nur wer fragen stellt, bekommt auch antworten

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GEORG BECK
NUR WER FRAGEN STELLT, BEKOMMT AUCH ANTWORTEN
SEIT
DREIßIG
JAHREN
HERRSCHT BEIM
DÜSSELDORFER
NOTABU.ENSEMBLE
NEUE MUSIK DER WILLE ZUR PRÄZISION
(nmz 3/14) – Friedrich Cerha winkt ab. „Dreißig? Ist doch kein Alter!“ Der Wiener
Meister, der notabu vor gut zehn Jahren als „Ohren auf Europa“-Kurator kennen- und
schätzen gelernt hat, muss es wissen. Mit der „Reihe“ hatte Cerha vor gefühlten
Urzeiten selber ein Solistenensemble gegründet.
Er weiß also, was es heißt, sich durchboxen, in einem Milieu seinen Weg gehen zu müssen,
das gerade bei den wichtigen ersten Schritten mit wenig Anerkennung, dafür mit um so mehr
Skepsis, Gleichgültigkeit und zuweilen offener Ablehnung aufwartet. Sicher, die NeueMusik-Situationen 1958 und 1983 lassen sich kaum gleichsetzen. In Teppichgeschäften
musste notabu zum Glück nicht spielen. Und doch bleibt die Frage: Wie schafft es ein
ambitioniertes Ensemble während der unausbleiblichen Durststrecken, den Glauben an sich,
an seinen Stern zu behalten? Und: Wie fasst man Fuß, ohne am selbstgesetzten Anspruch
Abstriche zu machen und auch ohne in Bitterkeit oder Resignation zu verfallen?
Ein Desiderat und eine folgenreiche Frage
Beide Gefahren – Scylla und Charybdis noch jeden künstlerischen Entwurfs in der freien
Szene – hat notabu erfolgreich umschifft, hat bewunderungswürdig Kurs gehalten. Dabei ist
man gestartet allein aus sich heraus, mit nicht mehr als mit dem Glauben an die eigene
Mission und ans eigene Sendungsbewusstsein. Am Anfang war diese eine Frage, die die
Gemüter bewegt hat: Wie kann es sein, dass wir im 20. Jahrhundert nicht die Musik auch
unserer Zeit studieren und spielen? Um diese (heute sagen wir: berechtigte) Frage von
Instrumentalstudenten des Jahres 1983 an der Düsseldorfer Robert Schumann Hochschule hat
sich das spätere notabu ensemble neue musik gebildet.
Botschaft: Besser nicht warten aufs erweiterte Curriculum, sondern sich lieber gleich als
studentische Selbsthilfeinitiative formieren. Und schon im Februar 1984 hat man das erste
Konzert, damals noch unter dem Namen ensemble neue musik Düsseldorf. Geburtshelfer
übrigens ist Hochschulprofessor Günther Becker. Dessen Kompositionsklasse fungiert als
Schutz-, Bewährungs- und Probenraum sowie nicht zuletzt als Veranstalter für die ersten
konzertierenden Aktionen. Eine Verantwortlichkeit der Hochschule, die weder seinerzeit noch
heute selbstverständlich ist. Bis heute ist Günther Becker denn auch im Ensemble
unvergessen. Ohne ihn, ohne seine Unterstützung wäre es anders, mit Sicherheit schwieriger
geworden. Umgekehrt, mit dem Zuspruch und auch mit den Zuwendungen des menschenfreundlichen Alten Herrn, vor allem aber mit ganz viel jugendlichem Enthusiasmus geht es
voran. Man stürzt sich in die Klangwelten von Isang Yun, Luigi Nono, Edgar Varèse. Schon
ein Jahr danach, 1985, ist man unter der Intendanz von Peter Girth Bestandteil der
Konzertplanung der städtischen Tonhalle.
