Soziale Marktwirtschaft statt Marktradikalismus

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BayernSPD
L A N D TA G S F R A K T I O N
„Soziale Marktwirtschaft
statt Marktradikalismus“
Von der Kritik am global-spekulativen Kapitalismus zum politischen Handeln
Pressekonferenz mit:
ƒ Dr. Heinz Kaiser, finanzpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion
ƒ Dr. Dieter Schmid, Vorsitzender des Wirtschaftsclubs der BayernSPD
am . Mai 
in München
www.bayernspd-landtag.de
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Die Zeit für eine kritische Kapitalismus-Diskussion ist reif
Die breite gesellschaftliche Diskussion über die vom SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering
angestoßene Kapitalismus-Kritik geht, unabhängig von Wahlterminen, weiter und muss
dringend fortgeführt werden.
Produktionsverlagerungen, Arbeitsplatzabbau, Kreditverweigerung für kleine und mittlere
Unternehmen, Lohndumping, kurzfristiges wirtschaftliches Denken, die Entkoppelung der
internationalen Kapitalströme von der Realwirtschaft verunsichern die Bürger und Arbeitnehmer. Der globale Kapitalismus gefährdet letztlich die demokratischen Institutionen und
damit auch die soziale Marktwirtschaft.
Gegenstand der Kapitalismus-Kritik ist nicht der „Mittelstand“, die kleinen und mittleren
„Eigentümer-Unternehmer“, sondern die multinationalen Konzerne und insbesondere die
angelsächsisch geprägte Finanzwirtschaft.
Flammende ethische Appelle, ein „wolkiger“ Moralismus ohne konkrete Folgerungen wäre
fatal. Politisches Handeln ist zwingend erforderlich.
Thesen des Wirtschaftsclubs der BayernSPD e.V.
Nach unserer Ansicht ist Erwerbsarbeit ein konstitutives Element unserer Gesellschaft. Deshalb befassen wir uns seit der Gründung im März 1 mit dem Problem der strukturellen
Arbeitslosigkeit.
Dabei halten wir zwei Entwicklungen der letzten Dekade für entscheidend:
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Einmal die weitgehende Sättigung des Marktes in einer relativ reichen Volkswirtschaft
mit (noch). einigermaßen gerechter Wohlstandsverteilung.
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Zum anderen das Aufkommen eines anonymisierten, spekulativen Elements der „Wertschöpfung“ unter dem Stichwort des Shareholder-Value.
Das erste Element verbietet - trotz aller Beschwörungsformeln der sogenannten Wirtschaftsweisen - die weitere Hoffnung auf einen „kontinuierlichen Wachstums-Pfad“. Dieser
müsste, um überhaupt Arbeitsplätze zu schaffen, deutlich über der durchschnittlichen Rationalisierungsquote von etwa % im Jahr liegen. Punktuell mögen solche Werte erreichbar
sein; strukturell sind sie es nicht mehr!
Die noch bestehende globale Ungleichheit ermöglicht uns zwar noch eine teilweise Kompensation über hohe Exporte; auch dies wird sich aber in Zukunft mit dem Aufkommen leistungsfähiger und genügsamer Länder schwieriger gestalten.
Als Angelpunkt unserer Überlegungen galt daher schon immer das zweite Element. Allerdings haben wir, da viele unserer Mitglieder aus börsennotierten Großunternehmen kom-
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men, aufgrund eigener praktischer Erfahrungen stets einen Systemansatz anstelle individueller Kritik (so berechtigt diese in Einzelfällen ist) für richtig gehalten.
Dieser Ansatz bezieht sich auf folgende Fakten:
Die börsennotierten Unternehmen stellen zwar nur einen Teil der wirtschaftlichen Leistung
unseres Landes und auch der Beschäftigung zur Verfügung. Über ihre Zulieferer - die Kleinund Mittelunternehmen (KMU) - bestimmen sie aber zusätzlich häufig über Wohl und Wehe
ganzer Regionen (siehe die Reaktionen auf Schließung von Werken der Schlüsselindustrie).
