi habe der UDC einige Mi- zu welcher die UDC werden möchte, soll als nisterposten als Belohnung für einen Eintritt moderate in die Regierung angeboten, aber kein neu- Wähler aus beiden Lagern anziehen und zu es politisches Konzept vorgestellt. Die UDC einer Reform des Parteiensystems beitra- sei aber nicht käuflich. Im Gegenzug mache gen. Die neue Partei wird sich weder mit er aber den Vorschlag, sich an einer Regie- dem rung der gesamtstaatlichen Verantwortung Rechts-Lager verbünden, der einzige Ver- beteiligen zu wollen. Ministerpräsident Ber- bündete ist bislang die Bewegung API von lusconi solle durch seinen Rücktritt den Weg Francesco Rutelli. Eine Zusammenarbeit mit für die Bildung einer Technikerregierung der neuen Bewegung von Gianfranco Fini machen, welche die Reformen, die das Land wird derzeit geprüft, allerdings gibt es hier- nötig habe, in Angriff nehmen könne. Neu- bei noch einige programmatische Unter- wahlen seien in der aktuellen Situation un- schiede. Inhaltlich wird sich die Partei ins- möglich, so Casini. besondere um eine Änderung des Wahlge- Casini, Vorsitzender der Kraft Mitte-Links- im Zentrum noch mit gemäßigte dem Mitte- setzes, eine Reform des föderalen Aufbaus Casini forderte ein neues Konzept für den des Landes und eine neue Familienpolitik Süden des Landes. Diese Region sei Teil Ita- bemühen. Der Parteikongress von Chiancia- liens und dürfe auf keinen Fall vergessen no kann insgesamt als Erfolg bewertet wer- werden. Die „Partei der Nation“ möchte für den. Im Vergleich zum Kongress in Todi im alle Bürger arbeiten, im Norden und im Sü- Mai dieses Jahres wurde die Zielsetzung der den des Landes. Vor allem wird sich die Parteireform näher definiert, auch wurden in neue Partei um die Familien und die Be- einigen teils parallel stattfindenden Exper- nachteiligten in der Gesellschaft kümmern. tenrunden über Zukunftsthemen gespro- Auch aus diesem Grund sei der gesamte chen. Auch die Teilnehmerzahl, welche über Parteikongress in die Sprache der Taub- alle drei Tage bei rund 1.500 lag, übertraf stummen übersetzt worden. die Erwartungen der Organisatoren. Die nun folgenden Wochen und Monate sind ent- Er sei – so Casini – sehr zuversichtlich, dass scheidend für die UDC, sie muss ein neues die neue Partei stark genug sei, um neue Programm und ein neues Konzept für ihr Akzente in Italien setzen zu können. In den politisches Vorgehen entwickeln. letzten Wochen und Monaten seien auch etwas mehr als zehn Parlamentarier von anderen Parteien zur UDC übergetreten, was ein deutliches Zeichen dafür sei, dass sich die Partei auf dem richtigen Weg befin- 4 Der Name „Partei der Nation“ ist nur ein Arbeitstitel.