Abschlussbericht: Erneuerung von Innen, HSLU MP 2012

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Abschlussbericht des Forschungsprojektes
Erneuerung von Innen
Denkmalpflege & Energie
Gefördert von der Stiftung zur Förderung der Denkmalpflege,
der Fachstelle für nachhaltiges Bauen, Amt für Hochbauten Zürich und
der Hochschule Luzern – Technik & Architektur
0 Summary
2
1 Einleitung
2 Ausgangslage
3 Thesen
4 Werkzeuge
5 Katalog
6 Fallbeispiele
7 Fazit
3
4
8
14
29
41
47
8 Methodenkontrolle 49
9 Mittelverwertung
49
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1 0 Zusammenfassung
Der Wunsch nach baulichen Veränderungen aufgrund der heute geforderten energetischen Massnahmen
verursachen oft denkmalpflegerische Einschränkungen, da sie die historischen Oberflächen beeinträchtigen,
bzw. nicht kompatible, gestalterische Elemente addieren wollen. Eine Alternative bietet möglicherweise die
Erneuerung von Innen, mit der konstruktiven Entschichtung der Fassade. Hohe Anforderungen werden dabei
auf mehrere, niedertechnische Schichten aufgeteilt. Die bestehende Fassade bleibt möglichst unangetastet
oder/und wird lediglich wieder hergestellt. Nach innen wird eine zweite Hülle angeordnet, welche die heutigen
energetischen, akustischen und brandschutztechnischen Anforderungen gewährleistet. Der Raum zwischen der
Fassade und der neu aufgebrachten Schicht kann unterschiedlich tief sein. So können die alte und die neue
Schicht direkt aneinander gefügt werden (ein Futteral) oder einen Zwischenraum zur Führung von technischen
Installationen und zur Dämmung generieren (eine Schichtenfolge). Bilden hingegen die alte Hülle und die innere
neue Schicht einen nutzbaren Zwischen-Raum aus, wird von dem Haus-im-Haus-Typus gesprochen. Jede dieser
drei Strategien eignet sich für unterschiedliche Ausgangslagen – die immer den Bestand, die vorgesehen
Nutzung und das energetische Konzept berücksichtigen.
Mit den Ergebnissen aus dem Projekt können mögliche Probleme bei energetisch motivierten Erneuerungen
von Innen aufgezeigt und Lösungsansätze präsentiert werden. Ein Schwerpunkt der Arbeit liegt im Wechsel der
Sichtweisen. Aus jeder Fachrichtung wurden die spezifischen Anliegen zu diesem Thema formuliert und auch
Zielkonflikte evaluiert. Da in jedem Fall beim Bauen – und im Umgang mit Bestand noch viel mehr – objektund situationsspezifische Lösungen gefragt sind, werden weniger Handlungsanweisungen sondern vielmehr
Fallbeispiele und Werkzeuge zur Optimierung der Prozesse vorgestellt. Neben den drei Strategien zur
konstruktiven Entschichtung von Fassaden, die mit einem Beispielkatalog illustriert werden, umfassen die
Werkzeuge auch Parameter zu einer sehr frühen Einschätzung bestehender Bauten sowie ein Raster möglicher
Nutzungsformen und daraus abgeleiteter Anspruche an die Räume.
Beteiligte seitens der HSLU – T&A
Dr. Peter Omachen
Kantonaler Denkmalpfleger Kanton Obwalden
Nebenamtlicher Dozent an der Abteilung Architektur
Prof. Urs-Peter Menti
Leiter ZIG, Zentrum für integrale Gebäudetechnik
Dr. Davide Bionda
Wissenschaftlicher Mitarbeiter Senior ZIG
Dipl. Ing. Uli Herres
Wissenschaftlicher Mitarbeiter Fachgruppe Material, Struktur, Energie in Architektur
Prof. Christan Hönger
giuliani.hönger architekten Zürich, z.Zt. auch Gastdozent EPFL
Prof. Tina Unruh
Projektleitung
sowie Hilfsassistierende Noemi Schumacher, Rahel Niffeler
Beirat, extern
Yvonne Züger
Fachstelle für Nachhaltiges Bauen, AHB Zürich
Publikationen
Band 4 der Schriftenreihe Laboratorium erscheint im Herbst 2014 im Quart Verlag, Luzern. Der Arbeitstitel
lautet ‚Erneuerung von Innen – Energie und Baudenkmal’. Die Herausgeberin ist Tina Unruh, die Autoren sind
das Forschungsteam der Hochschule Luzern.
Zur Buchvernissage am 10. Oktober 2014 ist an der Hochschule Luzern – Technik & Architektur eine
interdisziplinäre Tagung geplant, an der das Projekt und die Publikation zur Diskussion gestellt werden. So kann
der initiierte Diskurs weiter geführt und die Ergebnisse zur Anwendung gebracht werden.
Das Projekt wurde bereits bzw. wird an folgenden Veranstaltungen präsentiert und zur Diskussion gestellt:
Am 21.3.14 an der Tagung ‚Bauen wir die 2000-Watt-Gesellschaft der Stadt Zürich!’ in Zürich
Am 23.4.14 an der GV des SIA, Fachgruppe Erhalt von Bauwerken, in Horw
Am 4./5.9.14 am brenet Status Seminar an der ETH in Zürich
Am 27.11.14 in der Vortragsreihe ‚Fachstellen Studien’ des Amt für Hochbauten Zürich, zu der Energie- und
Nachhaltigkeitsspezialisten und Denkmalpfleger einladen werden.
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2 1 Einleitung
Motivation Forschungsprojekt
Die vorliegende Publikation ist das Ergebnis eines interdisziplinäres Forschungsprojekts, das sich mit dem
Spannungsfeld Architektur, Behaglichkeit und Denkmalpflege auseinandersetzt. Ziel des Projektteams aus
Fachleuten der Denkmalpflege, der Architektur und der Gebäudetechnik an der Hochschule Luzern war
weniger der akademische Diskurs; vielmehr stand der direkte Praxisbezug von Anfang an im Zentrum des
Interesses. Was trennt und was verbindet die Themen und die Disziplinen?
Die Arbeit soll helfen die Kriterien Bestand – Nutzung – Energie zu gewichten und aufzeigen, wie angemessene
Reaktionen im Einzelfall möglich sind. Es geht also auch um eine Sensibilisierung der Besteller und Ersteller
ebenso wie der politischen Entscheidungsträger für diese Themen. Dafür wird in der Ausgangslage das aktuelle,
meist gebräuchliche Vorgehen kritisch beleuchtet. Mit den darauf folgenden Thesen werden Ansätze zu
möglichen Verbesserungen formuliert. Der anwendungsorientierte zweite Teil des Buches bietet drei
Werkzeuge, einen Katalog und eine Auswahl von Fallbeispielen zur Erneuerung von Innen. Es werden die
Möglichkeiten und Interdependenzen der Massnahmen aufgezeigt: Was passiert mit den anderen Parametern,
wenn ‚an einzelnen Reglern gedreht’ wird, und welche Folgen haben bestimmte Entscheidungen während des
Prozesses?
Erneuerung von Innen
Der Titel des Forschungspojektes ist doppeldeutig: Aufgrund von denkmalpflegerischen Motiven beschäftigen
wir uns mit der konkreten energetischen Ertüchtigung des Bestandes von innen her. Mit dem Begriff der
Erneuerung verstehen wir diese Ertüchtigung allerdings nicht nur technisch, sondern darüber hinaus auch
räumlich-architektonisch. Und weiter beleuchten wir die heute üblichen Prozesse beim Umbau und plädieren
auch hier für eine selbstmotivierte Erneuerung der Vorgehensweisen.
Das fokussierte Betrachten der Sanierungen von Innen ist eine sinnvolle Einschränkung. Zwar setzt sich die
Denkmalpflege entgegen der landläufigen Meinung nicht nur für das äussere Erscheinungsbild, sondern für die
gesamte historische Substanz der Baudenkmäler ein. Dennoch gibt es in Stellungnahmen der Denkmalpflege
immer wieder die Aussage ‚Wenn gedämmt werden muss, dann sollte dies grundsätzlich von Innen erfolgen.1
Dabei werden die tatsächlichen Auswirkungen von Innendämmung allgemein wenig reflektiert, die
physikalischen Themen werden nicht immer früh erörtert. Mit unserem Projekt reagieren wir und zeigen auf,
was eine tatsächliche Umsetzung dieser Empfehlung bewirken und ermöglichen kann.
Räumliches Schichten
Baudenkmäler haben einen materiellen und einen symbolischen Wert. Veränderungen aufgrund der heute
geforderten energetischen Massnahmen generieren mehrheitlich starke Beeinträchtigungen, da sie die
historischen Oberflächen tangieren, bzw. nicht kompatible, gestalterische Elemente addieren. Eine Möglichkeit
zur Erneuerung und Optimierung stellt die konstruktive Entschichtung der Fassade dar. Nach innen wird eine
zweite Hülle angeordnet, welche die heutigen energetischen, akustischen und brandschutztechnischen
Anforderungen gewährleistet. Der Raum zwischen der Fassade und der neu aufgebrachten Schicht kann
unterschiedlich tief sein. Im Zentrum des Interesses steht der eigentliche Innenraum; seine Oberflächen sind es,
die dem Raum und dem Gebäude als Ganzes Identität verleihen. Ob und wie weit die neue Schicht von der
alten Hülle räumlich entfernt eingesetzt wird, beschreiben die drei Strategien unter dem Kapitel Werkzeug.
Neben den räumlichen, hat die Einführung eines Zwischenraumes zwischen alter und neuer Hülle vor allem
bauphysikalische Konsequenzen.
Anmerkungen zu einer rein technischen Lösung
Ein möglicher Ansatz liegt in der totalen Entlastung der Architektur durch gebäudetechnische Interventionen.
Die Ertüchtigung des Baudenkmals kann ohne räumliche Transformationen erfolgen, was im Sinne des
Schutzgedankens sehr erfolgsversprechend ist. Diese Lösung wird z.Bsp. dann angestrebt, wenn die
energetische Ertüchtigung nur zeitweise notwendig ist, beispielsweise die Erwärmung einer Kirche zum
Gottesdienst über eine Heizung.2 Diesen Ansatz haben wir als ‚Strategie 0’ bezeichnet, er wurde im Rahmen
1
In einem Interview mit der Denkmalpflegerin und Architektin Tatiana Lori am 17.10.2013 wies diese auf eine
häufige Verwendung des Satzes hin. Der vollständige Wortlaut des Dispositivs aus der Vernehmlassung heisst
wie folgt: ‚Zusätzliche Gebäudeisolationen sind grundsätzlich innerhalb der bestehenden Wand-, Dach- und
Lukarnenkonstruktion anzubringen und jedenfalls so, dass das äussere Erscheinungsbild nicht verändert wird.’
2
Anders wird es bei der 0-Emission-Theorie verstanden, diese vertritt die Meinung, dass alles nur technisch
gelöst werden soll, also auch permanente Nutzungen. Auch dieser Ansatz wurde in unserem Forschungsprojekt
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3 dieser Arbeit jedoch nicht weiter untersucht, da der Fokus auf besonders raumwirksamen, konstruktiven
Strategien lag.
Die Diskussion um Möglichkeiten des ‚Technik im Boden Versenkens’ schliesst sich hier an. Inwieweit das
Baudenkmal angetastet wird, wenn unter den Räumen Eingriffe stattfinden, ist bei aller Entlastung der
Architektur kritisch zu bedenken. Die Authentizität eines Bauwerkes umfasst immer auch den historischen
Grund, auf dem es steht. Daher ist es wichtig, durch Eingriffe die Nutzer und späteren Betrachter nicht zu
täuschen, sondern die Erneuerung ggf. auch sichtbar zu machen.
2 Ausgangslage
Substanzerhalt
Im Umgang mit bestehender Bausubstanz sind neben ökonomischen Betrachtungen auch weitere Aspekte von
Bedeutung, welche monetär nicht oder nur schwer quantifizierbar sind. Diesen kann je nach Objekt eine mehr
oder weniger hohe Gewichtung beigemessen werden. Eine erste Entscheidung liegt in der Wahl zwischen
Substanzerhalt und Ersatzneubau. Zur Beantwortung der Frage können keine allgemeingültigen Regeln
aufgestellt werden. Eine tiefgründige objektspezifische Beurteilung der Substanz und der Bauaufgabe sind immer
notwendig. Hinter der denkmalpflegerischen Forderung nach möglichst integralem Substanzerhalt steht der
Wert der kollektiven Erinnerung durch das identitätsstiftende, zeitgeschichtliche Zeugnis. Dazu gibt es zwei
unterschiedliche Sichtweisen der Denkmalpflege: Einerseits die primär am Substanzerhalt interessierte, in
Kontinentaleuropa verortete, und andererseits die an der Idee und der Wiedererkennbarkeit orientierte, im
angelsächsischen Raum beheimatete Haltung. Grundsätzlich ist hier die Rede von Bausubstanz, welche nicht
integral geschützt ist beziehungsweise bei der eine rein konservatorische Denkmalpflege nicht möglich ist,
sondern wo aufgrund einer Güterabwägung eine energetische Sanierung zulässig ist und (neue) Nutzungen das
Überleben des Objektes grundsätzlich sichern können.
Daher sind unter anderem die vorgesehene Nutzung und die Lage des Objektes entscheidende Faktoren3. Die
Weiterverwendung von Bausubstanz kann aber – neben dem Erhalt von nicht ersetzbaren kulturellen,
historischen, architektonischen und ästhetischen Werten – auch eine Reduktion der
Grauenergieaufwendungen4 mit sich bringen, und somit ökologische und weltanschauliche Vorteile haben5. Im
Umgang mit Bestandsgebäuden ist deshalb bei der Bewertung, Entscheidungsfindung und Planung eine
fachübergreifende und ganzheitliche Betrachtung des Bauvorhabens, unter Einbeziehung von allen relevanten
Disziplinen, unverzichtbar.
Planungsprozess
Die wesentlichen Weichen für das Gelingen eines Projektes werden in der Regel zu dessen Beginn gelegt. Dies
gilt generell in jedem Bauprozess, ist aber beim Bauen im Bestand aufgrund der erhöhten Komplexität von
besonderer Bedeutung. Bereits bei der Definition des Bauvorhabens sind relevante Entscheidungen zu treffen.
Unter anderem werden der Standort und das Raumprogramm der vorgesehenen Nutzung bestimmt. Oft
werden diese Grundsatzentscheide jedoch auf Basis einer ungenügenden Faktenlage gefällt, weil noch gar nicht
sämtliche Fachbereiche am Entscheidungsprozess beteiligt sind und eine umfassende, fachübergreifende Analyse
des Baubestands fehlt.
Bei kleinen Objekten – beispielsweise bei einer Stallumnutzung – wird überhaupt erst durch die Auslösung
eines Baubewilligungsverfahrens eine Fachbehörde involviert. Nicht immer handelt es sich dabei um eine
nicht fokussiert. Siehe LowEx Building Design für eine ZeroEmission Architecture, Prof. Dr. Hansjürg
Leibundgut
3
W. Ott, B. Seiler, Y. Kaufmann, A. Binz, A. Moosmann (2002). Neubauen statt Sanieren? Schlussbericht
Forschungsprogramm Energiewirtschaftliche Grundlagen EWG, Bundesamt für Energie BFE
4
Graue Energie: „Gesamte Menge nicht erneuerbarer Primärenergie, die für alle vorgelagerten Prozesse, vom
Rohstoffabbau über Herstellungs- und Verarbeitungsprozesse und für die Entsorgung, inkl. der dazu
notwendigen Transporte und Hilfsmittel, erforderlich ist. Sie wird als kumulierter, nicht erneuerbarer
Energieaufwand bezeichnet.“ (SIA Merkblatt 2032, Graue Energie von Gebäuden (2010), S.8)
5
Siehe dazu: „Plädoyer für eine Kultur der Reparatur“, in: M. Heckl Wolfgang, Die Kultur der Reparatur, Carl
Hanser Verlag München 2013, S.9-25
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4 fachkundige Stelle wie die kantonale Fachstelle für Denkmalpflege und Ortsbildschutz. Häufig werden solche
Bauaufgaben "nur" durch die örtliche Baukommission beurteilt. Bei grösseren Projekten werden in der
Anfangsphase oft auch politische Überlegungen oder ökonomische Vorgaben hoch gewichtet. So wird etwa
eine Label-Zertifizierung aus strategischen (Image) oder wirtschaftlichen Gründen (Fördergelder) angestrebt.
Labels sind jedoch selten auf den respektvollen Umgang mit einer schützenswerten Bausubstanz ausgelegt,
sondern fokussieren vielmehr auf energetische Vorgaben. Auch umgekehrt kann die Situation entstehen, dass
nur der maximale Erhalt angestrebt wird, ohne auf Nutzungen und energetisches Optimierungspotential
einzugehen.
Ausweichstrategie und Zielkonflikte
Im Vorfeld eines Umbaus fehlt meist eine vollständige Übersicht über alle Anforderungen und Massnahmen. Es
werden manchmal auch bewusst Kontaktnahmen – bespielweise mit der Denkmalpflege oder Energiefachstelle
– ausgeklammert oder hinausgeschoben, da man Vorgaben und unerwünschten Aufwand fürchtet. Der Besteller
und selbst der Architekt betrachten nicht selten die Denkmalpflege als ‚Projektverhinderer’. Auch
Gebäudetechnikplaner und Bauphysiker werden häufig zu spät ins Team berufen, so dass sie nicht in die
Konzeptphase integriert sind und lediglich auf Probleme reagieren können. Eine ideale Gebäudetechnik- und
Bauphysikplanung müsste zu einer Vermeidung oder Minimierung anstelle einer Lösung der Probleme führen.
Oft wird zur Problemlösung dann nur noch der technologische Ansatz verfolgt.
Neben der gewohnheitsmässigen Chronologie des Einbezugs von Spezialisten ergibt sich eine zusätzliche
Hauptschwierigkeit: Oft widersprechen sich die einzelnen Fachbereiche innerhalb des Bauwesens. Wenn alle
Ansprüche vorliegen, weisen sie teils widersprüchliche Anforderungen auf,6 die im Sinne eines konsensfähigen
Kompromisses ausgehandelt und abgestimmt sein müssten.
Zudem ist eine beachtliche Anzahl von Baudenkmälern durchaus energetisch günstig gebaut, stammen sie doch
noch aus einer Zeit, in der die Erzeugung von Heizwärme eine aufwändige Angelegenheit war. Oft bedingen
erst neue Nutzungen und heutige Komfortansprüche eine energetische Optimierung. So entstehen
Zielkonflikte, die zwar formuliert, doch keinesfalls schnell gelöst sind: Sowohl der sorgsame Umgang mit
Baudenkmälern als auch die Reduktion des Energieverbrauchs haben beide ihre verfassungsgemässe
Berechtigung und verfolgen im Grunde das selbe Ziel – die Unterstützung einer nachhaltigen Entwicklung. In
einer Stellungnahme zu diesem Thema7 fordern Bundesamt für Energie und die Eidgenössische Kommission für
Denkmalpflege dazu auf, die beiden wichtigen, öffentlichen Interessen im Einzelfall gegeneinander abzuwägen
und einer konstruktiven Lösung zuzuführen.
Rollenverständnis8
Der Architekt ist unter den Planenden in der Regel der erste Auftragnehmer des Investors. Er wird damit als
Urheber und Initiator eines Werkes angesehen. Zusätzlich sollte er die Rolle des Generalisten aktiv einnehmen
und das Projekt lenken. Bereits bei der Auftragserteilung ist es seine Pflicht, das Projekt an sich kritisch zu
hinterfragen. Zudem trägt er die Verantwortung, sämtliche notwendigen Fachleute frühzeitig in die Planung und
Lösungsfindung zu integrieren. Architekten können diesen Aufgaben jedoch nicht immer gerecht werden. Der
Besteller erkennt häufig die Notwendigkeit eines übergeordneten Dirigenten nicht und vergibt lediglich ein
Mandat zur Planung, was zur Folge hat, dass die ‚Generalistenrolle’ unbesetzt bleibt. Die erste Entscheidung
eines Projektes, das Zusammenstellen von Planungskompetenzen zu einem Team, fällt der Bauherr oder die
Bauherrin. Je nach Hintergrund dürfte dem Bestellenden diese grosse Bedeutung seiner Rolle und das Gewicht
der Teamentscheidung kaum bewusst sein.
Im Gegensatz zum Architekten wird der Denkmalpfleger oder die Energiefachstelle in der Regel von Amtes
wegen einem Projekt zugeteilt. Sie vertreten gegenüber dem Auftraggeber die behördliche Seite und werden
6
Beispielsweise widersprechen sich im Umbaubereich die Forderungen von Denkmalpflege, gefordertem Schallund Brandschutz vehement.
7
Energie und Baudenkmal, Empfehlungen für die energetische Verbesserung von Baudenkmälern. Bern, 16. Juli
2009 vom Bundesamt für Energie und der Eidgenössische Kommission für Denkmalpflege. Der Arbeitsgruppe
unter der Leitung von Prof. Dr. Bernhard Furrer (EKD) gehörten an: Ernst Baumann (EKD), Thomas Jud (BFE),
Michael Kaufmann (BFE), Stefan Wiederkehr (BFE), Urs Wolfer (BFE), Dr. Bernard Zumthor (EKD) sowie Dr.
Nina Mekacher, Beatrice Stadelmann und Vanessa Achermann für das Sekretariat der EKD.
8
Es wäre in diesem Falle äusserst vielversprechend, zu erforschen, welche Geisteshaltungen, Gesinnungen,
Vorschriften, Standards, eingeschliffene Vorgehensweisen etc. und welcher Berufshabitus die Disziplinen
Baudenkmalpflege, Architektur und Behaglichkeit im weitesten Sinne aus der Geschichte und heute trennt und
verbindet. Dieses Anliegen übersteigt aber die vorliegende Forschungsarbeit.