Durch die aus dem angelsächsischen Raum eingeschleppte, exzessive Betonung des Börsenwertes solcher Großunternehmen (Shareholder Value = Markt-kapitalisierung) ist nun deren
Eigenkapital zu einem Risikofaktor ersten Grades geworden: Nicht persönliche Anteilseigner
haften hier für Märkte, Kunden, Produkte und besonders Beschäftigte – sondern angestellte
Manager großer Kapital-Sammelgesellschaften. (Versicherungen; Pensions- und PivateEquity-Fonds; Banken usf.) Diese stehen untereinander in einem Wettbewerb, der über die
Performance ihrer Beteiligungen (= Portfolios) ausgetragen und von einer Klasse völlig außer
Verantwortung stehender Analysten bewertet wird.
In der Spekulation auf den Zukunftswert solcher Beteiligungen werden zwangsläufig die
Beschäftigten und die Zulieferer zu reinen Kostenelementen, die bei strukturell fehlendem
Wachstum ganz rational minimiert werden müssen. Hier ergibt sich auch der Zusammenhang von steigendem Börsenwert bei abnehmender Beschäftigung als logische Folge eines
Systems, in dem der Appell an die „Ethik der Verantwortlichen“ gar keine Wirkung haben
kann!
Der Wirtschaftsclub der BayernSPD hat es sich deshalb von Anfang an zur Aufgabe gemacht,
nach den möglichen „Stellschrauben“ zu suchen, die ein politisches Handeln auch und gerade unter der Bedrohung durch den von uns so genannten spekulativ-finanziellen Komplex
ermöglicht.
Als Ergebnis von mehrjährigen Anhörungen, Gesprächen mit Praktikern, Besuchen vor Ort
und Diskussion in sehr heterogen besetzten Arbeitskreisen lassen sich die folgenden Thesen
mit einigem Anspruch auf Gültigkeit formulieren.
1.
Die SPD sollte sich von einem Modell der ständigen Wachstumswirtschaft als Basis
für eine „gerechtere Verteilung“ verabschieden. Die wirtschaftspolitische Zukunft
dürfte eher einem Leitbild entsprechen, in welchem im günstigsten Fall die Gesamtleistungen (ausgedrückt als BIP oder BSP) innerhalb eines gewissen „Korridors“ konstant bleiben. Also ein Modell, in welchem die Zuwächse und Verluste sich grob
kompensieren. In der Sprache der Naturwissenschaften wäre das ein „steady stateModell“.
. Innerhalb dieses Modells ist die Zahl der Erwerbstätigen eine der wichtigsten Zielgrößen für die Gesamtwirtschaft und die einzelnen Unternehmen. Sie hat wirtschaftlich und politisch den gleichen Rang wie die Erzielung eines positiven Ergeb-
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nisses (also nicht maximales Ergebnis in kürzester Zeit !); und zwar so lange als es
Arbeit suchende Erwerbsfähige gibt.
. Nachdem der selbstbeschleunigende „spekulativ-finanzielle Komplex“ auf moralisierende Einreden nicht reagiert – gar nicht reagieren kann! – ist die einzig mögliche
Therapie die einer schrittweisen und gezielten Abkopplung von diesem System insgesamt. Das klingt utopischer, als es in der Realität ist. Im Grunde gelten die gleichen
Regeln, wie sie medizinisch bei Krebserkrankungen angewendet werden: vermeiden
vor bekämpfen vor lindern.
Unsere Forderungen
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Unter „lindern“ wäre zu verstehen, dass die SPD alle politischen Möglichkeiten nutzen
sollte, um Tendenz-Fonds an die Stelle der heutigen „Performance-Fonds“ (bei denen die
„Wertsteigerung“ des Portfolios in kürzester Zeit das entscheidende Kriterium ist) zu etablieren. Solche Anlageformen sollen zwar nach wie vor ein positives Ergebnis liefern;
dies aber nachrangig hinter regionalen, strukturellen oder auch ethischen Präferenzen.
Modelle sind ethisch/ökologische Fonds oder bestimmte Inhaberrechte (Modell VW oder
GOOGLE u.ä.).
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Die Beteiligung der Arbeitnehmer am Unternehmen muß nach jetzt jahrzehntelanger Diskussion insbesondere über Vereinbarungen der Tarifpartner
auf breiter Ebene umgesetzt werden, in den Worten des Mitgründers Philipp
Rosenthal „Teilhabe am Haben und Sagen!“
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Mit „bekämpfen“ meinen wir, dass grundsätzlich eine Finanzierung von Unternehmen
über festverzinsliches Kapital – optimal wieder gesteuert durch politisch gesetzte Präferenzen mittels der Höhe der Zinssätze – die Methode der Wahl darstellen sollte. Modell
hierfür könnte z.B. das japanische MITI Anfang der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts sein. Als Instrumentarium bietet sich der öffentlich-rechtliche Bankensektor mit
den staatlichen Förderbanken an.
