Besuch in Trier Der Aufbruch Es war um das Jahr 200 n. Chr. Jahr für Jahr schon kam der römische Kaufmann aus Trier in das Chattendorf. Jedes Jahr bestellte er dem Bauern Grüße von Regin, seinem zweiten Sohn, der als Soldat des Kaisers in Trier diente. Diesmal aber gab es etwas Besonderes: der jüngste Sohn Helmo wollte mit ihm ziehen, den Bruder in Trier besuchen. Der Händler hatte dem Jüngling Gastfreundschaft in seiner Villa am Moselfluss geboten. Es sollte ihm eine Ehre und ein Vergnügen sein, dem Barbarenjungen alle Herrlichkeiten des römischen Stadtlebens zu zeigen. Helmo war voller Aufregung, obwohl er sie nicht zeigte. In der letzten großen Volksversammlung war er mit den anderen Jünglingen für mannbar und wehrhaft erklärt worden. Feierlich hatte ihn der Sippenölteste mit Schild und Lanze geschmückt, und der Vater hatte ihm ein richtiges Schwert mit stählerner Klinge geschenkt. Darauf war er vor Freude beim Wettkampf über vier Pferde gesprungen. Die Mutter packte ihm einen mächtigen Reisesack: Gastgeschenke für die römische Hausfrau – sie wusste es schon, wonach Titus immer fragte, wenn er ins Dorf kam: einen schönen Pelz, große Waben mit Honig, einen Schinken und ein Kissen, fest gestopft mit Bettfedern – eine mütterliche Gabe für Regin, Wechselkleidung für Helmo, einen goldenen Armreif und ein Beutelchen römischer Münzen. Nicht als Bettler sollte ihr Junge ins Römerland reisen. Am Limes Ein paar Tage lang ritten und fuhren sie auf holpriger, ausgefahrener Spur durch das Chattenland, von einem Gastfreund zum andern. Überall wurden sie herzlich aufgenommen. Dann kam ein Tag, da sahen sie kein Gehöft mehr, kein bestelltes, saatgrünes Feld – nur Heide, Ödland und Wald, hier und da Brandreste eines ehemaligen Hauses. „Heute Abend kommen wir an die Grenze“, sprach Titus, „das ist der Streifen Niemandsland, den die Legionäre vor dem Limes unterhalten. Aber gib mir dein Schwert, dass ich es im Wagen verstecke, bewaffnet kommt keiner durch die Grenzbefestigung“. Nur zögernd gab Helmo dem Händler die Waffe, der sie listig lächelnd unter die Vorderachse des Wagens band. Zugleich stieg der Junge auf Titus' Geheiß mit auf den Wagen, nachdem er das Pferd neben das Zuggespann gebunden hatte. Dann waren sie an der Grenze. Sie kamen aus dem Walde heraus auf einen breiten Streifen ausgebrannter Besuch in Trier 1 Lichtung, auf der Kühe weideten. – „Soldatenkühe“, sagte Titus. Der Blick wurde durch einen hohen Zaun aus schweren Stämmen abgeschlossen. Schnurgerade lief dieser Zaun vor ihnen nach rechts und nach links, das Tal hinunter, die Höhe wieder hinauf. Vor ihnen war das Tor, seitlich dahinter erhob sich ein Wachtturm. Die Schranke am Durchgang war geöffnet, zwei Legionssoldaten standen dabei, lässig an den Schlagbaum gelehnt. Titus fuhr an ihnen vorbei. Hinter dem Zaun lief ein breiter und tiefer versumpfter Graben, dahinter erhob sich ein Erdwall. Am Wachtturm mussten sie halten. Ein anderer planenbedeckter Wagen stand da, halb abgeladen, die Fahrtrichtung ins germanische Land. Ein Unteroffizier und einige Legionäre waren dabei. Mit heftigen Worten schimpfte ein Händler auf sie ein. Die Soldaten lachten. Der Unteroffizier schüttelte abweisend den Kopf, gab Befehle. Helmo sah, das war kein Römer, wie die