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5 daher nicht unbedingt als Teil des Teams zur Umsetzung eines gemeinsamen Projektes verstanden. Sie müssen
weniger Lösungsvorschläge und Entwürfe einbringen als vielmehr dafür besorgt sein, dass die
denkmalpflegerischen oder energetischen Auflagen und Bedingungen erfüllt werden. Aufgrund der verbreiteten
Sparmassnahmen kann eine fortlaufende Begleitung vielerorts kaum mehr angeboten werden. Nachhaltigkeit
und Umweltschutz sind zwar ebenso wie der Erhalt kultureller Werte politisch gewollt, der Staat regelt jedoch
nicht den resultierenden Zielkonflikt. Dies ist Aufgabe des Projektteams. Die beteiligten Spezialisten
(Gebäudetechnik, Statik, Brandschutz, Bauphysik etc.) reagieren eher auf Projektvorgaben, als dass sie
eigenständig aktiv agieren. In diesen Disziplinen versteht man sich mehrheitlich als Dienstleister, welcher die
Vorgaben des Bauherrn zielgerichtet umsetzt: Dabei wird oft befürchtet, dass einmal auf die neuste
Errungenschaft zu verzichten schon vermittelt, dass man nicht auf dem Stand der Technik sei. Die Einstellung
einer kreativen Lösungssuche gerade beim Umbau ist wenig verbreitet. Dies mag auch dem Umstand
geschuldet sein, dass es für Umbauten kaum Wettbewerbe gibt und damit das kreative Potenzial seitens der
Bauherren und Planer, aber auch der behördlichen Stellen unterschätzt wird. Auch besteht im allgemeinen
wenig Motivation, einmal gefällte Entscheide aufgrund neuer Erkenntnisse nochmals zu hinterfragen, zu
verändern und umzuplanen.
Um mögliche Differenzen in den Sichtweisen auf die Projekte aufzuzeigen, haben an dieser Stelle die Autoren
der Studie ihre spezifischen, disziplinären Absichten formuliert. Selbstverständlich haben auch alle weiteren
Beteiligten eigene Vorstellungen, die in die Planungen einfliessen, hier jedoch nicht alle berücksichtigt werden
können.
Aus der Sicht der Gebäudetechnik (ZIG)
Grundsätzlich wird eine lösungsoffene Herangehensweise an die jeweilige Problemstellung erwartet. Eine
gesamtheitlich überzeugende Lösung verlangt Kompromissbereitschaft von allen Beteiligten und auch ein
Denken in Grautönen anstelle eines Schwarz-Weiss-Denkens. Wichtig ist die Ausarbeitung, Bewertung und
Optimierung von Varianten, so dass schlussendlich eine zwar nicht in allen Aspekten maximierte dafür aber im
Gesamten optimierte Lösung resultiert. Eine entscheidende Voraussetzung dafür ist, dass die Beteiligten
sämtlicher Disziplinen ein gewisses Verständnis für Gebäudetechnik, Bauphysik sowie allgemeine Energiefragen
aufbringen.
Energie- und Gebäudetechnikfachleute sollten in der Regel viel früher, das heisst bereits bei der Definition der
Projektanforderungen, ins Planungsteam miteinbezogen werden. In dieser Phase können sie kreativ und
proaktiv bei der Verhinderung von Problemen beitragen, die später allzu oft nur mit einem erhöhten
technologischen Aufwand wieder wettgemacht werden müssen. Werden beispielsweise im Rahmen des
Projektes zu Beginn sinnvolle Anforderungen oder Nutzungen festgelegt, kann das allenfalls zu einer markanten
Vereinfachung, bzw. Reduktion der notwendigen haustechnischen Elemente und Anlagen führen.
Gute Gebäudetechniker zeichnen sich aus durch Verständnis für die bestehende Bausubstanz und ihre
Bedeutung, sowie für die Anliegen der anderen Projektbeteiligten bzw. Disziplinen. Sie zeigen Offenheit
gegenüber unkonventionellen Lösungen und sind bereit neue Wege zu beschreiten, um massgeschneiderte,
ganzheitlich optimierte Lösungen zu finden. Sie bringen sich auch schon in frühen Projektphasen kreativ und
lösungsorientiert in den Prozess mit ein.
Die Absichten des Denkmalpflegers
Der verantwortliche Denkmalpfleger ist der Staatsanwalt, der sich aufgrund seines Verfassungsauftrags für das
Baudenkmal einzusetzen hat. Er muss daran erinnern, dass nicht nur die Energieeffizienz ein öffentliches
Interesse darstellt, sondern ebenso der möglichst ungeschmälerte Erhalt des Baudenkmals. Diese unpopuläre
Rolle des ungefragt zum Planerteam stossenden Staatsangestellten ist in einer Art und Weise zu spielen, dass
nicht über behördlichen Zwang, sondern mit überzeugenden Argumenten und konstruktiven Inputs agiert
werden kann. Der Ehrgeiz des erfolgreichen Denkmalpflegers ist es, dass die Beteiligten spätestens bei der
Fertigstellung von der Richtigkeit der Berücksichtigung denkmalpflegerischer Interessen im Projekt überzeugt
sind.
Absichten der Architekten
Zunächst einmal sollte man sich in der Architektur die Differenz zwischen Neubau und Umbau vor Augen
führen: Der Architekt eines Neubaus ist der Erfinder eines Gefässes für einen bestimmten Inhalt. Für einen
Umbau braucht es keine Erfindung, sondern eine Findung9. Dabei steht die Architektur in einer mehrfachen
9
Der Begriff der Findung ist dabei zweideutig: Findung kann interpretiert werden als die beste Nutzung und
deren Formulierung für ein bestehendes Gefäss. Gleichzeitig impliziert der Begriff den kollektiven und
interdisziplinären Annährungsprozess der Beteiligten: „Als Findung wird ein Vorgang bezeichnet, bei dem ein
Mensch oder eine Gruppe von Menschen einen Erkenntnisprozess durchschreitet und in gemeinsamer
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6 Verantwortung: Sie hat die Ansprüche des Bestellers und der Nutzung soweit wie möglich umzusetzen.
Darüber hinaus muss sie das umzubauende Gebäude als nichtwiederherstellbare Ressource schätzen und als
physischen Speicher des kollektiven Gedächtnisses wahrnehmen. Ein bestehendes Gebäude kann als kulturelles
Gedächtnis nach Sigmund Freud interpretiert werden, welches sich parallel durch Aufnahmefähigkeit für Neues
und das Erhalten von Spuren auszeichnet.
Um einen Eingriff nachhaltig tätigen zu können, fällt dem Architekten die Rolle eines Übersetzers zu: Er muss
den vorhandenen Autor und den Text sehr gut verstehen und in die heutige Zeit übertragen können. Eine gute
Übersetzung kommt dabei nicht ohne Interpretationen aus. Sie muss die Aussagen verstehen wollen, ohne die
eigene, in der eigenen Zeit stehende Persönlichkeit verleugnen zu müssen, damit eine gleichberechtigte und
reife Beziehung – und damit eine gute Erneuerung von Innen – entstehen kann.
Eine wichtige Rolle spielen bei der energetischen Erneuerung von Innen die Energiefachstellen. Auch
10
sie verfolgen spezifische Ziele, die hier von Yvonne Züger aus Sicht der Fachstelle für nachhaltiges
Bauen, AHB Zürich formuliert werden:
Einschub extern
Absichten der Fachstelle Nachhaltigkeit
Einerseits sind behördliche Vollzugsstellen dafür verantwortlich, dass die energetischen Vorschriften
eingehalten werden. Andererseits stehen Fachspezialisten bauherrenseitig dafür ein, dass darüber
hinausreichende Anforderungen wie z.B. die 2000-Watt-Gesellschaft oder die Minergie-ECOStandards erreicht und auch Themen wie Materialökologie, Lebenszykluskosten oder Suffizienz in den
Bauprojekten berücksichtigt werden. Projektteams werden dazu angehalten, die Partikularinteressen
zu berücksichtigen und damit optimierte Lösungen zu erarbeiten, sowie vorhandene Zielkonflikte
zwischen den wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Interessen zu lösen. Damit wird
der Prozess zu einer umfassenden Nachhaltigkeit gesteuert.
Nutzung
Bei intensiv genutzten Bauten ist eine rein konservierende Denkmalpflege meist nicht möglich, da damit die
Nutzungsansprüche nicht eingelöst werden können. Eine energetische Sanierung setzt aber die grundsätzliche
Benutzbarkeit des entsprechenden Baudenkmals voraus. Die Sichtbarmachung des historischen Baus bleibt
wichtig, um nicht die Identität des Bauwerks zu verlieren, Nutzen und Erhalt bilden dementsprechend einen
komplexen Zusammenhang. Es ist eine Frage der Angemessenheit und der grundsätzlichen Haltung, ob aus
denkmalpflegerischer Sicht ‚erhaltend’ oder ‚erlebbar’ reagiert wird. In der Praxis spiegelt sich dies häufig bei
der Wahl zwischen Substanzerhalt und Interpretation.
Kosten- und Zeitdruck, aber auch die Angst vor komplexen Abläufen, führen oft dazu, dass sich in der frühen
Planungsphase eine reduzierte Gruppe von Spezialisten mit den Anforderungen eines Projektes und dessen
Kompatibilität mit dem Baubestand befasst. Aufgrund mangelnden Wissens der Beteiligten in den anderen
Fachgebieten können dadurch unrealistische Nutzungsvorstellungen entstehen, was nachträglich zu zeit- und
kostenintensiven Korrekturen der Planung und im schlimmsten Fall zu Fehlplanungen führen kann.11 Leider ist
Verantwortung bis zu einem alle befriedigenden Resultat oder einer einvernehmlichen Handlungsweise bringt.
Bei Bestehen unterschiedlicher Meinungen geht die Findung weit über einen bloßen Kompromiss oder das
Ergebnis einer akzeptablen Stimmenmehrheit hinaus. Im Gegensatz zur Suche als Prozess, der mit dem (Auf-)
Finden als Ereignis abgeschlossen wird, bezeichnet die Findung den fortschreitenden Erkenntniszuwachs.“ Unter:
http://de.wikipedia.org/wiki/Findung
10
Yvonne Züger war in der Begleitgruppe des Forschungsprojektes ‚Denkmalpflege & Energie – Erneuerung
von Innen’ und hat während der Projektphase die Sicht der Bauherrenvertreterin und der Fachstellen
wertvollerweise eingebracht.
11
„Um ihre Aufgabe erfüllen zu können, muss aber die Denkmalpflege ihr Begriffssystem und damit auch das
Feld ihrer Tätigkeit gewaltig erweitern. Diese Erweiterung betrifft sowohl den schützenden Bestand und die als
wertvoll empfundenen „Baustile“, als auch die Art der Erhaltung, die Strategien: an die Stelle einer „Rettung des
Bauwerks vor den Nutzern“ tritt die Erhaltung durch die Nutzung.“ Burckhardt Lucius, Der Baubestand –
wichtigster Teil des Volksvermögens, in: Der kleinstmögliche Eingriff, Martin und Schmitz Verlag, Herausgeber:
Ritter Martin und Schmitz Martin; Berlin 2013, S.59
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7 der wichtigste Entscheid einer Neunutzung aufgrund drängender Bedürfnisse meist schon gefällt, ohne geklärt
und eruiert zu haben, ob die Paarung von (Neu-) Nutzung und Bestand passt. Oft wurde dabei kaum beachtet,
dass eine Nutzung nach SIA mit Komfortansprüchen und energetischen und technischen Anforderungen
hinterlegt ist.12 Dabei ist die geeignete Wahl der Nutzung die Grundvoraussetzung für den Erhalt eines Baus.
Die Zufriedenheit aller Beteiligten und später der Nutzer hängt vom Erfüllen der anfänglich festgelegten
Anforderungen an den Bau ab. Allzu oft werden diese falsch eingeschätzt, beispielsweise mit zu hohen
energetischen Vorgaben. Diese können den Bestand überfordern und das Projekt von Anfang an zum Scheitern
verurteilen. Eine passende neue Nutzung ermöglicht hingegen die Aufwertung und das Überleben stillgelegter
Gebäude.
Transparenz
Wenn im Umbaubereich geplant wird, ergeben sich während des Prozesses Überraschungen, da beispielweise
Konstruktionsaufbauten von aussen nicht einsehbar sind und ihr Zustand und vorhandenes Potential nur mit
Messungen und Sondierungen geklärt werden können. Daher müssen im komplexen Planungs- und Bauprozess
laufend Entscheidungen gefällt und ständig Weichen gestellt werden. Diese sind oft nicht nachvollziehbar und
transparent für die Vertreter anderer Disziplinen, denn Entscheide werden nicht in allen Phasen kollektiv
gefällt, sondern meist ad hoc auf der Baustelle lokal und individuell.
Gebäudeimmanente Systeme
Bestehende Gebäude verfügen in der Regel bereits über konstruktive und technische Systeme, welche die
(ehemalige) Nutzungen und den gewünschten, ehemaligen Komfort ermöglicht haben. In manchen Fällen weisen
diese bestehenden Systeme einen hohen Energieverbrauch und eine erhöhte Umweltbelastung, infolge
gesteigerter Komfortansprüche, Transmissionsverlusten und fossiler Energieträger auf. Dennoch können auch
diese konstruktiven Systeme als integraler Teil des schützens- oder erhaltenswerten Bestandes verstanden
werden. Meist werden sie jedoch weder erfasst noch optimiert oder – falls gesamthaft notwendig – sinnvoll
modifiziert. Werden diese immanenten Systeme des Bestands ignoriert, kann dies zu Massnahmen führen,
deren Wirkungen sich gegenseitig aufheben.13
3 Thesen
Es ist bekannt, dass jeder Umbau Überraschungen bereithält, welche nicht oder mindestens nicht alle im
Vorfeld berücksichtigt werden können. Die schwierige Einschätzung des Bestandes und die potenzierte
Komplexität der Anforderungen14 führt leider manchmal zu einem Vorgehen, bei dem die Einzelentscheidungen
addiert und umgesetzt werden. Dieser vermeintlich ‚pragmatische’ Weg verzichtet auf ein Gesamtkonzept. Als
Beispiel eines Gegenmodells kann dazu der Wiederaufbau des Neuen Museums Berlin von David Chipperfield
und Julian Harrap erwähnt werden. Das Team hatte drei Dokumente für den Ablauf der Instandsetzung
entwickelt: Einen Denkmalpflegerischen Leitfaden, eine Restaurierungsstrategie und das
Restaurierungskonzept.15 In einem Interview gibt David Chipperfield zu, dass der Leitfaden ‚vielleicht in
mancher Hinsicht etwas vage war’, aber eine Grundlage zur Haltung für den gesamten Prozess gelegt hat.16
12
Zweck des Merkblatts SIA 2024 ist die Vereinheitlichung von Annahmen über die Raumnutzungen,
insbesondere über die Personenbelegung und die Gerätebenutzung. Diese Annahmen sollen bei den
Berechnungen und Nachweisen nach den Normen der Energie- und Gebäudetechnik verwendet werden, wenn
keine genaueren Angaben vorliegen. (...) Diese typischen Werte können im frühen Planungsstadium verwendet
werden. Diese Angaben werden für 44 Raumnutzungen gemacht, welche einen grossen Teil der in der Praxis
vorkommenden Geschossflächen abdecken.
13
Im Gespräch mit Theresia Gürtler Berger, heute Denkmalpflegerin der Stadt Luzern, wurde der Umgang mit
gebäudeimmanenten Systemen diskutiert. Oft gehen Baumassnahmen tief in den Gebäudebestand hinein und
können vorhandene Systeme zerstören, die – für sich betrachtet – leistungsfähig waren. Motiviert sind solche
Eingriffe meist durch die aktuell sehr hohen Ansprüche.
14
Bei einer Baueingabe in der Stadt Zürich beispielsweise werden mehrheitlich die maximalen Anforderungen
pro Amt definiert und kumulieren dadurch (z.B. Brandschutzanforderungen, Schallschutzanforderungen und
Denkmalpflege etc.). Eine übergeordnete Einschätzung, welche die Widersprüche bereinigt oder die
Sinnfälligkeit prüft, findet nicht statt oder es fühlt sich von Amtes wegen niemand für eine generalistische Sicht
und Begleitung eines Projektes verantwortlich.
15
„Sie wurden spezifisch dafür entwickelt und festgeschrieben und basierten nicht auf den Regeln der üblichen
Texte, die auf die Chartas von Venedig und Burra zurückgehen. Die Dokumente enthielten für jeden Raum
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8 Wir begrüssen diese Formulierung eines Leitfadens für die Erneuerung von Innen, der unkoordiniertes
Flickwerk und stückweise ad hoc ‚Bastelei’ an Bauwerken verhindert, welche langfristig meist Mehrkosten
verursachen und nicht nachhaltig wirken. Der objektspezifisch verfasste Leitfaden ist dabei nicht das eigentliche
Konzept des Umbaus, sondern bestimmt vielmehr die Haltung der Beteiligten gegenüber dem Bestand und
bildet einen ‚roten Faden’ während des Projektes. Er erleichtert idealerweise Entscheidungen und sichert ab,
wie mit neuen Erkenntnissen im Prozess umgegangen werden könnte.17 Dafür weist er die geforderte
Flexibilität aus, um mit den, bei Umbauten üblichen Überraschungen umgehen zu können. So ein Leitfaden ist
als Planungsinstrument zu verstehen, er umfasst Texte und Zeichnungen ebenso, wie möglicherweise
Visualisierungen. Sie dienen unter Planern und Laien der Kommunikation des angestrebten Erscheinungsbildes.
Hier werden die grundsätzlichen Ziele der Erneuerung von Innen festgehalten und Prioritäten definiert. Das aus
dem Leitfaden entwickelte Konzept des Umbaus hingegen bietet konkrete handlungsorientierte
Entscheidungslinien – allerdings mit Reaktionsräumen. Diese sind im Umbaubereich zwingend notwendig, soll
nicht mit jeder Entdeckung das Konzept neu definiert werden.
In unserem Verständnis ist Architektur keine Kunst und damit nicht das individuelle Werk eines einzelnen
Genies.18 Aus diesem Grund ergeben Alleingänge in Planung und in der Abwicklung eines Baus keinen Sinn,
umso weniger beim Umbau, da hier die Komplexität und Unvorhersehbarkeit noch gesteigert ist. Wir plädieren
daher für folgende gemeinsame Schritte vor der eigentlichen Planung anhand von neun Thesen.
These1: Wir müssen uns in den Bestand einfühlen!
Grundsätzlich ist ein Gebäude nicht nur die Ansammlung von altem Material, sondern es ist der Speicher einer
Lebens- und Denkweise, einer Funktions- und Gebrauchsweise. Es zeigt den Stand des konstruktiven Wissens
und Könnens und des spezifischen Verhältnis’ zu Materialien. Ein Gebäude verfügt damit über einen Charakter
und einen eigenen Ausdruck. Um den Bestand auch atmosphärisch erfassen zu können, muss er
unvoreingenommen begangen und auf allen Ebenen kennen gelernt werden. Nur so kann eine Beziehung zu
dem Bau eingegangen und der Dialog aufgenommen werden. Als ein ‚Gesprächspartner’ verstanden, kann der
Bestand auf gewisse Fragen spezifische Antworten geben.19
ausführliche Dokumentationen, Studien und Überlegungen zu den Konstruktionselementen, Wänden und
Deckenflächen und boten ein Rahmenwerk für den Entwurf des neuen Gebäudes. Das Ergebnis war eine
allumfassende Methodik, mit deren Hilfe eine solide konzeptionelle Grundlage geschaffen werden sollte, an
welcher der neue Entwurf und die Restaurierungsarbeiten zu messen wären. Sie legten das verträgliche Mass an
Reparatur und Eingriffen in die vorhandene Substanz fest.“ Harrap Julian, Die Ruine einfrieren, in: Chipperfield
David in Zusammenarbeit Harrap Julian, Neues Museum Berlin, Verlag der Buchhandlung König, Köln 2009,
S.123
16
„Ich glaube, dass das Dokument, das wir zu Beginn des Projektes aufgesetzt haben, der sogenannte
„Denkmalpflegerische Leitfaden“, vielleicht in mancher Hinsicht etwas vage war. Trotzdem war es
philosophisch genug, um alle zufriedenzustellen. Zu diesem Zeitpunkt war es das richtige Instrument,
schliesslich wäre es damals schwierig gewesen, konkreter zu werden.“ David Chipperfield im Gespräch mit
Wolfgang Wolters, in: Chipperfield David in Zusammenarbeit Harrap Julian, Neues Museum Berlin, Verlag der
Buchhandlung König, Köln 2009, S.232.
17
„Es war eine riesige Herausforderung für das Team, die Fachplaner, die normalerweise ein konsequentes
Gesamtkonzept wollen, davon zu überzeugen, ihre Konzepte von Raum zu Raum anzupassen. Diese Arbeit
wird wohl nie wahrgenommen und diskutiert werden – und vielleicht muss das auch so sein.“ David
Chipperfield im Gespräch mit Wolfgang Wolters, in: Chipperfield David in Zusammenarbeit Harrap Julian,
Neues Museum Berlin, Verlag der Buchhandlung König, Köln 2009, S. 235
18
Architektur hat per se nicht die Intention, eine kurzfristige Laune zu befriedigen, sondern den Willen des
Kollektivs in ihrer Entstehungszeit zu verstehen, ihn langfristig auszudrücken und zu einer nachhaltigen
architektonischen Sprache zu finden.
19
Rudolf Schwarz, (zum Wiederaufbau der Frankfurter Paulskirche): „Ich hielt die Erhaltung von Ruinen für
möglich, die genaue Wiederherstellung auch, aber ich meinte, beides sollte die Ausnahme sein und Regel die
Interpretation. Man solle das alte Werk ganz und gar ernst nehmen, aber nicht als ein Totes, sondern als ein
Lebendiges, das unter uns lebt, und mit ihm eine Zwiesprache beginnen, lauschen was es zu sagen hat, und
sagen, was wir als lebendige Menschen zu antworten haben, und ihm so als einem Lebendigen ein neues
Lebendiges einzufügen. Man solle diese Zweisprache aber mit einem Partner beginnen, nicht wie er einmal war,
sondern wie er jetzt, in dieser geschichtlichen Stunde, da ist und Geschichte erlitten hat.“ in: Peter Franz,
HSLU_D&E_Abschlussbericht.docx
9 These II: Der Bestand muss gründlich dokumentiert werden!
Die Lebensgeschichte eines Gebäudes – seine Erstellung und ihre Umstände, eventuelle Transformationen,
Teilabbrüche etc. – muss über Archivarbeit, bestehende Quellen, Dokumentationen und Texte erfasst werden.
Parallel sollte die physische Gestalt des Bestandes dokumentiert werden, wofür die angewandte Konstruktion
und die vorhandene Materialisierung mit Plänen, Skizzen, Fotographien verzeichnet wird. Je nach Gebäude
sollten auch bauphysikalische Simulationen und lokale Sondagen gemacht und festgehalten werden.20 Diese
gründliche Dokumentation vor dem Eingriff in ein Baudenkmal hat sich als unverzichtbarer Teil der
Interventionsplanung erwiesen. Dazu gehört auch der Versuch nachzuvollziehen, wie der Bestand in seiner
ursprünglichen Ausformung funktioniert hat – eben welche energetischen Systeme ihm zugrunde liegen.21 Der
Bestand hat Potentiale, welche ausgeschöpft werden wollen, er weist aber auch Grenzen auf, die erkannt,
berücksichtigt und dokumentiert werden müssen.