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Mit „vermeiden“ ist schließlich der „Königsweg“ zu beschreiben: die reale und völlige
Abkopplung von jeder zinsgebundenen (und damit Wachstum erzwingenden!) Methode
der Finanzierung. Das einfachste Modell dafür liefern noch heute erfolgreiche Gemeinschaften wie die Amish in den USA oder die Hutterer in Kanada. Unter europäischen Bedingungen wären solche „Pools mit vertrauens-basierter gegenseitiger Leistung“ am ehesten als Genossenschaften oder sonstige Formen von kooperativem Wirtschaften zu
bezeichnen. Verschiedene Kooperativen (Wiener „Gemeindebau“ nach dem ersten Weltkrieg; Südtiroler Agrargenossenschaften; die weltgrößte Kooperative MONDRAGON in
Spanien und unzählige andere) liefern die nötigen „benchmarks“ für eine solche Wirtschaftsform, die der Sozialdemokratie eigentlich sehr nahe liegen sollte.
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Der in der Praxis unvermeidbaren Globalisierung der Information und des Kapitaltransfers kann und muss auf der Güterebene entgegengearbeitet werden durch eine gezielte
Regionalisierung von Massengütern. Das geschieht am einfachsten durch eine auf-
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wandsgerechte Verteuerung von Transporten (strikte Regulierungen von Zulassungen,
Umlage der Investitionen; gerechte Fahrertarife und echte Energiekosten, d.h. die „Internalisierung externer Kosten“).
Solche Maßnahmen treffen niederwertige Massenprodukte völlig marktkonform wesentlich stärker als hochwertige Spezialprodukte, bei denen auch ein echter Transportanteil den Gesamtpreis nur unwesentlich erhöht. Der Preis für eine derartige Politik wäre
eine deutliche Verteuerung solcher Massengüter. Im Gegenzug entstünden erheblich
mehr produktive Arbeitsplätze „vor Ort“ und eine viel geringere Verletzlichkeit der Gesamtwirtschaft bei Ausfall von bestimmten Schlüsselkomponenten (Stichwort „Zulieferprobleme“ bei Autofirmen etc.)
Insgesamt wäre eine Art von politischem Ranking (in Ergänzung oder auch als Gegenmaßnahme zum allgemein akzeptierten Finanz-Ranking) von Unternehmen und anderen wirtschaftlichen Aktivitäten sinnvoll und nötig. Wie dort über die unterschiedlichen
finanziellen Förderungen oder Bewertungen, so könnte und sollte hier über das politisch
Gewollte und zu Fördernde entschieden werden.
Die „Wertformel“ könnte durchaus in jener Form dargestellt werden, wie sie die (vornehmlich angelsächsischen) Finanzanalysten kennen und verwenden.
Nach unserer Zielvorstellung ist zukünftig eine wirtschaftliche Tätigkeit oder ein Unternehmen umso positiver einzustufen:
je höher seine spezifische Contribution (Wertschöpfung pro Leistungseinheit aus Markterlös minus variablen Kosten) ist, und je mehr von dieser Wertschöpfung zur Deckung
personalbezogener Fixkosten (also Löhne und Gehälter) anstelle von Kapitaleinsatz (Rationalisierungsinvestitionen und Gewinnerzeugung) verwendet wird.
Schlussbemerkung:
Die geplanten kurzfristigen gesetzgeberischen Maßnahmen wie mehr Transparanz bei großen Unternehmen (Managergehälter), arbeitsmarktpolitische Maßnahmen (Entsendegesetz,
Modifizierung der EU- Dienstleistungsrichtlinie) und steuerrechtliche Änderungen (Absetzbarkeit von mittelbaren Kosten der Arbeitsplatzverlagerungen) begrüßen wir durchaus.
Entscheidend ist für uns aber eine grundsätzliche Weichenstellung hin zu einer sozialen
Marktwirtschaft kontinentaleuropäischer Prägung.
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