Soldaten – „Ein Kelte“, flüsterte Titus, „ein Spanier“. Die Soldaten warfen die abgeladenen Packen auf den Wagen zurück, fassten die Pferde am Kopf, drehten das Gespann um. Der Händler zeterte, redete mit Mund und Händen. Aus dem Wachthause trat ein Legionär, stieg auf den Wagen und leitete ihn zurück. Lange hörte man noch den Kaufmann neben ihm schimpfen. „Er hat Schmuggelware auf dem Wagen gehabt“, erklärte ein Legionär, „Eisen und Salz. Die Ausfuhr ist verboten“. Römisches Leben Dann waren sie in Trier, dem Hauptort der Treverer. Es war die erste große Stadt, die Helmo sah. Säulenstraßen im rechten Winkel, mit Pflaster und Bürgersteig, und die Häuser dicht aneinander gedrängt, alle aus Stein, Mauer an Mauer. Große schimmernde Lichtöffnungen, wie mit Eis verschlossen. Ein mächtiger Bau aus lauter kleinen gebrannten Steinen – die Gerichtshalle, erklärte Titus im Vorbeifahren – und so viele Menschen auf der Straße, Germanen und Römer, Händler und Handwerker, Soldaten, Frauen und Männer in lang wallenden, faltigen Gewändern. Sie begegneten einem Umzug mit Priestern, Bildwerk und Volk. Ein paar Kinder hängten sich lärmend an ihren Wagen. Wie betäubt war Helmo, als das Gespann dann endlich auf der anderen Seite der Stadt vor einem weißen Landhause hielt und Titus ihn zum Absteigen einlud. „Hier sind wir zu Hause – sei gegrüßt, mein Gast!“ sagte er mit feierlicher Stimme. Ein paar Sklaven stürzten herbei, begrüßten den Hausherrn, schirrten und luden den Wagen ab. Titus ging mit Helmo ins Haus, wo Livia, die Hausfrau, sie empfing. So ganz anders war hier alles eingerichtet als daheim! Da war nicht die eine große Halle wie im Holzhaus des Vaters. Da war eine ganze Reihe von Zimmern, alle um einen Lichthof gruppiert, in welchem ein Springbrunnen sprudelte, Sträucher und Blumen blühten, Bildwerke nackter Menschen aus dem Grün schimmerten. Helmo wurde zuerst ins Bad geführt: da war ein Aus- und Ankleideraum, in welchem ein Sklave ihm nachher frische Gewänder reichte, um seine Reisekleider erst zu waschen – wie verkleidet kam sich der Junge nachher vor. Da Besuch in Trier 2 waren zwei Wannen mit warmem und kaltem Wasser, da war eine Dusche und Salben und duftendes Wasser. Und der Fußboden aus Stein war warm, als sei ein Feuer darunter. Dieser Titus musste unendlich reich sein! Gegessen wurde dann in einem anderen Zimmer, aus dem schaute man auf den kleinen Ziergarten hinaus. Der Fußboden war aus lauter kleinen Steinchen zusammengesetzt und zeigte lustige Bilder, Blumenranken und Figuren. Die Wände waren bemalt, als öffneten sich hinter ihnen weitere Zimmer und Galerien. Zu dritt lagerten sie auf Liegebetten – aber daran musste sich Helmo erst gewöhnen, er saß doch lieber wie zu Hause auf einer Bank beim Essen. Zwei Sklaven trugen die Speisen auf. Wie lustig das leuchtend rote Geschirr mit den Ranken auf der hellen Tischplatte zwischen den silbernen Kannen stand! Am meisten aber gefielen Helmo die Trinkbecher. Sie waren ebenfalls aus dem durchsichtigen Stoff, mit dem auch die Lichtöffnungen der Zimmer verschlossen waren. Vorsichtig hatte Helmo schon vorhin mit dem Finger daran geklopft: schmolz das Eis nicht ab? Aber es war trocken und fest. „Fenestra“ hatte der Kaufmann gelächelt, als der Gast ihn fragend