These III: Nehmt eine Haltung zum Bestand ein und interpretiert ihn!
Jeder Eingriff drückt die Haltung dem Bestand gegenüber aus – eine wertschätzende und zurückhaltende
Intervention wird auch als Achtung vor dem Bestehenden verstanden. Ein Autor ist nie neutral, der Planende
muss daher eine würdigende Einstellung annehmen.22 Hier entsteht Ambivalenz, die Haltung soll von
Selbstbewusstsein zeugen, darf dabei aber weder in Selbstgefälligkeit verfallen noch sich dem Bestehenden
devot unterordnen.
These IV: Die Bestellung testen!
Bei einem Neubau wird das Volumen durch die Bestellung definiert. Bei einem Umbau ist das ‚Gefäss’ jedoch
schon vorhanden und der gewünschte Inhalt muss darin Platz finden. Die Bestellung ist aus einem Bedürfnis der
Bauherrschaft entwickelt und formuliert worden, oft ohne das zukünftige Gebäude zu kennen oder ohne das
Wimmer Franz, Von den Spuren, interpretierender Wiederaufbau im Werk von Hans Döllgast, Verlag Anton
Pustet, Salzburg 1998, S. 12
sowie Richard Sennett zum Begriff der „Dialogik“. Er beginnt dabei mit einem Zitat: “Menschen, die nicht
beobachten, können auch kein Gespräch führen.“ In dieser klugen Bemerkung eines englischen Rechtsanwalts
zeigt sich das Wesen der „Dialogik 2: Der technische Ausdruck meint Aufmerksamkeit und Empfänglichkeit für
andere Menschen (oder eben Gebäude, A.d.A.). Inbesondere lenkt das Bonmot des Anwalts die
Aufmerksamkeit auf die Bedeutung des Zuhörenes für das Gespräch. Wenn wir über Kommunikationsfähigkeit
reden, legen wir das Schwergewicht meist auf die Fähigkeit, klar und verständlich vorzutragen, was wir denken
und fühlen. Dazu bedarf es tatsächlich gewisser Fähigkeiten, doch die sind deklarativen Charakters. Zuhören
erfordert eine Reihe anderer Fähigkeiten. Hier gilt es, darauf zu achten, was andere sagen, und es
interpretieren, bevor man antwortet, und zwar die Gesten und Sprechpausen ebenso wie das explizit Gesagte.
Obwohl wir uns möglicherweise zurückhalten müssen, um beobachten zu können, wird das Gespräch dadurch
reicher, kooperativer, dialogischer“, in: Sennett Richard, Zusammenarbeit – Was unsere Gesellschaft
zusammenhält, Carl Hanser Verlag München 2012, S. 29
20
Mögliche Untersuchungen und Sondagen können sein: Statische Untersuchungen zur Nutzlasten, zum
Zustand von Materialien und Feuchtehaushalt (z.B, eingemauerte Balkenköpfe), Messung eines
Wärmedurchgangs, Erhebung von Konstruktionsaufbauten oder ursprünglicher Farbschichten, Berechnung
Energiebedarf und Abgleich mit effektivem Verbrauch etc.
21
Das bedeutet nachzuvollziehen, wie die komplexen Systeme des Bestandes funktionierten, und diese auf ihre
Potentiale und auf mögliche Fehlerquellen abzuklopfen. Diese Systeme sind oft komplex und schliessen z.B.
Techniken der Erstellung und des Unterhalts, aber auch Benutzerverhalten oder Materialeigenschaften ein. Man
denke z.B. an die Art der Heizung in manchen Bauernhäusern, wo Strahlungswärme, Speicherfähigkeit,
Heuspeicher mit Dämmwert und das winterliche "zusammenrücken" der Bewohner zu einer Resultierenden
zusammenwirken.
22
27. Lehrspruch: „Baukunst muss lebendige Geschichte sein und als solche erhalten werden.“ S.335.
Und: „Wenn wirklich ein Nutzen in unser Kenntnis der Vergangenheit oder eine Freude in dem Gedanken
liegt, ein Andenken zu hinterlassen, das uns Kraft zu gegenwärtigem Streben verleihen kann oder Geduld im
Standhalten, so gibt es zwei Pflichten in Bezug auf nationale Architektur, deren Wichtigkeit nicht überschätzt
werden kann. Die erste besteht darin, die Baukunst der Gegenwart als „historisch“ (nämlich „unsere Zeit“
ausdrückend) zu machen; die zweite, die der Vergangenheit als die kostbarste aller Erbschaften zu erhalten.“ in:
Ruskin John, Ausgewählte Werke in vollständiger Übersetzung, Die sieben Leuchter der Baukunst, aus dem
Englischen von Wilhelm Schoelermann, Verleger Eugen Dietrichs, Leipzig 1900 S.334-335
HSLU_D&E_Abschlussbericht.docx
10 ausgewählte Gebäude bezüglich Platzangebot geprüft zu haben.23 Es empfiehlt sich daher, das bestellte
Raumprogramm mit Nutzungssimulationen zu testen. Welcher Inhalt findet im vorgesehenen Gefäss gut und
passend Platz? Anstatt wie beim Neubau ein Raumprogramm umzusetzen, ist beim Umbau der Raum fixiert und
eine dazu passende Nutzung ist zu finden. Dies kann als Inversion einer Neubauplanung verstanden werden24
oder anders ausgedrückt – als ein ‚antimodernes Manifest’.25
These V: Die Nutzung selbst ist weich!
Das Überleben des Bestandes ohne neue Nutzung ist gefährdet, Nutzen und Erhalt bilden daher einen
komplexen Zusammenhang. Die bestellte Nutzung, die damit gekoppelten Anforderungen und der gewünschte
Komfort können jedoch gut oder eben weniger gut zu einem Bestand passen: Der Kunde sucht sich das
passende Kleid oder das Kleid ruft nach der richtigen Füllung! Entgegen der modernen Vorstellung von
Nutzung und Funktion26 sind diese aber nicht wissenschaftlich definierbar. Dies bedeutet, dass vielleicht
vorhandene, starre Vorstellungen einer Funktion hinterfragt und aufgebrochen werden müssen: sind die Räume
vorhanden, muss die Nutzung sich anpassen. Oft zeigt sich, dass gerade aus diesem Spannungsfeld qualitätvolle
Interpretationen entstehen können.27
These VI: Macht eine Auslegeordnung!
Eine Beurteilung von Baubestand ist per se anspruchsvoll, der zusätzliche Aspekt der energetischen Sanierung
verschärft den Prozess noch, indem er durch weitere Anforderungen – in Abhängigkeiten zu Nutzung und
Bestand – die Entscheide komplexer macht. Hier eine Übersicht zu gewähren, ist herausfordernd, doch wichtig.
Denn erst die Kenntnis der neuen Anforderungen ermöglicht eine Gewichtung und Priorisierung der Themen.
Eine Auslegeordnung der bedeutenden Faktoren kann hierfür eine Grundlage bieten. Neben den energetischen
Standards kommen auch anderen möglichen Einflussfaktoren28 hinzu, wie Schadstoffuntersuchungen,
Erdbebenertüchtigung, Schall- und Akustikanforderungen, Nutzungsvereinbarung (Nutzlasten), Brandschutz,
ökologische Vorgaben etc.
These VII: Prüft die Angemessenheit des Eingriffs.
23
Raumprogramme werden oft als Nettobestellung formuliert, ohne dabei Erschliessungs- und
Konstruktionsflächen und Nebennutzflächen eingerechnet bzw. abgezogen zu haben.
24
Zum grundsätzlichen Verhältnis von Bau und Nutzung hat Kilian Bühlmann, als ursprünglicher Leiter der
Abteilung „Bau und Raum“ der Universität Bern erhellende Studien entwickelt. Siehe dazu: Bühlmann Kilian,
Bauen für die Universität, in: Stadt – Universität Bern, 175 Jahre Bauten und Kunstwerke, Herausgeber: Minta
A., Nicolai B., Thome M., Haupt Verlag Bern 2009, S.115 bis 127
25
Erstaunlicherweise führen für den Bestand gerade sehr fremde Neunutzungen zu ‚eigenartigen’ Begegnungen
zwischen altem Gefäss und neuem Inhalt und zu gesteigertem Erleben (Bespiele: Hallen für neue Kunst in
Schaffhausen Qualität der Neunutzung ‚eigenartige’ Begegnung (Hallen für neue Kunst in Schaffhausen, Tate
Modern in London, Lokremise in St. Gallen etc.). Die Beispiele widerlegen die These, dass eine funktionale
Architektur im Sinne eines Massanzuges die bessere Architektur sei. Aldo Rossi hat in seinem Buch Die
Architektur der Stadt von 1966 bzw.1975 der Typologie eine viel höhere Permanenz als der Nutzung beschieden.
26
beispielsweise bei Ernst Neufert, dessen Buch Bauentwurfslehre ein Standardwerk ist, welches seit 1936 in
Deutschland und heute in über 18 Ländern erscheint und Funktionen als präzise normierbar definiert.
27
Bei der ursprünglichen Weichenbauhalle im vonRoll-Areal in Bern wurde aufgrund der Nutzungsansprüche
einer im Wettbewerbsbeitrag vorgesehenen Bibliothek auf diese verzichtet und das passendere
Hörsaalzentrum eingebaut. Grundsätzlich kann konstatiert werden, dass Nutzung eben nicht starr, sondern
flexibel ist: Aufgrund der bestellten Anzahl an Hörsälen und der vorgegebenen Proportion der Halle sind die
Hörsäle sehr untief und ungewohnt breit. Dies bedingte eine unübliche, gewöhnungsbedürftige
Doppelprojektion. Gleichzeitig hat aber der Redner durch seine Nähe einen sehr direkten Kontakt zu seinem
Publikum und kann damit auch ohne Mikrophon sprechen, was wiederum als funktionaler Vorteil goutiert wird.
28
„Reparatur ist ein Kreislauf von Analyse, Strategie, Implementierung und Erfolgserlebnis. Dies ist eine Art
Wertschöpfungskette. Das analytische Denken muss man üben. Wenn Kinder das Reparieren nicht mehr
lernen, sind sie nicht mehr in der Lage, das durchzuführen, was Mediziner Anamnese nennen, die systematische
Befunderhebung.“ In: M. Heckl Wolfgang: „Plädoyer für eine Kultur der Reparatur“; Wolfgang M. Heckl, in: Die
Kultur der Reparatur, Carl Hanser Verlag München 2013, S.142.
HSLU_D&E_Abschlussbericht.docx
11 Der anvisierte Komfort29 und die daraus resultierenden Anforderungen müssen jederzeit kritisch hinterfragt
werden. Jedes Bestandsgebäude ist anders, also sollten auch normierte Komfortansprüche auf den Prüfstand
gestellt werden. Zwischen den Angeboten des Bestandes und den Erwartungen der neuen Nutzungen30 muss
abgewogen werden. Heute findet aufgrund der bestellten Nutzung des Bauherrn und den daran gekoppelten
Anforderungen der Vorschriften, Ämter, Fachplaner etc. oft eine Kumulation der disziplinären Ansprüche statt.
VIII: Koordiniert Euch und kooperiert früh!
Wir haben feststellen können, dass die Projekte, bei denen alle Fachbereiche intensiv zusammengearbeitet
haben, vermehrt eine hohe Qualität erreichen. Entsprechend sollten sich die Projektbeteiligten aus den
unterschiedlichen Disziplinen vermehrt als Mitstreiter an einem gemeinsamen Werk verstehen, denn als reiner
Zulieferer. Solidarische Weichenstellung schützt auch vor aufwendigen und teuren Fehlentscheidungen. Dafür
braucht es auch den Willen, Laien – was der Bauherr oder andere Fachplaner oft sind – die eigenen
Sachverhalte verständlich und anschaulich vermitteln zu können.
These IX: Bauhütte – ein unrealistischer Traum.
Gerade im Umbaubereich würde man sich eine erfahrende Truppe an Planer und Handwerkern wünschen,
welche die Komplexität kennen, die Freude am Bestand teilen, aber auch die Sorgfalt haben, eine Idee in
Konstruktion und Material angemessen umzusetzen. Diese Zusammenarbeit existiert jedoch nur in kleinen
Nischen, etwa in einzelnen Regionen, wo erfahrenen Projektpartner zusammenfinden – oft zum Vorteil von
Eigentümer und Baudenkmal. Ist dies bei kleineren, privaten Projekten noch möglich, so können derartige
Kooperationen bei Grossprojekten gerade aufgrund des öffentlichen Beschaffungswesens durch Wettbewerb
und Ausschreibung nicht umgesetzt werden.
Einschub externer Autor
Auf unsere Bitte hin, hat ein Bauherr mit ein paar Gedanken aus der Sicht des langfristigen
31
Immobilieninvestors auf unsere Thesen reagiert:
Wenn ein Gebäude unter Schutz gestellt wird, ist das die höchste Auszeichnung, die es aus
gesellschaftlicher Sicht haben kann. Viele Investoren fürchten sich jedoch davor, da sie sich in Ihrer
Handlungsfreiheit eingeschränkt fühlen. Doch auch mit geschützten Objekten in einem Portfolio kann
man Geld verdienen, sofern die Einschränkungen eine vernünftige Nutzung nicht verunmöglichen. Es
ist unerlässlich, dass man die Flächen zu einem marktkonformen Preis vermieten kann. Dafür ist das
wichtigste, dass das Gebäude genutzt, im Kontext gut integriert und somit von den Nutzern akzeptiert
wird. Interventionen in geschützten Bauten müssen also immer dahingehend entwickelt werden, dass
eine sinnvolle – vielleicht auch völlig andere, als ursprünglich vorgesehene – Nutzung möglich ist.
In einem bestehenden Haus müssen in der Regel Kompromisse in Bezug auf den Komfort
(Schallschutz, Hindernisfreiheit, Energieverbrauch Behaglichkeit etc.) gemacht werden. Aktuell – und
dies unterstützen die Bauvorschriften massiv – wird zu einem übertriebenen Perfektionismus tendiert,
der einen hohen Anspruch auslöst. Die resultierenden Folgen, das Strapazieren der Bausubstanz,
hohe Kosten, ein immenser Technikbedarf, zahlreiche Installationen etc. werden bei der
Programmierung oft nicht beachtet. Dies gilt auch für die allseits geforderte grosse Nutzungsflexibilität,
die gerade im Bestand kritisch zu hinterfragen ist.
In diesem Sinne muss der Eigentümer und der Nutzer eine Güterabwägung der Interessen machen.
Meist können nicht alle Ansprüche/Anforderungen perfekt erfüllt werden. Hier kann eine
29
„Ziel bei der Planung für das Neue Museum war es, bei einem derartig komplexen Gebäude zum frühst
möglichen Zeitpunkt Planungssicherheit zu erlangen und eine Minimierung der Anlagetechnik zu erreichen.“
Zur dieser ‚Adaptivität’ von Komfortvorgaben siehe: Tiele Hans-Peter, Technische Gebäudeausrüstung, in: Das
Neue Museum Berlin, Herausgeber: Staatliche Museen Berlin– Stiftung Preussischer Kulturbesitz (SMB),
Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR), Landesdenkmalamt Berlin (LDA), Konservieren,
Restaurieren, Weiterbauen im Welterbe, E.A. Seemann Verlag Leipzig 2009, S.106 bis 115
30
„Für Nutzungen und nicht für Nutzer zu bauen, hat sich als Methode bewährt.“ Sie dazu: Bühlmann Kilian,
Bauen für die Universität, in: Stadt – Universität Bern, 175 Jahre Bauten und Kunstwerke, Herausgeber: Minta
A., Nicolai B., Thome M., Haupt Verlag Bern 2009, S.124
31
Die Gedanken hat sich freundlicherweise Jörg Koch, CEO der Pensimo Management AG gemacht.
HSLU_D&E_Abschlussbericht.docx
12 Auslegeordnungen möglicher Nutzungen und Sanierungskonzepte gut unterstützen. Vielleicht hilft es
auch, den Perimeter zu überdenken und Synergien mit der Umgebung einzugehen. Manchmal können
historische Bauten so besser kontextualisiert werden.
Oft gibt es einen «best owner» für ein Gebäude. Wenn der Eigentümer feststellt, dass er nicht der
best owner ist, dann trennt er sich lieber vom Objekt.
Bei Gebäuden aus der Gründerzeit ist eine Innensanierung meist ähnlich problematisch wie eine
Aussensanierung. Entsprechend wird nichts oder nur wenig, und dies an nicht geschmückten,
rückwärtigen Fassaden gemacht. Sinnvoll kann das Dämmen gegen Dach und Kellerdecke und das
Ersetzen der Fenster sein. Dieser Ansatz ist pragmatisch und bauphysikalisch meistens
unproblematisch.
Intelligente Strategien im Umgang mit der Moderne sind eine grosse Herausforderung. Hier hat sich
ein Forschungsfeld aufgetan, welches noch viele Anknüpfungspunkte bietet: Erneuerung von Innen
(Le Lignon), Ergänzung mit einer Schicht (Lacaton Vassal), partieller Verzicht auf Dämmung, neue
Materialien (Aerogel, Vakuumdämmungen, ..) oder beispielsweise die Nutzung freier Energien
32
anstelle des Einsatzes von Dämmung. Anhand der gebauten Masse aus dieser Zeit sowie des Alters
der Gebäude ist in den nächsten Jahren hier ein sehr grosser Investitionsbedarf zu erwarten.
Doch auch die Möglichkeit ein Gebäude zu ersetzen, sollte gegeben sein. Ist eine Bausubstanz am
Ende ihres Lebensalters und die Strukturen erfüllen ihren Zwecks nicht mehr oder der finanzielle
Aufwand für eine Transformation ist nicht zumutbar, muss auch diese Lösung in Betracht gezogen
werden. Wenn das nicht der Fall ist, wird man faktisch (zumindest teilweise) als Eigentümer enteignet.
Dafür können an einen Ersatzbau qualitative Anforderungen gestellt werden (zum Beispiel ein
Konkurrenzverfahren zur Qualitätssicherung), wodurch möglicherweise ein fairer Ausgleich dafür
entsteht, das man einen wertvollen Bau abbrechen muss.
Generell kann man dafür plädieren, dass Häuser, solange sie funktionieren möglichst belassen
werden. Das mag eine eher pragmatische Aussage sein, doch jedes Bauteil, das man bei einem
Eingriff anrührt, muss man ersetzen, reparieren und dem Kontext anpassen. Ob das Neue wirklich
immer besser wird, sollte vorgängig geprüft werden. Der einleitenden Forderung nach
Gesamtkonzepten, die immer den ganzen Bau betrachten, steht der Reflex gegenüber «ja wenn wir
schon dran sind, mache wir es gerade richtig». Aus diesem resultieren nicht selten unnötige
Interventionen, die nicht wirklich eine Verbesserung im Ganzen bedeuten. Daher ist es wichtig, dass
die oben geforderte konzeptionelle Betrachtung zwar umfassend ist – deshalb aber nicht zwingend
alles erneuert werden muss. Der Ansatz kann auch bewusst den Mut zur Lücke beinhalten und solche
Lücken dürfen Bekenntnisse zu den Spuren der Geschichte sein und übrigens auch eine Menge Geld
sparen.
Zu den letzten beiden Thesen könnte man auch eine Gegenposition einnehmen, ‚viele Köche
verderben den Brei’ – zu viele Planer vielleicht auch eine Entwurfsidee. Hier wünscht man sich oft
eine selbstbewusstere Architektin, die sich Entscheidungen zutraut und einen guten Handwerker
anstelle eines Haustechnikplaners, der vielleicht gar nicht räumlich denken kann und mit seinem
neuen Schacht eventuell einen grossen Kollateralschaden hinterlässt. Ihm ist das am Ende egal, denn
er will kein Risiko eingehen, keine Abmahnung schreiben und er muss ja auch nicht im umgebauten
Haus wohnen.
These X: Der perfekt sanierte, denkmalgeschützte Bau hat oft seine Seele verloren.
32
Auch der innovative Umgang mit Anergie, Energie-Netzen, Saisonspeicher etc. sollte als möglicher
Lösungsansatz in Betracht gezogen werden.
HSLU_D&E_Abschlussbericht.docx
13 4 Werkzeuge
Instrumentarium
Wenn in Planungsprozessen von ‚Werkzeugen’ die Rede ist, muss immer auch auf die Gefahr von
Patentrezepten hingewiesen werden. Im Sinne eines Kleingedruckten möchten wir diese Nebenwirkung
vermeiden. Die hier eingeführten Instrumente dienen einer Sensibilisierung für spezifische Themen der
Erneuerung von Innen. Sie definieren ein methodisches Vorgehen, welches sich ganz auf die frühe Phase der
Projektentwicklung konzentriert.
Bei den drei angebotenen Werkzeugen handelt es sich um eine Zusammenstellung von Parameter, die
einerseits zur Erfassung bestehender Bauten und anderseits für eine erste Einschätzung nutzungsspezifischer
Ansprüche verwendet werden können. Als drittes Werkzeug werden unterschiedliche Strategien zur
konstruktiven Umsetzung erläutert.
Mit dem ersten Instrument, einer Auswahl von Parametern, können bestehende Bauten evaluiert werden.
Dieselbe Auswahl an Parametern wurde holzschnittartig auch für eine Einschätzung der Ansprüche
unterschiedlicher Nutzungen verwendet. Dies ist ein vielleicht wagemutiges Vorgehen, denn wenn es schon
Mühe bereitet, real vorhandene Bauten sinnvoll zu erfassen, so ist es noch viel merkwürdiger, etwas Vages wie
eine Nutzung in ihren reinen Ansprüchen definieren zu wollen. Diesem Wagnis haben wir uns gestellt, da die
Untersuchung helfen könnte, die in den Thesen geforderte frühe Simulation von unterschiedlichen Nutzungen
für ein bestehendes Gebäude durchzuführen. Natürlich sind die erfassten Parameter nur generell bewertet
worden. Es war das Ziel eine grobe Einschätzung zu erlangen. Der nachfolgende Schritt, der Abgleich zwischen
einer Bausubstanz und möglichen Nutzungen, kann erste Hinweise auf notwendige Eingriffe bringen. Wir
nennen dies die ‚planerische Simulation’. Die hier vorgestellten drei Werkzeuge zur Erfassung der Bauten, der
zweckgebundenen Anforderungen sowie zur konstruktiven Umsetzung, dienen also dem Ziel bestandsgerechte
Nutzungen zu eruieren und anforderungsorientierte Massnahmen zu planen. Wir stellen sie als
Handlungsorientierung zur Diskussion.
