Johann Nepomuk Nestroy „Der Talisman“ Posse mit Gesang in 3 Akten; Uraufführung in Wien am 16.12.1840 Die Thematik des Vorurteils gegen rote Haare nimmt eine zentrale Rolle für den Ablauf der Handlung ein, generell gerät der menschliche Hang zum Vorurteil ins Licht der Komik. Nestroy bezieht sich mit diesem Stück auf die konkrete Situation der österreichischen Gesellschaft im Vormärz. Inhalt: Das Verhalten der Gesellschaft gegenüber dem Rothaarigen, dem Außenseiter, wird symptomatisch für das Maß ihres Verfalls. Titus Feuerfuchs, der Prototyp des Deklassierten, erreicht mit Hilfe eines simplen Tricks – er kommt durch Zufall in den Besitz einer schwarzen Perücke – , was ihm bisher kategorisch verweigert wurde: die gesellschaftliche Anerkennung. Binnen kurzem erklimmt er die Stufenleiter der sozialen Hierarchie und wird vom Gärtner zum Jäger, vom Jäger zum Sekretär befördert, wobei er sich nacheinander der Protektion dreier Damen erfreut, der Gärtnerin Flora, der Kammerfrau Constantia und der Schlossbesitzerin Frau von Cypressenburg. In allen drei Fällen gelingt es Titus, die Damen nicht nur durch sein Äußeres, sondern auch durch seine den jeweiligen Bedürfnissen angepasste Eloquenz zu beeindrucken. Doch eines Tages wird Titus als Rothaariger entlarvt und verstoßen und er tritt mit den Worten „Das ist Ottokars Glück und Ende!“ (Titel von Grillparzer) ab. Die Wendung zum obligatorischen guten Ende vollzieht sich mit der Ankunft des Bierversilberers (Schankwirt) Spund, eines typischen Kleinbürgers, der es zu Geld gebracht hat, seinem Vetter Titus aber bisher keinen Anteil an seinem Wohlstand gegönnt hat. („Ich könnt das net brauchn, dass mir a Rotkopfeter die Schand antut und erweist mir die letzte Ehr´“.) Ihren Standesdünkel samt Vorurteil gegen rote Haare vergessend, bringt die Schlossbesitzerin Spund dazu, Titus als Universalerben einzusetzen, in der Hoffnung, für ihre Kammerfrau einen vermögenden Ehemann zu ergattern. Aber Titus wählt nicht Constantia zur Frau, sondern die rothaarige Gänsemagd Salome – die Deklassierten schließen einen Bund, dessen Symbolcharakter im Hinblick auf die soziale Entwicklung in Österreich bis 1848 nicht zu übersehen ist. Der Talisman ist ein Meisterwerk der facettenreichen Sprachkunst Nestroys; vom komischen Jargon des Gärtnerburschen Plutzerkern, über die Wortakrobatik des mit dem überlegenen Bewusstsein ausgestatteten Komikers Titus, bis hin zu den unverfälschte Menschlichkeit signalisierenden Versprechern der Gänsemagd („Und jetzt bitt´ ich noch mal um Verzeihung, dass ich umg´fallen bin in Zimmern, die nicht meinesgleichen sind.“) reicht die Skala der Ausdrucksnuancen. Mit dem Talisman entfernte sich Nestroy endgültig von der Tradition des Wiener Volkstheaters (vgl. Raimund) und reiht sich in die Entwicklungsgeschichte der deutschen Komödie ein.