angeblickt hatte. Da brauchte man das Windauge im Winter nicht mit Moos oder Heu zu verstopfen, wenn man solch „fenestra“ hatte! Besuch in Trier 3 Helmo merkte sich dieses Wort. Er wollte sich alles Neue, was er hier sah, auch mit dem römischen Namen merken, damit er ganz genau alles erzählen konnte. Und es gab vieles, was er sich da einprägen musste: das „plastrum“ auf der „strata“, auf der sie hergefahren waren, die Randsteine, welche die „milia“ der Entfernung angegeben hatten, den roten „vinum“, den er aus dem „bicarium“, dem Becher, trank. Da waren die „fructus“ in der Schüssel, der „scutula“, die es zum Essen gegeben hatte, das „caulis“-Gemüse, die „radix“ und rote „beta“, und als Nachtisch die „nux“ aus dem südlichen Land und der „persicum“Apfel mit der flaumigen Haut und dem großen geriffelten Kern und die dunkelrote Zwillingsfrucht des „cerasus“, die man sich an die Ohren hängen konnte, bevor man ihren süßen Saft genoss. Da war die ganze Anlage des steinernen Hauses, die er nachher beim Rundgang mit dem Hausherrn kennen lernte: die feste „murus“, aus „quadrum“Steinen aufgeführt, mit „mortarium“ gefügt, mit „calx“ überstrichen und getüncht, ganz anders als die Wand bei ihnen zu Hause. Jede einzelne „camera“ war anders als daheim! Da war unten im „cellarium“ die Fußbodenheizung, die das ganze Haus erwärmte und auf die Titus besonders stolz war. Da brannte das Feuer in einer „camina“, dass der Rauch und die Feuergase gut abziehen konnten. Da lag oben auf dem Dach kein Stroh und Schilf wie daheim, sondern künstliche Steinplatten deckten das Haus, „tegula“, sagte der Kaufmann dafür, oder, wie auf den Stallgebäuden, kleine Holzbrettchen, „scindula“. Helmo bekam einen mächtigen Respekt vor diesen kleinen, dunkelhaarigen Römern, die er vorher doch immer so ein bisschen als Krämer verachtet oder gar nur als Feind angesehen hatte. Wie reich und wie klug mussten sie sein! Aber dann sah er auch bei seinem Herumstreifen durch die Straßen und Gassen Triers in den folgenden Wochen, dass ihnen ja die ganze Welt mit ihrer Fertigkeit half. Er sah in die Läden der Händler, er guckte in die große Markthalle. Er blieb bei den Handwerkern stehen und schaute ihrem Gewerbe zu: kundige, geschickte Meister aller Herkunft und Volksart! Und nicht zuletzt waren es hierbei wieder Germanen, die ihnen mit ihrer Fertigkeit halfen, welche neben Kelten und anderen Völkern die Pferde beschlugen, Zaumzeug und Sattelgerät richteten, das Leder gerbten, Wolle und Flachs spannen, als Zimmerleute, Töpfer, Erzgießer und Schmiede, als Sattler und Schuster den Legionen und römischen Herren dienten. Sie bepflanzten die Moselhänge mit Reben und lieferten die hellen Trauben für den süßen, berauschenden Saft. Sie bestellten die Felder und brachten das Korn. Von ihnen wurden Bäcker und Fleischer beliefert. Sehr viele Germanen dienten in den Reihen der römischen Legionen. Und Helmo nahm sich vor, ebenso wie sein Bruder Regin einmal in den Dienst des Besuch in Trier 4 großen und mächtigen Kaisers in Rom zu treten und so reich und mächtig zu werden wie alle diese Leute hier. Stolz ging er mit dem Bruder, der die Uniform des römischen Unterführers trug, durch die Straßen. Durch ihn gelangte er sogar einmal in den prunkvollen Palast des kaiserlichen