Beurteilung Bestand
Wie in den ersten Thesen gefordert, darf das Beurteilungsraster, anhand dessen Bausubstanz untersucht wird,
kein rein analytisches Werkzeug darstellen, sondern es soll die genaue Beobachtung und Einfühlung in den
Bestand unterstützen. Die hier vorgeschlagene Abklärung zu einem sehr frühen Zeitpunkt anhand der
Parameter fördert die intensive Auseinandersetzung mit dem Bestand im Ganzen ebenso wie auf der Ebene
einzelner Räume. Idealerweise findet dies vor Ort statt, reines Planstudium ist unbedingt zu vermeiden. Die
Parameter können auch dazu genutzt werden, erste und rein intuitive Einschätzungen zu überprüfen und die
diese ggf. besser zu kommunizieren.33 Sie wurden unterteilt in die drei Bereiche ‚Raumkonditionen,
Baukulturelle Werte und Struktur & Typologie’ und können um weitere ergänzt werden. Der erste Bereich
erfasst den Bestand hinsichtlich seiner Behaglichkeit. Es wird hier vorgeschlagen, weniger exakte Werte zu
definieren, als vielmehr relativ den Grad der Erfüllung zu klären, also ob beispielsweise die visuelle Behaglichkeit
im Punkt ‚Tageslicht’ sehr gut, gut, mittelmässig, eher schlecht oder schlecht zu definieren ist. Die Aspekte der
Raumkonditionen orientieren sich an den gängigen Normen und Wegleitungen.34 Der zweite Bereich, der
baukulturelle Wert, ist nicht einfach zu erfassen. Gerade hier bedarf es der Kenntnis des Bestandes in seiner
Breite, also der Diversität und Lebenszeit ebenso wie der Tiefe. Historische Objekte sind als akkumulierte
33
die hier mehrfach genannte Problematik der Prozesse und interdisziplinären Zusammenarbeit kann mit einem
gemeinsamen Vokabular begegnet werden.
34
Relevante Normen:
SIA 180, Wärmeschutz, Feuchteschutz und Raumklima in Gebäuden (voraussichtlich 2014).
SIA 382/1, Lüftungs- und Klimaanlagen - Allgemeine Grundlagen und Anforderungen (2007).
SN EN ISO 7730, Ergonomie der thermischen Umgebung - Analytische Bestimmung und Interpretation der
thermischen Behaglichkeit durch Berechnung des PMV- und des PPD- Indexes und Kriterien der lokalen
thermischen Behaglichkeit (2005).
SN EN 15251, Eingangsparameter für das Raumklima zur Auslegung und Bewertung der Energieeffizienz von
Gebäuden - Raumluftqualität, Temperatur, Licht und Akustik (2007).
SIA 380/4, Elektrische Energie im Hochbau (2006).
SIA 342, Sonnen- und Wetterschutzanlagen (2009).
SIA 181, Schallschutz im Hochbau (2006).
DIN 18041, Hörsamkeit in kleinen bis mittelgroßen Räumen (2004-05).
SIA Merkblatt 2024, Standard-Nutzungsbedingungen für die Energie und Gebäudetechnik (2006)
HSLU_D&E_Abschlussbericht.docx
14 Geschichte zu verstehen und entsprechend auch darzustellen.35 Dies unterstreicht die Frage nach der Würde
einer Bausubstanz. Umbauten, die diese Würde beeinträchtigen oder schmälern sind problematisch und
überlasten das Bauwerk. Daher wurde in diesem Zusammenhang die ‚Bedeutung des Baus’ auf
unterschiedlichen Ebenen eingeführt. Weiteres Kriterium zur Beurteilung von Kulturgütern sind auch dessen
Einzigartigkeit und seine Authentizität im Sinne einer historischen Echtheit.36 Als Schlüsselindikatoren für die
Authentizität gelten das Material und der Zustand der Substanz. Der dritte Bereich, Struktur & Typologie, dient
dazu die Form des Bestehenden in seinen Dimensionen und seiner Konstruktion zu erfassen. Auch
Unterpunkte wie die Zugänglichkeit und der Brandschutz müssen frühzeitig geklärt werden.
Für diese erste Erfassung werden die Kriterien idealerweise als Frage an das Bestehende formuliert, also ‚wie
weit ein einzelner Parameter erfüllt ist’. Auch Ergänzungen sind möglich, wie die Fragen nach Erdbebenschutz
oder spezifischen klimatischen Details. Die hier eingeführte Auswahl an Parametern zur Erfassung von
Bauwerken ist als Anregung zu verstehen. Ihre Darstellung als Baum soll aufzeigen, dass auch eine weitere,
feinere Differenzierung und Erweiterung sinnvoll und jederzeit möglich sein kann. Im Laufe der vertieften
Planung werden immer weitere Kriterien37 dazukommen. Entsprechend ist das hier eingeführte Instrument eine
phasengerechte Einschätzung, die als erster Schritt zu verstehen ist. Für kleine Projekte – wie beispielsweise
den privaten Umbau eines Stallgebäudes – mag diese Übersicht eine gute Basis bilden. Je nach Dimension des
Objekts und Umfang des Eingriffs wird die Bestandsaufnahme dann während der Projektentwicklung erweitert.
35
In ihrem Kapitel „3. Kritik des neubauorientierten Vorgehens und der typologischen Ansätze“ formulieren
die Autoren Uta Hassler und Nikolaus Kohler diese Problematik: „Die Überlegungen fußen auf sehr groben
Vereinfachungen und ungenügender Kenntnis des Bestandes in seiner Breite (der Gebäudebestand in seiner
Diversität und Lebenszeit) und Tiefe (historische Objekte als akkumulierte Geschichte).“ Aus dem Artikel
‚Energieeinsparung und Werterhaltung des Gebäudebestandes – eine Kritik politischer Vorgaben’ in: Die
Denkmalpflege, Thema Denkmalschutz – Klimaschutz, Deutscher Kunstverlag 10. Jg. 2012, Heft 2, S. 137
36
Siehe auch die übergreifenden Kriterien der UNESCO zur Erfassung von Kulturdenkmälern, die
Einzigartigkeit, die Authentizität (historische Echtheit) und die Integrität (Unversehrtheit) hinsichtlich der 10
geforderten Einzelkriterien. Welterbe-Konventionen von 1972
37
wie die beispielsweise ’Lage’ und ‚Bauqualität’: Statik etc., aber auch ‚Umweltauswirkungen im bisherigen
Betrieb’ wie Heizenergiebedarf, erneuerbare Energien, Stromverbrauch, Schadstoffe / Innenraumbelastung
u.v.m.
HSLU_D&E_Abschlussbericht.docx
15 xxx
XXX
xxx
Thermische Behaglichkeit
Hygrische Behaglichkeit
Luftqualität
CO2-Konzentration
Schadstoffkonzentration
Raumkonditionen
Visuelle Behaglichkeit
Tageslicht
Kontrollierbarkeit Einstrahlung
Bauschalldämmmass
Zustand der Bausubstanz
Akustische Behaglichkeit
Bedeutung des Gebäudes
Sprachverständlichkeit
Seltenheits-/Funktionswert Bau
Bedeutung des Raumes
Baukultureller Wert
Authentizität
Dimensionen
Höhen (Annahme 3m)
Belastbarkeit in kN/m2
Konstruktion
Struktur & Typologie
Spannweite / Stützenfreiheit
Luftdichtigkeit der Hülle
visuelle Öffnung
Aussenbezug
physische Zugänglichkeit
Brandschutz
XXX
xxx
Hohe Anforderungen
xxx
Abbildung 1, Tabelle Parameter zur frühzeitigen Einschätzung von Bauwerken
HSLU_D&E_Abschlussbericht.docx
16 Beurteilung Nutzung
Eine unvoreingenommene Prüfung verschiedener Nutzungen kann helfen, die Überforderung bestehender
Bauten zu vermeiden. Die in den Thesen vorgeschlagene planerische Simulation möglicher Szenarien sollte
direkt im Anschluss oder in zeitlicher Nähe zu der Aufnahme des Baus erfolgen. Um bereits in diesem sehr
frühen Planungsstadium eine Auswahl an Nutzungen in Betracht zu ziehen, bedarf es einer Übersicht
möglicherweise entstehender Ansprüche. Der anvisierte Komfort und die nutzungsbedingten Anforderungen
bilden schliesslich die Bestellung, mit der der Bestand konfrontieren wird. In wie weit die Bausubstanz nun zu
den unterschiedlichen Aspekte passt und wo sie ‚passend gemacht werden muss’, kann erste Hinweise zur
Tiefe und dem Umfang notwendiger Massnahmen geben. Daher wurde hier eine einfache und allgemeine
Übersicht der Anforderungen zusammengestellt, die Nutzungen generieren könnten. Es handelt sich um eine
kleine und selektive Auswahl wie Wohnen oder Nutzung durch Institutionen, Ausstellungsräume oder
Einzelhandel. Sie wurden bezüglich ihrer Erwartungen an das Gebäude und das räumliche Angebot eingeschätzt.
Diese selbstverständlich sehr grobe Einstufung erfolgt relativ, indem angegeben wird, welchen Grad der
Wichtigkeit der jeweilige Aspekt für die untersuchte Nutzung hat. Auch hier wird von Fragestellungen
ausgegangen: Wir wichtig ist der einzelne Parameter für eine jeweilige Nutzung. Nachgefragt wurde
beispielsweise ob Spannweite und Stützenfreiheit sehr wichtig, wichtig, etwas wichtig oder unwichtig für eine
vorgesehene Nutzung sind. Da hier keine absoluten Werte sinnvoll wären, geben die Schattierungen allein die
Einschätzung ab, je dunkler die Farbe, desto relevanter der jeweilige Aspekt.38
Beurteilung potentieller Nutzungen, konsolidierte Version
Es wird von 'üblichen Nutzungsformen' ausgegangen, im Hinblick auf den evetuellen Einbau in bestehende Bauten.
Institution
Büro
Heim
Schule
Bildung
Hochschule
Ausstellung
Kunst*
Wohnen
privat
Einzelhandel
Hotel
Struktur & Typologie
Versammlung
Sport
(Halle)
Dimensionen
Struktur & Typologie
Dimensionen
Einzelflächen
Einzelflächen
Höhen (Annahme 3m)
Höhen (Annahme 3m)
Konstruktion
Konstruktion
Belastbarkeit in kN/m2
Spannweite / Stützenfreiheit
Belastbarkeit in kN/m2
Spannweite / Stützenfreiheit
Luftdichtigkeit der Hülle
Luftdichtigkeit der Hülle
Aussenbezug
Aussenbezug
Visuelle Öffnung
Visuelle Öffnung
Physische Zugänglichkeit
Physische Zugänglichkeit
Brandschutz
Brandschutz
Hohe Anforderungen
Hohe Anforderungen
Büro
Heim
Schule
Hochschule
Kunst*
privat
Hotel
Einzelhandel
Sport
Raumkonditionen
Raumkonditionen
Thermische Behaglichkeit
Thermische Behaglichkeit
Luftqualität
Luftqualität
Hygrische Behaglichkeit
Hygrische Behaglichkeit
CO2-Konzentration
CO2-Konzentration
Schadstoffkonzentration
Schadstoffkonzentration
Visuelle Behaglichkeit
Visuelle Behaglichkeit
Tageslicht
Tageslicht
Kontrollierbarkeit Einstrahlung
Kontrollierbarkeit Einstrahlung
Akustische Behaglichkeit
Akustische Behaglichkeit
Bauschalldämmmass
Bauschalldämmmass
Sprachverständlichkeit
Sprachverständlichkeit
Büro
Heim
Schule
Hochschule
Kunst*
privat
Hotel
Einzelhandel
Baukulturelle Beurteilung
Sport
Baukulturelle Beurteilung
Bedeutung der Oberflächen
Bedeutung der Oberflächen
Bedeutung des Raumes
Bedeutung des Raumes
Bedeutung des Gebäudes
Bedeutung des Gebäudes
(wobei auch spezifische Nutzungen Wert oder Würde darstellen können)
Legende Grad der Relevanz
kaum Relevanz
wenig Relevanz
etwas relevant
relevant
sehr relevant
*Kunst diese Beurteilung erfolgt aus Sicht der Kunstwerke, nicht der Nutzung. Es geht um den Wirkungsraum der Objekte.
**Sprachverständlichkeit resultierende aus der Nachhallzeit
Abbildung 2, Raster zur Beurteilung von Nutzungen
140205_Raster_Darst.xlsx
38
Dementsprechend stellt man sich bei der Beurteilung der Nutzung folgende Fragen:
Wie wichtig ist es
…möglichst grosse Einzelflachen zu haben? (bei den Einzelflächen)
…möglichst hohe Räume zu haben? (Höhen)
…eine möglichst grosse Belastbarkeit der Bodenflächen zu haben?
…möglichst grosse Spannweiten zu haben?
…eine möglichst luftdichte Gebäudehülle zu haben?
…eine möglichst grosse „Öffnung“ zu haben?
etc.
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17 Vorgehen
Um diese ersten beiden Werkzeuge in der frühen Phase eines Projekts nutzen zu können, empfiehlt sich
folgendes Vorgehen in vier Schritten
1
Einfühlung in den Bestand
Das für eine Erneuerung von Innen vorgesehene Objekt wird in seinem ‚Ist-Zustand’ mittels der aufgeführten
Parametern erfasst. Eventuell notwendige Ergänzungen (Erdbebensicherheit, spezifische historische Merkmale
etc.) werden ebenfalls formuliert.
2
Analyse der Anforderungen
In Erwägung gezogene (neue) Nutzungen werden hinsichtlich der zu erwartenden Ansprüche beurteilt, dies
kann auf Basis des Rasters erfolgen. Entsteht eine Auslegeordnung der in Betracht gezogenen Nutzungen und
der mit ihnen verbundenen Ansprüche.
3
Abgleich von Bestand und Nutzung
Die Differenz zwischen dem ‚ist’- und dem ‚soll- Zustand’ wird in den jeweiligen Parametern ermittelt. Dazu
kann auf ein Spinnendiagramm zurückgegriffen werden, welches Übereinstimmungen und Abweichungen schnell
darstellt.
4
Die planerische Simulationen
Die Auswertung der Differenzen hilft, bestimmte Nutzungen zu priorisieren bzw. in der Planung auf besonders
differierende Bereiche aufmerksam zu werden. Die planerische Simulation dient der Sondierung der
Möglichkeiten und mündet idealerweise in der Bildung eines Leitfadens für das konkrete weitere Vorgehen.
Der hier vorgeschlagene Ablauf ermöglicht kein schlichtes Auswerten, aus dem heraus sich klare
Handlungsanweisungen generieren liessen. Es bietet vielmehr eine Orientierung zur Erfassung der spezifischen
Notwendigkeiten, die sich aus der Kombination ‚Bestand zu Nutzung’ ergeben. Wie diese baulich in Form von
Erneuerungs-Massnahmen umgesetzt werden, kann mit den ersten beiden Werkzeugen nicht definiert werden.
Dies wird weiter hinten mit dem dritten Werkzeug, den räumlichen Strategien umschrieben sowie im
anschliessenden Katalog beispielhaft dargestellt.
Um das Vorgehen zu veranschaulichen werden hier mehrere Beispiele aufgezeigt, für die Bestandsbauten mit
unterschiedlichen Nutzungen abgeglichen wurden. Dabei geht es gar keinesfalls um eine klassische Prüfung
möglicher Nutzungen hinsichtlich Lage und Umfeld oder den wirtschaftlichen Faktoren – also die Entwicklung
von Projekten – sondern um eine allererste Annäherung mit dem Fokus rein auf dem bestehenden Gebäude.
Beispiel 1, Verwaltungsbau39 und Verwaltungsnutzung
Entsprechend dem vorgeschlagene Ablauf wurde das Gebäude einer ehemaligen Druckerei mit
Verwaltungsräumen in den oberen Geschossen analysiert und mit Hilfe der Parameter aus dem Werkzeug
‚Beurteilung der Substanz’ erfasst. Charakter und Ausdruck des Baus von 1924 wurden durch Besichtigungen
und eine intensive Auseinandersetzung mit dem Umbau beurteilt.40 Nachfolgend wurden die einzelnen
Parameter in einem Raster hinsichtlich ihres relativen Erfüllungsgrads bewertet. Dabei wurde geprüft ob der
Bestand die einzelnen Faktoren von ‚sehr gut’, ‚gut’ über ‚mittel’, ‚eher schlecht’ bis ‚schlecht’ erfüllt.
Anschliessend wurde ebenfalls mit fünf Werten die vorgesehene Nutzung eingeschätzt, siehe das
Beurteilungsraster Nutzung, weiter oben.41
39
Alle hier untersuchten Bauten und (Neu-)Nutzungen werden im Katalog beschrieben.
40
Hier im Forschungsprojekt natürlich nur retrospektiv, die Planung und Umsetzung waren abgeschlossen, als
die Untersuchungen durchgeführt wurde. Daher wurden bei allen Beispielen immer auch Nutzungsalternativen
untersucht. Diese boten sich auch als Kontrollgruppe für die Tauglichkeit unserer Werkzeuge an. Manche
Nutzungen kollidieren offensichtlich mit dem Bestand, diese wurden aus testhalber dennoch planerisch
simuliert und ausgewertet. Siehe auch die Fallbeispiele im Anschluss an den Katalog.
41
Methodisch war es nicht möglich, alle Parameter aus der Erfassung Bestand mit denen der Erfassung Nutzung
abzugleichen. Gerade die, für die Einfühlung in den Bestand wichtigen Parameter zum baukulturellen Wert sind
nicht umfassend beurteilbar in den Nutzungen, beispielsweise der Seltenheitswert eines Baus oder die
HSLU_D&E_Abschlussbericht.docx
18 Abschliessend wurden die vergleichbaren Parameter in einem Spinnendiagramm eingetragen, die Skala umfasst
neben den fünf Werten auch einen inneren Kreis, der das Mass der Übereinstimmung zwischen Bestand und
Nutzung aufzeigt. Dieser gibt an, wieweit die Ansprüche aus einer Nutzung erfüllt werden. Ist der graue Kreis
ausgefüllt, werden die Anforderungen voll erfüllt. Reicht die graue Fläche über den inneren Kreis hinaus, verfügt
das Gebäude in den betreffenden Punkten über mehr Potenzial, als erwartet wird. So kann anhand der grauen
Fläche schnell erfasst werden, in welchen Punkten der Bestand die Ansprüche einer Nutzung erfüllt bzw. wo
Diskrepanzen entstehen. Auf diese Weise wird auch klar, welche Ansprüche durch die Nutzung ggf. einer
Revision bedürfen, da der Aufwand der Umsetzung gross werden könnte.
In dem hier untersuchten typischen Jahrhundertwende-Bauwerk ist der Bestand mit einer durchgehenden Line
eingetragen. Bei einer Erneuerung von Innen wurde wieder eine Verwaltungs-nutzung vorgeschlagen, im
Beispiel eine Bank. Die grob evaluierten Ansprüche dieser Nutzung sind gepunktet eingezeichnet.
Auswertung Beispiel 1
Betrachtet man die beiden Linien, lässt sich eine relativ grosse Übereinstimmung feststellen, die in grau
markiert ist. Teils bietet der Bestand mehr als die Verwaltungs-Nutzung es erfordern würde, beispielsweise bei
der Bedeutung des Baus, dem Einfall von Tageslicht, aber auch hinsichtlich seiner Struktur.
An anderen Stellen wird erkennbar dass die neue Nutzung höhere Ansprüche stellt, als der Bestand sie leisten
kann, dies bei der Luftqualität, aber auch der Kontrollierbarkeit der Tages-Lichteinstrahlung. Auch im Bereich
der Konstruktion galt es die Luftdichtigkeit und Öffnungen den neuen Bedürfnissen anzupassen. Grundsätzlich
erscheinen aber keine sehr grossen Differenzen aufzutreten.42
Empfindlichkeit der Oberflächen. Dennoch spielen diese Parameter eine grosse und bedeutende Rolle und
müssen daher vom Planer immer berücksichtigt werden! Weiter muss darauf hingewiesen werden, dass die
Einschätzungen rein relativ sind, also nicht faktische Gültigkeit haben können. Die Werkzeuge dienen wie
beschrieben der Sensibilisierung und einer Annäherung an die Planung, nicht absolut gültiger Bewertung.
42
In diesem Beispiel wurde mit der Strategie 1, einem Futteral erneuert. Die Strategien sind hier anschliessend
im Kapitel ‚Räumliche Entschichtung’ aufgeführt.
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19 Beispiel 1, alternative Nutzung
Hier sichtbar ist ein Vergleich des selben Gebäudes mit einer vollkommen anderen Nutzung. Um die
Werkzeuge einem ‚Stresstest’ auszusetzen und einen provokanten Ansatz zu überlegen, wurde in dem
ehemaligen Verwaltungsbau eine Sportnutzung angedacht, also Ansprüche eingetragen, denen eine Sporthalle
gerecht würde. Die Übereinstimmungen sind wieder in grau gekennzeichnet.
Auswertung Beispiel 1, alternative Nutzung
Ganz entsprechend einer intuitiven Einschätzung, entstehen grosse Diskrepanzen im Bereich Typologie und
Struktur. Das Mass der zusammenhängenden Fläche (Einzelfläche) und die Höhe genügen den Anforderungen
an eine Sportnutzung ebenso wenig, wie die Spannweite (Stützenfreiheit). In den meisten anderen Bereichen
hingegen bietet das Bauwerk mehr, als durch die Nutzung gefordert wäre. Damit kann einerseits gefolgert
werden, dass die energetische Erneuerung vor allem konstruktive Eingriffe in der Struktur bedingen würde,
anderseits das Gebäude in seinem Charakter und Ausdruck nicht ganz angemessen weiterverwendet wird
(siehe die baukulturelle Einschätzung oben links).
Verändert man nun die Ansprüche und statt einer Halle würde eine Sportnutzung im Sinne einer medizinischen
Sporttherapie mit der Nutzung separater Räume vorgesehen werden, würde dieser Abgleich anders aussehen
und andere Schlussfolgerungen zulassen.
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20 Beispiel 2, Stallgebäude und Wohnnutzung
Während der Untersuchungen sind uns mehrfach Bauwerke begegnet, die weniger denkmalpflegerisch
schützenswerte Objekte darstellten, doch zum Erhalt des Ortsbildes beitrugen. Sie zu bewahren und wieder zu
nutzen scheint eine wichtige Aufgabe. In diesem Beispiel hier wurde ein einfaches Stallgebäude erfasst, die
Beurteilung des Baus ist mit der durchgehenden Linie dargestellt. Dazu wurde eine Wohnnutzung gewählt,
deren rein generisch evaluierten Ansprüche gepunktet eingezeichnet sind.