Darum ist es am Rhein so schön
Wer angesichts dieser überraschend zügigen Entwicklung nach Erklärungen sucht, tut gut
daran, auch die Örtlichkeit selber in den Blick zu nehmen. Mit anderen Worten: Was ist denn
nun mit la belle ville de Düsseldorf wie Heine das ausgedrückt hat? Nun, in Neue Musik-
Kreisen hatte (und hat?) man die Stadt, berühmt für seine Akademie, für seine tatkräftige
Geschichte der Bildenden Kunst, kaum auf der Rechnung. Es ist kein Pflaster dafür. Was sich
in diesem Fall als entscheidender Vorteil herausstellte, konnte (und kann) man sich hier doch,
vergleichsweise unbehelligt entwickeln. Wovon notabu denn auch ausgiebig Gebrauch
gemacht und womit es selber zu jener mentalen Haltung ästhetischer Offenheit gefunden hat,
die das Ensemble bis heute auszeichnet. Entscheidender Punkt: Man hält Abstand. Zum nahen
Köln sowieso, aber auch zu den anderen Zentren einer (mit großem N geschriebenen) Neuen
Musik-Elite. Man lässt sich nicht vor den Karren spannen. Man bleibt skeptisch gegenüber
den Moden, mehr noch gegen die umhergeisternden Doktrinen in der zeitgenössischen
Tonkunst.
Hier macht es denn auch am meisten Sinn, dieses „Kein Tabu!“ im Ensemblenamen. Wenn
neue Musik das Neue in der Musik ist, ist es kontraproduktiv, so notabu, irgendetwas auszuschließen oder sich gar als Erfüllungsgehilfen dieser oder jener Ästhetik zu verdingen.
Vielmehr sollen sie alle und jeder ihr Recht haben: notabu, ein anderes Wort für Freiheit.
Eine Ensemble-Haltung, die in den zehn Biennnale-Runden „Ohren auf Europa“ äußerst
praktisch geworden ist. Da war diese wirklich schöne Idee, Komponisten Gelegenheit zu
geben, ihre Sicht der Dinge in Gestalt eines kompletten Konzertwochenendes darzulegen, mit
anderen Worten: auf dem Ensemble spielen zu dürfen. Dass notabu dies ohne Murren und
ohne Abstriche gestemmt hat, gehört zu den staunenswertesten Leistungen überhaupt.
go west
Womit wir zu guter Letzt beim anderen Kennzeichen des Ensembles angelangt wären. Eines,
das eigentlich an erster Stelle genannt zu werden verdiente: der Wille zur Präzision. Unter
allen Umständen möchte man sich Geist und Anspruch der Werke gewachsen zeigen. Ein
Realisierungswille, den notabu-Leiter und Gründungsirigent Mark-Andreas Schlingensiepen
verkörpert, scheint ihm doch offenbar keine Partitur zu undurchdringlich, zu vertrackt als dass
er nicht einen Weg finden würde, um seinen Musikern die komponierten Keilschriften zu
übersetzen und einen Weg vor-zuschlagen. Das Ergebnis spiegelt sich in der Zufriedenheit
(um ein älteres Wort zu gebrauchen): im Glück der Komponisten. Letzteres ist das untrügliche Indiz dafür, dass ein künstlerischer Anspruch aufgegangen und hier im Ganzen eine
Erfolgsgeschichte erzählt werden kann.
Eine mit Fortsetzungspotential, ist man doch gerade dabei, die Fühler weiter auszustrecken.
Beim kommenden "Carinthischen Sommer" in Villach wird notabu mit Wolfgang Rihms
„Fetzen“ dabei sein, um gleich anschließend die Kooperation mit seinen holländischen
Freunden fortzusetzen. Geplant sind Aufführungen von Messiaens "Des Canyons aux étoiles"
mit dem Rotterdamer DoelenEnsemble in Rotterdam, Düsseldorf und Amsterdam. Und schon
jetzt herrscht viel Vorfreude auf den Sommer 2015 und die neue Kooperation mit dem
belgischen Spectra-Ensemble Gent. Die Zukunft, zumindest die, die notabu angeht, liegt im
Westen.
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