Statthalters: da sah er den römischen Richter auf seinem Amtssessel, dem ledernen Faltstuhl, zwischen Rutenbündel und Beil Recht sprechen. Im Theater Eines Tages war Helmo im „theatrum“. Wie staunte er, als er zum ersten Male das gewaltige Rund sah, diese aufsteigenden steinernen Sitzreihen für die Tausende, die sich in bunter Fülle auf den Rängen drängten! Wunderbare Spiele begannen, Gauklerspiele, Musik und Reigen. Dann wurden „Kampfspiele“ angekündigt mit fremden, südländischen Tieren. Käfige öffneten sich, Löwen traten heraus, unruhig peitschte ihr Schwanz den Sandboden. Eine neue Tür öffnete sich, und – Helmo stockte das Herz – Menschen wurden heraus gestoßen, hoch gewachsene, blonde Menschen, nur mit Dolchen in den Händen, Germanen, Kriegsgefangene, die zur Belustigung des Volkes bluten sollten. Darauf war Helmo nicht gefasst; er hatte an Jagdspiele geglaubt. Aber hier waren von vornherein die Tiere überlegen. die Menschen waren als Fraß für die wilden Tiere gedacht, und ihr Todeskampf mit den kurzen Waffen sollte nur den Kitzel der Schaulüsternen erhöhen. Die Tiere hatten sich an einer Wand der Arena zusammengedrängt, lagen hier geduckt, knurrend, mit atmenden Flanken, peitschenden Schweifen. Pfeifen, Gejohl des Volkes erfüllten das Rund. Von den Rängen kamen Wurfgeschosse geflogen; ein paar Wörter schossen mit Pfeilen nach den Tieren, um sie zu reizen. Und dann begann mit dem Aufbrüllen, Aufspringen der Tiere der Todeskampf – mit aufgerissenen Augen, wie versteinert, saß Helmo unter dem johlenden, hetzenden Volk. Den Höhepunkt des Vergnügens sollte der große Kampf „Bär oder Wolf“ bilden. Zwei große Germanenhaufen traten sich gegenüber: Franken, Alemannen – deutlich erkannte Helmo die Stammesabzeichen der südlich und nördlich des Chattenvolkes immer weiter nach Westen drängenden Sippen. Aber da – fast hätte Helmo nun aufgeschrieen: was war das für einer, mit dem eisernen Reif am Arm? War das nicht ein Chatte, einer der „eisernen Vorkämpfer“, Besuch in Trier 5 der Angesehenste des Stammes? Und als Helmo genauer die Reihen der Antretenden durchmusterte, erkannte er noch manchen als Landsmann. Was sollte das werden? Mit eisernem Griffe hielt es den Jüngling auf seiner Bank fest. Und er sah, wie die beiden Parteien, „Wolf“ und „Bär“, aufeinander losgingen, um sich vor den Augen der Zuschauer als Sieger und Überlebende die Freiheit zu erkämpfen. Er sah, wie sich die Arena mit Verwundeten und Sterbenden füllte, und wie über die „Sieger“ schließlich noch einmal Rudel von Wölfen und Bären herfielen, so dass der grauenhafte Kampf nochmals begann. „Wolf oder Bär“ nannten sie das? Wie betäubt kehrte Helmo in Titus, gastliches Haus zurück. Mit einem Male war ihm alle römische Herrlichkeit verleidet. Er war sehr traurig; ihm war, als habe er ganz neue Augen bekommen. War ihm jetzt erst der Sinn geöffnet für die Rechtlosigkeit, die Verlorenheit der Sklaven und Unfreien? Hatte er jetzt erst ein Ohr für den herrischen Ton, mit welchem die Fremden die unterworfenen Völker zur Arbeit trieben? Sah er jetzt erst, wie oft sich im geheimen die Fäuste ballten? Düsteren Blickes ging er an den braunen Soldaten vorüber, die in schimmernder Rüstung vor dem Tore des Statthalterpalastes Wache standen. Besuch in Trier 6