Auswertung Beispiel 2
Es wird schnell ersichtlich, dass es eher wenig Übereinstimmungen gibt. Bei den meisten Parametern bezüglich
der Raumkonditionen erfüllt der Bestand die Anforderungen nicht, in den beiden anderen Bereichen hingegen
wechseln die Linien sich rasch ab. Entsprechend unregelmässig wird die Fläche, die die Differenz angibt, fast
sternförmig. Damit wird frühzeitig klar, dass ein tiefgreifender Umbau nötig wird und das Konzept auf diese
unerfüllten Ansprüche reagieren muss.43
43
In diesem Beispiel wurde mit der Strategie 3, dem Haus- im Haus reagiert, die hier anschliessend im Kapitel
‚Räumliche Entschichtung’ erläutert wird. Dies ermöglicht vor allem die neuen Komfortansprüche und die
Luftdichtigkeit zu erreichen, ohne den ortsbildprägenden Charakter der äusseren Hülle stark zu modifizieren.
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21 Beispiel 2, alternative Nutzung
Zur Prüfung des Beispiels mit einer anderen Nutzung, hier der Einzelhandel, getestet. Dafür konnte die Linie
‚Bestand’ im Diagramm stehen bleiben und die Ansprüche aus der Beurteilung des Einzelhandels wurden
übertragen sowie die Differenzen der beiden Linien44 in grau markiert.
Auswertung Beispiel 2, alternative Nutzung
Bereits auf den ersten Blick fällt die einseitige Erfüllung, bzw. Übererfüllung auf – der Bau kann im
Spinnendiagramm linksseitig deutlich mehr leisten, als die Nutzung benötigen würde. Dafür gibt es auf der
anderen Seite – bei der Typologie und Struktur ebenso wie bei der thermischen Behaglichkeit und Teilen der
Luftqualität – komplett unerfüllte Aspekte.
Auch hier müssten also entweder die Ansprüche mehr an die Begebenheiten angepasst werden oder
tiefgreifende strukturelle und konstruktive Massnahmen ergriffen werden.
44
Wobei darauf hingewiesen werden muss, dass die Linien nur der Anschaulichkeit dienen, es gibt keinen
Zusammenhang zwischen den einzelnen Parametern, der linear dargestellt werden müsste.
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22 Beispiel 2, weitere alternative Nutzung
Abschliessen wird nochmals eine weitere Nutzung geprüft, als Bau wurde wieder der alte Stall eingetragen. In
das Diagramm wurden eine Büronutzung und die Differenz aus Bestand und Anspruch eingezeichnet.
Auswertung Fallbeispiel 2, weitere alternative Nutzung
Für die hier zugeordnete Büro-Nutzung werden sehr grosse Mängel bei der Luftdichtigkeit, der thermischen
und hygrischen Behaglichkeit sowie dem Brandschutz deutlich, es gibt aber auch Übereinstimmungen und
Übererfüllung der Anforderungen. Damit wird klar, dass ein Umbau nicht zwingend bis in die Bereiche der
Struktur greifen muss, sondern eine Ertüchtigung der Hülle eventuell möglich wäre.
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23 Räumliche Entschichtung
Als drittes Werkzeug wird die konstruktive Entschichtung der Aussenwand eingeführt, bei der die aktuellen
Anforderungen auf mehrere, niedertechnische Schichten aufgeteilt werden.45 Grundsätzlich verstehen wir unter
einer Schicht eine Fläche, die eine begrenzende Wirkung auf einen Raum hat, sie ist also raumwirksam. Die
Dimensionen von Schichten können sehr unterschiedlich sein, sie reichen von einer dünnen Beschichtung bis
hin zu tiefen Raumschichten. Die einzelnen Schichten können über ihre Lage, Materialqualität und
Beschaffenheit differenziert und benannt werden.46 Zudem sind sie durch Fugen unterschiedlicher Dimensionen
voneinander getrennt.47 Schichten können homogen oder inhomogen sein, also durchgehend oder
unterbrochen, beispielsweise wo punktuelle Wärmebrücken in Kauf genommen werden.48 Auf der praktischen
Ebene bietet eine Entschichtung den Erhalt der Hülle und die Erfüllung von aktuellen Anforderungen im
Inneren. Es bleibt die bestehende Fassade möglichst unangetastet oder/und wird lediglich wieder hergestellt.
Dem Prinzip der Addition folgend, werden nach innen weitere Schichten angeordnet, welche die heutigen
energetischen, bauphysikalischen, gebäudetechnischen, akustischen und brandschutztechnischen Anforderungen
gewährleisten. Der Raum zwischen der alten Fassade und den neu aufgebrachten Schichten ist – je nach
Strategie – unterschiedlich tief. So wirken alle Eingriffe dieser Art räumlich. Das Prinzip der Schichtung folgt im
Grundsatz der Systemtrennung für langfristig hohe Gebrauchswerte von Gebäuden.49 50
Auf der Ebene der Bedeutungen können mit einer Viel- oder Mehrschichtigkeit aber auch Themen gleichzeitig
wirksam werden, d.h. formale oder memorative Inhalte parallel erkannt werden. Schutzschichten können
beispielsweise dem Erhalt von Substanz dienen, ohne diese komplett zu verbergen. Der Einsatz von Schichten
erlaubt die Ablesbarkeit der Biographie eines Gebäudes, indem jüngere Schichten als solche erkennbar sind. So
bleiben Alters- und Zeugniswert des Bestandes lesbar.51
Im Folgenden werden drei Strategien beschrieben, wobei sich in der praktischen Umsetzung oft Mischformen
anbieten. Abschliessend werde sie miteinander verglichen und kommentiert. Diese Einschätzung soll es
ermöglichen, bereits vor einer eigentlichen Planung simulativ unterschiedliche Ansätze für eine Erneuerung von
Innen durchzugehen und dabei mögliche Potenziale ebenso zu erfassen wie eventuelle Probleme.
45
Eine Umsetzung der aktuellen Anforderungen ohne räumliche Wirkung wäre eine rein technische Lösung, die
– wie in der Einführung beschrieben – fallspezifisch in Betracht zu ziehen ist. Sie wird in dieser Studie nicht
weiter untersucht, kann aber gerade bezüglich des Erhalts wertvoller Substanz Vorteile bringen.
46
siehe auch: Anne-Catrin Schultz, ‚Der Schichtungsprozeß im Werk von Carlo Scarpa’ Dissertation an der
Universität Stuttgart 1999
47
Eine Schicht kann auch aus mehreren Komponenten bestehen, in diesem Fall umschreibt die Schicht den
Zusammenhalt zwischen diversen Teilen, die gemeinsam als ein übergeordnetes Element wahrgenommen
werden. Dafür befinden sich die einzelnen Bestandteile meist in einer Ebene.
48
Es kann auch die ‚Inversion’ des Schichtenrisses berücksichtigt werden; Tragwerke sind meist aus
energetischen Gründen innen – im Denkmal hingegen oft aussen. Diese energetisch / kulturellen Widersprüche
in der Schichtenfolge gilt es zu beachten und sie aufzuzeigen.
49
Siehe auch Amt für Grundstücke und Gebäude (AGG)
http://www.bve.be.ch/bve/de/index/direktion/organisation/agg/mandate/systemtrennung.html
50
Problematisch ist allerdings die Reversibilität wenn mehrere Funktionen zusammengefasst werden, und
beispielsweise Schichten mit thermoaktiven Elementen auch das Speichern übernehmen sollen. Das auch aus
denkmalpflegerischer Sicht sinnvolle, additive Vorgehen wird in so einem Fall ausgesetzt.
Unterschieden werden könnte vielleicht zwischen einer Durchdringung und einer Überlagerung von Funktionen
in einer Schicht. Die Durchdringung, wie beispielsweise bei der Einlagerung von Heizelementen in Wänden,
verunmöglicht eine spätere Trennung. Überlagern sich Funktionen hingegen, beispielsweise wenn bestehende
Wände die Schalung neuer Schichten bilden, ist eine spätere Trennung (theoretisch) noch möglich.
51
siehe auch die Leitsätze für Denkmalpflege Schweiz, wo im Absatz 4.4 (Kleinstmöglicher Eingriff) und 4.6
(Alterswert), in denen direkt auf den Einsatz von Schichten hingewiesen wird. Version vom 22.3.2006 der
Eidgenössischen Kommission für Denkmalpflege
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24 Strategie1, das Futteral
Direkt an der Innenseite der bestehenden Gebäudehülle wird eine zusätzliche Schicht aufgebracht, welche die
energetischen und bauphysikalischen Anforderungen erfüllt. Je nach Materialität und konstruktivem Aufbau ist
dieses Futteral primär von innen sichtbar und verändert die Dimensionen des Raumes nur geringfügig. Die neue
Schicht wird dicht an die bestehende Hülle gefügt und es wird explizit Homogenität gesucht. Damit entspricht
diese Strategie am ehesten einer ergänzenden Massnahme, die sich dem Bestand in ihrer Gestalt unterordnen.
Dennoch wird die neue Schicht auf angemessene Weise für Fachpersonal kenntlich gemacht. Dies bedeutet,
dass der Eingriff eventuell nicht sichtbar, doch spürbar (zum Beispiel durch das Klopfen auf die Oberfläche oder
die spürbar höhere Oberflächentemperatur) ist.
Kennzeichen des Futterals:
- die neue Schicht liegt dicht an der alten Schicht
- es gibt keinen Zwischenraum, die Gebäudehülle wird vielmehr verstärkt und alt und neu konzeptionell als
eine Schicht verstanden
- die neue Schicht ordnet sich in ihrer Gestalt dem Bestand unter
- die Gestalt des Innenraumes wird wenig modifiziert, die Raumstimmung kann sich ändern
Beispiel: Innendämmung mit dünner Verkleidung (Gips, Putz), aufgesetzte Fenster etc.
Potenziale des Futterals:
+ die ursprüngliche Nutzung kann gut erhalten werden
+ nur ein minimaler Raumverlust
+ die Proportionen des Raumes bleiben erhalten
+ evtl. ist neue Schicht als Fragment lesbar (Flankendämmung)
Handicaps des Futterals:
- die Innenseite der Hülle ist nicht mehr authentisch sichtbar/spürbar oder wird sogar zerstört
- die neue Innenseite ist als (atektonische) Verkleidung lesbar
- Umnutzungen, die bauliche Massnahmen verlangen sind nur bedingt möglich, da das Futteral nur Ergänzungen
vorsieht
- neue ‚energetische’ Funktionen werden im Ausdruck eher unterdrückt
- die Materialität verändert evtl. Raumstimmung
- Technik (ausser Elektro und Wandheizung) ist im Futteral nicht führbar
- der Rückbau ohne Beschädigungen ist schwierig
- Wärmebrücken bleiben meist bestehen (Massivdecken/Zwischenwände mit Aussenwand verbunden)
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25 Strategie 2, die Schichtenfolge
Mit einem leichten Abstand zur bestehenden Gebäudehülle wird eine neue Innenschicht eingeführt. Innerhalb
dieser Schichtenfolge befindet sich ein Zwischenraum, der das Dämmen, Entlüften und Führen technischer
Installationen ermöglicht. Bei dieser Strategie wird der Innenraum in seinen Dimensionen und Proportionen
leicht modifiziert. Der Eingriff wird als eine Zufügung verstanden und spürbar belassen, wobei die neu
aufgebrachten Schichten nicht zwingend dialektisch als neue Elemente gezeigt werden müssen. Je nach
entwerferischer Situation kann die innere Schicht mit dem Bestand architektonisch verschmelzen. Der neu
entstehende Zwischenraum ist nicht direkt nutzbar, sondern dient rein der funktionalen oder technischen
Entlastung des Bestandes. Konzeptionell wird die Schichtung bewusst formuliert und die neue Innenschicht
erhält möglicherweise eine eigene Tektonik.
Kennzeichen der Schichtenfolge:
- die neue Schicht liegt nah, aber nicht direkt an der alten Schicht
- es entsteht ein Zwischenraum der gesamträumlich wenig wirksam ist (i.d.R. nicht begehbar).
- die neue Schicht soll sich selbstverständlich in den Bestand einfügen und als heutiges Element mit hoher
gestalterischer Qualität erkennbar sein.
- Sie ist materiell vom Bestand unabhängig, wobei sie ihrer Bedeutung entsprechend gestaltet wird.
- die Form des Innenraumes wird modifiziert, seine Dimensionen bleiben aber weitestgehend erhalten
Beispiel: Selbsttragende Schicht aus Holz oder Beton, dazwischen Dämmung. Integrierte Heizung ist möglich.
Potenziale der Schichtenfolge:
+ die ursprüngliche Nutzung kann erhalten werden
+ Umnutzungen sind gut möglich
+ die Innenseite als Zufügung bleibt dank eigener Tektonik und Materialität erkennbar
+ die Schichtenfolge ist evtl. selbsttragend, die Eliminierung von Wärmebrücken wird möglich
+ die Raumstimmung und Materialität können transformiert werden
+ durch System- und Materialtrennung meist gut rückbaubar
+ Technik (Elektro) ist in der Schichtenfolge gut führbar; Lüftung evtl. möglich (Einschränkung: ist die innere
Schicht die Dämmebene, würden die Leitungen im Zwischenraum im Kaltbereich liegen.)
+ der Zwischenraum ist zugänglich und steht für Revisionen und Nachrüstungen zur Verfügung
Handicaps der Schichtenfolge:
- die Proportion und Dimensionen des Raumes werden leicht verändert
- die Innenseite der Hülle ist nicht mehr authentisch sichtbar/spürbar
- die neue Materialität verändert die Raumstimmung
- grösserer Platzverlust als bei der Strategie 1, Futteral
HSLU_D&E_Abschlussbericht.docx
26 Strategie 3, das Haus im Haus
Bei dieser Strategie bleibt die bestehende Gebäudehülle nahezu unangetastet erhalten. Nutzungen mit einem
höheren Anspruch an die Gebäudetechnik erhalten eine neue Hülle im Inneren, wodurch ein Haus im Haus
formuliert wird. Der sich ergebende Raum zwischen alter Fassade und neuer Hülle bietet klimatische
Pufferzonen, die dank dem Schutz vor Witterung die Anforderungen an die neuen Einbauten reduzieren. Der
bestehende Innenraum wird in seinen Eigenschaften stark modifiziert. Die neu generierten Zwischenräume
stehen für Nutzungen zur Verfügung. Dabei soll aus alten und neuen Elementen eine neue Gesamtheit
entstehen.
Kennzeichen Haus im Haus:
- die neue Schicht liegt grösstenteils in räumlicher Distanz zu der bestehenden Hülle
- es entsteht nutzbarer Raum zwischen der bestehenden Hülle und der neuen Schicht. Die bestehende Hülle
kann innen und aussen integral erhalten und sichtbar bleiben.
- die Gestalt der entstehenden Innenräume entspricht nicht mehr dem ursprünglichen Volumen
- das Haus im Haus basiert auf einer sorgfältigen Analyse des Bestands und ist angemessen und qualitätsvoll zu
gestalten, so dass die Massnahme einem ‚Weiterbauen’ entspricht52
Beispiel: Neue Innenwände und Decken als Systemwände/-decken oder vorfabrizierter Holzbau/Stahlbau
erfüllen die heutigen Anforderungen und entlasten die bestehenden Bauteile.
Potenziale Haus-im-Haus:
+ über die Entschichtung entstehen neue Räume und ermöglichen ein verändertes Raumprogramm
+ Alt und Neu werden von innen und aussen über das Material und die Gliederung gut lesbar
+ die alte Hülle bleibt authentisch
+ neue ‚energetische’ Funktionen werden als eigene Wand sichtbar
+ die Technik ist gut in der neuen Konstruktion führbar, eine grosse Entlastung des Bestehenden
+ hohe Anforderungen an die Raumkonditionen können im neugebauten Volumen erfüllt werden
+ es entsteht ein klimatischer Pufferraum
+ je nach Umsetzung ist die Reversibilität vollumfänglich gegeben
+ unterschiedliche Klimazonen sind möglich
Handicaps beim Haus-im-Haus:
- die Proportionen und Dimensionen des ursprünglichen Raumes werden stark verändert
- ehemalige Nutzung wird tendenziell verändert
- die Integrität eines Gesamtraumes kann (muss aber nicht) gefährdet sein
- die Raumkonditionen im klimatischen Pufferraum können evtl. eher mässig sein
Bauphysik
Ein wichtiges Thema stellt bei der energetischen Sanierung die Bauphysik dar. Daher wurden die drei
Sanierungsstrategien zur Erneuerung von Innen diesbezüglich nochmals genauer betrachtet. Durch die
Massnahmen im Inneren können kürzere Aufheizzeiten möglich werden (was z.B. bei gelegentlicher Nutzung
wie in Ferienhäuser wichtig ist) – dies natürlich in Abhängigkeit der Materialisierung. Eine partielle Dämmung
von Wänden wird möglich, z.B. die raumweise Dämmung, wenn nur einzelne Räume die energetischen
Anforderungen erfüllen müssen. Weiter ist eine witterungsunabhängige Ausführung möglich.
52
Alle drei Strategien wurden den Massnahmen aus den Leitsätzen zur Denkmalpflege in der Schweiz,
22.3.2006 der Eidgenössischen Kommission für Denkmalpflege angepasst (Absatz 5.1 – 5.3, Definition zu
einigen besonderen Massnahmen)
HSLU_D&E_Abschlussbericht.docx
27 Allerdings können sich bei Anwendungen der Strategie 1 und 2 bauphysikalische Nachteile bzw. Gefahren beim
Einsatz von Innendämmung ergeben, wie beispielsweise:
die Verschiebung der Taupunktebene in das Bauteil, an der Schnittstelle Aussenwand und Innendämmung
die Ansammlung von Feuchte durch Dampfdiffusion oder Schlagregen oder aufsteigende Feuchtigkeit im
System
ein Schimmelpilzwachstum im System
Hinterströmung von feuchter Innenluft bei Hohlstellen/-räumen
Ablösung des Klebemörtels bzw. Wärmedämmschicht, die abhängig von der Materialisierung und Ausführung
sind
fehlende direkte Kontrolle der feuchtebedingten Schadenentwicklung auf der Taupunktebene
keine optimale bzw. erschwerte Minimierung der Wärmebrücken, oder sogar Verstärkung der
Wärmebrücken
die Reduktion der Wärmespeicherfähigkeit der Innenoberflächen (z.B. negative Auswirkung auf den
sommerlichen Wärmeschutz)
Technik
Neben der Bauphysik ist auch die Technikführung in den drei Strategien sehr verschieden und bildet einen
wichtige Entscheidungshilfe für die Strategien: Bei Anwendung der Strategie 1, dem Futteral, ist eine
Technikführung kaum sinnvoll möglich, da sie tendenziell die Innendämmschicht reduzieren würde. Die
Technikführung muss aber generell in neuen Leitungsschächten bewerkstelligt werden. In der Strategie II, der
Schichtenfolge, ist eine Führung von Elektroleitungen in einer vorgesehenen Installationsschicht gut möglich,
wobei die Frage der Systemtrennung und Zugänglichkeit zu beachten sind. Die Kanal- und Leitungsführung von
Heizung, Lüftung und Klima muss ebenfalls in neuen Leitungsschächten im Innern geführt werden.53 In der
Strategie III, dem Haus im Haus, ist eine offene Leitungsführung für Elektro an der bestehenden Aussenwand
natürlich möglich, ebenso in den neuen Zwischenwänden, sofern eine Installationsschicht vorgesehen ist.
Die heutigen Anforderungen und Standards wie CO2-gehalt, WRG, Feuchteschutz, Lüftungskonzept usw.,
erfordern mehrheitlich einen steuerbaren Luftwechsel. Je nach Personenbelegung ergeben sich dabei grosse
Querschnitte, welche bestehende Raumsituationen überfordern. Diese müssen damit in zugänglichen
Installationsschächten untergebracht werden. Die Lage der Technikzentralen, die horizontalen und vertikalen
Ver- und Entsorgung müssen als Konzept sorgfältig geprüft und disponiert werden, um die bestehenden
Räumlichkeiten in ihrer Proportion, Wirkung und Atmosphäre nicht zu gefährden.
Ausdruck
Grundsätzlich besteht bei allen drei Schichtungskonzepten das Ziel der Integrität von Raum, Konstruktion,
Material und Atmosphäre, wobei diese Prinzipien je nach Strategie verschieden interpretiert beziehungsweise
gewichtet sind. In der Strategie 1, dem Futteral, zeigt die innere Schicht eine Materialität, drückt aber aus, dass
sie für sich selber nicht stehen kann und somit eine atektonische Verkleidung bildet. Bei der Strategie II, der
Schichtenfolge, weist die innere selbsttragende Wand eine eigene Materialität auf, welche auch eine völlig neue
Raumwirkung erzeugen kann. Diese kann als warmer, beherbergender Strickbau (wie im Beispiel Hospiz
Gotthard) oder als archaischer Rohbau (siehe Stall Soglio) völlig andere Raumwirkungen und Atmosphären
erzeugen, wobei die ursprüngliche Wirkung bewusst verlassen oder interpretiert werden kann. In der Strategie
III, Haus im Haus, lassen neu eingestellte Wand und Decken eine völlig neue Räumlichkeit entstehen, wobei die
ursprüngliche Raumwirkung verloren gehen kann. Gleichzeitig vermag die Aussenwand ihre Materialität nach
innen behalten und die ursprüngliche Atmosphäre in die Zukunft tragen, der Kontrast aus Alt und Neu kann
hier besonders wirkungsvoll inszeniert werden. Vor allem die Strategien II und III bedingen eine qualitätsvolle
Interpretation des Bestandes, da Schichten mit autonomer Tektonik und eigener Charakteristik eingebaut
werden.
53
Ausnahme bildet im Katalog hinten der ehemalige Stall in Soglio, wo die Heizleitungen in die massive
Innenschale eingelegt sind. Siehe Katalog und Fallbeispiel weiter hinten.
HSLU_D&E_Abschlussbericht.docx
28 5 Katalog
Mit dem Fortgang des Projektes hat sich immer mehr herausgestellt, dass ein repetitives Vorgehen bei der
energetischen Erneuerung von Baudenkmälern nicht möglich ist, da immer der Einzelfall angeschaut werden
muss. Auch gute Architektur muss ein Kompromiss einander ausschliessender Anforderungen sein –
entsprechend hat der vorliegende Katalog an Fallbeispielen nicht den Anspruch, Leuchtturmprojekte
anzubieten. Vielmehr soll hier eine breite, möglichst anwendungsrelevante Auswahl an Beispielen angeboten
werden. Die Bandbreite reicht dabei von Wohnhaus über Hörsaalzentrum bis zum Altersheim, eine
Vergleichbarkeit ist dabei naturgemäss kaum möglich und wird auch nicht angestrebt. Der Katalog ist eine reine
Beschreibung, auf eine Bewertung der Objekte wird ebenso bewusst verzichtet, wie auf eine komplette
Darstellung der Bauten. Vielmehr sollten die Erneuerungen von Innen in ihrer Diversität erfasst und die
jeweilige Strategie erläutert werden. Einzelne Projekte aus dem Katalog werden im anschliessenden Kapitel als
Fallbeispiele zu spezifischen Themen untersucht.
