Mythen und Helden In der klassischen Mythologie tragen alle Helden einen Beinamen, der sie zu etwas Besonderem macht. Achilles ist nicht irgend ein Achilles, sondern taxipodus, der schnellfüssige Achilles. Athene ist immer Pallas Athene: die junge, jugendliche Athene. Und so weiter. Es sind die immer gleichen Attribute, die das Mythische eines Helden ausmachen. Ich bin zwar nicht so alt wie die alten Griechen, aber meine Kindheit war bevölkert von mythischen Figuren: Enzo Piè zum Beispiel, Piè, Piede, der Fuss, weil Enzo Kinderlähmung gehabt hatte und mit einem Bein hinkte. Er war immer sehr gefragt, wenn wir Fussball spielten, weil er der Einzige war, der freiwillig und mit Enthusiasmus ins Tor ging. Oder la Pipinute, die Puppe. La Pipinute war eine alte Frau, die immer sehr elegante Kleider trug und sich so stark schminkte, dass ihr Gesicht aussah wie aus Porzellan. Einige meiner Freunde behaupteten, dass nur die Schminke sie zusammenhalte, und dass sie ohne Schminke sofort zerfallen würde. Mich nannten sie in meiner Familie Attila. Wie Attila, den mythischen König der Hunnen. Meine Oma hatte sogar meinen richtigen Namen Ferruccio zu einem Verb umfunktioniert: Attila, sagte sie zu mir, non ferrucciare! Ferrucciare bedeutete alles kaputt machen, caos totale. Ich weiss nicht, ob ihr mich versteht? Sie sagte nicht: Ferruccio, tu nicht so wie Attila! Sondern: Attila, tu nicht so wie Ferruccio! Ich war ein Mythos! Heute, wenn meine Frau mich beim Faulenzen erwischt und ich die Wohnung staubsaugen oder den Abfall hinunter tragen muss, suche ich Rettung in der Mythologie. Ich denke an Herkules, an seine berühmten Aufgaben, und dann komme ich mir selber vor wie ein Held: Ferruccio, der Alptraum des Abfalls, der Robin Hood der Reinlichkeit. © Ferruccio Cainero