Das grundlegende Kriterium bei allen Projekten war das Vorhandensein schützenswerter Bausubstanz, wobei
es sich nicht zwingend um inventarisierte Bauten handelt. Die Auswahl der Objekte stellt zudem eine gute
Verteilung hinsichtlich Baujahr und Dimensionen, Typologien und Ursprungsnutzungen dar. Die Eingriffe weisen
eine hohe architektonische Qualität auf und waren energetisch motiviert. Es sind Projekte, die in ihrer Summe
repräsentativ für aktuelle Bauaufgaben verstanden werden können, und so als Handlungsorientierung für den
planerischen Alltag zu verstehen sind. Bewusst sind auch Bauten der Hochkonjunktur in dem Katalog vertreten,
die grösstenteils noch nicht als schützenswerte Bauten verstanden werden. Hier sind neue Wege der
Denkmalpflege wichtig. Das ‚sich einfühlen’ in diese Bauten fällt uns heute schwerer als in solche mit grösserem
zeitlichem Abstand, der Denkmalwert des Bestandes liegt nicht so plakativ auf der Hand wie der von
historischer, alter Bausubstanz.54 Es werden neue Strategien benötigt, wie auf die Materialien und jeweiligen
Situationen dieser Bauten zu reagieren ist. Der Erhaltungszustand der Originalsubstanz war bei den Projekten
jeweils sehr verschieden, entsprechend different sind die Eingriffe. Die Auswahl der Fallbeispiele ist auf die
Schweiz beschränkt. Schon hier konnten urbane und ländliche, grosse und kleinere Gebäude, solche mit
niedrigeren und solche mit hohen klimatischen Anforderungen gefunden werden. Die räumliche Nähe
erleichtert den Besuch vor Ort, der für eine architektonische Beurteilung unersetzlich ist. Die angewendeten
Massnahmen wurden gemäss den drei räumlichen Strategie zur Erneuerung von innen katalogisiert.
54
In einem Gespräch im Oktober 2013 betont die Denkmalpflegerin und Architektin Tatiana Lori zu den
Bauten der Hochkonjunktur, dass hier neue Wege der Denkmalpflege wichtig sind. Das ‚sich einfühlen’ in
Bauten grösserer zeitlicher Nähe fällt uns leichter, zudem ist der Substanzerhalt oft nicht so vordergründig. Es
werden vielmehr neue Strategien benötigt, wie auf die Materialien und jeweiligen Situationen dieser Bauten zu
reagieren ist. Als Beispiel führt Frau Lori ein Bauwerk von Neuenschwander an, welches am Seeufer Zürich mit
einer markanten Spiegelglasfassade steht. Die Fassade wird, als das prägendste Element für das Bauwerk,
komplett rekonstruiert und die notwendigen klimatischen und energetischen Massnahmen werden innenseitig
verlegt. Ein Vorgehen, welches für ein mittelalterliches Bauwerk wohl weniger infrage käme.
HSLU_D&E_Abschlussbericht.docx
29 Strategie 1: Gebäude Diagonal des Maag-Areals, Zürich
FALLBEISPIEL55
mehrgeschossige Industriehalle è Kunstgalerien, Restaurant
Baujahr: 1940
Umbau: 2007-2011
Standard: –
Volumen: 18'000m3
Denkmalpflegerischer Status: Schutzvertrag, welcher Fassade und Struktur umfasst
Die ehemalige Fabrikhalle der Maag Zahnräder AG wurde 1906 erstellt. Da das Gebäude als Teil des
Gebäudekonglomerats um den Prime Tower einer neuen Nutzung zugeführt werden sollte, waren
energetische Sanierungsmassnahmen erforderlich. Die Gebäudestruktur und die äussere Erscheinung
sind durch einen Vertrag zwischen der Bauherrschaft und der Denkmalpflege der Stadt Zürich
geschützt; der Perimeter um die beheizten Flächen sollte neu gedämmt werden.
Dies geschah durch die Innendämmung der Fassaden, wobei bei den Stützen und Trägern der
Stahlstruktur der innere Flansch nach wie vor sichtbar geblieben ist. Die Stahlstruktur sollte erhalten
und sichtbar bleiben, vor allem auch im Inneren. Mittels einer thermischen Brandschutzsimulation
konnte nachgewiesen werden, dass das Gebäude auch mit einem Sprinkler zuverlässig brandgeschützt
werden kann.
Aufgrund der denkmalpflegerisch wichtigen äusseren Erscheinung wurden innen neue Fenster mit
gedämmten Profilen und Isolierverglasungen mit von aussen natürlich belüftetem Zwischenraum
montiert, um die originalen Fenster weitgehend erhalten zu können. Damit konnte auch eine höhere
Luftdichtigkeit erreicht werden. Jedoch war ein Erhalt der originalen Gläser wegen Asbest im Kitt
nicht möglich, auch mussten die Profile rostschutzbehandelt werden.
Die beiden polygonalen Erschliessungsköpfe können aufgrund der feuerpolizeilich vorgegebenen
Durchgangsbreiten nicht gedämmt werden und weisen somit ein Zwischenklima auf.
Photographien sind noch nicht zur Publikation freigegeben.
55
Bauherrschaft: Swiss Prime Site AG, Olten Architektur: Annette Gigon, Mike Guyer, Zürich,
Bauleitung/Totalunternehmung: ARGE Prime Tower, Losinger Construction AG und Karl Steiner AG /
Bauingenieure Wettbewerb: Dr. Schwartz Consulting AG, Zug, Submission: Dr. Schwartz Consulting AG, Zug
und Dr. Lüchinger + Meyer Bauingenieure AG, Zürich, Ausführung: Walt + Galmarini AG, Zürich mit Dr.
Lüchinger + Meyer AG, Zürich / Denkmalpflege: Tatjana Lori Gebäudetechnik: IBG Graf AG, St. Gallen, Hefti
Hess Martingnoni, Zürich, PB P. Berchtold, Sarnen, Waldhauser Haustechnik AG, Münchenstein, Hans Abicht
AG, Zürich, GRP Ingenieure, Rotkreuz / Bauphysik: Bakus, Zürich
Fotografien: Thies Wachter
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30 Strategie 1: Schulhaus Ilgen, Zürich
FALLBEISPIEL56
Schulhaus è Schulhaus
Baujahr: 1877 (Ilgen A und Turnhalle), Architekt Otto Wolf, 1889 (Ilgen B), Architekt Ernst Diener
Umbau: April 2011-August 2012, Standard: Minergie
Volumen: ca. 30'000 m3
Erstellungskosten (BKP 1-9): 28 Mio.
Denkmalpflegerischer Status: Objekt im Inventar
Die auf einer künstlichen Geländeterrasse gelegene Anlage besteht aus den beiden Schulgebäuden
Ilgen A und B, sowie einer zentral gelegenen Turnhalle, die sich um den terrassierten Schulhof
anordnen. Ilgen A und die Turnhalle wurden 1877 vom Architekten Otto Wolff erbaut, Ilgen B dann
im Jahre1889 von E. Diener. In den 1940er Jahren wurden die drei Gebäude hinten durch eine
hölzerne Pausenhalle im Landistil verbunden. Die Schulhäuser weisen spätklassizistische Fassaden mit
Neurenaissance-Elementen auf, die Turnhalle wurde später purifiziert. Im Innern hatten verschiedene
Umbauten aus der Mitte des 20. Jahrhunderts die ursprüngliche Ausstattung verändert.
Die Sanierungsmassnahmen fanden Frühjahr 2011 bis Sommer 2012 bei laufendem Betrieb statt,
wobei die Schüler zeitweise in temporären Gebäuden auf dem Schulareal untergebracht waren.
Neben der Reparatur beschädigter historischer Bauteile, der Fassaden, war die energetische
Erneuerung und die Auffrischung der inneren Oberflächen und die Anpassung für die Nutzungen und
Behindertengerecht ein wichtiges Ziel der Massnahmen. Der Minergie-Standard wurde angestrebt
und auch zertifiziert. Die für dieses Projekt relevanteste Massnahme war das Aufbringen einer 10 cm
starken mineralischen Innendämmung aus Porenbeton.
Repräsentative Teile wie die Treppenhäuser wurden an den Originalzustand angepasst; jedoch wurde
auf 1:1 Rekonstruktionen zugunsten von Neuinterpretationen weitgehend verzichtet.
56
Bauherrschaft: Amt für Hochbauten, René Lütolf, Stadt Zürich / Architektur: Wolfgang Rossbauer, Zürich/
Bauleitung: Caretta & Gitz AG, Zürich / Denkmalpflege: Theresia Gürtler, Martina Jenzer, Stadt Zürich /
Bauingenieur: Basler & Hofmann, Zürich, timbatec gmbh, Zürich / Gebäudetechnik: Basler & Hofmann, Zürich,
Hunziker & Urban, Zürich, Schmidiger & Rosasco, Zürich / Bauphysik: Amstein Walthert AG, Zürich /
Landschaftsarchitektur: vi.vo. architecture. landscape. gmbh Zürich
Fotografien: Hannes Henz
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31 Strategie 1: Alternative Bank Schweiz, Olten57
Verwaltungsbau è Bankgebäude
Baujahr: 1924 / 1931
Umbau: 2007-2010
Standard: Minergie-P, Kriterien der 2000-Watt-Gesellschaft, GI "Gutes
Innenraumklima"
Volumen: (GV nach SIA 416): 10'612 m3
Erstellungskosten (BKP 1-5): 11,9 Mio.
Denkmalpflegerischer Status: nicht inventarisiert oder geschützt
Mit dem Umbau der Liegenschaft am Amtshausquai 21 hat die Alternative Bank Schweiz ihren neuen
Hauptsitz nach den Kriterien der 2000-Watt-Gesellschaft realisiert und nach Minergie-P zertifiziert.
Mit einer neu entwickelten Fassadenkonstruktion gelang es zudem, die neoklassizistischen Fassaden
des Hauses integral zu erhalten. Dieses wurde 1924 an städtebaulich wichtiger Lage am Stadthausquai
errichtet und diente früher dem geschichtsträchtigen Walter-Verlag als Hauptsitz.
Bauphysikalisch wenig risikoreiche Bereiche, wie das Dach oder die Kellerdecken, wurden maximal
gedämmt, auch alle Fenster wurden um den Anforderungen genügen ersetzt und wärmetechnisch
optimiert.
Die Innendämmung besteht aus einer Holzständerkonstruktion mit Zellulose-Ausflockung, nach innen
abgeschlossen durch eine feuchteadaptive Dampfbremse und einen 6 cm starken Lehmaufbau auf
einer Gipsfaserplatte. Die Decken erhielten unterseitig eine Flankendämmung und oberseitig eine
Trittschalldämmung.
57
Bauherrschaft: Alternative Bank Schweiz / Architektur: Metron Architektur AG, Brugg / Bauingenieur: Heyer
Kaufmann Partner, Zürich/ Baden / Denkmalpflege: Stadtbildkommission Olten / Gebäudetechnik: Zurfluh
Lottenbach GmbH, Luzern / Bauphysik: Amstein Walthert AG, Zürich
Fotografien: Hannes Henz
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32 Strategie 1: Dorflinde, Zürich-Oerlikon58
multifunktionales Zentrum /Altersheim è multifunktionales Zentrum /Altersheim
Baujahr: 1973-77
Umbau: Oktober 2009 - Oktober 2011 Standard: Minergie (Neubauten)
Volumen: 33'300 m3
Spezifische Kosten: (BKP 1-9) 25.8 Mio.
Denkmalpflegerischer Status: nicht im Inventar oder geschützt
Das Zentrum Dorflinde ist ein typisches Beispiel eines Hochkonjunkturbaus der 70er Jahre. Die
Rezeption von Bauten dieser Epoche ist momentan in einem Umbruchprozess; sie werden mit
zunehmender zeitlicher Distanz auch für die Denkmalpflege relevant.
Der multifunktionale Komplex umfasst neben einem Altersheim auch öffentliche Institutionen sowie
Geschäfte und Gastronomie um einen öffentlichen Platz.
Neben Reparaturen und der partiellen farblichen Neuinterpretation auf der Basis des ursprünglichen
Konzepts fanden Massnahmen zur energetischen Erneuerung statt. Alle Dächer und Kellerdecken
wurden gedämmt und die Fenster ersetzt. Beim Altersheim, einem Hochhaus mit elf Geschossen,
konnte Minergie-Standard für Neubauten erreicht werden. Hier wurde die gesamte Fassade von
Innen gedämmt. Um bauphysikalische Schäden zu vermeiden und das passende Material zu finden,
wurden Testmessungen und Simulationen der Temperatur- und Feuchteverläufe durchgeführt.
58
Bauherrschaft: Amt für Hochbauten, Stadt Zürich / Architektur: Aussensanierung: GFA Gruppe für
Architektur, Zürich. Innensanierung und energetische Sanierung der Gebäudehülle: Neff Neumann, Zürich /
Bauleitung: BGS Architekten, Rapperswil / Bauingenieure: Caprez Ingenieure, Zürich / Gebäudetechnik: RMB
Engineering, Winterthur / Bauphysik: BWS Bauphysik AG, Winterthur
Fotografien: Georg Aerni
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33 Strategie 2: Stallscheune, Soglio
FALLBEISPIEL59
Landwirtschaftliches Wirtschaftsgebäude è repräsentatives Wohnhaus
Baujahr: unbekannt
Umbau: 2007-2009
Standard: –
Volumen: 1300 m3
Spezifische Kosten: 1'300'000
Denkmalpflegerischer Status: –
Beim bestehenden Gebäude in Soglio handelte es sich um einen einfachen Stall, welcher besonders
wegen seiner Lage im Ortsbild, wo er den hangseitigen nördlichen Dorfeingang markiert,
schützenswert ist. Seine archaische Struktur ist gekennzeichnet durch die dreidimensionale
Verzahnung von Stein- und Holzbau: Vier im Sockel verbundene Eckpfeiler, bilden die zeichenhafte
Primärstruktur, auf der das Dach in Strickbauweise aufliegt. Im Zuge der Erneuerungsmassnahme
wurde der Stall zu einem Wohnhaus in gehobenem Standard umgebaut.
Im Grundriss wurde vorerst auf der Innenseite der bestehenden gemauerten Wände eine Dämmung
aufgebracht und einhäuptig eine Stampfbetonwand vorbetoniert. Damit wurde die Primärstruktur mit
den vier archaisch wirkenden Eckpfeilern als konstruktive Fortsetzung noch verdickt. An der
bündigen Nahtstelle wurden als möglichst ungehinderter, moderner Übergang zwischen innen und
aussen in Form einer strukturellen Öffnung Stahlrahmenfenster in die Dämmebene gesetzt. Mit der
Schichtung der Wände und dem an der Oberfläche freigelegten Korn wird der Vorgang des Mauerns
interpretiert, gleichzeitig wird aber auch ein moderner Kommentar zur Konstruktion aussen
abgegeben. Die Stampfbetonwände finden aber auch nach aussen als massive Stützmauern des Hanges
und als Umschliessung von Nebenräumen eine Fortsetzung. Im Innern bilden sie als Schalen auch
raumhaltige Nischen für Waschtische, Schränke, Cheminée etc.
59
Bauherrschaft: privat / Architektur: Ruinelli Architetti, Soglio / Bauingenieur: Toscano, St. Moritz
/Denkmalpflege: nicht involviert/ Gebäudetechnik: J.Bulach Champfèr / Bauphysik: Kuster & Partner, St.Moritz
Fotografien: Ruinelli Architetti, Soglio
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34 Strategie 2: Haus Matten, Ballenberg / Brienz60
Landwirtschaftliches Wohnhaus mit Wirtschaftsteil è Muster-Wohnhaus als Ausstellungshaus
Baujahr: 16. Jahrhundert / 1977 Wiedererrichtung im Freilichtmuseum Ballenberg
Umbau: 2007-2008
Standard: –
Volumen: 860 m3
Spezifische Kosten: 550'000,- (Bkp2)
Denkmalpflegerischer Status: schützenswert
Das im 16. Jahrhundert erbaute, typische Berner Oberländer Bauernhaus aus der Gemeinde Matten
bei Interlaken war bis in die 1950er Jahre bewohnt, bevor es nach längerem Leerstand in den 70er
Jahren ins Freilichtmuseum Ballenberg transloziert wurde. 2007-08 wurde es im Rahmen des
Pilotprojektes der Pro Helvetia, "echos - Volkskultur für morgen" für die Bedürfnisse der heutigen
Zeit umgebaut. Das Projekt hatte modellhaften Charakter, da das Haus als Museumsobjekt jahrlich
von tausenden von Besuchern besichtigt werden kann..
Der historische Strickbau wurde innen mit einer Fütterung aus Strickbau ausgekeidet. Die drei
übereinaderliegenden Zimmereinheiten fügen sich als tragende, zweigeschossige Zellen mit
Geschossdecken und geknicktem Dach in den Bestand, ohne die bestehende Konstruktion zu
verletzen. Der Zwischenraum ist mit Zelluloseflocken gedämmt. Von entscheidender Bedeutung sind
die Nahtstellen, wo Alt und Neu zusammenkommen. Besondere Beachtung fand die Art, wie die
Kastenfenster das Licht in die Räume leiten und wie im Innern die originale Substand unberührt blieb.
Das Haus wird mit dem neu konzipierten, historischen Sandsteinofen von 1846 beheizt. Dieser
ermöglicht eine äusserst wirkungsvolle Beheizung mit sehr geringen jährlichen Heizkosten. Im ganzen
Projekt wurden lokale Materialien von Handwerkern aus der Region verarbeitet.
Photographien sind noch nicht zur Publikation freigegeben.
60
Bauherrschaft: Schweizerisches Freilichtmuseum Ballenberg, Brienz / Architektur: Patrick Thurston, Architekt
BSA, Bern / Bauingenieur: Fritz Allenbach, Frutigen / Denkmalpflege: Kantonale Denkmalpflege Bern, Jürg
Schweizer, Stefan Moser / Ofenheizung: Thomas Gürber, Küttigen, Sopra Solarpraxis, Omalingen / Bauphysik:
Zeugin Bauberatung, Münsingen und Isofloc
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35 Strategie 2: Altes Hospiz Gotthard, Gotthard-Pass / Airolo61
Herberge è Herberge
Baujahr: 1623 Priesterhaus mit Kapelle als Keimzelle der späteren Anlage, Teilaufbau nach Brand
1905
Umbau und Aufstockung: 2009 Standard: –
Umbauvolumen: 3300 m3
Spezifische Kosten: 5.0 Mio
Denkmalpflegerischer Status: Kulturgut von nationaler Bedeutung, europäisches Kulturerbe
Das Hospiz am St. Gotthard stellt in diesem Katalog eine Besonderheit dar. Als Ort auf dem Pass
und als Monument, das vonder Geschichte und vom Mythos des Passübergangs erzählt, kommt ihm
eine hohe kulturelle Bedeutung und ein grosser Denkmalwert zu. Abgesehen von der überbauten
Kapelle und einigen Wänden jedoch war das Gebäude selbst nicht in gleichem Masse schützenswert,
da es nach wiederholten Zerstörungen, darunter einem Brand, vergleichsweise wenig erhaltenswerte
Bauteile aufwies.
So konnte die Erneuerung auch mehr Freiheiten in Bezug auf den Umgang mit der Bausubstanz in
Anspruch nehmen. Der alten Aussenhaut wurde im Prinzip ein neues, hölzernes Haus eingestellt,
während sich zwischen neuen und alten Wänden die Dämmung befindet. Auch die Gesamtkubatur
mit dem grossen, polygonalen Dach ist im Prinzip eine Neuerfindung, entstand sie doch als
„spekulative Rekonstruktion“ nicht aus einem historisch gewachsenen Baubestand, sondern aus dem
denkmalpflegerischen Willen, einer wichtigen historischen Bedeutung eine neue, einprägsame Form
zu geben.
Durch die besondere Ausgangssituation bot sich die Möglichkeit, eine "Vergangenheit wieder zu
erfinden" (Michael Hanak); ein Haus zu entwerfen im Sinne eines Bestandes, den es in dieser Form
nie gegeben hat. Wie kein anderes Objekt dieses Kataloges zeigt das Hospiz, dass Denkmalpflege sich
nicht allein mit Konservierung und Rekonstruktion, sondern durchaus auch mit zeitgenössischem
Weiterbauen zu beschäftigen hat.
61
Bauherrschaft: Fondazione Pro San Gottardo, Airolo / Architektur: Miller & Maranta, Basel / Bauleitung: CAS
Architekten, Altdorf / Bauingenieur: Conzett Bronzini Gartmann AG, Chur / Denkmalpflege: Bundesamt für
Kultur: Johann Mürner, Ufficio dei beni culturali del Cantone Ticino: Giuseppe Chiesi / Gebäudetechnik: Visani
Rusconi Talleri SA, Lugano / Elektroplanung: Erisel SA, Bellinzona / Bauphysik: BWS Bauphysik AG, Winterthur
Fotografien: Thies Wachter
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36 Strategie 3 Stallscheune, Bergün62
Landwirtschaftliches Wirtschaftsgebäude è repräsentatives Wohnhaus
Baujahr: unbekannt
Umbau: 1994-95
Standard: –
Volumen: 855 m3
Spezifische Kosten: 710'000,- (BKP2)
Denkmalpflegerischer Status: –
Die ursprüngliche Stallscheune in Bergün bestand – ähnlich derjenigen in Soglio – aus in massivem
Bruchstein gemauerten Ecken, welche das Dach tragen und ursprünglich mit hölzernen Ausfachungen
geschlossen waren. Auch die Giebel waren verbrettert. Diese zur Belüftung des in der Scheune
gelagerten Heus dienenden Ausfachungen wurden für den Umbau entfernt; durch die entstehenden
strukturellen Öffnungen werden die neu eingebauten inneren, gedämmten Schichten sichtbar, und
Dachtragwerk und Bruchsteinteile mussten nicht angetastet werden. Die neu eingestellte Box
hingegen ist ein hochgedämmter Leichtbau, welcher im Unterschied zu Soglio vom Bestand abrückt.
Hierdurch wird dieser einerseits von aussen wie innen erfahrbar, andererseits wird der
Zwischenraum für Loggien nutzbar.
Das Ergebnis ist sicher eine Veränderung des Gesamtbildes, welche jedoch die stark veränderte
Nutzung reflektiert, während die Geschichte bzw. Herkunft des Bestandes ablesbar bleibt. Genauso
kann so die Bedeutung des Gebäudes für den Ort – vor allem die Kubatur und die Körnung der
visuellen Details – erhalten werden.
62
Bauherrschaft: Familie Ragonesi-Nestler / Architektur: Daniele Marques & Bruno Zurkirchen, Luzern,
Bauleitung: René Leutzinger, Bergün / Bauingenieur: Jürg Buchli, Haldenstein / Denkmalpflege: Baukomission
Gemeinde Bergün, H. Florinet, Hans-Uwe Winkler / Gebäudetechnik, Bauphysik: Ragonesi Strobel & Partner
AG, Luzern
Fotografien: Ignacio Martinez
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37 Strategie 3 Chesa Andrea, Madulain / Engadin63
Repräsentatives landwirtschaftliches Wohnhaus mit Wirtschaftsteil è repräsentatives Wohnhaus
Baujahr: 1510 und 1520 auf Teilen eines mittelalterlichen Wohnturms, Weitergebaut um 1640 und
später.
Umbau: 1997-98
Standard: –
Volumen: 3000m3
Spezifische Kosten: –
Denkmalpflegerischer Status: –
Die repräsentative Chesa Andrea, ein sehr typisches Beispiel des Engadinerhauses ,wurde im Laufe
seiner langen Geschichte immer weiter verändert und angepasst. Wie viele historische Wohnbauten
besass es einen ausgedehnten Wirtschaftsteil mit einer Scheune.
Im Zusammenhang mit der Erneuerung von Innen kann man bei diesem Haus am ehesten von einer
Reparatur sprechen. Die Räume wurden restauriert, und die räumliche Integrität der ehemaligen
Scheune als bestimmendes Element des Hauses konnte erhalten werden. Dies gelang auch dadurch,
dass der Grossraum ungeheizt ist, wodurch die Anforderungen an die Gebäudehülle möglichst
niedrig gehalten werden konnten. Der Architekt spricht bei diesem Zwischen-Raum von einer
"Piazza".
Ebenso nutzt der Architekt das Wort "Weiterbauen"64, um eine Vorgehensweise des
selbstverständlichen, behutsamen Anpassens des Bestandes an neuere Anforderungen zu
beschreiben. Natürlich erleichtert das relativ überschaubare Bauvolumen und der hohe Denkmalwert
des Gebäudes diese Art des fast handwerklichen, minimalinvasiven Eingreifens.
In das Aussenklima des Dachgeschosses wurde ein Schlafzimmereinbau als eigene, selbsttragende Box
nach der "Haus im Haus"-Strategie eingesetzt. Ist bei diesem Beispiel vor allem der Innenraum des
neuen Volumens im Fokus, so wurden in anderen Fällen auch die nun neu entstehenden "inneren
Aussenräume" und die Aussenflächen der neuen Boxen im Hinblick auf ihre Gesamtwirkung
materialisiert und dimensioniert. Der Gebrauch städtebaulicher Metaphern ("Piazza") reflektiert die
architektonischen Potentiale von Kalträumen im Gebäudeinneren. In Verbindung mit Strategie 3 kann
hiermit explizit umgegangen werden, indem Aussenhaut und Setzung neuer Volumen gezielt
angewendet werden, um vorhandene räumliche Qualitäten zu verstärken oder neue zu Schaffen.
63
Bauherrschaft: privat / Architektur: Hansjörg Ruch, St. Moritz / Bauingenieur: Beat Birchler, Silvaplana /
Denkmalpflege: Kantonale Denkmalpflege Graubünden, Dr. Mathias Seifert / Gebäudetechnik: Kalberer &
Partner, Bad Ragaz (Heizung), Heinz Müller, Madulain (Sanitär) / Bauphysik: Stadlin Bautechnologie, Buchs
Fotografien: Filippo Simonetti
64
Ruch, Hansjörg (2008). "Historische Häuser im Engadin. Architektonische Interventionen." Zürich:
Scheidegger & Spiess.
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38 Strategie 3 Weichenbauhalle, Bern
FALLBEISPIEL65
Industriehalle è Hörsaalzentrum / Auditorium
Baujahr: 1915
Umbau: 2007-2010
Standard: Minergie-Eco mit Zwischenklima in Foyers
Volumen: 26'000 m3
Spezifische Kosten: 28,8 mio (Total Baukosten 1-9)
Denkmalpflegerischer Status: Erhaltenswert
Die ursprüngliche Weichenbauhalle, erbaut 1914, ist eine Fachwerkkonstruktion aus Eisen mit
Backstein-Ausfachung und grossflächigen, jedoch kleinteilig unterteilten Fenstern. Eiserne
Fachwerkbinder überspannen die Halle stützenfrei. Die Konstruktion bestimmt die Erscheinung des
Raumes durch eine starke Gliederung und durch eine ausgeprägte Filigranität. In der Längsachse
befindet sich ein durchgehendes Oberlicht. Der riesige Raum weist durch Herstellungstechniken und
Patina ein hohes Mass visueller Details auf.
Der Umbau in ein Hörsaalzentrum der Universität Bern erfolgte 2007-2010 durch giuliani.hönger.
Die inneren Oberflächen der Aussenwände konnten erhalten werden, indem im Hallenraum ein
Zwischenklima (beheizt durch Abwärme) herrscht, während zwei eingestellte Einbauten in vom
Bestand abgehobener Erscheinung als vollgedämmte Behälter der geforderten Funktionen (sieben
Hörsäle mit 1500 Sitzplätzen) dienen. Nach dem Konzept eines "inneren Städtebaus" wurde durch
Setzung und dreidimensionale Artikulation der Körper gleichsam nutzbare "Aussenräume" im Inneren
der Halle geschaffen.
Um eine erforderliche Zweigeschossigkeit im Inneren der Körper erreichen zu können sowie zur
natürlichen Belichtung des Inneren, stossen diese Körper an die Dachhaut an, anstatt als "echte"
Boxen mit eigenem oberem Abschluss den Blick auf die Gesamtheit der Dachkonstruktion zu
erlauben. Deshalb durchdringen die eisernen Fachwerkträger die Wände der neuen Einbauten. In
deren reduziertem Inneren sind sie prägende Raumelemente.
65
Bauherrschaft: Amt für Grundstücke und Gebäude des Kantons Bern / Architektur: giuliani hönger, Zürich /
Bauingenieur: Dr. Schwarz Consulting AG, Zug / Denkmalpflege: Denkmalpflege der Stadt Bern, Jean-Daniel
Gross / Gebäudetechnik: Amstein & Walthert, Bern / Bauphysik: Barkus Bauphysik, Zürich
Fotografien: Karin Gauch, Fabien Schwartz
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39 Strategie 3 Schiffbau, Zürich66
Industriehalle è Theater
Baujahr: 1891
Umbau:1997-2000
Standard: –
BGF: ca. 29'900 m2
Spezifische Kosten: ca. 60 mio.
Denkmalpflegerischer Status: –
Die ehemalige Schiffbauhalle der Escher-Wyss AG hatte das Potential, in ihrem riesigen Volumen
mehrere Funktionen aufzunehmen, was gut zu den komplexen funktionalen und räumlichen
Anforderungen des Schauspielhauses als neue Nutzung passte. Die Halle beinhaltet heute Foyer,
Restaurant, Jazzclub und Hallentheater, während weitere Nutzungen in anderen, teils neuen
Gebäuden untergebracht wurden. Wie bei der Weichenbauhalle wurde der Charakter des Bestandes
besonders durch die Patina der jahrzehntelangen industriellen Nutzung geprägt, so dass deren Erhalt
ein wichtiges Entwurfsziel wurde; die Hülle wurde so wenig wie möglich angetastet.
Die Einbauten sind als autonome Boxen gestaltet, die sich durch homogene Gestaltung vom Bestand
abheben. Wo die Nutzung dies zulässt, sind diese Körper sehr transparent gestaltet.
66
Bauherrschaft: Neue Schauspiel AG Zürich / Architektur: Ortner & Ortner, Wien / Bauingenieur:
Gmeiner/Haferl, Wien / Gebäudetechnik: Studer & Partner, Zürich / Bauphysik: Johann Ertl, Wien, Wichser
Bauphysik & Akustik, Zürich
Fotografien: Margherita Spiluttini
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40 6 Fallbeispiele
Es wurden einige Objekte als Fallbeispiele vertieft untersucht. Neben der genaueren Betrachtung ging es uns
dabei vor allem um eine Klärung der Prozesse und um die Auswirkungen der jeweils gewählten Strategien.
Anhand von Interviews mit den Beteiligten, Planstudien und Untersuchung der Rezeption in der Fachwelt
wurden die Gebäude und die Eingriffe intensiv studiert. Der persönliche Besuch vor Ort hat sich dabei als
besonders wichtig herausgestellt; jenseits aller vorhandenen Bilder und Vorstellungen ist das Erleben des
architektonischen Raumes unersetzbar für eine Einschätzung der räumlichen Qualitäten – dies zeigte sich auch
im interdisziplinären Team. Die Untersuchung der Fallbeispiele dient keinesfalls dazu, eine Bewertung der
Projekte vorzunehmen oder bestimmte Positionen zu unterstützen. Nachdem die Erneuerung von
Baudenkmalen noch mehr als die Architektur ohnehin ein Abwägen verschiedener und divergierender
Ansprüche an das Gebäude bedeutet, kann es perfekte Lösungen ohnehin nicht geben. Im Zuge der
Bearbeitung stellte sich vielmehr heraus, dass einzelne Fallbeispiele exemplarisch für bestimmte Fragestellungen
der Erneuerung von Innen stehen können. Erst die hohe Qualität dieser Projekte erlaubte es uns, die Fragen
einzugrenzen und differenziert zu diskutieren. So kann im Umgang mit dem Gebäude Diagonal im Maag Areal
beispielsweise das Thema Kontext und Charakteristik aufgezeigt oder in Soglio die Angemessenheit von
Massnahmen untersucht werden. Im Schulhaus Ilgen wurde das Thema der Innendämmung diskutiert und beim
Von-Roll Areal in Bern die Nutzung während der Planung gewechselt.
Eine Frage des Wertes: Das Gebäude Diagonal im Maag-Areal, Zürich
Strategie 1, das Futteral
Das ehemalige Industriegebäude ‚Diagonal’ des Maag-Areals weist räumlich eine robuste und flexible Typologie
auf: Sehr grosse und hohe, übereinander gestapelte Hallen werden jeweils an beiden Köpfen erschlossen. Diese
Hallen weisen hohe Lichtpunkte und zweiseitiges Tageslicht auf. Die primären strukturellen Elemente der
Stahlträger und Rippendecken sind auch nach der Sanierung denkmalpflegerisch erhalten und prägen den Raum
weiterhin. Gleichzeitig wird der Dämmperimeter sinnvollerweise nur in den Hallen angebracht, die beiden
ungedämmten Köpfe weisen ein Zwischenklima auf.
Die Einlagerung von zwei Kunstgalerien als Erinnerung an die Zeit der Zwischennutzung wird von den
Architekten als Glücksfall bezeichnet67. Es handelt sich um zwei renommierte Schweizer Galerien, die hier
temporäre Kunstlager im Hochpreissegment unterhalten. Die Innenräume knüpfen an den internationalen
Standard von Galerien in Neubauten, den sogenannten ‚White Cubes’ an, was aus Gründen der Flexibilität und
möglichen Vielfalt für Kunstausstellungen gewünscht ist. Soll ein bestehender und spezifischer Raum sich an den
Charakteristika generischer Neubauten annähern, muss jedoch bedacht werden, dass der Charme der
ursprünglichen Nischennutzungen und die eigenständige Atmosphäre des Industriellen und Gebrauchten
verloren gehen können.68 Mit der Exklusivität der Nutzung werden die Räume nur von wenigen Leuten
besucht. Die Nutzungsanforderung zahlreicher Hängeflächen für Bilder sowie die häufig auftretende
Lichtempfindlichkeit von Kunstwerken hat die Galerie veranlasst, hinter den erneuerten Kastenfenstern vor
allem im Süden geschlossene Trockenbauwände aufzustellen. Diese Zwischenwände mit einem flexiblen
Wandsystem (System Kunstmuseum Wolfsburg) unterteilen nun die grossen Hallen. Hier mag es irritieren,
dass – im urbanen Kontext eher seltene – grosse Räume mit zweiseitigem Tageslicht für eine Nutzung
verwendet werden, welche Tageslicht nur begrenzt brauchen kann.
Die Fensterrahmen sind demontiert, sandgestrahlt und neu pulverbeschichtet worden. Die perfekte Ausführung
vermittelt allerdings einen Eindruck von neuen, nachgebauten Industrieverglasungen. Somit ist trotz des
materiellen Erhalts der Hülle die für deren Ausdruck wichtige Patina verschwunden; der äussere Eindruck ist
ungebraucht und fast makellos. Beim gebäudetechnischen Konzept hingegen wurde eine Annäherung an den
67
„Im Erdgeschoss und in der eingezogenen Galerie war von Anfang an eine Gastronomienutzung vorgesehen. In
den oberen Geschossen sollten Dienstleistungsflächen angeboten werden. Für die Vermietung wurde die Nutzu
ng jedoch letztendlich
bewusst offen gelassen. Es ist für den Ort und das Areal ein Glücksfall, dass sich dann auf den restlichen Gesch
ossen zwei
Kunstgalerien eingemietet haben.“ Gemäss schriftlichem Interview vom 20.März 2013 mit Stefan Thommen,
Gigon/Guyer Architekten.
68
Der Verlust der Patina, der einen wichtigen Teil des Raumeindrucks von Industriebauten ausmacht, wird
auch von der Denkmalpflege bedauert, wie im Interview mit Tatiana Lori deutlich wurde. Es bleibt die Frage
nach den unterschiedlichen Anforderungen der neuen Funktion und welche Freiräume und Möglichkeiten damit
noch für Massnahmen zum Erhalt der Patina bleiben. Jedoch wurde im Schutzvertrag offenbar besonders auf die
äussere Erscheinung, und hier eher auf den grösseren Massstab, fokussiert.
HSLU_D&E_Abschlussbericht.docx
41 industriellen Charakter des Bestandes gesucht. Grundsätzlich ging man von vorneherein von einem minimalen
Gebäudetechnikstandard aus. Um die Betonrippendecken sichtbar halten zu können, wurden die
Elektroleitungen offen an der Decke geführt. Durch das vorhandene grosse Luftvolumen und die durchgängig
öffenbare Nordfassade bleibt das Klima im Sommer trotz fehlender Komfortlüftung angenehm.
Obwohl das Konzept der technischen Einbauten und einzelne, grundsätzliche Entscheidungen wie der Erhalt
der Fenster und das teilweise sichtbar lassen der Stahlkonstruktion dahin zielt, den industriellen, unmittelbaren
Geist der Ursprungsanlage zu bewahren, ist dieser trotz akribischer Detailarbeit, oder vielleicht gerade
deswegen, in Teilen verloren gegangen. Ein Grund hierfür kann sicher in der Wertedifferenz zwischen Bestand
und neuer Funktion gesucht werden. Es zeigt sich ein Unterschied zwischen den Anforderungen einer
zeitgenössischen, anspruchsvollen Funktion und dem eigentlichen Potential des bestehenden Gebäudes.
Grundsätzlich stellt sich bei Industriearealen die Frage nach einem Gleichgewicht zwischen den erhaltenden und
den neuen Teilen im städtebaulichen Massstab. Die Dominanz der benachbarten, neuen Strukturen – in diesem
Beispiel der Prime Tower als höchstes Haus der Schweiz und der dazugehörige Cubus – bergen die Gefahr,
dass das in diesen Verhältnissen nun klein wirkende Gebäude des Diagonal zu einem Vintage-Accessoire
reduziert wird. Bei dieser gigantischen ökonomischen Aufwertung eines Gebietes taucht die Frage von
Wertedifferenzen zwischen Alt und Neu auf.
1m
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42 Die Frage der Innendämmung: Das Schulhaus Ilgen
Strategie 1, das Futteral
Nach dem Abschluss der Erneuerungsmassnahmen am Schulhaus Ilgen sind die meisten sichtbaren Oberflächen
im Schulhaus neu. Sie wurden überwiegend nicht im Detail rekonstruiert, sondern in Anlehnung an den
historischen Bestand aktiv entworfen, das Alte wurde also interpretiert und im Wesentlichen der
Raumeindruck rekonstruiert. Bei dieser Strategie können auch neue Bauteile oder Materialien eingesetzt
werden, sofern diese gewisse Eigenschaften aufweisen (z.B. die mineralisch-feste Innendämmung). Auf diese Art
und Weise wird es möglich, eine konsistente Raumwirkung zu erreichen, die der ursprünglichen des Gebäudes
nahe kommt, und gleichzeitig die aktuellen Ansprüche an die technischen und ästhetischen Eigenschaften der
Räume zu erfüllen. Insgesamt ist die angewandte Strategie der Ergänzung des Bestandes also eine
Gratwanderung zwischen Rekonstruktion und neuem Entwurf.
In mehreren Interviews mit den Beteiligten stellte sich heraus, dass im Prozess die Entscheidung für eine
Innendämmung intensiv und durchaus kontrovers diskutiert wurde.69 Die mineralische Innendämmung aus
Porenbeton wurde konzeptionell wie ein ‚dickerer Innenputz’70 behandelt; es sollte das Alte weitergebaut und
der Kontrast alt-neu vermieden werden. Allerdings erwies es sich dadurch als nicht realisierbar, die zum Teil
erhaltenen originalen Wandtäferungen wieder einzubauen, da diese gleichmässig geteilt sind. Die
Innendämmung verändert die Wandproportionen und es hätten alle Felder einzeln in der Breite angepasst
werden müssen, was nicht umsetzbar war. Zudem konnten erst relativ spät im Prozess gefundene Reste alter
Farbgebungen und Wandmalereien durch die Vorarbeiten für die Innendämmung nicht erhalten werden.
Es bleibt die Frage, ob bei der Entscheidung für Innendämmung überhaupt grundsätzlich alle Einflüsse
(Denkmalwert, Komfort, Energie, Ökonomie) gleich gewertet werden können. Hier zeigen sich auch die
Diskrepanzen in den Vorstellungen der Fachbereiche: Während für die Bauphysiker aus technischer Hinsicht
keine Bedenken gegen die Innendämmung bestanden, waren für die Denkmalpflege – die an sehr lange
Betrachtungszeiträume gewöhnt ist – die Massnahmen ‚zu experimentell’ und der Bestand in diesem Fall
eigentlich zu wertvoll für ein solches Vorgehen. Entsprechend gehen auch die Bewertungen über den Erfolg der
Massnahme bei den beteiligten Parteien auseinander.
Der Versuch, den alten Raumeindruck des klassizistischen Gebäudes mit zeitgenössischen Interpretationen
wieder herzustellen, ist nachvollziehbar und gilt als gelungenes Vorgehen, wenn die Originalsubstanz nicht mehr
ausreicht, diesen Raumeindruck hervorzurufen. Hier konnte jedoch ein Teil dieser Originalsubstanz vor allem
aufgrund der Entscheidung zur Innendämmung nicht erhalten werden. Die Verkettung an Folgen, die die
Entscheidung mit sich brachte, zeigt die Reibungskräfte, die bei prominenten Bauten (der öffentlichen Hand)
wirken können. Auf der einen Seite werden innovative Massnahmen bei einem Denkmal dieser Prominenz
kritisch gewertet, auf der anderen steht der Wunsch, gerade an exponierten Bauwerk mit einem gut
kontrollierten Vorgehen auch Neues zuzulassen und dieses zu präsentieren.
1m
69
Das wurde besonders in den Interviews mit den involvierten Denkmalpflegerinnen, Therese Gürtler Berger
und Martina Jenzer, deutlich. Auch der beteiligte Bauphysiker, Herr Knapp (Amstein & Walthert), bestätigte
dass die Innendämmung Konsequenzen hatte, betont aber die durch Messungen geprüfte Verträglichkeit der
Massnahme.
70
W. Rossbauer, Architekt des Projektes, umschrieb so den konzeptionellen Umgang mit der Innendämmung.
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43 Eine Frage des Aufwands: Stallscheune in Soglio
Strategie 2, die Schichtenfolge
Die frühere Stallscheune wird heute als ein Ferienhaus mit erhöhtem Komfortanspruch genutzt. Die
Aussenerscheinung sucht den Ausdruck zum ursprünglichen Stallgebäude, indem die Primärstruktur mit den
vier Eckpfeilern erhalten bleibt und die Füllungen durch jetzt vertikale Holzlamellen neu interpretiert werden.
Die ursprüngliche Luftdurchlässigkeit des Strickbaus wird mit der Durchlässigkeit für Licht zu einem Brise-Soleil
oder zum Filter bzw. Intimitätsgarant interpretiert. Im Dach wurde lokal das Haus-im-Haus-Konzept eingesetzt,
wodurch Dach und Estrich nach wie vor durchlüftet blieben und eine überdachte Loggia entstand.
Entsprechend der Strategie 2, der Schichtenfolge, wurden Stampfbetonwände als zweite innere Wand an die
alte Hülle gesetzt. Sie erfüllen das Prinzip der Homogenität der Räume und einer durchgängigen
Materialisierung. Die Fortsetzung der Wände in den Aussenraum entspricht eher einer modernen
Materialanwendung und Raumvorstellung. Innen bilden sie eine Schichtenfolge mit unerwartet massiver,
archaischer und roher Wirkung. Durch die homogene Materialisierung aller Innenwände ist die Leere des
ursprünglichen Innenraumes nicht mehr spür- und erfahrbar. In der Aussenwand verschmilzt sie mit den
Eckpfeilern, innen verselbständigt sich die Schicht zur zweiseitigen Zwischenwand. Erstaunlicherweise liegen die
Druckwände – welche sich so vehement mit dem Stampfbeton ausdrücken – nicht übereinander. Einige Wände
im obersten Geschoss schweben auf Stahlträgern in der Holzdecke. Somit folgt das typologische Konzept nicht
vollständig dem strukturellen: Es besteht eine Zunahme der Kammerung und der Anzahl Wände nach oben.
Aus gebäudetechnischer Sicht stellt sich die Frage, ob ein träges System wie die schwere Innenschale für ein
nur temporär (als Ferienhaus) genutztes Gebäude grundsätzlich die angemessene Entscheidung ist.
Das vom Architekten als ‚Weiterbauen’ umschriebene Konzept führt zu der Frage der Wertedifferenz
zwischen dem einfachen Stall und dem Wohnhaus für gehobene Ansprüche. Die hochwertigen, dabei sehr
tiefgehenden und enorm aufwendigen Eingriffe stehen in einer gewissen Diskrepanz zur gewünschten Archaik
des Ausdrucks und auch zur ursprünglichen Nutzung als gewöhnliche Stallscheune.71 Andererseits kann gut
argumentiert werden, dass bei diesem Gebäude besonders die äussere Form im Ortsbild einen hohen Wert
darstellt, während der Denkmalwert der Innenräume und des Bestandes im Innenraum weniger hoch eingestuft
wird und somit die Hauptziele – Ortsbilderhalt und Schaffung hochwertiger Räume – übereinstimmend erreicht
wurden. Der Bau besticht durch seine äusserst konzise, archaische Materialisierung. Der Umbau ist aber nur
mit den Arbeitsbedingungen im seinem Kontext, dem Bergell, überhaupt möglich. Er ist somit eine
wunderschöne Insellösung und prototypische Aussagen können vermutlich weniger abgeleitet werden.
1m
71
Die rohe Archaik im Ausdruck der Massnahme ist durch den enormen Arbeitsaufwand viel aufwendiger, als
sie vermittelt. Gleichzeitig wird diese mit den Nischenbildungen, den äusseren Umrandungen, den Stahlfenstern
und den in die urtümlichen Holzdecken eingelassenen Spots recht aufwendig und wirkt formalisiert.
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44 Die Frage der Umnutzung: Hörsaalzentrum Uni Bern
Strategie 3, das Haus im Haus
Eine Halle an sich ist räumlich weniger komplex als andere Typologien mit mehreren, artikulierten Räumen.
Umso höher ist hier die relative Bedeutung der Hüllflächen für die Raumästhetik. Die Raumstimmung von
Industriehallen wie der originalen Weichenbauhalle wird zu einem grossen Teil durch die hohe visuelle
Komplexität der Oberflächen geprägt. Diese entsteht – neben der Bauweise – durch Patina, Nutzungsspuren
und Verschleiss, vielleicht auch durch Spuren eines pragmatischen Umgangs mit dem Gebäude (Um- oder
Einbauten, Flickstellen, Beschädigungen, Beschriftungen, Befestigungsspuren von Gerät etc.). Die direkte
Erfahrbarkeit der Aussenflächen ist somit für die Raumwirkung einer Industriehalle wichtig und muss
entsprechend hoch gewertet werden. Dieses zusätzliche Kriterium unterstützt bei der Weichenbauhalle die
Anwendung der Strategie 3. Die beiden anderen Strategien, das Futteral oder die Schichtenfolge hätten die
Innenansicht der alten Hülle verborgen und so zwar die Dimensionen der Hallen kaum modifiziert, sie aber
hinsichtlich des Raumeindrucks massiv geschwächt.
Der Hallenraum als solcher ist durch den Einbau der neuen Körper nicht mehr als Ganzes erfahrbar, da er von
keiner Stelle aus im Gesamten überblickt werden kann. Doch das Erhalten der Patina der originalen
Aussenflächen macht diese als zusammenhängende Struktur erkennbar. So wird es dem Betrachter ermöglicht,
unterbewusst ein virtuelles räumliches Bild der alten Raumproportion zu rekonstruieren, indem sich der
Bestand durch seine eigene Ästhetik vom Neuen unterscheidet. In diesem Falle ist eine Unterscheidbarkeit von
Neu und Alt unerlässlich, um die ursprüngliche Raumwirkung gleichsam im Kopf rekonstruieren zu können.72
Eine naheliegende alternative Lösung, den Hallenraum als Ganzes erfahrbar zu belassen, wäre das Einstellen von
komplett abgelösten Boxen gewesen, die unterhalb der Binderebene enden. Dies hätte aber eine starke
Einschränkung des nutzbaren Raumes bedeutet und wahrscheinlich das Verhältnis Aufwand-Nutzen gesprengt.
Um einen dosierten Kontrast zur filigranen Stahlskelettstruktur des Bestandes zu erreichen, ist es folgerichtig,
dass die neuen Boxen beinahe massiv erscheinen und sich ihre Oberflächen vom Bestand abheben. So lebt denn
der Raumeindruck der Halle auch von der Kontrastwirkung zwischen Alt und Neu.
Für die ursprüngliche Nutzung der Weichenbauhalle war die Erfüllung von Komfortanforderungen nicht
relevant; beim Umbau jedoch musste nach Vorgaben der Bauherrschaft der Baustandard Minergie-ECO
erreicht und die Vorgaben der Systemtrennung eingehalten werden. Die Gebäudetechnik sollte überall
zugänglich bleiben und ausgetauscht werden können. Um die Feinheit der Stahlstruktur des Daches nicht mit
grossen Lüftungskanälen aufgrund der grossen Luftmengen zu gefährden, werden die Zu- und Abluftkanäle in
den raumhaltigen neuen Zwischenwänden vertikal geführt (die horizontale Zuführung erfolgt im
Untergeschoss). Die alte Stahlstruktur konnte integral erhalten bleiben und musste nur stellenweise
(Dachverstärkung und Horizontalaussteifung aufgrund der Erdbebenertüchtigung) verstärkt werden. Die alten
Fenster der bestehenden Gebäudehülle wurden mit isolierenden aussenliegenden Vorfenstern versehen; aus
energetischen Gründen, aber auch, um die Korrosion der Industrieverglasung zu stoppen und diese zu
schützen. Der durch die Strategie 3 ermöglichte Erhalt der Aussenwände und der Fenster inklusive Patina ist
ein wichtiges Element, die industrielle Raumwirkung des Gebäudes zu erhalten und durch ihre Diversität zu
einem gestaltenden Element der Raumwirkung zu machen. So diente in diesem Falle die Bauphysik als
Inspiration für eine räumliche Lösung. Die differenzierten Innenklimaverhältnisse passen dabei gut zum
Nutzungskonzept: Foyer mit einer tieferen Temperatur als Verkehrsfläche bzw. kurzzeitiger Begegnungsort;
Hörsäle mit Raumtemperaturen für längere Aufenthaltszeiten.
Ursprünglich war als neue Nutzung die Universitätsbibliothek vorgesehen. Die Entscheidung, dies zugunsten
der Hörsaalnutzung aufzugeben, beruhte auf dem Abgleichen von geplanter Nutzung und dem Potential des
Bestandes. Die Hörsaalnutzung passt zum Konzept des "inneren Städtebaus", da die Flächen ausserhalb der
eigentlichen Hörsäle belebte Orte sind, die bei entsprechender Konzeption zu Begegnungsorten werden
können. Die Hörsäle selbst brauchen kein Tageslicht, womit das Problem der tiefen Grundrisse, welches zur
Natur der Haus-im-Haus-Strategie gehört, ausgeschaltet wird. Ein Zusammenführen der Ansprüche einer
bestimmten neuen Funktion einerseits und der Möglichkeiten des Bestandes andererseits war hier also bereits
wichtiger Baustein für die erfolgreiche Anwendung der Strategie 3. Das Foyer wirkt zudem als klimatische
Pufferzone zwischen Hörsälen und Aussenklima und reduziert dadurch den Energieverbrauch, der für die
Erhaltung eines behaglichen Klimas in den Unterrichtsräumen aufgewendet werden muss. Dies zeigt deutlich,
dass gerade Umbaumassnahmen nicht nach Rezept gelöst werden können, sondern dass architektonische
72
Auch für die Denkmalpflege war dies ein Thema. Der zuständige Denkmalpfleger Jean-Daniel Gross betonte,
dass es wichtig war, an einer Stelle einen Hallenbinder vollständig freigestellt ehrhalten zu können: "An dieser
Stelle ist die Konstruktion der gesamten Halle pars pro Toto nachvollziehbar". Gross, Jean-Daniel (2013)
"Fabrikstrasse 6" in Gross, Jeand-Daniel (Hrg.) (2013) "Denkmalpflege in der Stadt Bern, Vierjahresbericht
2009-2012" Zürich: Chronos
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45 Entscheidungen eine Gratwanderung zum Erreichen einer bestimmten Raumwirkung bedeuten. In diesem Sinne
erscheint Strategie 3 für diese Umbaumassnahme bei weitem am geeignetsten. Es zeigt sich aber auch, dass die
Art und Weise, wie diese Strategie umgesetzt wurde, entscheidend für deren Erfolg ist.
1m
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46 7 Fazit
Werte
Eine Erneuerung über das Einbringen von mehreren Schichten ist vielleicht aufwändiger als eine rein technische
Ertüchtigung von Baudenkmälern, aber auch gestaltungsrelevanter. Das Einbringen von Schichten kann einen
architektonischen und gestalterischen Mehrwert bringen, der einen wertvollen kulturellen Beitrag unserer Zeit
darstellt, oder aber das Baudenkmal unleserlich machen und es als solches entwerten. Der erforderliche
Aufwand kann finanziell, energetisch und auch konstruktiv definiert werden. Mit Aufwendungen können auch
der Einsatz Grauer Energie gegenüber einer Steigerung der Energie-Effizienz angesprochen werden. Ein
Abwägen dieser Art taucht im Zusammenhang mit Altbausubstanz und energetischer Erneuerung immer wieder
auf, kann aber nicht eindeutig gewichtet werden.
Auf ein systematisches Benennen und Vergleichen der Baukosten wurde im Rahmen dieser Forschungsarbeit
bewusst verzichtet. Neben dem Problem, dass tatsächlich vergleichbare Zahlen schwer zu ermitteln sind,
handelt es sich bei den gezeigten Beispielen um so unterschiedliche Nutzungen, Ausgangssituationen und
Eingriffe, dass eine sinnvolle Einordnung nicht möglich ist. Das Forscherteam war sich aber der Gefahr bewusst,
dass ein vollständiges Nichtbeachten der Kosten die Projektergebnisse ‚in den luftleeren Raum’ stellen würde,
und auf manche Leser zu theoretisch und nicht anwendbar wirken könnte. Daher werden diejenigen
Baukosten, die bereits bekannt sind, bei den Objekten im Katalog aufgeführt. Es muss jedoch an dieser Stelle
betont werden, dass:
- keine direkte Vergleichbarkeit der Werte möglich ist;
- ohne den Abgleich der Betriebskosten die reinen Summen für die Massnahmen nicht zu bewerten sind;
- keine Strategie grundsätzlich kostengünstiger ist als andere;
- hier kein Schwerpunkt der vorliegenden Forschungsarbeit lag.
In diesem Zusammenhang wurde deutlich, dass eine Erörterung des Wertes denkmalpflegerischen Handelns
notwendig ist. Während einzelne bauliche oder technische Massnahmen in ihren Erstellungskosten
grundsätzlich benannt werden können, ist der kulturelle Wert, der durch den Erhalt der Geschichtlichkeit eines
Bauwerks für die Gesellschaft erhalten bleibt, nicht in Franken messbar. Diese Erkennbarkeit und Lesbarkeit
des Baudenkmals ist jedoch ein gesellschaftliches Bedürfnis, das sich in dem in der Bundesverfassung
verankerten staatlichen Auftrag des Kulturguterhaltes widerspiegelt. Es ist eine gesellschaftliche und damit eine
politische Frage, wie viel uns dieser Erhalt letztlich wert ist.73 Das Selbe gilt für die Nachhaltigkeit und den
Umweltschutz, beide sind politisch gewollt und dienen dem Erhalt einer lebenswerten Umwelt für unsere
Gesellschaft und ihre Erben.
Kompetenzen
Vieles, was zu einer erfolgreichen Erneuerung von Innen beiträgt, gleicht den Faktoren die für qualitätvolle
Neubauten relevant sind. Hohe Kompetenzen bei Be- und Erstellern bilden eine ebenso wichtige
Voraussetzung für Bauprojekte wie transparente Prozesse und eine gute Kommunikation. Sympathien und die
Wertschätzung für die Arbeit anderer können überall Beteiligte zu hohen Leistungen beflügeln. In einigen
Bereichen jedoch unterscheiden sich Planungs- und Bestellerkompetenzen bei Sanierungs- oder
Erneuerungprojekten. Da wäre einmal die bereits eingangs beschriebene erste Entscheidung, mit der sich der
Besteller für den Erhalt eines Gebäudes entscheidet. Die Gründe oder nicht selten auch Zwänge, die zu dieser
Entscheidung führen können sehr unterschiedlich sein, die sich daraus ergebenden Folgerungen sind jedoch
immer gleich: Ein deutlich komplexerer Prozess erwartet alle Beteiligten. Dies fordert von Anfang an auch
einen kompetenten Auftraggeber mit einem hohen Bewusstsein für die Verkettung der Umstände, der
entsprechend sein Team zusammenstellt und beauftragt. Denn im Gegensatz zu neu entwickelten Bauten
verfügt in diesem Fall das Objekt bereits über seinen eigenen Charakter und eine eigene Historie. Nicht jede
Nutzung, nicht jeder Komfortanspruch lassen sich aufzwängen, doch vielleicht offenbaren sich auch ungeahnte
Potenziale. Allein die Tatsache, dass der Bau bereits vor dem Projekt da ist, bedingt dass viele Details erst im
späteren Verlauf erkennen lassen.
73
Im konkreten Einzelfall ist es von Vorteil, wenn die Frage der Schutzwürdigkeit und der rechtliche Status des
Baudenkmals zum vornherein geklärt sind. Die Legitimation von Mehrkosten infolge denkmalpflegerischer
Massnahmen sollte nicht erst im Prozess geklärt werden. Auf diese Weise können die einzelnen Varianten
durch die beteiligten Partner nach verschiedenen Kriterien – auch den finanziellen – miteinander verglichen und
diskutiert werden. Eine ‚prototypische Verhaltensweise’ bezüglich der Frage nach denkmalpflegerischem
Aufwand gibt es nicht. Vielmehr sind immer wieder aufs Neue pragmatisch objektspezifische Reaktionen
verlangt.
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47 Acht abschliessende Punkte zur Erneuerung von Innen
Folgende acht Punkte wurden hier als Fazit zusammengestellt. Sie basieren auf den Forderungen unserer
Thesen und können zum Gelingen einer Erneuerung von Innen beitragen – wenn sie von allen
Projektbeteiligten verstanden und beachtet werden.
Der Prozess: Von Anfang an eine sollte Gesamtbetrachtung aller Anliegen und Ziele anvisiert werden. Darauf
folgt dann eine fachübergreifende Umsetzung der definierten Absichten. Für das gegenseitige Verständnis ist
eine frühe Formulierung und Kommunikation der projektspezifischen Ziele wichtig!
Das Rollenverständnis: Hier wird ein übergeordnetes Interesse an dem Gesamtprojekt bei allen Beteiligten
vorausgesetzt, nicht nur an dem jeweiligen eigenen Beitrag.
Die Anerkennung: Einfühlung in den Bestand und Anerkennung der vorhandenen Situation. Wo eine gute
Aufnahme des Bestands erfolgte, werden eher sinnvolle gemeinsam abgewogene Massnahmen ergriffen.
Der Leitfaden: Im Planungsteam soll eine gemeinsame entwerferische Haltung eingenommen und diese mit der
Denkmalpflege mindestens abgestimmt werden. Der Leitfaden für die Umsetzung soll einen langfristigen
Umgang mit den Objekten beinhalten und kann Realisierungs-Etappen vorsehen.
Die Wertung: Alle Massnahmen sollen im Hinblick auf den gesamten Lebenszyklus des Bestands abgewogen
werden. Dazu gehört auch das Anerkennen der Werte von Bestehendem – auch jenseits rein finanzieller
Natur.
Die Simulation: Anforderungen durch die (Neu-) Nutzung sowie ihre Abstimmung mit dem Bestehenden sind
hinsichtlich der Angemessenheit der Planung und Ausführung entscheidend.74 Daher sollen planerische
Simulationen mit unterschiedlichen Nutzungen im Vorfeld durchgespielt werden.
Die Flexibilität : Es gilt ein intelligenter Pragmatismus in Vorgehen und Umsetzung im Sinne von
‚Entscheidungslinien mit Reaktionsräumen’. Die konzeptionelle Richtlinie muss dabei ausreichend Raum für
allfällige Änderungen lassen und Möglichkeiten bieten, auf Unvorhergesehenes zu reagieren.
Die Angemessenheit: Alle geplanten Eingriffe sollen mit Augenmass abgewogen werden, wobei es nicht um die
effiziente und optimierte Lösung pro Disziplin geht, sondern um einen insgesamt stimmigen suffizienten75
Gesamteingriff.
74
„Zur Sanierung bedarf es der Erfindungsgabe, das heisst, man muss wissen, welche Alternativen für eine
Ersatz in Frage kommen und wie man diese Alternativen in das vorhandene Objekt einbaut. Diese Art der
Reparatur erfordert ausserdem ein umsichtiges Urteil über die Anpassungsfähigkeit des Objektes im Blick auf
die Zeit.“ Sennett Richard, Reparieren, in: Zusammenarbeit – Was unsere Gesellschaft zusammenhält, Hans
Berlin im Carl Hanser Verlag München 2012, S.287
75
Den Begriff Suffizienz hat Wolfgang Sachs 1993 erstmals angewandt und folgendermassen umschrieben:
„Einer naturverträglichen Gesellschaft kann man in der Tat nur auf zwei Beinen näherkommen: durch eine
intelligente Rationalisierung der Mittel wie durch eine kluge Beschränkung der Ziele. Mit anderen Worten: die
„Effizienzrevolution“ bleibt richtungsblind, wenn sie nicht von einer „Suffizienzrevolution“ begleitet wird.“ Sachs
Wolfgang, Die vier E's: Merkposten für einen maß-vollen Wirtschaftsstil. In: Politische Ökologie. Nr. 33, 1993,
S. 69-72.
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48 8 Metakontrolle
Das Projekt wurde in der vorgesehenen Zeit abgeschlossen. Alle anvisierten Ziele aus dem Forschungsantrag
sind erfüllt, teilweise konnten ergänzende Ergebnisse hinzugefügt werden. So hat sich beispielsweise der
Planungsprozess als unerwartet relevanter Themenbereich herausgestellt. Dieses wurde Dank einer sehr
praxisbezogenen Vorgehensweise herausgearbeitet. In Interviews und Begehungen mit den Beteiligten der
Fallbeispielen hat sich dieser Fokus erst eröffnet. Die Ergänzung der erarbeiteten Werkzeuge um die Thesen
zur Verbesserung der Planungsprozesse wurde im Team länger diskutiert und schlussendlich als positiver
Zugewinn verstanden. Der Forschungsbericht reagiert auf diesen Umstand und wurde entsprechend
umstrukturiert.
Als unerwartet langsam hat sich die Anfangsphase des Projektes erwiesen. Es hat deutlich mehr Zeit in
Anspruch genommen, das Team aus unterschiedlichen Fachrichtungen zusammen zu bringen und gemeinsam
den Weg zur Bearbeitung der Themen einzuschlagen, als geplant. Die Erwartungen an das Projekt wurden lange
Zeit von den Beteiligten eher vage formuliert und der Arbeitsrhythmus konnte sich nicht überall gleich
durchsetzen.
Die gemeinsame Besichtigung von Bauten, 16 Monate nach dem Start des Projektes, gab enorm viel Input und
neue Diskussion. Als besonders wertvoll hat sich neben dem räumlichen Erlebnis die sehr fokussierte
Diskussion zur Erneuerung von Innen herausgestellt. Zu einem früheren Zeitpunkt wäre diese vermutlich so
nicht möglich gewesen und später wäre die Auswertung zu knapp geworden. Einige Interviews wurden noch
vertieft oder ergänzt nach dem Besuch der Bauten. Die Exkursion kann damit als ein unverzichtbarer Teil des
Projektes verstanden werden.
Lessons learned
- Die Erwartungen an das Projekt sind beim Start zu diffus und vage gewesen. Ein halbtägiger Workshop zum
Kick off hätte anstelle der Startsitzung mehr Input gebracht und geholfen, die jeweiligen Anliegen konkreter zu
formulieren und das Projekt schneller zu initiieren.
- Der Rhythmus in dem die Workshops stattfanden war anfangs zu weitmaschig gesetzt. Es wäre sinnvoll
gewesen, gerade zu Beginn einen dichteren Rhythmus anzusetzen, um dem Projekt zügig mehr Inhalt zu geben.
Längere Zeit wurde ein eher abstrakter Diskurs geführt, ohne dass sich die Teilnehmer in dem Projekt
intensiver engagiert haben. Erst mit der Verteilung konkreter Aufgaben wurde das Engagement klarer, auch dies
hätte eher geschehen können.
- Die Fixierung der Daten hat sich als enorm schwierig herausgestellt und Verschiebungen waren immer wieder
gegeben. Kurzfristige Absagen der Teilnehmer haben mehrfach dafür gesorgt, dass thematische Schleifen
gemacht wurden und es zu Wiederholungen kam. Entsprechend mussten die fehlenden Teilnehmer mehr in die
Pflicht genommen werden, den verpassten Diskurs zügig aufzuarbeiten und nicht erst in der Folgesitzung das
Protokoll zu lesen.
- Für die Erarbeitung der Werkzeuge wurden anfangs individuelle Beurteilungen eingearbeitet. Dies brachte
methodische Fehler in das Projekt, da der individuelle Beurteilungsansatz zu different war. Entsprechend wurde
an dieser Stelle Zeit verloren und die Beurteilungsraster mussten wiederholt – gemeinsam – kommentiert
werden. Dieses konsolidierte Vorgehen hat sich als zeit- und nervenaufreibend, jedoch auch als sinnvoll
erwiesen und hätte von Begin an in einem gemeinsamen Workshop durchgeführt werden sollen.
- Aufgrund der enorm positiven Beurteilung der Exkursion bleibt die Frage offen, ob eine zweite Exkursion
sinnvoll gewesen wäre. Entweder um weitere Bauten zu besichtigen oder ein erneuter Besuch zu
unterschiedlichen Zeitpunkten des Diskurses.
9 Mittelverwertung
Die von der Stiftung zur Förderung der Denkmalpflege eingebrachten Mittel von CHF 117'000 wurden gemäss
Antrag ausschliesslich für Personalkosten der Mitarbeitenden verwendet. Es sind keine Gemeinkosten der
Hochschule, keine Publikationskosten oder Spesen davon vergütet worden. Bis Ende März betrugen die reinen
Personalkosten intern ohne Nebenkosten CHF 123'000.
Weitere Mittel, die dem Projekt zugute kamen waren CHF 40'000 seitens der Fachstelle nachhaltiges Bauen,
Amt für Hochbauten Zürich sowie CHF 48'000 Forschungsfinanzierung der Hochschule Luzern – Technik &
Architektur. Das Gesamtbudget betrug damit CHF 205'000.
Prof. Tina Unruh, Projektleitung
April 2014
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